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AHV/Rückerstattung von Beiträgen

Im Dokument Von Monat zu Monat (Seite 44-47)

Urteil des EVG vom 1. Dezember 1982 i.Sa. 1. AG

Art. 16 Abs. 3 AHVG, Art. 8bis und Art. 41 AHVV. Beiträge, die auf geringfügigen Entgelten aus Nebenerwerb entrichtet wurden, können nicht zurückerstattet wer-den. Der gute Glaube ist zu schützen.

Die 1. AG beschäftigt eine grosse Zahl von Personen, die ihre Tätigkeit gelegentlich und nebenberuflich ausüben und dafür ein jährliches Entgelt von weniger als 2000 Franken erzielen. Anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle für die Jahre 1975 bis 1978 wurde die 1. AG darauf aufmerksam gemacht, dass bei Erfüllen gewisser Voraussetzungen bei die-sen Entgelten auf die Beitragserhebung verzichtet werden könne.

Aufgrund dieser Sachlage unterbreitete die 1. AG der Ausgleichskasse folgenden Ent-wurf eines Rundschreibens an die Arbeitnehmer:

«Wie wir nachträglich erfahren haben, kann unter bestimmten Umständen auf die Zah- lung von AHV- Beiträgen verzichtet werden.

Für diesen Verzicht müssen drei Bedingungen erfüllt sein:

Das pro Kalenderjahr bezogene Entgelt darf 2000 Franken nicht erreichen.

Gemäss unserer Buchhaltung trifft das in Ihrem Fall für die in Frage kommenden Jahre 1975 bis 1979 zu.

Es muss sich bei der entsprechenden Tätigkeit um einen reinen Nebenerwerb aus gelegentlichen Aufträgen handeln. Dies ist z. B. bei Hausfrauen der Fall, jedoch nicht bei Studenten; Studierende können also nicht auf AHV-Beitragszahlungen verzichten und dürfen somit untenstehenden Talon nicht unterzeichnen.

Gemäss Ihren persönlichen Angaben ist bei Ihnen diese Bedingung ebenfalls erfüllt.

3. Sie müssen uns Ihr Einverständnis, dass wir Ihre geleisteten AHV-Beiträge für die Jahre 1975 bis 1979 zurückfordern und an Sie ausbezahlen, mit Ihrer Unterschrift auf untenstehendem Talon bestätigen. Die Ihnen zustehenden Beträge finden Sie auf dem Talon aufgeführt.

Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Ihr Verzicht auf die Zahlung von AHV-Bei-trägen freiwillig ist. Fehlende Beitragszahlungen können später einen Einfluss auf die Höhe Ihrer AHV-Rente haben. Für genauere Auskünfte stehen Ihnen die lokalen AHV-Stellen zur Verfügung.

Untenstehende Vereinbarung gilt rückwirkend für die Kalenderjahre 1975 bis 1979, d. h. Sie erhalten mit Ihrem Einverständnis die in diesem Zeitraum von Ihnen gelei-steten AHV-Beiträge zurück, sofern die oben erwähnten drei Bedingungen erfüllt sind.))

Die Ausgleichskasse nahm zu diesem Entwurf schriftlich Stellung und bezeichnete

«das von Ihnen vorgeschlagene Vorgehen ... als ordnungsgemäss».

Die 1. AG holte in der Folge von jedem einzelnen Arbeitnehmer, welcher die Vorausset-zungen erfüllte, das schriftliche Einverständnis ein und nahm die Rückerstattung der Arbeitnehmerbeiträge für die Jahre 1975 bis 1979 vor. Anschliessend forderte sie von der Ausgleichskasse die Rückerstattung der gesamten in den betreffenden Jahren auf diesen geringfügigen Entgelten bezahlten Beiträge zurück, was die Ausgleichskasse mit Verfügung ablehnte.

Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der 1. AG hiess das EVG mit folgenden Erwägun-gen gut:

1. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird anerkannt, dass es nicht um die Rück-erstattung von Beiträgen geht, die nicht geschuldet sind. Es wird aber geltend gemacht, die Rückerstattungspflicht ergebe sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Dieser Grundsatz schützt den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behörd-liches Verhalten und bedeutet unter anderem, dass falsche Auskünfte von Verwal-tungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abwei-chende Behandlung des Rechtsuabwei-chenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist eine falsche Auskunft bindend,

wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf betimmte Personen gehandelt hat,

wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn der Bürger die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte, wenn der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte,

wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können,

wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 99 Ib 101f.; ZAK 1979 S. 152; Katharina Sameli, Treu und Glauben im öffentlichen Recht, ZSR 96/1977 II, S. 371ff.).

Ferner verlangt das EVG als weitere Voraussetzung, dass keine unmittelbar und zwin-gend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderregelung vorliegen darf, vor welcher das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz zurücktreten muss; es hat deshalb wiederholt entschieden, dass der Vertrauensgrundsatz im Rahmen der Art. 16 und 47 AHVG keine Anwendung findet (BGE 106V 143, ZAK 1981 S. 208; BGE 101 V 183, ZAK 1976 S. 178; BGE 100 V 157 Erwägung 3c, 160f. und 163 Erwägung 4, ZAK 1975 S. 191 und 432)

2. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, sie habe aufgrund des Antwortschrei-bens der Ausgleichskasse vom 28. Oktober 1980 in guten Treuen annehmen dürfen, dass im Einverständnis mit den betroffenen Arbeitnehmern eine Rückerstattung der für die Jahre 1975 bis 1979 entrichteten paritätischen Beiträge auf Entgelten aus Neben-erwerbstätigkeit von weniger als 2000 Franken jährlich möglich sei; deshalb habe sie die Beiträge bereits im Februar 1981 den Arbeitnehmern zurückbezahlt. Demgegenüber meint die Vorinstanz, die Beschwerdeführerin könne aus jenem Brief nichts zu ihren Gunsten ableiten, weil darin jeglicher Hinweis darauf fehle, dass die für 1975 bis 1979 bereits geleisteten Beiträge zurückbezahlt werden könnten.

Zwar ist es richtig, dass die Kasse im Schreiben vom 28. Oktober 1980 nicht aus -d rück Ii c h erklärt hat, -die Beiträge für -die Jahre 1975 bis 1979 könnten nachträglich zurückverlangt werden. Dies ist aber nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, wie jenes Schreiben von der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung aller Um-stände in guten Treuen verstanden werden durfte und musste. Dabei ist zu beachten, dass die Ausgleichskasse mit jenem Brief den ihr von der Beschwerdeführerin unter-breiteten Entwurf eines an ihre Mitarbeiter gerichteten Schreibens guthiess und das darin skizzierte Vorgehen ausdrücklich als ordnungsgemäss bezeichnete. In diesem Entwurf hatte die Beschwerdeführerin aber ausdrücklich festgehalten:

(<Sie müssen uns Ihr Einverständnis, dass wir Ihre geleisteten AHV- Beiträge für die Jahre 1975 bis 1979 zurückfordern und an Sie ausbezahlen, mit Ihrer Unterschrift auf untenstehendem Talon bestätigen. Die Ihnen zustehenden Beiträge finden Sie auf dem Talon aufgeführt.»

Ferner hat die Beschwerdeführerin im letzten Absatz ihres Briefes festgehalten:

((Untenstehende Vereinbarung gilt rückwirkend für die Kalenderjahre 1975 bis 1979, das heisst, Sie erhalten mit Ihrem Einverständnis die in diesem Zeitraum von Ihnen geleiste-ten AHV-Beiträge zurück, sofern die oben erwähngeleiste-ten drei Bedingungen erfüllt sind.»

Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass die Beschwerdeführerin im dem der Aus-gleichskasse zur Stellungnahme unterbreiteten Briefentwurf absolut klar und unmiss-verständlich ihre Absicht zum Ausdruck gebracht hat, die Beiträge für die Jahre 1975 bis 1979 im Einverständnis der einzelnen betroffenen Arbeitnehmer von der Ausgleichs-kasse zurückzuverlangen und den Arbeitnehmern zurückzuzahlen. Ebenso steht fest, dass die Ausgleichskasse diesem Vorgehen am 28. Oktober 1980 vorbehaltlos zuge-stimmt hat. Damit hat sie der Beschwerdeführerin in einer konkreten Situation und mit Bezug auf bestimmte Personen eine Auskunft erteilt, deren Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennbar war. Gestützt darauf hat die Beschwerdeführerin die Rückzahlun-gen an die Arbeitnehmer vorRückzahlun-genommen und damit Dispositionen getroffen, die -

wenn überhaupt - jedenfalls nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden kön-nen. Dass die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung eine Änderung erfahren hätte, ist nicht der Fall. Damit sind die in den Bst. a bis e von BGE 106 V 143 (ZAK 1981 S.208) erwähnten Voraussetzungen für den Vertrauensschutz erfüllt.

Es bleibt zu prüfen, ob auch die vom EVG verlangte weitere Voraussetzung erfüllt ist, dass keine unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderrege-lung vorliegen darf, vor welcher das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz zurücktreten muss. Auf dem Gebiet der Beiträge bildet eine derartige Sondernorm Art. 16 AHVG. Abs. 1 dieser Bestimmung betrifft die Verwirkung von noch nicht durch Verfügung geltend gemachten Beiträgen und berührt damit die Frage der Beitrags-rückerstattung nicht. Ebensowenig gelangt Abs. 2 von Art. 16 AHVG zur Anwendung,

welcher die Verwirkung jener Beiträge regelt, die zwar im Sinne von Abs. 1 durch Ver-fügung geltend gemacht, aber nicht innerhalb einer dreijährigen Frist bezahlt worden sind.

Schliesslich bestimmt Art. 16 Abs. 3 AHVG:

((Der Anspruch auf Rückerstattung zuviel bezahlter Beiträge erlischt mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Leistungen Kenntnis er-halten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Bei-träge bezahlt wurden. Sind Arbeitgeber- und ArbeitnehmerbeiBei-träge von Leistungen bezahlt worden, die der Wehrsteuer vom Reinertrag juristischer Personen unterliegen, so erlischt der Anspruch auf Rückerstattung mit Ablauf eines Jahres, nachdem die Steuerveranlagung rechtskräftig wurde.»

Es stellt sich die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin zurückverlangten Beiträge seinerzeit zuviel, d. h. ohne Rechtsgrund, bezahlt worden sind. Dies ist zu verneinen.

Als sie nämlich abgerechnet wurden, geschah dies - wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat - durchaus zu Recht. Daraus folgt, dass Art. 16 Abs. 3 AHVG, insbeson-dere die darin enthaltene einjährige Verwirkungsfrist, auf den vorliegenden Fall eben-falls keine Anwendung findet.

Fehlt es somit an einer unmittelbar aus dem Gesetz sich ergebenden, dem Vertrauens-prinzip vorgehenden Sonderregelung, so muss der Rückerstattungsanspruch gestützt auf diesen Grundsatz geschützt werden.

Im Dokument Von Monat zu Monat (Seite 44-47)