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Plädoyer für ein konzertiertes Vorgehen gegen die sogenannten „Konversionstherapien”

5 Abschreckung durch das Strafrecht

Würde mit einer Ordnungswidrigkeit die erwünschte abschreckende Wirkung der Ver-botsnorm entfallen, die von einer Strafnorm mit größerer moralischer Vorwerfbarkeit erwartet wird?

Mit der abschreckenden Wirkung des Strafrechts befassen sich Rechtswissenschaftler, Kriminologen und Sozialwissenschaftler seit vielen Jahren. Die Sanktionsforschung ist sehr umfangreich und hat viele Einzelergebnisse gebracht. Es ist jedoch bisher noch nicht gelungen, daraus eine allgemeine Theorie der Abschreckung abzuleiten.

Grundsätzlich geht man zwar von der Annahme aus, dass Sanktionen eine schreckende Wirkung haben können, dass aber diese Wirkung von der Vorstellung ab-hängig ist, die sich der Adressat über die Art der Sanktion macht sowie über die Sicher-heit und Schnelligkeit, mit der sie eintritt.

Und auch das gilt nicht pauschal. Diese Annahme muss mit verschiedenen Ein-schränkungen versehen werden. Manche Lebensbereiche und Verhaltensweisen sind ra-tionalem Verhalten weniger zugänglich. Ein Beispiel ist der Umgang mit Alkohol und Rauschmitteln. Ferner gibt es Personengruppen, die sich aus welchen Gründen auch immer im Sinne des Abschreckungsmodells irrational verhalten. Beides trifft etwa bei der Trunkenheit am Steuer zu. Die Mehrzahl der Verkehrsteilnehmer lässt sich abschrecken und ist erst recht bereit, aus negativen Erfahrungen zu lernen. Andererseits gibt es Menschen, die ständig gegen die Regeln verstoßen, dabei relativ selten gefasst werden und daher die Sanktionswahrscheinlichkeit gering einschätzen. Von ihren Erfahrungen her handeln sie sogar rational. Schließlich gibt es Gewohnheitstrinker, die psychisch außerstande sind, sich überhaupt an die Vorschriften zu halten. Es ist wiederholt

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wieder verliert. Der Grund liegt nach eingehenden Untersuchungen in verschiedenen Ländern in erster Linie daran, dass die in dem neuen Gesetz ausgesprochene Drohung nicht in die Tat umgesetzt wird. Das schnelle Abklingen des Abschreckungseffekts hängt aber auch mit der besonderen Publizität neuer Gesetze zusammen, die alsbald von an-deren Themen verdrängt wird.

Es besteht wohl auch eine positive Beziehung zwischen der Höhe und der Wirksamkeit der angedrohten Sanktion, die aber sehr schwach zu sein scheint.6

Allein die Existenz einer Strafnorm entfaltet ohne die reale Gefahr einer effektiven Verfolgung und Durchsetzung kaum abschreckende Wirkung. Das zeigt auch eine Unter-suchung des DIW zur Abschreckung deutscher Strafverfolgung, die keine gen-eralpräventive Wirkung, sondern erst bei einer Verurteilung für die Zukunft eine Ab-schreckung erkennt.7 Aus einer Heidelberger Dissertation ergibt sich ebenfalls, dass die Frage nach der abschreckenden Wirkung des Strafrechts noch nicht als abschließend geklärt gelten kann. Die vertiefte Untersuchung weiterer Gesichtspunkte wäre empfeh-lenswert, etwa die Auswirkungen der Sanktionsschnelligkeit auf die Abschreckung oder der vermehrte Abgleich mit weiteren Datenquellen, insbesondere von Opferstatistiken.8

Wichtiger als die Schwere der Sanktion scheint danach der Grad der Sicherheit zu sein, mit der Normbrüche entdeckt und Sanktionen verhängt werden. Er ist seinerseits von verschiedenen Umständen abhängig. Eine Sanktion kann ausbleiben, weil eine Tat gar nicht entdeckt wird, weil der Täter nicht greifbar ist, weil keine Anzeige erstattet oder keine Klage erhoben wird, weil Verfahrensregeln, etwa über die Beweisführung oder über die Verjährungsvorschriften eine Verurteilung verhindern, weil die zuständigen staatlichen Institutionen Fehler machen oder die Normverletzung nachlässig oder man-gels Kapazität gar nicht betreiben, oder weil sich der Täter dem Verfahren oder der

6 Dazu ausführlich Röhl, Rechtssoziologie, Seite 276ff mit weiteren Nachweisen

7 DIW Berlin, Research Notes 2005, Horst Entorf, Hannes Spengler: Die Abschreckungswir-kung der deutschen Strafverfolgung. „Demnach wäre es ...nicht ausreichend, dass Tat-verdächtige überhaupt in irgendeiner Form mit dem Justizsystem (d.h. mit der Staatsan-waltschaft) in Berührung kommen, damit sie selbst oder andere von zukünftigen Taten abgehalten werden. Vielmehr bedarf es für eine wirksame Abschreckung offensichtlich einer konkreten Verurteilung des verurteilungsfähigen Tatverdächtigen.

8 Dissertation, vorgelegt von Tobias Spirgath, Juristische Fakultät der Universität Heidel-berg:„Zur Abschreckungswirkung des Strafrechts- Eine Metaanalyse kriminalstatistischer Untersuchungen“

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tretungssituation ist teilweise auch rechtlich abgesichert, beispielsweise durch die ärz-tliche Schweigepflicht oder Aussageverweigerungsrechte innerhalb der Familie. Andere Normverletzungen werden gezielt verheimlicht.

Das Propagieren, Anbieten und Anwenden der obskuren Konversionstherapien finden ohne Öffentlichkeit zwischen dem Betroffenen, bei Minderjährigen ev unter Beteiligung der Eltern und dem Therapieanbieter statt - eine eher private Situation ohne öffentliche Kontrolle. Allein die Existenz einer Strafnorm wird keine effektive Generalprävention in diesen beteiligten Personenkreisen bewirken, so dass diesbezüglich die Entscheidung über die Ausgestaltung der Verbotsnorm – Strafrecht oder Ordnungswidrigkeit – eher sekundär ist. Entscheidend ist bei einem Verstoß die Durchsetzung der Sanktion.

Entscheidend ist das Wissen über eine Verbotsnorm unabhängig von ihrem Charakter.

Entscheidend ist deshalb eine leicht zugängliche Beratungsstelle und der einfache, un-bürokratische Zugang zu Hilfsangeboten.

6 Konsequenzen

Es sprechen deshalb gute Gründe für die Sanktionierung von Verboten der sog. Konver-sionstherapien mit einem Bußgeld. Als Standort kommt das Ordnungswidrigkeitengesetz in Betracht.

Den begleitenden Maßnahmen kommt große Bedeutung zu. Es muss mittels einer öffentlichen Kampagne eine möglichst weite Verbreitung des Verbotes erfolgen, um Betroffene gar nicht erst in die Hände angeblich besorgter „Ärzte oder Pseudotherapeu-ten” fallen zu lassen. Informationen müssen digital und anlog leicht zugänglich sein. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung muss organisatorisch und finanziell in die Lage versetzt werden, diese Informationskampagne durchzuführen. Sie verfügt auf Grund ihrer derzeitigen Arbeit über Kenntnisse zu den Konversionstherapien und den damit verbundenen Problemen. Aufgeklärte und informierte Betroffene werden nur sel-ten in die Hände sog. „Homo-Heiler” fallen, wenn ihnen in ihrer Gewissensnot, in der ihnen ausweglos erscheinenden Situation wirkliche Hilfe gegeben werden kann. Dass das offene gesellschaftliche Klima das Vertrauen in beratende Gesprächsangebote stärken wird, ist selbstverständlich. Menschen müssen in einem Umfeld leben können,

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versprechen. Deshalb muss allen Versuchen, wie sie auch von einzelnen Politikern un-ternommen werden, entschieden widersprochen werden, LGBTIQ als nicht normal zu propagieren und Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren.

Begleitend sollte es eine zivilrechtliche Regelung geben, die die Einwilligung von Eltern in sog. Konversionstherapien verbietet wie es auch bei der Sterilisation gem. § 1631 c BGB der Fall ist. Dazu müsste § 1631 c BGB nur um diese Fallgestaltung ergänzt werden.

Diese gesetzgeberischen und begleitenden Maßnahmen müssen zügig umgesetzt werden. Nach Erfahrungen in der Anwendung der Verbotsnorm und mit einer hoffentlich gestiegenen öffentlichen Aufmerksamkeit kann dann über weitere mögliche Maßnahmen diskutiert werden wie z. B. einer Meldestelle. Anzeigen und Verbotsverfahren werden aber schon mit der Verabschiedung eines Bußgeldtatbestandes erfasst und ausgewertet werden.

Akzeptanz statt Pathologisierung

Konversionsmaßnahmen verhindern

– Kai Klose | Susanne Stedtfeld –

Hessischer Minister für Soziales und Integration | Leiterin der Stabsstelle Antidiskriminierung Mitglied | stellv. Mitglied der Fachkommission des Bundesministeriums für Gesundheit

zum geplanten gesetzlichen Verbot sogenannter „Konversionstherapien”