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Materielle Leistungen zum Ausgleich von Mietschulden und zur Wohnungssicherung bei einer Inhaftierung sind die wesentlichen Instrumente der Prävention von Wohnungsverlusten.

7.2.1 Rechtliche Grundlagen und Zuständigkeiten

Während die Zuständigkeit und die Kompetenz für die Übernahme von Mietschulden bis zur Einfüh-rung des SGB II und des SGB XII 2005 ausschließlich bei den örtlichen Sozialhilfeträgern lagen, ver-teilen sie sich seitdem auf diese beiden unterschiedlichen Rechtskreise. Daraus wiederum resultie-ren getresultie-rennte Zuständigkeiten für unterschiedliche Personenkreise bei den Jobcentern und den ört-lichen Sozialhilfeträgern. Von elementarer Bedeutung sind die nahezu gleichlautenden Bestimmun-gen in § 22 (Abs. 8 und Abs. 9) SGB II und § 36 (Abs. 1 und Abs. 2) SGB XII zur Möglichkeit der Über-nahme von Mietrückständen.

§ 22 SGB II – Bedarfe für Unterkunft und Heizung, hier: Übernahme von Schulden (…)

(8) Sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Be-hebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sol-len als Darlehen erbracht werden.

(…)

§ 36 SGB XII – Sonstige Hilfen zur Sicherung der Unterkunft

(1) Schulden können nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen wer-den, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden.

(…)

Kommen dabei Geldleistungen in Betracht, können sie im SGB XII also als Beihilfe oder Darlehen bewilligt werden, im SGB II sollen sie als Darlehen und nur in atypischen Fällen als Beihilfe gewährt werden.

Für die Prüfung und Gewährung von Leistungen nach dem SGB II sind die Jobcenter zuständig, so-fern sie diese Aufgabe nicht über einen Beschluss ihrer Trägerversammlung an den kommunalen Träger übertragen haben (siehe 5 und 6). Über den Wortlaut der gesetzlichen Regelung hinaus, der auf die tatsächliche Erbringung von ALG II hindeutet, ist ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung dem Grunde nach ausreichend. Laufende Leistungen müssen nicht bereits beantragt worden sein, und über die Gewährung muss folglich auch noch nicht abschließend entschieden sein.

Die Schuldenübernahme kommt auch dann in Betracht, wenn wegen einer Pflichtverletzung das ALG II vollständig entfallen ist: Der Antrag auf Mietschuldenübernahme kann nicht allein mit dem Hinweis auf verhängte Sanktionen nach § 31a SGB II abgelehnt werden.

Die örtlichen Träger der Sozialhilfe sind für alle vom Wohnungsverlust bedrohten Haushalte zustän-dig, die keine Leistungen nach dem SGB II beziehen. Ein Sozialhilfebezug nach dem SGB XII ist aber nicht zwingend erforderlich. Die Übernahme von Mietschulden können auch Haushalte beantragen, die überhaupt keine Sozialleistungen erhalten, also z. B. Personen, die geringfügig oberhalb der Ein-kommens- oder Vermögensgrenzen der Hilfe zum Lebensunterhalt liegen, die mit Schulden aus dem Leistungsbezug ausgeschieden sind oder die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde-rung erhalten. Werden bei bestehender Erwerbsfähigkeit aus anderen Gründen (z. B. wegen einer Sanktion) aktuell keine Unterkunftskosten nach dem SGB II gewährt, ist die Übernahme von Miet-schulden durch den Träger der Sozialhilfe nicht möglich. Zuständig bleibt das Jobcenter.

In den Abschnitten 5 und 6 wurde empfohlen, diese getrennten Zuständigkeiten im Interesse einer effektiven Prävention in einer gemeinsamen Fachstelle/Präventionsstelle zu bündeln. Überall, wo dies (noch) nicht möglich ist und eine getrennte Aufgabenerledigung praktiziert werden muss, stel-len sich erhebliche Verfahrensanforderungen. Es ist beispielsweise zu regeln, wie bei sogenannten

„Mischhaushalten“ verfahren werden soll, in denen die Haushaltsmitglieder Leistungen aus beiden Rechtskreisen beziehen. Schaltet das Jobcenter die Präventionsstelle für ein aufsuchendes Clearing

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ein oder übernimmt es diese Aufgaben in den Fällen, für die es zuständig ist, selbst? Klärungsbe-dürftig ist, wie verfahren wird, wenn das Jobcenter die Übernahme von Schulden ablehnt und alter-native präventive Schritte notwendig werden, für welche die Zeit jetzt aber knapp wird. Ab wann wird ein Fall an die Präventionsstelle übergeben?

7.2.2 Gerechtfertigt und notwendig

Die Regelungen in beiden Gesetzen sehen also vor, dass Schulden übernommen werden können,

„wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerecht-fertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtgerecht-fertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.“

Die Schuldenübernahme muss zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt sein, das bedeutet nach Auffassung des Bundessozialgerichts, dass die Kosten der Unterkunft „abstrakt“ angemessen sein müssen. Sie gilt als nicht gerechtfertigt bei außergewöhnlich hohen Mietschulden, die über Jahre aufgelaufen sind, wenn der Wohnraum nicht erhaltenswürdig ist, wenn trotz Übernahme der Schul-den die laufende Mietzahlung nicht gesichert ist, z. B. weil die Miete die angemessene Höchstmiete übersteigt und der Unterschiedsbetrag nicht aus eigenen Mitteln (Mehrbedarf, Elterngeld, Freibe-trag Arbeit) finanziert werden kann, wenn die Wohnung nicht gesichert werden kann, weil die Ver-mieterin bzw. der Vermieter einer Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zustimmt oder wenn Mie-terinnen und Mieter die Notlage provoziert haben (Missbrauch).

Eine Mietschuldenübernahme ist nicht notwendig, sofern der Einsatz von Selbsthilfepotenzial zur Abwendung der Wohnungslosigkeit führt, wenn ein Tilgungsarrangement mit der Vermieterin bzw.

dem Vermieter getroffen werden kann oder Vermögen vorhanden ist, das zur Tilgung eingesetzt werden kann.

Wird in Fällen mit Mietschulden deutlich, dass eine Übernahme der Rückstände aus den beschrie-benen Gründen nicht möglich ist und eine Sicherung der Wohnung auf diesem Weg ausscheidet, müssen alternative Lösungen auf dem Verhandlungsweg gesucht werden. Auch in solchen Fällen kann es sinnvoll sein, einen freien Träger mit der Fallbearbeitung zu beauftragen.

7.2.3 Wann droht Wohnungslosigkeit?

In der Fachdiskussion ist unstrittig, dass Wohnungslosigkeit spätestens dann ernsthaft einzutreten droht, wenn die Mietrückstände die außerordentliche, fristlose Kündigung durch die Vermieterin bzw. den Vermieter erlauben (siehe 3), wenn also nach zwei aufeinanderfolgenden Zahlungstermi-nen mehr als eine Monatsmiete oder nach einem längeren Zeitraum zwei Monatsmieten geschuldet werden. Viele Jobcenter und Präventionsstellen kommen mit einer Mietschuldenübernahme zu die-sem Zeitpunkt einer Vermieterkündigung zuvor.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 01.08.2017 ausgeführt, dass bei der Beurtei-lung drohender Wohnungslosigkeit konkret zu prüfen sei, welche negativen Folgen finanzieller, so-zialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust der konkreten Wohnung für den betroffenen Haushalt hätte. Das schematische Abstellen auf eine schon erhobene Räumungsklage und damit auf einen starren und späten Zeitpunkt, zu dem eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsstel-lung des Betroffenen bereits eingetreten sei, vernachlässige die erforderliche Würdigung des Ein-zelfalles.27

27 Bundesverfassungsgericht – 1 BvR 1910/12

Aus präventiver Sicht wäre es ohnehin wenig sinnvoll, mit einer Übernahme der Schulden zu warten, bis eine Vermieterin bzw. ein Vermieter die Kündigung ausspricht oder gar eine Räumungsklage an-strengt. Alle Anstrengungen, den Informationsfluss innerhalb des Hilfesystems zu beschleunigen, sollen Präventionsstellen in die Lage versetzen, so frühzeitig wie möglich zu reagieren. Kann einer Kündigung durch den schnellen Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung mit der Vermieterin bzw. dem Vermieter begegnet werden, die zu einem frühen Zeitpunkt viel leichter zu erreichen ist als später, erübrigt sich die Übernahme von Schulden möglicherweise ganz. Werden die Schulden zu einem frühen Zeitpunkt reguliert, kann zudem jedes Mietverhältnis gesichert werden, ohne dass die Vermieterseite einer Fortsetzung des Mietverhältnisses zustimmen muss. Im späteren Verfah-rensverlauf wird es immer schwieriger, diese Zustimmung zu erhalten. Haben sich Vermieterinnen und Vermieter entschlossen, eine Räumung zu betreiben, ist ihr Verhältnis zu den bisherigen Miete-rinnen und Mietern oft schon so zerrüttet, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr in Betracht kommt.

Den präventiven Aspekt machen einige kreisfreie Städte und Kreise in ihren KdU-Richtlinien zur Leit-schnur des Handelns. In einer eigenen Richtlinie „Wohnungsnotfälle“ hat etwa die Stadt Recklingha-usen alle wesentlichen Sachverhalte zur Durchführung des § 22 Abs. 8 SGB II zusammengefasst und geregelt (Gute Praxis A12). Fachkräfte sollen danach außergerichtliche Vereinbarungen mit Vermieterinnen und Vermietern anstreben und mit der Einwilligung der betroffenen Leistungsbe-rechtigten dazu selbst den Kontakt suchen. Sie können „Mietrückstände im frühen Stadium der Wohnungsnotfallhilfen“ übernehmen, um „zusätzliche Verfahrenskosten und weitere Verschuldung des Mieters“ zu verhindern. Der Kreis Gütersloh weist seine Fachkräfte im Jobcenter darauf hin,

„dass die Vermeidung von Wohnungslosigkeit bei den in diesem Zusammenhang zu treffenden Ent-scheidungen eine sehr hohe Priorität haben soll." (Gute Praxis A13)

7.2.4 Mitteilungen in Zivilsachen

Sowohl im SGB II als auch im SGB XII ist die Pflicht der Gerichte geregelt, im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Mietzahlungsverzugs (nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Ver-bindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) den Leistungsträgern oder den von ihnen mit der Wohnungssicherung beauftragten Stellen eingehende Klagen auf Räumung von Wohnraum mitzuteilen. Die sogenannten MiZi („Mitteilungen in Zivilsachen“) sind damit der einzige Weg, auf dem Präventionsstellen gesicherte Informationen über Haushalte mit Mietschulden erhal-ten. In der Praxis ist es jedoch oft Zufall, auf wessen Schreibtisch diese Mitteilungen landen. Dies innerhalb der Verwaltung festzulegen und mit den Amtsgerichten zu vereinbaren, dass auch beauf-tragte Träger die Mitteilungen erhalten, erhöht die Chancen der Prävention bei Haushalten mit Miet-schulden (Rechtliche Grundlagen R2).

7.2.5 Sicherung der Wohnung bei institutioneller Unterbringung

Es wurde oben erläutert, dass der Antritt einer längeren Heilbehandlung, vor allem aber ein Haftan-tritt, in gar nicht so wenigen Fällen zu Wohnungslosigkeit führt, wenn bei ALG-II-Beziehenden ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II greift und die Betroffenen es versäumen, sich um die Sicherung der laufenden Mietzahlungen zu kümmern.

Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII ermöglichen die Wohnungssicherung während der Zeit einer Inhaftie-rung für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten. Zuständig für diese Leistung sind die örtlichen Träger der Sozialhilfe, also die kreisfreien Städte und Kreise bzw. die zur Aufgabenerfül-lung herangezogenen kreisangehörigen Kommunen. Die Kompetenzen für die WeiterzahAufgabenerfül-lung der Miete sollten in den Präventionsstellen liegen.

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Derzeit erfahren die Träger der Sozialhilfe nur von den Betroffenen selbst, wenn ein Bedarf an Leis-tungen zur Sicherung der Unterkunft besteht. Die Sozialdienste der Justiz können inhaftierte Men-schen jedoch dabei unterstützen, ihren Bedarf bei den örtlichen Präventionsstellen anzuzeigen (Musterdokumente M2.1 und M2.2). Zumindest mit den umliegenden Justizvollzugsanstalten soll-ten Präventionsstellen deshalb die Vereinbarung treffen, dass im Rahmen der Aufnahme von Straf-gefangenen in die JVA festgestellt wird, ob eine Wohnung gesichert werden muss, und dass die er-forderlichen Schritte eingeleitet werden.

Lange Zeit war geübte Praxis der Sozialhilfeträger, Mieten für längstens sechs Monate weiterzuzah-len. Einen gesetzlich vorgeschriebenen Grund, die Zahlung auf diesen Zeitraum zu beschränken, gibt es aber nicht. Abhängig von den sozialen Schwierigkeiten, die eine Reintegration in Wohnraum nach der Entlassung behindern würden, und abhängig von den Gegebenheiten an durchweg engen Wohnungsmärkten, sollten Präventionsstellen die Übernahme von Mieten auch dann prüfen, wenn die Haft einige Monate länger dauert oder wenn ein Ende der Inhaftierung noch nicht genau abzuse-hen ist.

7.3 Präventive Handlungsstrategien zur Vermeidung