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Überlegungen für die notarielle Praxis

Im Dokument Rheinische Notar-Zeitschrift (Seite 30-34)

Versorgungsleistungen bei Vermögensübergabe in Vorwegnahme der Erbfolge – Anmerkungen zu den Beschlüssen des Großen Senates des BFH

4. Überlegungen für die notarielle Praxis

Der Große Senat hat durch seine beiden Beschlüsse zwar alte Streitfragen geklärt, zugleich aber auch einer jah-relangen Verwaltungspraxis den rechtlichen Boden ent-zogen und damit zahlreiche neue Fragen aufgeworfen, von denen im Folgenden lediglich wenigen nachge-gangen werden kann.

a) Strenge Doktrin der „vorbehaltenen Erträge“

Der Große Senat rückt die Rechtsfigur der vorbehalte-nen Erträge ganz in den Mittelpunkt seiner Argumen-tation und erhebt sie als strenge Doktrin17 zum echten Tatbestandsmerkmal für die Zuordnung wiederkehren-der Leistungen zu dem Sonwiederkehren-derrecht wiederkehren-der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a, 22 Nr. 1 EStG18. Er erläutert die Rechtsfigur der vorbehaltenen Erträge wiederholt durch einen Vergleich mit dem Vorbehaltsnießbrauch19. Dem liegt das Bild zu-grunde, der Übergeber übertrage lediglich und unent-geltlich das Stammvermögen ohne die künftigen, von ihm

„abgespaltenen“ Erträge, die wirtschaftlich unverändert in seinem Vermögen verblieben, freilich mit der Maß-gabe, dass die Erträge fortan vom Übernehmer zu er-wirtschaften sind. Die späteren Leistungen seien kein Entgelt, sondern gäben dem Übergeber nur zurück, was ihm wegen des Vorbehalts ohnehin zustehe.

Im Schrifttum wird von Befürwortern20 der strengen Doktrin der vorbehaltenen Erträge der Schluss gezogen, privilegierte Versorgungsleistungen müssten „abänder-bar“, also in Form der dauernden Last vereinbart werden.

Nur bei Vereinbarung einer abänderbaren dauernden Last sei sichergestellt, dass der Übernehmer – etwa bei einem Ertragsrückgang – nicht mehr leisten müsse, als sich der Übergeber überhaupt vorbehalten könne. Leib-renten seien wegen ihrer Unabänderbarkeit folgerichtig nicht privilegiert. Der Große Senat erwähnt diese Ein-schränkung nicht. Er nennt vielmehr geradezu beiläufig die ihrer Art nach nicht abänderbare Rente wie gleich-berechtigt neben der dauernden Last21, geht also im An-schluss an die bisherige Rechtsprechung22davon aus, dass auch eine Leibrente dem Sonderrecht der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a, 22 Nr. 1 EStG unterstellt sein kann (siehe dazu noch sogleich sub e). Obwohl die Vorlagefragen zu beiden Beschlüssen abänderbare Versorgungsleistungen in Form der dauernden Last betrafen, gilt die strenge Doktrin der vorbehaltenen Erträge auch für Leibrenten.

12 GrS 1/00 unter C. II. 1., in diesem Heft S. 577.

13 GrS 1/00 unter C. II. 2. und 2. d), in diesem Heft S. 577 f.

14 GrS 1/00 unter C. II. 3. und 3. b), in diesem Heft S. 578 f.

15 Siehe oben Fn. 6.

16 GrS 2/00 unter C. II. 1., in diesem Heft S. 582 f.; siehe aber auch unter C. II. 1.: „ohne Substanz- oder Ertragswert“.

17 Vgl. auch Richter am BFH Kempermann DStR 2003, 1736, 1738.

18 Die ersten Reaktionen im Schrifttum sind zustimmend, etwa Kem-permann DStR 2003, 1736; Kesseler, ZNotP 2003, 424 mit Kritik an einzelnen Schlussfolgerungen des GrS; wohl auch Schoor, INF 2003, 825 ff.; grs. kritisch Risthaus, DB 2003, 2190, 2194, 2196.

19 GrS 1/00 unter C. II. 6 a); ebenso schon BFH GrS 4 – 6/89 unter C. II.

1. c), a. a. O. (Fn. 2).

20 So etwa schon Weimer, Univ. Diss. 1995, Würzburg, S. 53; ähnlich Hipler, DStR 2001, 1918, 1920 f., 1924; ebenso Kesseler, ZNotP 2003, 424, 425 (Fn. 2).

21 GrS 1/00 unter C. II. 6. b) bb), in diesem Heft S. 579.

22 Z. B. BStBl. II 1992, 526 = DStR 1992, 710; BFH BStBl. II 2002, 653 = DStR 2000, 379, 380; BMF-Schreiben, a. a. O. (Fn. 6), Tz. 6; vgl. auch Fischer, MittBayNot 1996, 137, 138.

Aus den Begründungsansätzen des Großen Senats folgt, dass die Doktrin der vorbehaltenen Erträge in ihrer strengen Form künftig nicht nur zentraler Argumenta-tionsansatz für die Beantwortung ungeklärter oder neu aufkommender Detailfragen sein wird, sondern auch Prüfungsmaßstab für die Vertragsgestaltung im Einzelfall geworden ist23. Wollen die Beteiligten das Sonderrecht der klassischen Vermögensübergabe in Anspruch neh-men, ist bei jedem Übertragungsvertrag im Einzelnen notwendig zu überlegen, ob sich die zugesagten Leis-tungen dem Bild des Vorbehaltsnießbrauchs folgend als vorbehaltene Erträge vorstellen lassen.

b) Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen Als „unentgeltlich“ und damit dem Sonderrecht der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1a, 22 Nr. 1 EStG überhaupt zugänglich wurden nach allgemeiner Ansicht bisher nur „Versorgungs-leistungen“24anerkannt. Versorgungsleistungen sind Leis-tungen, deren Umfang die Beteiligten nicht nach dem Wert des übergebenen Vermögens, sondern nach dem Versorgungsbedürfnis der das Vermögen übertragenden Generation und nach der Leistungsfähigkeit des Ver-pflichteten bemessen25. Versuchen die Beteiligten indes, den Wert des übergebenen Vermögens nach kauf-männischen Grundsätzen mit den wiederkehrenden Leistungen aufzuwiegen, gelten für die wiederkehrenden Leistungen von vornherein die steuerlichen Grundsätze zu Austauschverhältnissen26. Dies gilt auch dann, wenn Motiv des Übergebers seine eigene Versorgung ist.

An diesen Grundsätzen hat sich durch die Beschlüsse des Großen Senats nichts geändert. Will also der Übergeber für sein Vermögen im Ergebnis eine gleichwertige Gegenleistung erhalten, sind die mit dieser Maßgabe zu-gesagten wiederkehrenden Leistungen einkommen-steuerlich auch dann als Entgelt zu behandeln, wenn sie tatsächlich aus den laufenden Erträgen erwirtschaftet werden können. Decken die Erträge die versprochenen Leistungen nur teilweise ab, ist eine Aufspaltung der zu-gesagten Leistungen in einen „vorbehaltenen“ und des-halb unentgeltlichen Teil und in einen vom Übernehmer aus seinem sonstigen Vermögen aufzubringenden ent-geltlichen Teil, der die „vorbehaltenen Erträge“ bis zum kaufmännisch gefundenen Gesamtwert der wieder-kehrenden Leistungen ergänzen soll, nicht möglich. Ge-gebenenfalls empfiehlt sich, die Beweggründe der Be-teiligten, die den Versorgungscharakter oder den Gegen-leistungscharakter der wiederkehrenden Leistungen be-gründen, im Übergabevertrag zu dokumentieren. Dabei streitet eine widerlegliche Vermutung dafür, dass wieder-kehrende Leistungen im Zusammenhang mit der Ver-mögensübergabe an Angehörige – anders als unter Fremden – Versorgungsleistungen sind27.

c) Relevantes „Vermögen“

Nach den Ausführungen des Großen Senats ist in einem ersten Schritt zu überlegen, ob das übertragene Ver-mögen „seiner Art nach“ überhaupt geeignet ist, Gegen-stand einer unentgeltlichen Vermögensübergabe zu sein28. Maßgebliches Kriterium sei hierfür die Vergleich-barkeit mit dem Vorbehaltsnießbrauch. Die Vermögens-übergabe müsse sich so darstellen, dass die vom Übnehmer zugesagten Leistungen – obwohl sie von ihm

er-wirtschaftet werden müssen – als zuvor vom Übergeber abgespaltene und vorbehaltene Nettoerträge vorstellbar sind. Der Große Senat hat den Anwendungsbereich der Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen ausdrücklich auf Geldvermögen, Wertpapiere und typi-sche stille Beteiligungen erstreckt29. Die bisher bedeut-same Beschränkung etwa auf Vermögen, das schon vom Übergeber bewirtschaftet wurde30, oder auf „existenz-wahrende“ Vermögensarten ist damit obsolet geworden.

Im Zusammenhang mit der Übergabe eines Unterneh-mens stellt der Große Senat sinngemäß fest, es seien Fälle denkbar, in denen das übergebene Unternehmen zwar Erträge abwerfe, nach Abzug des Unternehmerlohnes aber ein so geringer Wert verbleibe, dass es nicht mehr gerechtfertigt erscheine, es als „Vermögen“ zu bezeich-nen31. Ein solcher Fall sei jedenfalls nicht gegeben, so-lange der Vermögenswert mindestens 50 v. H. des Kapi-talwerts der wiederkehrenden Leistungen ausmache. Der Große Senat beantwortet die von ihm aufgeworfene Frage also lediglich mit einer Relation zu den ver-sprochenen Versorgungsleistungen und scheint eine ab-solute Wertuntergrenze32zu scheuen. Gleichwohl emp-fiehlt sich für die Praxis, besondere Vorsicht bei Fall-gestaltungen walten zu lassen, in denen sich die vorbe-haltenen Erträge nicht mehr ernsthaft als auch nur teil-weise Absicherung der künftigen Versorgung des Übergebers vorstellen lassen (z. B. Übertragung eines Sparguthabens in Höhe von 10 000,00Egegen Zahlung wiederkehrender Leistungen in Höhe des Zinses).

Für die notarielle Praxis bedeutsam ist vor allem die zweite vom Großen Senat im Zusammenhang mit der Anerkennung geringwertigen Vermögens genannte Konstellation. Danach könne es sich ergeben, dass es nicht mehr gerechtfertigt erscheine, ein bebautes Grundstück als „Vermögen“ anzusehen, wenn dessen Nettoerträge (nahezu) ausschließlich auf Investitionen des Übernehmers zurückzuführen seien33. Eine solche –

23 GrS 1/00 unter C. II. 3., in diesem Heft S. 578 f.; vgl. auch Kemper-mann, DStR 2003, 1736, 1738.

24 Der Begriff der Versorgungsleistungen wird in Rechtsprechung und Literatur allerdings nicht einheitlich gebraucht. Während manche den Begriff der „Versorgungsleistungen“ etwa nur für solche wie-derkehrenden Leistungen verwenden, deren Zuordnung als abzugs-fähige Renten oder dauernde Lasten bereits bejaht ist (so etwa Schoor, INF 2003, 825; Gebel, Betriebsvermögensnachfolge, 2. Aufl., Rn. 500, anders wieder in Fn. 40), spricht etwa der BFH von Versor-gungsleistungen auch dann, wenn sie einkommensteuerrechtlich (teilweise) als Veräußerungsentgelt oder freiwillige Unterhalts-zahlungen anzusehen sind (vgl. nur die Leitsätze von GrS 1/00 und 2/00). Grundsätzlich kritisch zum Begriff der Versorgungsleistung äußert sich Weimer, a. a. O. (Fn. 20), S. 65.

25 BFH BStBl II 1992, 78; BStBl. II 1996, 676; Kirchhof/Fischer, 3. Aufl.

2003, § 22 EStG Rn. 9.

26 Siehe hierzu Tz. 4, 42 ff. des BMF-Schreibens (Rentenerlass II), a. a. O. (Fn. 6).

27 BFH BStBl. II 1992, 465; 1993, 23; BMF-Schreiben, a. a. O. (Fn. 6), jeweils Tz. 4.

28 GrS 1/00 unter C. II. 6. a), in diesem Heft S. 579.

29 Überholt sind damit insoweit insbesondere BFH BStBl. II 1996, 687;

BStBl II 1998, 190; BMF-Schreiben (Rentenerlass II), a. a. O. (Fn. 6), Tz. 10 (jeweils für Geldvermögen); BFH BStBl. II 1997, 190 (typische stille Beteiligung).

30 So etwa BFH BStBl. II 1998, 190.

31 GrS 2/00 unter C. II. 2 b), in diesem Heft S. 583.

32 So aber etwa Schmidt/Wacker, 22. Aufl. 2003, § 22 EStG Rn. 79:

Mindestwert 25 600,00 E; siehe auch BFH BStBl. II 1996, 666;

Kirchhof/Fischer, a. a. O. (Fn. 25), § 22 EStG Rn. 11.

33 GrS 2/00 unter C. II. 2 b), in diesem Heft S. 583.

im Anschluss an die Doktrin der vorbehaltenen Erträge konsequente – Abgrenzung wird im Einzelfall Schwie-rigkeiten bereiten und auf eine wertende Betrachtungs-weise nicht verzichten können. Immerhin erlaubt sie aber den Umkehrschluss, dass Vermögen auch dann berück-sichtigt werden kann, wenn die künftigen Erträge ledig-lich zu einem Teil auf den Investitionen des Übernehmers beruhen. Voraussetzung bleibt freilich, dass es sich um

„seiner Art nach“ ertragbringendes Vermögen handelt.

Insoweit ist die nicht leichte Unterscheidung zwischen

„seiner Art nach“ ertragbringendem Vermögen einerseits und seiner Art nach ertraglosem Vermögen andererseits künftig von erheblicher Bedeutung. Paradigma für ein danach noch begünstigtes Wirtschaftsgut ist das Wohn-gebäude, das der Übergeber selbst „verwohnt“ hat und das deshalb erst auf Grund überfällig gewordener (außer)gewöhnlicher Instandsetzungsmaßnahmen des Übernehmers vermietbar wird. Da das Wohngebäude trotz seiner Abnutzung seiner Art nach ertragbringend bleibt, ist in solchen Fällen entscheidend, ob die erfor-derlichen oder bloß nützlichen Maßnahmen des Über-nehmers eine Größenordnung erreichen, mit der die vom Großen Senat angesprochene Grenze überschritten wird. Helfen soll offenbar auch hier die „50-v. H.-Grenze“. Danach ist ein Beweisanzeichen für das Vor-liegen begünstigten Vermögens zu bejahen, wenn der Wert des Wohngebäudes unter Abzug der Investitionen des Übernehmers wenigstens 50 v. H. des Kapitalwertes der Versorgungsleistungen ausmacht.

Im Interesse des Übergebers, der über seiner Art nach ertragloses, aber nicht wertloses Vermögen verfügt, zeigt der Große Senat einen neuen Weg auf. Im Übergabe-vertrag könne die Verpflichtung des Übernehmers vor-gesehen werden, das übergebene ertraglose Vermögen durch ertragbringendes zu ersetzen und daraus die Ver-sorgungsleistungen zu bestreiten34. Der Große Senat verlangt aber eine Beschreibung des neuen Vermögens im Übergabevertrag zumindest als „eine ihrer Art nach bestimmte Vermögensanlage“. Nicht erforderlich ist da-nach also die genaue Bezeichnung des zu erwerbenden Objektes, wie sie etwa bei der sog. mittelbaren Schen-kung verlangt wird35. Unter dem Blickwinkel der vorbe-haltenen Erträge sollte deshalb entscheidend sein, ob der Übergeber die Einkünfte unter Berücksichtigung des abstrahierten Ertragsrisikos einem abstrakt umschreib-baren Einkunftstyp (z. B. Erträge aus Vermietung eines Hausgrundstücks, aus Anteilen an einem Immobilien-fonds oder festverzinslichen Wertpapieren) zuordnen kann. Letztlich werden die Beteiligten eine abstrakt um-schreibbare Vermögensanlage ohnehin in ihr Kalkül ein-beziehen müssen, um die Höhe der künftigen Erträge beurteilen zu können36. Die Versorgungsleistungen un-terstehen dem Sonderrecht der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a, 22 Nr. 1 EStG freilich erst mit Vollzug des geplanten Ver-mögensaustauschs, da vor diesem Zeitpunkt vorbe-haltene Erträge nicht vorstellbar sind.

d) Erzielbarer Nettoertrag

Maßgeblich für die Beurteilung, welche Erträge sich der Übergeber aus seinem Vermögen vorbehalten kann, sind die sog. „Nettoerträge“. Der Große Senat folgt der Finanzverwaltung darin, dass der erzielbare Nettoertrag nicht notwendigerweise mit den steuerlichen Einkünften

identisch ist, sondern insbesondere den nach steuerlichen Regeln ermittelten Einkünften Absetzungen für Abnut-zung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen sowie außerordentliche Aufwendungen wieder hinzuzu-rechnen sind37. Ein Unternehmerlohn ist nicht in Abzug zu bringen. Er ist nur bei der Prüfung von Bedeutung, ob überhaupt „Vermögen“ vorliegt38.

Der Große Senat berücksichtigt ausdrücklich auch einen bloßen Nutzungsvorteil als Einkommen im finanzwirt-schaftlichen Sinn und erkennt ihn in Höhe der ersparten Nettomiete als Nettoertrag an39. Dies ist unter dem Ge-sichtspunkt der vorbehaltenen Erträge konsequent, führt aber zu einer gewissen Begünstigung der Übernehmers40. Nutzt der Übernehmer etwa das übergebene Haus-grundstück selbst, kann er die der Nettomiete wirt-schaftlich entsprechenden Versorgungsleistungen von seinen Einkünften abziehen, obwohl er selbst aus dem Hausgrundstück keinen Ertrag erwirtschaftet, der seine eigenen steuerlichen Einkünfte erhöht. Der Vorteil, eine eigene Immobilie zu nutzen, wird einkommensteuerlich nicht erfasst. Andererseits ist der Sonderausgabenabzug unabhängig von der Erzielung bestimmter Einkünfte zu-lässig. Wirtschaftlich steht der Übernehmer deshalb dar, als zahlte er Miete, die er von seinen Einkünften steuer-mindernd abziehen könnte.

Der Große Senat hat sich allerdings in Kenntnis dieser besonderen Begünstigung für die Berücksichtigungs-fähigkeit eines Nutzungsvorteils entschieden. Während nämlich die Finanzverwaltung früher einen Nutzungs-vorteil als Ertrag anerkannt hatte41, war es wieder der X. Senat42, der dieser Möglichkeit eine Absage erteilte.

Die gesetzgeberische Entscheidung, den Nutzungswert der zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung ein-kommensteuerlich nicht zu berücksichtigen, sei – so der X. Senat – auch im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG zu beachten. Dass die Finanzverwaltung oder die Finanzgerichte die Entscheidung des Großen Senats mit einer wertenden Betrachtung wieder einschränken wer-den, ist daher nicht zu erwarten. Auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats spielt keine Rolle, ob der Übernehmer das Objekt vor oder nach der Über-tragung bezieht. Nutzt der Übernehmer also das Objekt zu eigenen Wohnzwecken entgeltlich, steht den Be-teiligten frei, das Mietverhältnis aufzuheben und sodann das Objekt gegen die Zusage von begünstigen Versor-gungsleistungen in Höhe der ersparten Miete zu über-tragen.

34 GrS 1/00 unter C. II. 6 a), in diesem Heft S. 579.

35 Kempermann, DStR 2003, 1736, 1739.

36 Nach BFH BStBl. II 1992, 1020; BMF-Schreiben (Rentenerlass II), a. a. O. (Fn. 6), Tz. 25 müssen im Übergabevertrag sogar die Höhe der Versorgungsleistungen und die Art und Weise ihrer Zahlung vereinbart werden.

37 GrS 1/00 unter C. II. 6 b) aa), in diesem Heft S. 579.

38 GrS 1/00 unter C. II. 6 b) aa), in diesem Heft S. 579.

39 GrS 1/00 unter C. II. 6. b) bb), in diesem Heft S. 579 f.

40 Kritisch deshalb Risthaus, DB 2003, 2190, 2194 f. und, soweit der Abzug beim Übernehmer „letztlich der privaten Lebensführung diene“, auch Kesseler, ZNotP 2003, 424, 427 f.; für die Berück-sichtigungsfähigkeit eines Nutzungsvorteils tritt aber ein etwa Spie-gelberger, DStR 2000, 1073, 1074, 1075, 1076.

41 BMF-Schreiben (Rentenerlass I), a. a. O. (Fn. 6), Tz. 14.

42 BFH BStBl. II 2002, 653 = DStR 2000, 379, 381; BFH/NV 2002, 646;

dem hat sich das BMF später angeschlosssen, siehe BMF-Schreiben (Rentenerlass II), a. a. O. (Fn. 6), Tz. 10, 13.

e) Ertragsprognose

Weil die Prognose der künftigen Erträge – konsequent der Rechtsfigur der vorbehaltenen Erträge folgend – auf die Verhältnisse bei Vertragsschluss abstellen muss43, wird sie künftig im Zentrum der Überlegungen zur Ver-tragsgestaltung stehen. Sie entscheidet maßgeblich, ob bzw. inwieweit die Versorgungsleistungen dem Sonder-recht der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a, 22 Nr. 1 EStG zuzuordnen sind. Eine solche Prognose kann freilich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein44. Diese für die Beteilig-ten missliche Situation versucht der Große Senat auf mehrfache Weise zu entschärfen. Neben dem Angebot von „gewichtigen Anhaltspunkten“ und „Beweiser-leichterungen“ spricht er von „nach objektiven Kriterien zu beurteilenden Gewinnerwartungen“. An anderer Stelle erwähnt der Große Senat eine bloß „über-schlägige“ Berechnung. Überschlägig bedeutet konse-quenterweise, dass die Höhe der anzuerkennenden Ver-sorgungsleistungen auch geringfügig etwa über der Höhe der in der Vergangenheit exakt ausgerechneten Erträge liegen darf45. Dies alles lässt erkennen, dass der Große Senat keine allzu strengen Maßstäbe an die Prognose gestellt wissen will. Deshalb genügt es im Regelfall, wenn der künftige Ertrag auf Grundlage von im Zeitpunkt des Vertragsschlusses46 vorhandenen objektiven Kriterien und nachvollziehbaren Denkansätzen ermittelt wird. Je weniger verwertbare und aussagekräftige Sachverhalts-umstände existieren, desto großzügiger sind die an die Ertragsprognose zu stellenden Anforderungen.

Die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse bei Vertragsschluss für die einkommensteuerliche Zuord-nung der Versorgungsleistungen bedeutet, dass spätere Entwicklungen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben.

Stellen sich also die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses berechtigterweise erwarteten Erträge später nicht ein, hat dies auf die anfänglich begründete Zuordnung der Versorgungsleistungen keinen Einfluss. Zu einer späte-ren ungewollten Aufdeckung stiller Reserven, weil sich die Übertragung im Nachhinein doch als entgeltliche Veräußerung darstellt, kann es nach den ausdrücklich Worten des Großen Senats nicht kommen47. Wirft das übernommene Vermögen künftig die von den Beteiligten erwarteten Erträge tatsächlich ab, soll diese nach Ver-tragsschluss liegende Entwicklung ein Beweisanzeichen für die Richtigkeit der Ertragsprognose sein. Der Um-kehrschluss ist allerdings nicht zulässig: Das spätere Ausbleiben der Erträge darf nicht als Beweisanzeichen für eine unzutreffend aufgestellte Prognose verwertet werden. Andernfalls wäre die vom Großen Senat als Schutz für die Beteiligten gedachte Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse bei Vertragsschluss wieder weitgehend aufgeweicht.

Wurden die Nettoerträge vertretbar ermittelt, können sie nach Ansicht des Großen Senats gleichermaßen Grund-lage für eine abänderbare dauernde Last wie für eine im

wesentlichen gleichbleibende Leibrente sein (siehe schon oben Buchst. a). Im Zusammenhang mit Leibrenten ge-winnt die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse bei Vertragsschluss besonderes Gewicht. Denn auf die tatsächlichen Verhältnisse bei Vertragsschluss kann bei Vereinbarung einer Leibrente sinnvoll nur abgestellt werden, wenn zugleich vermutet wird, dass die objektiv nachvollziehbar ermittelten Erträge auch dauerhaft er-wirtschaftet werden können. Dass der Große Senat diesen Schritt nicht gehen und die Anerkennung von Leibrenten auf Fälle beschränken wollte, in denen Ver-mögensanlagen mit nahezu mathematisch kalkulierbaren Erträgen (z. B. festverzinsliche Wertpapiere) übergeben werden, ist angesichts der großzügigen Tendenzen des Großen Senats im Umgang mit der Ertragsprognose nicht anzunehmen. Vereinbaren die Beteiligten wieder-kehrende Leistungen in Form der dauernden Last, deren Höhe von der Ertragsfähigkeit und dem Versorgungsbe-dürfnis des Übergebers abhängt, tritt die Ertrags-prognose ohnehin in den Hintergrund, solange klarge-stellt ist, dass die Leistungen auch bei einem steigenden Versorgungsbedürfnis des Übergebers die tatsächlichen Nettoerträge nicht überschreiten dürfen. Den Prämissen des Großen Senats folgend wäre allerdings auch eine Deckelung der Versorgungsleistungen durch die ord-nungsgemäß prognostizierten Nettoerträge denkbar.

Aus den Beschlüssen geht nicht ausdrücklich hervor, wie zu verfahren ist, wenn die Höhe der Versorgungs-leistungen die Höhe der berechtigterweise prognosti-zierbaren Nettoerträge übersteigt, weil die Beteiligten von unzutreffenden Prognosegrundlagen ausgegangen sind48. Da sich der Übergeber in diesem Fall erst Recht den anzuerkennenden Nettoertrag vorbehalten wollte und vorbehalten hat, ist eine Aufteilung der Versor-gungsleistungen in einen dem Sonderrecht der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a, 22 Nr. 1 EStG zuzuordnenden Teil einer-seits und einen regelmäßig entgeltlichen Teil anderereiner-seits vorzunehmen. Der sonst geltende Grundsatz, dass wirt-schaftlich einheitliche Vorgänge auch steuerlich mög-lichst einheitlich behandelt werden müssen, hat der strengen Doktrin der vorbehaltenen Erträge zu weichen.

Nicht zuletzt entschärft die differenzierende Zuordnung der Vorsorgungsleistung in erheblichem Ausmaß das Risiko der späteren Nichtanerkennung der von den Be-teiligten angestellten Ertragsprognose.

43 GrS 1/00 unter C. II. 6. c), in diesem Heft S. 580.

44 So schon die Kritik an der strengen Doktrin etwa von Spiegelberger DStR 2000, 1073, 1075.

45 Kempermann, DStR 2003, 1736, 1739 f., der zu Recht bereits zwangsläufig eine gewisse Bandbreite bei der Ermittlung der künfti-gen Erträge anerkennt.

46 Der Große Senat spricht an dieser Stelle (C. II. 6. c) allerdings miss-verständlich vom Zeitpunkt der „Übergabe“, in diesem Heft S. 580.

46 Der Große Senat spricht an dieser Stelle (C. II. 6. c) allerdings miss-verständlich vom Zeitpunkt der „Übergabe“, in diesem Heft S. 580.

Im Dokument Rheinische Notar-Zeitschrift (Seite 30-34)