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6. Diskussion

6.2 Diskussion der Ergebnisse

6.2.4 Gesundheitsbezogene Lebensqualität

6.2.4.1 SF-36

Windisch et al., 2003 verwendete den SF-36 in einer multizentrischen Studie aus vier internistischen Stationen für nicht-invasive Beatmung zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten mit Heimbeatmung.

Die Zusammensetzung des Kollektivs war mit 226 Patienten, davon 78 mit COPD, 57 mit Kyphoskoliose, 20 post-Tbc und 59 gemischten neuromuskulären Erkrankungen sowie 12 OHS-Patienten der Zusammensetzung dieses Kollektivs ähnlich. Auch in der Verteilung des Alters

(Windisch: 57,3±14,0 vs. FKKG: 58,2±11,3), der Dauer der Heimbeatmung in Monaten (23,7±31,9 vs. 21,3 Quartile 8,9; 43,4) und der täglichen Beatmungszeit (9,0±3,4 vs. 7,4 Quartile 5,7; 9,0) waren beide Arbeiten vergleichbar. In der Zusammensetzung der Geschlechter lagen in der Arbeit von Windisch mit 118m/108w annähernd gleiche Verhältnisse vor, während das Verhältnis im FKKG-Kollektiv 270m/148w ca. 2:1 betrug. Da in den untersuchten Parametern jedoch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden wurden, kann dieses Detail vernachlässigt werden.

In beiden Kollektiven lag die gesundheitsbezogene Lebensqualität niedriger als in der Normalpopulation und in der Population chronisch Lungenkranker.

Hierbei war die körperliche Summenskala stärker erniedrigt als die psychische Summenskala. Auch zeigten beide Arbeiten eine stärkere Verminderung der körperlichen Summenskala bei COPD-Patienten gegenüber thorakorestriktiv Erkrankten. Im vorliegenden Kollektiv erreichten die neuromuskulär Kranken in der körperliche Summenskala den niedrigsten Wert, die COPD-Patienten in der psychischen Summenskala. Die Mittelwerte und Standardabweichungen des untersuchten Kollektivs sind neben den Gruppen aus den Arbeiten von Euteneuer, 2004 und Windisch, 2003 in Tab. 6.1 wiedergegeben.

Es fanden sich 2 weitere Arbeiten, die den SF-36 zur Untersuchung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten mit chronisch respiratorischen Grunderkrankungen, hier jedoch bei Zustand nach Langzeitbeatmung und Entwöhnung vom Respirator verwendeten (Euteneuer, 2004 und Smith and Shneerson, 1995). Beide Arbeiten führten ihre Datenerhebung 13 bzw. 14 Monate nach Entlassung aus dem Krankenhaus durch, während sich die Patienten aus dem FKKG-Kollektiv im Median seit 21 Monaten unter Heimbeatmung befanden. Es zeigten sich – wie bereits in Kap.

6.2.4 beschrieben – keine wesentlichen Unterschiede in den erreichten Punktwerten der einzelnen Fragebögen nach den unterschiedlichen Zeiträumen unter Heimbeatmung. Da die Grunderkrankungen der drei Kollektive zum überwiegenden Teil identisch waren und eine ähnliche Zusammensetzung aufwiesen, wurde ein Vergleich durchgeführt.

Im direkten Punktevergleich der Kollektive fanden wir eine annähernde Übereinstimmung der körperlichen Schmerzen und des psychischen Wohlbefindens. In drei der acht Skalen lagen die erreichten Punkte unseres Kollektivs etwas höher: Körperliche Funktionsfähigkeit (9,9 Punkte), körperliche Rollenfunktion (7,7 Punkte) und Vitalität (4,8 Punkte). Eine geringere Punktzahl wurde in der Skala allgemeines Gesundheitsgefühl erzielt (-7,3 Punkte) und ein deutlich geringeres Ergebnis ergaben die soziale Funktionsfähigkeit (-18,8 Punkte) und Emotionale Rollenfunktion (-20,3 Punkte). Das bedeutet, die von uns untersuchten Patienten fühlten sich zwar durch ihre Erkrankung weniger in ihrem alltäglichen Leben eingeschränkt als das Vergleichskollektiv, schätzten ihre Gesundheit aber schlechter ein und fühlten sich sehr stark durch emotionale Probleme und ihre Erkrankung in sozialen Aktivitäten beeinträchtigt.

Im Vergleich der Hauptdiagnosegruppen untereinander wiesen die Patienten mit COPD deutlich niedrigere Werte insbesondere in der psychischen Summenskala auf, als Patienten mit thorakorestriktiven Erkrankungen oder OHS. Sowohl Windisch et al., 1997 als auch McSweeny et al., 1982 fanden eine höhere Depressivitätsrate bei COPD-Patienten im Vergleich zu neuromuskulär und thorakorestriktiv Erkrankten, was zu einer negativen Beeinflussung der psychischen Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität führte. In unserer Arbeit unterschieden sich die COPD-Patienten in der psychischen Summenskala signifikant von thorakorestriktiv Kranken und OHS-Patienten, jedoch nicht von neuromuskulär Kranken. Letzteres kann an der geringen Patientenzahl und der Inhomogenität unserer Gruppe neuromuskulär Kranker liegen. Dennoch legt das Ergebnis auch in unserem Kollektiv eine höhere Depressionsrate bei COPD-Patienten nahe, da ihr Anteil 31,7% am Gesamtkollektiv betrug. Basierend auf diesem Ergebnis führt eine psychotherapeutische Begleitung eventuell zur Besserung des Befindens.

Im Vergleich der Hauptdiagnosegruppen untereinander gab es in allen Subsummen- und Summenskalen deutliche Unterschiede in der Lebensqualität.

Hier hatten die neuromuskulär Erkrankten in den Subskalen „Körperliche Funktionsfähigkeit“ und „Körperliche Rollenfunktion“ zwar die niedrigsten Punktzahlen, jedoch lagen die COPD-Patienten in allen anderen Subskalen an

letzter Stelle. Vergleicht man unser Ergebnis mit dem des KKG-Kollektivs von Euteneuer, 2004, so findet man als mögliche Ursache hierfür, dass die COPD-Patienten dort zwar stationär langzeitbeatmet gewesen waren, der Schweregrad ihrer Erkrankung im poststationären Setting jedoch niedriger gelegen hatte als in unserem Kollektiv. Dort kam die Indikation einer Langzeitbeatmung ursächlich durch überwiegend akute Ereignisse wie z.B. eine Infektexazerbation, postoperativ, durch akute Linksherzinsuffizienz u.a.

zustande, während in unserer Arbeit überwiegend chronische Verschlechterungen der Grundkrankheit zur NIV führten. Im KKG-Kollektiv wurde nicht weiter verfolgt, ob anschließend eine Heimbeatmung eingeleitet wurde oder nicht.

In der Subskala „Körperliche Schmerzen“ erzielten die thorakorestriktiv Erkrankten den höchsten Wert. In der Subskala „Emotionale Rollenfunktion“

zogen thorakorestriktiv Kranke und OHS-Patienten gleich, in allen anderen Subskalen erzielten letztere die meisten Punkte. Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass Patienten mit OHS im Vergleich zu anderen chronischen Lungenerkrankungen die höchste Lebensqualität erzielten. Gezielte Vergleiche zu anderen Arbeiten konnten nicht angestellt werden, da dort meistens Mischpopulationen aus OHS-Patienten und anderen Grunderkrankungen, z.T.

auch mit neuromuskulär Kranken untersucht wurden, die ein sehr schlechtes Outcome zur Lebensqualität zeigen. Dies mag an den bisher geringen Patientenzahlen innerhalb der durchgeführten Studien liegen. Im Rahmen der prozentual und absolut steigenden Anzahl Übergewichtiger in Industrienationen ist jedoch mit einem Anstieg der OHS-Patienten zu rechnen.

Die Abhängigkeit der Lebensqualität von der Hauptdiagnose wurde bereits in anderen Studien belegt, in denen Patienten mit einer thorakorestriktiven Erkrankung gegenüber Patienten mit COPD oder neuromuskulären Erkrankungen ebenfalls eine höhere Lebensqualität hatten (Windisch et al., 2003; Markström et al., 2002; Simonds und Elliott, 1995; Pehrsson et al., 1994).

Tab. 6.1: Studien zur Lebensqualität heimbeatmeter Patienten gemischter Hauptdiagnosegruppen mittels SF-36

FKKG Windisch Euteneuer

MW SD MW SD MW SD körperl. Funktionsfähigkeit 34,7 27,2 27,0 24,7 24,8 27,0 körperl. Rollenfunktion 33,8 42,1 21,9 35,8 26,1 39,4 körperl. Schmerzen 60,9 34,6 65,2 31,8 60,2 33,6 allgemeine Gesundheit 38 16,6 39,4 19,7 37,7 22,2

Vitalität 44,3 21 45,6 20,7 39,5 23,5

soziale Funktionsfähigkeit 61,7 29 62,5 30,1 60,2 31,9 emorionale Rollenfunktion 53,3 48 54,8 46,2 46,9 47,3 psychisches Wohlbefinden 61,8 21,8 65,8 20,9 60,8 23,4 körperliche Summenskala 33,3 9,5 30,0 9,0 32,0 10,7 psychische Summenskala 38,8 7,2 48,2 11,8 46,8 12,0

Im Vergleich der Subsummenskalen zur Normpopulation zeigte sich ein inhomogenes Bild: Durch den relativ hohen Anteil an Patienten mit COPD, die als einzige einen Unterschied in den Skalen „körperliche Schmerzen“ und

„allgemeines Gesundheitsbefinden“ zur Normalbevölkerung aufwiesen, erklärt sich das signifikant schlechtere Ergebnis des Gesamtkollektivs. Somit konnte gezeigt werden, dass sich alle anderen Gruppen in ihrer subjektiven Gesundheits- und Schmerzwahrnehmung nicht von der Normalbevölkerung unterscheiden. Wie bereits in der Überlebenszeitanalyse deutlich wurde, handelt es sich bei den COPD-Patienten um eine im Vergleich zu den anderen Gruppen deutlich schwerer erkrankte Gruppe mit Ausnahme der neuromuskulär Erkrankten, die in etwa die gleiche Lebenserwartung zeigten. Es liegt also nahe, dass COPD-Patienten im Vergleich zu neuromuskulär Erkrankten auf einem niedrigeren Niveau über die Zeit ihres Lebens hin stabil sind. Eine Erklärung hierfür ergibt sich aus der unterschiedlichen Pathophysiologie beider Erkrankungen: Liegt bei der neuromuskulären Erkrankung im weitesten Sinne ein „muskulärer Antriebsschaden“ der Lunge mit erhaltenem Lungengewebe zum Gasaustausch vor, der durch die Heimbeatmung weitgehend behoben werden kann, so liegt ein Großteil der Störung der COPD im zum Gasaustausch zur Verfügung stehenden Gewebe und in der Atemmechanik begründet, die durch die Heimbeatmung nicht kompensiert werden können.

Dies ist aber nur der objektivierte Anteil. Lebensqualität als Messergebnis subjektiver Kriterien spiegelt im SF-36 daher nicht nur in den psychischen, sondern immer auch in den körperlichen Subsummenskalen die Psyche des Patienten wider, welche die persönliche Einschätzung eines erfragten Kriteriums grundlegend beeinflusst. Die Effekte der ISB und die Ergebnisse der Lebensqualitätsuntersuchung zeigen, dass Patienten mit COPD die niedrigste Lebensqualität im Vergleich zu den anderen Subgruppen haben und die Erkrankung die Psyche in Richtung Depression beeinflusst.

Die Population mit der subjektiv besten Lebensqualität findet sich unter den Patienten mit OHS, die in vier der acht Subsummenskalen keinen signifikanten Unterschied zur Normalpopulation zeigten. Auch hier lässt sich eine Erklärung in der Pathophysiologie finden: Die OHS-Patienten haben organisch betrachtet eine geringe Gasaustauschfläche in Bezug zur Größe des Gesamtorganismus.

Es besteht eine ausgeprägte Adipositas, die – etwas verkürzt ausgedrückt – im Wesentlichen eine Compliancestörung von Lunge und Thorax nach sich zieht und zu einer Überlastung des Zwerchfells führt. Die so verursachte Restriktion ist allerdings nicht vergleichbar mit einer Restriktion, wie sie beispielsweise durch eine Skoliose hervorgerufen wird, da diese bei schwerwiegender Ausprägung meist eine starke Thoraxdeformierung und Muskelverkürzungen mit deutlicher diaphragmatischer Dysfunktion beinhaltet. Beim Patienten mit einer thorakorestriktiven Erkrankung treten also gegenüber dem Patienten mit einem OHS weitere Störungen der ventilatorischen Funktion hinzu. So erhält die Lunge des OHS-Patienten durch die Heimbeatmung eine Unterstützung, die das Verhältnis der zu erbringenden Leistung der Lunge einerseits und dem zu versorgenden Organismus andererseits mehr den physiologischen Verhältnissen nähert, als es für die thorakorestriktiv Kranken der Fall ist.