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ÖKOLOGISCHE AUSWIRKUNGEN DER ROHRWERBUNG E INLEITUNG

Im Dokument OPUS 4 | Nutzung von Rohr /Schilf (Seite 21-35)

Die Fischerei ist nicht nur für die Fische und deren Gemeinschaften verantwortlich, sondern am Erhalt gesunder Gewässer interessiert. Röhrichte, also die mit Pflanzen bewachsenen Übergangszonen zwischen Wasser und Land, sind für die Fischgemeinschaft von hoher Bedeutung als Lebensraum und Kinderstube. Die Bedeutung verschiedener Uferstrukturen für fischökologische und fischereiliche Belange wurde vom Institut für Binnenfischerei bereits detailliert dargestellt (BRÄMICK et al. 2011). Schon im eigenen Interesse sind dem Fischer daher intakte und ökologisch voll wirksame Röhrichte wichtig. Diese Verantwortung ist im Fischereirecht verankert. Gleichermaßen aus fischereilichen Belangen wie aus naturschutzfachlichen Gründen sind Röhrichte schützens- und erhaltenswerte Biotope.

Daher müssen bei einer Betrachtung des Entwicklungspotenzials der Rohrwerbung die eventuellen Auswirkungen auf den Biotop geprüft werden. Die Rohrwerbung muss mit dem Projektziel einer ökologisch verträglichen Ressourcenerschließung vereinbar sein. Im Ansatz der vorliegenden Studie beinhaltet die ökologische Verträglichkeit die Aspekte Nachhaltigkeit und Artenschutz mit ihren Unterpunkten (Abb. 2).

Abb. 2: Inhalte des Begriffs der ökologischen Verträglichkeit einer winterlichen Rohrmahd im vorliegenden Bericht.

Die Nachhaltigkeit bedeutet hier, dass die Rohrwerbung sowohl den Bestand als auch seine Funktionen dauerhaft unbeschädigt lässt. Auch durch langjährige Werbung in kommerziellem Umfang dürfen die Röhrichte nicht zurückgedrängt werden. Wenn die Nutzung sich ihrer eigenen Rohstoffgrundlage beraubt, ist sie nicht mehr nachhaltig.

Im Abschnitt Artenschutz wird geprüft, wie sich die Werbung auf die Bewohner des Röhrichts auswirkt. Die Rohrwerbung darf sich nicht nennenswert schädlich auf das Vorkommen von Tierarten auswirken, besonders nicht auf geschützte Arten. Nur so kann der gesellschaftliche Nutzen der Rohrwerbung erhalten bleiben.

- Bestand - Struktur - Funktion

- Arten - Habitate Nachhaltigkeit Artenschutz Ökologische Verträglichkeit

NACHHALTIGKEIT

Bestand und Struktur

Zu den Auswirkungen der Rohrwerbung auf den Bestand und seine strukturellen Eigenschaften lassen sich in der Literatur äußerst kontroverse Aussage finden.

Die Sprossdichte: Eine Steigerung der Sprossdichte durch eine Wintermahd wird sowohl generell (GRYSEELS 1989), als auch für semiterrestrische Röhrichte belegt (HOLSTEN et al.

2006; KRISCH et al. 1979; OSTENDORP 1987). Auf aquatische Bestände bleibt die Mahd ohne Auswirkungen bezüglich der Halmzahl (HOLSTEN et al. 2006).

Die Durchmesser: Infolge einer Wintermahd wachsen dünnere Halme in höheren Dichten (GRYSEELS 1989). Die mittleren Durchmesser werden in den Folgejahren wieder größer, wenn keine weitere Mahd stattfindet (GÜSEWELL et al. 2000). Nach anderen Aussagen hat die Wintermahd keine Effekte auf die mittleren Durchmesser von Rohrhalmen (HOLSTEN et al.

2006).

Die Länge: In der Literatur werden folgende Auswirkungen der Wintermahd beschrieben:

kürzere Halme mit gleichmäßigen Längen (GRYSEELS 1989), kleinere Längen in der folgenden Vegetationsperiode, die ohne weitere Mahd aber ansteigen (GÜSEWELL et al. 2000) oder keine Effekte der Wintermahd auf die mittlere Länge der Halme (HOLSTEN et al. 2006).

Die Biomasse: Nach Literaturangaben kann sich eine Wintermahd wie folgt auf die flächenbezogene Biomasse von Rohrbeständen auswirken:

- Steigernd, generell (GRANÉLI 1989) oder nur für semiterrestrische Bestände (KRISCH et al.

1979)

- ohne Effekt (VAN DER TOORN & MOOK 1982)

- vermindernd, generell oder für aquatische Bestände (KRISCH et al. 1979)

Ausbildung von Rispen: Der Anteil von Halmen mit ausgebildeten Rispen wird als Vitalitätsparameter angesehen. Eine Wintermahd kann zur Steigerung führen (GRYSEELS

1989; HOLSTEN et al. 2006), es wird jedoch auch beschrieben, dass sie in aquatischen Beständen ohne Wirkung auf den Anteil der Rispenträger bleibt (HOLSTEN et al. 2006).

Parasitenbefall: Wird ebenfalls als Vitalitätsparameter angesehen. Je nach Quelle und parasitierender Arte steigert eine Wintermahd den Anteil befallener Halme, bleibt ohne signifikanten Effekt (HOLSTEN et al. 2006) oder verringert den Anteil von parasitierten Halmen (MOOK & VAN DER TOORN 1982).

Belastbarkeit: Nach einigen Untersuchungen nimmt die mechanische Belastbarkeit von Rohrhalmen nach einer Wintermahd ab (OSTENDORP 1987). Durch die Entfernung der Halme sind die nachfolgenden Triebe verstärkt Wellengang und Treibgut ausgesetzt (KRISCH et al.

1979). Andererseits wird für die Gewinnung von Dachreet von Rohrwerbern eine jährliche Mahd als notwendig angesehen, um die erforderlich Qualität zu gewährleisten. Die Halmstabilität wird dadurch gesteigert, die Halme sind weniger spröde und rissig (z.B.

www.hiss-reet.de/wissen/schilfernte.html).

Ganz entscheidend für die Auswirkungen der Mahd ist ihre Durchführung. Nachteilige Auswirkungen der Mahd sind in aller Regel auf vermeidbare Schäden zurückzuführen, beispielsweise auf Überschwemmung er Halmstoppeln oder auf Schädigungen des Rhizoms. Die oben aufgelisteten Unterschiede in den Beobachtungen basieren vermutlich auf nicht vergleichbar durchgeführter Wintermahd. Bei fachgerechter Durchführung mit ausreichendem Abstand der Schnittkante zum Wasserspiegel laufen die Halmstoppeln auch bei steigendem Pegel nicht voll.

Die Stängel bleiben als Luftschnorchel des Rhizoms erhalten. Damit bleiben alle lebenden Teile des Röhrichts und die lebensnotwendigen Funktionen erhalten: das Rhizom als Ort der winterlichen Nährstoffspeicherung, die überfluteten Sprossabschnitte an denen neue Halme austreiben können und die Sauerstoffversorgung der überfluteten oder unterirdischen

Pflanzenteile durch die Stängelreste. Auch ist zu beachten, dass die infolge einer Wintermahd zu beobachtende Strukturänderung nicht durch sog. Sekundärtriebe zustande kommt, wie gelegentlich angenommen. Sekundärtriebe sind schwächere Seitensprosse die nach Beschädigungen von Halmen innerhalb einer Vegetationsperiode entstehen. Sie entspringen in basalen Bereichen an den Stängeln oberhalb des Gewässerbodens. Diese Kompensationshalme sind dünner, kürzer und blühen kaum (RODEWALD-RUDESCU 1974). Sie sind die Folge einer Schädigung des Halmes, in großer Zahl zeigen sie auch eine Schädigung des Röhrichts. Die geänderte Bestandsstruktur durch eine Mahd kommt aber durch „normale“ Austriebe in der folgenden Vegetationsperiode zustande. Die Unterschiede bezüglich Durchmesser und Länge sind deutlich geringer als bei Sekundärtrieben.

Abb. 3: Wichtige Strukturmerkmale eines Rohrbestandes sind Länge, Durchmesser und Dichte der Halme sowie der Anteil von Halmen mit Rispen. Links ein Bestand aus eher langen und dicken Halmen mittlerer Dichte. Rechts der Unterschied zwischen ufer- und wasserseitigem Bestand, die vorgelagerten Halme sind kleiner und wachsen dichter.

Nach Untersuchungen des Verfassers führt die fachgerecht durchgeführte Mahd zu charakteristischen Änderungen der Bestandsstruktur (RITTERBUSCH 2004a; RITTERBUSCH 2004b, 2005, 2007). Diese Änderungen kommen einer Rückführung in einen früheren Zustand der Sukzession gleich: In der folgenden Vegetationsperiode wachsen mehr, aber dünnere und kürzere Halme bei gleichbleibender Biomasse. Damit bleibt auch die Konkurrenzfähigkeit des Rohrs gleich (MOOK & VAN DER TOORN 1982). Die Wintermahd ändert also die Struktur des Rohrbestandes, gefährdet aber nicht das Röhricht in seiner Existenz.

Über die Auswirkungen der Wintermahd auf die „Vitalität“ lassen sich keine belastbaren Aussagen treffen. Der am ehesten geeignete Vitalitätsparameter wäre die Biomasse, diese bleibt konstant. Ein hoher Parasitenbefall ist charakteristisch für dicke und lange Halme in gealterten Rohrbeständen, dahingehend wäre eine Mahd vitalitätsfördernd. Dass die dünneren Halme in der Folge einer Wintermahd mechanisch weniger belastbar sind, ist nachvollziehbar. In Anbetracht der erhöhten Halmdichte lässt sich daraus nicht auf eine „Vitalität“ schließen. Der Anteil von Rispen ist ebenfalls kein geeigneter Vitalitätsparameter. Er ist in frühen (besonders vitalen?) und in späten (besonders hinfälligen?) Verlandungsstadien der Röhrichte gering (RITTERBUSCH 2007).

Nach Meinung des Verfassers sollte der Begriff der Vitalität nicht herangezogen werden, da er eine subjektive und anthropozentrische Charakterisierung darstellt.

Schwierig zu bewerten sind die Auswirkungen einer Mahd auf das Mikroklima im Rohrbestand.

Die Halme der Knickschicht werfen Schatten, die das Wachstum nachfolgender Halmgenerationen beeinträchtigen (EKSTAM 1995). Werden sie entfernt, haben die Halme der nächsten Vegetationsperiode eine bessere Lichtversorgung. Zudem können die Althalme eine mechanische Hinderung des Wachstums darstellen (KRISCH et al. 1979). HOLSTEN et al. (2006) geben an, dass sich die gemähten Flächen im Frühjahr schneller erwärmen und dadurch die oberirdischen Sprosse früher erscheinen. Gleichzeitig sinken die Minimumtemperaturen. Die Gefahr von Erfrierungen durch Spätfröste steigt (MOOK & VAN DER TOORN 1982), in gemähten Beständen können bis zu 65% der Halme erfrieren (KRISCH et al. 1979; MOOK & VAN DER

TOORN 1982; OSTENDORP 1987). In verschiedenen Untersuchungen wurde gezeigt, dass durch angesammelte Pflanzenreste in Röhrichten Gifte und organische Säuren entstehen können, die die Rohrbestände selber schädigen (ARMSTRONG & ARMSTRONG 1999, 2001; ARMSTRONG et al.

1996a; ARMSTRONG et al. 1996b; VAN DER PUTTEN 1993; VAN DER PUTTEN et al. 1997). Eine Wintermahd verringert die Akkumulation pflanzlicher Reste und damit von Phytotoxinen in den Röhrichten und wirkt so langfristig positiv auf das Wachstum.

Die Röhrichtbereiche unterliegen einer natürlichen Sukzession. Durch die abgestorbene, schwer abbaubare Rohr-Biomasse mit hohen Zellulose- und Silikatanteilen steigt die organische Auflage in den Röhrichten kontinuierlich an. Die Anhebung des Gewässerbodens reduziert die Wassersäule und führt letztendlich zu Sukzessionsvorgängen, bei denen die Uferpflanzen zunehmend durch Landpflanzen ersetzt werden. Durch eine Wintermahd wird abgestorbenes pflanzliches Material entfernt und die Verlandungsgeschwindigkeit herabgesetzt. Um den Erhalt einer Röhrichtfläche über lange Zeiträume zu sichern und den Übergang zu einem Feucht- oder Bruchwald zu verhindern muss sie gepflegt werden. Besonders in semiterrestrischen Bereichen kann die Mahd zum Erhalt des Biotops notwendig sein (HAMM 2009). Auch im aquatischen Bereich führt die Anhebung des Gewässerbodens zu einer Änderung der Bestandsstruktur der Röhrichte selber. Dabei entwickeln sich in späteren Stadien entweder bültenförmige Wachstumsformen oder sehr große Halme in stark reduzierten Dichten (RITTERBUSCH 2004a;

RITTERBUSCH 2004b, 2007). Eine Wintermahd mit Entfernung des Mahdgutes reduziert das anfallende organische Material, verbessert damit die Standortbedingungen für das Röhricht und stellt frühere Verlandungsstadien her.

Die getroffenen Aussagen beziehen sich auf die zentralen Bereiche von eher ausgedehnten Röhrichten. Über die Auswirkungen der Wintermahd auf Röhrichte an besonderen Standorten liegen keine Erkenntnisse vor. Hierzu zählen beschattete Ufer, steil abfallende Gewässerböden, exponierte Standorte mit starkem Wellenschlag, besonders harte Böden oder starker Verbiss durch Vögel oder Bisamratten. Zunächst ist kein Grund erkennbar, aus dem eine Mahd hier abträglich für den Bestandserhalt sein sollte. Für eine gezielte Rohrwerbung sind die Röhrichte an derartigen Standorten zudem meist zu spärlich. Den genannten Sonderstandorten kommt demnach eine untergeordnete Rolle bezüglich einer zukünftigen kommerziellen Nutzung zu.

Die dargestellten Ergebnisse wurden in der Regel durch Mahdvorgänge in kleinerem Umfang erzielt. Hier kamen überwiegend keine oder kleinere Maschinen zum Einsatz. Die Werbung in größerem Umfang erfolgt aber mit schwerem Gerät, wobei es auf feuchten, nicht gefrorenen Böden zu Schädigungen des Rhizoms kommt. Diese Schäden können erheblich sein und zu 10-35, maximal sogar 80 % Verlusten führen (RODEWALD-RUDESCU 1974). Die geschädigten Bereiche benötigen zwei bis drei Jahre zur Regeneration. Große Maschinen, z.B.

Raupenschlepper, kommen aber nur in sehr großflächigen Röhrichtbereichen mit regelmäßiger, ertragsorientierter Bewirtschaftung zum Einsatz. Dennoch muss der Aspekt der Rhizomschädigung auch bei kleineren Werbungen berücksichtigt werden, sobald Böden und Gewässer nicht ausreichend durchgefroren sind.

Eine sorgfältig durchgeführte Mahd gefährdet den Rohrbestand hingegen nicht. Sie ändert die Struktur des Bestandes durch Entfernung der Knickschicht und Änderungen von Halmdurchmessern, -längen und -dichten. Diese Änderungen sind nachhaltig im Sinne von langfristig schadlos für den Rohrbestand. Schäden am Röhricht können durch spätere Überflutung der Halmstoppeln oder durch Zerquetschen der Rhizome entstehen.

Auch die großräumige Nutzung von Rohrbeständen in ausländischen, kommerziell orientierten Erntegebieten belegt die langfristige, nachhaltige Nutzbarkeit der Röhrichte. Beispiele finden sich in Polen oder im rumänischen Donaudelta.

Funktion

Neben der Bestandserhaltung ist im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit auch zu beantworten, ob bei einer Wintermahd die funktionell wirksamen Eigenschaften des Röhrichts im Ökosystem erhalten bleiben. Röhrichte beeinflussen zahlreiche Aspekte der Gewässerökologie (Artenschutz- und Habitatfunktionen werden gesondert dargestellt).

Stoffumsatz: Röhrichte gehören zu den produktivsten Lebensgemeinschaften überhaupt. Die jährlich entstehende Biomasse in Röhrichten übersteigt die Produktion optimierter Landwirtschaftskulturen und sogenannter Energiepflanzen (DYKYJOVÁ 1990). Röhrichte können über 99% des gesamten Nährstoffgehaltes eines Sees binden und sind somit das maßgebende Element der natürlichen Selbstreinigung der Gewässer, zugleich aber auch die wichtigste Quelle für organische Einträge (OSTENDORP 1993; SCHMIDT 1996). Die Wurzeln und Rhizome bieten darüber hinaus eine große Aufwuchsfläche für Mikroorganismen.

Wasserhaushalt: An sonnigen und warmen Tagen ist die Verdunstung in Röhrichten etwa doppelt so hoch wie die freier Wasserflächen (HERBST & KAPPEN 1993). In Fließgewässern sowie in den Zu- und Abflüssen von Seen beeinflussen sie die Strömungsverhältnisse.

Uferstatik: Die Wurzeln und Halme der Röhrichtpflanzen stabilisieren das Ufer und funktionieren auch außerhalb der Vegetationsperiode als Wellenbrecher. Sie vermindern so die Erosion. Die Rhizome stabilisieren den Gewässerboden.

Sauerstoffeintrag: Wurzeln und Rhizome tragen Sauerstoff in Wasser und Boden ein (ARMSTRONG et al. 1996c) und begünstigen damit den aeroben Abbau (BRIX et al. 1996).

Dadurch wird das Wasser belebt und die Selbstreinigungskraft erhöht.

Schadstoffentzug: Röhrichte wirken als natürliche Pflanzenkläranlage und können Nährstoffe, Schwermetalle und Schadstoffe binden und dauerhaft dem Gewässer entziehen. Diese Eigenschaften werden in Anlagen zur biologischen Abwasserreinigung und Klärschlammbehandlung genutzt (BRIX 1987; OSTERKAMP et al. 1999; SCHULZ et al. 2003). In der Übergangszone zwischen Wasser und Land verringern Röhrichte deutlich die Einträge aus der Umgebung, z.B. von ausgewaschenen Düngemitteln.

Lebensqualität: Ein ausgeprägter Röhrichtgürtel wirkt auf viele Menschen ästhetisch und naturnah, er erhöht den Wert sanfter Erholungsnutzungen eines Gewässers wie Segeln, Spazieren oder Angeln.

Konkrete Untersuchungen zu Auswirkungen der winterlichen Rohrwerbung auf die o.g. Aspekte liegen nicht vor. Mit Ausnahme der Lebensqualität dürften die funktionellen Wirkungen von der Halmbiomasse und/oder der Halmoberfläche des Bestandes abhängen. Eine erhöhte Biomasse oder Oberfläche steigert die Verdunstung, stabilisiert die Ufer, erhöht den Sauerstoffeintrag und den Schadstoffentzug. Die Wintermahd beschränkt sich auf tote Halmteile über der Wasseroberfläche. Im aquatischen Bereich werden keine Halme entfernt, so dass keine Einschränkung der Funktion als Wellenbrecher zu erwarten ist. Mit den toten Halmen wird keine lebende Biomasse entnommen, das Rhizom wird nicht reduziert, auch die flächenmäßige

Biomasse lebender und damit physiologisch aktiver oberirdischer Pflanzenteile bleibt konstant.

Die Änderung der Bestandsstruktur zu mehr, aber kleineren Halmen führt vielmehr zu einer Vergrößerung der flächenbezogenen Halmoberfläche (RITTERBUSCH 2004b) und damit eher zu einem Anstieg der o.g. überwiegend positiven Auswirkungen. Auch der kaum zu quantifizierende ästhetische Wert der Röhrichte leidet nicht unter der Entfernung der Knickschicht.

ARTENSCHUTZ

Die Frage der ökologischen Verträglichkeit der Rohrwerbung im Bereich des Artenschutzes ist weniger klar zu beantworten. Zahlreiche Tiere der unterschiedlichsten Gruppen besiedeln die Röhrichte. Sie haben sehr unterschiedliche Ansprüche an ihren Lebensraum. Nachfolgend werden verschiedene Tiergruppen behandelt.

Insekten und Spinnen

Die Anzahl von Insekten, die in ihrem Lebenszyklus ganz oder teilweise auf Röhrichte angewiesen sind, ist dem Verfasser nicht bekannt. DEUTSCHMANN und THIELE in Zimmermann (2001) bezeichnen Rohrbestände als Extremlebensraum für Insekten mit speziellem mikroklimatischem Gefüge, einförmiger Vegetationsausstattung mit schwer erschließbarer Nahrungsgrundlage sowie permanenter oder temporärer Überschwemmung des Bodens mit entsprechenden Problemen für die Migration. Aus diesen Gründen sollten vergleichsweise wenige, spezialisierte Arten vorkommen, die aber sehr hohe Individuenzahlen erreichen können.

Die genannten Eigenschaften gelten für die zentralen Bereiche in ausgedehnten Rohrbeständen.

Daraus sollte nach Meinung des Verfassers nicht geschlossen werden, dass die Artenzahl von Insekten mit Bindung an Röhrichte gering ist. Lichtere Bestände oder die Ausdehnungsfronten dienen als Habitatstruktur für zahlreiche wassergebundene Insektentaxa, jeweils für Imagines und/oder Larven. Genannt seien als Auswahl: Eintagsfliegen (Ephemeroptera), Köcherfliegen (Trichoptera), Steinfliegen (Plecoptera), Libellen (Odonata), Wasserwanzen (Heteroptera), Käfer (Coleoptera), Mücken, Zuckmücken, Schnaken, Gnitzen (alle Diptera). Die Besiedlungsdichte mit Insektenlarven in den unter Wasser gelegenen Halmteilen ist deutlich höher als in den Bereichen, die den Röhrichten vorgelagert sind (OKUN et al. 2005).

Als Bewohner der Halmzone des Röhrichts werden folgende Stechimmen genannt: Goldwespen, Keulenwespen, Wegwespen, Lehmwespen, Wildbienen, Grabwespen, Hungerwespen, Schlupfwespen und Erzwespen (http://www.biota-media.de/phragmites/info.html). Bei Untersuchungen in der Camargue wurden ≈ 70 Käferarten nachgewiesen, die regelmäßig in Phragmites-Röhrichten vorkommen (SCHMIDT et al. 2005).

Spezifischer sind die Insektenarten, die sich direkt vom oder am Rohr ernähren. DEUTSCHMANN

& THIELE sowie OSTENDORP (1993) nennen für die Schmetterlinge (Lepidoptera) eine Reihe von Eulen als typische parasitierende Bewohner der Schilfrohrbestände, u.a. Archanara geminipuncta und Rhizedra lutosa7. Die minierenden Arten können durch Schäden am Halm (Archanara g.) die Biomasse um bis zu 35 % senken (MOOK & VAN DER TOORN 1982) oder sogar ganze Halmbestände mit großen Durchmessern absterben lassen (TSCHARNTKE 1990). Durch Schäden am Rhizom kann Rhizedra l. die Biomasse bis zu 60 % reduzieren (MOOK & VAN DER TOORN

1982).

Die Larven des Schilfkäfers Donacia sp. leben als Ektoparasiten am Rhizom und versorgen sich über das Aerenchym der Pflanze mit Sauerstoff (FUCHS 1993; OSTENDORP 1993). Ihm wird eine bedeutende Rolle im Zusammenhang mit dem Rohrsterben zugeschrieben (FUCHS 1993).

Verschiedene Blattlausarten sind sehr häufige Ektoparasiten an Stängeln und Blättern, z.B.

Hyalopterus pruni (TSCHARNTKE 1989). Die Schildlaus Chaetococcus phragmitides ist obligat an

7 Archanara g.: Zweipunkt-Schilfeule, Rhizedra l.: Schilfrohr-Wurzeleule

das Schilfrohr gebunden (SCHNELL 1988). Nach OSTENDORP (1993) haben sich acht Dipteren-Arten, eine Hymenopteren-Art und eine Milbenart als Gallbildner auf das Schilfrohr Phragmites australis spezialisiert. Die Dipteren-Arten Giraudiella inclusa und Lipara pullitarsis können die Halme erheblich schädigen (ATHEN & TSCHARNTKE 1999; TSCHARNTKE 1990). Die Larven der Halmfliege (Lipara lucens) erzeugen charakteristische zigarrenförmige Wipfelgallen (SCHNELL

1988). Die Gallen der genannten Arten wiederum werden von zahlreichen Parasitoiden, die genannten parasitischen Arten wiederum von Hyperparasiten befallen (TSCHARNTKE 1989, 1992).

In einem südwestdeutschen Bestand wurden 26 phytophage Insektenarten beschrieben die sich ausschließlich von Rohr ernähren und sich in den Halmen aufhalten (TSCHARNTKE 1999). Einige der genannten Parasiten können bei hohen Befallsraten zu erheblichen Schädigungen oder zu weitreichenden strukturellen Änderungen des Rohrbestandes führen.

Auch die Zahl der Spinnenarten im Röhricht ist groß. Untersuchungen einzelner Bestände zeigen 40-50 Arten. Die Schwerpunkte der Spinnenpopulationen liegen im terrestrischen Bereich und hier in den lichteren, vielfältigeren Randzonen (OSTENDORP 1993). Viele Lauf- und Webspinnen kommen in den Röhrichten vor, ohne speziell auf die Habitatbedingungen angewiesen zu sein.

Eine gewisse Bindung, zumindest an großblättrige Gräser und ein gehäuftes Auftreten in Röhrichten liegt für die Schilfsackspinne (Clubiona phragmitis), Streckerspinnen (Tetragnatha sp.) und bestimmte Laufspinnen (z.B. Tibellus oblongus) vor. Bei Untersuchungen in der Camargue wurden 26 Spinnenarten nachgewiesen, die regelmäßig in Phragmites-Röhrichten vorkommen (SCHMIDT et al. 2005).

Viele der an das Habitat Schilfröhricht gebundenen Insekten- und Spinnenarten überwintern in den trockenen, oberirdischen Halmteilen. Eine winterliche Rohrwerbung vernichtet die Population, sodass nachfolgende Generationen nur durch Zuwanderung erhalten bleiben (OSTENDORP 1993). Die Dichten bestimmter Käfer- und Spinnenarten nehmen durch eine Wintermahd ab (SCHMIDT et al. 2005). Für die betreffenden Arten nachteilig, kann das für den Rohrbestand positiv sein, da zahlreiche Insekten phytophage Schädlinge oder Parasiten sind. In Untersuchungen an Schilfreinigungsanlagen wurde ein Zusammenhang zwischen Bestandsalter und Befall mit pflanzenfressenden Insekten nachgewiesen (für Lipara pullitarsis, Giraudiella inclusa, siehe ATHEN & TSCHARNTKE (1999)). Im Zuge einer Mahd würden sich für die nachfolgende Vegetationsperiode auch die Befallsraten reduzieren, zumindest für die überwinternden Parasiten wie Archanara geminipuncta (MOOK & VAN DER TOORN 1982). Zudem erhöht eine Mahd die aufgelockerten Bereiche, die von Spinnen und Insekten bevorzugt besiedelt werden. Auch aus dem Aspekt einer hohen Biodiversität der Arthropoden ist eine Mahd positiv zu sehen, solange gemähte Bereiche mit ungemähten abwechseln (SCHMIDT et al. 2005).

Abb. 4: Insekten und Spinne im Röhricht: Libelle, Schilfkäfer Donacia, Schilfsackspinne Clubiona (v. l.).

Schnecken und Muscheln

Viele Wassermollusken und feuchtigkeitsliebende Landschnecken sind in Röhrichten zu finden.

Im Bereich des Wasserrohrs lebt eine durchschnittliche Artenzahl von 20-25 Süßwassermollusken. Typische Arten sind die Flusskahnschnecke (Theodoxus fluviatilis), die Spitze Sumpfdeckelschnecke (Viviparus contectus), die Ohr-Schlammschnecke (Radix auricularia), das Glatte Posthörnchen (Gyraulus laevis) und das Flache Posthörnchen (Gyraulus riparius). Die Landrohrbestände werden aufgrund der Wasserstandsschwankungen von weniger Arten besiedelt. Bedeutend sind Arten, die an temporäre Kleingewässer angepasst sind:

Längliche Sumpfschnecke (Omphiscola glabra), Moosblasenschnecke (Aplexa hypnorum), Kugelmuschel (Sphaerium nucleus), Häubchenmuschel (Musculium lacustre) und Tellerschnecken (Anisus spec). Hinzu kommen eine Reihe von Landschnecken, die in den Landröhrichten zu finden sein können: Bauchige Windelschnecke (Vertigo moulinsiana), Glänzende Glattschnecke (Cochlicopa nitens), Feingerippte Grasschnecke (Vallonia enniensis) und die Weiße Streifenglanzschnecke (Nesovitrea petronella). Der ganze Absatz wurde inhaltlich JUEG & ZETTLER in ZIMMERMANN (2001) entnommen und beschreibt relevante Arten für Mecklenburg-Vorpommern.

Weitere wirbellose Tierarten

Für wirbellose Tiere sind die Artenzahlen in den Röhrichten weitgehend unbekannt, ebenso die Vorlieben der einzelnen Arten bezüglich der Bestandsstruktur. Für eine Einschätzung der wirbellosen Artengemeinschaft sind sehr gute Fachkenntnisse der entsprechenden Taxa, der komplexen ökologischen Zusammenhänge und umfangreiche Untersuchungen nötig. Selbst bei

Für wirbellose Tiere sind die Artenzahlen in den Röhrichten weitgehend unbekannt, ebenso die Vorlieben der einzelnen Arten bezüglich der Bestandsstruktur. Für eine Einschätzung der wirbellosen Artengemeinschaft sind sehr gute Fachkenntnisse der entsprechenden Taxa, der komplexen ökologischen Zusammenhänge und umfangreiche Untersuchungen nötig. Selbst bei

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