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5 Inhaltliche Dimensionen der Briefe –

5.1 Die Räume und die Verbindungen

5.1.1 Die äußeren Umstände

Manuel Alvar verglich die Art, mit der im 16. Jahrhundert Briefe adressiert wurden, mit „der Flasche, die der Schiffbrüchige in die aufgewallten Fluten wirft“.562 Das „Dazwischen“ war tatsächlich eine massive Barriere für alle Be-lange: Es erschwerte die Rückkehr, den Familiennachzug und die Verbindung der Familien gleichermaßen.

„Ich verstehe, dass meine Tage in diesem Land enden müssen, ohne dass mich jemand von dort sieht oder etwas von mir weiß, denn, da Meer dazwischen liegt, kann man nicht zu jeder Stunde und in jedem Moment schreiben oder von hier nach dort gehen“ (Mexiko, 1591).563

Der erwünschte kommunikative Zustand war im Regelfall die Gegenwart des anderen – „ich hoffe, du wirst in den privaten Handelsschiffen <urcas> selbst ein lebender Brief sein“ (Mexiko, 1723)564 –, doch wo das nicht möglich war, da mussten Briefe diesen Kontakt ersetzen: „Ich wollte, ich wäre selbst der Bote […] aber weil es nicht im Angesicht sein kann, so muss es per Brief sein, so oft wir nur können“ (Puebla, 1576).565

Um das Kommunikationsverhalten der Emigranten verstehen zu können, muss man wenigstens kursorisch die Entwicklung der Seeverbindungen und die politischen Konjunkturen nachvollziehen. Die transatlantischen Verbin-dungen basierten seit den 1520er Jahren auf einem jährlichen Konvoisystem, 560 Zur Raumkonstruktion von „hier“ und „dort“ siehe Vermeulen, „El discurso del

in-migrante; Altuna, “Imágenes del Perú y”, S. 215; Stangl, Bilder Amerikas, S. 32.

561 Stangl, Bilder Amerikas, S. 43–51.

562 Alvar, Los otros cronistas, S. 21.

563 Brief Nr. EO110.

564 Brief Nr. 119.

565 Brief Nr. EO171.

Die Räume und die Verbindungen | 187 der flota de Indias, um einerseits das Handelsmonopol Sevillas zu stärken und andererseits die wertvollen Ladungen („Silberflotte“) vor Angriffen durch Freibeuter und fremde Nationen schützen zu können, was zumeist auch ge-lang.566 1564 institutionalisierte Philipp II. das System, es wurden zwei sepa-rate Flotten eingeführt: Die flota nach Veracruz sollte stets im April oder Mai auslaufen und am Weg die Kleinen Antillen, La Española und Kuba anfah-ren; zwei Schiffe verließen den Konvoi nach der Zwischenstation Havanna und fuhren den honduranischen Hafen Puerto Caballos an. Die galeones hingegen hatten als vorgesehene Abfahrtszeit August oder September. Nach den Kleinen Antillen lösten sich mehrere kleine Schiffsgruppen nach Vene-zuela, isla Margarita, Puerto Cabello, Maracaibo und Cartagena de Indias/

Santa Marta, während der Hauptverband Nombre de Dios bzw. Portobelo am Isthmus von Panama anlief. Im 18. Jahrhundert kam noch ein eigener Verband für die Fahrt nach Buenos Aires hinzu. Die flota und der Hauptver-band der galeones trafen sich auf der Rückfahrt in Havanna, um gemeinsam die Rückreise anzutreten, während die kleineren Verbände der galeones sich alleine nach Spanien durchschlugen. Wetterprobleme, Verzögerungen bei der Beladung der Schiffe und Gefahren durch Angriffe verzögerten oft schon die Abfahrt in Spanien, mehr noch brachten sie aber den Zeitplan in Amerika durcheinander, so dass die Flotte immer wieder ein weiteres Mal in Havanna überwintern musste.

Das System durchlebte bereits während des 17. Jahrhunderts mehrere Krisen und wurde 1739, angesichts der Unfähigkeit Spaniens, die Sicher-heit der Flotte gegen die Seeherrschaft Englands im Krieg von Jenkins’ Ohr (1739–1748) zu verteidigen, durch einzeln fahrende, registro genannte Schiffe ersetzt, die flexibler auf Angriffe reagieren konnten und deren Aufbringung nicht gleich zu einem Totalverlust der Einnahmen führte. Nach dem Ende des Krieges wurde zwar das Flottenmonopol auf der Strecke Cádiz–Veracruz noch einmal wiederbelebt, daneben existierten aber ein eigener Verband zum Trans-port des zum Silberbergbau notwendigen Quecksilbers (azogues) und zahlrei-che einzelne Einschiffungen in alle möglizahlrei-chen Häfen, denn auch im Sieben-jährigen Krieg (1756–1763) war die spanische Flotte den Briten hoffnungslos unterlegen. Mit der Beendigung des Handelsmonopols 1765 beziehungsweise 1778 wurde das System endgültig gebrochen, der letzte Flottenverband fuhr im Jahr 1790, als auch der Indienrat aufgelöst wurde.

566 Die Informationen über das Flottensystem folgen im Wesentlichen Ernesto Schäfer,

„Comunicaciones marítimas y terrestres de las Indias españolas“: Anuario de Estudios Americanos 3 (1946), S. 969–983, und der Überblicksdarstellung Centro de Estudios Superiores Navales (Mexiko), „El sistema de flotas, comercio y el galeón de Manila“, online (14.8.2011): http://cesnav.edu.mx/foro/Historia/conquista_colonia/pdf/flo-tas_comercio_galeon_manila. pdf .

Der Post- und Personenverkehr musste mit den Möglichkeiten auskom-men, die ihnen von dieser Entwicklung geboten wurden.567 Seit dem 16. Jahr-hundert gab es das Amt eines correo mayor in Mexiko und Peru. Die innerame-rikanischen Verbindungswege waren schlecht ausgebaut: Lediglich die Strecke von Mexiko nach Veracruz war mit Wägen befahrbar, und in Peru richteten die Vizekönige ein Kommunikationssystem auf der Basis der inkaischen Ge-pflogenheiten ein, das vor allem die Minenstadt Potosí und Cuzco mit der Residenzstadt Lima durch Fußboten (chasquis) verband.568 Die gesamte be-hördliche Korrespondenz Perus mit der Metropole wurde in einer jährlichen Sendung per Schiff nach Panama transportiert und von dort nach Cartagena de Indias weitergeleitet, wo auch die Korrespondenz Neugranadas zusammen-lief. Neben der Flotte gab es eine Anzahl kleiner, wendiger Schiffe, die so ge-nannten avisos, die wenige Tage nach Ankunft der Flotte ausliefen, um auf der anderen Seite des großen Teiches deren bevorstehende Ankunft oder Verlust zur Kenntnis zu bringen. Sie transportierten vor allem die Korrespondenzen der Händler, die ihre Partner über den Erhalt von Waren, Wechseln, Geld, etc.

vorab informieren mussten, führten aber auch administrative Post mit.

Um schnellere Kommunikation zu ermöglichen und die Korrespondenz von den Problemen der unzuverlässigen und gefährdeten Flotten abzunabeln, richtete Carlos III. 1764 einen Seepostverkehr (correo) von La Coruña aus ein,569 dessen Betrieb 1777 in einer „Real Ordenanza del Correo marítimo“

endgültig detailliert festgelegt wurde. Der neuen Bestimmung zufolge sollte an jedem Monatsersten ein Schiff mit der Post für die Karibik und Neuspa-nien nach Havanna gehen und alle zwei Monate ein Schiff nach Buenos Aires mit der Post für Rio de la Plata und Peru.570 Ergänzend sollten alle Schiffe, auch private, ein Postpaket oder eine Postkiste mit sich führen, die von der Postadministration im Hafen übergeben wurde und jener am Bestimmungs-ort wieder ausgeliefert werden musste. Mit dieser Reform wurde die Zahl möglicher offizieller Gelegenheiten zur Versendung von Briefen

explosionsar-567 José Manuel López Bernal, „Las comunicaciones postales en América durante la época colonial, siglos XVI-XVIII“: El correo español en América, S. 23–34.

568 Schäfer, „Comunicaciones marítimas y terrestres“, S. 981–983.

569 Reglamento provisional del correo marítimo de España a sus Indias occidentales (AGI, Indiferente General, 1586). Zur Seepost siehe Garay Unibaso, Correos marí-timos españoles; Antonio J. López Gutiérrez, „Fuentes para la historia de los correos marítimos y terrestres conservadas en el Archivo General de Indias“: El correo español en América, S. 35–50; Rafael Cid Rodríguez, „Los correos marítimos a las Indias en el siglo XVIII“: Rábida 10 (1991), S. 40–49.

570 Real Ordenanza del Correo marítimo, expedida por S.M. en 26 de enero de 1777.

Tratado IV, De las embarcaciones que han de servir de correos, sus fueros y distincio-nes, título I, artículo II.

Die Räume und die Verbindungen | 189 tig erhöht. Gleichzeitig deponierte die Krone damit aber auch den Anspruch auf ein Postmonopol, das nun auch die Korrespondenz von Privatpersonen umfasste. Hatten die Leyes de Indias noch explizit das Recht jeder Person, unbehelligt Briefe zu transportieren, garantiert,571 so machte das „Reglamento provisional“ klar, dass nur die staatliche Post Briefe ausliefern durfte:

„Seine Majestät verbietet allen Kriegs- und Handels- und Nachrichtenschiffen, und Schiffen aller anderen Arten und Typen, großen und kleinen, dass sie ein-zelne Briefe transportieren oder eigenmächtig irgendwo auf den Inseln oder dem Festland des westlichen Indien ausliefern, um den Betrug zum Schaden des Post-gewerbes zu verhindern, das sich nicht finanzieren könnte, wenn es hintergangen wird“. 572

Das an sich ausgeklügelte System der Seepost sah sich bald nach seiner Grün-dung mit massiven Problemen konfrontiert, da die folgenden Jahrzehnte weiterhin von Konflikten mit England geprägt waren, die Kommunika-tionssicherheit und Regelmäßigkeit unmöglich machten: 1779–1783 der Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten, 1796–1802 und 1805–1808 während der Allianzen Spaniens mit dem revolutionären und napoleonischen Frankreich. Als offizielle Schiffe, die auch die amtliche Korrespondenz mit sich führten, waren die correos begehrte Beute der Engländer. Bevorzugtes Verhal-ten der Kapitäne der Schiffe war es, möglichst rechtzeitig die Korrespondenz über Bord zu kippen, um den Engländern keine Informationen in die Hände zu spielen. Besonders 1800 und 1801 waren Jahre fast ohne jede Kommu-nikation zwischen Spanien und Amerika,573 was das Auseinanderdriften von Spanien und seinen amerikanischen Besitzungen sicherlich stark beförderte.

Mit dem Beginn des spanischen Unabhängigkeitskrieges verkehrten sich die Feindbilder, und beschützt von der englischen Flotte konnte die Seepost vom freien Cádiz aus wieder regelmäßige Verbindungen herstellen.574

Sieht man von der Frequenz und dem Aspekt der Sicherheit ab, änderte sich an der Dauer der Atlantiküberquerung in der Kolonialzeit nicht viel. Ko-lumbus benötigte auf seiner ersten Fahrt in westlicher Richtung noch 70 Tage auf die Bahamas, doch bereits im 16. Jahrhundert habe man den Weg von Sanlúcar bis zu den Kanarischen Inseln mit zehn Tagen, die Weiterfahrt bis zu den Antillen mit etwa zwanzig Tagen berechnet. Als durchschnittliche Dauer

571 Leyes de Indias, libro III, título XVI, ley VI.

572 Reglamento provisional, título 19, artículo 1; die Bestimmung wurde 1777, in der Real ordenanza, tratado IV, título I, artículo XII erneuert.

573 Garay, Correos marítimos, vol. 1, S. 158–159.

574 Ibidem, S. 194.

der geschlossenen Fahrt einer Flotte nach Havanna werden zwei bis drei Mo-nate, nach Veracruz drei Monate geschätzt.575 Eine andere Untersuchung nennt für die Fahrt nach Veracruz 75 Tage, in umgekehrte Richtung 128, für Cartagena 51 beziehungsweise 110 Tage.576 Der Gesamtumlauf der Flotten Ende des 17. Jahrhunderts belief sich im Schnitt auf 15 bis 16 Monate,577 eine konsequente Untersuchung der Transatlantikfahrt anhand der zahlrei-chen Logbücher von Postschiffen scheint bislang jedoch nicht vorgenommen worden zu sein. Eine Stichprobe von je vier Postschifffahrten nach Havanna und Montevideo/Buenos Aires ergab das Bild, dass diese Zeitangeben eher Idealwerte darstellten, die durch verschiedenste Umstände im Einzelfall deut-lich überschritten wurden:

Tabelle 21: Fahrtdauer von Postschiffen von La Coruña nach Montevideo

AGI Schiff Datum des

Auslaufens

West-fahrt Aufent-halt

Ost-fahrt Total

Correos 192A, r.1 La Princesa 15.12.1767 126 28 98 252

Correos194B, r.9 La Nueva

Diligencia 18.2.1785 66 150 69 285

Correos 192B, r.6 El Águila 21.2.1793 54 170 73 297

Correos194B, r.6 El Cortés 17.6.1797 79 348 72 499

Tabelle 22: Fahrtdauer von Postschiffen von La Coruña nach Havanna

AGI Schiff Datum des

Auslaufens West

Aufent-halt Ost Total

Correos270A, r.1 El Cortés 1.11.1764 204 12 40 256

Correos272A, r.13 El Grimaldi 3.10.1786 51 39 41 131

Correos274A, r.16 El Príncipe 6.10.1791 47 45 27 119

Correos279B, r.10 La Golondrina 5.9.1797

(3.10.1797)578 110

(82) 93 34 237

(209)

578

575 Schäfer, “Comunicaciones marítimas y terrestres“, S. 971–972; „El sistema de flotas“, S. 3.

576 Hidalgo, Entre Castro del Río y México, S. 80, Fn. 376.

577 Information entnommen aus María Guadalupe Carrasco González, Los instrumentos del comercio colonial en el Cádiz del siglo XVII, 1650–1700 (Madrid 1996), S. 102; die Autorin verweist für den Ursprung der Daten auf ein Werk von Henry Kamen, das in der Bibliographie jedoch nicht aufgeführt ist.

578 Wegen schlechten Windes kehrte das Postschiff in den Hafen zurück und wartete auch die Korrespondenz vom September ab.

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