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Entwicklungsphasen der DDR-Geschichte

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Hermann Weber

Entwicklungsphasen der DDR-Geschichte

I.

Es ist selbstverständlich nicht möglich, die vierzigjährige Geschichte der DDR in einer halben Stunde zu referieren. Für den Zweck der Kommission kann es jedoch sinnvoll sein, markante Zäsuren in der Entwicklung der DDR zu beschreiben und dabei auch aus meiner Sicht einige Grundprobleme dieses zweiten deutschen Staates zu benennen. Dabei werden dann auch einige historische Defizite und Hypotheken deutlich, die die Geschichte durchzogen und auch erklären, warum der Zusammenbruch der DDR erfolgt ist.

In bezug auf den Forschungsstand habe ich bereits in einer früheren Sitzung der Enquete-Kommission auf das Gutachten zur Deutschland- und DDR- Forschung von 1978 verwiesen, an dem auch Alexander Fischer und Friedrich- Christian Schroeder mitgearbeitet haben. Zu nennen ist weiterhin mein 1988 erschienener Band „Die DDR 1945 – 1986“, in dem ich den Forschungsstand dargestellt habe. Auf immerhin 60 Seiten kann man sich hier einen Überblick verschaffen. Dies gilt auch für die Bibliographie, die mit 1.200 Titeln als einigermaßen vollständig zu betrachten ist. Bei Prüfung der Themen Opposition und Verfolgung entsteht ein anderes Bild. Es ergibt sich dann eine Zahl von nur 50 in der Bundesrepublik erschienenen Titeln, von denen allein fünf aus der Feder von Karl Wilhelm Fricke stammen. Man erkennt hier also die Aufgabe, daß dort Lücken geschlossen werden müssen, wo der Tatbestand unter den damaligen Verhältnissen in der DDR nur schwer festgestellt werden konnte. Gerade für die DDR-Entwicklung sind die Themen

„Opposition“ und „Anpassung“ wichtig. In der DDR hat es bekanntlich nie eine Identität zwischen Führung und Volk gegeben. Die breite Mehrheit hatte sich zwar anzupassen, wenn es nicht anders ging, aber eine Identifizierung mit der Politik der Führung hat sich nicht entwickelt. Soviel als Vorbemerkung.

II.

Zu den Ausführungen von Alexander Fischer, der die politischen Konzep- tionen der Besatzungsmacht und der deutschen Kommunisten vorgestellt hat, ist zu betonen, daß zwischen den Planungen und den Realisierungen häufig eine deutliche Diskrepanz besteht. Auch die deutschen Kommunisten konnten

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die von ihnen entwickelten Konzeptionen nicht einfach durchsetzen. Dabei spielte nicht zuletzt eine Rolle, daß der Ausgangspunkt der Zusammenbruch des Nationalsozialismus war und ohne den Zweiten Weltkrieg diese Form der Machterringung der deutschen Kommunisten mit Sicherheit nicht möglich gewesen wäre.

Die Entwicklung in der SBZ ist durch zwei Elemente entscheidend geprägt worden: die sowjetische Besatzungsmacht sowie die Tradition und Ideologie des deutschen Kommunismus. Ich möchte dies an einem Punkt veranschauli- chen. In der Konzeption der deutschen Kommunisten spielte bis Anfang 1945 der „Block der kämpferischen Demokratie“ eine wichtige Rolle. Zunächst war damit die Vorstellung verbunden, daß keine Parteien zugelassen werden sollten. Binnen kürzester Frist wurde dann anders entschieden. Die sowjetische Besatzungszone nahm die Rolle des Vorreiters bei der Zulassung mehrerer politischer Parteien ein. Man sieht, daß sich das Handeln an die gegebenen Voraussetzungen und an neue Zielsetzungen anpassen mußte; die Kommuni- sten hatten ihre Vorstellungen zu variieren. Dies geschah in der unmittelbaren Nachkriegszeit in erster Linie aufgrund der gesamtdeutschen Strategie der Sowjetunion, die zu dieser Zeit bestimmend war.

In diesen Zusammenhang gehört auch, daß die SED bis zum Jahre 1947 / 48 noch nicht als marxistisch-leninistische Kampfpartei auftrat. In den Leitungs- gremien wurde der Führungsanspruch allerdings schon viel früher thematisiert.

Im Januar 1947 wurde er in einer Rede des Mitglieds des Politbüros Franz Dahlem ganz klar angesprochen. Anläßlich des 23. Todestages von Lenin befaßte sich der Parteivorstand in einer Rede von Anton Ackermann mit Lenin und berief sich dabei sofort auf Stalin. Im Inneren war also die Umwandlung der SED zu einer Partei neuen Typs schon viel früher angelegt.

III.

Die tieferen Gründe für das Scheitern des stalinistischen Modells in der DDR liegen vor allem in zwei Faktoren: Erstens war die DDR nur ein Teilstaat, dessen Bevölkerung zudem auf den größeren, den reicheren und demokratischen anderen Teilstaat – die Bundesrepublik – fixiert blieb. Als Ulbricht am Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre die These vom „Einholen und Überholen“ vortrug, meinte er natürlich nicht irgendein westliches Land, sondern er meinte die Bundesrepublik Deutschland.

Zweitens wurde die DDR nach dem Vorbild der Sowjetunion geformt.

Auf ein sozioökonomisch hochentwickeltes Gebiet wurden die stalinistischen Herrschaftsformen übertragen, die nicht zuletzt aus der Rückständigkeit Rußlands erwachsen waren. Gerade hierin lagen die Gründe für zahlreiche Konflikte, die der DDR bis zum Ende zu schaffen machten. Diese beiden

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Faktoren waren die wesentlichen Schwachpunkte, die sich wie ein roter Faden durch die DDR-Geschichte zogen.

Eine Betrachtung der Gesamtgeschichte der DDR läßt zudem zwei grundsätz- lich voneinander verschiedene Etappen erkennen, in denen Ideologie, Realität und Motivation unterschiedlichen Stellenwert besaßen. Bis 1961 bestimmten programmatische Zielsetzungen vorrangig die Politik: Umgestaltung der Herr- schaftsstrukturen und der Gesellschaft nach den Prinzipien des Stalinismus in der konkreten Ausformung des sowjetischen Modells. 1961 war dieser Prozeß im wesentlichen abgeschlossen, durch den Mauerbau war die DDR auch abgeriegelt. Danach wirkte die veränderte gesellschaftliche und politische Wirklichkeit – vor allem der Widerspruch zwischen Industriegesellschaft und stalinistischen Herrschafts- und Leitungsmethoden – stärker auf die Politik ein. Dieses „Sachzwänge“ bewirkten Veränderungen der Politik und selbst der Ideologie. Hier kann nur auf die Phasen bis 1961 eingegangen werden, in denen die Strukturen des Systems entstanden.

Es gibt weitere Probleme der Geschichtsschreibung über die DDR. Ich meine die Instrumentalisierung von Begriffen. Der „Antifaschismus“ ist dafür ein besonders markantes Beispiel, an dem zu zeigen ist, wie die Begriffe durch die Führung der DDR benutzt wurden. Dies gilt auch für „Demokratie“, es gilt für „Frieden“ und auch für andere Termini, die zur Verschleierung der Machtpolitik der SED eingesetzt wurden. Darum handelte es sich im Kern und weniger um eine ideologische Zielsetzung, die man realisieren wollte.

Letztendlich ist auch die Ideologie zur Machtsicherung benutzt worden.

Ulbricht hat bereits im Juni 1949 erklärt, daß zwischen den Gegnern der Politik der SBZ und dem Antifaschismus ein Zusammenhang bestehe. Nicht die früheren Anhänger der NSDAP, wie manche annähmen, seien die gefährlichsten gegnerischen Kräfte, sondern Personen, die sich in bestimmten Funktionen der bürgerlichen Parteien getarnt hätten. Zwei Monate später führte Ulbricht aus, daß in der SBZ gegenwärtig „nicht wenige frühere aktive Nazis eine verantwortliche Arbeit leisten“. Sie könnten jedenfalls „bestimmte Leistungen aufweisen, was man von einigen Mitgliedern der CDUD und der LDP nicht sagen kann“. Diese würden vielmehr ständig nach London und Washington schielen. Schon im Sommer und Herbst 1949 wurde also der Nationalismus instrumentalisiert.

IV.

Ich versuche nun in aller Kürze zu zeigen, welche Etappen bis 1961 in der Entwicklung der DDR sinnvoll unterschieden werden können, welches die jeweiligen Schwerpunkte sind und welche Rolle die Opposition in den unterschiedlichen Phasen gespielt hat.

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Die Abgrenzung der ersten Etappe ist in der Forschung unumstritten: der Zeitraum vor der Gründung der DDR, die Jahre 1945 bis 1949, in der die SBZ sowohl in ihren Strukturen als auch in den Mechanismen der Machtausübung und im Alltag gestaltet wurde. Diese Elemente wurden ab Oktober 1949 in die DDR übernommen. Ein nächster zeitlicher Einschnitt kann entweder für das Jahr 1953 (Tod Stalins, sog. Entstalinisierung, 17. Juni) oder das Jahr 1955 (formale Zuerkennung der Souveränität) angesetzt werden. Schließlich geht die dritte Phase mit dem Mauerbau 1961 zu Ende. Insgesamt kann man sagen, daß in den Jahren 1945 bis 1955 jene Strukturen angelegt wurden, die dann die spätere DDR geprägt haben.

Es ist davon auszugehen, daß die nationalsozialistische Diktatur von einem Großteil der deutschen Bevölkerung – bei den Wahlen des Jahres 1933 erreich- ten NSDAP und Deutschnationale zusammen die Mehrheit der Stimmen – getragen worden ist. In der SBZ / DDR bestand hingegen eine andere Aus- gangslage. Die Bevölkerung wurde nach ihrer Zustimmung oder Ablehnung nicht gefragt. Allerdings haben mindestens zwei Millionen Menschen die Abstimmung mit den Füßen vorgenommen, indem sie das Land verließen.

Die jeweilige Entstehung der Diktatur ist also grundsätzlich anders.

Die wichtigste Entstehungsbedingung der SED-Diktatur war die Spaltung Deutschlands und diese eine Folge des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieges. In der Juni-Deklaration des Jahres 1945 wird dies klar ausge- sprochen: Die Besatzungsmächte bilden die deutsche Regierung, alle vier gemeinsam im Alliierten Kontrollrat und jeder einzelne Oberkommandierende in seiner Zone trafen die Entscheidungen. Damit ist klar die Möglichkeit einer Spaltung Deutschlands gelegt worden.

Ich möchte noch ein paar Worte zum Kalten Krieg anfügen. Gelegentlich besteht die Vorstellung, daß der Aufbau der Diktatur in der SBZ nur als Folge des Kalten Krieges zu verstehen ist. Dieser Auffassung muß ich widersprechen. Der Ausgangspunkt der Stalinisierung in der DDR war der Kalte Krieg, aber vor allem der Stalin-Tito-Konflikt. Dieser bedeutete für die Sowjetunion einen wesentlichen Anlaß, in den von ihr besetzten Staaten das eigene politische System durchzusetzen. Betrachtet man jedoch die einzelnen Maßnahmen der Unterdrückung und der Verfolgung, die für den Stalinismus typisch waren, so sind diese unabhängig vom Kalten Krieg ergriffen, aber durch diesen verschärft worden. Es ging um die Errichtung des stalinistischen Herrschaftssystems. Der Kalte Krieg war zwar der Ausgangspunkt dieser sowjetischen Politik, er wurde aber auch als ein Instrument zur Vorantreibung der Stalinisierung der SBZ / DDR benutzt.

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V.

In der Literatur nach 1989 ist mehrfach davon gesprochen worden, daß die Frühphase der SBZ eine demokratische Entwicklung gewesen sei. Gewisse de- mokratische Ansätze sind unbestreitbar. Dazu zähle ich Gesetze des Alliierten Kontrollrats, die für ganz Deutschland gültig waren, sowie die Bildung von vier Parteien im Juni und Juli 1945. Hier handelt es sich um die Fortführung des pluralistischen Parteiensystems der Weimarer Republik – mit Ausnahme der diskreditierten Rechten. Die tatsächlich gegebenen Handlungs- und Ge- staltungsmöglichkeiten der Parteien in der SBZ wurden vom Befehl Nr. 2 der SMAD bestimmt, wonach die Parteien „antifaschistisch-demokratisch“ sein mußten. Dies war dann eine Frage der sowjetischen Interpretation. Ferner wurde im SMAD-Befehl auch festgelegt, daß die Parteien unter der Kon- trolle und der Aufsicht der Besatzungsmacht zu arbeiten hätten. Auch in der Frühzeit der SBZ waren die Möglichkeiten der politischen Gestaltung vom Willen der Besatzungsmacht abhängig. Sobald diese ihre Politik änderte, hatte dies unmittelbar Auswirkungen auf das Parteiensystem. Ich erinnere hier an die Zwangsvereinigung von KPD und SED unter dem massiven Druck der sowjetischen Besatzungsmacht oder an die Absetzung der CDU-Vorsitzenden Hermes und Schreiber im Dezember 1945 und deren Nachfolger Kaiser und Lemmer im Dezember 1947. Man sieht, daß die gegebenen Machtverhältnisse die demokratischen Ansätze selbstverständlich einschränkten. Dies gilt im großen und ganzen auch für den kulturellen Bereich, wo in der Frühphase der sowjetischen Besatzungszone pluralistische Entwicklungsmöglichkeiten und auch durchaus moderne Ansätze bestanden. Dies alles wurde ab 1948 eingeschränkt und spätestens 1949 / 50 beendet. Demokratische Ansätze wur- den durch die Stalinisierung des politischen Systems beendet. Den Kalten Krieg und die demokratischen Ansätze der Frühphase muß man somit aus der übergeordneten Sicht der Stalinisierung betrachten.

VI.

Mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 verband die SED-Führung den Anspruch, deutscher Kernstaat zu sein. Interessanterweise betonten sowohl Wilhelm Pieck als Präsident der DDR als auch Adenauer als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ihre Legitimation, für das ganze deutsche Volk zu sprechen. Obwohl die DDR-Führung nicht einmal die Berechtigung besaß, für die Bevölkerung ihres Territoriums zu sprechen, wurde dieser gesamtdeutsche Anspruch bis in die sechziger Jahre erhoben. Der SED ging es somit nicht nur um den Aufbau des stalinistischen Systems im Inneren, sondern gleichzeitig um die Zersetzung des anderen deutschen Staates. Auf dem Wege der Infiltrierung sollte letztendlich ein gesamtdeutscher

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Staat unter kommunistischen Vorzeichen geschaffen werden. Während in der ersten Nachkriegszeit der Zusammenbruch, der Hunger und die Armut naturgemäß das Alltagsleben der Menschen in allen vier Besatzungzonen sehr viel mehr bestimmten als die Politik, kann seit der Währungsreform in den Westzonen davon ausgegangen werden, daß die DDR-Opposition nun eine ganz breite Basis fand. Opposition ist hier zu verstehen als Widerstand gegen die Aufrichtung einer neuen Diktatur von Demokraten ganz unterschiedlicher Richtungen. Der Aufstand am 17. Juni 1953 hat schließlich gezeigt, daß es in der DDR breite Bevölkerungskreise gab, die die brutale Form der Diktatur ablehnten und deshalb bereit waren, auf die Straße zu gehen. Gleichwohl zeigte es sich in der ersten wie in der zweiten Phase, daß die Möglichkeiten oppositionellen Auftretens sich zunehmend verringerten. Zum einen artikulierten sie sich anfänglich innerhalb der SED, wo sie als Sozialdemokratismus bekämpft wurden, andererseits in den bürgerlichen Parteien, die dann schrittweise einer Transformation unterworfen wurden. Spätestens 1952 mußten die Blockparteien dann die führende Rolle der SED offiziell anerkennen und ihre politische Eigenständigkeit aufgeben.

Da die Säuberungen innerhalb der SED zu einer monolithischen Struktur führten, wurde Opposition in den ersten beiden Phasen immer schwieriger, sie konnte sich nur auf illegale Weise zeigen bzw. in der Fluchtbewegung von breiten Schichten der Bevölkerung.

Unter diesen Bedingungen erhalten die Auseinandersetzungen in der SED- Spitze Gewicht. Die internen Krisen der Jahre 1950, 1953 und 1957 hatten für den Bestand des Systems eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, weil sie die Oppositionstendenzen bestimmter Gruppen widerspiegeln. Es handelte sich nur um die Spitze des Eisbergs der intellektuellen Opposition. Die Opposition

„bis in die Führung hinein“ ist Auswirkung einer Unzufriedenheit, die breite Massen der Bevölkerung und der Arbeiter teilten. In den folgenden Phasen änderte sich dies. Für das Verständnis der DDR-Geschichte auch der sechziger und siebziger Jahre ist die Erkenntnis wichtig, daß es in einem solchen System keine legale Opposition gibt und daß aus dem Nichtöffentlichwerden der Opposition nicht der Schluß gezogen werden darf, daß sich die Bevölkerung vollständig angepaßt hat.

Viele im Westen waren davon ausgegangen, daß die Indoktrinierung vor allem der jüngeren Generation einer der wesentlichen Mechanismen zur Machterhaltung gewesen ist. Die Gefahr wurde darin gesehen, daß eine auf Dauer gefestigte, weil ideologisch gläubige Anhängerschaft entstehen könnte, während in der älteren Generation eher die Tendenz vermutet wurde, aus den alten Erfahrungen heraus in eine Oppositionsrolle zu geraten. Die tatsächliche Entwicklung folgte einem anderen Muster: Aus der jüngeren Generation ist eine neue Opposition entstanden.

In bezug auf den 17. Juni wurde oft davon gesprochen, daß dies ein

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„Lernschock“ gewesen sei. Heute ist dies sicherlich ein zu hinterfragender Begriff. Man wollte damit sagen, daß die Führung habe lernen müssen, daß sie nicht alles machen könne, was sie wolle. Wenn sie den Bogen überspanne, dann gingen die Menschen auf die Straße. Die Bevölkerung habe hingegen lernen müssen, daß der öffentliche Protest nicht helfe, solange die sowjetische Armee bereit war, die Demonstrationen niederzuschlagen.

Nach einer Generation war dieser „Lernschock“ verschwunden. Kollektive Lernprozesse wandeln sich. Die Haltung einer neuen Generationen war eine wichtige Voraussetzung für den Umbruch im Herbst 1989.

VII.

Betrachtet man die Geschichte der ersten beiden Phasen von 1945 bis 1949 und von 1949 bis 1955, so entwickelten sich bereits in diesen Zeiträumen die Strukturen, die das Regime im großen und ganzen zusammenhielten.

Die folgenden Apparate und Institutionen haben das System im wesentlichen getragen und sein Funktionieren unter Ausschaltung der jeweiligen Opposition gewährleistet.

Zum einen war es der Parteiapparat der SED selbst, d. h. die hauptamtli- chen Funktionäre. Die Führung konnte annehmen, daß sie entsprechend dem Nomenklatur- und Kadersystem fest in ihrer Hand waren. Der Parteiapparat war zentralistisch organisiert; daher glaubte die Spitze, mit ihm das ganze System verwalten und diktieren zu können. Tatsächlich ist dies auch jahr- zehntelang gelungen.

Ein zweites, für die Machtsicherung bedeutsames Strukturelement war die Dominanz des Parteiapparates über die staatlichen Einrichtungen, d. h. den Staatsapparat, die Regierung, Verwaltung, Kultureinrichtungen und Medien.

Diese waren sämtlich der SED untergeordnet. Ebenso waren die Armee, die Massenorganisationen, die Blockparteien und ihre Transmissionsfunktion, die Justiz, die Polizei und nicht zuletzt das Ministerium für Staatssicherheit der SED-Dominanz untergeordnet. Für das Verhältnis zwischen SED und Staatsapparat galt grundsätzlich die Vorherrschaft des Parteiapparates.

In diesem Zusammenhang ist nach den Mechanismen dieser Apparate in der SED-Diktatur zu fragen. An erster Stelle standen Terror und Verfolgung. Die Maßnahmen der Staatssicherheit und der Justiz richteten sich nicht nur gegen diejenigen, die zur offenen Opposition bereit waren und die Folgen trugen. Die Überwachung sollte darüber hinaus auch eine Abschreckungsfunktion haben;

von einer Atmosphäre der Angst versprach man sich eine Disziplinierung, die bis in den eigenen Apparat wirksam sein sollte.

Das zweite Element war die Methode der Neutralisierung. Damit wollte die Führung „unpolitische“ Menschen, die weder Gegner noch Anhänger des

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Systems waren, bei wachsendem Wohlstand und einem Mindestmaß an per- sönlichem Freiraum „passiv“ halten. Insbesondere der „gewöhnliche Alltag“ – geprägt von den Freuden und Leiden des Individuums, von der Arbeit, von der Familie oder Freundes- und Kollegenkreisen – sollte Teile der Bevölkerung von der Diktatur ablenken. Auch wenn es nicht gelang, das wichtigste Ele- ment der Neutralisierung, nämlich spürbaren wirtschaftlichen Aufschwung, zu erreichen, beeinflußte eine allgemeine soziale Sicherheit, eine halbwegs überschaubare Planung des persönlichen Lebensbereichs sowie eine verordnete

„Geborgenheit“ die Einstellung der Menschen.

Die dritte Methode war die Ideologie des Marxismus / Leninismus in der Funktion als Machtinstrument. Die Ideologie des „Marxismus-Leninismus“

fungierte als Bindeglied der herrschenden Eliten, sollte aber durch Be- wußtseinsbildung zugleich neue Anhänger, vor allem die Jugend, gewinnen.

Diese Ideologie diente der Führung – neben der Anleitung des politischen und sozialen Handelns – als Rechtfertigungs- und Verschleierungsinstrument.

Die Ideologie hatte mit militanten Formeln ein Feindbild zu schaffen, um die Anhänger gegen einen „äußeren“ wie „inneren“ Feind zu mobilisieren.

Bildung und Erziehung waren insofern Integrationsfaktoren für das System, als sie den konformistischen Untertanen zum Ziel hatten.

Bei der Betrachtung dieser drei Methoden wird deutlich, warum in den achtziger Jahren eine neue Situation entstanden ist. Zum einen haben Ideologie und ideologische Indoktrination ihre Wirkung eingebüßt; in der Sowjetunion setzte dieser Prozeß schon in den sechziger Jahren ein, die Ideologie wurde mehr und mehr zu einem formalistischen Bekenntnis.

Die Neutralisierung konnte nicht mehr wirken, weil es nicht gelang, ein effizientes Wirtschaftssystem einzurichten und die Hoffnung auf Verbesserung der Lebensumstände zu befriedigen. Nach Stalins Tod verlor zunehmend auch der Terror seinen Schrecken. Dies ist nicht so zu verstehen, daß Terror und Verfolgung keine Bedeutung mehr gehabt hätten. Die unmittelbare Lebensbedrohung, die in den frühen fünfziger Jahren mit oppositionellen Verhalten verbunden war, bestand jedoch in dieser Form später nicht mehr.

Zunehmend wurden subtilere Methoden der Unterdrückung angewendet, wodurch die Bereitschaft zur aktiven Opposition gewachsen ist. Dies bedeutete jedoch wiederum eine Schwächung der Mechanismen, die das System bisher stabilisiert hatten. In der Honecker-Ära verschlechterte sich die Lage der DDR, die nun nur noch aus der eigenen Substanz lebte, und sämtliche Mechanismen griffen nicht mehr richtig. Insgesamt bin ich der Auffassung, daß ab der Mitte der siebziger Jahre das System im Hinblick auf seine eigenen Mechanismen der Machterhaltung „in der Luft hing“. Es konnte aber nicht zusammenbrechen, solange die Sowjetunion seine Existenz garantierte. Die Entwicklung der Tschechoslowakei ist dafür ein anschauliches Beispiel.

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VIII.

In aller Kürze nun zu einigen bereits angesprochenen Hypotheken bzw.

Defiziten historischer Natur. Schon am Beginn der SED ist die erste schwere Hypothek zu finden. Entgegen den Behauptungen, daß es sich um einen freiwilligen Zusammenschluß der beiden großen traditionellen Arbeiterparteien SPD und KPD gehandelt habe, kam die Einbindung der größeren Sozialdemokratischen Partei in die Einheitspartei in Wirklichkeit unter den besonderen Umständen der Besatzungsmacht, unter Druck und unter Versprechungen zustande, die sich zwei Jahre später als Betrug erwiesen. Die Zwangsvereinigung bedeutete, daß in der Folgezeit der Sozialdemokratismus zum Hauptfeind innerhalb der Partei erklärt wurde und zeigt, welche schwere Hypothek man sich damit selbst aufgebürdet hatte.

Als zweite und schwerwiegendste Hypothek ist die Stalinisierung von Staat und Partei anzusehen, die ab 1948 erheblich beschleunigt wurde. Nun kam es zum deutlichen Bruch zwischen Bevölkerung und Führung, der dann die ganze Geschichte der DDR durchzog. Der Grundfehler war, daß mit Mechanismen, die im rückständigen Rußland entwickelt worden waren, in einem hochentwickelten Land die stalinistische Diktatur praktiziert wurde.

Wie man heute weiß, konnte sie nicht einmal in Rußland auf Dauer erreicht werden.

Im stalinistischen System liegt auch die Grundursache für eine dritte histo- rische Hypothek, nämlich den Aufstand vom 17. Juni 1953. Hier wird die Legende, daß es sich um einen Arbeiterstaat gehandelt habe, ganz offenkundig entlarvt. Es waren im wesentlichen die Arbeiter, die auf die Straßen gingen und mit ihren zwei Grundforderungen ein anderes soziales System und Demokratie nach dem Vorbild der Bundesrepublik wollten. Wie man heute durch die Ar- beiten von Armin Mitter und anderen weiß, sind die Ziele der Demonstranten nicht von ökonomischen in politische Forderungen umgeschlagen, sondern die politischen Umstände spielten von Beginn an eine sehr bedeutende Rolle.

Eine weitere Hypothek war der Bau der Berliner Mauer. Ein System, das gezwungen war, die eigene Bevölkerung einzusperren, erklärte seinen Bankrott und zeigte damit zugleich seine Instabilität.

Eine historische Hypothek war schließlich die Beteiligung, und zwar die ideologische Beteiligung der DDR, den letzten kommunistischen Reformver- such 1968 in der Tschechoslowakei zu zerschlagen. Die DDR war einer der Haupteinpeitscher der Niederschlagung des Versuchs einer Veränderung. Die Konsequenzen dieser Handlungsweise waren weitreichend. Sie führten nicht nur zur Stagnation in den folgenden fünfzehn Jahren, sondern sie verhinderten jedes Nachdenken über die Möglichkeit von Reformen des Systems. Auch an immanente Reformen dachte die SED-Führung später nicht mehr, wie man am Verhalten der Führung nach dem Amtsantritt von Gorbatschow erkennen

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kann. Man hatte dabei einen gar nicht unrichtigen Gedanken: Reformen in einem System, das nicht reformfähig ist, führen in den Untergang. Mit dem politischen Umsturz in der DDR ist daher nicht nur das kommunistische System, sondern auch die DDR selber von der Bildfläche verschwunden.

(Vortrag in der nichtöffentlichen – 5. – Sitzung am 8.5.1992)

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