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Kirche, Kunst und Denkmalpflege: Zum Problem des Hochaltars von S. Stefano Rotondo

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KUNSTCHRONIK

MONATSSCHRIFT FÜR KUNSTWISSENSCHAFT MUSEUMSWESEN UND DENKMALPFLEGE

MITTEILUNGSBLATT DES VERBANDES DEUTSCHER KUNSTHISTORIKER E.V.

HERAUSGEGEBEN VOM ZENTRALINSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE IN MÜNCHEN VERLAG HANS CARL, NÜRNBERG

40. Jahrgang März Heft 3

Konservierung

KIRCHE, KUNST UND DENKMALPFLEGE:

ZUM PROBLEM DES HOCHALTARS VON S. STEFANO ROTONDO (mit zehn Abbildungen undsieben Figuren)

FürRichard Krautheimerzum 90. Geburtstag

Im Laufe des vergangenenJahres ist die Diskussion um die Wiederherstellung von S. Stefano RotondoinRom mehr und mehr in die Öffentlichkeit gedrungen. Dies ge­ schahallerdings ausschließlichim Bereichder Presse, und nur wenige wissen, welche gegensätzlichen Kräfte hier am Werke sind und wiesehrdivergierende Interessen und einemangelnde Koordination der beteiligten Instanzen denBau bedrohen. Der vorlie­ gende Beitragversucht, diese für diederzeitige Situation der Denkmalpflegesosympto­ matische Problematik am Beispiel der Renaissance-Ausstattung von S. Stefano zu veranschaulichen. Sie war besonders gefährdet, da die Absicht bestand, ihrHerzstück, Bernardo Rossellinos Altar im Zentrum der Rotunde, noch in diesemJahrdurch ein neu­

es liturgisches Ensemble zu ersetzen.

Als NikolausV. imHeiligenJahre 1450 S. Stefano Rotondozurestaurieren begann, hatteeine nahezu tausendjährige Geschichtedie Rotundedes späten 5. Jahrhunderts be- Originalveröffentlichung in: Kunstchronik 40 (1987), Nr. 3 (März), S. 81-98

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□I CI li -i

Fig. 1 Rom, S. Stefano Rotondo, Grundriß mitdem Ausgrabungsbefund (nach C. Ceschi)

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reits drastisch verändert (R. KRAUTHEIMER, Corpus Basilicarum Romanarum, IV, Vatikanstadt 1976, 19lff.; C. CESCHI, S. Stefano Rotondo, in: Atti della Pontificia Accademia Romana di Archeologia, serie III, XV, Rom 1982; Abb. 1 und 2, Fig. 1).

Über die ursprüngliche Gestalt besteht bislang keine volle Gewißheit. Mit einem Durch­

messer von etwa 66 Metern gehörte der Rundbau zu den größten der Spätantike, mit sei­

nen Mosaiken und Marmorinkrustationen gewiß zu den prächtigsten. Der zylindrische Innenraum, der mehr als ein Drittel des Gesamtdurchmessers einnimmt, wurde von 22 Arkadenfenstern beleuchtet und entweder von einer leichten Kuppel oder einem kegeligen Dachstuhl überwölbt. Sein Erdgeschoß öffnete sich in gleichfalls 22 jonischen Säulen auf einen flachgedeckten Umgang, der seinerseits durch 44 Arkaden mit der äußersten der drei konzentrischen Raumzonen kommunizierte.

Acht Pfeiler gliedern diesen äußeren Säulenkranz in alternierende Gruppen von je­

weils fünf und sechs Arkaden. Während aber die vier Gruppen von je sechs Arkaden einem weitgehend gleichmäßigen Rhythmus folgen, staffeln sich die vier Fünfer­

Gruppen in dreifacher Hierarchie. Die Arkaden der beiden auf der heutigen Querachse gelegenen Abschnitte sind mit den gleichen Granitschäften und jonischen Kapitellen aus­

gestattet wie die Nachbararkaden, aber etwas weiter bemessen. Nur die beiden verblei­

benden Fünfer-Gruppen besitzen monumentalere Schäfte und korinthische Kapitelle; nur ihre Mittelarkade ist mit ihrer lichten Weite von etwa 2 1/2 m in genaue Analogie zum gegenübergelegenen Interkolumnium des inneren Säulenringes gebracht.

Auf dieser einzigen den gesamten Bau durchlaufenden Geh- und Sehachse lagen zwei­

fellos die liturgischen Schwerpunkte der Kirche. Das bestätigen auch die im 7. Jahrhun­

dert angefügte Apsis der Kapelle des Primus und Felicianus und die von Ceschi entdeckten Grundmauern der Schola Cantorum, die den Innenzylinder auf dieser Achse durchqueren.

Nun unterscheiden sich die vier der zerstörten Südwestkapelle zugeordneten Arkaden von denen der Kapelle des Primus und Felicianus durch kannelierte Marmorschäfte und detailliertere Kapitelle - ganz offensichtlich, um das liturgische Zentrum der Kirche auszuzeichnen (Abb. 4). Und da die Schola Cantorum den ursprünglichen Altar schwer­

lich aus der Mitte der Rotunde verdrängt haben kann, mag dieser entweder vor der mar­

mornen Mittelarkade oder - wahrscheinlicher - in deren geschützter Südwestkapelle gestanden haben. Schon Ceschi hat die nachträglich in die Rückwand geschlagene Nische als den ursprünglichen Standort des spätantiken Papstthrones interpretiert. Und da sich die „solia" der Schola Cantorum erst etwa 6 m vor dem Umgang zum eigent­

lichen Chor ausweitete, könnte der ursprüngliche Hauptaltar auch noch über die karo­

lingische Zeit hinaus in der Südwestkapelle gestanden haben. Dieser zweifellos dem Titelheiligen der Kirche geweihte Altar hätte dann seit dem 7. Jahrhundert im Altar des Primus und Felicianus seinen baulich von Anfang an vorbereiteten, aber deutlich unter­

geordneten Gegenpol erhalten.

Ähnlich wie im Pantheon, in S. Costanza oder den beiden Rundbauten bei Alt-St.

Peter blieb auch das Zentrum von S. Stefano Rotondo zunächst unbesetzt -vielleicht sogar in Rücksicht auf den Betrachter, der nur von dort aus in den vollen Genuß der architektonischen Rundgestalt gelangen konnte. Doch im Gegensatz nicht nur zu den

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genannten Rundbauten, sondern auch zu den meisten frühchristlichen Basiliken war S. Stefano nicht auf derHauptachse betretbar.

Vielmehr öffnete sich der äußere Mauerringin je zwei Türenauf dievier sekundären Raumabschnitte, die mit den vier Kapellen alternierten,Türen, die zumgroßen Teil bald vermauert wurden. Diese sekundären Sektoren waren in eine ungedeckte äußereund ei­

ne tiefereinnere Zone unterteilt. Während die äußeren gewißals Vestibül dienten, bleibt dieFunktion der inneren, mit einem nachträglichen Gewölbeansatzversehenen Räume bislang ungeklärt. Die Rekonstruktoren des 16. Jahrhunderts zeichnen die zerstörten Trennwändezwischenbeiden Zonenohne jede Öffnung, wie auch dereneinziges durch Valadier und Caninaüberliefertes Fragment dafür spricht, daß man nur über die Kapel­

len ins Innere gelangte. Die beidenTürenzur mutmaßlichen Altarkapelle wären dann wohl privilegierteren Besuchern Vorbehalten geblieben. Wiedem auch sei: Waren die Innensektoren aber gedeckt, dann muß die relativ schwache Belichtung der beiden äußerenRingedem lichterfülltenZentrum zu noch überwältigenderer Dominanz verhel­ fen und damit die Dichotomie zwischen dem liturgischenund dem architektonischen Schwerpunkt bekräftigt haben. Gewiß werden die Untersuchungen von F. Brandenburg undS. Storz zur weiteren Klärungdieser Fragen beitragen.

Bis gegen Ende des ersten Jahrtausends und wohl noch darüber hinaus wardie Kirche also in kaum veränderter Gestalt ihren Aufgaben gerecht geworden. Nicht unter Robert Guiscard, wie gelegentlich behauptet, sondern erst während der schismatischen Wirren imPontifikat Innozenz’ II. (1130—43) wurde siein Teilen zerstört undihrerGüter be­

raubt: ,,occasione guerrae nostri apostolatus a schismaticisfere destructa”, wie die Bulle von 1141 klagt (A.STEINHUBER,Geschichte des Kollegium Germanikum Hun- garikum in Rom, Freiburg 1906, I, 145). Pietro Latroni und Pietro Mardoni, der eine seit 1134 als Präfekt vonRomund der andere im Jahre 1139 alspäpstlicher Archivar bezeugt, hätten Innozenz II. die Wiederherstellung nahegelegt: ,,pro amore et interventu nobilium virorum, dilectorum filiorum nostrorum Petri Latroni et Petri Mardoni, qui.. .pro ipsaecclesianos instantissime ... exorarenon cessant.Schon damals ver­ dankte die Kirche also ihre Rettung dem Einsatzeiniger individueller Verehrer.

Inden gleichenJahren um 1139—41, also gewißerst nach Beendigung desSchismas, ließInnozenz II. die Kirche herstellen und auf ihre funktionell unabdingbaren Teile re­ duzieren (Abb. 3). Von den Anräumendes dritten Ringes blieben nur die Kapelle des Primus und Felicianus sowie der westlich angrenzende Raumsektor erhalten, die die Zerstörungenwohl ambesten überstandenhatten. Die mutmaßliche Altarkapelle wurde durch eineApsis imSüdwestenersetzt. In dieser mag derPapstthron und im Umgang davor der HochaltarseineAufstellung gefunden haben. Der äußere Umgangwurdeder­ gestaltvermauert, daßseine Arkaden mit fingiertem Keilsteinwechsel plastisch vor die neuen Füllflächentratenundkleine Rundfensterihnerstmals direkt beleuchteten. Von den acht antikenTüren blieben nur dreigeöffnet, darunter dasheutige Hauptportal, das sich zur Straßenach S. Giovanni in Laterano wendet und, wenn schon nicht auf der Hauptachse, so doch inderen unmittelbarer Nachbarschaftliegt. Diesem Portal wurde eine der für das römische Mittelalter so charakteristischen Vorhallen vorgeblendet, deren Asymmetrien sich partiell durch die vorhandenen Wohnbauten der Kleriker erklä­

ren, wie denn auch ihrObergeschoß weitere Wohnräume aufnahm. Wahrscheinlich war

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das zwischen Vorhalle und Umgang vermittelnde Vestibülschon damals gedeckt, wenn auch noch ungewölbt. Jedenfalls sahmanschon damals vonderVorhalle aus bis zum mutmaßlichen Hochaltar, wiedies longitudinaleBauten ohnedieserlaubten.

Das kuppelige Dach desInnenzylindersersetzteman durch einenflachen Dachstuhl, den ein Klötzchenfries am Außenbaumarkiert. SeineBalkenerhielten ein zusätzliches Auflager in Gestalt einer mächtigen,schwibbogenartigen Stützmauer, die erstmals der Querachse sichtbaren Nachdruck verlieh. Wohl aus statischenGründenwurdenvierzehn derinsgesamt zweiundzwanzig Fenster in möglichst regelmäßigem Rhythmus geschlos­ sen — alldies Maßnahmen, die die Wirkung des Raumesvollständigveränderten. Aus dem komplexen, von der kaiserzeitlichen Palastarchitektur inspirierten Baukörper war einecht mittelalterlicher, ganz auf den Innenraumkonzentrierter Organismus geworden.

Und als solcher sollte S. Stefano wiedereine Rolleim Leben der Stadt spielen,so etwa im Jahre 1235 beimFriedensschwur zwischen Comune und Kurie.

Weder dieKanoniker der benachbarten Lateranbasilika,die die Pfründe bis 1453 auf­

grundeinesirrigen Anspruchs verwalteten,noch die Titelkardinäle bewahrten die Kir­ che vor erneutem Verfall. Und schon gegen 1420 betrauert der Florentiner Dichter Niccolö Bonaiuti den Zustand der,,basilica disrupta”, die keinDach mehr besitze, de­

renAltäre entweiht undihrer Steinchen beraubt seien (Ceschi, 135). AlsFlorentiner und Zeitgenosse Brunelleschis rühmter die Rundheit der Kirche, dieSchönheit ihrerSäulen und ihrerMarmorinkrustation — ,,de marmorecultasporfidu simulet variis cumflori- bus actas”. Damit schlägterdenTonfall jener humanistischen Beschreibungen an, die über Flavio Biondound Giovanni Rucellai bishinzu Andrea Fulvio undBartolommeo Marliani reichen. Der Gelehrte Flavio Biondo widerspricht in seiner Roma Instaurata sogar demLiber Pontificalis, wenn er indem Bau nicht eine Gründung PapstSimpli- cius’ L, sondern einenTempel desFaunuserblickt; eineAuffassung, die B. Marliano

1544 mit dem Fundeiner Inschrift —,,titulo quodam ibi reperto” —begründet und die noch Valadierund Caninavertretensollten.

Biondo wieRucellai standenAlberti nahe,demarchitektonischenRatgeber Nikolaus’

V., und Alberti mages auch gewesen sein, der die Aufmerksamkeitdes Papstes aufdie ruinöse Rotundelenkte.Dieser nahm sie erstaunlicherweise statt S. Agnese fuori le mu- raindieReihedersieben Hauptkirchenauf, deren Wiederherstellung in seinemBaupro­

gramm oberste Priorität eingeräumt ist: ,,Ad majora deinde conversus in septem celebratiores et principales, ut ita dixerim, totius Romanae regionis ecclesias animum adjecit. Johannis enim Lateranensis, Mariae Majoris, Stephani Coelimontani,Sancto- rum Apostolorum, Pauli exterioris, et Laurentii extra muros, basilicas partim munivit, partim reparavit, partim ornavit, partim mirum in modum renovavit” (T. MAGNU­

SON, Studies in Quattrocento Architecture, in: Figura 9, 1958, 58, 213,353; vgl. G.

VASARI, Levite de'piü eccellentipittori, scultori ed architetti, ed. G. Milanesi, Flo­ renz 1878, III, 99 ff.).Wenn Nikolaus’ V. Biograph Manetti hier zwischeneinfacher Reparaturundaufwendiger Wiederherstellung unterscheidet und dieRotunde offensicht­ lich zu den ,,mirum in modum" renovierten zählt, dann kaum nur aufgrund ihrer ästhetisch-antiquarischen Qualitäten. Die Bewunderung desHumanisten-Papstes für den antiken Rundbaumuß sichmit seiner Verehrung für den Protomärtyrer Stephanus ge­

troffen haben, wie sie in Angelicos vatikanischen Fresken wenige Jahre zuvor ihrenNie­

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derschlag gefundenhatte. Ja, von vornhereinscheint die besondere Verbundenheit der Ungarn mit Stephanus der Wiederherstellung der Kirche zugute gekommen zu sein:

1450 erwirbt ein „FraterValentinus” in seinerEigenschaft als Rektorvon S. Stefano die der Kirche benachbartenGärten— offenbarder gleiche Valentino Capuzi,Beichtva­

ter vonSt. Peterund General der ungarischen Paoliner, dessenOrden Nikolaus 1454 dann die Betreuung der Kirche übertragen sollte (A. STEINHUBER 1906, I. 146 f.;

F. BANFI, La chiesa di S. Stefano eil monastero dei frati Paolini alMonte Celioin Roma, in: Capitolium28 ,1953,289 ff.; E. GENTILE ORTONA,S. Stefano Rotondo e il restauro del Rossellino. in: Boll. d’Arte67, 1982, 99 ff.).

Zunächst ging es offenbar nur darum, das Dach der Kirche herzustellenund sie damit für dasHeiligeJahr1450 wieder benutzbarzumachen. Jedenfalls müssen dieam 4. Fe­ bruar angewiesenen, abernicht näher spezifizierten500 Dukaten,,exponendos infabbri- ca pro ecclesia Sandl Stefani in Celio Monte” in erster Linie für die Erneuerung sämtlicher Balkendecken bestimmt gewesen sein (Die Dokumente am vollständigsten bei C. R. MACK, Studies in thearchitectural career of Bernardodi Matteo Ghamberelli called Rossellino, PHD thesis ChapelHill/North Carolina 1972, 157 ff.). Damals beließ man Vestibül,ScholaCantorum, Altäre,Fenster und Fußböden offenbar nochim mittel­ alterlichen Zustand und begnügte sich mitder notdürftigen Herstellung der Kirche.

Erst knappe drei Jahre später beauftragte der Papst seinen ArchitektenBernardoRos­

sellino, der Ende 1451 wohl auf Albertis Empfehlung nach Rom gekommen war, mit der Reorganisation des Innenraumes,und dieskaumohne zuvordasProjekt mit Alberti undanderen Experten genau erörtert zu haben. Rossellino erhielt zwischen November 1452 und April 1454 mindestens 1000 D. für den neuen Terrazzo-Fußboden — „pal- mentato” —, die VerputzungderWände, für mehrere Marmoraltäre, Türen und Fen­

sterrahmen; mindestens weitere 236D.kostete die Verglasung der Fenster, 26 D. eine Holztür. Die meisten dieserAusgaben betrafen demnach nicht sosehr die bauliche Er­ neuerung als die Innenausstattung derKirche.

In derTat blieb der mittelalterliche Organismus mit seiner Vorhalle,seiner Eingangs­ achseund seinenvermauerten Arkaden, Türenund Fenstern unangetastet. Er wurde sei­

nen Funktionen gerecht, und jeder Versuch, den antiken Baukörper zu rekonstruieren, hätte unabsehbare Kosten verursacht. Diebaulichen Eingriffe konzentrierten sich vor al­

lem aufdie Eingangszone. Das mittelalterliche Portal, dessen Öffnung bereits etwas kleiner als die der antiken Tür gewesen war, versah Rossellino mit einem neuen Marmorrahmen (Abb. 1 und 6, Fig. 1)und zeichnete den antiken Entlastungsbogen mit einer Blendlünettenach. Dabei scheint er einmaldas in der Renaissance normative Ver­

hältnis von 1:2angestrebtzu haben, zum anderen aber eine Türweite, diesich jenerzwi­

schen dem Vestibül und dem Innenraum annäherte. Den Raumzwischen Vorhalle und Innenraum verwandelte er durch ein Muldengewölbe mit je drei von Marmorkonsolen gestützten Lünetten an den Längswänden und je zwei an den Schmalwänden in den ersten echtenRenaissance-RaumRoms, eine Art Atrium, das zwischen demVestibulum der Vorhalle unddemPeristylium des Inneren vermittelteund keine Parallele im römi­ schen Sakralbau dieser Jahrzehnte kennt (Fig. 2). Die Rückwand dieses Atriums bildet eingrandioses Doppelportal. SeineÖffnungen sind mit etwa 2,10 x4,20m zwar gering­

fügig enger als jene des Eingangsportals, dafür aber genau wie 1:2 proportioniert

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Fig. 2 Rom, S. Stefano Rotondo, Längsschnitt durch das Atrium (nach C. Ceschi),

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Fig. 3 H. Hübsch, Grundrißvon S. Stefano Rotondo

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(Abb.5). Die Marmorplattender drei Portalpfosten ummanteln die Säulenschäfte deran­

tiken Doppelarkade, und die Friesinschrifterinnert den Besucher daran, daßNikolaus V. die Kirche des Protomärtyrers im Jahre 1453 ,,ex integro” hergestellt hat.

Hatte sich aber die mittelalterliche Tür zwischenAtrium und Kirche in der westlichen der beidenArkaden befunden, wie dies schondie entsprechende Position des Eingangs­ portalsnahelegt, dann hätte Rossellinos Doppelportal die Begegnungmit dem Raumin­ neren entscheidend verändert: Durch die beiden weiten Öffnungen gewahrt man die näheren wie dieweiter entfernten Säulen des inneren Säulenringes und der mittelalter­

lichen Stützmauer, die Lichtfülle des Innenzylinders oderdie punktuellen Lichter des Umgangs. VomAtriumaus wirktall dies kaum axial oder symmetrisch geordnet, son­ dern vielmehr als zufälliger Ausschnitt eineseminent dreidimensionalen Organismus, der den Betrachter mit Macht in seine strahlendeMittezieht. Und indem Rossellino die Chorschranken beseitigte, konnteer den Stephanus-Altar ins Zentrum desBaus rücken und damit den liturgischen Schwerpunkterstmals mitdem architektonischen in völlige Deckungbringen.

DieserAltar wurde von der Forschung bisher so wenig ernst genommen, daß ihn kaum einer der zahlreichen Grundrisse überhaupt vermerkt. Lediglich G. Fontana (1838) undH. Hübsch(1862) habeninihrenStichwerken den Grundrißmit dem Altar wiedergegeben (Abb. 7a, Fig. 3). GlücklicherweiseließCeschi ein Fotodes Altars an­

fertigen, bevordiesergegen1958abgetragen wurde. Seither liegen die erhaltenen Frag­

mente weitgehend vergessen in einem Nebenraum der Ostkapelle. All dies vermittelt immerhineine rechtanschaulicheVorstellung von derursprünglichenSituation, Gestalt undAufstellung desRossellino-Altars.

Der Altar warin Marmor gearbeitet, stand auf zweiStufenund schaute nach Nord­ osten, also ingenauumgekehrter Richtung als diemutmaßlichenHochaltäre des 5. und

12. Jahrhunderts orientiert. Sein zweistufiger Sockelragte demgemäß nach Nordosten nur wenig über den eigentlichen Altar hinaus, während diePlattform desPriesters sich mit einer Tiefe von etwa 1,15 nach Südwestenerstreckte. DieseUmorientierung war wohl dieFolge der VerlegungdesChores in dieNordostkapelle; derHochaltar verhielt sichsomit ähnlichzumChor wie in einer gotischenKathedrale. Die mit einem doppelten KarniesprofilierteDeckplatte ruhteaufviermassivenEckpfeilern, die ihrerseits auf ei­

nerähnlich profilierten Sockelplatte standen.Die Stirnseiten traten leicht hinter Pfeiler, Mensa und Sockel zurück. Nur diebeiden Längsseiten waren in Gestalt zentralerPa­

neele noch umeine weitere Schicht bereichert. Die untere Sockelplatte wie die beiden Stirnseiten sind inzwischen verschwunden. Dieser Typus ist eher florentinischen als römischen Ursprungsund mitreicherem Schmuck, dochähnlicher Struktur bereits im romanischen Hochaltar vonS. Miniato al Monte ausgeprägt.

Wenn wir derVedute vonetwa 1520 glauben dürfen, stand auf diesem Hochaltarein vonzwei Statuen, vielleichtder Maria und des Johannes, flankiertes Kruzifix (Abb. 3).

Nach Gaspare Celios (1638) Zeugnis: ,,vihada essere in Altäre una Madonna conil Putto ehe dormein tavola, adolio, di Pierino delVaga”. Diese Bilder wurden jedoch um 1613 von dem gewaltigen Holztabernakel verdrängt, das derschwäbische Bäcker Johann Gentner miteigener Hand vollendet und „aus Liebe und Wohlgeneigtheit zu denAlumnen, seinen Landsleuten” der Kirche gestiftet hatte. DiesesTabernakel büßte

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bei derjüngsten Restaurierung nicht nur seinenangestammten Standort, sondern sogar seine Inschrift ein.

Der ursprüngliche Titulusvon Rossellinos Hochaltar istbislangnichtgesichert. Palla- dioerwähntinseinem Romführer von1554 keine Reliquiendes Stephanus, sondern le­

diglich der Heiligen Primus, Felicianus, Domicilla. Augustinus,Ladislaus ,,e di molti altri”. NachUgonios Historia delle Stationi di Roma von 1588 warder zentrale Hochal­

tar dem Protomärtyrer Stephanus, der nordwestlichedem Franciscus, der südwestliche demHeiligen Kreuz undder südöstliche der MariaundClemensgeweiht.SchonUgonio kanntedienebendenAltären angebrachten Marmortäfelchen, die eine große Anzahl weiterer, vielleicht erstim Laufeder Zeit hinzugekommener Titelheiliger nennen. So waretwa der Hochaltar Gott, Maria, dem Evangelisten Johannes, Andreas, Philippus, Jacobus, Stephanus, Laurentius, Pancratius, Nicolaus, Martinus sowie den Königen Stefanund Ladislaus von Ungarn geweiht. Nicolausunddiebeiden Könige von Ungarn, die in so unmittelbarer Beziehung zur Erneuerung Nikolaus’ V. stehen, mögen schon seit 1453 auf demHochaltar verehrt worden sein.

Diebeiden Altäre im Nordwesten und Südosten des Umgangs stammen gleichfalls von Rossellino, der jafür mehrere Altäre bezahlt worden war, undwiederholen mitihrer einfachen Stufeund bescheideneren Formen die Struktur desHochaltars. Wahrschein­ lich hatte Rossellino auch denAltar des Primus undFelicianusin derNordostkapelle erneuert, die den Paolinern wohl als Chor diente, und einenweiteren Altar in diever­ waiste Südwestnische gestellt. Beide wurden im 18. Jahrhundert ersetzt; dersüdwest­ liche ist ebenfalls der jüngsten Restaurierung zum Opfer gefallen. Demnach hätte der Hochaltar das ausstrahlende Zentrum eines Kreuzes von insgesamt fünf Altären ge­

bildet.

Ceschi konntenachweisen, daß auch die Kapelle des ungarischen Eremiten-Heiligen Paul rechts neben der Ostkapelle schon auf das 15. Jahrhundert zurückgehtund daß Lorenzettis Cappella-Grabmal von 1524 auf einemälteren Renaissance-Fußboden steht (Fig. 4). Den 12 Priestern des Paolinerordens standenalso mindestens 6Altäre zur Ver­

fügung.Und dadiebeidenNebenräume der Nordostkapelle erstvonGregorXIII.abge­

trennt wurden, ergibt sich für den Bau des 15. Jahrhunderts eine weitgehend symmetrische Ostpartie: Die zentraleKapelle des Primus und Felicianus wirdlinks vom Atriumund rechts von deranalog gebildeten Kapelle desPaulus Eremitaflankiert. Der Sakristeischrank Nikolaus’ V. und das Sakramentstabernakel von 1510 waren in die WändederKapelle des Primus undFelicianus eingelassen; eineeigene Sakristeigab es damals nochnicht.

Nun wird die Kapelledes Primus und Felicianus inihrer ursprünglichen, der antiken Nordostkapelle entsprechenden BreitevondreiBiforienfensternderFrührenaissancebe­

lichtet(Fig.5). Sie ersetzen drei kleinere antike Fenster,gehen aber kaum aufRosselli­ no zurück. Unter Nikolaus V. werden neben denacht „finestre grande” des Innen­ zylindersund den 36 „ochi piccoli” des Umgangs ,,2 ochi grande e 2 finestre picole”

bezahlt. Da die beiden kleinen Rechteckfenster der Sakristei wohl erst unter Gregor XIII. eingebrochen wurden, muß essichbei diesen vier Fenstern um die Vorgänger der heutigen Lichtquellen derbeiden Kapellen handeln. Rossellino behielt aberoffenbar die beiden großen Rundfenster und daszentrale Kreuzfenster derKapelle des Primus und

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Fig. 4 Rom, S. StefanoRotondo, Rekonstruktion des Zustandes nach Rossellinos Umbau (Zeich­

nung B. Schindler),a. Vorhalle, b. Atrium, c. Nordostkapelle, d. Kapelle St. Paul, e. Kreuzgang, f. Refektorium (?)

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Fig. 5 Rom, S. Stefano Rotondo, Aufriß der Außenwand der Nordostkapelle (nach C. Ceschi)

Felicianus bei und belichtete dieKapelle des EremitenPaulus durchzwei kleine, im Ba­

rockveränderte Fenster in deren Südwand. Die dreiunregelmäßig in der Wandflächß verteilten Biforienfenster der Kapelle des Primus undFelicianuswärendemnacherst un­ terPius II. oder Innozenz VIII. hinzugekommen, für derenPontifikatein der Tat weitere Arbeiten bezeugtsind. Reste der farbigenVerglasung Nikolaus’V. haben sich lediglich im Obergaden des Innenzylinders erhalten; das Kreuzfenster der Nordostkapelle mag 1453 noch seine ältereVerglasungbehalten haben.

Zu den architektonisch überzeugendsten Baumaßnahmen der Renaissancegehörtder kleine Kreuzgang westlich des Atriums (Fig. 6). Er ist durchdie Wappen des Brunnens undeinenVertrag vom 13.7.1517insPontifikatLeosX. datiert(R. LANCIANI, Storia degliscavi di Roma, Roma 1902, I., 181 f.; CESCHI 1982, 147 ff.). Im Vertragerteilt der Prior von S.Stefano,Gregor von Gyongyös, demBaumeisterBernardinode Boschi- no da Binaco den Auftrag, einen „corritore over deambulatorio dalato al monistero verso lorto grande” zu errichten. Dabei ist von Fundamenten, Mauern, Gewölben, Türen, Fensternund EisenankerndieRede; die Säulen für die Arkadenwerden vom Priorgestellt; vorhandeneMauern für die Fenster, Türen undeinigeBögen sollen durch­

brochenwerden, ,,dove handarandocertiarchi, portj et finestre”. Von der Zerstörung antiken Bestandes ist allerdings nirgends die Rede (vgl. LANCIANI 1902, loc. cit.;

CESCHI 1982,loc.cit.). Außerdemist ein Dach zu den benachbarten Latrinen erwähnt;

deraus derPetersbauhütte bekannte Steinmetz Menicantonio de Chiarelli verpflichtet sich, die Türen sowiegroße und kleine Fenster ähnlich jenen des Refektoriums anzufer­

tigen (ASR, Coll.Not. Cap.,vol.643, f. 135 vs., 150 vs.) — ein Hinweis darauf, daß man kurz zuvoran den benachbarten Baulichkeiten gearbeitet hatte.

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Fig. 6 Rom, S. StefanoRotondo, Kreuzgang (nach C. Ceschi)

All dies trifft auf den kleinen Kreuzgang zu, der virtuos zwischen die mittelalterliche Außenmauer und Rossellinos Vestibül eingeschmiegtist und dessen Arkaden tatsächlich indie nördlicheVestibülwand eingeschnitten wurden.Die konvexeKirchenwandwurde durch fingierte Säulenarkaden in das System mit einbezogen, wie auch Archivolten, Zwickeltondi mit denBüstenmännlicher Heiligerund das Gebälkdes gesamten Kreuz­

gangs lediglich in Terretta-Malerei vorgetäuscht sind. Der kunstvolle Brunnen erinnert unmittelbaranjenen im Kreuzgang vonS. Pietro inVincoli, der etwa gleichzeitig voll­ endetwurde,das Detail der Pfeiler an Raffaels PalazzoJacopoda Brescia von 1515,und so handelt es sichum ein ebenso originelles wiebislang unbeachtetes Stück römischer Hochrenaissance-Architektur. Die altertümlichen Säulenarkaden und das Detail sind allerdings kaum einem der führendenMeister jenerJahre zuzutrauen, sondern allenfalls einem ihrer selbständigen Mitarbeiter.

Obwohl Rossellino also eng anden vorhandenen Baubestandgebunden war, mußdoch seine Erneuerung vonS. Stefano ungleich balancierterund übersichtlicher gewirkt ha­

ben, als dies seit den Veränderungen der Folgezeit vor allemim Bereichder beidenöst­ lichen Kapellen der Fallist. Rossellinosbedeutendster Beitrag war aberzweifellos die Verlagerung des Hochaltars ins Zentrum der Rotunde, und diesen schwerwiegenden

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Schritt hatte er kaum ohne Zustimmung Nikolaus’ V. und der päpstlichen Ratgeber unternommen. Ja, von ihnen magsogar derentscheidende Anstoß ausgegangen sein.

Der bedeutendste von ihnen, Alberti, geht in seiner Schrift De re aedificatoria, die erwohl im Jahre 1452 dem Papste überreichte, eigenartigerweise weder auf S. Stefano Rotondo noch auf S. Teodoroein. Allerdings gibt er deutlich zu verstehen, daß er in der Rotunde die natürlichste und vollkommenste architektonische Form erblickte:

„Rotundis naturam inprimis delectari” (f. 114 v.). DerAltar habe ,,pro tribunali”zu stehen (f. 129 r.), undsechs oder achtsolcher tribunaliaseien an die Peripherie eines Rundbaus anzubauen: ,.Rotundis percommode adiicientur VIaut eadem VIII tribunalia'’ (f. 115 v.). Mit diesentribunalia meinte Alberti zweifellos Anräume wie die mutmaß­

licheAltarkapelleoderdie Nordostkapelle des Urbaus vonS. Stefano;für einenzentra­

len Altar fehlten ihm offenbar geeignete Prototypen (S. SINDING-LARSEN, Some functional and iconographical aspects of the centralized churchin theItalian Renaissan­

ce, in: Acta adArchaeologiam etArtiumHistoriam Pertinentia2, 1965, 203 ff.).

Erst eine Generation später tritt Francesco di Giorgio ausdrücklich für die zentrale Stellung des Altares in einemZentralbauein und gibt dafürauch eine weit über das For­

male hinausreichende Begründung: Der Rundbau sei dievollkommenste architektoni­

scheFormund der Altar sein gegebener Mittelpunkt — wie Gott das ZentrumderNatur.

Und so wie sich Christus stetsinmittenderer befinde, diesich in seinem Namen versam­ melten, so gebühre auchdem Sakrament eine Aufstellung in der Mitte der Gläubigen.

Wenn sich Francescodabei auf die Antike beruft, die ihreAltärebereits imZentrum ihrer Rundbauten aufgestellt habe, so gewißinErinnerung an die zentralenAltäre anti­ ker Grab-Rotunden.

Francesco war sich im übrigen bereits der liturgischen Problematik des zentralen Altars voll bewußt. Und diese Diskussion solltesich dann bis weit ins 16.Jahrhundert hineinziehen— amausgesprochensten bei Serlio, der zu den wenigen gehörte, die Zen­

tralbautenmit zentralem Altarweiterhin propagierten. Bezeichnenderweise steht jedoch in keinem einzigen neu errichteten ZentralbauderRenaissance der Altar imMittelpunkt und rechnen selbst die Zentralbauentwürfe Bramantes und Giulianoda Sangallos für St. Peter miteinemexzentrischenAltar(SINDING-LARSEN 1965). DieKünstlerwa­

ren dem Klerusim Kampf umdieideale Form unterlegen, und nur in S. Stefanohatte ihnen ein humanistischer Papst zu einem frühen Sieg verhelfen.

Francescos Überlegungen entstanden in einem intellektuellen Klima, das noch ent­

scheidend vom GeisteAlbertis geprägt war.Undsomögendenn auch seine Skizzen auf U 330A, dievoneinerungleich kritischeren Einsichtin dieStruktur des antikenBaus zeugen als die späteren Studien Giuliano da Sangallos und Bramantinos, ihre Vor­

geschichte haben (CESCHI 1982, fig. 181 ff.; Abb. 8). Allerdings war Francesco über Rossellinos Arbeiten falsch unterrichtet, wenn er seine Rekonstruktionim Cod.

Saluzziano,F. 84, kaustisch kommentiert: „hedifitio ruinatole cholonne et circulatione de le volte di fore el quäl fu ornatissimo, Rafationallopapa Nichola ma moltopiülo guastodicesiSanctoStefano Rotondo”. OffenbarwarFrancescodernochheute verbrei­ teten Meinung, erst Rossellinohabe denäußeren Säulenkranz geschlossen.

Wahrheitsgemäß umfaßt auf FrancescosGrundriß derinnere Säulenkranz 22und der äußere 44 Säulen. ImäußerenRing sind vor allem die fünf Arkaden in derLängsachse

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mit ihrendickeren Säulen hervorgehoben und beiderseitsals „entrata” markiert; auch am unteren Rand scheint ein Eingang angedeutet. Francescovertratdemnach die Auffas­ sung, dieNordost- und die Südwestkapelle hätten ursprünglich als Eingangshallen ge­ dient, wie dies noch 1886 G.B. De Rossi für die Nordostkapellevermutete. Damit gibt Francescoaber indirektzu verstehen, daß der Altarnur im Zentrum derRotunde stehen konnte. In der zugehörigen Ansichtdeutet er, vielleicht aufgrund der Gewölbeansätze in den Nebensektoren, Tonnengewölbe im Umgang wie inden Eingangshallen an und denktauch fürden Innenzylinder an einenobilitierende Kuppel, wie siedannauf seiner sehrviel freieren RekonstruktionimCod. Sallustiano tatsächlichauftaucht.

Giuliano da Sangallo folgt lediglich im inneren Säulenkranz und im Doppelportaldem Baubestand und rekonstruiert eine massiveAußenschale mit Nischenundvorgestellten Säulen sowie eine von S. Costanza inspirierte Vorhalle; Bramantinoschlägt über dem Innenzylinder eineKuppel mit großer Laterne vor und öffnet den Außenring in vier Por­

talen.Wenn er einen quadratischen Altarblock im Zentrum mitder Beischrift „questo era ilsacrificio”versieht, dannfolgter wie in vielenanderenseiner Antikenzeichnun­

gen wiederum dem Vorbild derantiken Grabbauten.

Erstder archäologischen Akribie desRaffaelkreises gelang es,denBauwirklich zu erfassen.Ein früherfälschlich mit Cronaca identifizierter Meister zeichnete gegen 1520 eine bis in Lichter und Schatten getreue Innenansicht,wenn er auch denRaum nur durch gewaltsameÜberdehnung des Blickwinkels aufs Blatt zu zwingen vermochte. Esist die einzige zuverlässige Darstellung des Innenraumes aus der Renaissance überhaupt (Abb. 3). (A. BARTOLI, Imonumentiantichi di Romanei disegni degli Uffizi di Firen­ ze.Rom 1914—22. I, fig.31;z. Datierungs.A. NESSELRATH, in: Raffaello inVati- cano, Rom 1984, 98).

Wohl gleichzeitig unternahm der Meister auf U 2059 A eine Rekonstruktion des Grundrisses(Abb. 9; BARTOLI, IV, fig.616). Sie verhält sich insofern komplementär zur Innenansicht, als sie nurGrundmaße, jene aber diezugehörigen Aufrißmaße ver­ merkt undlediglich in derSchaftbreite desinneren Säulenkranzes geringfügig differiert.

Die Struktur desantiken Bausmit Innenzylinder, Umgang,alternierenden Sektoren und selbst dem Gewölbeansatzder Nebensektoren hat errichtigverstanden, dabei allerdings sechs der acht Türen unterschlagen und lediglich die Säulen der Nordostkapelle eindeu­

tig dickergezeichnet. Daer auch deren Apside als„vano della chapella” identifizierte, sah er in ihr die ursprüngliche Altarkapelle. Sein archäologisches Gewissen reichte so weit, daß er nicht einmal der Versuchung eines axialen Portals oder eines zentralen Altars erlag wie seine weniger aufgeklärtenVorgänger.

Beide Zeichnungen könnten entweder 1517 entstanden sein, als man am Kreuzgang arbeitete, oder gegen 1524, als Lorenzetti imAuftrag des bauerfahrenen Mario Maffei unddes Humanisten JacopoSadoleto das Grabmal für Bernardo Cappella entwarf. Der gelegentlich Palladiozugeschriebene Grundriß eines Anonymus im RIBA (London) ba­

siert zweifellos aufU2059 A, eliminiert allerdings dieApsis undschlägt dievier Türen inden beidenHauptachsen vor, wie dies auchP.Ligorioin seinem flüchtigen Grundriß­ schema tut (CESCHI 1982, fig.91, 185). Bezeichnenderweisehaben erstarchäologisch versiertere Architekten des 19. Jahrhunderts wie Canina undValadier oder Hübsch die Rekonstruktion des Raffael-Kreises überholt, während noch Seroux d’Agincourt den

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Kreuzgang von 1517 alsTeil der antikenNebensektoreninterpretieren konnte(CESCHI 1982, fig. 92 ff.).

Wie der Zeichner von1520, so sahen dieMehrzahl derInteressierten seitder Renais­ sance S. Stefano aus zweierlei Blickwinkel: einmal als inJahrhunderten gewachsene Kirche, die ihrenFunktionen schlecht und recht genügte;und dannals fragmentarisches Monument desgoldenen Zeitalters. Und dasgleiche Dilemma charakterisiert eigenarti­

gerweisenoch die gegenwärtigen Auseinandersetzungenumden Bau.

Nachdem Schäden am Dache zur Schließung der Kirche geführt hatten,nutzte derzu­

ständigeDenkmalpflegerCarlo Ceschi seit 1958 dieGelegenheit zu Grabungen im Inne­ ren der Kirche. Undda es zunächst um die Lokalisierung desantiken Altars ging,den E.Kirschbaumim Zentrum vermutete,ließ CeschiRossellinos Altar mitdem Holztaber­ nakel abtragen. Zwarkonnte er den Altar wederim Zentrum noch anandererStelle ent­

decken, dafür aber Reste der Schola Cantorum, einer antiken Kaserne, eines zuge­

hörigen Mithraeums sowiedes antikenFußbodens. Dengleichen Grabungen fielen nicht nur derspätbarockeAltar der Südwestnische und der Altar der Pauls-Kapelle aus dem vergangenen Jahrhundertzum Opfer, sondern auch Rossellinos Terrazzo-Fußboden.

Dieser wurde durch ein von Holzplanken überdecktes Gerüst von Stahlträgernersetzt, das die geradefreigelegtenSäulenbasen wiederzu einem guten Teileverdeckte und in­ zwischen derart von Rost und Pilz befallen ist, daß andere Teiledes Baus inMitleiden­

schaft gezogen wurden.

Ceschi starb, bevor die Arbeiten abgeschlossen werden konnten, und so ist auch nicht deutlich, ob er die Altäre wieder aufstellen wollte. In seinemBericht von 1964 erwähnt ersie mitkeinem Wort (AttidelIICongresso Intern, d. Restauro, Padua 1972,523 ff.), und bis zum Dezember 1986blieben sie aus allen Restaurierungsprogrammen ausge­

klammert.

Schon bald nach Beginn der Grabungen entstand im deutschen Freundeskreis von S.Stefano Rotondo die Ideeeiner Wiederherstellungdes Urbaus, der allerdings den Er­

fordernissen einer modernen Kirche angepaßtwerden sollte (Arte Cristiana53, 1965, 289 ff.;Fig. 7). Hättemanauch die östlichen Einbauten des Mittelalters undderRenais­

sance weitgehend respektiert, so wollte man doch dieArkaden des äußerenSäulenkran­

zes mit den Fresken Pomarancioswieder öffnen undin der westlichen Hälfte sogardie Sektoren derdritten Raumschicht partiell reaktivieren. DerUmgang sowie zweiwest­

liche Sektorensollten konzentrische Bankreihen aufnehmen, die Südwestkapelle in eine neueEingangshallemit modernem Vorplatz und der Innenzylinderin ein neues liturgi­ sches Zentrum verwandelt werden. Obwohl dieses Projektsofort auf heftigsten Wider­ stand stieß (Italia Nostra 10, 1966, p. 49, 15 ff.), ist es doch bis in jüngste Zeit propagiert worden (s. Süddeutsche Zeitung vom 10./11. 1. 87 undmeineAntwortvom 12. 2. 1987). Diese „große Lösung” hätte wertvollenhistorischen Bestand vor allem des 12., 15. und 16. Jahrhundertszerstört oder verändert, ohne doch den antiken Urbau materiell oder visuell herzustellen; sie hätte letztlicheinermodernen InszenierungPrio­

rität eingeräumt, wie siebeieinem Baudieser Bedeutung keinesfalls zu akzeptieren ist.

Glücklicherweisehaben sich das römische Denkmalamtund das Collegium Germanicum et Hungaricum längst gegen dieses Projekt entschieden.

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Fig. 7 Projekt Freundeskreis

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Inzwischen geht es nur nochum die Erneuerung desliturgischen Zentrums, und es besteht dieHoffnung, daß auch RossellinosAltar bald an seinen angestammten Platz zu­

rückkehrt. DaheutekeinChor mehr besteht, nun aber dieMesse amHochaltar konzele- briertwerden soll,wäreeineVerbreiterungdesStufensockels an seinendrei bisherigen Nebenseitenfunktionell gerechtfertigt. Der Altar würde damit seine einseitige Ausrich­

tung nach Nordosten verlieren und in seiner Aufstellung gerade den jüngsten liturgi­

schen Bestrebungen entsprechen— ganz imGegensatzzu all den in den Chor gerückten Altären,wiesie der Klerus der Renaissance unddes Barock gefordert hatte. Bedrohliche FeuchtigkeithatzurAnlage eines Lüftungsgrabensumdieheutige Außenmauer geführt, der einen Teilder antikenFundamente verletztunddamitweitere archäologischeUnter­ suchungen beeinträchtigt, ja vielleicht sogar Schäden desMauerwerkes nach sich gezo­

genhat. Den archäologischen Untersuchungen ähnlich abträglich erweistsich die Er­

neuerung des Daches.

So befindet sich die Kirche heutein einem beklagenswerterenZustand denn je, nun aber nichtso sehr infolge von Verfall oder Zerstörung als infolgederdivergierenden Tendenzen derbeteiligten Kräfte. Während es der Geistlichkeit, nichtandersals schon im 12. oder im 15. Jahrhundert, in erster Linie um die Schaffung eines funktionellen und zeitgemäßenOrganismus geht,bemühen sich die Archäologen um dieErforschung des Urbaus, die Mediävisten um denmittelalterlichenund die Historiker der neueren Kunstgeschichte um den Zustand seit dem 15. Jahrhundert. Die Technikerunter den Denkmalpflegernschützen denBauohne Rücksicht auf die Archäologen, nachdem die Archäologenunter den Denkmalpflegernseinen Bestand gefährdetund wertvolle Aus­

stattungsstücke ihrer wissenschaftlichen Neugier geopferthaben. Und all dies geschieht nachdemdarwinistischen Prinzip des jeweils Stärkeren, ohne daß sich die Beteiligten jemals um einenTischversammelthätten. NurmitgemeinsamerAnstrengung wirdes aber möglich sein, eine lange Reihe nochoffener Fragen zu klären, die für die künftige Gestalt und für das Überleben der Kircheentscheidendsind: Wie soll derkünftige Fuß­

bodenaussehen? WelcheMaßnahmenbieten sich für die Stabilisierung des so gefährde­ ten Baukörpers und für die Erhaltung der Fresken Gregors XIII. an? Und läßt sich Ceschis Plan, alle 22 Fenster des Obergadens wieder zu öffnen,tatsächlich vertreten?

Für keine dieser Fragen gibt es Patentrezepte, wie überhaupt die Herstellung von S.Stefano Rotondo nur aus einer genauenKenntnis derbesonderen Situationund imbe­

hutsamen Umgang mitdem gewachsenen Bestand unternommen werdendarf.Vorallem abersollten sichdie Kunsthistoriker stetsderVerantwortung bewußtsein,daß sie nicht nur Interpretensind, sondern gelegentlich auch dafür zu kämpfen haben,daß die großen Monumente der Geschichte vor den „vitalen Interessen” dereigenen Zeit und der eige­

nen Disziplin verschont bleiben. , , .

Christoph Luitpold Frommei Für vielfache Hilfe bei der Verfassungdieses Textes bin ich den Kollegen B.Andreae, E. Bentivoglio, C. Jobst, D. Mertens, A. Nesselrath, F. Rakop, G. Ruggieri, H.Saal- man, B. Schindler, S. Storz, S. Valtieri undG. Zanderzu herzlichem Dankverpflichtet.

Dank schulde ich aber vor allem RichardKrautheimer, der mirwie so vielen anderen erstmals die Augen fürdie baulichen Wunder von S. Stefano geöffnet hat.

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Ab b. 1 Ro m, S. St ef an o Ro to nd o, Re ko ns tr uk ti on (n ac h

1.

Gi sm on di )

(20)

Ab b. 2 Ro m, S. St ef an o Ro to nd o, In ne na ns ic ht vo n No rd os te n na ch S üd we st ei

(21)
(22)

Ab b. 4 Ro m, S. St ef an o Ro to nd o, In ne na ns ic ht mi t de n Ar ka de n de r Sü dw es tk ap el le

(23)

Ab b. 5 Ro m, S. St ef an o Ro to nd o, Do pp el po rt al vo m At ri um zu m Um ga ng

(24)
(25)

Abb. 7a Rom, S. Stefano Rotondo, Rosselimos Hochaltar

(26)

Abb. 8 Francesco di Giorgio, Rekonstruktionsvorschläge für S. Stefano Rotondo(Florenz, Uffizien, Gab.d. Disegni, U 330 A,

(27)

Sr' M' -4' 1

Abb. 9 Italienischer Zeichner um 1520, Grundrißrekonstruktionen (Florenz, Uffizien, Gab. d.

Disegni, U 2059A r)

Referenzen

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