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Archiv "Qualitätssicherung: Streiten lohnt sich" (11.02.2000)

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einen Anhaltspunkt, der auch hier Ef- fizienzsteigerungen bestätigt. Im drit- ten Quartal 1998 hat die Zahl der Krankenhauseinweisungen gegenüber dem dritten Quartal 1997 um rund zehn Prozent abgenommen. Dies ist eine Tendenz, die mit der allgemeinen Ent- wicklung im Bundesgebiet kontra- stiert. Bundesweit ist die Kranken- hauseinweisungshäufigkeit in den letzten Jahren wieder stärker gestie- gen. Andererseits muss beachtet wer- den, dass sich die stationäre Behand- lung und die Pharmakotherapie ge- genseitig beeinflussen. Verkürzungen der Liegedauer können zu einer zu- sätzlichen Belastung der Pharmako- therapie führen. Diese finanziellen Wechselwirkungen müssen noch un- tersucht werden.

❃Die Kassenärztliche Vereini- gung Hessen hebt hervor: Die Instal- lation von Netzstrukturen und Qua- litätsverbesserungen dürfen nicht allein unter Kostenspareffekten ge- sehen werden. Vielfach sind integrie- rende Versorgungsstrukturen, die die Praxisnetze bewirken, auch mit höheren Ausgaben der Kranken- kassen verbunden. Entsprechend sollten die Qualitätsverbesserung und der Verbrauch finanzieller Res- sourcen sowie die Einspareffekte ge- trennt bewertet werden, so der Kom- mentar von Dr. med. Hans-Friedrich Spies, Internist aus Frankfurt/Main, stellvertretender Vorsitzender der KV Hessen.

❃Die Krankenhauseinweisungen sind bei einer retrospektiven Über- prüfung durch eine ärztliche Zweit- meinung zu 98,2 Prozent notwendig gewesen. Nur 1,8 Prozent der Einwei- sungen wurden retrospektiv als „ver- meidbar“ bewertet.

❃Die KV Hessen legt Wert dar- auf, am Netzvertrag im Ried beteiligt zu sein. Die Kassenärztliche Vereini- gung müsse den Sicherstellungsauf- trag auch im Hinblick auf die Netzärzte zu hundert Prozent über- nehmen. Ein Praxisnetz dürfe nicht dazu eingespannt werden, um Ein- kaufsmodelle durchzusetzen und ei- nen ruinösen Preiskampf mit den Lei- stungserbringern zu entfachen. Praxis- netze dürften nicht als eine Art Mini- KV außerhalb der bisherigen vertrag- lichen Rahmenbedingungen betrie- ben werden. Dr. Harald Clade

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P O L I T I K AKTUELL/KOMMENTAR

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 6, 11. Februar 2000

ie Diskussion über Qualitäts- management in der Gesund- heitsversorgung bietet die Perspektive, eine Reform des Gesundheitswesens gezielt und ob- jektivierbar an der Qualität zu orientieren. Der

„Wettbewerb durch Qualität“

kann einen öko- nomisch orien- tierten Wettbe- werb um niedri- ge Kosten oder gesunde Bei- tragszahler über- flüssig machen.

Qualität in der Gesundheitsver- sorgung heißt primär, den Nut- zen für kran- ke Menschen zu optimieren. Das

Thema hat damit eine wichtige ethi- sche Dimension. Allerdings ist die Frage, was gute Qualität in der Me- dizin ist, nicht einfach zu beantwor- ten. Die Ungenauigkeit des Begriffs führt zur Verwirrung und zum Miss- brauch. Grundlegende Aspekte sind zum besseren Verständnis des The- mas zu beachten.

Flankierende Maßnahmen

Lange Jahre nach der Einfüh- rung erster flächendeckender Qua- litätssicherungsverfahren, beispiels- weise bei der Peri- und Neonatologie oder den Tracediagnosen in der Chirurgie, wurde auf der politi- schen Ebene Qualitätsmanagement zu einem Thema mit der Ein- führung neuer mehr leistungsbezo- gener Entgeltformen im Kranken- haus. Fallpauschalen führten in den USA zu einer Verschlechterung der Qualität der Patientenversorgung.

Kürzere Liegezeiten führten dazu, dass Patienten schneller und kränker aus dem Krankenhaus entlassen wur- den. Diesem Umstand sollte durch die gleichzeitige Einführung flächen- deckender Qualitätssicherungsmaß- nahmen entgegengewirkt werden.

Diese Maßnahmen litten selbst un- ter qualitativen Mängeln und Defi-

ziten bei der Umsetzung und wur- den nicht realisiert.

Unabhängig davon geriet das Gesundheitswesen unter Druck. Spar- zwänge führen zur schleichenden Qualitätsverschlechterung, beispiels- weise durch Per- sonalabbau in Krankenhäusern, durch das Un- terlaufen gesetz- licher Mindest- standards in Fra- gen der Arbeits- sicherheit (Ar- beitszeitgesetz) oder durch Bud- getierung der Arznei- und Heil- mittelversorgung mit der Gefahr der Unterversor- gung. Aus dem Dilemma, durch finanziellen Druck, also durch exter- nen Druck, selbst für schlechte Qua- lität verantwortlich gemacht zu wer- den, intensivierten vor allem die Ärz- tekammern die Beschäftigung mit diesem Thema.

Ein Sonderfortbildungsgang

„Qualitätsmanagement im Gesund- heitswesen“ wurde beschlossen. Von verschiedenen Landesärztekammern wurden mehrere Hundert Ärztinnen und Ärzte in kurzer Zeit und mit großer Begeisterung mit einer für sie neuen Thematik vertraut gemacht. In enger Zusammenarbeit der Bundes- ärztekammer mit dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V., der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Pflegeverband wurde ein Zertifizierungsprojekt von Kranken- häusern aufgelegt, das vor allem die Ergebnisqualität evaluiert und damit zu einem qualitätsorientierten Wett- bewerb beitragen wird.

Drei Probleme

Es sind jedoch drei Schwierigkei- ten zu beachten: Die erste ist der Missbrauch der Qualitätsdiskussion.

Kostenträger verstehen darunter den Weg, vor allem Kosten zu sparen und vermeintliche Überversorgung abzu- bauen. Dahinter verbirgt sich eben- falls ein Machtkampf zwischen Ärz-

Qualitätssicherung

Streiten lohnt sich

Den therapeutischen Nutzen optimieren

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teverbänden, Krankenkassen, Kran- kenhausträgern, Parteien und Pa- tientenverbänden. Nicht selten wer- den angebliche Qualitätsmängel da- zu missbraucht, Einflüsse bestimmter Gruppierungen zu mindern und eige- ne zu stärken.

Qualität als

Wettbewerbsfaktor

Auf dem Markt der Qualitäts- sicherung tummeln sich zahlreiche Anbieter unterschiedlicher Verfah- ren zur Qualitätssicherung, deren Anwendbarkeit im Gesundheitswe- sen noch nicht erprobt worden ist.

Eine Zertifizierung suggeriert dem unbefangenen Kunden eine ver- meintlich höhere Sicherheit oder bessere Behandlung. Qualitätssi- cherung als Wettbewerbsfaktor dege- neriert zur Alibiveranstaltung. Maß- nahmen der Qualitätssicherung sind pflegesatzfähig. Dies schlägt sich in Verhandlungen nicht nieder. Vor die Wahl gestellt, Kosten zu sen- ken oder die Qualität zu erhöhen, entscheiden sich Kostenträger zu- meist für Ersteres. Nicht Qualität wird bezahlt, sondern das Zählbare wie „Leistungsmengen“, Operatio- nen oder Fälle, unabhängig da- von, wie diese Leistungen erbracht werden. Dies ist der ökonomische Missbrauch.

Die Diskussion über Qualität führt zur Diskussion über Qualitäts- mängel. Diese werden von den Medi- en bevorzugt öffentlich geführt, auch bei für den Arzt günstigem Ausgang nicht selten mit existenzvernich- tenden Folgen. Dies ist der psycholo- gische Missbrauch. Alle diese Störfak- toren sind nicht dazu geeignet, die Diskussion um Qualität zu versachli- chen oder zu einem guten Ergebnis zu führen.

Die zweite Schwierigkeit liegt in der Grundfrage, was Qualität in der Gesundheitsversorgung bedeutet. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel das Gesundheitswesen betrachtet wird, ist die „gute Medizin“ die Ver- minderung von Mortalitäts- und Morbiditätsraten, das Einhalten me- dizinischer Standards und Leitli- nien, die freundliche Zuwendung des engagierten Arztes oder die Sen-

kung von Kosten. Zu identischen Maßnahmen in der Medizin können konträre Standpunkte darüber be- stehen, ob diese notwendig sind oder nicht, ob es sich um gute oder schlechte Qualität handelt. Niemand wird leugnen, dass es so etwas wie

„gute Medizin“ gibt, die alle Fak- toren weitgehend vereinigt. Jedem Arzt, jedem Insider ist diese Tatsache vertraut. Sie nachvollziehbar zu ma- chen und zu vermitteln ist schwierig, aber machbar. Eindeutige, messbare Parameter sind weltweit nicht be- kannt. Qualität in der Gesundheits- versorgung kann man nicht messen, aber ermessen.

Die dritte Schwierigkeit ist in der Psychologie der Arzt-Patienten- Beziehung und in den Erwartungen der Gesellschaft begründet. Der Pati- ent in Not ist abhängig, der Arzt ist in einer außerordentlichen Position ge- genüber dem ihm anvertrauten Kran- ken. Der Patient erwartet vom Arzt, dass er handelt. Er erwartet eine opti- male Behandlung, bei der der Arzt im Zweifelsfalle nichts unversucht lässt.

Der Wunsch nach dem Therapieer- folg verdrängt den Gedanken an Misserfolg. Der gleiche Mechanismus wird beim Arzt in Gang gesetzt. Er ist aufgefordert, verantwortungsbewusst zu handeln. Er tut dies im Bestreben, Erfolg zu haben und nicht Misserfolg.

Die gleiche Erwartung geht von der Gesellschaft aus. Auch sie erwartet vom Gesundheitswesen eine mög- lichst optimale Versorgung und be- grüßt medizinisch-wissenschaftliche Fortschritte. Je stärker diese Erwar- tung ausgeprägt ist, umso größer ist die Gefahr des Übertreibens.

Heldentum und Autismus

Der Wunsch nach Handlung för- dert Überversorgung, aus der Über- versorgung entstehen iatrogene Schä- den. Der eigene Anspruch an best- mögliche Therapien fördert blindes Heldentum und Autismus. Die Gren- ze zwischen einer schicksalhaften Komplikation und einem vermeidba- ren Fehler wird psychologisch gesetzt und nicht sachlich. Besondere Privile- gien verstärken diesen verhängnis- vollen Mechanismus. Qualitätsma-

nagement in der Gesundheitsversor- gung ist damit weniger eine Frage neuer Techniken und Kenntnisse, sondern mehr die der Kommunikati- on und einer grundlegenden Neuori- entierung der Partner im Gesund- heitswesen.

Die Erkenntnis gemeinsamer Verantwortung für kranke Menschen, unmittelbar bei Arzt und Heilberu- fen, mittelbar bei Krankenkassen, Po- litik und Trägern von Gesundheitsein- richtungen, ist die Basis für ein erfolg- reiches Qualitätsmanagement. Die Berücksichtigung der psychologi- schen Mechanismen der Beziehung zwischen Arzt, Patient und Gesell- schaft ist Voraussetzung für eine er- folgreiche Umsetzung.

Voraussetzungen für Erfolg und Qualität

Erfolgreiche Gesundheitspolitik besteht weniger im Verteilen von Macht, sondern im Setzen gemeinsa- mer Ziele und Herstellen des Kon- senses. Aus der Wirtschaft, also Be- reichen, in denen Qualität objektiv messbar ist, ist bekannt, dass wei- che Faktoren ausschlaggebend für gute Qualität sind. Die Unterneh- menskultur und die Führung eines Unternehmens entscheiden über die Qualität eines Produktes oder ei- ner Dienstleistung. Ein gemeinsam getragenes Unternehmensziel, Ge- rechtigkeit im Umgang miteinan- der, die Einbeziehung der Mitar- beiter, humane Arbeitsbedingungen und Perspektiven für alle sind we- sentliche Faktoren für Erfolg und Qualität.

Es gibt keinen Grund anzuneh- men, dass in einem Fach mit eher wei- chen Erfolgsparametern – wie dem der Medizin – das Gleiche nicht gilt.

Qualitätsmanagement in der Ge- sundheitsversorgung heißt, aus einem autoritär gesteuerten ein lernendes System zu machen, das sich daran ori- entiert, wovon der Patient einen kon- kreten Nutzen hat. Dies ist ein grund- legender Systemwandel. Er ist not- wendig, machbar und aus ethischen Gründen unerlässlich.

Dr. med. Günther Jonitz,

Präsident der Ärztekammer Berlin

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P O L I T I K KOMMENTAR

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 6, 11. Februar 2000

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