A-1217
Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 19, 10. Mai 1996 (1)
Krankenkassenwahl
Zwangsabschiebung
eute hier, morgen dort, bin kaum da, muß ich fort . . .“ – In dieses Lied können wohl demnächst die So- zialhilfeempfänger einstimmen, wenn die Idee des Sozialamtes der Stadt Bremerhaven Schule macht.
Dort haben die Verantwortlichen den „pfiffigen“ Plan ausgeheckt, ihren 1 550 Sozialhilfebeziehern den Wechsel in eine günstigere Krankenkasse ans Herz zu legen.
Sie sollen die Allgemeine Orts- krankenkasse verlassen und der Techniker Krankenkasse beitre- ten. Das Sozialamt, das die Kas- senbeiträge zahlen muß, hat aus- gerechnet, daß dabei die erkleckli- che Summe von rund 280 000 DM in der Stadtkasse verbleiben kann.
Um seine Klientel für einen Wech- sel ausreichend zu „motivieren“, hat das Sozialamt den Sozialhilfe- empfängern angedroht, daß sie an- dernfalls die Beitragsdifferenz aus eigener Tasche zu zahlen haben.
Da nicht sicher ist, ob die angepeil-
te Ausgleichszahlung Rechtens ist, hat man inzwischen von diesem Vorhaben Abstand genommen.
Man beläßt es bei der schlichten Empfehlung zu wechseln.
Anscheinend haben aber die Bremerhavener Sparer wenig dar- über nachgedacht, welche Konse- quenzen es hat, wenn abhängige Versicherte zur Manövriermasse werden. Man stelle sich vor, die So- zialhilfeempfänger klopfen tat- sächlich alle an die Tür der Techni- ker Krankenkasse. Da sie als soge- nannte schlechte Risiken gelten, die niedrige Beiträge zahlen und viele Leistungen beanspruchen, wird die Kasse über kurz oder lang ihre Beitragssätze erhöhen müs- sen. Da wird auch der Risikostruk- turausgleich wenig helfen. Dann zieht die Karawane der Sozialhil- feempfänger auf Geheiß der Äm- ter weiter zur nächsten Kasse.
Eine unrealistische Vorstel- lung? Immerhin haben zuletzt die Ersatzkassen der neuen Betriebs-
krankenkasse für Heilberufe eine Zukunft als Billigversicherer für Sozial- und Arbeitsämter voraus- gesagt. Spätestens dann habe der Spuk (der günstigen Beitragssät- ze) ein Ende (vgl. DÄ 17/1996). Im Bundesministerium für Gesund- heit hält man sich mit Stellungnah- men zu dem Bremerhavener Plan zurück. Er sei kurzsichtig und un- durchdacht, ließ eine Sprecherin lediglich verlauten.
Dennoch: Für die Hüter der Stadt- und Gemeindekassen scheint der finanzielle Aspekt die- ses Plans durchaus attraktiv zu sein. So hat es in Duisburg und Bremen ähnliche Diskussionen ge- geben. Auch dort sollen die Sozial- hilfeempfänger auf ihre neuen Wahlmöglichkeiten hingewiesen werden – allerdings ohne die Androhung von Sanktionen. An- sonsten träumt man im Stadtstaat von einem kassenartenübergrei- fenden einheitlichen Beitragssatz für diese „Personengruppe“. HK
H
Europäisches Modell
Kurze Wege
ür die Region Rhein-Waal ist ein Modellprojekt ge- startet worden, das es Pati- enten aus dem Kreis Kleve und dem niederländischen Nijmwegen erlaubt, bestimmte Krankheiten im Nachbarland behandeln zu las- sen. Die Bürger in Kleve sollen Leistungen vor allem der Nijmwe- gener Universitätskliniken in An- spruch nehmen dürfen. Ihnen wer- den damit lange Wege in entspre- chende deutsche Einrichtungen
beispielsweise im Ruhrgebiet er- spart. Die Nijmwegener Bürger können sich ihrerseits ärztlich und fachärztlich in Kleve behandeln lassen.
Die AOK Rheinland hat mit den Universitätskliniken Nijmwe- gen und Ärzten aus Kleve und den Grenzregionen folgende Leistun- gen vereinbart: die Behandlung nach Herzoperationen und Nie- rentransplantationen, Traumato- logie, Strahlentherapie und Neuro-
chirurgie. Auch Krankenhäuser auf beiden Seiten der Grenze sind in das Projekt eingebunden.
Das Projekt, das zunächst auf drei Jahre befristet ist, ist mit rund 900 000 DM ausgestattet. Davon tragen die AOK Rheinland und drei niederländische Versicherun- gen 40 Prozent. Die übrigen 60 Pro- zent zahlt die Europäische Union.
Das niederländische Gesundheits- ministerium will sich ebenfalls an den Kosten beteiligen. D. P.