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Archiv "Ziele der palliativen Krebstherapie" (11.09.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ziele der palliativen Krebstherapie

Internationaler Workshop, März 1992, Schloß Reisensburg

W

enn die Heilung einer mali- gnen Erkrankung nicht mehr zu erreichen ist und eine Indikation zur weiteren Therapie besteht, ist das Ziel dieser Behandlung die Pal- liation.

Konkrete Ziele einer palliativen Therapie zu benennen, erweist sich als Problem, wenn man gewohnt ist, den Erfolg einer Tumortherapie als Verringerung der Tumorgröße zu messen. Da aber mit der Benennung von Zielen auch die Erfolgsbeurtei- lung und mit ihr die weitere Thera- pieentscheidung steht und fällt, er- gibt sich die Notwendigkeit, eine Ei- nigung über erstrebenswerte Ziele palliativer Therapien herbeizufüh- ren und adäquate Verfahren zur Be- urteilung dieser Ziele zu definieren.

Dazu einen Beitrag zu leisten hatten sich die Organisatoren des Work- shops, Prof. Dr. Franz Porzsolt (Um), Prof. Dr. Dieter Hossfeld (Hamburg), Prof. Dr. Kurt Brunner (Bern) und Prof. Dr. Ian Tannock (Toronto) vorgenommen

Fortschritt braucht Unterstützung

Diese Bemühungen wurden von der Deutschen Forschungsgemein- schaft, dem Bundesministerium für Gesundheit, dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst des Landes Baden-Württemberg, der UICC und der WHO unterstützt. Getragen wurde die Veranstaltung vom Tu- morzentrum der Universität Ulm, der Arbeitsgemeinschaft Internisti- sche Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deut- schen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie. Der Einladung nach Ulm an das Internationale Institut Schloß Reisensburg waren 60 Wis-

senschaftler aus elf europäischen Ländern, Afrika, Australien, Kanada und den USA gefolgt.

Therapie Erster und Zweiter Klasse

Prof. MacDonald (Edmonton) eröffnete die Tagung mit der Frage, ob die aktive Chemotherapie („palli- ative treatment") und die symptoma- tische Therapie („palliative care") bei nicht heilbaren Krebserkrankun- gen als getrennte Bereiche in der Pa- tientenversorgung, Forschung und Lehre aufgefaßt werden sollten. Die- se Trennung verleite zur Annahme, daß die Chemotherapie als „bessere"

Therapie von einer symptomatischen Therapie, die der Linderung soma- tischer, psychischer und sozialer Pro- bleme dient, zu unterscheiden ist. Es ist sinnvoller, die aktive Chemothe- rapie als Teil eines Kontinuums ei- ner Betreuung zu betrachten, die der Patient vom Zeitpunkt der Diagnose an erfährt. Bisher wurde kaum un- tersucht, wie häufig durch die Che- motherapie neben der Verminde- rung der Tumormasse auch eine Rückbildung der Beschwerden des Patienten zu erreichen ist. An die schwierige Definition, wann keine Indikation für eine palliative Thera- pie besteht, wagte sich Dr. Omuras (Birmingham, Alabama) Beitrag, ge- folgt von einer lebhaften Diskussion um die Frage, ob der Patient das Recht habe, die Anwendung einer bestimmen Therapie zu verlangen.

Der Stellenwert der Beziehungen zwischen Patient, Arzt und Angehö- rigen sollte nicht unterschätzt wer- den, formulierte Prof. Rubens (Lon- don) in einem brillanten Vortrag;

diese Beziehung entwickle sich in er- ster Linie auf dem Boden der Kom-

munikation. Keine Methode der Me- dizintechnik ist auch nur annähernd in der Lage, die zentrale Rolle der Kommunikation bei der Betreuung Krebskranker zu ersetzen. Es ist si- cher nicht zu vertreten, eine palliati- ve Therapie zu empfehlen, anstatt schwierige kommunikative Probleme zu lösen.

Konzepte

und Lösungswege

In einer beeindruckenden Über- sicht präsentierte Dr. Maher (North- wood) enorme Unterschiede in der Therapieplanung, wobei die Ameri- kaner wesentlich intensivere Thera- pien verabreichten als die Kanadier und jene mehr als die Europäer.

Deutliche Beziehungen waren zu finden zwischen der Intensität der verabreichten Therapie und dem Wunsch, Hoffnung zu vermitteln oder auch geringe Heilungschancen wahrzunehmen. Die Möglichkeiten, durch Erfassung der Lebensqualität neue Wege einzuschlagen, wurden von Dr. Schipper (Winnipeg) skiz- ziert. Prof. Coates (Sydney) und Dr.

Bullinger (München) zeigten anhand konkreter Beispiele, daß geeignete Meßinstrumente zur Verfügung ste- hen, die Wirkungen der palliativen Therapie auf den Patienten zu beur- teilen. In den Diskussionen kam klar zum Ausdruck, daß eine Reihe von Kollegen diese Verfahren in der täg- lichen Praxis anwenden, andere aber die Anwendung dieser Meßinstru- mente als zu eingreifend oder zu be- lastend im klinischen Alltag empfin- den. Prof. Osoba (Vancouver) stellte eine einfache Checkliste für Sympto- me bei einem bestimmten Tumor vor, die der Patient im Wartezimmer ausfüllt und seinem Arzt damit wert- volle, gewichtete Informationen gibt;

Methoden zur regelmäßigen Mes- sung von Schmerzen bei stationären Tumorpatienten — ähnlich der re- gelmäßigen Messung von Fieber, Puls und Blutdruck — wurden von Prof. van Dam (Amsterdam) präsen- tiert. Daß unter den Bedingungen der täglichen Praxis andere, einfa- cher zu handhabende Methoden als in klinischen Studien anzuwenden A1-2974 (70) Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992

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sind, ist trivial; weder hier noch dort sollte aber in Zukunft auf die An- wendung adäquater Methoden zur Beurteilung von Symptomen und Le- bensqualität verzichtet werden. Al- lein die Erfassung solcher Daten wird zur Intensivierung der Kommu- nikation und damit zur Verbesse- rung der Versorgung unserer Patien- ten führen.

Was unsere Patienten angeben zu wissen und zu glauben, wurde von Dr. Loehrer (Indianapolis) unter- sucht. Es ergab sich die Frage, ob es auf mangelnde Information und Kommunikation oder Krankheitsver- drängung zurückzuführen ist, wenn ernsthafte Symptome negligiert oder verzögert vorgetragen werden, ande- rerseits aber wegen Nichtigkeiten der Notdienst in Anspruch genom- men wird. Auf ähnliche Ursachen mag die Anwendung nicht geprüfter Behandlungsmethoden zurückzufüh- ren sein (Dr. Morant, St. Gallen).

Gesundheitsökonomie

Eine eigene halbtägige Sitzung wurde den Gesichtspunkten „Kosten und Nutzen" gewidmet. Die Ausein- andersetzung mit diesem Thema mag uns unangenehm berühren, so Dr. Goodwin (Toronto), betrifft uns aber unausweichlich aus zwei Grün- den: In keinem Land der Welt sind die für das Gesundheitwesen zur Verfügung stehenden Mittel unbe- grenzt. Deswegen sind Entscheidun- gen über die Verwendung dieser Mittel zu treffen. Wenn wir diese Entscheidungen nicht bewußt tref- fen, werden sie zufällig getroffen, oder andere treffen diese Entschei- dungen für uns. Wir Ärzte haben da- bei eine schwierige Doppelfunktion zu erfüllen: Zum einen haben wir die Richtlinien über die Verwendung der verfügbaren Mittel festzulegen, andererseits sind wir am Kranken- bett gefordert, alles zu veranlassen, um Leben und Lebensqualität unse- rer Patienten zu erhalten. Diese Doppelfunktion ist kaum wahrzu- nehmen, wenn die erforderliche Rei- henfolge der Entscheidungen nicht eingehalten wird. Zuerst sind die Strategien festzulegen, um über Richtlinien für individuelle Ent-

scheidungen am Krankenbett zu ver- fügen. Beispiele verfügbarer Metho- den, Kosten und Nutzen gegeneinan- der aufzurechnen, wurden von Prof.

Kaplan (La Jolla) und Dr. Hillner (Richmond) vorgetragen. Die akut erforderliche Anwendung dieser Er- kenntnisse in den Entwicklungslän- dern erläuterten Dres. Kasili (Nairo- bi) und Olweny (WHO, Winnipeg).

Technische Hilfsmittel

Um die Meinung möglichst vie- ler Teilnehmer der Tagung in den Diskussionen zu erfahren, wurden mit wesentlicher Unterstützung durch Prof. Coates und Prof. Osoba Fragen und vorformulierte Antwor- ten an die Leinwand projeziert. Alle Tagungsteilnehmer konnten mit Hil- fe des „Digitalen Interaktiven Sy- stems" die zutreffend erscheinende Antwort auswählen. Mit Hilfe dieses Systems konnten die teilweise erheb- lichen Meinungsunterschiede ano- nym aufgedeckt werden. Das System hat uns aber auch gezeigt, daß die abschließenden Statements der Ta- gung von einer breiten Mehrheit der Teilnehmer getragen werden.

Resumee der Tagung

Resumees der Tagung wurden unabhängig von Dres. Porzsolt und Tannock formuliert und zur Abstim- mung vorgelegt. Hier die Zusam- menfassung der Vorschläge:

Ziele der palliativen Krebstherapie

1. Ziel: Ein Hauptziel der Be- handlung ist festzulegen. Dieses Ziel muß eine meßbare Veränderung sein, die vom Patienten als Nutzen angesehen wird. Da sich das initiale Ziel ändern kann, ist es in bestimm- ten Intervallen neu festzulegen. Das aktuelle Therapieziel ist im Kran- kenblatt zu dokumentieren.

2. „Palliative treatment" und

„Palliative care": Die Ziele sind die selben. Die gewählten Methoden sind verschieden.

3. Symptome und Lebensquali- tät: Die Methoden zur Beurteilung

der Lebensqualität sind zutreffend und verläßlich (z. B. EORTC QLQ-C30, FLIC, RSCL). Diese Me- thoden sollen in palliativen Phase-I- II-Studien angewandt werden. Ein- fache Fragebogen (zum Beispiel Osobas Checkliste) sollen für die tägliche onkologische Praxis entwik- kelt werden. Zusätzlich erhobene Daten zu der Lebensqualität werden zur Entwicklung neuer Hypothesen beitragen.

4. Schmerztherapie: Die Schmerztherapie kann durch Schmerzdokumentation verbessert werden. Die Dokumentation ermög- licht eine Wertung und Beurteilung der Ergebnisse aus dem Kranken- blatt.

5. Gesundheitsökonomie: Da die finanziellen Mittel in allen Län- dern begrenzt sind, sind Prioritäten über deren Verwendung zu treffen.

Kosten-Nutzen-Analysen sind der beste Weg, diese Prioritäten festzu- legen.

6. Ausbildung: Die Ausbildung im Gesundheitswesen ist in folgen- den Bereichen zu verbessern:

— die Ziele der Palliation zu defi- nieren;

— Entscheidungen über Kosten und Nutzen zu treffen;

— das Vorgehen an Krankheiten statt an Methoden zu orientieren.

Eine ausführliche Veröffentli- chung der Tagung ist in Vorberei- tung. Die Ergebnisse der Tagung sol- len in einem gemeinsamen Projekt mit allen am Workshop teilnehmen- den Ländern in die Praxis umgesetzt werden. Die Teilnehmer haben sich geeinigt, den zweiten Workshop

„Ziele der Palliativen Krebsthe- rapie" im Frühjahr 1994 abzuhalten.

So lange wird es dauern, bis ausrei- chend neue Erfahrungen vorliegen.

Prof. Dr. med. Franz Porzsolt, Ulm.

Prof. Dr. med. Dieter K. Hossfeld, Hamburg

Prof. Dr. med. Hermann Heimpel, Ulm

Anschrift für die Verfasser:

Professor Dr. med. Franz Porzsolt Tumorzentrum der Universität Ulm Oberer Eselsberg

Robert-Koch-Straße 8 W-7900 Ulm

A1 -2976 (72) Dt. Ärztebl. 89, Heft 37, 11. September 1992

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