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Anna Schnädelbach

„Haben Sie bedacht, Herr Minister,

daß wir einen Menschen verloren haben?"

Kriegerwitwen in Westdeutschland nach 1945

1. Kriegerwitwen, Öffentlichkeit und politische Partizipation

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten in der Bundesrepublik Deutsch- land rund eine Million Kriegerwitwen. Deren Existenz war von sozialen Problemen geprägt, außerdem mussten sie Kriegserlebnisse u n d -verluste psychisch verarbeiten. Ihre Versorgung durch den Staat und ihre Lebensweise wurden öffentlich diskutiert, ihre indivi- duellen Schicksale zu einer politischen Angelegenheit. Mit welchen Strategien Kriegerwitwen selbst ihre Situation meisterten, ob u n d wie sie f ü r ihre Belange eintraten, ist bisher kaum erforscht, ob- wohl die genderorientierte Partizipationsforschung seit langem fordert, „den Fokus auf die Inklusion von bislang ausgeschlossenen T h e m e n , Sphären, Formen u n d Akteurinnen" zu richten1.

Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, ob das Verhält- nis von Kriegerwitwen zu u n d deren Engagement in bestimmten Teilöffentlichkeiten politische Partizipation bedeutete. Der Begriff

„Kriegerwitwe" wird bewusst verwendet, da er in der zeitgenös- sischen Diskussion der 1950er J a h r e präsenter ist als die Ausdrücke

„Kriegswitwe" oder „Soldatenfrau". Die Verbindung des archa- ischen Ausdrucks „Krieger" mit dem Wort „Witwe" („die ihres Manns beraubte"), mit dem Frauen öffentlich „markiert" wurden, weist auf bis heute wirksame Bedeutungen, die in den späten 1940er u n d in den 1950er J a h r e n mit diesem Begriff assoziiert waren u n d deren Wurzeln wesentlich f r ü h e r als 1945 liegen.

1 Vgl. Barbara Holland-Cunz, Demokratiekritik. Zu Staatsbildern, Politik- begriffen u n d Demokratieformen, in: Ruth Becker/Beate Kortendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen-und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden 2004, S. 467-475, hier S.470. In meiner Dissertation

„Aus dem Rahmen gefallen? Kriegenvitwen im westlichen Nachkriegs- deutschland 1945 bis 1960", die in Kürze erscheint, habe ich Witwen erstmals als historische Akteurinnen u n d ihren Umgang mit öffentlichen Debatten untersucht.

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Der Beitrag geht davon aus, dass es eine Pluralität von Öffentlich- keiten gibt, die d e r Dichotomie Öffentlichkeit/Privatheit gegenüber- zustellen ist. Dadurch werden die Grenzverschiebungen zwischen beiden Sphären u n d die Vielfalt öffentlicher Räume, die sich Frauen u n d M ä n n e r trotz ihres Ausschlusses aus bestimmten Foren d e r b ü r g e r l i c h e n Gesellschaft schufen, fassbar2. Eine U n t e r s u c h u n g solcher R ä u m e setzt voraus, Öffentlichkeit u n d Privatheit als Sphä- r e n mit fließenden U b e r g ä n g e n zu begreifen u n d die E n t s t e h u n g von Öffentlichkeit s e h r f r ü h anzusetzen3. Damit e r ö f f n e n sich a u c h n e u e Perspektiven darauf, wie F r a u e n u n d M ä n n e r politisch aktiv w u r d e n - u n d zwar sowohl jenseits institutionalisierter Parti- zipations- als a u c h konventioneller Beteiligungsformen. Politische Partizipation ist institutionalisiert, wenn sie rechtlich verankert u n d geregelt ist, zum Beispiel in d e r Verfassung o d e r einer Ge- m e i n d e o r d n u n g . Ü b e r d i e s meint institutionalisierte Partizipation Beteiligung in Organisationen wie Gewerkschaften, Parteien o d e r V e r b ä n d e n . Konventionelle Beteiligungsformen z e i c h n e n sich da- d u r c h aus, dass sie etabliert, weit verbreitet u n d relativ üblich sind, wie etwa die Beteiligung an W a h l e n o d e r die Mitarbeit in e i n e r Partei. D e m g e g e n ü b e r s t e h e n F o r m e n nichtinstitutionalisierter u n d u n k o n v e n t i o n e l l e r Partizipation, die a u c h die G r e n z e n des Legalen ü b e r s c h r e i t e n k ö n n e n4.

Zwei Aspekte sind bezüglich d e r Kriegerwitwen von Interesse.

Erstens: W e l c h e F o r m e n von konventioneller Partizipation gab es f ü r u n d von Kriegerwitwen in den 1950er J a h r e n ? Zweitens: Welche Rolle spielte die einzelne Akteurin, die n i c h t kollektiv, s o n d e r n individuell handelte? Kriegerwitwen stellten Öffentlichkeit her, w e n n a u c h selten in m e d i a l e r F o r m wie etwa in d e r Presse. Sie w u r d e n z u d e m meist als Einzelpersonen aktiv, o h n e als Teil e i n e r organisierten G r u p p e mit einer Stimme zu s p r e c h e n . Es stellt sich h i e r also die Frage, o b Partizipation n u r kollektiv erfolgen k a n n u n d welches Verständnis von Partizipation es ermöglicht, d e n Fokus auf die Einzelne u n d d e r e n E n g a g e m e n t zu richten.

2 Vgl. Elisabeth Klaus, Das Öffentliche im Privaten - Das Private im Öffent- lichen. Ein kommunikationstheoretischer Ansatz, in: Friederike Herrmann/

Margret Lünenborg (Hrsg.), Tabubruch als Programm. Privates und Intimes in den Medien, Opladen 2001, S. 15-35, hier S. 18.

3 So betont Klaus (ebenda, S. 20), dass bereits die „interpersonellen, mündlichen Ausdrucksformen und alltäglichen, flüchtigen Kommunikations- formen" in eine Definition von Öffentlichkeiten einzubeziehen seien.

4 Vgl. Brigitte Geißel/Virginia Penrose, Dynamiken der politischen Parti- zipation und Partizipationsforschung - politische Partizipation von Frauen und Männern, in: http://web.fu-berlin.de/gpo/geissel_penrose.htm, S.4.

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2. Umgang mit einem Massenschicksal:

Kriegerwitwen und Kriegsopferverbände

Im Gegensatz zu a n d e r e n a l l e i n s t e h e n d e n F r a u e n waren Krieger- witwen unmittelbar von d e n M a ß n a h m e n d e r Kriegsopferversorgung betroffen - e i n e m f ü r die j u n g e Bundesrepublik kostspieligen Poli- tikfeld, das in d e n 1950er J a h r e n höchst u m k ä m p f t war. Diese Form d e r V e r s o r g u n g war zunächst nicht bundeseinheitlich geregelt u n d blieb nach E i n f ü h r u n g des Bundesversorgungsgesetzes 1950 u n d seiner späteren Novellen bis in die 1960er J a h r e hinein um- stritten6. Sie kostete zwischen 1950 u n d 1989 insgesamt 312 Milli- a r d e n DM, die Zahl d e r Versorgungsberechtigten erreichte 1952 mit 4,4 Millionen ihren H ö h e p u n k t6. Diese M a ß n a h m e n beeinfluss- ten die L e b e n s u m s t ä n d e d e r Witwen unmittelbar7. Viele Partei- politikerinnen, oft selbst Kriegsopfer, waren in d e n Ausschüssen f ü r Kriegsopferfragen engagiert u n d publizierten zum T h e m a . P r o m i n e n t e politische R e p r ä s e n t a n t i n n e n sprachen auf T a g u n g e n d e r Kriegsopferverbände o d e r auf von d e n Parteien veranstalteten H i n t e r b l i e b e n e n t r e f f e n , so die B u n d e s t a g s a b g e o r d n e t e Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) o d e r die Staatssekretärin im B u n d e s i n n e n - ministerium D o r o t h e a F r a n d s e n (CDU). G r o ß e F r a u e n v e r b ä n d e wie d e r Deutsche F r a u e n r a t traten hier weniger in Erscheinung.

F ü r sie stand die Lage d e r weiblichen H i n t e r b l i e b e n e n nicht im Mittelpunkt ihres politischen Interesses, w ä h r e n d sich die Kriegs- opferausschüsse d e r g r o ß e n Parteien vorrangig mit d e r Lage d e r vorwiegend m ä n n l i c h e n Beschädigten beschäftigten.

Die wichtigste politische Interessenvertretung d e r Hinterbliebe- n e n waren die Kriegsopferverbände, die nach 1945 von d e n Alliier- ten verboten w o r d e n waren, sich aber in d e n 1950er J a h r e n wieder etablierten. D e r V e r b a n d d e r Kriegsbeschädigten, Kriegshinter- b l i e b e n e n u n d Sozialrentner Deutschlands (VdK) war mit 1,5 Mil- lionen Mitgliedern Mitte d e r 1950er J a h r e d e r größte u n t e r i h n e n . Die V e r b ä n d e waren bereits institutionalisiert, d a sie n a c h 1945 auf ihren S t r u k t u r e n d e r W e i m a r e r Republik a u f b a u e n u n d auf

5 Vgl. Vera Neumann, Nicht der Rede wert. Die Privatisierung der Kriegs- folgen in der frühen Bundesrepublik. Lebensgeschichdiche Erinnerungen, Münster 1999, S. 131.

6 Vgl. Lutz Wiegand, Kriegsfolgengesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 71-90, hier S.81.

7 Vgl. Wolfgang Rüfner/Constantin Goschler, Ausgleich von Kriegs- und Diktaturfolgen, soziales Entschädigungsrecht, in: Günther Schulz (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 3: 1949-1957.

Bewältigung der Kriegsfolgen, Rückkehr zur sozialpolitischen Normalität, Baden-Baden 2005, S. 687-777.

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konventionelle Formen politischer Einflussnahme zurückgreifen konnten: Sie beteiligten sich aktiv an den Diskussionen über das Bundesversorgungsgesetz, begleiteten dessen Novellen, kritisierten öffentlich deren praktische Umsetzung und vertraten ihre Interessen in den Medien. Auf der lokalen Ebene berieten Hinterbliebenen- betreuerinnen, oft selbst Witwen und meist ehrenamtlich tätig, die Frauen, sprachen in ihrem Namen bei Amtern vor und leisteten praktische Hilfe8.

Wenn sich Hinterbliebenenvertreterinnen explizit äußerten, dann meist im Rahmen sozial-moralischer Diskussionen: Witwen wurden hier als tapfere, geplagte Opfer und als Frauen dargestellt, die ihre Situation unter großem Verzicht meisterten. Demnach verdienten sie eine angemessene Versorgung, ohne dass diese ihren Verlust wirklich hätte wettmachen können. Verhielten sich Witwen jedoch nicht gemäß dieses diskursiven Programms, wurden sie mit Bezug auf traditionelle Vorstellungen von „sittlicher" Witwenschaft und „Normalfamilie" als vermeintlicher Garantie der „natürlichen Ordnung der Gesellschaft" verurteilt.

Die Verbände machten sich zum Sprachrohr der Kriegerwitwen und legten dabei großes Engagement an den Tag. Trotz hitziger Debatten wurde in den Verbänden jedoch viel über, aber wenig mit Witwen gesprochen und für sie und weniger mit ihnen politisch inter- veniert. Diese große Gruppe Frauen stand wie keine andere für den verlorenen Krieg, zugleich befand sie sich in den 1950er Jahren aufgrund der nichtehelichen Lebensgemeinschaften vieler Witwen, der so genannten Onkelehen, im Mittelpunkt einer grundsätzlichen Debatte um die Rolle der Frau und der „Normalfamilie" als Grundlage der bundesdeutschen Gesellschaft9. Dennoch blieb diese Gruppe meist stumm.

Hanna Gerig, Kölner CDU-Stadtverordnete und somit eine konventionell partizipierende Vertreterin dieser Frauen, fragte in einem Artikel von 1959 deswegen: „Sind Witwen schlechtere Staats- bürger?" In ihrer Veröffentlichung beklagte sie das mangelnde politische Engagement der Witwen, das sich in der geringen Wahl- beteiligung bei Bundes- und Landeswahlen ausdrücke, stellte aber

8 Vgl. Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozial- rentner Deutschlands, Landesverband Hessen (Hrsg.), Chronik VdK Hes- sen. Ein Stück Nachkriegsgeschichte, Frankfurt a.M. 1989.

9 Viele Witwen lebten unverheiratet mit einem Mann zusammen, da sie in einer neuen Ehe den Anspruch auf Hinterbliebenenrente verloren hätten.

Die Kinder der Witwen sollen den Partner der Mutter oft „Onkel" genannt haben. Nach Schätzungen gab es Mitte der 1950er Jahre bis zu 300000 sol- cher Beziehungen. Vgl. Neumann, Privatisierung der Kriegsfolgen, S. 150.

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auch fest, sie seien aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Lage, der Uberforderung durch Erwerbsarbeit, Haushalt und Kinder- erziehung sowie der dürftigen Kriegsopferpolitik verbittert. Sie würden zudem durch die Kriegsopferverbände und die Opposition gegen die Politik der Union mobilisiert: „Witwen können sich nicht ausreichend informieren, sie fallen schneller auf leere Ge- rüchte und Behauptungen herein. Mindestens sind sie unsicher geworden und dann gehen sie - verärgert-deprimiert - gar nicht zur Wahl."10

Witwen als politisch aktive Vertreterinnen ihrer Interessen kommen in Gerigs Vorstellung nicht vor. Zudem fehlte es ihr wie auch anderen Entscheidungsträgern an konkreten Informationen über die tatsächlichen Lebensumstände und Einstellungen der Witwen, die sich nicht in der Versorgungsstatistik niederschlugen.

So äußerte die Bundestagsabgeordnete Marta Schanzenbach, die auch dem SPD-Vorstand angehörte, auf einem Kongress ihrer Par- tei für Kriegshinterbliebene 1964: „Es ist sehr zu bedauern, daß über die Fragen und Probleme der alleinstehenden Frau und damit auch der Kriegerwitwe keine umfassenden genauen Angaben ge- macht werden können."11 Hier sprachen Akteurinnen für und über eine Gruppe Frauen, von der sie wenig wussten, aber viel zu wissen glaubten.

Ganz selten finden sich Zeugnisse, in denen sich die Witwen selbst oder ihre direkten Fürsprecherinnen äußerten. So schrieben im Juni 1959 Repräsentantinnen der rund 600000 im VdK organi- sierten Witwen nach Abschluss einer Bundeshinterbliebenenkonfe- renz einen offenen Brief an Bundesarbeitsminister Theodor Blank.

Sie waren unter anderem darüber entrüstet, dass in der Novelle des Bundesversorgungsgesetzes von 1959 Nebeneinkommen, die Kriegerwitwen neben ihrer Grundrente in bestimmter Höhe dazu verdienen durften, zur Hälfte auf die Ausgleichsrenten angerechnet werden sollten. Dies bedeute, den Frauen die gleichzeitig beschlos- sene Erhöhung der Ausgleichsrente de facto wieder wegzunehmen.

Zudem sei man nach wie vor mit der Höhe der Grundrenten un- zufrieden. Am Ende des Briefs heißt es:

10 Hanna Gerig, Sind Witwen schlechtere Staatsbürger?, in: Frauen und Politik. Mitteilungen und Berichte der Christlich-Demokratischen Union 10 (1959), S.5-11, hier S.9.

11 Marta Schanzenbach, Die gesellschaftliche Stellung der Kriegerwitwe, in: Vorstand der SPD (Hrsg.), Gerechtigkeit für Hinterbliebene. Eine Do- kumentation vom Kriegshinterbliebenenkongreß der SPD am 28. und 29. Februar 1964 in der Festhalle Harmonie zu Heilbronn, Bonn 1964, S. 11-24, hier S . l l .

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„ H a b e n Sie b e d a c h t , H e r r Minister, daß wir e i n e n M e n s c h e n verloren h a b e n , e i n e n M e n s c h e n , d e r n a c h christlicher Auffas- s u n g in d e r Waagschale irdischer u n d ewiger Bewertungen schwer wiegen sollte. Seit J a h r e n ü b e n wir bitteren Verzicht auf Vieles, das a n d e r e n selbstverständlich ist u n d das keineswegs n u r auf materiellem Gebiet. Wir finden es unwürdig, daß m a n mit uns, n o c h 14 J a h r e nach Kriegsende, ü b e r die Gräber hinweg feilscht. Nicht n u r einzelne Egoisten, a u c h d e r Staat n i m m t es g e d a n k e n l o s hin, d a ß wir u n t e r g r o ß e n M ü h e n u n s e r e Kinder zu g u t e n Staatsbürgern h e r a n g e z o g e n h a b e n . Schon sind es u n s e r e S ö h n e , die z u m W e h r d i e n s t e i n b e r u f e n werden u n d wir als M ü t t e r h a b e n i m m e r n o c h n i c h t die A n e r k e n n u n g gefun- d e n , die d e r W ü r d e u n d Größe u n s e r e s O p f e r s entspricht."1 2

Die Argumentation d e r Schreibenden verdeutlicht, dass die Kriegs- o p f e r v e r b ä n d e i m m e r e i n e a n g e m e s s e n e finanzielle V e r s o r g u n g d e r H i n t e r b l i e b e n e n favorisierten. Kriegerwitwen d u r c h Erwerbsarbeit sozial zu sichern, stand nie zur Debatte. Einerseits schloss m a n hier an die Tradition d e r Interessenpolitik d e r W e i m a r e r Zeit an.

Andererseits grenzte m a n sich g e g e n ü b e r d e m Osten Deutsch- lands u n d d e r sozialistischen Maxime ab, F r a u e n in die Erwerbs- arbeit zu b r i n g e n . Die Diskussion ü b e r die Zuverdiengrenzen ver- weist j e d o c h darauf, dass die G r u n d r e n t e n zu niedrig waren u n d die meisten Witwen arbeiten g e h e n mussten, u m ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das P r o b l e m d e r Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit u n d K i n d e r b e t r e u u n g wird indirekt ebenfalls angesprochen. Die Argu- m e n t a t i o n greift j e d o c h auf das gängige Muster zurück: O p f e r , Verlust, Verzicht, tapferes Meistern des Schicksals u n d A n s p r u c h auf a n g e m e s s e n e finanzielle Entschädigung.

3. Kriegerwitwen als Akteurinnen: Eigensinn und konventionelle Partizipation

O h n e das E n g a g e m e n t d e r V e r b ä n d e u n d d e r d o r t organisierten F r a u e n zu schmälern, zeigen sich in d e r k o n k r e t e n Situation ein- zelner Witwen große Kontraste zwischen d e m , was die V e r b ä n d e f o r d e r t e n , u n d d e r S e l b s t w a h r n e h m u n g dieser F r a u e n . N e b e n d e n bereits g e n a n n t e n P r o b l e m e n war f o l g e n d e r Konflikt f ü r die Wit- wen zentral: I h r Privatleben war wenigstens teilweise öffentlich, die F r a u e n s t a n d e n a u f g r u n d d e r finanziellen Abhängigkeit vom Staat

12 Zur Neuordnung des Bundesversorgungsgesetzes. Abdruck eines offenen Briefes der organisierten Kriegerwitwen im VdK an Bundesarbeitsminister Blank von 1959, in: Informationen für die Frau 6 (1959), S. 6.

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immer u n t e r Beobachtung u n d waren - besonders wenn sie zusätz- lich Hilfen der öffentlichen Fürsorge erhielten - immer wieder gezwungen, ihre Hilfsbedürftigkeit nachzuweisen. Obwohl die meisten Witwen als Haushaltsvorstände fungierten und neben ihren eigenen Kindern oft Angehörige ihrer Herkunfts- u n d Schwieger- familie betreuten, also versorgende Frauen waren, wurden sie qua Gesetz als hinterbliebene Ehefrauen u n d damit als versorgte Frauen angesehen. Da Ehe u n d „Normalfamilie" wichtige Grundlagen des gesellschaftlichen Selbstverständnisses bildeten, waren Kriegerwitwen sowohl einer Familienpolitik mit inhärenter Geschlechterhierarchie als auch einem Versorgungsrecht unterworfen, das sie als hinter- bliebene Ehefrauen behandelte. Ihr (sozialrechtlicher) Status wur- de nur ü b e r den verstorbenen E h e m a n n definiert. Führten diese Frauen eine nichteheliche Beziehung, stand dies d e m öffentlich geforderten Verhalten entgegen: Sie sollten entweder tapfere, ver- zichtende u n d versorgte Witwen sein oder wieder heiraten - nicht zuletzt, um die öffentlichen Kassen zu entlasten.

Die Witwen reagierten auf diesen sozialen und gesellschaftlichen Druck auf zweifache Weise: Erstens mit Eigensinn1 3 gegenüber d e n Behörden, indem sie bestimmte Fakten verschwiegen, sich be- stimmten Maßnahmen entzogen oder ihnen mit offenem Wider- stand begegneten. Zweitens: Mit einer bereits etablierten Form der Partizipation, also einer Eingabe beziehungsweise einem Bittgesuch bezüglich ihrer „Onkelehe" an den Bundesfamilienminister Franz- Josef Wuermeling. In einer Sammlung von 50 Eingaben schrieben

Kriegerwitwen über ihre persönliche Situation in einer nichtehe- lichen Lebensgemeinschaft, den finanziellen Zwang, aus d e m her- aus sie keine neue Ehe eingingen, über die Diffamierung durch Familie u n d Nachbarn sowie über die Probleme mit den eigenen Kindern. Wünsche nach konkreter Hilfe wurden geäußert u n d strategisch begründet, indem man eine neue Eheschließung als einzig anzustrebende Lösung des Problems darstellte, was j e d o c h an den Umständen scheitere. Die Witwen schrieben aber j e d e f ü r sich u n d äußerten sich in diesem Rahmen genauso wenig kollektiv wie in den Verbänden. Das Leben in einer „Onkelehe" war j e d o c h aufgrund der familienpolitischen Präferenzen der Regierung Ade- nauer u n d aufgrund der gesellschaftlichen W a h r n e h m u n g Mitte der 1950er Jahre ein Politikum. Sind also die Eingaben der Witwen schon Partizipation?

13 Zum Begriff vgl. Alf Lüdtke, Geschichte und Eigensinn, in: Berliner Ge- schichtswerkstatt (Hrsg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 139-153.

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Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft war für die Witwen, die an das Ministerium schrieben, keine selbstbewusst gewählte Lebens- form, sondern die Folge der Lebensumstände. Außerdem zeigte sich, dass die „Onkelehe" zwischen zwei Polen oszillierte: Anpas- sung einerseits und Eigensinn andererseits. Die Witwen distanzier- ten sich damit zwar von der Ehe als der von der Öffentlichkeit ge- wünschten Lebensform, verstanden dies jedoch nicht als einen bewussten Akt. Der Wunsch, mit einem Partner zu leben und da- durch Entlastung und emotionalen Rückhalt zu erfahren, war so stark, dass die Frauen soziale Sanktionen in Kauf nahmen, obwohl sie darunter litten.

Darüber hinaus reflektierten manche Witwen in den Briefen die öffentliche Debatte um die „Onkelehe" und äußerten ihr Un- verständnis über die Beurteilung ihrer Situation, wobei ihr Blick über ihre eigene Befindlichkeit hinausging. So äußerte sich die Witwe F., Lehrerin und mehrfache Mutter, 1954 höchst kritisch zur Frage einer erneuten Ehe und zwar aufgrund der steuerlichen Bevorzugung von Ehepaaren, welche die geringfügige, aber durch- aus bestehende wirtschaftliche Autonomie von Frauen aufhebe:

„Muß also die Verehelichung gleich doppelt und dreifach bestraft werden? Mit Entzug der Witwenrente, Wegfall der Witwensteuer- ermäßigung und nun auch noch durch eine gemeinsame Ver- anlagung die Arbeit der Verheirateten dermaßen entwertet werden? [...] Man kann nicht durch Gesetze, die Verhältnisse ignorieren, die vom einschneidensten Krieg unserer Geschichte geschaffen wurden, diese bestehenden Verhältnisse aus dem Weg schaffen."14

Die Witwe Hanna G., die als Mutter von drei Kindern mit einem Rentner zusammenlebte, verwies 1955 auf das Recht von Witwen, ihre Lebensform selbst zu bestimmen:

„Vieles wird uns, die wir eine so genannte ,Onkelehe' führen, verübelt. Aber können wir dafür, dass uns die Männer genom- men wurden und dass die augenblicklichen Verhältnisse eine Wiederverheiratung erschweren? Sollen wir deshalb auf uns alleine gestellt bleiben und keinerlei Anspruch mehr an das Zusammensein und das Leben stellen dürfen?"

Frau G. machte die „Legalisierung" ihrer nichtehelichen Lebens- gemeinschaft offen davon abhängig, welchen Ausgleich sie und ihr Partner für ihre finanziellen Kriegsverluste erhielten und ob ihre

14 BA Koblenz, Β 153/1113, Bundesministerium für Familienfragen, Briefe und Eingaben zur „Onkelehe", B1.23f. Die folgenden Zitate B1.63 und B1.64.

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finanzielle Situation im Fall einer e r n e u t e n Ehe gesichert sei: „Wenn dieses alles realisiert w e r d e n k ö n n t e , d a n n sind wir g e r n e bereit, das Z u s a m m e n l e b e n zu legalisieren, zumal es sich hier u m Werte h a n d e l t , die j e d e m einzelnen rechtmäßig g e h ö r t haben."

Ein weiteres Beispiel ist ein Brief d e r Witwe D. an die Frauen- beauftragte d e r I n n e r e n Mission. Sie sei Kriegerwitwe, h a b e Kinder, lebe allerdings nicht in „wilder Ehe", d a sie die Ehe d u r c h a u s als eine „Lebensgemeinschaft bis zum T o d " ansehe. Sie k ö n n e , selbst wenn sie wolle, j e d o c h sowieso nicht wieder heiraten, d a die finan- ziellen Belastungen f ü r e i n e n n e u e n E h e m a n n bei Wegfall d e r Witwenrente zu h o c h wären. Sie a r g u m e n t i e r t e :

„Welchem M a n n soll ich z u m u t e n , m e i n e Kinder zu e r n ä h r e n u n d zu kleiden? Das k a n n ich auch von e i n e m M a n n mit sehr g u t e m E i n k o m m e n nicht verlangen, d e n n die ehemalige Witwe gerät d a d u r c h in starke Abhängigkeit u n d ihr werden vielleicht bei der ersten Meinungsverschiedenheit die Kinder vorgeworfen.

Auch wenn es ihr d e r M a n n nicht direkt ins Gesicht sagt, weiß sie es trotzdem u n d wird nie ganz frei sein. So e m p f i n d e ich u n d mit mir a n d e r e Witwen auch."

Frau D. p o c h t e andererseits darauf, Witwen das Recht auf eine

„ O n k e l e h e " zuzugestehen: „Wenn sich also eine Witwe entschließt in wilder E h e zu leben, hat n i e m a n d das Recht, mit Fingern auf sie zu zeigen, solange die u n g e r e c h t e B e r e n t u n g a u f r e c h t e r h a l t e n wird."15

Witwen waren, das wird trotz dieser d u r c h a u s selbstbewussten Ä u ß e r u n g e n deutlich, in ihrer A r g u m e n t a t i o n geprägt vom herr- s c h e n d e n Diskurs u m E h e u n d Normalfamilie. Ihre Schreiben ent- s t a n d e n aus d e m Wunsch, die individuelle Lage zu verbessern.

J e d o c h machten sie damit ihre private Situation, die eine politische geworden war, durch eine Eingabe an eine Behörde o d e r ein Minis- terium öffentlich u n d partizipierten auf diese Weise an einer Debatte über sich. U n d ein weiterer Aspekt ist zu b e d e n k e n : Zwar schrieben die Witwen Mitte der 1950er J a h r e einzeln u n d nicht kollektiv. Im Ministerium d ü r f t e dies a b e r ganz a n d e r s w a h r g e n o m m e n worden sein. G e r a d e die Vielzahl einzelner Briefe verlieh d e n Eingaben eine a n d e r e Qualität.

15 ADW, HGSt 794, Brief der Witwe D. an die Frauenbeauftragte der Inneren Mission Dr. H. Becker vom 1. 7.1952.

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4. Politische Partizipation oder individuelle Teilhabe?

Es existierte außerhalb bereits etablierter Foren der Interessenver- tretung für Kriegsopfer und Kriegshinterbliebene in den 1950er Jahren kein Raum, in dem Kriegerwitwen mit eigener Stimme sprachen und kollektiv eine „Gegenöffentlichkeit" entwickelten16. Ihr Leben in nichtehelichen Lebensgemeinschaften hatte aber politische Folgen, da die Witwen damit die Ehe und die „Normal- familie" als Grundlagen des bundesdeutschen Staats in Frage stell- ten. Die Rechtfertigung einer „Onkelehe" bei gleichzeitiger „dis- kursiver" Partizipation17 war jedoch keine politische: Hier ging es um Handlungen, die nicht intentional, sondern in ihren Konse- quenzen politisch waren18. Ungeachtet dessen zeigt sich im Fall der Kriegerwitwen, in welcher Weise Eigensinn diskursive und damit gesellschaftliche Teilhabe bedeuten konnte. Kriegerwitwen bewegten sich in ihrer Argumentation zwar nicht über den traditio- nellen Rahmen hinaus und sprachen nicht mit einer „gegenöffent- lichen" Stimme. Aber ihre „eigene" Stimme war vorhanden, wenn auch nicht in Form kollektiver politischer Partizipation.

Erst in den 1960er Jahren profilierten sich die in den Verbänden organisierten Kriegerwitwen stärker in den institutionalisierten Partizipationsforen. Neben Versorgungsfragen spielten zunehmend Probleme des Alterns eine Rolle, die auch andere ältere Frauen und Rentnerinnen betrafen. Es wäre untersuchenswert, inwieweit das veränderte politische Klima der 1960er Jahre und die Kritik der Neuen Frauenbewegung an den bestehenden Geschlechter- verhältnissen die Interessenvertretung der Kriegerwitwen in den Verbänden beeinflusste. Allerdings blieben auch die älter gewor- denen, organisierten Kriegerwitwen, selbst wenn sie sich jetzt stär- ker öffentlich artikulierten, bei ihrer Partizipation im Rahmen des Institutionalisierten. Hier wurde mehr repräsentiert als von einer breiten Basis von Kriegerwitwen politisch partizipiert.

16 Vgl. Nancy Fraser, Öffentlichkeit neu denken. Ein Beitrag zur Kritik real existierender Demokratie, in: Elvira Scheich (Hrsg.), Vermittelte Weib- lichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie, Hamburg 1996, S. 151-182, hier S. 166 und S. 172f.

17 Bettina Westle, Politische Partizipation und Geschlecht, in: Achim Koch/Martina Wasmer/Peter Schmidt (Hrsg.), Politische Partizipation in der Bundesrepublik Deutschland. Empirische Befunde und theoretische Erklärungen, Opladen 2001, S. 131-168, hier S. 137; „diskursive Partizipation"

meint Teilhabe an einer Debatte, die eine persönliche Lage betrifft.

18 Vgl. Max Kaase, Politische Beteiligung, in: Martin Greiffenhagen/Sylvia GreifFenhagen (Hrsg.), Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundes- republik Deutschland, Wiesbaden 2002, S. 349-355, hier S. 350.

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