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unterscheiden, wie neurotische De- pression und Trauerreaktion, die sie bei Mitpatienten in der Klinik ken- nenlernen. Sie betonen die grund- sätzlichen Unterschiede.
Die melancholische Verände- rung des Erlebens ist außerordent- lich tiefgreifend und betrifft die Fun- damente der persönlichen Existenz.
Hierzu einige wörtlich wiedergege- bene Äußerungen: „Keine Herzens- wärme . . . diese Gefühllosigkeit...
das Neutrale. Auch das Gefühl für die Natur ist nicht mehr da . . ." -
„Mein Herz ist anteilnahmslos ge- worden. Mich interessiert kein Mensch, kein Genuß, kein Gedanke, kein Buch ... Furchtbar ist mein Zu- stand. Jeder Gedanke an Poesie ist verschwunden, selbst die Lektüre verleidet. Ich mag nicht denken..."
- „Meine Depressionen liegen mir im Leib und nehmen mir jede Lust am Leben . . . Ich stehe wie ge- lähmt . . ." - „Alles abgeschnürt und tot in mir."
Diese Zitate zeigen eindeutig, daß nicht dasselbe gemeint ist, wie die „Melancholie" in der Kunst. Pa- tienten, die von der „Melancholie"
der Dichter und Denker Kenntnis bekommen, sagen sehr nachdrück- lich, daß das nichts gemein habe mit der Melancholiekrankheit. Gegen- über Ansprüchen, von seiten der Li- teraturwissenschaft etwas über Me- lancholie aussagen zu wollen, reagie- ren Melancholiekranke äußerst emp- findlich. Wenn sie von literarischen Versuchen der Deutung und des Er- klärens lesen, empfinden sie diese als voreilig und zum Teil taktlos.
Man sollte diese Stellungnahme nicht als intolerant oder kunstfeind- lich abtun, sondern verstehen, daß ein derart leidender Mensch kaum Verständnis für literarische Formu- lierungen aufbringen kann wie „hei- lige Melancholie", man müsse zur Melancholie ein „intimes Verhält- nis" haben oder ihr „Lust abgewin- nen".
Der Leser wird zurecht fragen, ob es nicht doch eine Brücke gebe zwischen beiden Seiten. Man könnte sich vorstellen, daß ein Betroffener sein eigenes melancholisches Erle- ben beschreibt. Genauer gesagt, daß ein Patient, dessen Melancholie psychiatrisch diagnostiziert wurde,
wie ein Schriftsteller seine Krankheit darstellt. Das ist allerdings selten ge- schehen. Die Gründe hierfür liegen hauptsächlich in der Krankheit selbst.
Die wenigen Berichte dieser Art sind sehr aufschlußreich Einer der ältesten (1621) ist der von R. Burton (1). Jüngst erschien der Selbstbericht des melancholisch erkrankten Psych- iaters P. C. Kuiper (6). Aus der Fe- der eines betroffenen Facharztes gibt es nur eine weitere Publikation (2). Eine Voraussetzung eines sol- chen Berichtes ist - neben der per- sönlichen Erfahrung des melancholi- schen Erlebens - auch eine schrift- stellerische, um nicht zu sagen künst- lerische Begabung. Ohne sie kann ein derartiger Bericht kaum zustan- de kommen So gesehen gibt es in der Melancholie-Diskussion viel- leicht doch eine Brücke zwischen Psychiatrie und Kunst.
Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -3752-3756 [Heft 45]
Literatur
1. Burton, R.: The anatomy of melancholy. Ox- ford 1621. Deutsche Ausgabe: Anatomie der Melancholie. Zürich: Artemis 1988 2. Gaupp, R.: Ein cyclothymer Psychiater über
seine seelischen Krankheitszeiten. Zeitschr.
Neurol. 166 (1939) 705 — 710
3. Hole, G. und Wolfersdorf, M.: Melancholie.
In: C. Müller (Hrsg.): Lexikon der Psychia- trie. 2. Aufl. Berlin, Heidelbeg, New York, Springer 1986
4. Klibanski, R ,; Panofsky, E. und Saxel, F.: Sa- turn und Melancholie. Studien zur Geschich- te der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Frankfurt 1990 5. Kuhs, H. und Tölle, R.: Symptomatik der af-
fektiven Psychosen (Melancholien und Ma- nien). In: K. P. Kisker et al: Affektive Psycho- sen. Psychiatrie der Gegenwart Band 5. Ber- lin, Heidelberg, New York. Springer 1987 6. Kuiper, P. C.: Seelenfinsternis. Die Depres-
sion eines Psychiaters. Frankfurt: Fischer 1991
7. Schulte, W.: Nichttraurigseinkönnen im Kern melancholischen Erlebens. Nervenarzt 7 (1961) 314 —320
8. Tölle, R.: Melancholie — Eine ungewöhnli- che Krankheit Dt Ärztebl. 88 (1991) A 3731 bis 3733 [Heft 44]
9. Tölle, R.: Psychiatrie. 9. Aufl., Berlin, Hei- delberg, New York: Springer 1991
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Rainer Tölle Klinik für Psychiatrie
Westfälische Wilhelms-Universität Albert-Schweitzer-Straße 11 W-4400 Münster/Westfalen
Auswirkungen von Äthanol auf
die Fettspeicherung gesunder Individuen
5,6 Prozent der Nahrungsener- gie führt der durchschnittliche Ame- rikaner sich in Form von Alkohol zu.
Um Auswirkungen von Äthylalkohol auf den Stoffwechsel kennenzuler- nen, wurden in einer Studie des Phy- siologischen Instituts der Universität Lausanne acht Männer untersucht.
Der Energieumsatz der Probanden- gruppe, Nichtraucher mit unauffäl- ligen Ergebnissen körperlicher und laborchemischer Untersuchungen, wurde während zwei 48-Stunden-In- tervallen mit indirekter Kalorimetrie bestimmt Jeweils die ersten 24 Stun- den dienten zur Bestimmung von Kontrollwerten. Im zweiten Ab- schnitt wurde entweder 25 Prozent der Nahrungsenergiemenge durch Äthanol ersetzt oder weitere 25 Pro- zent zugegeben.
Es stellte sich heraus, daß Alko- holmetabolismus und -abbauproduk- te die Fettoxidation um durch- schnittlich bis zu 36 Prozent inner- halb von 24 Stunden hemmen Die- ser Effekt zeigte sich nur während der Zeit, in der Alkohol konsumiert und metabolisiert wurde. Die Oxida- tion von Kohlehydraten und Prote- inen wurde nicht nennenswert beein- trächtigt. Der Energieumsatz inner- halb der 24 Stunden, in denen Ätha- nol verbraucht wurde, erhöhte sich um Werte zwischen vier und sieben Prozent.
Dieser Rückgang wird dadurch begründet, daß Metaboliten des Äthanol wie Acetat oder Acetoace- tat die Lipidoxidation in peripheren Geweben hemmen Sie können auch zum Teil zur Liponeogenese verwen- det werden. Daher begünstigt Alko- holkonsum zusätzlich zu kalorisch ausreichender Ernährung die Fett- speicherung. silk
Suter, P. M.; Schutz, Y. und Jequier, E.:
The Effect of Ethanol an Fat Storage in Healty Subjects. N. Engl. Journ. Med. 326 (1992) 983 — 897
Dr. P. M. Suter, Institute of Physiology, 7. nie du Bugon, CH-1005 Lausanne.
A1-3756 (56) Dt. Ärztebl. 89, Heft 45, 6. November 1992