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Archiv "Die Vollidioten im Wörtersee: Taucht die „Neue Frankfurter Schule“ auf oder bereits unter?" (25.09.1985)

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Im Bistro

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Robert Gernhardt

Die Vollidioten im Wörterse

Taucht die „Neue Frankfurter Schule" auf oder bereits unter?

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Z

u einer Zeit, in der fast ständig über den Niedergang und „diese Verfla- chung der Sprache", be- ziehungsweise der Sprach- kompetenz und über die

„allgemeine Verblödung"

des und der Deutschen ge- klagt wird, kann das viel- leicht trösten. Mitten unter uns, genauer gesagt in der Mitte Deutschlands, in je- ner Stadt, die einstmals so- gar „Kultur für alle" pro-

Helmuth Kahle

klamierte, in der Mainme- tropole Frankfurt, gibt es eine Gruppe oder genauer Schule — oder noch genau- er Bande — von Denken- den, Schreibenden, Dich- tenden und Zeichnenden, die es sich zur Aufgabe ge- macht hat, diesem Verfall der Sprache und des Gei- stes entgegenzuwirken.

Gemeint ist hier jene Schu- le, die gemeinhin als die

„Neue Frankfurter Schule"

(NFS) durch alle Medien geistert, deren Mitglieder im allgemeinen aber eher individuell, denn als Grup- pe betrachtet werden. — Der Ursprung der Benen- nung liegt noch im dun- keln, das heißt, er ist der

wissenschaftlichen For- schung noch entgangen;

einer der Beteiligten — Eck- hard Henscheid — meint, er gehe offiziell zurück auf ei- ne Ausstellung der Künst- ler Robert Gernhardt, Hans Traxler und F. K. Waechter, die 1981 in München statt- gefunden hat.

Bevor ich auf die Mitglie- der der Gruppe im einzel- nen zu sprechen komme, noch einmal zurück zum

Oberbegriff; was soll das heißen: „Neue Frankfurter Schule"?

Dem erwähnten Eckhard Henscheid, dem es als „In- sider" natürlich leichter fallen muß, die wahren Verflechtungen und Ver- wirrungen zu erkennen und zu benennen, verdan- ken wir eine Darstellung der NFS (erschienen — zwi- schen vielen hübschen Mädchen — in LUI 4/84), de- ren stringenter Eloquenz kein Nachfolger sich ent- ziehen kann, und aus der

ich mir seine Antwort auf obige Frage zu zitieren er- laube: „Verschlungenes vor allem. Aber es hat

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 39 vom 25. September 1985 (79) 2827

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Der Skihase

ANA41+42.- BMW; IST

tAST

Robert Gernhardt

F. K. Waechter

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Vollidioten im Wörtersee

schon seine Richtigkeit damit, freilich eine vertrackte, hochhe- gelianisch-dialektische. Denn in der Tat und sehr bewußt weist das, was da heute als Neue Frankfurter (Zeichner- und Auto- ren-)Schule kursiert, zurück auf jene Spezies von Soziologie, die ( ) als sogenannte Kritische Theorie der sogenannten Kul- tur- und Bewußtseinsindustrie zu Leibe rückte."

Inwieweit die weiteren von Hen- scheid angeführten Konnotatio- nen der Bezeichnung NFS, als da wären einmal der „Geist" der Stadt Frankfurt und zum ande- ren die „ins Rauschhafte gestei- gerte Eleganz" der Spielführung der Eintracht Frankfurt, im Ge- samtschaffen der beteiligten Künstler ihren Niederschlag fin- den, muß denen, die sowohl die Stadt als auch den Verein bes- ser kennen zur Beurteilung überlassen bleiben.

Keimzelle der NFS war die alte Frankfurter „Pardon"-Redak- tion, allen voran die Mitarbeiter der Nonsens-Beilage „Welt im Spiegel", die auch nach dem

Untergang von „Pardon" in der Redaktion der „Titanic" zusam- menblieben. Zu den Gründungs- mitgliedern der NFS zählen F. K.

Waechter (geb. 1937), F. W.

Bernstein (Pseudonym für Fritz Weigle, geb. 1938) und Robert Gernhardt (geb. 1937), die schon in den Anfangszeiten von Chlodwig Poth (geb. 1930) und Hans Traxler (geb. 1929) mit dem Zeichenstift begleitet wur- den. Zum engeren Kreis, obwohl später hinzugekommen, sind Satire, Cartoon, Nonsens, aber geistreich und stets witzig, immer wieder gemeinsam gegen das

„Dumpf meieri- sche", — das ist das vielsei- tige Programm der Neuen Frankfurter Schule — Oben:

Dieser Cartoon stammt aus Robert Gern- hardts Buch „Die Blusen des Böhmen", bei Zweitausendeins erschienen — Links: F. K.

Waechter liebt es, das Mensch- lich-Allzu- menschliche in die Tierwelt zu transponieren

noch Eckhard Henscheid, Bernd Eilert und Peter Knorr zu zählen.

Ottos Berater

Nahezu der größte Teil der Wer- ke der NFS sind gemeinschaft- liche Produktionen und Unter- nehmungen. Nicht nur, daß eine Gruppe von ihnen regelmäßig den Blödel-Komiker Otto berät, man gemeinsame Filme dreht oder gemeinsam die „Titanic"- Nonsens-Beilage „Kolibri" ge- staltet, auch ein Teil der literari- schen Produktion ist gemein- schaftlich entstanden, so daß die Beiträge den einzelnen Au- toren oft nicht mehr zuzuordnen sind. Dies gilt vor allem für eins der Schlüsselwerke der NFS (die übrigens fast nur Schlüssel- werke kennt), für das von der Trias Bernstein, Gernhardt, Waechter gestaltete Opus „Die Wahrheit über Arnold Hau" ein Werk, das deutlich auf die litera- rischen Ahnen Morgenstern, Ringelnatz, Karl Valentin ver- weist, wofür zwei Beispiele aus Haus Tierwelt-Zyklus zeugen:

Die GAMS erwacht im fremden Forst und lag in einem Adlerhorst.

Sie sah sich um und sprach be- troffen:

„Mein lieber Schwan! War ich besoffen!"

2828 (80) Heft 39 vom 25. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Vollidioten im Wörtersee

F. K. Waechter (2)

Folgender Zweizeiler ist gar schon zum geflügelten Wort ge- worden:

Die schärfsten Kritiker der EL- CHE waren früher selber welche.

Nun könnte man der Meinung sein, es handele sich bei der Neuen Frankfurter Schule um eine Gruppe zwar origineller, letztlich aber doch vorwiegend der Blödelei verfallener Komiker und/oder Humoristen, und es sei lediglich nach dem subtilen Un- terschied zwischen beiden Be- griffen zu forschen. Nichts wäre verfehlter! Das Anliegen, die ge-

meinsame Absicht dieser muti- gen Vorkämpfer für Chaos und Clarte geht weit über vorder- gründige Erheiterung und bauchschüttelnde und zwerch- fellerschütternde Unterhaltung eines dumm-dumpfen Publi- kums hinaus. Jedoch nur dem geschulten Leser beziehungs- weise Betrachter werden sich

Die beiden auf dieser Seite wiedergegebenen tierisch bösen Cartoons von F. K. Wächter sind mittler- weile als Post- karten weit verbreitet. Sie waren bereits im Jahre 1978 in Wächters Buch

„Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein" im Diogenes Verlag, Zürich, erschienen. Diese Zeichnungen sind beispielhaft für den Impetus ...

... der sogenann- ten Neuen Frankfur- ter Schule, die gegen den pathe- tisch und weihevoll sich gerie- renden Kulturbe- griff und Kulturbe- trieb mit wacher Komik an- gehen will auf den ersten Blick beispiels- weise die monumentale Erha- benheit der apokalyptischen Vi- sionen und des stummen He- roentums von Waechters „Män- nern auf verlorenem Posten"

oder die tieferen Einsichten der unauslotbaren Metaphorik der Gernhardtschen Lyrik eröffnen wie diese:

Das Gleichnis

Wie wenn da einer, und er hielte ein frühgereiftes Kind, das

schielte, hoch in den Himmel, und er bäte.

„Du hörst jetzt auf den Namen Käthe!" — Wär' dieser nicht dem Elch ver- gleichbar, der tief im Sumpf und unerreich- bar nach Wurzeln, Halmen, Stauden sucht und dabei stumm den Tag ver- flucht, an dem er dieser Erde Licht . . . Nein? Nicht vergleichbar? Na,

dann nicht!

Bestünde nicht Grund genug, solche Werke rechtzeitig zur Pflichtlektüre an den Schulen zu machen (wie schon verschie- dentlich vorgeschlagen wurde)?

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 39 vom 25. September 1985 (81) 2829

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Die rosa Gefahr

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Robert Gernhardt

Bekannte Werke

der „Neuen Frankfurter Schule"

Bernstein, F. W.; Gernhardt, R., und Waechter, F. K.: „Die Drei", Zweitau- sendeins, Frankfurt, 1984 (und roro- ro-Tb. 5069) – Gernhardt, R.: „Die Blusen des Böhmen", Zweitausend- eins, Frankfurt, 1977; „Ich, Ich, Ich", Haffmans, Zürich, 1983 – Gernhardt, R.; Bernstein, F. W., und Waechter, F.

K. (Hrsg.): „Die Wahrheit über Arnold Hau", Zweitausendeins, Frankfurt, 1977 – Henscheid, E.: „Trilogie des laufenden Schwachsinns", Zweitau- sendeins, Frankfurt, 1977/78; „Dolce Madonna bionda", Haffmans, Zürich 1983; „Wie Max Horkheimer einmal sogar Adorno hereinlegte", Haff- mans, Zürich, 1983 – Henscheid, E., und Bernstein, F. W. (Hrsg.): „Unser Goethe. Ein Lesebuch", Diogenes, Zürich, 1982; Henscheid, E., und

Poth, Chl.: „...über Oper. Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte", Ullstein- Tb. 20184, Berlin, Frankfurt – Poth, Chl.: „Mein progressiver Alltag", ro- roro-Tb. 1807, Reinbeck; „Wie man das Volk vertritt". Szenen aus dem Leben eines Bundestagsabgeordne- ten, Fischer-Tb. 2491, Frankfurt; „Die Vereinigung von Körper und Geist mit Richards Hilfe", Fischer-Tb. 8034, Frankfurt – Traxler, H.: „Leute von gestern", Diogenes, Zürich, 1983;

„Die Wahrheit über Hänsel und Gre- tel", rororo-Tb. 5092, Reinbeck; „Die Reise nach Jerusalem und acht wei- tere Bildergeschichten in Memoriam Paul VI", rororo-Tb. 5200, Reinbeck – Waechter, F. K.: „Wahrscheinlich guckt schon wieder kein Schwein", Diogenes, Zürich, 1978; „Männer auf verlorenen Posten", Diogenes, Zü-

rich, 1983

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Vollidioten im Wörtersee

Auch die von den Großen Theo- retikern der (alten) Frankfurter Schule eifrig untersuchte Praxis der Gesellschaftstheorie kommt bei Autoren wie Chlodwig Poth sowohl zeichnerisch (z. B.

„Mein progressiver Alltag", Ro- wohlt-Taschenbuch), wie auch als Prosa („Die Vereinigung von Körper und Geist mit Richards Hilfe", Fischer-Taschenbuch) nicht zu kurz. Mit Richard ist üb- rigens Richard Wagner gemeint, der sich, wie überhaupt die Kunst der Oper in der NFS einer gewissen Beliebtheit erfreut.

Insbesondere Eckhard Hen- scheid hat sich auf diesem Ge- biet sehr verdient gemacht, in- dem er zusammen mit einigen Koautoren einen Opernführer (... über Oper, Verdi ist der Mo- zart Wagners, Ullstein-Taschen- buch, 1982) erstellte, der sich in Diktion wie in der Schärfe der Analyse beispielsweise der Rol- le Don Ottavios im „Don Giovan- ni" in wohltuender Weise von der spröden Phantasielosigkeit anderer Opernführer abhebt und den das breite Spektrum der angesprochenen Themen — es wird unter anderem der Fra- ge warum Gustav Mahler keine Oper komponiert hat, Mozarts Frauen (Schöne Seelen, sehr konfus), der Geschichte der Mo- notonie sowie Fragen der Opernrekorde und der Opern- geographie nachgegangen — zu einem Muß für jeden Musik- freund macht.

Noch einmal zum CEuvre Eck- hard Henscheids. Seine „Trilo- gie des laufenden Schwach- sinns" (Zweitausendeins, 1977, 78), schon ein „Klassiker" der deutschen Gegenwartsliteratur, steht in mancherlei Hinsicht pa- radigmatisch für die NFS. Nicht nur, daß der erste Band der Tri- logie, die „Vollidioten" (Zwei- tausendeins, 1978), eine Art Schlüsselroman der Keimzelle der NFS darstellt, durch die gan- ze Trilogie zieht sich die vor al- lem nördlich der Mainlinie zu- weilen schwer verständliche Art

Immer wieder kommt bei der NFS der Mensch im Schwein zum Vor- schein. Das Schwein im Menschen?

des Humors. Henscheid selbst hat dazu einmal Stellung ge- nommen: „Mehrfach wurden meine beiden ersten Romane, ,Die Vollidioten' und ,Geht in Ordnung' als ‚satirische' gewür- digt, ( ) — was grober Unfug ist. Sie sind beide, wie auch noch der dritte Band der Trilo- gie, wesentlich realistische Ro- mane, humoristisch-realisti- sche, meinetwegen auch ko-

misch-realistische — etwa in der Tradition ( ) von Sterne, Do- stojewskij, Jean Paul, Tsche- chow, Svevo, auch noch von Kafka und Beckett — und diese drei Romane schneiden allen- falls nebenher etliche (zeit-)sati-

rische Grimassen."

Komik/Humor entsteht demnach für Henscheid aus der Realität, ist „realistisch". Nun ist das Ad- jektiv „realistisch" ein recht wei- ter Begriff und trifft letztlich auf jegliche Art von Literatur und Kunst zu, soweit sie in irgendei- ner Weise auf der Realität be- ruht bzw. die Wirklichkeit abbil- den will, und welche Kunst (in- klusive der surrealistischen und der phantastischen) will das nicht? Andererseits aber muß, je realistischer die Darstellung der Wirklichkeit ist, sie um so komi- scher, grotesker, satirischer wir- ken, denn dafür, daß die Wirk- lichkeit von komischen, grotes- ken, scheinbar satirischen Mo- menten wimmelt, dafür kann schließlich der Künstler, der sie darstellt, nichts. In diesem Sinne lese man Kafka, Dostojewskij, Thomas Mann, — lese man auch die Produktion der Neuen Frankfurter Schule.

Anschrift des Verfassers:

Helmuth Kahle

Ehrenstraße 80, 5000 Köln 1

2832 (84) Heft 39 vom 25. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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