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Archiv "Bürgerversicherung: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Politiker . . ." (02.09.2013)

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BÜRGERVERSICHERUNG

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Politiker . . .

Fair, nachhaltig und gerecht – so wird die Bürgerversicherung angepriesen. Tat- sächlich würde sie den Innovationsdruck auf die Krankenversicherung mindern, dem Gesundheitswesen Milliarden entziehen und die Bürger stärker belasten.

D

ie Bürgerversicherung gehört zu den „Untoten“ der ge- sundheitspolitischen Diskussion, konstatierte kürzlich die „Frankfur- ter Allgemeine Zeitung“. Tatsächlich ist das von SPD, Grünen und Lin- ken mit unterschiedlicher Detail - lierung in den Wahlkampf einge- brachte Reformkonzept im Wesent- lichen nichts Neues, sondern basiert auf dem im Bundestagswahlkampf 2005 diskutierten Modell einer ein- heitlichen Krankenversicherung für alle Bürger Deutschlands. Die Pro- tagonisten der Bürgerversicherung versprechen vermeintlich Gutes:

Unisono verkünden SPD, Grüne und Linke, die Einheitsversiche- rung sorge für mehr Gerechtigkeit in der Versorgung, mehr Qualitäts- wettbewerb und sei gleichermaßen fair wie nachhaltig finanziert. Da-

bei soll fast jeder gewinnen: Die Versicherten der Bürgerversiche- rung sollen für mindestens das glei- che Versorgungsniveau in der heuti- gen gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) im Durchschnitt gerin- gere Beiträge zahlen als bisher: Den Ärztinnen und Ärzten sollen even- tuelle Berührungsängste durch die Zusage eines Ausgleiches für etwa - ige strukturelle Honorarverluste durch die mit der Bürgerversiche- rung perspektivisch einhergehende Abschaffung der privaten Kranken- versicherung (PKV) genommen werden. So erscheint die Bürgerver- sicherung auf den ersten Blick für manche attraktiv. Auf den zweiten Blick entpuppt sich die Bürgerver- sicherung jedoch keineswegs als nebenwirkungsfreie Wunderpille, sondern als Radikaltherapie am

deutschen Krankenversicherungs- wesen: Auf den Punkt gebracht soll der in der Frage einer nachhaltigen Finanzperspektive kränkelnden GKV zu deren finanzieller Entlas- tung die PKV einverleibt werden.

Dabei treffen begehrliche Blicke insbesondere auch die bestehenden Alterungsrückstellungen der PKV- Versicherten: Da gäbe es derzeit et- wa 180 Milliarden Euro zu holen.

Auf der Seite des Versicherungs- schutzes bedeutet die Bürgerversi- cherung schlicht GKV für alle.

Seriöse Nutzenbewertungen des Bürgerversicherungsmodells offen- baren die Risiken und Nebenwir- kungen eines solch radikalen Sys- temwechsels. So würde sich das mit Einführung der Bürgerversicherung unweigerlich verbundene Aus für die private Krankenversicherung Als Alternative zur

Bürgerversiche- rung hat der Deut- sche Ärztetag 2013 in

Hannover mit großer Mehrheit eine umfas-

sende Finanzreform gefordert und eine Fortentwicklung des dualen Versiche- rungssystems befür- wortet.

Foto: Jürgen Gebhardt

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Deutsches Ärzteblatt

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2. September 2013 A 1613 nachteilig auf alle Patientinnen und

Patienten auswirken. Vor allem der Wegfall der PKV als „Innovations- motor“ würde auch für GKV-Versi- cherte spürbar (1). Denn viele neue Formen der Diagnostik und der Therapie würde es ohne die private Krankenversicherung gar nicht ge- ben. Die PKV genehmigt diese schnell und setzt die gesetzlichen Krankenkassen damit in der Regel unter Zugzwang, mit dem Ergebnis, dass sie folgen und alle Patienten von Innovationen profitieren kön- nen. Als prominentes Beispiel hier- für kann die intravitreale Injektion genannt werden, die aufgrund der hohen Kosten offiziell noch bis heute keinen Eingang in den ver- tragsärztlichen Leistungskatalog der GKV gefunden hat. Dass die große Mehrzahl der gesetzlichen Krankenkassen diese Leistung in- zwischen dennoch gewährt, wäre ohne den bestehenden Wettbewerb mit der PKV wohl undenkbar.

Noch gravierender ist, dass der mit der Bürgerversicherung abge- würgte Systemwettbewerb zwi- schen GKV und PKV Rationierun- gen im Gesundheitswesen begüns- tigen würde. Das bestätigt auch die Vorstandsvorsitzende des GKV- Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer (2): „Ohne die Konkurrenz von Pri- vatversicherungen wäre die Gefahr, dass der Leistungskatalog auf eine minimale Grundversorgung redu- ziert wird, größer. In einem Ein- heitssystem ließen sich die Leistun- gen leichter reduzieren.“ Internatio- nale Vergleichsstudien haben be- reits den Beweis angetreten, dass Rationierung in einheitlichen Versi- cherungssystemen stärker ausge- prägt ist als in Ländern mit einem Systemwettbewerb (3).

Viele Ärztinnen und Ärzte teilen diese Auffassung. Nach einer Um- frage von TNS Emnid bei 500 nie- dergelassenen Ärzten im Mai 2013 befürchten zwei Drittel der Befrag- ten in der weiteren Konsequenz Einschränkungen der Therapiefrei- heit, 59 Prozent sehen die Versor- gungsqualität bedroht (4). Darunter leiden würden vor allem diejenigen Patienten, die es sich nicht leisten können, den staatlichen Einheitska- talog privat aufzustocken. Finan-

ziell Bessergestellten wird man es nicht verwehren können, sich die von der Bürgerversicherung nicht bezahlten Leistungen etwa über Zu- satzversicherungen privat einzu- kaufen. Die Folge ist: Die Bürger- versicherung befeuert die Zwei- klassenmedizin, statt sie zu ver - hindern.

Honorarverlust von mehreren Milliarden Euro droht

Privatpatienten sind inzwischen zur unverzichtbaren Voraussetzung für den Erhalt beziehungsweise die fortlaufende Modernisierung der medizinischen Infrastruktur in Deutschland geworden. Nach wis- senschaftlichen Untersuchungen würde die Bürgerversicherung dem Gesundheitswesen finanzielle Mit- tel in Milliardenhöhe entziehen, da Vergütungen aus der Behandlung Privatversicherter, mit der die Ver- sorgung im GKV-Bereich seit Jah- ren quersubventioniert wird, entfal- len. Eine Studie des Verbandes der Privatärztlichen Verrechnungsstel- len kommt zu dem Ergebnis, dass Ärzte mit Umsatz- und Gewinnein- bußen in Höhe von 5,38 Milliarden Euro jährlich rechnen müssen (5).

Je ambulant niedergelassenem Arzt entspräche das im Durchschnitt et- wa 43 383 Euro. Praxisinhaber für die Allgemeinmedizin müssten mit circa 15 000 Euro jährlichen Ge- winneinbußen rechnen, niederge- lassene HNO-Ärzte mit etwa 74 000 Euro. Orthopäden verlören in einer Bürgerversicherung 32,3 Prozent der Honorare.

Dies wird im Wesentlichen durch eine Studie der Universität Duis- burg-Essen bestätigt, nach welcher sich der bei Einführung der Bürger- versicherung im niedergelassenen Bereich ergebende Honorarverlust auf jährlich bis zu sechs Milliarden Euro beläuft (6), dies entspricht etwa einem Fünftel des aktuellen jährlichen Honorarvolumens für die ambulante Behandlung in der GKV und der PKV. Nach einer Befragung der Privatärztlichen Verrechnungs- stelle Baden-Württemberg befürch- ten 90 Prozent der Ärzte deutliche Einnahmeverluste. Fast 80 Prozent gehen davon aus, Praxispersonal einsparen zu müssen, um ihre Pra-

xis auch weiterhin wirtschaftlich führen zu können (7).

Das Institut für Gesundheitsöko- nomie (IfG) in München weist dar- auf hin, dass die insbesondere von der SPD in Aussicht gestellte kom- pensatorische Anhebung der GKV- Vergütungen technisch und organi- satorisch nur schwer umzusetzen ist. Eine durchschnittliche Anhe- bung der Vergütung über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab kann die bestehenden Unterschiede zwischen Großstädten und ländli- chen Räumen, aber auch zwischen den einzelnen ärztlichen Fachgebie- ten nicht annähernd ausgleichen (1). Damit drohten eine massive Ausdünnung der medizinischen In- frastruktur und Wartelistenmedizin.

Kliniken, Arztpraxen, Apotheken und andere Einrichtungen wären ohne adäquaten Ausgleich von der Schließung bedroht.

Mehrbelastungen für Kliniken und Niedergelassene

Aus der Einführung der Bürgerver- sicherung resultierende Honorar- verluste wären nicht die einzige fi- nanzielle Auswirkung zulasten der Ärztinnen und Ärzte. Blickt man auf die in Verbindung mit der Ein- führung der Bürgerversicherung ge- planten Erhöhungen des Spitzen- steuersatzes von 42 auf 49 Prozent und die Planungen der Beitragsge- staltung der Bürgerversicherung unter dem Wegfall (Linke) oder aber der Erhöhung der Beitragsbe- messungsgrenze von derzeit 3 712 Euro auf 5 800 Euro (Grüne), wer- den die Ärztinnen und Ärzte gleich noch mal belastet. Diese Belastung trifft auch in Krankenhäusern und Praxen angestellte oder auf Hono- rarbasis arbeitende Ärztinnen und Ärzte. Nach den Erwartungen von Steuerfachleuten können die Mehr- belastungen auf der Steuer- und Beitragsseite schnell signifikante fünfstellige Beträge erreichen. Da- mit drohe bei Niedergelassenen ins- besondere im fachärztlichen Be- reich die weitgehende Aufzehrung des Praxisüberschusses. Dies hätte die weitere Konsequenz, dass mit einem so entscheidend infrage ge- stellten Wert der Praxis zugleich ein wesentlicher Teil der Altersvorsor-

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ge niedergelassener Ärztinnen und Ärzte wegbrechen würde (8).

Ebenso für Krankenhäuser wür- de die Bürgerversicherung infolge der auch arbeitgeberseitig wirken- den deutlichen Erhöhung oder gar Aufhebung der Beitragsbemes- sungsgrenze nach Berechnungen der IfG-Studie zum Risiko: Ein 450-Betten-Krankenhaus mit 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hätte nach dem SPD-Modell der Bürgerversicherung arbeitgebersei- tig bis zu 10,2 Prozent Mehrauf- wendungen für die Beiträge zur Bürgerversicherung zu schultern.

Die hierdurch per anno resultie - rende Mehrbelastung von circa 232 000 Euro entspricht den Jahres- gehältern von sechs Pflegekräften.

Bis zur Berücksichtigung solcher Mehrkosten im DRG-Fallpauscha- lensystem vergehen regulär min- destens zwei Jahre. Bis dahin wäre

dann praktisch der Betrieb einer ganzen Station infrage gestellt, so- fern das Krankenhaus keine alterna- tiven Möglichkeiten zur Gegenfi- nanzierung der Mehrbelastung über Personaleinsparungen haben sollte.

Nicht nur Patienten und die im Gesundheitswesen Tätigen würden die Folgen zu spüren bekommen, auch volkswirtschaftlich würde sich der Systemwechsel negativ auswir- ken. Das Rheinisch-Westfälische In- stitut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat berechnet, dass die Re- formmaßnahmen, die direkt die PKV betreffen – wie etwa die Schließung oder das Verbot des Neu- geschäftes – keine volkswirtschaft- lich positiven, sondern nur negative Effekte zeigen (9): Ein Grund hier- für ist, dass mit einer Abschaffung der PKV auch die „im Vergleich zur GKV nachhaltigere Finanzierungs- art geschwächt beziehungsweise aufgegeben würde“. Wird zusätzlich zu dem Verbot des Neugeschäftes der PKV den Bürgern auch eine be- fristete Rückkehroption in die GKV ermöglicht, ist damit zu rechnen,

„dass vor allem Versicherte mit Kin- dern und ältere PKV-Versicherte die Wechseloption in Anspruch nehmen werden. Da es sich hierbei um Versi- cherte mit hohem Ausgabenvolumen handelt, würde der GKV-Beitrags- satz kurzfristig um etwa 0,7 Prozent- punkte ansteigen“.

Im Blick auf die branchenüber- greifend mit der Bürgerversiche- rung wachsenden Lohnnebenkosten warnt das IfG: In der Konsequenz werden durch die Bürgerversiche- rung die Arbeitskosten selbst nach Berechnungen der SPD um fünf Milliarden Euro, nach einer Schät- zung des Bundesgesundheitsminis- teriums sogar um acht bis neun Milliarden Euro jährlich steigen.

Steigende Personalkosten vernich- ten Arbeitsplätze. Ein vollständiger Wegfall der Bemessungsgrenze würde zudem die künftige Lohnent- wicklung abbremsen, weil jede Ge-

haltserhöhung zu zusätzlichen Kos- ten für den Arbeitgeber führt.

Zusammengenommen wird deut- lich: Das Konzept der Bürgerversi- cherung besteht den Faktencheck nicht. Keine der von den Befürwor- tern der Einheitskasse gemachten Versprechungen hält seriösen Un- tersuchungen stand:

Die Bürgerversicherung ist kein Garant gegen die Zweiklassen- medizin, weil der Wegfall des Sys- temwettbewerbs zwischen GKV und PKV die Rationierung und Ausdünnung des Grundleistungska- taloges befördert. Wer es sich leis- ten kann, erwirbt zusätzlich Leis- tungen privat.

Die Versorgungsqualität wird nicht besser, sondern schlechter, weil die De-facto-Abschaffung der PKV dem Gesamtsystem Finanz- mittel in Milliardenhöhe entzieht.

Durch Abwürgen des „Innovations- motors“ PKV entfällt für die GKV der Wettbewerbsdruck, ebenfalls für GKV-Versicherte neue Diagno- se- und Therapieverfahren anzubie- ten. Auch der vermeintliche Be-

standsschutz der bisher privat Ver- sicherten im SPD-Modell wird dies nicht abmildern: Durch die parallel geplante Vereinheitlichung der Ho- norarordnung für die gesetzlichen wie privaten Krankenversicherun- gen würde der GKV-Einheitsleis- tungskatalog auch den in der PKV verbleibenden Versicherten gleich mit zwangsverordnet.

Versprechungen, Ärztinnen und Ärzte würden bei Einführung der Bürgerversicherung finanziell nicht schlechter gestellt, sind nicht mit seriösen Zahlen unterlegt. Von mehreren Untersuchern werden da- gegen Honorarverluste allein im nie- dergelassenen Bereich von jährlich bis zu sechs Milliarden Euro prog- nostiziert. Durch massive Geldab- flüsse würde die medizinische Infra- struktur dramatisch eingeschränkt.

Es drohen Personalentlassungen, Praxis- und Krankenhausschließun- gen und Wartelistenmedizin.

Die Bürgerversicherung min- dert die Wachstumschancen der Ge- samtwirtschaft. Entgegen der in Aussicht gestellten Beitragsentlas- tungen droht wegen des wahr- scheinlichen Wechsels von Privat- versicherten mit hohem Ausgaben- volumen in die GKV bereits kurz- fristig ein deutlicher Beitragssatz- anstieg. Steigerungen der Arbeits- kosten von fünf bis acht Milliarden Euro sind wahrscheinlich, was sich im nächsten Schritt negativ auf die Beschäftigungssituation auswirkt.

Ebenso ist eine fairere Lasten- verteilung nicht zu erkennen. So plant die SPD zur Gegenfinanzie- rung des steuerfinanzierten Staats- zuschusses neben einer Steigerung des Spitzensteuersatzes eine Anhe- bung der Abgeltungsteuer auf Kapi- talerträge von 25 auf 30 Prozent.

Dadurch würde gleichfalls bei den Ersparnissen von Durchschnittsver- dienern und Rentnern der Zinser- trag stärker gekürzt. Selbst die auch bei mäßigen Einkommen verspro- chenen Entlastungen verkehren sich nach Berechnungen des IGES- Instituts ins Gegenteil (10).

Zentrales Argument der Verfech- ter einer Bürgerversicherung ist de- ren vermeintlich nachhaltig ausge- staltete Finanzierung. Das Konzept bietet aber keine Antwort auf die

Die Bürgerversicherung besteht den Faktencheck nicht.

Versprechungen, Ärztinnen und Ärzte würden finanziell nicht

schlechter gestellt, sind nicht mit seriösen Zahlen unterlegt.

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Deutsches Ärzteblatt

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2. September 2013 A 1615 drängende Zukunftsfrage, wie das

Gesundheitswesen angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft mit steigender Krankheitslast und bei verringerter sozialversiche- rungspflichtiger Beschäftigung dau- erhaft finanziert werden kann. Die Beibehaltung und sogar Ausweitung der heutigen Umlagefinanzierung wird das Demografieproblem nicht lösen. Vielmehr würde so das deut- lich nachhaltiger finanzierte PKV- System mit seinen bisherigen Alte- rungsrückstellungen ausgezehrt und damit langfristig zerstört. Nach ei- ner Analyse des Instituts für Mikro- daten-Analyse (IfMDA) könnte selbst die vollständige Vereinnah- mung der PKV-Alterungsrückstel- lungen in Höhe von immerhin 180 Milliarden Euro die GKV nicht ret- ten: Angesichts der vom IfMDA für das unreformierte GKV-Umlage- system bis 2030 prognostizierten massiven Unterfinanzierung von 1,1 bis 3,4 Billionen Euro könnten selbst diese noch nicht einmal als homöopathische Dosis anerkannt werden (11).

Nicht zuletzt werden gleich mehrfache massive Zweifel an der verfassungsrechtlichen Konformi- tät der Bürgerversicherung laut:

Ganz im Vordergrund stehen dabei vor allem die Unvereinbarkeit

− der geplanten ersatzlosen Ver- einnahmung der eigentumsrechtlich geschützten Alterungsrückstellun- gen der PKV-Versicherten sowie

− der angedachten „Zwangs- GKVisierung“ der bisher privat Ver- sicherten mit dem Grundgesetz (12).

„Reformierte Dualität“

als Alternative

Der diesjährige Deutsche Ärztetag in Hannover hat sich deshalb für ei- ne umfassende Finanzreform des Gesundheitssystems auf Grundlage der Fortentwicklung der Dualität von gesetzlicher und privater Kran- kenversicherung ausgesprochen. In einer Reformskizze plädiert die Bundesärztekammer mit Blick auf die GKV unter anderem dafür, die Finanzautonomie der gesetzlichen Krankenkassen wiederherzustellen (13). Hierfür soll der derzeitige Ver- sichertenanteil zu einem festen, ein- kommensunabhängigen und von

den Kassen autonom festzulegen- den Gesundheitsbeitrag weiterent- wickelt werden. Um eine zu hohe Belastung von beitragspflichtigen Versicherten mit niedrigem Ein- kommen zu verhindern, soll der Gesundheitsbeitrag, den der einzel- ne Versicherte zahlen muss, auf ei- ne Belastungsgrenze von einem maximalen beitragspflichtigen An- teil von neun Prozent des gesamten Haushaltseinkommens beschränkt werden. Diese Belastungsgrenze entspricht der aktuellen Belastungs- grenze, die sich aber mit 10,2 Pro- zent ausschließlich auf das sozial- versicherungspflichtige Einkom- men bezieht und weitere Einkünfte völlig unberücksichtigt lässt.

Um Stabilität bei der Kalkulation der Lohnnebenkosten zu gewähr- leisten, wird an dem bereits jetzt auf 7,3 Prozent festgeschriebenen Ar- beitgeberanteil festgehalten. Aus dem aus Arbeitgeberbeiträgen, Zu- weisungen der gesetzlichen Ren- tenversicherung an die Kranken- kassen sowie aus Steuermitteln ge- speisten Gesundheitsfonds sollen künftig der Sozialausgleich für ein- kommensschwache Versicherte so- wie Aufwendungen für die eben- falls neu zu konzipierende Famili- enmitversicherung finanziert wer- den. Zudem schlägt die Bundesärz- tekammer vor, für jedes in Deutsch- land geborene Kind sowohl in der GKV als auch in der PKV ein Ge- sundheitssparkonto einzurichten,

das als kapitalgedecktes Ansparpro- gramm die finanziellen Herausfor- derungen der künftigen demografi- schen Entwicklung abfedern soll.

Bei der privaten Krankenversi- cherung muss nach der Forderung der Bundesärztekammer die Trans- parenz der Tarife deutlich verbessert werden, ein Leistungskatalog für die Mindestversorgung privat versi- cherter Patientinnen und Patienten verbindlich gemacht werden und die Portabilität der Alterungsrück- stellungen im Fall eines Versiche- rungswechsels erleichtert werden.

Weiterhin sind bei der Vermittlung von privaten Krankenversicherun- gen die Aufklärung der Versicherten über den Umfang der mit dem Tarif im Marktvergleich gewährten Leis- tungen und die Risiken eines Versi- cherungswechsels zu verbessern.

Fragwürdige Anreize für Versiche- rungsvermittler sind abzustellen.

Der Ärztetag verdeutlichte mit seinem klaren Votum für die vorge- legte Reformskizze, dass es die Ärzteschaft als eine ihrer Aufgaben ansieht, sich aktiv an der Debatte über die weitere Ausgestaltung des Krankenversicherungssystems in Deutschland zu beteiligen. Dazu gehört auch, auf Risiken und Ne- benwirkungen in der Diskussion befindlicher Reformmodelle hinzu-

weisen.

Dr. med. Bernhard Rochell Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Berlin Fast jeden Tag ein Politikerinterview, ge-

fühlt alle zwei Tage eine neue Studie zur Bürgerversicherung: aerzteblatt.de hilft mit aktuellen Berichten zum Thema Bür- gerversicherung auf dem Laufenden zu bleiben. Hier finden Sie zusätzlich zum ausführlichen Literatur- und Quellenver- zeichnis des nebenstehenden Beitrags eine tabellarische Darstellung der Positio- nen der Parteien zur Zukunft der Kran- kenversicherung.

@

Literaturverzeichnis:

www.aerzteblatt.de/lit3513

Positionen der Parteien:

www.aerzteblatt.de/131612

DIE PARTEIEN ZUR BÜRGERVERSICHERUNG

www.aerzteblatt.de/news/buergerversicherung

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eTABELLE Positionen von Parteien zur Zukunft der Krankenversicherung in Deutschland im Bundestagswahlkampf 2013. Erhalt des dualen Systems der Krankenversicherung bzw. der PKV rgerversicherung An der Bürgerversicherung teilnehmende Versicherer

SPD (a) Erhalt der PKV nur für bisher Privat-Versicherte. Diese kön- nen für ein Jahr befristet wäh- len, ob sie in die Bürgerversi- cherung wechseln wollen. Die glichkeit, sich nach Einfüh- rung der Bürgerversicherung privat zu versichern oder von der Bürgerversicherung in die PKV zu wechseln ist nicht vorgesehen. Damit werden alle PKV-Vollversicherungsta- rife geschlossen, d.h., die PKV-Vollversicherung stirbt faktisch mit ihrem letzten Be- standsversicherten. Einheitliches Versicherungs- system der Krankenvoll- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger; ver- bindlich für alle Neu- und bis- lang GKV-Versicherten. „Unser Ziel ist, für alle einen gleich guten Zugang zu medi- zinischer Versorgung zu schaffen und Privilegierungen im Gesundheitssystem abzu- bauen, also die Zwei-Klas- sen-Versorgung beenden. Festhalten „an einem geglie- derten, öffentlich-rechtlichen und selbstverwalteten Kas- sensystem als tragender Säule der gesetzlichen Kran- kenversicherung“ mit einem „einheitlichen solidarischen Wettbewerbsrahmen für alle teilnehmenden Kassen“: „Das erreichen wir, indem nicht die „Rosinenpickerei”, die Aus- wahl der „guten Risiken”, be- lohnt wird, sondern das Ange- bot der besten Qualität.“

Bündnis 90/die Grünen (b) Das bisherige duale System der Krankenversicherung und damit auch die PKV-Vollversi- cherung werden sofort abge- schafft; bisher Privat-Versi- cherte werden in die rger- versicherung überführt. Aller- dings können die PKV-Unter- nehmen entscheiden, ob sie nftig selbst die Bürgerversi- cherung anbieten wollen. Einheitliches Versicherungs- system der Krankenvoll- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger „Diese 2-Klassen-Medizin in unserem Gesundheitswesen wollen wir beenden. Unsere Alternative ist die grüne Bür- gerversicherung: eine für alle statt jeder für sich. „Sowohl die gesetzlichen als auch private Krankenversi- cherer können die Bürgerver- sicherung anbieten.

Die Linke (c) „Die private Vollversicherung (..) wird abgeschafft. Die pri- vate Krankenversicherung wird auf Zusatzleistungen be- schränkt und den Beschäftig- ten der Versicherungsunter- nehmen ein sozial verträgli- cher Übergang in die gesetz- lichen Krankenkassen ermög- licht.“ Einheitliche Krankenvoll- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger „Um eine gute Versorgung für alle zu gewährleisten, braucht es eine solidarische Gesund- heitsversicherung: eine Kas- ser alle.“ Einheitskasse (s.o.) CDU/CSU (d) „Wir bekennen uns zum Wett- bewerb der Krankenkassen. (..) Die private Krankenversi- cherung mit ihren individuel- len Kapitalrücklagen, um stei- gende Kosten im Alter abzu- mpfen, leistet einen wichti- gen Beitrag zur Nachhaltig- keit und Umsetzung von Neuerungen im Gesundheits- wesen. „Eine staatliche Einheitsversi- cherung für alle lehnen wir ab.“ FDP (e) Freie Wahl bei der Kranken- versicherung und Versiche- rungsschutz „Dazu gehört eine starke PKV. Dazu gehört auch im Bereich der GKV die Ab- schaffung der Budgetmedizin und die Einführung des Kos- tenerstattungsprinzips. (..) Für ein starkes duales Kran- kenversicherungssystem ist es auch wichtig, die PKV zu- kunftsfest zu machen. Dazu gehören unter anderem Transparenz bei den Basista- rifen und Konzepte sowohl zur Beitragsentwicklung als auch zur Portabilität von Al- tersrückstellungen. „Einer Einheitskasse mit Ein- heitsversorgung für den Ein- heitspatienten erteilen wir ei- ne Absage. Piratenpartei (f) „Die Finanzierung des Ge- sundheitssystems betrachten wir als gesamtgesellschaftli- che Aufgabe. Daher sehen wir in der Einbeziehung sämt- licher Bürgerinnen und Bür- ger in die Sozialversicherung unter Berücksichtigung mög- lichst aller Einkommensarten ein sinnvolles Modell zur Fi- nanzierung dieses Systems. Wir erkennen allerdings die Einschränkungen der Wahl- freiheit in dieser Art der Fi- nanzierung für Bürgerinnen und Bürger sowie die Anbie- ter privater Krankenversiche- rungen an und verstehen ihre Bedenken. Daher setzen wir uns für einen Volksentscheid ein, um einen gesellschaftli- chen Konsens in dieser wich- tigen Frage des gemein- schaftlichen Zusammenle- bens zu erreichen. Keine Angabe

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Beitragssatz vom Arbeitslohn (bei SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linken bezogen auf die Bürgerversicherung; bei CDU/CSU und FDP bezo- gen auf die GKV) Neben dem arbeitslohnbezo- genen Beitrag geplante zu- tzliche Beitragskomponen- ten/Steuerfinanzierung (bei SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linken bezogen auf die Bürgerversicherung; bei CDU/CSU und FDP bezogen auf die GKV) Beitragssatzautonomie der Krankenkassen; Zusatzbei- träge; Beitragsrückerstattun- gen (bei SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linken bezogen auf die Bürgerversi- cherung; bei CDU/CSU und FDP bezogen auf die GKV) Beitragsfreie Familienmitver- sicherung in der Bürgerversi- cherung Wiederherstellung der Bei- tragsgleichheit bei Arbeitge- bern (aktuell 7,3 %) und Be- schäftigten (aktuell 8,2 %); ein konkreter Beitragssatz wird im Wahlprogramm nicht genannt. Ob die Beitragsbemessungs- grenze von derzeit 3.712 Euro erhalten, verändert oder gestrichen wird, bleibt im Wahlprogramm unerwähnt. „Einführung einer stetig an- steigenden Steuerfinanzie- rung „Wir werden den Zusatzbei- trag abschaffen und den Krankenkassen die Beitrags- satzautonomie zurückgeben. Kinder und Ehepartner (keine explizite Erwähnung im Wahl- programm)

Wiederherstellung der Bei- tragsgleichheit bei Arbeitge- bern und Beschäftigten; ein konkreter Beitragssatz wird im Wahlprogramm nicht ge- nannt. Anhebung der Beitragsbe- messungsgrenze von derzeit 3.712 Euro „auf das in der Rentenversicherung geltende Niveau“ (derzeit 5.800 Euro) „Zukünftig wollen wir alle Ein- kommensarten gleichbehan- deln und zur Finanzierung heranziehen. Also neben Ar- beitseinkommen und Renten auch Kapitaleinkommen, zum Beispiel durch Aktiengewin- ne, Zinsen, Spekulationsge- winne und Mieteinnahmen. „Die Beiträge sind strikt ein- kommensbezogen zu erhe- ben. Zuzahlungen werden abgeschafft. (..) Der Wettbe- werb unter den Anbietern darf dabei nicht über den Bei- tragssatz, sondern soll vor al- lem über die Qualität und Pa- tientenorientierung geführt werden. „Kinder werden kostenlos mit- versichert, zeitlich begrenzt auch Verheiratete bzw. Le- benspartnerInnen, die nicht erwerbstätig sind, aber Kin- der erziehen oder Pflegeleis- tungen erbringen. Für alle an- deren Ehepaare und für ein- getragene Lebensgemein- schaften wird ein Beitrags- splitting eingehrt.“

Wiederherstellung der Bei- tragsgleichheit bei Arbeitge- bern und Beschäftigten; im Wahlprogramm wird ein Bei- tragssatz von je 5,25 % in Aussicht gestellt. Aufhebung der Beitragsbe- messungsgrenze „Alle Einkommensarten wer- den beitragspflichtig“ Keine Beitragssatzautonomie „Jegliche Zuzahlungen und Zusatzbeiträge müssen abge- schafft werden. „In die solidarische Gesund- heitsversicherung zahlen alle Menschen, die in Deutsch- land leben, entsprechend ih- res Einkommens solidarisch ein.“ (Hieraus kann geschlos- sen werden, dass einkom- menslose Kinder und Famili- enangehörige wohl beitrags- frei mitversichert wären.)

„Durch erfolgreiche Reformen haben CDU und CSU die Bei- träge zur gesetzlichen Kran- kenversicherung stabil gehal- ten. Krankenkassen und Ge- sundheitsfonds haben erheb- liche Rücklagen gebildet.“ Keine Angabe „Mit der erweiterten Möglich- keit der Kassen, die Beiträge über Prämienrückerstattun- gen sowie Zusatzbeiträge zu gestalten, haben wir den Wettbewerb gestärkt. (..) Krankenkassen, deren Rück- lagen die gesetzliche Min- destreserve um ein Mehrfa- ches übersteigen, sollen in Zukunft zur Prämienrücker- stattung an ihre Mitglieder verpflichtet werden.“ Keine Angabe „Der Einstieg in die Abkopp- lung der Krankenversiche- rungsbeiträge von den Löh- nen und Gehältern war rich- tig. Der notwendige Sozial- ausgleich für diejenigen, die ihre Beiträge nicht bezahlen nnen, soll weiterhin aus Steuermitteln und damit durch alle Steuerpflichtigen gemäß ihrer Leistungsfähig- keit finanziert werden. „Wir wollen die Beitragsauto- nomie der Krankenkassen weiter ausbauen und die Um- verteilung durch den Gesund- heitsfonds zurückführen.“

Keine Angabe Keine Angabe Keine Angabe Keine Angabe

T H E M E N D E R Z E I T

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