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Archiv "Bereitschaftsdienst im Lahn-Dill-Kreis: Wo Ärzte nachts gut schlafen" (01.03.2013)

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A 366 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 9

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1. März 2013

P O L I T I K

W

enn Dr. med. Michael Saar sich erinnert, wie seine Be- reitschaftsdienste früher verliefen, klingt das, als ob er es selbst kaum noch glauben kann. „Alle Anrufe kamen bei mir zu Hause an“, er- zählt er. „Der Opa kriegt so schlecht Luft“, habe es dann geheißen. „Ich raste mitten in der Nacht hin – da war der Notarzt auch schon da.“ Oder die vielen besorgten Mütter. „Die riefen nachmittags an, da war das Fieber des kranken Kindes noch nicht hoch. Nachts klingelte dann wieder das Telefon: 39,5 Grad Celsius! Aus lauter Sorge, dass es so weitergeht, bin ich meist hingefahren. Für mich war die Nacht gelaufen.“

Das war vor mehr als zehn Jah- ren. Heute hat Saar zwar immer noch etwa 40-mal im Jahr Bereit- schaft, aber er stellt fest: „Seit mehr als zwölf Monaten musste ich dafür nachts nicht mehr aus dem Bett.“

Lebensqualität, wie er findet.

Sie ist für ihn und circa 250 Ver- tragsärztinnen und -ärzte im Lahn- Dill-Kreis in der Mitte Hessens die Folge der guten Arbeit des A.N.R., des „Arzt-Notrufs in der Region“.

1996 gründeten die damals Nieder- gelassenen inklusive Saar, heute

stellvertretender A.N.R.-Vorsitzen- der, den Verein. Der Vorstand, da- mals unter Führung von Dr. med.

Gert Schmidt, verhandelte für die von langen Bereitschaftsdienstta- gen und kurzen Nächten zermürb- ten Kollegen mit der Kassenärzt - lichen Vereinigung Hessen, dem Landessozialministerium und den Kassen erfolgreich sein Modell.

Fragen, zuhören, flink tippen

Seit Ende 1999 landen alle, die die örtliche Bereitschaftsdienstnummer wählen, bei einem Arzt des A.N.R., der gerade in der zentralen Leitstelle des Kreises in Wetzlar einen Dienst übernommen hat. Das Besondere:

Dort sitzen nicht nur die ärztlichen Koordinatoren, sondern auch die Disponenten für Rettungsdienst, Feuerwehr und Katastrophenschutz.

Und zwar in einem Großraumbüro, der „Integrierten Zentralen Leitstelle Lahn-Dill“, verbunden durch einen Einsatzleitrechner für alle.

An diesem Mittwoch hat Dr.

med. Margarethe Best von 14 bis 19 Uhr den Dienst übernommen – frei- willig, wie alle Ärzte hier. Abends wird sie ein Kollege ablösen und bis morgens um sieben bleiben. Die

Dienste werden mit 50 Euro pro Stunde honoriert. Bevor die lang- jährige Allgemeinärztin ihre Arbeit erläutern kann, klingelt das Telefon.

„Arztnotruf, Dr. Best. Ich bin die diensthabende Ärztin“ – diesen Satz wird sie noch zigmal in das Mikrofon ihres Headsets sprechen.

Best hört zu, fragt nach: Herzbe- schwerden des Ehemanns? Zum ersten Mal? Seit wann? Schweiß- ausbruch? Weitere Symptome?

Alle Informationen gibt sie um- gehend in Kurzform in ein PC-For- mular ein: Name, Adresse, Be- schwerden, Krankenkasse. Extra- große Buchstaben und Zahlen auf der Tastatur erleichtern ihr das Tip- pen, mehrere Bildschirme neben - einander helfen ihr, die Übersicht zu bewahren: Auf einem kann sie erkennen, welche Informationen sie beim Anrufer noch abfragen muss.

Auf einem anderen Bildschirm tau- chen, kaum dass sie den Anfang ei- nes Ortsnamens eingegeben hat, schon die Namen und Adressen der Ärzte auf, die dort gerade im Be- reitschaftsdienst sind. Auch Infor- mationen über Apotheken, Kran- kenhäuser oder Anrufer in der War- teschleife kann die Ärztin abrufen.

In der Mitte Hessens wird der ärztliche Bereitschaftsdienst mit Hilfe von Kollegen in einer zentralen Leitstelle des Landkreises koordiniert.

Das Besondere: Sie sitzen unter einem Dach mit den Disponenten für Rettungs-

dienst und Feuerwehr.

BEREITSCHAFTSDIENST IM LAHN-DILL-KREIS

Wo Ärzte nachts gut schlafen

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„Ich schicke jetzt den Rettungs- wagen und den Notarzt los“, ver- spricht sie der Anruferin, die sich große Sorgen um ihren Mann macht, und legt auf. Der dafür zu- ständige Disponent schräg gegen- über hat es schon gehört. Ein Klick – und er hat alle Informationen pa- rat, die sie zuvor eingegeben hat.

Eine schwierige Entscheidung?

Diesmal nicht: „Das muss sofort abgeklärt werden“, sagt Best be- stimmt. Sicher findet sie manche Entscheidung schwierig, selbst nach ungefähr zehn Jahren Diensterfah- rung in der integrierten Leitstelle, denn: „Ich will nicht gleich den Rettungswagen schicken, aber auch nicht bagatellisieren.“ Ende der Er- läuterungen, es klingelt wieder.

Oft hilft schon das Telefonat

„Arztnotruf, Dr. Best. Ich bin die diensthabende Ärztin.“ Eine Mutter ist am Telefon, deren Kind erkrankt ist. Kaum sind ihre Daten eingege- ben, erscheint auf einem der Bild- schirme, welcher Kinderarzt in ih- rer Nähe in Bereitschaft ist. Best nennt der Mutter Name und Adres- se und informiert auch den Kolle- gen. Das ist, als Fax oder Mail vom PC aus, üblich. Ein letzter Blick auf die Bildschirme: Nichts vergessen?

„Ach, den Namen des Kindes“, stellt Best fest. Sie ruft zurück und füllt die Lücke im Formular aus.

Auch wenn in der Zentrale alle Koordinatoren für Krankheits- und

Unglücksfälle in einem Raum zu- sammenarbeiten: Die Verantwor- tung ist eindeutig aufgeteilt. Kreis- brandinspektor Rupert Heege, der Hausherr, erläutert wie: „Der Bür- ger soll vorfiltern.“ Fürchtet eine Anruferin, ihr Mann habe einen Herzinfarkt erlitten, und wählt die 112 für den Rettungsdienst, dann ist der Rettungsdienst-Disponent zu- ständig und verantwortlich – bis er womöglich an die koordinierende Ärztin im Bereitschaftsdienst ab- gibt, weil er die Lage harmloser einschätzt als die Anruferin. Umge- kehrt gilt: Wählt ein Anrufer 19292 oder 116117 für den ärztlichen Be- reitschaftsdienst, entscheiden die Ärzte in der Leitstelle – bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie bitten, Fahr- zeug und Notarzt loszuschicken.

Die Vorteile der klaren Regeln wie des engen Austauschs liegen für alle auf der Hand: Einem Drittel der Anrufer kann man telefonisch weiterhelfen, hat der A.N.R. ermit- telt. Hausbesuche, nächtliche Ein- sätze im Bereitschaftsdienst, aber auch Selbsteinweisungen ins Kran- kenhaus haben deutlich abgenom- men. Die Zeiträume, innerhalb de- rer die Rettungsfahrzeuge vor Ort sein können, haben sich verkürzt, weil sie gezielter losgeschickt wer- den als früher. „Wenn wir zu jedem Schnupfen den Notarzt schicken, müssten wir noch zehn mehr einset- zen“, betont Heege.

Der A.N.R.-Vorstand Saar schätzt die Zusammenarbeit in der Leitstel- le sehr. „Früher haben wir jeden Unterzucker in die Klinik fahren lassen“, sagt er. „Das machen wir nicht mehr.“ Wenn jemand beim Patienten ist, den Blutzucker regel- mäßig misst und engen Kontakt

zum Arzt in der Leitstelle hält, geht es auch ohne Klinik. Diensthabende Ärztinnen wie Best telefonieren dann regelmäßig mit dem Angehö- rigen des Diabetikers, schließen sich stündlich mit Müttern hoch - fiebernder Kinder kurz oder helfen einer Pflegerin im Altenheim mit einem kranken Patienten durch die Nacht. „Die Kollegen haben sowie- so Dienst und sind nicht so muffig, wenn man mehrmals anruft, wie ein Arzt draußen im Bereitschafts- dienst“, findet Saar. „Und wenn man von der Zentrale informiert wird und raus muss, weiß man:

Jetzt ist es wirklich ernst.“

Mitschnitt für Beschwerden

„Frau Dr. Best, hier ist ein Anruf, der ist nicht so schön“, ruft ein Dispo- nent des Rettungsdienstes. „Taub- heitsgefühle im Gesicht. Wollen Sie den mal haben?“ Best will. Ein paar Klicks, und sie sieht auf ihren Bild- schirmen, wonach der Disponent sich schon erkundigt hat und wer an- ruft. Etliche Nachfragen, dann ist sie sicher: Kein Schlaganfall, eher eine verschleppte Zahnentzündung. Der Anrufer verspricht, umgehend in die nächste Zahnklinik zu fahren.

Und wenn sich Best geirrt hat?

Eine Fehldiagnose gestellt hat? Be- schwerden gab es selten, juristische Klagen noch nie, aber: Alle Telefo- nate werden aufgezeichnet, die Ent- scheidungen sind somit nachvoll- ziehbar. Im Fall der Fälle setzen sich Heege und Dr. med. Horst Klewer, der Obmann der Leitstellenärzte, zu- sammen und hören das Band vom Einsatztag ab. Dann sprechen sie mit demjenigen, der sich beschwert hat.

Die wenigen Male bisher hätten ge- zeigt: Die Bürger erinnerten sich un- Zwei Professionen,

eine Linie: Arzt Michael Saar (links) und Kreisbrand - inspektor Rupert Heege in der Leitstelle

Fotos: picture alliance/Jan Haas für Deutsches Ärzteblatt

„Arztnotruf, Dr. Best. Ich bin die diensthabende Ärztin.“ Schon diese wenigen Worte beruhigen viele Anrufer.

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1. März 2013 zureichend; kein Wunder bei der

Aufregung, berichtet Klewer. Alles perfekt also?

Auch im Lahn-Dill-Kreis nicht.

„Die älteren Kollegen tun sich schwer, eine ganze Nacht lang hier zu sitzen“, sagt Saar. Dazu kommen Debatten übers Geld. In den ersten zehn Jahren übernahmen die Kran- kenkassen sämtliche Kosten; jähr- lich etwa 650 000 Euro. Mittlerwei- le tragen sie nur noch ein Drittel di- rekt. Ein weiteres Drittel finanzie- ren die Vertragsärzte über eine mo- natliche Umlage von 50 Euro, ein Drittel über die Abrechnung einer telefonischen Beratung pro Anrufer.

Der A.N.R. hat zwar berechnen lassen, was die Kassen an Kranken- hauseinweisungen und Rettungs- dienstfahrten sparen. Heege ist sich auch sicher, dass er ohne die ärztli- chen Telefonkoordinatoren mehr Fahrzeuge vorhalten und mehr Not- ärzte einsetzen müsste. Doch es blieb immer schwierig, alle Kran- kenkassen von der Effizienz der Leitstelle zu überzeugen. Immerhin:

Ende 2012 haben sie den Vertrag mit dem A.N.R. unbefristet verlängert.

Anfangsdebatte um Struktur

Und warum hat das Modell bislang keine Nachahmer gefunden? Man müsse es schon miteinander kön- nen, heißt es in Wetzlar. Heege und Saar verleugnen nicht, dass es an- fangs Schwierigkeiten gab. „Wir ar- beiten extrem strukturiert“, betont der Kreisbrandinspektor. „Die Ein- satzzeiten, die wir einhalten müs- sen, sind ja gesetzlich vorgegeben.“

Die Ärzte mit ihrem Bereitschafts- dienst fand er anfangs nicht sehr gut organisiert. Ob sie mit der Technik und den Abläufen in der Leitstelle perfekt und zügig klarkommen würden, bezweifelte er. „Dieses Durchorganisierte des Rettungs- dienstes und der Feuerwehr war vielen Ärzten ein Gräuel“, bestätigt Saar lächelnd.

Grundsätzlich muss, wer in der Leitstelle koordinieren will, längere ärztliche Erfahrung mitbringen und sich technisch schulen lassen.

Längst läuft es gut. Das klingt bei Heege so: „Wir sind technisch und kommunikativ auf einer Ebene.“

Sabine Rieser

D

as Thema Notdienstordnung wird nirgendwo auf Gottes Erden konfliktfrei behandelt“, hat Dr. med. Peter Potthoff unlängst festgestellt. Die Diskussionen dar - über während der jüngsten Vertreter- versammlung (VV) der Kassenärzt- lichen Vereinigung (KV) Nordrhein, deren Vorstandsvorsitzender Pott- hoff ist, verleiteten ihn zu dieser Feststellung. Das Reformkonzept

der KV-Führung für den ambulanten ärztlichen Bereitschaftsdienst sieht als oberstes Ziel eine möglichst ein- heitliche Dienstbelastung vor. Auch ein einheitlicher Beitrag je Arzt zur Finanzierung der künftigen Dienst- strukturen soll erhoben werden.

Grundlage ist ein Beschluss der VV von November 2012.

Häufig: Vielfalt – oder Chaos

Dennoch hat das Konzept Kritiker, unter anderem im Hausärztever- band Nordrhein. „Der Laborarzt mit einer Million Euro Jahresum- satz zahlt denselben Beitrag wie der Hausarzt“, beschreibt Dr. med. Jens Wasserberg auf der Homepage des Verbandes eine Befürchtung. Es könne auch nicht sein, dass die Ver- tragsärzte von ihrem geringen Ho- norar noch eine Umlage für den Be- reitschaftsdienst bezahlen müssten.

Schnelle Umsetzung des Konzepts?

Nein. Erst soll der Notfalldienstaus- schuss, erweitert um einige Ärzte, das Ganze prüfen.

Dass Reformen des Bereit- schaftsdienstes keine Selbstläufer sind, muss derzeit auch die KV Hessen feststellen: Am letzten Fe - bruarwochenende diskutierte deren Vertreterversammlung ein Konzept zur Neuordnung. Beschlossen wur- de es aber noch nicht.

Auch in Baden-Württemberg er- regt die Neuordnung der Bereit- schaftsdienstbezirke sowie weitere Änderungen noch die Gemüter. Die KV steckt mitten in der Umstruktu- rierung, bislang herrschte Vielfalt oder Chaos – je nach Sichtweise. In 380 Bezirken regelten die Vertrags- ärzte jahrelang selbstständig die Dienstpläne für die Nächte und das Wochenende. Nun werden daraus AMBULANTER ÄRZTLICHER BEREITSCHAFTSDIENST

Allzeit bereit sein – das will keiner mehr

Der Bereitschaftsdienst verändert sich: größere Bezirke, weniger Dienste, Anlaufpraxen, moderne Telefon -

leitstellen. Doch es gibt Streit – nicht zuletzt ums Geld.

Gut erkennbar:

Die KV Berlin organisiert ihren

Fahrdienst zentral. Die Autos

fallen in der Stadt auf.

Mit ihnen ist regelmäßig Lisa Martin unterwegs.

Fotos: Georg J. Lopata

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