• Keine Ergebnisse gefunden

Editorial: Politikum

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Editorial: Politikum"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Politikum

3 TDF · MENSCHENRECHTE FÜR DIE FRAU 1/2006

P OLITIKUM

Liebe LeserInnen,

das islamische Kopftuch beschäftigt wei- terhin Europa und Deutschland. Gleich mehrere Konfliktherde und Gerichtsent- scheide tauchten in den vergangenen Wo- chen auf. Erfreulicherweise war darunter einer, wovon sich das Bundesverfassungs- gericht hätte eine Scheibe abschneiden können, als es im September 2003 ent- schied, dass muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen weiterhin ein Kopftuch tragen dürfen.

Für ein grundsätzliches Verbot gebe es keine gesetzlichen Grundlagen, urteilten die Richter. Das Gericht überließ es den Län- derparlamenten, zumutbare Regelungen zu finden. Einige Länderparlamente wie Ba- den-Württemberg und Hessen haben in- zwischen ein Kopftuchverbot für Lehrer- innen an staatlichen Schulen durchgesetzt.

Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Anfang No- vember ein klares Bekenntnis zur strikten Trennung von Religion und Staat, für die Gleichstellung der Geschlechter und für freiheitlich-demokratische Werte abgege- ben. Höchstrichterlich wurde entschieden:

Das Kopftuchverbot an türkischen Unis ist rechtens. Geklagt hatte eine Medizinstu- dentin, weil sie ihr Kopftuch an der Univer- sität Istanbul nicht ablegen wollte und deshalb 1998 nicht zu den Medizinprüfun- gen zugelassen wurde. Schon in der Türkei hatte die junge Frau vergeblich gegen ihren Ausschluss geklagt. Denn seit den Refor- men von Kemal Atatürk ab 1924 ist die Tren- nung von Staat und Religion in der türki- schen Verfassung fest verankert. „Ein Staat hat das Recht,mit dem Kopftuchverbot den Säku- larismus als Garant demokratischer Werte zu schützen“, urteilten die Straßburger Rich- ter. Das Gericht unterstützte die Argumen- te der KopftuchgegnerInnen, die im Kopf- tuch auch eine politische Bedeutung se- hen. Dieses Symbol wird von islamistischen Gruppen in der Türkei gezielt genutzt, um ihre Bewegung im ganzen Land zu etablieren.

Auch in Deutschland nutzen Islamisten dieses „Stück Stoff“, um ihre Ideologie, die

eine bewusste Abgrenzung von westlichen Lebenskonzepten und Emanzipations- modellen bedeutet, hoffähig zu machen.

Dieses Gesellschaftskonzept ist antidemo- kratisch und beruht auf einer patriar- chalischen Geschlechterordnung: Frauen sind den Männern geistig und körperlich unterlegen, sie sind keine gleichberech- tigten Partnerinnen, sondern werden auf ihre biologische Funktion als Gebärerin möglichst vieler Söhne und auf die daraus resultierende Rollenverteilung als Mutter, Ehefrau und Hausfrau reduziert.

Ziel der Islamisten ist es, die säkularen Ge- sellschaften zu destabilisieren und islami- sier te Inseln zu schaffen. Dazu muss die muslimische Gesellschaft von westlichen Einflüssen gereinigt werden, religiöse Klei- dervorschriften müssen von allen befolgt werden, Andersdenkende werden nicht akzeptier t. Die Folgen dieser totalitären Geisteshaltung reichen von Geschlech- terapar theid und Homophobie bis zu Zwangsheiraten und Morden oder Steini- gungen. Die islamischen Fundamentalisten brandmarken selbstbestimmte Lebensfor- men als „gottlos“, „verwestlicht“ und „deka- dent“. „Dadurch wird ein gewaltbereites Klima unter jungen Muslimen auch in un- serer Gesellschaft gefördert“, heißt es in einem Aufruf Gemeinsam gegen politischen Islam, Antisemitismus und Rassismus, den TERRE DES FEMMES mit unterzeichnet hat.

Deshalb halte ich ein deutschlandweites Kopftuchverbot für Erzieherinnen und Lehrerinnen in staatlichen Einrichtungen angesichts der derzeitigen Entwicklung für dringend geboten. Bereits heute ergreifen islamische Fundamentalisten jede Möglich- keit, um die deutsche Gerichtsbarkeit und Toleranz herauszufordern. So erstreiten darauf spezialisier te Rechtsanwälte im Namen von Religionsfreiheit und Eltern- recht die Befreiung muslimischer Schüler- innen von Biologie- und Spor tunterricht oder von Klassenfahrten.Vor allem Jugend- liche sind bevorzugte Subjekte von (ziel- gerichteter) Indoktrination.

Lange Jahre waren diese Themen tabuisiert, jetzt brauchen wir in Deutschland ein kla- res Bekenntnis zu Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Frauen und Mäd- chen und für die klare Trennung von Staat und Religion. Das ist wichtiger denn je, denn Gefahr droht nicht nur vom islamischen Fundamentalismus, auch der christliche ist wieder auf dem Vormarsch, vor allem in den USA: Dort führt die US-Regierung unter George Bush einen Kreuzzug gegen Schwangerschaftsabbrüche, sexuelle Auf- klärung und Kondome. Diese werden als

„unsittlich“ und „mit dem christlichen Glau- ben unvereinbar“ gebrandmarkt. Aids wird als gerechte Strafe für freizügige Sexualität gesehen. So blockiert die US-Regierung die Zahlungen an den Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, der für Familien- planung, AIDS-Aufklärung und Schwange- renversorgung in 140 Ländern zuständig ist.

In der Konsequenz bedeutet das eine töd- liche Bedrohung für Millionen von Men- schenleben.

In Deutschland hoffen wir (vorerst), dass Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Be- rufung von Maria Böhmer zur Staats- ministerin für Integration im Kanzleramt ein Zeichen setzt. Maria Böhmer hatte sich schon als Bundesvorsitzende der Frauen- union für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt. Wir haben Frau Böhmer zu der neuen Aufgabe gratuliert und hoffen auf eine gute Zusammenarbeit.

Ich wünsche Ihnen einen optimistischen, guten Start ins neue Jahr

Christa Stolle, Geschäftsführerin

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dadurch wer- den mehrere Milliarden Euro für sinnvolle Investitionen in bestehende Zugstrecken beispielsweise die wichtige Verbindung von München ü- ber Mühldorf in das

Panik im Badezimmer ein, wäh- rend ihre Eltern Himmel und Hölle in Bewegung setzen, sie dort pünktlich zur Trauung he- ruaszubekommen; und für ein junges Pärchen entwickelt sich

Durch eine engagierte Zusammenarbeit ist es den rund 80 Organisationen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Kultur und Zivilgesellschaft gelungen, die mit der

rend die einen auf ein Verhältnis vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Regierung bedacht waren, hielten die anderen, vor allem die Bischöfe der Diözesen in

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, kurz: EGMR, in Straßburg ist kein Justizpalast der alten Schule, wie etwa der IGH, der Internationale Gerichtshof

Schon immer galt uns der Griff nach staatlichen Aufgaben, staatlicher Würde und Macht seitens der christlichen Gemeinde als Abweichen vom lauteren Evangelium. Das bedeutet nicht,

Darüber hinaus rügte er nach Artikel 13, dass das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer

1.. d) Die Finanzierung der Kommission 61 e) Das Sekretariat der Kommission 63 f) Das Verhältnis der Kommission zu NGOs 64 2. Die Aufgaben der Kommission 67 a) Die Förderungsfunktion