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Das Reizdarmsyndrom

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Academic year: 2022

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Nach neueren Erkenntnissen tritt das Reiz- darmsyndrom bei älteren Patienten wahr- scheinlich ähnlich häufig auf wie bei jüngeren.

Daher sollten Geriatriker und Hausärzte auch an einen Reizdarm denken, wenn ältere Patienten unter organisch nicht erklärbaren gastrointestinalen Beschwerden leiden. Dia- gnose und Therapie des Reizdarmsyndroms gestalten sich bei Senioren häufig komplexer als bei jüngeren Menschen.

G E R I AT R I C S

Der Begriff Reizdarmsyndrom (Irritable Bowel Syndrome, IBS) bezeichnet eine Reihe funktionaler gastrointestinaler Störun- gen, die durch unangenehme Gefühle, veränderte Stuhlkonsis- tenzen und Schmerzen charakterisiert sind. Je nach den vor- herrschenden Symptomen kann man einen Diarrhötyp, einen Obstipationstyp sowie einen alternierenden Typ mit wechseln- den Stuhlkonsistenzen unterscheiden.

Gemäss einer US-Studie beeinträchtigt ein Reizdarmsyndrom die physische, soziale und mentale Lebensqualität der meisten älteren Patienten beträchtlich.

Epidemiologie

Etwa 20 Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind von einem Reizdarmsyndrom betroffen. Frauen leiden doppelt so häufig darunter wie Männer. Bis her wurde das Reizdarmsyndrom als eine Störung betrachtet, die hauptsächlich jüngere Menschen be- trifft. Bei den meisten Patienten tritt es erstmals zwischen dem 10. und dem 30. Lebensjahr in Erscheinung. Lediglich 10 Prozent aller Reizdarmsyndrome werden im Alter über 60 Jahren

diagnostiziert. Neuere Studien weisen jedoch darauf hin, dass etwa 10 bis 20 Prozent der gesamten älteren US-Bevölkerung an Symptomen leiden, die denen eines Reizdarms entsprechen.

Diagnose

Da es sich beim Reizdarmsyndrom um funktionelle Störungen handelt, die mit apparativen und labordiagnostischen Metho- den nicht nachgewiesen werden können, wurden Kriterien- kataloge zur Standardisierung der Diagnose entwickelt. Heute werden meist die Rom-II-Kriterien zur Verifizierung der Sym- ptome herangezogen.

Der Kriterienkatalog erzielt die höchste Treffsicherheit bei jün- geren Menschen und ist daher für die Diagnose des Reizdarms bei älteren Menschen nur bedingt geeignet.

Durch umfassende körperliche Untersuchungen müssen orga- nische Erkrankungen als Ursache der Symptome des Patienten abgeklärt werden. Da die Erkrankungshäufigkeit mit dem Alter zunimmt, muss die Untersuchung bei älteren Patienten be- sonders sorgfältig erfolgen.

Das Reizdarmsyndrom

Vorkommen, Diagnose und Therapie bei älteren Patienten

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■ Das Reizdarmsyndrom tritt bei älteren Patienten häufiger auf, als bisher angenommen wurde.

■ Bei organisch nicht erklärbaren abdominellen Sym- ptomen sollte auch bei Senioren an ein Reizdarm- syndrom gedacht werden.

■ Vor dieser Diagnose müssen organische Erkrankun- gen als Ursache der Beschwerden ausgeschlossen werden.

■ Diagnose und Therapie des Reizdarms bei älteren Menschen sollten Komorbiditäten und Polypharma- zie berücksichtigen.

■ Bei einer medikamentösen Reizdarmtherapie muss beachtet werden, dass bei Senioren besonders häufig Nebenwirkungen auftreten.

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Anhaltendes Fieber, Anämie, schwere chronische Durchfälle, aber auch familiärer Darmkrebs und familiäres Auftreten von chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten können bei Patien- ten mit gastrointestinalen Beschwerden meist als Hinweise auf Erkrankungen gewertet werden.

Die Diagnose «Reizdarmsyndrom» erfolgt abschliessend als Ausschlussdiagnose auf Grundlage der Anamnese, der Symptomerhebung entsprechend der Rom-II-Kriterien sowie der körperlichen Untersuchung.

Differenzialdiagnose

Der Ausschluss organischer Erkrankungen als Ursache abdo- mineller Symptome gestaltet sich bei Senioren aufgrund alte- rungsbedinger Faktoren der Patienten oft schwierig.

Einige gastrointestinale Erkrankungen, die mit reizdarm- ähnlichen Symptomen einhergehen, treten hauptsächlich in höherem Lebensalter auf. Dazu gehören Dysplasien und Kolonkarzinome.

Mit zunehmendem Alter immer häufiger auftretende physische Veränderungen des Kolons wie die Divertikulose, vor allem bei Entwicklung einer Divertikulitis, können ebenfalls von Sym- ptomen begleitet sein, die man auch beim Reizdarm findet.

Weitere Erkrankungen, die reizdarmähnliche Beschwerden ver- ursachen können, sind Schilddrüsenfehlfunktionen, Diabetes und andere Endokrinopathien sowie Achlorhydrie, Ovarialkar- zinome oder bakterielle Fehlbesiedlungen des Dünndarms.

Aber auch Erkrankungen mit gastrointestinalen Symptomen, die man traditionell vor allem jungen Patienten zuordnet, wie chronisch-entzündliche Darmkrankheiten (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) oder Zöliakie, treten nach neueren Erkenntnis- sen auch bei älteren Menschen häufiger auf, als bisher ange- nommen wurde.

Erschwerend kommt hinzu, dass bei Senioren oft Komorbiditä- ten vorliegen und deshalb gleichzeitig mehrere Medikamente eingenommen werden, manche in eigener Regie, andere ent- sprechend einer ärztlichen Verordnung. Medikamente können wiederum, je nach individuellen Unverträglichkeiten, Durch- fall, Verstopfung oder andere abdominelle Beschwerden auslö- sen oder verschlimmern. Daher muss der Arzt bei der Diagnose auch die Möglichkeit medikamenteninduzierter reizdarmähn- licher Symptome in Betracht ziehen.

Nichtmedikamentöse Therapie

Die nichtmedikamentöse Therapie des Reizdarms besteht hauptsächlich in einer Ernährungsumstellung und Veränderun- gen der Lebensgewohnheiten. Beide Massnahmen führen meist nicht zum gewünschten Erfolg. Die Ernährung beeinflusst den Reizdarm in der Regel nur wenig. Ein gezielter Ausschluss von bestimmten Nahrungsmitteln lindert lediglich bei Patienten mit entsprechenden Allergien und Unverträglichkeiten die Be- schwerden.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie beschränkt sich bis heute auf die Behandlung einzelner Symptome. So werden Spasmolytika und Anticholinergika gegen Krämpfe, trizyklische Antidepressiva gegen Schmerzen, Laxanzien bei Obstipation oder Antidiarrho- ika bei Durchfall verordnet. Dadurch kann bei einigen Patienten eine Linderung prävalenter Beschwerden erzielt werden, eine Verbesserung der gesamten Symptomatik wird jedoch nicht er- reicht. Bei der medikamentösen Behandlung des Reizdarmsyn- droms älterer Patienten muss bedacht werden, dass bei Senio- ren, manchmal auch bedingt durch Polypharmazie, besonders häufig unerwünschte Nebenwirkungen auftreten.

Neuere Medikamente zielen auf eine Verbesserung der gesam- ten Reizdarmsymptomatik ab. Der Neurotransmitter Serotonin spielt eine Schlüsselrolle bei der Steuerung der motorischen, sensorischen und sekretorischen Funktionen des Gastrointesti- naltraktes. Bei der Entwicklung von Alosetron (in der Schweiz nicht im Handel) und Tegaserod (Zelmac®, Novartis) geht die Wissenschaft davon aus, dass die Reizdarmsymptomatik hauptsächlich durch einen gestörten abdominellen Serotonin- stoffwechsel verursacht wird. Beide Wirkstoffe reagieren mit besonders relevanten Serotonin-Rezeptoren, wodurch eine Normalisierung dieses Stoffwechsels erreicht werden soll.

Sowohl Alosetron als auch Tegaserod haben sich in gross ange- legten randomisierten und plazebokontrollierten klinischen Studien als signifikant wirksamer als Plazebo bei der umfas- senden Linderung der gesamten Reizdarmsymptomatik bei Frauen erwiesen.

Alosetron ist ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonist, der bei Reizdarm- patientinnen mit prävalenter Diarrhö wirkt. In den USA darf Alosetron wegen der Gefahr schwerer Nebenwirkungen, vor allem Obstipation und ischämischer Kolitis, lediglich bei Frauen angewendet werden, die unter massiver Diarrhö leiden und auf F O R T B I L D U N G

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Tabelle: Rom II – diagnostische Kriterien und typische Symptome des Reizdarmsyndroms

Schmerzen im gastrointestinalen Bereich oder Unwohlsein über einen Zeitraum von mindestens zwölf Wochen (nicht notwendigerweise zusammenhängend) in den letzten zwölf Monaten.

Zwei der folgenden Beschwerdebilder müssen ebenfalls vorhanden sein:

■Erleichterung nach Defäkation

■Veränderte Häufigkeit des Stuhlgangs zu Beginn der Beschwerden

■Veränderte Konsistenz des Stuhls zu Beginn der Beschwerden

Die Kriterien gelten nur, wenn physische Anormalitäten oder endokrinologische Störungen als Erklärung der Symptome ausscheiden.

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konventionelle Therapien nicht ansprechen. Postmarketing-Er- fahrungen legen nahe, dass das Risiko einer Obstipation bei An- wendung von Alosetron bei alten Menschen besonders gross ist und daher die Dosierung individuell angepasst werden muss.

Tegaserod, ein 5-HT4-Rezeptor-Antagonist, wirkt bei Frauen mit einem Reizdarmsyndrom des Obstipationstyps. Als Nebenwir- kungen dieses Wirkstoffes wurden vor allem leichter, vorüber- gehender Durchfall und Kopfschmerzen beobachtet. Die Wirk- samkeit von Tegaserod über einen Zeitraum von zwölf Wochen hinaus wurde bisher nicht untersucht. Klinische Studien an ge- sunden älteren Personen haben ergeben, dass bei dieser Sub- stanz keine pharmakokinetischen Veränderungen durch das Alter zu beobachten waren. Bei alten Menschen ist daher keine gesonderte Dosisanpassung erforderlich.

Wirkstoffe wie Alosetron und Tegaserod, die eine umfassende Besserung aller Beschwerden ermöglichen, könnten zukünftig dazu beitragen, die Polypharmazie bei Senioren zu reduzieren.

Allerdings müssen die Patienten wegen möglicher schwerer Nebenwirkungen während der Behandlung besonders sorg- fältig überwacht werden.

Kommentar der Referentin:

Das Reizdarmsyndrom ist eine sehr individuelle Erkrankung mit vielfältigen körperlichen und seelischen Ursachen und Aus- lösern.

Ein therapeutisches Gesamtkonzept, das den ganzen Menschen berücksichtigt, beinhaltet daher neben Medikamenten meist auch eine Reihe nicht medikamentöser Therapiemassnahmen.

Führen eines Reizdarm-Tagebuches, Bewegungsprogramme, Stressverarbeitungstrainung und Entspannungstechniken oder auch psychotherapeutische Verfahren können dem Patienten helfen, Ursachen und Triggerfaktoren seiner Erkrankung zu erkennen und auf dieser Grundlage individuelle Strategien zur Linderung der Reizdarmsymptome zu entwickeln. Vielen Patienten gelingt es langfristig gut, ohne schwere Medikation mit ihrem Reizdarm zu leben.

Stressabbau und Entspannung wirken zudem beruhigend auf das vegetative Nervensystem und damit auch normalisierend auf den Serotoninstoffwechsel im Darm, so dass in vielen Fäl- len sicherlich auf Medikamente wie Tegaserod oder Alosetron verzichtet werden kann.

Die Behandlung einer funktionellen Störung mit Medikamen- ten, die schwere Nebenwirkungen verursachen können, sollte in jedem Fall sorgfältig überdacht werden. ■

Eli D. Ehrenpreis: Irritable bowel syndrome – 10% to 20% of older adults have symptoms consistent with diagnosis. Geriatrics January 2005; Volume 60; Nr. 1.

Petra Stölting

Interessenlage: Der Autor erhielt finanzielle Unterstützung für seine Arbeit von der Novartis Pharmaceuticals Corporation.

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