Über Religion vor der "Religion":
Konzeptionen vor der Entstehung des neuzeitlichen Begriffes
DoROTHEA WELTECKE
"Religion" isr einer der Wissenschnftsbcgriffe der Gegenwart bei dem Defini- ri n de Gegenstandes 1.md Begriifsge chiehre untrennbar verbunden ind. Im Jahr 1992 wurde der tand der Forschung im Hist01·ischen Wörterbuch der
Philosophie
w1c folgr zusammengefasst:a) Es gibt
r
außer ,Religion'J
keinen herbegriff fi:ir alle Religionen der Meosch- heir- b) es gibt keinen Beg1·iff, der als einziger all da umfagr, was heute mit ,,Religi n" bezeichnet wird; auch zusammengenommen decken sie nicht alles d~sab, wa mit dem modernen 1 eligions-Begriff gemeint i t; c) entgegen einer moder- nen Bedeutung von "Religion" lcgcn die älteren Hcgriffe lcn Akzent auJ den äu- ßeren [sie!] Vollzug dl!r Rcligi< nen, die Bcoba hu.111g kultischer Gebote und Vor- schriften und die Befolgung des (religiösen) Gesetzes.1
Seit dem Erscheinen des Historischen Wörterbuchs wurde die Debatte über den Begriff und die Definition von "Religion" intensiv geführt. Durch die breite Forschung auf diesem Gebiet ist die Darstellung dc Wörterbuchs daher heu-
te zum Teil i.ibcrh
lt.
Ob ,Religion" überhaupt ein Phänomen mi generis sei, isr eine di l utiertc Frage.1 Nicht weuige Religionswissenschaftler bezweifeln die Angemessenl1eitdcs Begriffe in Bezug auf vormodemeund außereuropä- i ehe Erscheinungen; Gruppen verweigern von sich aus die Bezeichnung "Re- ligion" .für ihren eigenen Glauben.) Andererseits wll!·de diese These von der U oangemessenl1eit des Religionsbegriffes etwa für asiatische Religionen ihrer-ejrs als bevornnmdend kritisiert. Dagegen wurde gefordert, deren eigene b- j krbezeichnungen überhaupt erst zu unter uchen, bevor Urteile gefällt wcr-
den. 4
Dt!r moderne Begriff v n "Religi n' a1 ab trakte Konzeption wie als universaler Sammelbegriff fii r alte Religionen der Welt cnnögl ichte und ermög- licht also in der Tat vergl ichend es Untersuchen.· och pätcsteos als ErgebnisDierse u. a., Religion, S. 632-633.
Aufbhrt u. 3., Rdi~:;ionswisscosch-aft.
o chon Fcil, Rdigi , S. 127; Asad Gencalogics; der ., 'bs ic. Als Ühet·blic.k "&1. N.1c utcbcon, Religion; Ahll, EurozentrismcD. Eine vorzügliche Zu ammenb. ung der Di kussi n zuletzt in Bcrgunder, R ligion. Die spiilanrikc Em tchung einer Kcmzeption von Religion im hristcn- tum, die zugleich dem Judenrum w~eschricben, von diesem aber zurückgewiesen wurde, ana- lysiert ß, yarjn, Border Lincs· der;., Invention. ItJ der TcnJen.z älu\lich wie Bcrgundcr, wenn au ·h aus philosophi. eher statt aus ku.lmrwis e.nschaftlicher Pe.rspcktivc, vcrortcr 'rünkd, Rc- ligio, Funktion und Nutzen des Rcligi n 'begriff.> in Jcr Komrrturtikation und in der Pragmatik.
Di c Vors hHigc erscheinen überzeugender als die V rmeidung \)der Ah c.:haffung des ßegri(f · . Schalk u. a., Religion.
Fiir die Notwendigkeit plädiert daher Enders, Religionsbegriff.
Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-0-314359
Erschienen in: Religion als Prozess : kulturwissenschaftliche Wege der Religionsforschung / Kirsch, Thomas G.; Schlögl, Rudolf;
Weltecke, Dorothea (Hrsg.). - Paderborn : Ferdinand Schöningh, 2015. - S. 13-34. - ISBN 978-3-506-78116-1
14 Dnrnthea Weltecke - - - --
der postkolonialen Kritik wurde festgestellt, dass er nicht absolut gesetzt wer- den darf.!·
Diese Kritik in empirische Forschung umzusetzen, wäre der nächste Schritt.
Einige Elemente der älteren Annahmen wurden jedoch nach wie vor nicht beiseite geräumt. Der moderne Begriff ist in seinem religionswissenschaftliehen Gebrauch heute immer noch oft mit Normen verbunden. Die Abwertung dessen, was oben als "äugerer Vollzug" der Religion bezeichnet wurde, gehört nach wie vor ganz wesentlich dazu. Besonders in der wissenschaftlichen Be- schäftigung mit nicht-christlichen religiösen Kulturen tritt diese Abwertung zu Tage.7 In den öffentlichen und politischen Debatten sind diese Normen auch mit konkreter Machtausübung verbunden. Sie führten in der Kopftuchdebatte zu Entscheidungen darüber, welche Aspekte von Religion als zu ihrem Kern gehörig anerkannt und deshalb geschützt werden müssen, und welche ver- meintlich äußerlich sind und damit als entbehrlich zu gelten haben.~
Moderne Normen von Religion bestimmen auch den Ton der Darstellung mittelalterlicher Religionskonzeptionen. Ihre Geschichte wird immer noch, wie in dem oben zitierten Wörterbuchartikel, hauptsächlich als Depravations- geschichte betrachtet. Denn auch ihr fehlt ein einzelner Begriff, der alle Aspek- te dessen umfasste, was heute als "Religion" bezeichnet wird. Augerdem wird den mittelalterlichen Konzepten auch ihre vermeintliche Äußerlichkeit vorge- worfen. N euere Darstellungen werden zudem erkennbar von gegenwärtigen Debatten beeinflusst und seit jüngst von der Kritik an der mangelnden Toleranz mittelalterlicher Religionskonzeptionen durchzogen. Alle Anstrengungen der Forschung konzentrierten sich, mit Ausnahmen, immer noch auf die Vorge- schichte des modernen Begriffes "Religion". Dagegen wurde bisher kaum ver- sucht, andere Konzeptionen aus dem religiösen Feld in den Blick zu nehmen.
Wo dies geschieht, wird die Forschung gelegentlich von semantischer Un- kenntnis behindert.~
Hier soll daher zweierlei versucht werden: Zum einen gilt es, nach vielen Jahrzehnten der Forschung zur Vorgeschichte von "Religion", den Stand der Forschung zu charakterisieren und neue methodische Perspektiven aufzuzei- gen. Zum anderen soll die schon lange bekannte Tatsache, dass eben tatsächlich unterschiedliche Konzeptionen im Feld dessen liegen, was heute als "Religion"
bezeichnet wird, erstmals für die Analyse fruchtbar gemacht werden. Die Aus- wahl der hier vorgestellten Konzeptionen muss auf dem Stand des heutigen Wissens exemplarisch und unvollständig sein. Sie ergibt sich aus der Häufigkeit und der besonderen Prominenz dieser Begriffe in den Quellen und zum Teil bereits in der Wissenschaft. Die diskutierten Konzeptionen beziehen sich ei- nerseits <lllf unterschiedliche Voraussetzungen und Tätigkeiten im Vollzug der Beziehung zu Gott. Sie dienen andererseits als Gattungsbezeichnung für reli-
Siehe Anm. J und 4.
Zur historischen und rdi~ionswisscnschaftlichen Kritik an dieser nonnativen Beurteilung ge- genübeJ' "äul\cren" oder "ritualistischen" Religionen die \'OJ7.ügliche Untcr,uchung von De- W'ccse, lsbmiz.uion.
Amir-Moazami, Religion.
Vt;l. als Beispiel Molnar, Cunstructinn,
_ _ _ ____ _ _ u_·· _b_er Reli_gion vor der "Reli-"'-ic_>n_" _ _ _ _ _ _ _ _ _ 1_5
giöse Gruppen bzw: für Religi nen (1·eligio,
cultz,s, doctn'na fid s, se ta, Lex).Wie sich zeigen wird, ist die Bedeutung d..ieser Wörter im Detail in der For-
schung z1.1 m TeiI höchst umstritten, tL
sich die Schattierungen nichtguttrennenlassen. Bcs nders zentral er ·chien bisher, bedingt durch die lange Diskussion um1·eligio al V rliiufer von "Religion", die Entscheidung, ob
eine Konzeptionals
Ganungsbezeiclmung i.n Fragekommt und ob und Ln
welcher Weise dieseBezeichnung dogmatisch wertet.
1.
Zu religio
Religio ist homophon zu "Religion"
.'0Das W rt gilt deshalb bisher unbestrit- ten a.ls Vorläufer
von "Religion" obwohl es gute Gründ gibt,die direkte
Genealogie zubezweifeln. Sowohl für die Antike im
Übergang vompaganen, röm..i
chenVerständnis zum Christentum als auch für die Literatur des Mittel-
altersliegen hier die weitaus meisten Untersuchungen
vor.11Es finden ich
Analysen zumfrühmittelalter
lichenreligio,ll
vor all.cm aber zuden
ehIasti-
schen The logende Hoch- w1d SpätmictelaltcrsYZwei
emanrische Aspekte vonreligio ind unstrittig: Religio
erscheint ers-tens bis
ins14. Jahrhundert als Bezeichnung
fürdas,
was einhellig mit Got-tesverehrung"
ambesten übersetzt
gilt.Zweitens ist
e ein Terminus fürdie religiösen Orden des Mittelalters.
"Gott einen"
Mit religio ist nicht die prakti he Ausführung gemeint (crdtHs). ReLigio ist eine
anrhroplogische Karego.ric als natürliches, allen Menschen gegebene Vermö-
gender die deshalb mögli
hcTugend,
Gott bereitwillig zu ehren.14Dass der
einflu sreiche Theologe Thoma von Aquin (1124/5-1274)10 starkes Gwicht
auf die rnoralrheologische Bedeutung legte, ist kürzlich nochmals hervorgeho-ben worden.
11'Inceressanter n h
er chei.nthier die T:l.tSache, dass Th mas tatsäch
lich die Frage di puticn, ob,·eligio
einevh·tus
(Tugend) oder eindon.um
(Geschenk)-also in der Spra be der Gegenwart eine anthropologische Kon-
stante-s 1.Bei Marsilio Ficino
(1433-1499)fällt die
Entscheidung nun vollcändig zu-
gunsten der Annahme,rcligio sei ein allen Menschen natürlich
gegebenes Ge-" Summarisch sei auf die Eintribe von Du Cant;e, Glc,ssariu rn, und Niermqcr, Mcdiac Latinita- tis, zu allen besprochenen \'V'iirtcrn verwiesen.
11 Literatur z. B. Sach,,t, Christianisme; Zinser, Religio. Bcsondets nützlich sind auch die Publi- kationen von Andre<ls Bcndlin, z. B. Bcndlin/Rüpke, Religion.
12 Löwe, Ron1.
" Zu Quellen und zur älteren Liter<ltur Feil, Religio. Vgl. aulkrdcm feil, Religion; weiteres bei Dicrsc u. a., Religion, zu Quellen und Lirer.1tur.
" Feil, Relit;io, passim; Dierse tt. a., Religion, S. 637-640.
1' Thomas von Aquin, Summa Thr:ologiae, ll-II, qu. 81-8~.
1'' Vosnun, Thomas von Aquin.
16 Dorothea Weltecke
- - - -
- - - -baren.17 Alle Menschen ehren Gott, es sei denn, sie sind an Melancholie er- krankt.1H Lnsge amL 1 eobnchtet man, dass sich im I. 5. Jahrhundert etwas ändert;
religio
erscbeinröft
r, wenn auch immer noch moderat, und ihr sennmisches Spektrum schei11ts.ichzu erweitern. Entsprechend grol·~e Kontr versc.n werden in der Forschung umreligio
für diese Zeit nusgctragen. Aut ren wie Nikolaus von Kues (1401-1464)1~ od r Marsilio Ficino sind zentrale Bezugspunkte der Theologie-undPhilos phiegeschichre. Die Debatten kreisen oft um die Frage, ob bei diesen Aut re.n bereits der m dcrne Religionsbegriff ausgebildet ist oder nicht.Den Argumenten I arm hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Für unsere Zwecke sei hervorgehoben, dass die Diskussion modellhaft zeigt, wie sehr auch die Interpretation von
religio
von den Idealen und dem allgemeinen Geschieht versrändnls der Interpreten abhängig ist. Die theologische Vision des Nikolaus von Kues für den Fr.i den im Gbuben und das Programm der plat n.iscben Theologie von Marsili Ficino sind offenbar inhaltlich noch zu brisant, um re.in aotiquari ·eh behandelt werden zu können.Wer Nik lau ' und Ficinos Gebrauch von
religio
als "Rcligi n" versteht ieht hier erste Vertreter eines rationalen auch toleranten Umgangs mit Rcli- gi nen.10 Dann beginnt mit der Renaissance die Neuzeit. Für denjenigen, der inreligio
bei Nik laus und Ficino den alten Begriff siebt, beginnt die Neuzeit später. Man teht dann dem als "mittelalterlich" deklarierten Verständnis von Religion entweder kritis ·b gegenüber oder bedauert dessen Verschwinden.Ersteres gilt für Glei und Rei hmuth, deren Position hier erörtert werden soll, weil sieunmittelbar das P1·oblem des Vcrgleichens u.nd Werrens mit K n- z.eptionen von ReLigion aufgreifen.21 ie betonen,
tma reügio
bei Nikolaus v n Kues sei der alte exklusivistische Begr.iff des hristentums. Er bedeute ni.chrs anderes als vcra religio. Dies sei in der Folge von Augustinus (354-430) das gültige Verständnis von relzgio im Micte.lalter gcw rdcn; es1
önne im Chri - tentum keine andere rehgio geben.lZ Deshalb habe da Wonreligio
auch nicht für andere Religionen oder für die Religion allgemein gebraucht werden kön- nen. Der Testfall den Glci und Reichmuth vorführen, sind die seit dem 12. Jahrhundert einsetzenden latcini chen Quranüberseczungen. Das arabische Wortdl.n,
das im Qoran funktionnl :iquivalenrw
"Rcligi n" steht- ohne dass dies hier weiter problematisiert sei -wird niemals mitr eligio
übersetzt.Dass Nikolaus und Ficioo das Heil nur im Christentum erblicken konnten, steht außer Frage. Aber in der 1~1t, Übersetzung gleichungcn können das Ver- ständnis der Zeitgeno ·en beleuchten. Auch trifft es sicher z;u, dass rcligio etwa
" Feil, Rdigio, S. 1':!1-207; Euler, Thcolobie. Vgl. Gladigow, Marsilio Ficino; Leinbuf, Philnso- phic.
"' Ein Zus.tmme.n .tclh.mg der Passagen inJct sich in dem interessanten Beitrag \'Oll Hankin>, Fictno. EtHgci)Oil H:~nkins glaube ich allerdings nichr, Jns Ficino Arheismu· bckampft.
'" Al jüngere Beispiele Eub, Ntk lau~ von Kucs; Bidcse, RanH>n Lhill; Rtcclenauer, Plu.rnlit:it;
tünkel, Rcligio dem auch aktuelle Literatur; für die ält,•rl! LiLCrntllr sielte au~.:h Peil, Rdigio, S. 138-15':!.
" Dicrsc u. a., Religion, S. 640-643; kritisch tbgegcn Stünkcl, Rcligio, S. 42 u. a.
" Glci/Rcichmuth, Religion.
-- Ebd., S. 260.
Über Religion vor der "Rdig}on" 17
im spätantiken Rechtswerk des R
ömischen Reiches, dem Codex Theodosianus,als vera religio
verstanden werden konnte.n Auch im Früh-und Hochmittel-
alter konnte man auf Münzen, in Viten, in Rechtstexten, in der Theologie vonreligio christiana
sprechen, um sie von anderen abzusetzen.Die Abgrenzung
galt insbesondere dem Judentum, wie dies auch G Ieiund Reichmurh beobach- tet haben.
1i Aber das Vorkommen vonreligio beschränkt sich nichr darauf. Es wäre ein
grober Fehler,religio in
der genannrcn Erörterung von Thomas mir ,.Christentum"oder vera religio zu übersetzen.
Obdonum
odervirws,
man konntereligio :1ls
etwas ganz allgemein Vorhandenes denken.Und noch vielfältiger gesta
ltetesieb der Wortgebrau
ch, wenn im hincrar desDomi
nikaners Riccoldo
da Mome <:ÜCroce
(1243-1320)religio sich auf etwas
bezieht, das dem Studiwn undde
rAdministration nls
drirres Tätigkeitsfeld hinzugesellt wird -und z.war der 11uslime!
25Was Riccoldo im Übrigen
vonder perfidia Macchometi
16 hielt, hat er stets mir äußerster Schiirfe betone. Dashielt ihn aber nicht davon ab, die opera pe?j'ectionis der Muslime herauszustel-
len, zudenen neben dem Studium das regelmäßige
Gebet, die Almosen undder Respekt
vor dem Namen Gottes gchörtcn.17 Schließlich trifft esbis in die
Gegenwart nicht zu, dass exklusivistische Theologie Religionsvergleiche und auch Respekt verhindert. Also istes ein Fehlschluss, den eigentümlich zurück- haltenden
Gebrauch vonreligio
vor 1450damit
7.u erklären.Theologische
ExklusivitiiL und Nicht-Gebrauch vonreligio
sind Tatsachen- aber sie hängennicht ursächlich zusammen.
2. )) Orden"
Im Religionsgespräch vor dem MongolenkJ1an, das im Reisebericht Wilhclms
von Rubruk
(1215-1270) beschriebenwird,
heil~t es: "Officium nosrre religi- onis est predicare Evangeliumomnibus ho
minibus".Dies ist
zuübersetzen
mit:"Die Aufgabe un,seres Ordens (nämlich der flranziskancr,
nicht "unsererReli gion'') ist es, allen Mensc
hen das Evangelium zu pred,igen" .zsD
iese zwe,itc Bedeutung von religio
ist nicht strittig. Sie liegt vor,wenn im Vierten Lateran-
kon-zil 1215wegen der Verwirrung durc
h die Verschiedenheit (divenitas reli- gionum) verbotenwi1·d,
einen ncucnOrden (nova religio)
zu bilden.1~ Die1' So Zinscr, Rdigio, S. 215-19: CodexThcodisi:IJ1us,l6,·1,2; 16, 11, I. Jn diesem Kapitel ist jedoch prii7i$cr .tuch vor1 .una et vcra fidcs cm.hollca" die Rede, so d~~s die Bedeutung von rdigio nicht mir (idcs svnonvm zu sein scheint.
1' Z. ß. Löw~. Ro;n; COD, L.m:ran IV, S. 70.
1' Riccoldo da Momc di Crocc, Pcrcgriruuion, S. 154: .ln cadcrn cruit~tc scilrcct in Bttld:tcco fuit sc:des ct principalit.t< Sarraccnorum quanturn ad Studium c:t rcligioncm ct quantum ad domini·
um."
" Ebd., S. 156: ~Nos igitur, cum dcsidcrarcmu~ cuacuarc perfidiam Maccomcti".
· · Ehd., S. 156-16-1. Zu Riccoldo siehe \Veltccke, Macht; Schiel, Ricoldus "on Monte Croce: dies.,
~longolcnsrurm, S. 128-149.
1' \XIilhclm von Rubruk, Siluca, S. 292.
~ COD, Lateran IV. S. 242: "Ne nimia religionum diversita~ gravern in ccc:lcsia Dei confusioncm inducu, firrniter prohibcmus. nc quis dc c:tctcro novam rcligioncm irwcniat, scd quicurnqut' volucrit ad rdigioncm con,•crri, unam Je appmbads assuruat."
18 Dumthea Weltecke
Ausdifferenzierung der religiösen Orden entfachte seit dem 12. Jahrhundert eine heftige Debatte zu dieser divenitas
religionum.
ln den letzten Jahren hat sie einiges Interesse gefunden. AinuII
untersucht Sina Seeekelin
einem y re- maci eben For chungsprojekc, ob diese D.iskussion nicht doch Vorbereitung und Ursache für eine Ausweitung von rcligio mit auf andere Religionen gewe- sen ist. '0Ein anderes Problem sei hervorgehoben: Diese doppelte Bedeutung von
religio
wird mitunt r übersehen, was für die hier interessanten interreligiösen A ·pckte verheerende Folgen hat. AJs Beispiel seien die ji.ingercn Forschungen wm Dialogus von Anselrn von Havelberg (1129-1158) gcnanmY An elm w. r ein engagierter Zeitgenosse .in den kirchlichen Debatten seiner Zeit. Zud 111 war er :~ls Unterhändler 1135 n:~ch Konstantincpel gereist und allch sonst in- tensiv mit griechi chen Theologen im Gespräch. In seinem Dialogus nahm er zu den aktuellen Problemen der Kirche Stellung.Im ersten Teil seines Werkes behandelt er die di,ucrsitcts rcligionmn. Sein Anliegen ist es, die Ordensvielfalt zusammen mit allen anderen Veränderungen innerhalb der einen christlichen Kir he, der ecclcsia, :~ls natürlichen Entwick- lungsprozess, ja al Forts hritt, zu verteidigen. Er begegnet der Kritik, hier würden unzutissig Neuerungen erfunden, die von der U1 .. form abwichen. Da- gegen hält er, dass im Gegenteil alle diese Entfaltungen vor der Schöpfung bei Christus bereits vorhanden gewesen seien. So ist die Kirche mit sich identisch, ist vor aller Zeit und während des Alten Bundes stets ltlllml corpus ccclcsiac geblieben, das vom Heiligen Geist b(:seelt ist.'2 Deshalb luben umgekehrt
r~ri.ihere Generationen ihrer cits, in Unkenntnis der spi'iteren Formen, auch
keine Fehler begangen.
Im zweiten Te_il des Werkes beschäftigt er sich ebenfalls mit dem Verhältnis innerhalb der
ecclesia
nun mit Blick auf deren westlichen und den L)srlichen, griechj eh- rthodoxen Teil.·1' Das war nicht ungewöhnlich; jenseits allen Streits war dieses Verständni v n der einen Kirche nach wie vor gültig. Später wird darauf zurückzukommen sein. Hier behandelt er die klassischen Themen der lateini ch-griechis hcn Polemik An elm findet insgesamt man sei doch mehr oder weniger einer Meinung (einer erkennbar römischen Meinung). Die übri- gen Unter.cbiede seien am besten auf einem Konzil zu klären. Sein Respekt vor den Grie hcn ist groß; seine Bereitschaft, Ver biedenhcitcn zwischen ihnen und den L:~teinern zu :~kzeptieren, ebenfalls.Aber dieser Respekt weicht s fort einem unnachgiebigen Exklusivismus, sobald er das Gebiet der ecclesi•t verlässr, Angeh" rige anderer christlieber Kon- fessionen oder Religionen behandelt er ungnädig. In beiden Teilen ist vielfach von Häretikern, falschen Brüdern ja Werkzeugende Teufels die Rede, di·e die Menschen verwirrten. Zw:~r müssten sie für den Augenblick noch toleriert
Je Constahlc, Divcrsity; Holze, Toleranz; Stecke!, Di,·crsit.lS t·eli)-;ionum.
-'1 Ansdn1 von Havdb~.:·l·~, Di~ll>hi.
u Ebd.,S, 1143-1145.
1' lntcressantcnvcise rechnetet' Syra und At'tnenier cbrunter: Ebd., S. 1156 und passim. Im 12.
Jahrhunden konnte man ,bs so sa)-;ell, wenn man unter Suriani die lvlclkitcn vastand. Vhl.
I lamilton, Chmch; Pahlitzsch, Gt·aeci.
19
werden -Inquisition und Tode str::~fe kamen erst im darauf folgenden Jahr- hundert auf- aber
sie
würden unweigerlich dereinst in der Hölle schmoren.1• Aktuelle Lektüren blenden diese Invektiven vollständig aus und wollen An- seim zu einen frühen Fürsprecher fi.il' religiöse Toleranz crheben.35 Die Ursa he dafür scheint v r allem di. falsche Übersetzung v nreligio
mit ,.Religion' zu sein. Sie verhinden Anselms ers hiedene Bewertungen von Vielfalt wahrzu- nehmen.Was es für die Semantik von
religio
bedeutet, wenn so unterschiedliche Din- ge wie eine menschliche Eigenschaft und die rden damit bezeichnet werden können, ist nicht hinreichend verstanden.L1
jed m Palii
r letztere Bedeutung nicht das Nebengleis, sondern der Hauptgebrauch vonreligio
im Mittela'lrer.Er kommt öfter vor und ist in den zeirgenössische11 Debatten bei Weitem wichtiger.
Trotzdem könnte es interessant sein sich der er cgenannte11 Bedeutung nochmals zuzuwenden, und zwar im interreligiösen Vergleich rnitander sprach- igen Objektbezeichnungen.
Religio
als Vermögen de Menschen, G tr zu ehr n, und gleichzeitig die bc ndere ualität derreligio c hrisl'iana
ließe-i
·h versuchsweise mit , rabis hfitra
vergleichen.Fitra
bezeichn t im Qoran und in der Kommentarliteratur ebenfalls eine angeboreneund bejahte Eih.igkeir des Menschen, den einen Gott zu erkennen, v r jeder dogmati chen Aufteilung der Menschen in die verschiedenen Religionen. Diese Uberlegungen konnten nebeneinander eine eher universale oder eine eher exklusive Richtung anneh- men so dass im zweiten FaU betont wurde, dass sie unverfälscht nur im Islam verwirklicht sei.J6 Auch/itra wird nicht dazu gebraucht, unterschiedliche Re- ligionen oder die Religion im Allgemeinen zu bezeichnen.Doch hier enden wohl die Gemeinsamkeiten zwis hen den beiden Begriffen.
Fitr,L
hat mit institutionalisierten Orden(religio nes) ni
hts zu tun. Als wich- tigster Unterschied erscheint, dassfit,·•l
theoretisch intensiv entfaltet ist,reil:gio
dagegen kaum.Religio
in seiner anthrop logi ch-ethis hen Bedeutung istganz uneerd terminiert, vor dem15.
Jahrhundert kaum problematisiert, katJm ge- braucht.37 Was immer es für die Zeitgenossen bedeutete es umfa te nicht ge- nug von dem, was für sie Religion und Religionen ausmachte.3. Zu doctrina und cultus
Wie fcstg stellt, hatte
1 ·eligio
nichts mit konkreten sp.irirucUen Inhalten und Praktiken zu tun. Dafür gebrauchte man andere Wörr r. Diese sind beJeu- tungsgeschichtlicb ni hr striui.g:Doctrinu,
die Lehre konnte als W rt ganz)I Anselm \'Oll Havclbcrg, Diitlogi,
s.
1152-1254 C3p.''xr
und pnssim.Jl S:~bel, Tolcmnzdcnlwl,
s.
J7 L· 1;\u(fahn, KctzCI', ·. 1 J 'J-121: nBci aller Verschicdertheit bei den Zeitgenossen in Lehre und Theologie ist hier konscqucmder Begriff der Irrlehre ausge'chlosse''·Daher meidet Ansehn-wie übrigens nucb 110 von Frcising-das \'(/orr hacrcticus/Kctzer. lm Gegenteil, die divcrsitas (die Buorheit) der .Religionen und Rituales h111ückt die Kirche
r ...
l"." Gobillot, l'itra.
" Die Beobad;tun~;en von Feil, Rcligio, S. 165-1 7F., 2.11-233 und passim sind nach wie vor gültig.
20
Dor(lthca Weltecke
~---~--~~---
neutral Lehrsysteme bezeichnen, die als wahr oder falsch, rati onal oder irrati- onal bewerret wurden.
38Synonym zu
doctrinagebraucht, konnte das allgemei- ne
Wortdictaebenfalls religiöse Lehren wie auch soga r die Offenbarungsdo- ku mente selbst be7.eichnen. Diese wurden auch einfach als "Schriften" oder
"Büche r" (,, litterac, hoc est libri ") benannt.·w
B egriffs- und auch religionsgeschichtlich wurde noch nicht darüber nachge- dac ht, was es tatsächlich bedeutet, wenn man das Vermögen 7.."llr Gottesvereh- rung an
ganz.anderen semantischen Orten verbucht als die Inhalte der Religi- onen. Deshalb erscheint es wichtig, dies hier einmal als Desideramm zu fo rmulieren. Zudem istauch die konkrete li turgische Praxis ein weite rer Posten für sich, der
cnÜtts.Erncut ersc heint es bemerkenswert, dass Glaubenslelu-en und Rituale offenbar als ga nz unterschiedliche Phänomene gedacht wurden.
Aus minellateinischen Gebrauchstexten ist erkennbar, dass dieses Spektrum selu- differenzierte Vergleiche und Taxonomien eben der fundamentalen Schrif- ten, Inhalte und Praktiken von Religion ermöglichte. Als Beispiel sei etwa
d~s.lnq•1i sitionshandbucl1 von Bernard Gui
(I 26 I /2-1331)genannt, das noch eine ganze Reihe wcicerer Vergleichskategorien aufwei st (Kleidung, Habitus, Er- nährung
etc.).~04. Zu fides
Von diesen Inhalten, Lehren und Praktiken vo n Rdigi . on wiederum meist unterschieden wurde im mi ttellateinischen Verständnis der sehr zentrale Be- griff fides. Das sollte aufmerksam stimmen, denn fides wird meist mit "Glau- ben" übersetzt. "Glauben" ist heute von den religiösen Lehren kaum zu tren- nen. Docl1jides war tatsäch lich
derLeitbcgriff
derlateinischen Theologie und als sokher höchst komplex theoretisch entfaltet.
lndieser Theologie hatte er mit dem heutige n Alltagsverständnis von .,G lauben" fast nichts gemein. "G lau- ben" steht heute im Gegensatz zu Wissen, als irrationale Überzeugung. Fides hingegen fasste einmal als Begriff die alle Existenz durchdringende, verbindli - che und vo m Mcnst.: hen treu zu lebende Beziehung zwischen Gott und Mensch.
Die Überzeugung von der Existenz Gones galt bestenfalls als ein propädeuti- scher Schritt dahin, wie es Tlugo vo n Sc. Victor (gest.
U 41)in seinem Stufen- modell erläuterte:• Erst dahinter eröffneten sich für das mittellateinische Den- ken die weiten Landschaften der fides, mü der sich alle Theologen in den Sc hulen, alle "Religiosen" und Mystiker auf je verschiedene Wei se intensiv befassten. Au ch Nikolaus von Kues ging es in seiner berühmten AbhandiL111g um den Frieden in dcrfides.
42Fides war im Mittelalter so differenziert entfaltet,
'' Riccoldo da Montc di Croc<'. Pen.tgrinarion, S. 182-11!4 u. ö.
" Wilhclm von Ruhruk, Sinica, S. 292.
lll Gui, ßernard, M.anuel.
11 Hu~;;o von St. Victor, Quacslioni!S, S. 3118: "Er tost scicnJum. quod aliud cst crcdere Dcum esse, quac cst fides co~,;nitionis; aliud cs1 credere Deu, 4uac dicirur fides conscnsus; ~liud cr('dcn:: ill Deo. quac dicitur fidcs fiduciae; aliud credcrc in Dcum. quod cst pcr fidcm er dilectioncm in Deum re".
ll So schon Feil, Rcligiu, S. 140.
- - - - - - - - -
Über Religion vor der .,Religion" 21dass manche Kirchenhistoriker heute das Wort "Glauben" gegenüber "Rellgi-
on" als analytischenBegriff für mittelalrcrliche
Rcligionsgeschjchre vorzie-hen.~J
Zugleich sei dara.n erinnert, dass mitfides
weltliche Venragsbeziehungen, das Verhältnis von Herrscher und Beherrschren und ähnliches bezeichnet wur-den.4'1 Den Kern des Begriffes bildete also ein Bund, meist zwischen se
hr un-gleichen Partnern.
In einem weniger theoretischen
Zusammenhang, wenndie Begriffe nicht definierr, sondem ohne viel Überlegung einfach hingeschrieben wurden, war die Bedeutung von fides indessen viel flacher. Sie bezeichnete hier tatsächlich
auch die Inhalte des Christentums,wie crwa im schon 7.lcicnen
Religionsge- sprächWilhelms
vonRubruk.
Er erklärte sichin
seinerDarstellung bercit,
seinemmongolischen Gesprächspartner fides et spes, Glauben und Hoffnung,
JerChristen
zuerläutern.
45 ImAlltagsgebrauch
kamji'des
damitden
oben genannten AusdrückendocLn·na oderdictasehr nahe. Das Wort weist
also hier ähnlich wieder moderne Begriff eine enge Verbindung von Glaubenslebren und Glaubensbeziehung auf.
[m Rahmen der Vorgeschichte von "Religion" kam
deshalb folgerichtig Lll der begriffsgeschichtlichen Forschung die Frage auf, warum nicht ausj'ides das neuzeitliche Abstrakmm hervorging. Dabei wurde die Vermutung geäußert,
dassfidcs
eben ein exklusivistischcr Begriff gewesen sei, der sieb daher nur aufdas Christcnmm beziehen konnte. Exklusiv ist jedoch nicht der Begriff, son- dern
die beilswirksame Beziehung der Christen zu CoLt. So istfides
seit demHoben Mittelalter durchaus gelegenilich als funktionsäquivalent
zu "Religi-on"
anzutreffen.Belege lassen sich sowohl in der scholasti schen Theologie, in
der volkssprachlichen Literatur als auch inJcr religiösen Polemik etwa eu1es A
lfonso da Spina (+
J491) finden
,dem ein rclißiöser Relativismus beim besten Willen nicht unterstellt werden
kann.~6Doch gilt es, bei der Übersetzung
vonfides
denKontext im Auge
zu behal- ten,um
diese verschiedenen Schattierungen nicht zu verwechseln. InBewg
auffides
habensich in jüngerer
Zeitähnlich bestürzende Missverständnisse
eingeschlichen wie beireligio. Die daraus folgende These isc so breit rezipiert
worden, dass sie hier behandelr werden muss: Aufdem Vierten Laterankonzil
" Van Engen, Education; dcrs., Fairh
~· Du Cangc, Glossarium II, S. 4ll~f9J. Litt! rat ur 7.ll fidcs bei Wcl\cckc, Atheismus.
" \\iilhclm von Rubruk, Sinica, S. 292.
" Petcr Abadard (1079-11 41) spricht um er anderem von fidei scct.tc, al~o e1w.1 ~Giaubl·nsgemcin
sch:lftcn", wenn er die untl!rso:hicdlich~n Rdigioncn bezeichnen möchte. Zu Abaclards Begrif- fen F<·il, Religio, S. 89-C)J und passim. l:.ine Suche nach fide" sccta* in der Patmlogia Lalina
Dat;1b.1~o~~ erbrachte )7 nuf nJJ,. Tcllc verstreute Treffer, vnn Jenen allerdings erlichc unbrauchbar iind. Da~cgcn finden sich w~ir über 20.000 Treffer für Iex:, siehe daw unten. ßartht>ll•mäus V(lJl
BolognA, Quaestiones, Qucstio 23: ,.Cum ergo Sarnccni ct Iudaci ~iclll er Chri\liani crcdam Gdtm suam sibi a Deo diltam, quia ludaci innitunrur dictis proph~tarurn, ct Saraccni ~:rcdunt Macltonlctum fuissc prophctam vcnun, vidcntur (llllllcs fiJcm suam c1·cdcrc innitcndo praetcr- n:uuralircr ipsi vcritati incrcntac er im in uno ~>biccto fonnali cl pmcwrnnwrali 'llllvcnire. Ergo vidcmur hahitus fidel nmnium isrorum c'se unius spl•dci cl unill~ cfficao:iac. Ergo non cst sola fidcs dtri~tiana salutifcrn." Novdlino, Nr. 73, S. 123 (Ringparaltel): ~U soldann mandö per qucsu.1 guideo, e domand,1lli 4ual fosse Ia mi~liorc fc:dc ... " Da Spina, Fonaliuum fidci, 3r: ~ Tcr- cia considcr.1tio tract~t clc iudeorum divcrsitate in sua fide c\ <rcdcntia.a
22 Dorothea Weltecke
v n 1215 wurde .in an. 9fe tgclcgt,47 d:ls in 'tädten, in denen Menschen leben, die unter rma fide verschiedene Ritch und itten befolgen, diese nur von einem Bischof geführt werden,
d eh
i11 ihrer Sprache Prediger und ecL orger erhalten sollen die diesem Bischof Gehorsam chulden. Diese Bestimmung meint da- gegen keineswegs 200 Jahre vor NiL olaus v n Kuesd,
elbe wi de senreligio
una. in ritrotm varietate, geschweige denn übertrifft sie ihn an religiöser Weit- hcrz.igkeit.48In aller Regel i t
mitfides
tatsächlich die chrisrli h ßcziehun zu Gott g ·- meint bzw. die christliche Religion, näherhin sogar nur das Chri renrum de alten R"mi chen Reiches in seinem breinischcn und seinem griechischen Zweig.In
diesem inn waren riechenund Lateiner durch unafide gcbw1.den.ln tädtcr'l mit gemischter ßevöll emng, wie sie
in
Italien, in den Kreuzfahrer- staaten der im 1204 voo den Lateinern eroberten Byzanz vorkam ~ onnte e gem:iß Can. 9 zwar griechi ehe Feiern und Priester, aber nur einen Bischf
geben, natürlicb einen latein.i eben. Damit bc tätigt die Regel ältere Bestim- mungen. Die e P
J itik
hatte seit Beginn der F reuzfahrerzeit zw- Vertreibung griechischer Bischöfe aus lcm Vorderen rient gefübrt.49 Umgekehrt unter- standen die Lateiner U) griechischen Hafenstädten dem griechischen Bischof.Um die B obachtun en am chluss wieder interrcligi"s zu anderen Objekt- bezeichnungen in Beziehung
w
etzen:F1: des
unterscheidet ich offenbar in mehrfacher Hin icht von "Religion". ln einer K nzepti n v n religiösem Glauben als Zuwendung Gort s an die Menschen und als treue, hingegebene Beziehung dc Mens hen zu Gott ist es allerding im Mittelaleer sehr ähnlich zu griechischpistis,
arabi eh 'imän, hebräis h 'emrm.eh, yris ·h haymöniithö und so fort. So mochte seinerzeit jede H.eligion vor, llem ihre eigene Beziehung zu Gott mit diesem wuchtigen u.od existentiell umfa senden Beg.ciff qualifizie- ren. Zugleich war die e Konzeption jedoch transreligiös verbreitet und llge- meul verständlich.5. Zu secta
Die bisher besprochenen Konzeptionen wurden nicht generell als Gattungs- bezeichnungen für Religionen angewandt, wenn dies auch vorkommen konn- te. Es gilt daher nun, auch für "Religion" als Sammel- und Gattungsbezeich- nung in mittelalterlichen Konzeptionen nach funktionalen Entsprechungen zu suchen. Dabei fällt zunächst prominent das Wort secta ins Auge. "Sekte" hat heute einen ausgesprochen negativen Klang; es bezeichnet deviante oder fana- tische religiöse Gruppen, von denen Gefahren für die Gesellschaft ausgehen können und die deshalb von "Sektenbeauftragten" beobachtet werden müssen.
Ursprünglich war damit die Schülerschaft eines antiken Philosophen gemeint, weitergehend jedoch schon im Codex Theodosianus die Gefolgschaft eines
" COD, Lateran IV, S. 239-24 L
" Auffahrt, Pluralismus.
49 Pahlitzsch, Graeci.
Über Religion vor der "Relig._io_n_'_' _ _ _ _ _ _ _ _ _ 2_:_3 Häretikers.50 Letzteres Verständnis war in der Rechtssprache der Häresiever- folgung des lateinischen Mittelalters durchweg verbreitet. Doch blieb der ältere Strang der Bedeutung erhalten: Man konnte weiterhin auch neutral reli- giöse Gruppen bzw. Religionen damit bezeichnen. Wichtig an dieser Konzep- tion war die Idee einer Gefolgschaft eines Lehrers oder eines Propheten. Er gab ihr auch den Namen. In eine solche Aufzählung von
sectae
konnte man auch das Christentum als Schüler- und Gefolgschaft Christi mit einschließen.Dies ist während des ganzen Hoch- und Spätmittelalters zu beobachten. 51
Auch die Welten unter islamischer Herrschaft gründen in der antiken Tradi- tion der philosophischen Doxographie, der antiken interreligiösen Polemik und der frühchristlichen Häresiekataloge. Im Rahmen der intensiven religiösen Dis- kussion des 8. bis 11. Jahrhunderts wuchsen daraus die systematisch religions- vergleichenden Werke, die noch im 11. und 12. Jahrhundert zu großen Enzyk- lopädien zusammengefasst wurden. Die Titel dieser Überblicksdarstellungen enthalten regelmäßig die Bezeichnung
Kitäb al-milal wa-l-nif?a/.
52 Die Seman- tik dieser Begriffe changiert im Detail gemäß den Absichten der AutorenY Doch darf man verallgemeinernd sagen, dass Sg.milla/Pl. milal
eine Bezeich- nung für Religionsgemeinschaften und Sg.nif?la/Pl. nif?al
für Denkrichtungen und Gruppen gebräuchlich ist. Dies trifft sich mit lateinischsecta,
als Gruppe und Häresie, übrigens auch in der Obsession, die vermeintlichen Anführer solcher Gruppen mit Namen, Biographie und Lehre zu versehen. Weitere ara- bische Termini, die zum Vergleich herangezogen werden könnten, sind das positiv konnotierte Wortmad_hab
(Weg, Lehre, Meinung) für die unterschied- lichen Rechtsschulen oder, negativ konnotiert,firqa (Sekte oder Partei).546. Zu
LexEin weiteres Wort kommt allerdings "Religion" sowohl als Sammelbegriff wie nun tatsächlich auch als Gattungsbezeichnung sehr viel näher. Dieses bisher in seiner zentralen Bedeutung verkannte und daher zu wenig erforschte Wort ist Lex. Wilhelm von Rubruk lässt den uns schon bekannten Mongolenkhan vor den versammelten Repräsentanten der unterschiedlichen Religionen Folgendes äußern: "Ihr seid hier Christen, Sarrazenen und Tuinen (Buddhisten), und ein jeder von Euch sagt, dass seine Religion (Lex) die bessere sei und seine Schriften, das heißt Bücher, der Wahrheit näher käme~."55
Ist dies der vom
Historischen Wörterbuch der Philosophie
beschriebene "äu- ßere Vollzug", "die Befolgung des (religiösen) Gesetzes"? Auf den ersten Blick'' Zinser, Religio.
51 Der Name "Christen" selbst stammt bereits aus dieser Praxis. Beispiele und Quellen bei Feil, Religio, S. 85-126, 141-147.
52 Z. B. Shahrastani, Livre.
" Griffel, Apostasie, S. 143-148; Einleitung von Gimaret/Monnot zu Shahrastani, S. 11-13; Wil- de/McAuliffe, Pluralism, S. 401.
" Ich danke Bärbel Beinhauer-Köhler für diesen Hinweis.
55 Wilhelm von Rubruk, Sinica, S. 292: ,.Vos estis hic christiani, sarraceni et tuini, et unusquisque vestrum dicit quod lex sua sit melior ct sue littere, hoc est libri, veriores."
24 _ _ _ Dorothca Weltecke
will es so scheinen. Und dies mag zur religionswissenschaftliehen Zurückhal- tung geführt haben, sich mit diesem Worr intensiver zu befassen. Wönerbüchcr geben -für
Iex
in der Tat "Gesetz" an und ganz sicher gehörte Lex in anderen Zusammenhängen einfach zum juristischen Diskurs. Als Bezeichnung für die Gesetze wurde es seit dem Römischen Reich verwendet.Zugleich wurde fex selbstverständlich und häufig als Gattungs- und Sam- mdbezeichnung anstelle von "Religion" gebraucht. Es wurde so selbstver- ständlich gebraucht, dass Feils hübsche Bemerkung wiederholt sei, es hätte geschehen können, dass
wir
heute von "Lexwissenschaft" statt von "Religions- wissenschaft" sprechen. Er bedauerte, dass ihm dieser Sachverhalt nicht früher im Verlauf seiner Uolersuchung <lufgegangen war. Wan1111 ist Lex nicht der Leitbcgriff geworden, und was gcnau unterscheidetIex
von Religion? Dies wird erst dann geklän werden können, wennIex
dieselbe Aufmerksamkeit zuteil wird wiereligio. Ein
paar Bemerkungen seien hier gewagt.So haben Glei und Reid1muth jüngst in der schon erörterten Publikation herausgestellt, tlass
Iex
(und nichtreligio)
in mirrclalterlichen Qoranüberset- zungen qoranischdrn
übersetzt.Dzn
ist seinerseits homophon zu zwei uoter- schiec.llichen antiken,im
westasiatischen Raum gebräuchlichen Wörtern, per- sischdzn
und zenrralsemiriscb (hebräisch, aramäisch und arabisch) dln.Dominant ist das schon in der Anrike verbreitete persische
dln,
das funktions- äquivalent zu "RcJjgion" isr. Zwar fließe es zusätzlich mit zentralsemirischdin,
"Gericht", zusanunen, doch ist die Übersetzung mit
Iex
ganz nati.irlich. Glei und Reichmuth führen Lex nun theologisch auf Paulus und, ihm folgend, Au- gustinus zurück.Lex
sei deren Gebrauch folgend abwcrtcnd auf dieLex iuda- eomm
angewendet worden, schließlich auf andere Religionen, auf Religion allgemein. Für cEese Entwicklung vermuten sie t;m~ichlich Einfluss der Qoran- i.ibersctzt10gcn.~6 N i.itzlich und im Umkreis der ßochumer Forschung unter anderem auch von Knut M.artul Stünkcl fruchtbar cntwickelrs7 erscheint der Ged~ulkc, d<1ss Konzeptionen von Religion das Ergebnis komplexer religiöser Komakte und Vedlecbtungen sind. Dies gilt au~.:h fürIex,
aber nicht erst seit dem I 2. jahrbunderr, sondern schon weit länger. Die Kuln1ren Emasicns dis- kutierten bereitsseit
Jahrhunderten über die monotheistischen Religionen.Das Spannungsfeld religiösen Austausches reicht bei
Iex
noch weiter zmück in die Antike. Griechischnomos war nicht nur das Wort für das vom Menschen positiv entwickelte Gesetz, das entsprechend t!cm Rechtsdiskurs angehörte. Es konnte auch schoniunktionsäquivalent zu "Religion" gebraucht werden5s und beinhaltete in dieser Bedeutung auch kulrisch-riLUclle Elemente.Nomos
war in der Philosophie und in der Praxis inrensiv reflektiert. Sowohl das helleni- sierte Judentum als auch das frühe Christenrum wurden durch diese Diskurse geprägt. Zugleich wurde deren religiöse Sprache auf einem weiteren, noch konkreteren Weg durchnomos
geformt: Er wurde ein zelllralcr Begriff der hellenistischen Übersetzung der hebräischen Bibel (der Septuaginta) für "die~ Glci/Rcichmuth, Religion, S. 261-265.
)J Stünkel, Rcligi.,, der t.lie Religi~)nsbegriirc vou Llull, MainaoniJcs und Nikolas vl'n Kucs aus dem Komakt entwickelt und analysiert. Vgl. Krcch, Dyn,unics.
" Dicr~c u. :1., Religion.
---
Über Religion vor der "Religion" 25 Weisung" Gottes an die Menschen (Thora), also das jüdische Offenbarungs- dokument selbst, in dem der Bund Gottes mit den Menschen manifest wird.'''Auch im Lateinischen selbst bedeutete Lex in früher Zeit neben den mensch- lichen Regeln des Zusammenlebens zugleich "religiöse Satzung" und ist so schon in indogermanischen Wurzeln nachgewiesen worden.'·:J Entsprechungen im Alt- und Mittelhochdeutschen weisen ebenfalls diese aus moderner Pers- pektive so schwer zu verstehende Verbindung von Bund und religiöser Ord- nung auf. Ebenso wielexwurden übrigens auch die deutschen Wörter zut-;leich als Termini für die christlichen Offenbarungsschriften und für die Religion bzw. die Religionen als solche gebraucht.''1 Sie sind heute semantisch verflacht, aber gleichwohl immer noch für einen wuuflöslichen Bund gebräuchlich: Eu>e,
E.(·"
Paulus' Polemik ist also keineswegs der Urheber für die zentrale Position von Lex; die Qoranübersetzungen gaben nicht den entscheidenden Impuls für die Entstehung eines Vergleichsbegriffs. Der Begriff war schon zuvor allgemein verbreitet. Aber Paulus' Polemik hat auch nicht verhindert, dass diese Kon- zeption im Mittelalter erhalten blieb und weiterhin neben den sozialen Regeln auch die Religionen bezeichnete, eigene und fremde. Der jüdische und der transchristliche Gebrauch im Mittelalter ist bisher unterforscht, besonders im Vergleich. Dabei kamen alle westasiatischen christlichen Sprachen mit dieser Tradition in Kontakt, indem sie die griechischen Texte übersetzten und in ihren Sprachen christliche Terminologien ausbildeten. Als Beispiele seien zwei Chro- niken des 12. Jahrhunderts genannt, die altrussische sogenannteN estorehronik und die Chronik des syrisch-orthodoxen Patriarchen Michael des GroGen (1126-1199), die von der lateinischen Tradition unbeeinflusst sind.1'3 Der Jude Jehuda Halevi gebraucht seinerseits in seinem Buch Kuz,ni zwei verschiedene Termini, um Religion zu bezeichnen, sowohl seine eigene als auch fremde. Er schreibt din für Religion, dem arabischen Sprachgebrauch folgend. Doch auch er steht in der Tradition, in der nomos als Bezeichnung für "Religion" als
"göttliche Satzung" steht. Daher zieht er meist das seit Langem arabisicrte griechische Lehnwort niimtlshzm.D,/mis (Religion) vor.r'4
Abgesehen von diesem Problem, das der Erhellung durch weitere verglei- chende Forschung bedarf, seien weitere Merkmale des Verständnisses von Iex benannt. Lateinische Gelehrte stellten z. B. durch Vergleiche fest, dass sich nicht jede Iex auf Offenbarungsdokumente beruft. Die griechischen Philoso- phen, mit denen man sich im Hochmittelalter intensiv befasste, hatten offenbar keine. Ein anderes Volk, das man fürchtete und zugleich als Bundesgenossen
,., Z. D. ehe Beiträge in Studie' itt Religion (I<J~4, 1), (I'J~Ii, 3); Wcstcrbolm, Tor~h; Rösel, Nomo- rhcsie, auch zu :lktucllcr LiteL1tut·.
c \Valde, \\f()t'tcrhuch, s, v. Iex, S. 424.
·' Grimm, \Viirrcrbuch, s. ,., Religion, S. ~01 f., hrrp://woerrerbucbnctz.ddcgi-bin/\Vl3Nerz/wb- gui_p)'?siglc=DWI3&1cmid=GR04525 (acc. 7.11.2013 ).
]x,er, \Viirrcrhuch, s. , .. ~wc, S. 725, hrrp://wocrrcrbucl1L1ctz.dc/q;i-hin/WßNerz/whgui_p)'?
mode= Vcrncrzung&hi tl ist=&pattemlist=&lcm id=LE03208&siglc=Lcwr (acc. 23.10.2013 );
Köblcr, Wiincrhuch, s. ''· ewa, http:/ /www.kochbgcrh<1rd.de/abd/abd_c.html (~cc. 23.10.2013 ).
'·' Mich,ld der Gt'lllk, Chroniquc, ßd. IV, S. 70') (II I, S. 359); Ncstorchrnnik, S. I 03-150.
"' Jehud~ Halevi, Kitöb, S. 21 f.; Lasker, Prosch•rcJuLbism; l'vlonfcrrcr-Sab, .Maim(midcs, S. 31i2.
26
Durothca Welrcckezu
gewi
nnen hoffte, dieMongolen, besaßen auch keine Offe
nbarungsschriften.G
leichwohl wurde Phil osophen und Mongo
lenebenfa
lls eine L ex
zugestanden.Sie waren aus der Sicht der scholastischen Gelehrten
weder religionslos noch
l<ulturunfähi~.
AbaclaJ·d stellt der Iex divina bzw. den scripturae (s.o. w
ie liflcnte,dictae), auf die sieb Christen und Juden beru(en, die L ex nt1tu1·alis
gegenüber, auf die sic
h der Pl1ilosoph
beziehe,~;so auch andere Autoren. Zur rechtlichen Norm wird die Anerkennun
gder Iex naturalis im berühmten Kommenrar J
cs späte- ren Papstes lnnozcnzzu einer älteren päpstlichen Urktmde, der Dekretale
Quodsuper bis: Hier wi
rd festgestellt, dass nicht-christlicheVölker, aucb
weru1 sienur diese Iex natumlis besitzen, Herrschaft und Eigentum zu Recht und durcb göttlichen Willen besitzen. Dies dürfe ihnen auch nicht mit Gewa
lt ge-nommen werden,
es sei denn, es steheGefahr im V
erzug flirChristen
(einespäter sehr dehnGihige Aussage). Doch beinha
lte dieses Recht nicht, so lnno- zenz etwas spiiLer, dass Missioi1are J
en Islam, dieL ex Machometica,
inchristü-
chenLanden verb rei
tendü•·ften. Denn die Musli me befänden sich im Irrtum .
.Juden, wenn sie gegenihre eigene
Lexmoralisch
oder dogmatischverstießen, wen
n sie aJso, aus der Sicht des Papstes, vom Judentum abwichen und, wie er sagt, gegenihre Iex
Häresien erfänden,dürften vom Papst bestraft
werden. Weilder Talmud als eine solche N
euerung unJ Häresie gegen das Judentum galt, wurden mir di
esem Argument die Talmudverbrennungen des 13.J
ahrhundertsbegründet
.f.l.Im Mittelalter gab es also unterschiedliche Begriffe von Iex. Das Wort I wan- te im religiösen Zusammenhang die göttliche Satzung und damit eingesc
hlos- sen die Ordnung der menschlichenGemeinschaft bezeichnen oder näherhin das Buch, in dem dies geoffenbart wurde. Tatsächl
ich spricht etwa Riccoldo an einer Stelle, wo er dieIex Moysi
von anderenOffcnbarnngsJ
okumenten ab- grenzenwilJ, vnm
Pentateuch und nicht vo
m Judentum. Andererseits konnte er mir derIex Sarracenorum
nicht den Qoran, sondern den Islam insgesamtbczeichneuY
Doch wenn von J
crIex Mahometi oder der Iex iudaeo mm
iJ1lateinischen Texten die Rede ist, katu1 es zu dramatischen Fehlinterpretationen kommen, wenn m:1n dieses
Won mit "Gesetz" statt mit "Religi.on"
übersctzt.63Lex iu- daeomm war nicht F-Ialakha tmd Iex Mabometi war nicht Scharia. Lex ist au- ßerdem
gerade nicht mit der für moderne
christliche Kulturen selbstverständ- lichen Verachtungfür "äugcren Vollzug"
und"Befolgung des Gesetzes"
anachronistisch zu verzerren.
ln J·eligionsvergleichenden Texten ist es deshalbauch nicht polemisch ge
laden, weil die Christen ja selbst dieL ex beanspruchten,
sogar die authemischste, beste.Lex ist also
von "Religion" ve rschieden, aber doch weniger, als man vennu-
rcn könnte. ImUnterschied zu relig1 :o
und wiefides wa rlex
entfaltet, reflektiert
•• West<'rmann, Wahrheitssm:he. Sir.'hc dagegen Kurd7i:dek, Philosophie.
'" Zahlreiche iiltcrc Drucke. Vgl. jedoch 7.uletzt die kommentierte Transkt-iption von Brand- Piem·h, Ungläubige, S. 177.
•• Riccoldo da Montc di Croce, Percgrin1tion, S. 188.
••• Zulcrt.r llalcvi, Lcl\ Mnhon1cLi.
Über Religion vor der "Religion" 27
und konkret.
Fides
bezeichnete eher die Beziehung zu Gott,Lex
bezeichnete eher die religiöse Ordnung, in der sie sich vollzog. In der Sprache der Scholas- tik konntenfides
tmdLex
jedoch später Synonyme ein, konme vonfides sive Lex
gesprochen wcrden.69 G ·· ttliche Hcilssatz.ung, k nkrete ffcnbo.rungsdo- kumcntc, Ethik und vertrauende, treu ergebene Beziehung des Men eben zu Gottflossen hier ineinander wie sich dies später im Begriff "Religion" auskris- tallisieren sollte.7. Schluss und Ausblick:
Diskursgeschichte statt Begriffsgeschichte
Im Mittelalter" ar Religi .n kein Phänumen sui generis. Stattdc en ex1stlert eine VieHalt unterschi dliche..r K nzeptionen, über deren Inhalte und deren rcligionsgcschichtl iche.folgen weiter nachzuden k "n wiire. Die ältere Form der ßegriffsgc chiehre und auch die Philosophie es hichte haben i h dagegen, uf das am wenigsten gebräuchliche und clcterminjerte W rt, auf
religio,
und auf eini.ge hochreflektierte Texte beschränkt. Dies erscheint al methodische Sack- gasse. Nachgerade irreführend ist die dort verbreitete Vermischung der Fnge nach SammelbegriHen und religiöser Toleranz. Von der normativen Voreing - nommcnhcit abgesehen, können sie den semanti.schen Wandel der onzepti- onen nicht er.k.Jär · n, weil sie es begriHsimmanent und ideengeschichtlich ver- uchen. Der aktuelle Verweis: wf
clie h chmittclalterlichen Reli~onskonmkte greift zu kurz; die Verfle h:tungen ·ind komplexer und älter.Für den modernen Religionsbegriff ist i.o jüngerer Zeit da Bewusstsein gewachs '11, lass es sich bei ".Reli~i n' um eines zial ausgehandelte I onzep- tion handelt über die weder Wis 11 chafclcr noch Theologen noch die disku- tierende Öffentlichkeit allein die Dc[initi nsb.oheit besitzen/0
Enc
prechcnd gälte es künftig auch flir die Zeit vor dem Religi nsbcgriff nach uem konkreten Reden über Relig.ion überbaLlpt zu fra en. Die lateinisch- hri diche Bcv"Lke- rung beteiligte si.ch .intensiv daran; man for ehre Juden nach ihren Lehren und Praktiken aus71 oder witzelte amsragabend unter der Linde über die Jung- fräulichkeit Mariens.72 Wie dies sprachli h geschah, ist noch nicht im Ansatz untersucht worden. Man kann aber vermuten, dass von dort aus wichtige Im- pulse ausgingen, die die Konzeptionen für Religion beeinflus t haben.Wie kann man diese Konzeptionen und Disl ur ·e erfas en? Hier wurden einige Quellengarrungen benannt, die dafür ertragreich erscheinen, wie Reli- gionsvcrglei be, Rccbtstexte, Inquisitionsakten oder volk sprachliche Litera-
69 Bartholomäus von Bologna, Quaestiones, Questio 5: "Questio est, supposito, quod tantum sit una Iex sive fidcs, in qua sit saJus, utrum illa fides sit fides christianorum."
" Bergunder, Religion. Zum Bc~riff in Kummunikation und Komakt Stünkcl, Religio, allerdings
konzentriert auf die Gelehrten.
71 "Hand ir UliCh meß ode.r wie tU11d ir?" wollen Chri tcn im spätmiudalterlichen Zürich wissen, nach Burm~i ter, mcdinnL boJa.~t, S. 165, siehe dort zu den ungcdruckten Prozessakten, aus denen diese Äußerung stammt.
71 Jacqucs Fournicr, Registre Il, S. 119.
28 Dorothea Weltecke
- - - -- - - - -
rur. Zudem ka nn man heute quantitative Untersuchungen durchführen; Stich- probe n erbrachten hier bereits einc1 1 Etndruck.n Außerdem wurde die Beobachtung, dass vor der Entstehung des Religionsbegriffes immer m ehrere Konzeptionen das Feld des Religiösen abdeckten, zum analytischen Programm erhoben und einige vorläufige Beobachtungen formuliert. Dabei zeigte sich, dass diese Konzeptionen - ,.efigio, doctrina, cultus, secta, fides und lc:t: - , die noch um einige weitere vem1ehrt werden kön nten (wie pietas) cLo sehr feillcs Differe nzieren unterschiedlicher Aspekte des Religiösen erlaubten. Diese mit- tellateillischen Termini saßen jedm:h nicht sauber aufge reiht wie Eier in eillem Karron. Überdies wiesen sie in sich eine
gro(~csemanttscbe Bandbreite auf. Als Konzeptionen konnten sie außerdem gleichzeitig ganz unterschiedlichen Dis- kursen angehö ren wie den_ R echtsdiskursen oder den Lehr- und Schuld iskur- sen, um nur zwei wichtige anzmprechen.
Dass offenbar mehrere der hier vorgeführten Konzeptionen jedoch in den westasiatischen Sprachen und Religionen insgesamt verbreitet waren, nimmt ihnen den Eindruck der
man~clndenbegrifflichen.
Sch~irfeund Reflexion. Zu- gleich ergibt sic h dadurch eine neue Forschungsperspektive. Die hier beobach- teten Konzeptionen vo n Religion waren offenbar nicht einfach "mittelalter- lich" in einem imellektuell abwertenden Sinn. Sie hatten vielmebJ· Teil am westasiatischen religiösen Denk en
ineiner
~auzi.ibcrgreiJenden Weise. Anders gesagt, wurden Konzeptionen erkennbar, die eine so allgeme ine, transreligiöse Bedeutung besaßen, wie sie "Rel igion" als europäischer Begriff bis heure rar- sächli ch nicht erreicht hat. Dies
liel~csich sogar mit Beobachtungen z u ostasi- atischen Objektbezeichnungen erweitern, die den westasiatischen ähnlicher sind, als man von heure aus vielleicht erwarten
könnre.7~Weiter über- rascht es mit Blick auf die feinen Taxonomien und DiHercnzierungcn nicht, dass sich die Neuze it mit der Definition so schwer tut, und warum es schier nicht gelingen will, "Religion" mit nur einem Wort dingfest
w machcn.7~Aber vom
13.z:um
15.Jahrhundert wird
inder lateinischen Schriftlichkeit ein Prozess der Entd i ffere nz .icrung sichtbar, der weiter der Erklärung harrt.
FrüheAnzeichen waren auch hier nichrzu übersehen. Anfangdes 15.Jahrhun- dcrts konnrc es vorkommen, dass einer, der kerne Universitätsbildung besaß und daher mir den komplexen Definitionen der Gelehrren ni cht vertraut war, auch religiones, also die Orden bzw. deren regulae, für an sich dasselbe hielt wie die Leges, als die Religionen. Dies führte ihn zu der unorthodoxen Überle- gung, dass man fairerweise nicht einerseits Benediktinern zugestehen konnte, sich an der regula St. ße1zeclicti auszurichten, den Juden aber verwehren woll- te, nach der Lex Moysi zu leben.
76Man wüsste gerne, welche \X/örter im Deut- schen er hier gebraucht hatte und ob der Protokollant Nikolaus' Aussage dem
7' Jussen u. a., Corpus Management Systl!m;Jusscn, S.-mamik.
~. Vgl. die Beirr:l~;c in Sch.1lk u. a., Religion.
" D.1ss tli~ Ursache dic!~er Unmöglit.:hkciL darin hl!l>ldu, einen abstrakten Begriff für einen kon-
kreten zu halten, hat Stiinkd, Religi•'. S. 31-:H zu Rcdn an~:~cm.lilllt. Aber Rcligilln wird eben als Sache bcha.ndclt, sowohl im wi~sl!rJschaftlichcu wie im öffentlichen Reuen.
•• Prozess gegen Nikolaus von ßuldcsdorf: P:nschovsky, Nikolau~ von Buldcrmlorf, S. 2R7: .ludl!i ser.";lbunt lcgcm Moysi propter patrc~. Si enim in ordine sancti ßenedtcti tencnda cst rcgub
Über Rcligi n vor der "Reli "on" 29
- - - -- -- - - -- -- -- -- -
gelehrten Wissen terminol gisch anpasste. Von hier aus wird eine Richtung denkbar, wie sich die Entwicldung fortserzen konnte, wenn
fide s sive lex sive religio
allmählich weiter in inanderflossen.ZurNeuzeit hin fand ein weiterer, kräftiger Entdifferenzierungsschub statt, und schlieglich wurde der gesamte Diskurs vollständig umgebaut. Dies ist übrigens auch bei anderen Begriffen zu beobachren.77 E ist zu erwarten, da dieser Wandel etwas über die europäischen Gesellschafen aussagt/~ Wegen dieser Encdifferenzicrung ist es heute kaum gedanklich nachzuv llziehen, wie ZtJvor- oder andern rts-kognitive Überzeugung in der Religion, eine psy- chische und
physi.s
.he Di po ition, Riten und Praktiken Dogmen und v r- bindliches Beziehungsbandein neben- und miteinander gedacht wurden. Dies macbte jedo h m.ittelalrerliche Religionskonzeptionen transkulwrcll aus.Postscript
Nach Fertigst llung des Manuskriptes mü senzwei Sachverhalte ergänzt wer- den. Nicht mehr hier diskutiert werden konnte der methodische Ansatz v n Nombri, Brcnt: Before Religion: A History of a Modc1·n Concept. ew Ha- ven/London 2013. Seine historische Darstellung trägt zum Verständnis der mittelalterlichen Entwicklung allerdings wenig bei. Nachdrückli.ch verwiesen sei auf das an der Goeche-Universität Frankfurt (Prof. Dr. Bernhard Jussen) k rdiniene Projekt "Computatio.nal Historical emanrics" und eine Unter- pr jekte, besonders auf die Oberfläche für quantitative Suchabfrag n, die mit lemmati icrten lateinischen Texten hier inzwischen möglich sind, http://com- phistsem.org/lexicon.hrml, in der vorliegenden Untersuchung aber noch nicht durchgeführt werden konnten.
Literatur
Ahn, Gregor: Eurozentrismen als Erkenntnisbarrieren in der Religionswissenschaft, in:
Zeitschrift für Religionsgeschichte 5 (1997), S. 41-58.
Alfonso da Sp.ina: Fortalitium fidei. Lyon 1487.
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ipsius, et si in ordine sancti Francisci fratres vivere tenentur iuxta doctrinam regule eius:-qua- re Iudei non secund um legem dei patris?"
77 Vgl. zu Unglauben bzw. Atheismus Weltecke, Vertrauen; dies., Atheismus.
78 Koselleck, Historik u. a.
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