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Was ist b^hyi
Von E. Baneth.
In dem sonst so klaren Psalmverse : qoD mmü m-iWN 'n m-ii3N
DTiSa» ppTM ynNb bibya cji-iS (12, 7) ist b^bya das einzige Wort,
das trotz aller Fortschritte der hebräischen Sprachwissenschaft heute noch ebenso dunkel ist wie in den ersten Anfängen der Bibelexegese
5 (s. ZATW. 16, 295 f., 17, 93ff. und 189). Wir stehen hier einem
fijtal leyoiisvov gegenüber, dessen Wurzel uns in all ihren mannig¬
fachen Bedeutungen sehr vertraut ist, von denen gleichwohl keine
einzige an dieser Stelle zu passen scheint. Das Targum übersetzt
es mit (,im Schmelztiegel"), was etymologisch schwer-
10 lieh zu rechtfertigen ist ; denn die von Jona ibn Gana^ in seinem
Kitäb ul-Usül s. V. versuchte Begründung (s. auch Raschi z. St.),
nach welcher b ^ b J' das „Vorzügliche" bedeutet und ynis hier
im Sinne von riMn« steht, so daß ynsb b^by = ajtAS^^ V'y^' '/^
ebenso wie inwisn ÜSSM (1 Kön. 7, 46) den Schmelztiegel bezeichnet,
15 weil er aus bestem Ton hergestellt wird, kommt um so weniger
in Betracht, als der Beweis für die Gleichung b^by = ^as^ =
„vorzüglich" ebenfalls als mißglückt angesehen werden muß.
Immerhin gibt die Übersetzung des Targum wenigstens einen er¬
träglichen Sinn, wenn auch der Zusatz yiNb (sy-iN by) in diesem
20 Zusammenhange ziemlich störend wirkt. Den „Siebzig", die b^bya
mit doxlfiiov („Prüfung, Läuterung, Bewährung") wiedergeben, kann
man nicht einmal diese Anerkennung zollen.
Wie in der Bibel kommt auch in der Mischna der Ausdruck
b^byn nur an einer Stelle vor (Rol haSsana I, 5), und auch hier
25 ist seine Bedeutung zum mindesten zweifelhaft. Es handelt sich
da um den Neumondstag, der in früheren Zeiten auf Grund von
Zeugenaussagen über das erste Erscheinen der jungen Mondsichel
von Monat zu Monat durch die zuständige Behörde festgesetzt wurde.
War es ein Freitagabend, an dem der neue Mond zum ersten Mal
so sich zeigte, durften die Beobachter den Sabbat entweihen, um i-echt-
zeitig am Sitz der Behörde eintreffen zu können. An diese Be¬
stimmung knüpft sich nun die folgende Meinungsverschiedenheit:
.nman nN i^by pbbnTa bibyn hni; «ba T'a b^bya rtN-i;© "p^
naian nt* T^by v'^bnw i'N b^bya nsns as -iuin iov ^a^i. Offenbar
35 gehen die Ansichten darüber auseinander, ob die Sabbatentweihung
den Zeugen selbst dann gestattet ist, wenn sie annehmen können,
daß ihre Wahrnehmungen auch am Orte der Behörde von jeder-
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Baneth, Was ist biby? 403
mann gemacht werden mußten. Was ist aber mit b ^ b » a gemeint ?
Jeruschalmi z. St. antwortet auf diese Frage, es bedeute so viel
wie Nion"iD3 („frei") gemäß dem Worte der Schrift: tins qOD
y-iNb bibra. Ähnlich der babylonische Talmud z. St. (21''):
Woraus ist zu entnehmen , daß b^bya dasselbe wie „offen" aus- 5
drückt? Das folgt, meint Rabbi Abahu, aus dem Bibelverse: qoa
yiNb b^bya tins. Beide Talmude scheinen qiis nicht als ge¬
läutert aufgefaßt zu haben — das ist erst das folgende ppTTO
— sondern nur als gediegen; daher b^^bya = frei oder offen,
d. h. mit unedlen Metallen nicht vermengt, von anderen Mineralien lo
nicht eingeschlossen. Demnach wäre ynsb bibya :]Tis t]03 im
Psalmverse gediegenes Silber, unverhüllt in der Erde
und b'bya riNi: in der Mischna die unverhüllt geschaute
Mondsichel, mit anderen Worten : ein freier oder offener Mond,
der weder von einer trüben Atmosphäre verdunkelt, noch durch xb
leichte Wölkchen verschleiert wird. Allein mit welchem Rechte
können wir dem Worte b^bya den ihm vom Talmud beigemessenen
Sinn wohl zuerkennen? Aus der Fragestellung, insbesondere des
babylonischen Talmud, ist ersichtlich, daß dieser Ausdruck dem
allgemeinen Sprachschatz nicht angehörte und seine angebliche Be- 20
deutung nur aus dem Zusammenhange erraten wurde. Die Antwort aber
zeigt uns, wie die Exegeten und Lexikographen, auch die modernen,
in einem circulus vitiosus sich bewegen, wenn sie zur Erklärung
des Psalmverses die talmudische Auffassung der in Rede stehenden
Mischnasteile heranziehen. Es ist meines Wissens noch nicht ge- 25
lungen, für b^bya die Bedeutung frei oder offen etymologisch
sicherzustellen.
Seltsamerweise haben selbst die alten jüdischen Schriftaus¬
leger eine Baraita sich entgehen lassen, in der wir dem Worte
b^bya zum dritten Male begegnen, und zwar in einem Zusammen- so
hange , der über den wahren Sinn dieses Ausdrucks kaum noch
einen Zweifel aufkommen läßt. Nach Deut. 21, 2 soll , wenn ein
Erschlagener auf freiem Felde gefunden wird , die nächstgelegene
Stadt, die ein Sühnopfer zu bringen hat, durch Messung ermittelt
werden. Im Hinblick auf diese Vorschrift sagt die Tosefta (Sota ss
IX, 1; s. auch Talm. bab. das. 45' oben und Jer. das. IX, 2): Wenn
auch der Erschlagene i^yn bibya (in beiden Talmuden ist die Les¬
art: -i-yb b^bya) gefunden wird, muß doch gemessen werden. Hier
ist es klar, daß -|iyb b^by den Eingang zur Stadt bedeutet.
Wenn der aramäische Ausdruck an Stelle des hebräischen gewählt 40
ist, so erklärt sich das dai-aus, daß Nia73 in der Sprache der Mischna
und Baraita eine Gasse bezeichnet, was hier zu einem argen Mi߬
verständnis führen würde ; denn nur, wenn der Leichnam außerhalb
der Stadt lag , und wäre es auch hart an ihrem Eingange , wurde
gemessen, nicht aber, wenn er in einer ihrer Gassen gefunden wurde. 45
Wenden wir uns nun der Mischna in Ro§ hallana zu , so ist
dort b 1 b y vermutlich ein astronomisches Lehnwort zur Bezeich-
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404 Baneth, Was ist b^bs-*
nung des Sonnenuntergangs, eine Abkürzung für NUittii; b^M
(vgl. Dan. 6, 15) v^ie mTO für izJttffi niTtJ. Wenn der neue Mond
bei Sonnenuntergang schon sichtbar ist, muß er vom Tagesgestim
bereits so weit entfernt sein, daß er im ganzen Lande von einem
6 normalen Auge wahrzunehmen ist; wurde er dagegen erst mit zu¬
nehmender Dämmerung erblickt, dann ist sein Licht noch so matt,
daß die Zeugen annehmen dürfen, er könnte der Aufinerksamkeit
anderer Beobachter entgangen sein. Darum meint Rabbi Jose, den
Zeugen sei nur in diesem Falle gestattet, den Sabbat zu entweihen,
10 um sich nach dem Sitz der Behörde zu begeben und dort vernehmen
zu lassen; haben sie aber den neuen Mond schon während des
Sonnenuntergangs oder gar vorher wahrgenommen , dürfen sie am
Sabbat die Reise nicht antreten, da sie sicher sein können, daß man
auch am Orte der Vernehmung dieselbe Beobachtung gemacht hat. Die
I.'i Gegenansicht will diesen Unterschied nicht gelten lassen , weil die
Zeugen nicht wissen können, ob die meteorologischen Bedingungen
am Sitze der Behörde ebenso günstig waren.
In Ps. 12, 7 dürfte nun b^bs ein Kunstausdruck des Bergbaues
sein und sowohl den in den Felsen gehauenen Stollen als den in
«0 die Erde gegrabenen Schacht bezeichnen. Es wäre demnach zu
übersetzen: Gottes Worte sind reine Worte, sind Silber, schon im
Eingang zur Erde gediegen und dann noch siebenfach geläutert.
Das Silber liefert uns die Natur mitunter in gediegenem, aber nie¬
mals in ganz reinem Zustande , frei von allen mineralischen An¬
as haftungen. Verbindet sich mit r| n S kein engerer Begriff als der
der Gediegenheit, so entspricht das Bild hier der Wirklichkeit ;
bedeutet das Wort aber, worauf die nahe Verwandtschaft mit CjliS
und ans schließen läßt, zunächst geschmolzen und dann ge¬
läutert oder lauter, so liegt hier eine dichterische Freiheit vor,
so durch die der Gedanke desto schärfer und wirkungsvoller hervor¬
tritt. Dem Zusammenhange nach sind freilich unter Gottes Worten
seine Verheißungen zu verstehen. Da aber Silber und nicht Gold zum
Vergleiche gewählt wird, scheint der Vers doch noch einen all¬
gemeinern Sinn zu haben. Silber war in alter Zeit die gangbarste
S5 Münze. Vielleicht will das Bild neben der Lauterkeit des Gottes¬
wortes auch seine Unentbehrlichkeit betonen, und der Zusatz b^b^a
y~iNb auf die mühelose Gewinnung hindeuten (vgl. Deut. 30,11—14).
Merkwürdig ist, daß Jona ibn Ganah an der Auffassung von
b'by als .Eingang" so nahe vorübergeht, daß er sie fast streift.
40 Unter anderen Erklärungen bietet er a. a. 0. auch die, daß b^by dem
arab. J,^ki>i^ entspricht; aber statt nun „im Schöße der Erde" zu übersetzen, meint er, bibj'a stehe für b^bs und sei eine Apposition
zu C]0a, das darum als oI^xJ! JvAiio (das Innere der Erde) be¬
zeichnet werde, weil das Silber aus den Mineralien gewonnen werde
f:
45 (^.^jL»I! ^y, c>j.s>\j> jo! c5')-
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Gothanus 643
ist nicht
*Abd al 'azTz al Nasafl's Kifäjat al fuhül fl 'ilm al usül,
sondem ein älterer Kommentar zu
'Omar al Nasafl's 'Akäid.
Von C. F. Seybold.
Wenn selbst so guten Kennern und gewissenhaften Arbeitern
wie P e r t s c h und Rieu in ihren mustergiltigen und meisterhaften
monumentalen Katalogen arabischer, persischer und türkischer Hand¬
schriften je und je kleinere oder größere Fehler passierten, so ist
dies bei dem so schwierigen Gebiet orientalischer Handschriften- 5
beschreibung, bei dem ja mehr als von andern das Dies diem docet
gilt, und bei der nach Tausenden zählenden Masse genau zu be¬
schreibender Manuskripte zu Gotha und Berlin und im Britischen
Museum , nicht zu verwundern. Aber auch hier muß die Wissen¬
schaft im Großen und Kleinen immer weiter schreiten, und es sei 10
mir gestattet auf einige feinere und gröbere Flüchtigkeiten hinzu¬
weisen, welche sich Pert sch bei Nr. 643 seines riesigen .Catalogue raisonne" : Die arabischen Handschriften der Herzoglichen Bibliothek
zu Gotha, 5 Bände, Gotha 1872—92 zu Schulden kommen ließ.
Seine Beschreibung im 2. Band (1880) lautet S. 3f. also: 15
.643.
(arab. 1004; Stz. [Seetzen] Kah. [Kairo] 486.)
Diese Handschrift entbält, am Anfange defekt, ein Werk über
die Grundzüge des Glaubens, Qji>.it ^yo\, und deren philosophische
Begründung. Die Darstellung geht von einer Definierung des Be-
griffes des Wissens oder der Wissenschaft, ^JljiJS J«jj».^' ^ |»^^',
aus. Wenn die dem jetzigen Anfange der Handschrift von fremder
Hand^) beigeschriebene Bemerkung: ;3jjobSl ^Jlc j. vjLxi'
1) Und zwar allerdings von der sehr unzuverlässigen Hand, welche viele unserer am Anfange defekten Handschriften mit Phantasietiteln versehen hat.