Eugen Mittwoch (1876—1942)
Von Enno Littmann, Tübingen^)
Professor Eugen Mittwoch starb am 8. November 1942 im Exil, das
er 1938 wegen der Judenverfolgungen im Dritten Reiche freiwilhg ge¬
wählt hatte. Er war ein stiller Gelehrter: seiner Wissenschaft widmete
er sich mit unermüdhchem Eifer und mit einer auf gründlichen Kennt¬
nissen beruhenden Sorgfalt ; an seinem deutschen Vaterlande und an dem
Herkommen seiner Väter hing er mit großer Treue; seiner Famihe war
er ein vorbildhcher Hausvater, den Armen und Bedürftigen unter seinen
Glaubensgenossen ein stets hilfsbereiter Freund ; für Deutschland setzte
er sich während des ersten Weltkriegs mit aller Kraft ein. So war er unter
unseren deutschen Landsleuten jüdischen Glaubens eine besonders hoch¬
geachtete Persönhchkeit, der auch die Deutschen anderer Abkunft ihre
ehrliche Anerkennung nicht versagen können.
Mittwoch wurde am 4. Dez. 1876 in Schrimm, Kreis Posen, geboren;
dort besuchte er das Gymnasium. Von 1894—1898 studierte er in Berlin
vor allem orientahsche Sprachen, aber auch Philosophie und klassische
Philologie ; vier Semester lang nahm er an dem Unterricht im damahgen
Seminar für Orientalische Sprachen teil. Im Jahre 1899 promovierte er
mit der Arbeit „Proeha Arabum paganorum (Ajjäm al- 'Arab) quomodo
htteris tradita sint", in der er bereits zuverlässige arabistische Kennt¬
nisse zeigte. Im Jahre 1905 habilitierte er sich in Berhn für semitische
Philologie. Zwei Jahre später wurde er mit der Erteilung äthiopischen
und amharischen Unterrichts am Seminar für Orientahsche Sprachen
beauftragt. Denn inzwischen hatte sich die SteUung Deutschlands zum
unabhängigen Reiche des ,, Königs der Könige" geändert. Mit Rücksicht
auf Italien und seine abessinischen Interessen waren bis dahin keine
diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Abessinien ge¬
pflegt, aber im Jahre 1905 schloß Fb. Rosen, der hochverdiente Ge¬
lehrte und Diplomat, einen Freundschaftsvertrag in Addis Abeba, und
1906 entsandte Kaiser Wilhelm II. eine deutsche Expedition zur Er¬
forschung der aksumitischen Altertümer in Nordabessinien unter meiner
Leitung. Es war also angebracht, daß in Deutschland, wo die abessi¬
nische Philologie im 17. Jahrh. durch Hiob Ludolf begründet und im
19. Jahrh. durch August Dillmann neubegründet war, ein Lehrstuhl
für diese Wissenschaft errichtet wurde. Mittwoch, der auf diesen Lehr¬
stuhl berufen wurde, hat sich seiner vollauf würdig gezeigt; zur Seite
1) Für die Angaben einiger Lebensdaten bin ich Prau H. Mittwoch
dankbar.
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stand ihm ein gelehrter Abessinier als Lektor, und mit seiner Hilfe konnte
er eine Reihe von wichtigen Schriften zur abessinischen Philologie her¬
ausgeben. Im Jahre 1915 wurde er Extraordinarius in Berhn, und zwei
Jahre später wurde er als Nachfolger Lidzbaeskis auf das Ordinariat
in Greifswald berufen. Er blieb jedoch, seines Kriegsdienstes wegen, in
Berhn, wo er die Nachrichtenstelle für den Orient leitete. In Berhn
wurde ihm 1919 eine ordentliche Professur übertragen, die er bis 1935
innehatte, d. h. bis zu der Zeit, in der er als Jude vorzeitig emeritiert
wurde. Mit seiner Professur hatte er eine Reihe von Jahren das Amt eines
Direktors des Seminars für Orientahsche Sprachen verbunden. Im Ok¬
tober 1938 fuhr er in sozialer Mission nach Paris und entschloß sich im
April 1939, nicht mehr in seine Heimat zurückzukehren, sondern mit
seiner Familie, die auf anderem Wege nach England fuhr, seinen dau¬
ernden Aufenthalt dort zu wählen. Ein altes Magenleiden verschhmmerte
sieh im August 1942, und von ihm genas er nicht mehr. Drei Monate
später, am 8. November, entschlief er.
Mittwochs wissenschaftliche Tätigkeit bewegte sich vor aUem auf dem
Gebiete der T^abistik und der südsemitischen Philologie, wie sie sich aus
seinem akademischen Lehramte ergab; eine Reihe von tüchtigen Schü¬
lern, Orientalisten und Diplomaten, gingen aus seiner Schule hervor. Er
war aber auch mit den anderen semitischen Sprachen sowie mit dem
Persischen und dem Türkischen vertraut. Schon unter den Thesen, die
er bei seiner Doktordisputation zu verteidigen hatte, befand sich eine
aus dem persischen Sprachgebiet.
Die Überlieferungen über die Schlachttage der alten Araber be¬
handelte er in seiner Doktorarbeit auf Grund der einschlägigen ara¬
bischen Literatur, die er kritisch untersuchte. Im Jahre 1909 veröffent¬
hchte er eine erschöpfende Studie über „Die literarische Tätigkeit
Hamza al-Isbahänis", eines vielseitigen arabischen Schriftstellers aus
dem 9. und 10. Jahrh. n. Chr. Auf Grund seiner Kenntnis von dessen
Schriften beschrieb er ,, Abergläubische Vorstellungen und Bräuche der
alten Araber nach Hamza al- Isbahämi" und ,, Altarabische Amulette
und Beschwörungen nach Hamza al- I^bahäni". Hier zeigte sich sein
Interesse für Volkskunde und Volksliteratur, das in seinen Arbeiten über
Abessinien so schöne Früchte zeitigte. An dem großen Sammelwerke
,,Ibn Saad, Biographien Mohammeds, seiner Gefährten und der späteren
Träger des Islams bis zum Jahre 230 d. F." (d. i. 844/45 n. Chr.), das
unter der Leitung seines Lehrers E. Sachau herausgegeben wurde, be¬
teihgte er sich als Mitarbeiter. Gelegenthch berichtete er über die Ge¬
schichte der arabischen Medizin und mehrfach steuerte er durch Er¬
klärung und Übersetzung arabischer Texte und Inschriften zur Kenntnis
islamischer Kunstgegenstände bei. Durch mühsame Entzifferung dieser
Inschriften erwarb er sich ein großes Verdienst.
Sein Hauptarbeitsgebiet war jedoch die abessinische Philologie, und
in dieser besonders die amharische Literatur und Sprachkunde; hier
hat er der Wissenschaft viel neues Material zugänglich gemacht und
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mustergültig bearbeitet. Er verstand es, seinen abessinisclien Lektor und
Mitarbeiter Aleka Taje zur Mitteilung von amharischen Erzählungen
und Texten zur Volkskunde zu bewegen. Er gab sie dann sorgfältig
heraus, übersetzte sie und versah sie mit sachhchen und sprachlichen
Erklärungen. Hier seien die Titel dieser Arbeiten angeführt, die für sich
selber sprechen ; es erübrigt sich, näher auf sie einzugehen : Proben aus
amharischem Volksmund (eine Sammlung von Sprichwörtern, Scherzen,
Rätseln, Wortspielen, Liedern, Erzählungen und Anekdoten, Fabeln);
Exzerpte aus dem Koran in amharischer Sprache ; Abessinische Kinder¬
spiele; Abessinische Erzählungen und Fabeln; Ein amharischer Text
über Muhammed und die Ausbreitung des Islams in Abessinien.
Ein eigenartiges Problem der äthiopischen Literaturgeschichte wurde
von Mittwoch sehr gefördert und endgültig gelöst. Es handelt sich um
zwei theologisch-ethisch-philosophische Schriften, die in äthiopischen
Handschriften enthalten waren. Ich gab sie 1904 als ,, Philosophi Abessini"
mit lateinischer Übersetzung heraus, bemerkte aber schon in der Ein¬
leitung, daß ,, diese Blumen nicht auf äthiopischem Boden hätten wachsen
können, wenn sie nicht mit fremdem Tau getränkt gewesen wären." Da
war es der berühmte itahenische Kenner der Geschichte, Literatur und
Sprachen Abessiniens, C. Conti Rossini, der entdeckte, daß diese
Schriften die Mystifikation eines Europäers waren, und zwar eines
itahenischen Paters, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. lange in
Abessinien lebte und sich eine gründhche Kenntnis des Äthiopischen und
des Amharischen erworben hatte ; er kleidete seine freigeistigen Gedanken
in ein ganz fremdes Gewand und erfand die Namen abessinischer Ver¬
fasser. Dieser Pater hatte aber auch die abessinische Übersetzung einer
französischen Missionsschrift (Soirees de Carthage) verfaßt. Mittwoch
gab diese Übersetzung heraus, übertrug sie ins Deutsche und erkannte
durch Untersuchung der Sprache, des Inhalts und der Schrift, daß ihr
Verfasser derselbe war, der jene Mystifikation sich vom Herzen schrieb.
Damit wurde die Entdeckung von Conti Rossini, die sehr große Wahr¬
scheinhchkeit für sich hatte, aber noch nicht endgültig bewiesen war, zur
Gewißheit erhoben.
In seiner Schrift „Die traditionelle Aussprache des Äthiopischen" gab
Mittwoch nach langen und eingehenden Besprechungen mit Aleka
Taje, der auch die heihge Literatursprache der abessinischen Christen
gut kannte, umfangreiche Ausführungen über die Art, in der diese
Sprache heute von den Gelehrten dort ausgesprochen wird. Zwar war
darüber schon mancherlei bekannt, aber nicht in dieser Vohständigkeit ;
diese Aussprache ist von Wichtigkeit für die sprachgeschichtliche Be¬
deutung des Äthiopischen. Mittwochs Schrift war das erste Heft einer
Sammlung „Abessinische Studien", die er herauszugeben begann; er
hatte noch vier andere Hefte in Vorbereitung, von denen leider nur das
zweite Heft „Die amharische Version der Soirees de Carthage. Mit einer.
Einleitung: Die angebhchen abessinischen Philosophen des 17. Jahr¬
hunderts" erschienen ist.
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Das Studium des Abessinischen führte zu dem verwandten Alt-
südarabischen, mit dem Mittwoch sich in den letzten Jahren seiner
Berhner Tätigkeit eingehender befaßte. Das Altsüdarabische ist uns be¬
kanntlich nur in Inschriften erhalten, deren Entzifferung, Übersetzung
und Erklärung mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Zusammen
mit dem verdienten Altmeister der ,, Sabäistik", J. H. Mordtmann, und
nach dessen Tode mit seinem eigenen Schüler H. Schlobies gab Mitt¬
woch eine Reihe von altsüdarabiscben Inschriften heraus und machte
sie so der Wissenschaft zugänglich.
Für das Neupersische kommt hauptsächlich seine Entzifferung der
zum Teil sehr flüchtigen Beischriften auf den Zeichnungen des großen
Malers Riza Abbasi, die F. Saere herausgab, in Betracht. In seiner
SteUung als Leiter der ,,NachrichtensteUe für den Orient", deren Zeit¬
schrift ,,Der Neue Orient" er zugleich herausgab, wandte er sich während
des ersten Weltkriegs den Fragen über die Türkei zu. So schrieb er
„Deutschland, die Türkei und der Heihge Krieg", ,,Die wirtschaftliehe
Bedeutung der Sprachenfrage in der Türkei" und ,,Aus des türkischen
Reiches Südmark". Mit der Südmark ist das damals noch türkische Land
Jemen gemeint, für das ihm Photographien seines dort ermordeten
Freundes H. Burchardt zur Verfügung standen; ihm setzte er später
ein pietätvolles Denkmal in dem Buche ,,Aus dem Jemen. Hermann
Burchardts letzte Reise durch Südarabien."
Es ist selbstverständhch, daß Mittwoch ein gründlicher Kenner des
Hebräischen war; so konnte er mehrfach hebräische Inschriften aus
dem Orient fachmännisch bearbeiten und Beiträge zur hebräischen
Sprachgeschichte veröffenthchen. Ebenso selbstverständhch war es, daß
er, der konjunkturpolitischem Renegatentum, wie er mir einmal schrieb,
ganz abhold war und daher mit ehrlicher Überzeugung sich selber treu
bheb, an der Geschichte seines Volkes lebhaften Anteil nahm. So zeichnete
er als einer der Herausgeber von ,, Moses Mendelssohn: Gesammelte
Schriften. Jubiläumsausgabe" und schrieb Begrüßungsartikel ,,Zur Er¬
öffnung der Universität in Jerusalem". Mit Recht konnte die GeseU¬
schaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums ihm als ,, Ihrem
verdienten Vorsitzenden, dem Erforscher orientalischer Kultur, dem ge¬
lehrten und überzeugten Vertreter jüdischer Lehre und jüdischen Wissens"
zu seinem 60. Geburtstage eine Festschrift widmen, in der auch eine
Bibliographie seiner Schriften enthalten ist.
Mit Eugen Mittwoch ist ein Gelehrter dahingegangen, der viel¬
seitige Fähigkeiten und Kenntnisse besaß, der aber auch für das Wohl
seiner Mitmenschen und, wo es möghch war, für das Wohl und das An¬
sehen Deutschlands eifrig wirkte.
Wilhelm Siegling (1880—1946)
Von Emil Sieg, Göttingen
Am 22. Januar 1946 verstarb nach kurzer Krankheit in Berhn der
wissenschafthche Beamte der Berhner Akademie der Wissenschaften, Prof.
Dr. phil. Wilhelm Siegling, der Mitbegründer der tocharischen Sprach¬
wissenschaften und zugleich der beste Kermer der verschiedenen Ab¬
arten der Brähmi-Schrift zentralasiatischer Prägung.
Der am 14. 1. 1880 in Erfurt Geborene absolvierte zunächst das Real¬
gymnasium seiner Vaterstadt, erwarb sich aber in privater Vorbereitung
durch Ablegung der Ergänzungsprüfung auch das Reifezeugnis des Kgl.
Gymnasiums in Eisleben. Seine Studien führten ihn auf die Universitäten
Halle (zwei Semester), Heidelberg, Leipzig, Greifswald (je ein Semester)
und schheßhch nach Berhn, wo er von 1901—1906 hauptsächhch Sanskrit,
Avestisch und Tibetisch tri ^b und i. J. 1906 auf Grund der Dissertation
„Die Rezensionen des Caranavyüha" zum Dr. phil. promoviert wurde.
Auf Anregung von Prof. Pischel wurde er bald darauf zusammen mit
mir, dem damahgen Privatdozenten, zur Sichtung des Handschriften-
Materials herangezogen, welches die Turfan-Expeditionen nach Berhn ge¬
bracht hatten; und diese Zusammenarbeit mit mir ist für sein ganzes
späteres Leben entscheidend und bleibend geworden. Die Bearbeitung
der damals noch im Museum für Völkerkunde aufbewahrten Händ¬
schriften brachte es mit sieh, daß Siegling 1907, zuerst als Eleve,
später als Hilfsarbeiter, an der Indischen Abteilung des Völkerkunde-
Museums sich auch mit den Reahen der indischen und verwandter
Kulturen vertraut machen konnte. Die erste Frucht der wissenschaft-
hchen Zusammenarbeit mit mir war die der Berliner Akademie der
Wissenschaften vorgelegte Studie ,, Tocharisch, die Sprache der Indo-
skythen", SBAW 1908, p. 915—934, d. h. die Schrift, welche die erste
Kunde über zwei Dialekte einer neuen, bisher ganz unbekannten indo¬
germanischen Kentumsprache gab, deren in einer Abart der Brähmi-
Schrift geschriebenen Reste die Preußischen Turfan-Expeditionen aus
buddhistischen Klöstern im Wüstensand Zentralasiens geborgen und
nach Deutschland überführt hatten.
Als i. J. 1912 die Preußische Akademie der Wissenschaften die in
Brähmi geschriebenen Turfan-Handschriften in ihre Obhut nahm, wurde
auch Siegling als wissenschafthcher Hilfsarbeiter für die Bearbeitung
der tocharischen Spraehreste von der Akademie übernommen ; seine dort
fortgesetzten Arbeiten erlitten jedoch eine fast vierjährige Unter¬
brechung durch die Teilnahme am ersten Weltkrieg, Frühjahr 1915 bis