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U e b e r d i e

Verrichtungen des Grosshirns.

Von

Prof. F r . G o i t z zu Strassburg i. E.

Unter Mitwirkung von Dr. E . Gergens.

Unter den vielen R~tthseln, welche die Lehre yon den Ver- richtungen des Grosshirns noch immer darbietet, ist wohl eines der merkwiirdigsten die Erfahrung, dass nach Verwundungen, die mit erheblichem Vertust an Hirnmasse verbunden waren, oft gleichwohl keine dauernden Stiirungen zuriickbleiben sollen. Um diese That- sache zu erkliiren, lehrte bekanntlich Flo u r e n s (1), dass die ganze Masse des Grosshirns in allen Theilen denselben Funktionen dient, und dass daher nach kusfall eines Theils dessert Funktionen sehr wohl yon denjenigen hbschnitten stellvertretend tibernommen werden kiinnen, welche unversehrt geblieben sind. Ja dieser Beobachter ging so weit zu behaupten, dass wenn man das Grosshirn bei einem Thiere bis auf einen kleinen Rest ausrotte, dieser Bruchtheil noch im Stande sei, Vollstiindig die Rolle auszuftillen, welche bis dahin dem ganzen Grosshirn zufiel. Nach F lo u r e n s sollte also jeder beliebige Theil des Grosshirns in seinen Funktionen ersetzbar sein durch jeden beliebigen anderen Theil desselben Organs. Neuere Forscher haben die Lehre yon F l o u r e n s Einschriinkungen unter- zogen oder sie ganz verworfen. C a r v i l l e und D u r e t (2) geben zwar zu, dass jeder Abschnitt einer Hiilfte des Grosshirns eintreten kiinne ftir jeden beliebigen Abschnitt d e r s e l b e n H~lfte, aber sie leugnen aus guten Grtinden, dass ein beliebiger Bezirk der einen Hirnhiilfte ersetzt werden kiinne durch den s y m m e t r i s c h e n oder n i c h t s y m m e t r i s c h e n der entgegengesetzten Hirnh~ilfte. S o l t - m a n n (3) wiederum vertritt genau den Gegensatz dieser hnsichten.

E. Pflfiger, h r c h i v f. Physiologie. Bd, XIII- 1

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2 F t . G o l t z :

Er h~ilt es fiir ganz unwahrscheinlich, dass ein Punkt der einen Hirnhiilfte vertreten werden k(inne durch einen anderen Punkt d e r s e l b e n Hitlfte, sondern verficht die Meinung, dass nach Sub- stanzverlust auf einer Seite nur der symmetrische Abschnitt der entgegengesetzten Seite Ersatz leisten k0nne. Und auch el" hat gute Grfinde far seine Meinung bereit. An einer Stelle seiner sonst gediegenen Arbeit spricht S o 1 t m a n n (3) S. 131 sogar den Gedanken aus, es kiinne vielleicht das Kleinhirn nach Ausrottung yon Theilen des Grosshirns dessen Funktionen (ibernehmen. Wiihrend die ge- nannten Forscher das Prinzip yon F 1 o u r e n s wenigstens theilweise aufrecht erhalten, steht Hi t z i g (4), (5)u. (6) auf einem vollst~in- dig abweichenden Standpunkt. H. schreibt den verschiedenen Theilen des Grosshirns r~umlich lest abgegrenzte Funktionen zu und hiilt es demgemiiss fiir unmiiglich, dass ein Theil des Gehirns nach seiner u etwa ersetzt werden kiinnte durch einen anderen hbschnitt, dem ganz andere Funktionen bereits zugewiesen sind.

In allen den Fiillen also, in welchen nach Substanzverlust des Gross- hirns eine vollstandige Herstellung erfolgt, sei anzunehmen, dass die betreffenden riiumlich umgrenzten Centren nicht vollstiindig, son- dern nur theilweise zerstiJrt seien. Der zurfickgebliebene Rest er- starke allm~hlich und k0nne dann dasselbe leisten wie d,~s unbeschii- digte Centrum. Nach H i t z i g wfirde demnach nur innerhalb ge- wisser kleiner Abschnitte yon gteichartiger Funktion eine Stellver- tretung der einzelnen Theilchen ffir einander mSglich sein. Selbst- verst~ndlich muss H i t z i g auch den Gedanken yon S o l t m a n n ver- werfen, dass, eine Hirnh~ilfte etwa eintrete f~ir die andere; denn beide Hiilften haben nach ihm ja ganz verschiedene Funktionen. Es ist H i t z i g schon yon H e r i n a n n (8) mit Recht vorgehalten worden, dass diese schnelle tlerstellung der Funktionen nach Verletzungen des Grosshirns sich trotz solcher Aushalfe mit H i t zig's theoretischen Ansichten nicht vereinigen lasse. H i t z i g ist in seiner Erwiderung nicht glficklich gewesen. Seine Bemerkung (6. S. 443), ,,die Phy- siologen mtissten sich nun einmal an die den Pathologen D.ngst be- kannten Erfahrungen fiber auffallig schnelle Restitution verloren ge- gangener centraler Funktionen gewShnen", kann wohl nut eine scherz- hafte Ausrede sein. Sollte sie ernst gemeint sein, ~ so kann ich meinerseits als Physiolog erwidern, dass ich reich an d i e s e T h a t s a c h e n i c h t e h e r g e w S h n e n w e r d e , als bis e i n e b r a u c h b a r e E r k l ~ r u n g ftlr d i e s e l b e g e w o n n e n w o r d e n ist.

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. 3 Es bedarf wohl kaum der Ausffihrung, dass die ohigen bisher bekannt gewordenen Versuche einer solchen Erkl~rung unbefriedi- gend sind. Das Ergebniss einer vorurtheilslosen W~irdigung aller Meinungen ist danach, dass eine wirklich haltbare Grundlage noch erst zu erstreben ist. Indem ich reich an diese Aufgabe machte, schien es mir vor Allem geboten, zun~chst die Thatsachen zu ver- vollst~ndigen und zuzuschauen, innerhalb welcher Grenzen die an- geblich vollst~ndige Herstr der Funktionen des Grosshirns nach Ausrottung desselben wirklich erfelgt. Dass dergleichen Versuche am besten an Thieren h~herer Gattung angestellt werden, darfiber ist wohl kein Zweifel, und deshalb hat man neuerdings mit Recht Hunde zu diesem Zweck vorgezogen. Nun ist es aber bisher in wenigen F~llen gelungen, Hunde, denen ein g r 5 s s e r e r A b s c h n i t t d e s G r o s s h i r n s entfernt war, dauernd am Leben zu erhalten.

F 1 o u r en s hat seine kfihne Hypothese fast nur durch Experimente an Tauben und anderen niedrig stehenden Thieren gestfitzt. Die wenigen Versuche an S~ugethieren, welche er mittheilt, sind sehr oberfl~chlich geschildert und yon nur geringem Werth. Einige vor- treffliche sehr mit Unrecht vcrnachl~ssigte Beobachtungen an Hun- den verdanken wir B o u i l l a u d (9). Auch er konnte aber nur ein einziges Thier l~ngere Zeit am Leben erhalten, dem er ein St(ick des Grosshirns auf beiden Seiten zerstSrt hatte. In neuester Zeit haben H i t z i g , C a r v i l l e und D u r e t , S o l t m a n n , S c h i f f , H e r - m a n n und Andere bei Hunden das Grosshirn verst(immelt, aber auch bei diesen Versuchen handelte es sich in der Regel nur um die Entfernung verh~ltnissm~ssig kleiner Stticke. Alle diese Beob- achter sahen, sofern die yon ihnen operirten Thiere langere Zeit am Leben blieben, Wiederherstellung der Funktionen.

Die Griinde, weshalb es so schwierig ist, einen Hund am Leben zu erhalten, dem ein grSsserer Abschnitt des Grosshirns zerst~rt wurde, sind bekannt genug. Die furchtbare Blutung oder die schnell eintretende Entziindung des Gehirns tSdten das Thier, bevor die Beobachtungen, auf die es wirklich ankommt, auch nur begonnen werden kSnnen. Ich durfte nur dann hoffen glficklicher als meine Vorgiinger zu sein, wenn ich neue Wege einschlug.

Methode.

Den Grundgedanken zu dem Versuchsverfahren, welches ich gew~hlt habe, verdanke ich der Erinnerung an meine Th~tigkeit als

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4 Fr. Goitz:

Prosektor zu KSnigsberg. Ich habe damals verschiedenemal die mit erstarrender Masse ausgef~llten hrterien des Gehirns freiprii- parirt. Um den Gefiissbaum bloss zu legen, benutzt man am ein- fachsten eine gewShnliche Spritzfiasche, mittelst deren man leicht die halbfaulen Massen des Gehirns lassptfit, ohne die Gefiisse selbst zu besch~idigen. Ich beschloss nun zu prtffen, ob es etwa gelingen mSchte, auch die lebende Gehirnmasse mit Schonung der gr(iberen Gefasse in iihnlicher Weise heraus zu spalen. Gleieh tier erste Ver- such fiel so gut aus, dass er reich zurFortsetzung ermuthigte, und sa ist diese ArSeit entstanden. Das Verfahren selbst hat in seinen Einzelheiten w~ihrend der sechs Monate, dass reich diese Unter- suchungen bisher besch~ftigten, maneherlei Ab~nderungen durchge- macht, die ich sogleich beschreiben will. Alle meine Versuche wurden an Hunden ausgefahrt, welche ich vor der Operation chlo- roformirt habe. Um den Schiidel bloss zu legen, machte ich meistens zuniichst einen Schnitt in der Mittellinie und liiste die Haut auf der einen Seite ab, so dass der Schlafenmuskel sichtbar wurde. Dann wurde je nach der Absicht, welche ich in dem speziellen Versuchs- fall verfalgte, dieses oder jenes Stiick des Muskels abgeliist, um die Knachenstelle frei za legen, an welcher die TrepanSffnung ange- bracht werden sallte. Je nach Bedtirfniss warden ein, zwei oder nach mehr Trepanliicher gelJohrt und dann nach Spaltung der harten Hirnhaut durch Kreuzschnitt zur Aussptilung der Hirnmasse ge- schritten. Als Fliissigkeit wiihlte ich durchweg gewiihnliches Brun- nenwasser, welches var seiner Anwendung ungef~hr auf Blutwi~rme gebracht war. Es ist tibrigens ohne Iqachtheil f(Ir den Ablauf der Operation, Wasser zu benutzen, welches bedeutend k~lter ist als das Blut. In vielen Fi~llen babe ich sogar absichtlich recht kaltes Wasser durch das Gehirn gesptilt, wenn es galt einer Blutung Herr zu werden. Die Triebkraft ftir den Wasserstrahl habe ich mir auf verschiedene Weise beschafft. Gegenw~trtig verwende ich regelm~issig eine kleine Druckpumpe, wie sie zu Einspritzungen in den Mast- darm tiblich ist. Im Beginn der Versuche benutzte ich ein Druck- gefiiss, das in gewisser HShe angebracht war. Eine ganze Reihe van Versuchen fiihrte ich auch mittelst einer gewiihnlichen gut gearbei- teten grassen Wundspritze aus. Die Druckpumpe ist jedenfalls var- zuziehen, wenn man die genfigende Zahl yon Assistenten zur Hand hat, denn sie gestattet viel schnellere Beendigung der Operation, well sie einen stetigen Wasserstrahl van beliebiger Dauer liefert.

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Uober die Verriohtungen deu Grosshirns.

Die Druckpumpe treibt das Wasser in einen Kautschukschlauch, welcher an seinem Ende mit einer passenden Kaniile versehen ist.

I c h habe mir eine Anzahl derselben yon verschiedener Krfimmung arbeiten lassen. Einige davon endigen statt mit einer einfachen Oeffnung mit einem Sieb, so dass das Wasser beim Pumpen wie aus der Brause einer Giesskanne in vielen dtinnen Strahlen hervordringt.

Sind die TrepanlScher fertig, und die harte Hirnhaut durchschnitten, so fasse ich die Kaniile, w~thrend ein Assistent die Pumpe in gleich- miissige Bewegung setzt. Sobald das Wasser in regelmiissigem Strahle hervordringt, bohre ich die Spitze der Kaniile oberfi~chlich in die graue Substanz des blossgelegten Gehirns ein. Der weitere Erfolg hitngt yon der Zahl der TrepanlScher ab, die man zuvor ge- bohrt hat. Ist nur ein Trepanloch da, so quillt das Gehirn dutch den Wasserdruck gehoben wie ein Pilz aus dem Loche hervor. Der Wasserstrahl gehSrig gewendet zerreisst die emporgequollene Masse in Fetzen, und diese werden durch fortw~hrende zweckm~ssige Dre -~

hung der Kaniile vollst~indig losgesptilt. In kurzer Zeit kann man so einen kraterfSrmigen kreisrund abgegrenzten Substanzverlust der oberfiiichtichsten Schicht des Grosshirns erzeugen, husgedehnter sind die ZerstSrungen, wenn man mehrere TrepanlScher angelegt hat und die Durchspiilung des Gehirns yon einem Loch zum an- deren vornimmt. Man erzeugt dann zwei kraterfSrmige Vertiefun- gen, die durch eine Art yon S~ollen mit einander verbunden sind.

Es leuchtet ein, dass man durch Benutzung yon vielen Trepan- 15chern und manichfaltige Drehung der in jedes Loch eingefiihrten Kaniile die ganze Oberfiiiche des Gehirns beliebig durchfurchcn und in Fetzen und Flocken heraussptilen kann. Natiirl~ch sind aber auch die Aussichten auf Erhaltung des Lebens um so ungiinstiger, je ausgedehnter die Verwtistungen des Gehirns waren. Selbst unter so ungtinstigen Verh~iltnissen verliefen einzelue Fiille iiberraschend gut. So lebte ein Hund, welchem am 14. Februar in einer Sitzung auf der linken Seite des Sch~tdels ftiuf TrepanlScher angebracht waren, welche s~mmtlich zur Einftihrung der Kantile verwerthet wurden, unter manchen Wechselfiillen bis zum 15. Marz. Bei die- sere Thier standen also alle fiinf Trepanl(icher durch weite Kan~le mit einander in Verbindung und bei weitem die Hauptmasse der grauen Substanz einer ganzen Hemisphiire wurde in einer Sitzung herausgesptilt und vernichtet. Man kann sich denken, dass auch dieses Verfahren keinesweges wenig blutig ist. Selbst bei hnwen-

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6 F r . G o l t z :

dung der Brause mit den vielen diinnen Oeffnungen kann man Zer- reissungen der d~inawandigen Venen nicht immer vermeiden und hat oft mit einer starken veniisen Blutung zu kiimpfen. Immer aber haben wir die Blutung durch einfache Mittel stillen kSnnen.

~Nicht ein eiuziges Thier ist uns unmittelbar in Folge des Blutver- lustes zu Grunde gegangen. Die Blutstillung wird in vielen F~llen sehr erleichtert durch eine Erscheinung, welehe denjenigen, der sie zuerst sieht, schwer beunruhigt, die aber bei dieser Operation ohne Bedeutung bleibt. Bei sehr vielen Thieren tritt ni~mlich w~hrend der Durchsptilang pl6tzlich Stillstand der Athmung und des Herz- schlages ein, also vSltiger $cheintod. Eingehende Studien zur Er- kli~rung dieses Zufalls habe ich nicht gemacht. Es ist wohl der Druck auf das verlangerte Mark, welcher die Erscheinung hervor- bringt. u wird das Herz durch Reizung des Ursprungs der Vagusnerven zum Stillstande gebracht. Der Stitlstand der Athmung erfolgt wahrscheinlich in der Einathmungsphase mit zu- sammengezogenem Zwerchfell. Da wit diesen Zufall sofort bei der ersten Operation kennen und aberwinden lernten, so hat er uns spi~ter, so oft er auch eintrat, hie Sorge gemacht, sondern wurde lediglich als regelm~ssiges Vorkommniss angemessen berticksichtigt.

Sobald der Stillstand der hthmung da ist, muss man auf Einleitung der ktinstliehen hthmung bedacht sein. Diese ftihrt ein Assistent einfach so aus, dass er rhythmisch das Zwerchfell des Thieres dutch zweekentspreehenden Druck auf den Bauch nach oben driingt und wieder losliisst. Inzwischen ftihrt d e r Operateur die eigentliche Operation schnell zu Ende, indem er die herausgedrangten Hirn- fetzen und di~e Blutreste rein fortsptilt. Um aueh die hTachblutung m6glichst zu verhiiten, babe ieh neuerdings folgendes Verfahren be- wiihrt gefunden. Ich lege den abgeliisten ttautlappen in normale Lage zur~ck, so dass die TrepanlScher vollst~ndig" bedeckt werden und richte auf die behaarte Seite des lest gegen den Sch~del ge- driickten tiautlappens einen andauernden Strom sehr kalten Wassers.

Die Blutung aus den Trepanl~ichern wird dadurch griindlich ge- hemmt u n d e s kommt auch zu keiner nachtr~iglichen Bildung eines Blutsackes. Welt unangenehmer als die Blutung aus dem Inneren der Sch~tdelhShle, die in vielen Fallen sehr gering ist, ist oft die Blutung aus dem Knochen selbst schon wi~hrend des Trepanirens.

Aueh diese kommt aber gerade w~hrend der Durchsp~ilung des Ge- hirns nieht selten ganz yon selbst mit zum Stillstande. Das wahrend

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Ueber die Verrichtungea des Grosshirns.

and unmittelbar nach der Trepanation mit Blut ttberschwemmte Operationsfeld wird dann bei tier Durchspfilung ganz blutfrei und sauber. Ist der Zweck der Operation erreicht, so sehliesse ich die Hantwunde bis auf ein kleines Sttick, das often gelassen wird, durch Knopfn~hte. Die kleine Lt~eke lasse ich often, damit eine etwaige bTachblutung Platz zum Abtr~iufeln hat. Schliesst man die Wunde vollst~ndig, so kann es zur Bildung eines Blutsacks kommen, der zwar an sich nicht gefahrlich ist, abet doeh eine langwierige Wund- behandlung zur Folge zu haben pflegt. Der Yorhin beschriebene Stillstand der Athmung dauert in manchen F~llen viele Minuten hindurch tbrt, so dass die Geh(ilfen, welche die kiinstliche Athmung besorgen~ wechselu m(issen. Von Zeit zu Zeit unterbricht man diese Arbeit um zu sehen~ ob das Thief etwa schon Yon selbst athmet.

Sobald man den ersten freiwilligen Athemzug bemerkt, kann man den Hund sich selbst iiberlassen. Er erholt sieh dann ziemlich schnell. So bedrohlich diese Asphyxie scheint, so ist sie doch nie- reals tSdtlich. Es ist uns kein einziges Thier in der Asphyxie ge- storben. Bei sehr jungen Hunden tritt dieser Zwischenfall viel seltener auf als bei erwachsenen. FOr den weiteren Verlauf scheint, wie schon angedeutet wurde, die Asphyxie eher vortheilhaft als nachtheilig zu sein. Die Stillung tier Blutung ist eine leichte und vollst~ndige. Es bleibt eine reine Wunde nach der Operation zuriick, die weir sehneller zu heilen pflegt, als dies bei Wuuden der Fall ist, welche mit grossen Klumpen geronnenen Bluts bedeckt bleiben.

Die StSrungen, welche das Thier darbietet, sobald es sich nach Be- endigung der Operation Yon der Betaubung erholt hat, werden der Gegenstand ausffihrlicher Betrachtungen werden. Hier will ich nur noch einige Worte fiber den allgemeinen Krankheitsverlauf der operirten Hunde hinzufiigen.

Die Wundbehandlung war eine einfache. DiG Wunden wurden t~glich dutch warmes Wasser gereinigt und dafiir gesorgt, dass das Sekret bequemen Abfiuss hatte. Trotz aller angewendeten Sorgfalt entzieht sich das Endergebniss jeder sicheren Vorausberech- hung. Eine grosse Zahl yon Thieren ist uns wie anderen Beob- achtern gestorben. Die haufigsie Todesursaehe war ausgebreitete Entziindung des Gehirns uffd seiner I-l~ute. Es ist mir bisher r~th- selhaft geblieben, yon welchen Umst~nden diese meist tSdtliche Er- krankung begiinstigt wird. Fast scheint es mir, als wenn allgemeine Witterungsver~nderungen dabei in Frage kommen. Es kam n~mlich

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8 F r . C - o l t z :

wiederholt vor, dass eine Anzahl yon verwundeten Thieren gleich- zeitig oder schnell nach einander erkrankte und starb. Einige Zeit nach einer solchen Aera des Missgeschickes folgte dann wieder eine Periode, in welcher alle Operirten ohne jeden Unfall glatt und rasch genasen, ohne dass sich inzwischen Jrgend welehe iiusseren Umstiinde in angebbarer Weise ge~indert h~itten.

Sehr wichtig ist die huswahl der fiir die Operation verwen- deten Thiere. Bejahrte Hunde sind zu diesen Versuchen ganz un- brauchbar, huch solche, die das S~uglingsalter kaum hinter sich haben, sind nicht zu empfehlen. Am gfinstigsten ist der Verlauf bei solchen, die bereits mindestens einige Monate air und noch in vollem Wachsthum begriffen sind, Gemeine Dorfhunde, die vor ihrem Eintritt in's Institut das Geftihl der S~ttigung noch nicht kennen gelernt hatten, erwiesen sich am widerstandsfiihigsten. Ein- zelne yon ihnen haben naeheinander fiinf versehiedene Operationen, deren jede mit Trepanation und Gehirnaussptilung verbunden war, tiberstanden. Zwischen je zwei Operationen lag jedesmal eine Frist yon einer oder mehreren Wochen. Die Wunden heilten in der Regel um so schneller, je 5fter alas Thier bereits operirt war. Zur Ftitterung der Hunde verwendeten wir rohes Pferdefieisch, Milch und Ktichenabf~lle, namentlich Knochen.

Naeh dem Vorangegangenen erhebe ich durchaus nicht den Anspruch, den Werth der von mir angegebenen Oper~tionsmethode tiberm~tssig zu preisen. Ich halte es durchaus fiir m6glich, dass man mit H~ilfe der ~lteren Verfahren, z. B. der AuslSfflung des Gehirns, ebenso weir kommen kann, wenn man Zeit und Gedald hat. JedenfMls ist abet, so welt meine Kenntniss der Literatur reicht, b i s h e r Niemand ira Stande gewesen, so ausgedehnte Zer- stiirung des Grosshirns bei Erhaltung des Lebens zu erzielen, wie ich. Es ist mir gelungen, darch eine Reihe in gewissen Zwischen- rgumen nach einander wiederholter Durchsp(ilungen die eine Hiilfte des Grosshirns so ttbel zuzurichten, dass an der ganzen dem Schi~- delduch anliegenden Oberfl~tche des geschrumpften Organs die Win- dungen verschwunden waren. Das Thier hat Wochen lang mit so versttimmeltem Hirn gelebt und zu zah]reichen Beobaehtungen gedient.

Indem ich reich jetzt zu der ausfiihrlichen Schilderung der Be- obachtungen wende, werde ich es vorziehen, die einzelnen Erschei- nungsreihen gruppenweise geordnet zu besprechen, da ich die roll-

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns.

st~indige Mittheilung der einzelnen Krankheitsgeschichten ftir zu ermtidend halte. Herr Dr. G e r g e n s hat mit mir die Mtihen der Behandlung und Beobachtung roll getheilt und die Krankheits- geschichten geftihrt. In der Mehrzahl der Operationen hat uns ausserdem Herr Dr. T i e g e l unterstiitzt. W~hrend der Operation waren also in der Regel vier Mann mit Einschluss des Instituts- dieners beschiiitigt. Die StSrungen, welehe ich regelm~ssig nach Versttimmelung einer Grosshirnhiilfte beobachtet habe, lassen sich in drei Gruppen vereinigen: 1) StSrungen der Empfindung, 2) St(irun- gen des Sehverm6gens, 3) StSruugen der Bewegungen.

Was den Grad der Versitimmelung anlangt, so wurde bei jeder Operation immer eine erhebliche husrottung yon Hirmnasse beabsichtigt und aueh fast immer erreicht. Um ein BeisPiel anzu- fiihren, so hatte der Substanzverlust, weleher durch Benutzung eines einzigen Trepanloches erzielt wurde, etwa einen Durchmesser yon 1,7 Centimeter. Verwerthet man zwei und mehr Trepanliicher zur Durehsptilung, so ist die Ausdehnung der wirklichen Zertrammerung gar nieht zu sch~ttzen, well man nicht angeben kann, wie viel graue Substanz durch die unterminirenden Sptilkaniile, die gleich Schuss- kan~len das Him durchziehen, ausser Funktion gesetzt ist. Wir werden sehen, dass der Grad der Stiirungen ix Allgemeinen gleichen Schritt h~ilt mit der Griisse des Substanzverlustes. Dagegen ist der Ort des Substanzverlustes, so weit bis jetzt m e i n e U n t e r - s u c h u n g e n g e d i e h e n s i n d , yon k e i n e m e n t s e h e i d e n d e n E i n f l u s s , d. h. der Charakter der St~irungen ist derselbe, ob nun das Trepanloch weiter nach vorn, z. B. am vorderen Rande der sogenannten erregbaren Zone von H i t z i g angebracht ist, oder ob dasselbe welt hinten im Bereich des Hinterlappens an- gelegt wird. In den nachfolgenden Mittheilungen darf ich deshalb eine ermiidend genaue Bezeiehnung des Ortes der Verletzungen in der Regel unterlassen.

St~rungen der Empfindung naeh Vevstiimmelung einer H~lfte des Grosshirns.

Der Leser wird vielleicht mit Verwunderung die Ueberschrift dieses hbschnitts betrachten. Es trifft sich nicht oft, dass in Sachen der Physiologie des Gehirns zwei Menschen einer Ansicht sind. In dem Punkte aber herrscht unter fast allen Schriftsiellern eine Mei- nung, dass die Hautempfindung durch Verstiimmelung des Gross-

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lO Fr. C-oltz:

hirns nicht gesch/idigt wird. Gleichwohl ist dieser Satz irrig. Jede irgend erhebliche Verstfimmelung des Gehirns hat immer eine merk- bare Abstumpfung der Empfindung in tier entgegengesetzten KSr- perh/ilfte zur Folge. He r m a n n (8. S. 82) allein hat in einem Falle diese Thatsache richtig angegeben. Sic ist am leichtesten festzustellen unmittelbar nachdem die Thiere aus dem Chloroform- rausche erwacht sind. Am auffiilligsten ist die Abstumpfung der Empfindung bei solchen Hunden, die einen sehr grossen Substanz- verlust erlitten haben. Man warte bei einem derartigen Thier ab, bis das Bewusstsein wiedergekehrt ist, was am besten daran erkannt wird, dass der HuM bei Anrufung seines Namens mit dem Schwanze wedelt. (Es sei die linke Halbkugel verletzt.) Man drticke dem Thier die linke Vorderpfote oder Hinterpfote. Sobald der Druck einen gewissen Grad erreicht bat, sucht das Thier die Pfote der Misshandlung zu entziehen und winselt oder heult, sobald ibm dies nicht gelingt. Unterwirft man hierauf die Pfote rechts derselben Gewalt, so wird die Pfote nicht fortgezogen, und das Thier giebt in keine.r Weise durch die Stimme Schmerzens~usserungen kund. In manchen F/~llen war die An~isthesie rechts so vollsti~ndig, dass man mit ganzem K6rpergewicht dem Thier auf die Pfote treten konnte, ohne eine Bewegung auszulSsen, w/ihrend jeder heftige Druck links sofort tibel aufgenommen wurde. Diese hochgradige Herabsetzung der Empfindung betrifft nicht blos die Haut der Gliedmassen, son- dern auch die des Rumpfes und des Gesichts. Ich habe einem solchen Thier die Haut der reehten Oberlippe mit der Klemm- pincette zusammengepresst und die zugeschobene Pincette Mngen lassen, ohne dass eine Bewegung erfolgt wii, re. Kneipen des Ohrs links bringt Winseln hervor. Rechts bleibt derselbe Versuch voll- st~indig negativ. Auch die Bindehaut des Auges schien rechts weniger empfindlich als links. Dagegen habe ich reich nicht davon iiberzeugen kSnnen, class etwa (lie beiden H~lften der Zunge ver- schieden empfindlich gewesen w~.ren. Kneipen der rechten H~lfte rief ebenfalls Schmerzens~tusserungen hervor.

Folgender Fall verdient noch mitgetheilt zu werden. Einem Hunde war eine Durchspiilung der linken Hemisphere zugefiigt worden. Er lag da, als ein kleines Htindchen, welches frei im Zimmer umherlief, mit ihm zu spielen unternahm. Der Verwundete liess sich yon diesem, ohne sich zu r~hren, ruhig die rechtsseitige Vorderpfote benagen. Sowie aber das Hfindehen seine Ziihne auch

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. 11 an der linken Vorderpfote des Kranken probiren wollte, erhielt es (lurch lautes Knurren eine heftige Abweisung.

Man fragt, wie es mSglich gewesen ist, dass so handgreifliche Beobachtungen der Mehrzahl der Forscher entgehen konnten. Die Antwort ist die, dass diese Anasthesie deshalb und mit Recht ver- nachl~issigt wurde, well sie ein sehr verg~ngliches Symptom ist.

Schon am Tage nach der Operation wird man selten Bewegungen vermissen, wenn man die Tags zuvor empfindungslosen Pfoten heftig kneipt. Durch st~rkeren Druck, durch Stechen mit Nadeln und dergl, kann man dann meist auch leicht yon jeder Hautstelle aus Schmerzens~usserungen hervorbringen. Auf diese Erfahrungen sich st~itzend hat man eben behauptet, d~ss die gewShnliche Haut- empfindung nach Verst~immelung des Grosshirns nicht gestSrt sei.

Diese Annahme ist eine abereilte. Wenn auch die An~sthesie bald nach der Verletzung schwindet, so bleibt doch eine Abstumpfu~g tier Empfindung zuriick, die allerdings mit den rohen Mitteln, die man zur Prafung der Empfindung anwandte, nicht erkannt werden konnte.

Nachdem/ieh reich zun~ehst persSnlich tiberzeugt hatte, dass selbst l~ngere Zeit nach der Verstiimmelung ein Druck auf die Zehen der rechten Pfote ausge~ibt viel schwieriger Schmerzens- ausserungen auslSste als links, so bem~hte ich reich, diesen Unter- schied zahlenm~tssig festzustellen. Zun~chst versuchte ieh mit Halfe des Schlitten-Inductoriums zu prafen, ob rechts ein geringerer Rollen- abstand n~thig sei als links, um das Thier dureh Reizung zum Auf- schreien zu bringen. Diese Versuche gaben zwar das erwartete Ergebniss, abet der Unterschied in den Zahlen des Rollenabstandes war nicht erheblich genug, um den sehr grossen Unterschied tier ttautempfindung auf beiden Seiten zu verdeutlichen. Ich ging daher zu einem anderen Verfahren a b e l das sich ausgezeichnet bew~hrt hat. Ich beschloss das Gewicht zu ermitteln, welches auf jeder Seite mindestens nothwendig ist, um durch seinen Druck auf die Zehen dem Thier den Ausdruck des Unbehagens oder Schmerzes zu entlocken. Da es nicht angeht, einem Hunde grSssere Gewichte direkt auf die Zehen zu setzen, so musste eine kleine Htfifsvorrich- tung angewendet werden. Diese besteht aus zwei dfinnen, aber doch hinreichend festen Latten, welche an dem einen Ende miteinander durch ein Scharnirgelenk verbunden sind, das man sich durch einen Lederstreifen herstellen kann. Legt man einen KSrpertheil, z. B.

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12 F t . G o l t z :

dic Hand, zwischen die Latten, so kann man leicht durch huflegen yon Gewichten auf die obere Latte denjenigen Druck ermitteln, welcher mindestens erforderlicb ist~ damit eine sehmerzhafte Em- pfindung zu St~nde kommt.

Nach den bekannten Gesetzen des Hebels wird man nicht bloss dutch Wechsel der GewichtsgrSssen selbst sondern ebenso durch Verschiebung des Gewichts anf der lastenden Latte den Druck be- liebig variiren k6m~en. Um nun diesen Apparat fiir einen H u M zu benutzen, muss man das Thief dahin bringen, sich gutwillig die Pfote zwischen die Latte iegen zu lassen. Die bequemste Stellung dazu ist die kauernde mit nach vorn ausgestreckten Vorderfiissen, wie sie Hunde so gem einnehmen, wenn sie beobachtend ruhen.

Ein so lagerndes Thier l~sst sieh die eine Pfote nach tier anderen leicht in den Apparat stecken. W~ihrend das Thief sich ruhig ver- hiilt und seine Aufmerksamkeit dutch einen Beobachter irgend wie besch~ftigt wird, legt ein anderer raseh Gewichte auf die obere Latte so lange, bis der HuM unter Ausdriicken des Unwillens oder Schmerzes seine Pfote der Quetsehung entzieht. Eine Weile da- rauf wird derselbe Yersuch mit der anderen Pfote angestellt. Da der Versuch keineswegs qu~lend ist, so getingt es nicht schwer, den Versuch mit alien Pfoten zu wiederholen.

Die Versuche mit dieser einfachen Vorrichtung liefern sehr t~berraschende Zahlen, wie einige Beispiele erliiutern mSgen:

Einem kr~ftigen jungen Hunde war zu vier verschiedenen Zei- ten immer eine Quantifftt Hirnmasse linker Seits ausgespiilt wor- den. Zuletzt war das Thier am 10. Februar operirt worden. Am 1. M~irz war bei oberfl~chlicher Betrachtung keine Spur einer Be- wegungsst6rung mehr an ihm wahrzunehmen Er lief und sprang wie ein gesunder Hund unter gleichmiissiger Benutzung aller vier G|iedmassen umber. Die Wunde des Kopfe~ war l~ngst vernarbt.

Driickte man ibm die Zehen der rechten oder die der linken Vorder- pfote mit den Fingern zusammen, so schien er auf beiden Seiten in vollstiindig gleicher Weise zu antworten. Dieser HuM wurde nun am 1. M~rz einem Versuch mit dem Empfindungsmesser unter- worfen. An der ti~)ken Vorderpfote ertrag er einen Druck yon 4000 Gramm, bevor er ungeduldig wurde. An der rechten Vorder- pfote dagegen musste man den Druck bis auf 1 0 0 0 0 G r a m m stei- g e m , um denselben Grad yon Unwillen zu erregen. Am linken

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns.

Hinterfuss wurden 4000 Gramm als Schwellenwerth der Schmerz- erregung, am rechten Hinterfuss 5000--6000 Gramm ermittelt.

An demselben Tage, d. i. am 1. Mi~rz wurde noch ein zweiter Hund demselben Versuch unterworfen, welcher am 25. Januar eine Versttimmelung des linken Grosshirns erlitten hatte (Durchspiilung durch zwei TrepanlScher) und der inzwischen gleichfalls genesen war. Dieses grSssere Thier ertrug links vorn eine Last yon 6000 Gramm, bevor es sich befreite. Rechts vorn gehSrten volle 16000 Gramm dazu, um ihm gleiche Aeusserungen des Unbehagens zu entlocken.

Ob dieser Unterschied in der Empfindung beider KSrperhalften sich allm~ihlich wieder vollstiindig ausgleichen wtirde, wenn man die Thiere viele Monate nach der Versttimmelung am Leben liesse, bleibe vorliiufig dahingestellt. Wenn ich aus anderen Thatsachen, die spiiter mitgetheilt werden sollen, vermuthen daft, so mSchte ich einen Zwefel aussprechen. Ich neige vielmehr zu der Ansicht, dass nach einem erheblichen Defekt der einen Grosshirnh~lfte die be- schriebene EmpfindungsstSrung hie ganz verschwinden diirfte.

Wenn man die Thiere Wochen und Monate lang nach Ver- sttimmelung des Grosshirns in ihrem ganzen Verhalten beobachtet, so fallen einem viele Unregelm~ssigkeiten auf, die sich zum Theil bequem erkl~iren lassen aus der nachgewiesenen Abstumpfung der Empfindung auf der geliihmten Seite. (Unter der geliihmten Seite verstehe ich die der Hirnverletzung gegentiberliegende.) Ein ge- sunder Hund, der an der Kette liegt, wird, ,sobald er sich mit einem Fusse in der Kette verwickelt, sich alsbald wieder zu befreien' suchen, oder wenn ihm das nicht gelingt, heulen oder winseln. Ein Thier dagegen, dem ein erhebliches St~ick der linken Grosshirn- hiilfte fehlt, wird 5fters mit einer Verschlingung der Kette um den rechten Fuss angetroffen, ohne dass es Unbehagen iiussert. In an- deren Fiillen l~sst d e r Hund die rechte Pfote in mSglichst unbe- quemer Weise auf einer Kante liegen, weir in's Freie hinausragen, wie er es niemals an der linken lange erdulden wtirde. Geht ein Hund mit einem erheblichen Substanzverlust der linken Halbkugel in seinem Kiifig umber, so t r i t t e r nicht selten mit den Pfoten der rechten Seite namentlich der Hinterpfote in seinen Wassernapf, ohne Anstoss daran zu nehmen. Mit der linken Pfote weiss er den Wassernapf beim Gehen sorgfi~ltig zu vermeiden. Auch manche andere Handlungen, die den Eindruck von Ungeschick and TSlpel-

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14 Fr. Goltz:

haftigkeit machen, erkliiren sich mindestens zum Theil aus der hb- stumpfung der Empfindung. Lockt man einen Hund, welcher yon seiner Hirnwunde vollst~indig seit Wochen genesen ist and in der Ebene ganz normal laufen kann, eine Treppe herauf oder herunter, so benimmt er sich dabei sehr ungesehickt. Sieht man n~iher za, so iiberzeugt man sieh, dass dies yon einer mangelhaften Benutzung der rechten Gliedmassen herriihrt, welche hiiufig fehltreten and yore Rande der Stafen abgleiten. Eine dem Wesen nach ~hnliche Erscheinung beobachtet man, wenn man das Thier auf einen frei- stehenden Tisch setzt. Der Hund tritt dann, am Rande entlang laufend, mit den Fiissen der rechten Seite in's Leere und stiirzt leicht vom Tische herab. H i t z i g (5. S. 422 and 440) hat diese Erscheinung zuerst gesehen and beschrieben, aber meiner Meinung nach nicht richtig erkl~rt. Ich leite diese StSrungen yon dem mangelhaften Empfindungsvermi~gen der rechten Gliedmassen ab.

Der Hand verfehlt die Stufe und merkt nicht zeitig genug, dass er in's Leere tritt, well er mit den betreffenden Pfotea nicht richtig zu tasten versteht. Und die mangelhafte Fiihigkeit zu tasten h~ingt innig zusammen mit der Abstumpfung der Empfindung.

S c h i f f (10) hat zuerst in darehaus zutreffender Weise darauf aufmerksam gemacht, dass der Tastsinn solcher Thiere auf der der Verletzung entgegengesetzten Seite gesch~tdigt ist. Reieht man dem Hunde einen oder wenige Tage naeh der Operation yon der rechten Seite einen guten Bissen, z. B. einen Knochen, so weiss er ihn nicht zu fassen, auch wenn man ibm den Knoehen lest gegen die Lippen dr~tckt. Er wittert den Knochen und bewegt den Kopf plan- los hin und her, aber ohne Erfolg. So wie man ihm aber densel- ben Knochen yon der linken Seite her nahert, schnappt e r mit Sicherheit danach. Dass dieser Vorgang iibrigens ausser dutch Sti~rung des Tastsinnes noch durch einen anderen Umstand, der S e h i f f entgangen ist, erkl~irt werden muss, soil im niichsten Ab- schnitt mitgetheilt werden. Hat der HuM endlich den Knochen richtig gefasst und zerkaut, so fallen ihm, wie S c h i f f ebenfalls richtig geschildert hat, nicht selten Stiicke davon aus der rechten Mandhi~lfte zwischen den Lefzen heraus, die er dana manehmal lange vergeblich sucht. Er verliert diese Brocken, well er eben reehts eine St6rung der Empfindung hat. S e h i f f spricht einer alten yon ibm aufgestellten Theorie zu Liebe iiberall nur yon StSrang der Tastempfindung and leugnet, dass eine StSrung auch der Schmerz-

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. 15 empfindung bestehe. Diese hnnahme ist aber, wie die oben ge- schilderten Versuche mit den Gewichten beweisen, unzweifelhaft hin- f~llig. Es ist eben die gesammte Hautempfindung in allen ihren Qualit~tten in der einen KSrperh~tlfte geschiidigt. Die Gruppe ion Erscheinungen, welche wir unter dem Begriff des Tastsinnes zusam- menfassen, wird tiberhaupt meiner Meinung nach gar nicht dutch eine ganz besondere Nerveneinrichtung vermittelt. Genau dieselben Nervenbahnen, welche die Tastempfindungen bei schwacher Erregung wachrufen, kiinnen andererseits Schmerzempfindungen erwecken, wenn sie heftig erregt werden. Wird das Grosshirn auf einer Seite ver- stiimmelt, so fiihrt die Erregung der Haut auf der entgegengesetzten Kiirperhi~lfte zu einer unvollkommeneren Tastempfindung und eine Steigerung der Tastreize bringt schwieriger eine Schmerzempfindung zu Stande. Dieser Satz wtirde ungefi~hr der richtige ~_usdruck ftir die beobachteten Thatsachen sein.

Ueber die St~rungen des Sehverm~gens nach Verstfimmelung des Grosshirns.

Im vorigen Abschnitt haben wir gesehen, dass bei Thieren mit erheblichem Substanzverlust der einen GrosshirnhiilRe die cen- tripetalen Erregungen, die ihnen yon der Haut der entgegengesetzten KSrperh~lfte zufliessen, nicht mehr die normale Empfindung aus- liisen. Wir werden nunmehr erfahren, dass auch andere Funktionen, welche eine centripetale Leitung voraussetzen, bei solchen GeschSpfen schwer beeintri~chtigt sind. Ich werde darthun, dass nach erheb- licher Verstiimmelung des Grosshirns auf einer Seite immer das Sehvermiigen auf dem huge der entgegengesetzten Seite eine merk- wiirdige Einbusse erfi~hrt.

F1 o u r e n s hat bekanntlich behauptet, dass Thiere, denen man das Grosshirn ausgerottet hat, volstiindig erblinden. L o n g e t hat zuerst diese Angabe widerlegt. Er meinte aber, dass solche Thiere ihre Gesichtseindriicke nicht mehr ftir zweckm~ssiges Handeln zu

~erwerthen wissen. Dass diese Ansi cht unhaltbar ist, habe ich (11) durch zahlreiche Versuche an FrSschen bewiesen, indem ich zeigte, dass diese Thiere nach Ausrottung des ganzen Grosshirns selbst unter erschwerenden Umstiinden mit grossem Geschick Hindernisse zu vermeiden im Stande sind.

Fast alle Schriftsteller leugnen, dass eine blosse Verstiimmelung des Grosshirns das SehvermSgen schadigen kiinne. S c h i f f (12. S.

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16 Fr. G o l t z :

337) erkl~irt ausdriicklich, dass selbst die Ausrottung einer ganzen Hiilfte des Grosshirns keinen Einfiuss habe auf das huge. Bei Hit zig (7 S. 548) aIlein finde ich die kurze Notiz, dass nach Verletzung des Hinterlappens das huge der entgegengesetzten Seite erblinde.

Wir werden sehen, dass diese Angabe nur einen kleinen Theil der Wahrheit enthiilt.

Wenn man einem Hunde einen erheblichen Theil der grauen Hirnrinde auf einer Seite heraussptilt, so wird das Thier in der ersten Zeit nach der Operation allerdings immer blind auf dem entgegen- gesetzten huge. Es kommt dabei aber nicht darauf an, ob die Ver- stiimmelung gerade den Hinterlappen betroffen hat. Die Erscheinun- gen sind eben dieselben, wenn die Verletzung ausschliesslich innerhalb der sogenannten motorischen Zone H i t z i g ' s gelegen ist. Wird das Thier nach der Operation sich selbst iiherlassen, so sieht man es beim Umherlaufen mit der rechten Seite des Kopfes gegen im Wege stehende ttindernisse anrennen. (Ich setze, wie immer voraus, dass die Verletznng an der linken tlirnh~tlfte vorgenommen wurde.) huf- merksam geworden auf diese Thatsache hielt ich dem Thiere ver- schiedene Gegenstiinde so vor den Kopf, dass die linke Netzhaut keinen Lichtstrahl derselben empfing, wahrend im rechten Auge ein vollstiindiges Bildchen entworfen werden musste. Das Thier gab durch keine Bewegung Kunde davon, dass es die betreffenden Gegen- st~tnde wahrnahm. Am Tage nach der Operation sind manche Hunde bereits bei vortrefflichem hppetit. Ich gebe einem solchen Thier yon vorn her ein Stack Fleiseh. Es wird begierig verzehrt, and das Thier lugt mit begehrlichen hugen nach mehr aus. Darauf fasse ich vor dem Thiere sitzend das Stack Fleisch mit der linken Hand und n~here es seinem rechten huge, w~hrend ich das Thier mit der rechten Hand besch~ftige. Der Hund schnuppert an meiner rechten Hand herum, nimmt aber das rothe Stack Pferdefieisch nicht wahr, welches ich ihm dicht vor das rechte huge halte. So wie ich aber mit der linken Hand fiber den Kopf des Hundes hin- weg das Fleischstiick in den Bereich des linken huges bringe, wendet er sofort den Kopf und schnappt die ersehnte Beute fort. Hunde haben bekanntlich eine grosse hbneigung gegen den hnblick gliinzen- der Gegensti~nde. Niihert man dem verwundeten Thier eine Glas- glocke yon der linken Seite her, so wendet es unwillig den Kopf ab. H~lt man ihm dieselbe Glasglocke vor das rechte Auge, so liisst sie es voUstiindig gleichgtiltig.

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Ueber die u des GrossMrns. i7 Nachdem wir diese und iihnliche Versuche einige Tage bei dem Thier mit Erfolg wiederholt batten, scbien es uns, als wenn der Hund das SehvermSgen auf dem rechten Auge wiedergewiinne.

Er lief niemals mehr gegen Hindernisse an, schien manehes, was sich nut auf seiner rechten Netzhaut abbildete, zu bemerken, ver- stand aber immer noch nicbt Fleisch zu finden, das ihm yon rechts her geniihert wurde.

Ich beschloss dis riithselhafte StSrung des Sehvermiigens, die hier offenbar vorlag, niiher zu priifen. Dazu war es nSthig, die Benutzung des gesunden huges auszuschalten. Verschiedene Be- mahungen das gesunde huge durch einen u zu bedecken, waren erfolglos, weil die Thiere immer bestrebt waren, sich den u abzureissen. Daher entschloss ich mich bei mehreren Hunden das linke gesunde huge auszurotten, um die Funktionen des kranken huges richtig zu schiitzen. Die Beobaehtungen, welehe ich an diesen Thieren anstellen konnte, sind ausserordentlich merk- wtirdig und haben mir viel zu denken gegeben. Ich halte es daher far angemessen, die beiden interessantesten F~tlle ausftihrlich mit- zutheilen.

I. Einer mittelgrossen sehr kri~ftigen Bulldogge wurden am 8. November 1875 an der linken Sch~tdelfliiche im Bereich des planum temporale zwei Trepanl~Jcher gebohrt und das Gehirn yon einem Loch zum andern durchsp(ilt. Von den Erseheinungen, die das Thier nach der Operation darbot, werde ich hier nur diejenigen erwiihnen, welehe zum Gesichtssinn Bezug haben. Bald nach der OPeration konnte das Thier selbststi~ndig laufen, stiess aber dabei 5fret mit der reehten Kopfhiilfte gegen M6belstaeke an.

Am 10. Nov. scheint der Hund vollstiindig blind auf dem rechten huge. Li~sst man mit Halle eines Spiegels den Reflex des hellen ttimmels auf das rechte Auge fallen, so r~lhrt er sich nicht. Thut man das gleiche auf der linken Seite, so wendet er den Kopf un- willig ab. Hiilt man ein brennendes Streichhiilzehen in unmittel- bare Niihe des rechten huges, so bleibt er gleiehgiltig. Links entzieht er sich diesem beleidigenden Anblick wie ein gesundes Thier.

Am 28. November ist das Thier i~usserst taunter und zum Spielen aufgelegt. Er versteht es mit grossem Geschick Fleischstiicke mit dem ge(iffneten Rachen aufzufangen, die ihm aus grosset Ent- fernung zugeworfen werden und wird ti~glieh in dieser Kunstfertigkeit geabt. Das Seh~ermSgen des rechten Auges hat sich zwar zum

E. Pflfiger, Archly f. Physiologie. Bd. XIII, 2

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18 Ft. Goltz:

Theil wiedergefunden, ist aber entschieden noch immer gest6rt. Er versteht es nicht Fleisch oder ein Trinkgef~iss zu finden, wenn diese Dinge ihm yon rechts her geniihert werden. Drohende Geberden vor seinem rechten Auge ausgefiihrt ersehrecken ihn nicht. Beim Herumlaufen stgsst er nicht mehr gegen Hindernisse an.

Es schien mir nach diesen und anderen Effahrungen, als wenn das Thier durch die Bilder der rechten Netzhaut nicht mehr zu l e i d e n s c h a f t l i c h e n Bewegungen gebracht werden k6nne. Um die Richtigkeit dieses Gedankens zu prtifen, liess ich folgenden Vet- such anstellen.

Es ist bekannt, dass Hunde sehr leicht in Schreck oder Wuth versetzt werden, wenn sich ihnen Menschen in einem fremdar~igen hufzuge niihern. Schornsteinfeger und slovakische Drahtbinder werden yon allen Strassenkiitern mit Vorliebe angefallen. Der eigene Herr wird yon seinem Hunde angebellt, wenn er plStzlich in einem ungewohnten hufzuge vor ihn tritt. Auf meine Anordnung bin steckte sich nun der Institutsdiener in eine abenteuerliche Ver- mummung yon m~glichst grellen Farbent6nen. Er halite sich in eine lange feuerrothe Decke, setzte vor das Gesicht eine abschreekend h~tssliche Larve mit langem schwarzem Barte und deekte sein Haupt mit einem alten Hute, d e r m i t bunten Tiichern umwickelt war. Es wurde nun so eingerichtet, dass der Vermummte ger~uschlos in's Zimmer trat, ohne von dem Thiere gesehen zu werden. W~hrend ich und meine Assistenten nns mit dem Hunde bescMftigten, trat er hinter uns. Auf ein Zeichen wichen wir zur Seite und die hS1- lische Gestalt wurde dem Hunde so plStzlich sichtbar. In einer eigenthtimlichen Mischung yon Wuth und Entsetzen sttirzte er sich mit gestriiubter M~hne sofort auf den Vermummten, dass die Kette, die er trug, fast zerrissen w~tre. Der Verabredung gem~iss zog sich der Diener sogleich in's Nebenzimmer zuriick. Das Thier beruhigte sich nut langsam nach dem Erlebniss. Dieser Vorversuch war am 8. December 1875 angestellt worden.

Am 11. December schiilte ich dem Hunde in tiefer Chloroform- narkose den linken Augapfel aus.

Nachdem inzwischen das Thier sich bereits erholt hatte und den besten Appetit zeigte, wurde am 14. December der Versuch vom 8. genau in derselben Form wiederholt.

Beim Anblick der phantastischen Gestalt stand der kauernde H u M nicht einmal auf, sondern starrte nur wie bl(idsinnig die Er-

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. ]9 scheinung an. Erst als auf meine Weisung der Vermummte pliitz- lich einige schnelle Schritte gegen den Hund hin bis in seine un- mittelbare Niihe trat, liess dieser ein leichtes Knurren hiiren.

An den folgenden Tagen wird wie fraher dem Hunde seine t~gliehe Fleischportion in Stiieken aus welter Entfernung zugeworfen.

Er folgt durch entsprechende Kopfbewegungen den Armbewegungen des Werfenden, sieht also augenscheinlich, aber er vermag die zu- geschleuderten Bissen nicht mehr mit dem fr~iheren Geschick auf- zufangen. Die Mehrzahl der St~cke fi~llt zu Boden.

Obwohl diese Uebungen tiiglich fortgesetzt werden, hat er am 6. Januar 1876 noch nicht die fr~ihere Sicherheit im huffangen wiedergewonnen.

Am 10. Januar wird der Hund einer neuen Operation unter- worfen. Weiter nach hinten wird abermals auf der linken Schiidel- fli~che ein neues Trepanloeh angelegt. Darauf wird eines der t~ber- h~iuteten ~lteren LScher aufgesucht und yon neuem geSffnet. Zwischen dem neuen und alten Trepanloch wird das Gehirn in ziemlieh be- triichtlicher Masse herausgespiilt.

Am Tage darauf, also am 11. Januar, verhiilt er sich gleich- giltig, als der Reflex eines Spiegels in sein Auge geschickt wird.

Die Wunde verheilt auffallend schnell. Schon am 14. ist er sower gekr~ftigt, dass er einen anderen Hund anknurrt, weleher sein Fressen theilen will.

Im Uebrigen verhielt er sieh naeh dieser Operation sehr theil- nahmlos, erhob sich selten yon seinem Lager, stierte wie blSdsinnig vor sich hin, blieb ausserst gefriissig und wurde jeden Tag fetter.

Am 29, Januar wurde abermals der Versuch mit tier Vermum- mung angestellt. Diesmal blieb er vollkommen ruhig liegen, a u c h als die Gestalt dicht an ihn herantrat.

Das Thier ist aber keineswegs blind. Frei in's Zimmer ge- lassen, biegt er mit roller Sicherheit allen Hindernissen aus, die ihm in den Weg gestellt werden. Wirft man ihm Fleischstticke zu, nachdem man ihn hat hungern lassen, so folgt er wie frtiher mit dem Kopfe den Armbewegungen, aber ist jetzt ganz ausser Stande auch nur ein einziges Mal ein Fleischstiick aufzufangen, obwohl er sich Miihe giebt.

~eine Theilnahmlosigkeit ist nicht etwa eine einfache Folge des grossen Hirndefects, sondern vielmehr durch die eigenthiimliche Stiirung des SehvermSgens bedingt. Well die Gesichtseindriicke in

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20 Fr. Goltz:

ihm keine Gemtithsbewegung mehr erwecken, so erlebt er wedig und versinkt in triiges Hinbrttten.

Sobald er ausnahmsweise durch ein noch unbesch~idigtes Sinnes- organ angeregt wird, bekommt das Thier seine alte Lebhaftigkeit fiir einige Zeit wieder. Es war zu anderen Zwecken fiir das In- stitut eine Ente gekauft worden. Als ihm dieses Thief hingehalten wurde, glotzte er sie ebenso stumpf an, wie jeden beliebigen anderen Gegenstand. S()bald aber die Ente absichtlich zu lautem Schreied gebracht wurde, sprang er in ~tusserster hufregung bellend empor und wollte sich ihrer bemiichtigen.

Noch am 4. Februar wird bemerkt, dass er Fleisch als solches nicht zu erkennen vermag. Er beleckt einen vorgehaltenen blutigen Finger und ttbersieht dabei ein grosses Stack Fleisch, welches man dicht vor seinem Auge herabh~ngen liisst.

Am 5. Februar wurde eine dritte ttirndurchsptilung, ~nd zwar diesmal rechts, vollzogen. Es folgte aber eine eitrige "2'~g~ningitis, der das Thier am 15. Februar erlag.

II. Einem jungen kriiftigen Dorfhudde wurde am 29. Novem- ber 1875 nach derselben Methode, wie dem so eben beschriebenen Hunde, ein Theil des linken Grosshirns ausgespiilt. In derselben Sitzung wird ihm ausserdem das linke Auge ausgeschiilt. Nach der Operation l~iuft er gegen Hindernisse an.

Schon am 1. December l~isst sieh feststellen, dass er Gesichts- wahrnehmungen hat. Er folgt den Bewegungen einer hoch tiber seinem Kopfe hin und her bewegten Hand mit seinem Kopfe, ver- meidet alle ihm in den Weg gestellten Hindernisse gut, vermag aber Fleischstiicke nur mtihsam zu finden.

Am 7. December wird folgender Versuch gemacht. Ein Stack Pferdefleisch wird an eider Schnur Yon oben in seined Kiifig herab- gelassen. Er wittert alsbald den Leckerbissen, sucht aber lange planlos umher, bevor er ihd findet. In einem zweiten Versuch wird ein Sttick Fleisch an der Wand des K~figs festgeklebt. Er streift beim Suchen mehrmals fast mit dem Auge daran vorttber und ent- deckt es erst split. Ein zweiter junger Hund in den Kiifig gelassen, schdappt unter gleichen Umstiinden im Nu das Fleisch weg.

Beim hnblick eines Vermummted verriitb er keine Furcht.

Am 10. Januar 1876 hat sich das Sehvermiigen bedeutend ge- bessert. Er wendet beim Anblick einer Glasglocke den Kopf weg.

Am 12. Jaduar wird ihm ein neuer Theil der linken Halbkugel

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Ueber die Yerrichtungen des Grosshirns. 21 des Grosshirns ausgespiilt, indem hinter den beiden ~ilteren noch ein drittes Trepanloch angelegt wird.

Am 13. Januar scheint das Sehvermiigen sehr gering. Der Anblick der Peitsche, vor welcher er sonst davon lief, fiSsst ibm keine Furcht ein. Sowie man aber mit der Peitsche knallt, ver- kriecht er sich ~ingstlich in einen Winkel.

Am 29. Januar hat sich das SehvermSgen wieder etwas ge- bessert. Er scheint lnit Interesse zuzusehen, wie der Diener an einer entfernten Stelle des Zimmers Fleisch schneidet.

An demselben Tage wird er einer dritten Operation unter- worfen. Es werden zwei neue TrepanlScher links niiher tier Basis angelegt und ein erheblicher Theil des Grosshirns ausgespiilt.

Am 31. Januar scbeint er vollstiindig blind. Personen scheint er nut dutch den Geruch Zu erkcnnen. Schleicht man sich geriiusch- los an den Kiifig, withrend ihn ein anderer beschiiftigt, so wird er des neuen AnkSmmlings spi~ter nicht gewahr, wenn sich die andere Person entfernt.

Am 2. Februar hat sich das SehvermSgen noeh nicht wieder eingestellt. Die Pupille, welche unmittelbar nach der Operation etwas erweitert und starr war, zieht sich heute ~usserst energisch zusammen, sowie das Thier mit dem Kopf in die Sonne gehalten wird. Der Hund selbst macht dabei keine abwehrende Bewegung, obwohl die Strahlen unmittelbar seine b~etzhaut empfindlieh reizen mfissen.

Am 10. Februar wird die vierte Operation mit ibm vorge- nommen. Da kein ausreichendes Feld zur Anlegung vollst~indig neuer TrepanlScher mehr links vorhanden ist, so werden in grosser Ausdehnung die Knochenbrticken zwischen alten und neuen LSchern weggebrochen. Die alten und neuen Liicken werden dazu benutzt, um die noch vorhandenen Reste der grauen Substanz wegzuspfilen.

Am 18. Fcbruar ergeben Proben, dass wieder etwas Sehver- mSgen vorhanden ist. Er vermeidet beim Gehen geschickt Hinder- nisse und folgt den Bewegungen yon Menschen, die ger~tuschlos im Zimmer bin und her gehen, mit dem Auge. An diesem Tage wird noch:folgender Versuch gemacht. Wenn man einen sehenden jungen Hund mit den Hanclen zum Fenster hinaus hMt, so striiubt sich das Thief mit grosser Kraft dagegen und begehrt in's Zimmer zuriick, weil der Anbliek der gi~hnenden Tiefe ibm Entsetzen einfiSsst. Unseren

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einiiugigen HuM kann man im ersten Stock beliebig zum Fenster hinaus halten, ohne dass er durch Str~tuben Angst verr~ith.

Eine andere bemerkenswerthe Reihe yon u wurde am 21. Februar mit ihm angestellt. Er wurde auf einen leeren Tisch gesetzt, der mitten im Zimmer sich befand, und durch Schmeichel- worte herabgelockt. Das Thief lief am Rande des Tisches entlang, hie und da mit der reehten P f o t e i n ' s Leere tretend, schien yon Zeit zu Zeit mit den] Blick die Tiefe zu messen, war aber nicht dazu zu bewegen, hinab zu springen. Es wurde jetzt ein Stuhl neben den Tisch gestellt, der hoch genug war, dass das Thier mit gr~isster Bequemlichkeit yore Tisch auf den Stuhl and yon da auf den Erdboden gelangen konnte. Aber er verstand es nicht das ibm dargebotene Htilfsmittel zu benutzen. Ein viel jtingerer unverstiim- melter H u M wurde zu ihm auf den Tisch gesetzt. Als darauf beide angerufen wurden, sprang der kleine HuM sofort auf den Stuhl und yon da auf den Bodel~, ohne dass der Ein~iugige ihm gefolgt wiire. Es wurden nun zwei andere Itunde zu ihm gesetzt, die eben- falls eine Durchspiilung der linken Hirnhiilfte erlitten hatten, abet beide Augen besassen. Auch diese sprangen angerufen sofort auf Stuhl und Boden, den Ein~ugigen allein zurttcklassend.

Ich liess nun eine grosse viereckige Platte auf vier K15tze stellen, um die HShe auszuprobiren, yon welcher alas Thief herab- springen wiirde. Wenn die Platte sich 32 Centimeter fiber dem Erdboden befand, so wagte er es ebensowenig herabzuspringen, wie yon dem hSheren Tische. Erst dann, als die Kl~itze so weit erniedrigt waren, dass die Platte nut noch 26 Centimeter fiber dem Fussboden stand, sprang er nach einigem ZSgern herunter. Ich glaube nicht, dass er die geringe Tiefe dew Erdbodens nun pl6tzlich richtig mit dem Auge scb~tzte, sondern vermuthe, dass er beim Herabneigen des Kopfes die N/ihe des Erdbodens witterte. Am Tage darauf wurden dieselben Versuche nochmals genau mit demselben Erfolge angestellt.

hToch ein anderer ahnlicher Versuch mag hier P]atz finden.

Der H u M wurde wieder auf den Tisch gesetzt, und ein zweiter Tisch daneben gestellt, dergestalt, dass der Zwischenraum von beiden Tischen mit Leichtigkeit yon jedem Hunde iibersprungen werden konnte. Es wurde nun dem hungernden Hunde ein Stack Fleisch vor die Nase gehalten und dieses dann auf den Rand des benaeh- batten Tisches gelegt. Er vermochte nicht den Zwischenraum tiber-

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. 23

springend sich des Fleisehes zu bem/ichtigen, w~thrend andere ver- stammelte Hunde, die beide Augen besassen, sofort hin iibersprangen und das Fleisch fortschnappten. Die beiden Tische mussten bis auf 25 Centimeter einander geni~hert werden, bevor es ihm gelang, ge- legentlieh einmal yon einem Tisch auf den andern hinttber zu treten.

Dies gltickte ihm aueh nur dann, wenn er zufiillig mit der linken Pfote voran trat. Er strauchelte dagegen leicht, so wie er mit der rechten V0rderpfote voran hintibertappte.

Der Leser k6nnte den Verdacht aussprechen, dass das Thier vielleicht aus psychischen Grtinden, aus Mangel an Muth oder aus Dummheit so unzweckm~ssig gehandelt habe. Ein solcher Verdacht wird abet durch das abrige Yerhalten des Thieres widerlegt.

Er war nichts weniger als durum oder feige. So hatte er sich bald gemerkt, dass er an jedem Vormittage aus seinem Beh~lter herausgeholt wurde, um sich der Reinigung der Wunde zu unter- werfen. Da ihm diese Hantirung unbequem wurde, so setzte er sp~ter jedesmal dem Versuch ihn herauszuholen gewaltsamen Wider- stand entgegen. Man musste ihn mit List zu fassen suchen, wenn man seine Bisse meiden wollte. Er befand sich mit mehreren Hun- den zusammen in einem grossen K/~fig. Wurde eine Schale mit Fleisch hineingestellt, so stiirzten sieh die anderen sofort darauf. Er selbst wurde erst aufmerksam, wenn er das Ger~usch des Fressens der anderen h~rte. Dann aber fand er schnell durch die Witterung die Schiissel und wusste sich seinen Antheil am Mahle zu sichern.

Waft man einen Knochen in den K~fig, so konnte man im Voraus wissen, dass der Ein~ugige ihn nach einiger Zeit in den Ziihnen haben warde, denn er verstand e s mit grSsster Frechheit Anderen ihre Beute zu rauben oder zu stehlen.

Liess man ihn im Zimmer herumlaufen, so g i n g e r Hinder- nissen geschickt aus dem Wege, w~hrend er, wie angegeben, Fleisch nicht sah, entfernte Personen nicht erkannte. Um strenge zu pr~fen, ob er den Gegenst~nden wirklich mit Benutzung des A u g e s aus- wich, stellte ieh am 28. Februar 1876 noch folgenden Ve~such an.

Es wurde ihm auf das einzige rechte Auge ein Bausch Wolle gelegt und eine Kautschukkappe derartig darttber festgebunden, dass kein Lichtstrahl in's Auge gelangen konnte. Um ihn daran zu hindern, dass er sich die Kappe abreisse, wurde ihm tier Kopf ausserdem in einen Maulkorb aus Draht gesteckt. Sich selbst tiberlassen, weigerte er sich trotz aller Lockrufe sich yon der Stelle zu bewegen. Erst

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24 Fr. G o l t z :

als der Wasserstrahl einer Spritze yon hinten her auf ihn gelenkt wurde, ergriff er die Flucht und ranntc dabei mit grosser Kraft gegen einen ihm in den Weg gestellten Stuhl an. Jetzt wurde das Auge wieder freJ gemaeht, der tIund genau auf dieselbe Stelle ge- stellt und ihm dieselbe Spritzenladung pl~tzlich yon hinten verab- reicht. In eiliger Flucht vermied er dieses Mal zahlreiche ihm in den Weg gestellte MSbel.

Am 4. M~rz wurde der Versuch gemacht, den letzten Rest der linken Halbkugel des Grosshirns noch mehr zu verkleinern.

Eine am Hinterkopf angelegte TrepanSffnung blutete sehr stark.

Es gelang diesmal nur elne verh~ltnissm~ssJg kleine Menge yon Hirn herauszusptllen. Abgesehen veto Wiedereintritt leiehter Be- wegungsst5rungen, die wir im nfi.chsten Abschnitt kennen lernen werden, traten keine neuen Erscheinungen auf. Das Thier starb am 8. M~rz an einer ausgebreiteten Meningitis.

Da dieser Hund w~hrend der langen Zeitdauer der Beobach- tung stark gewaehsen war, so zeigte der durch so viele Operationen abel zugerichtete Seh~del eine auff~illige Missgestaltung. Die Reste der dura mater links waren sehr verdickt. Die unverletzt geblie- bene rechte Hirnb~ilfte ftillte auf Kosten der verkiimmerten linken H~lfte die Sch~idelhShle iiber die Mittellinie bin aus. An der ganzen yon oben her sichtbaren Oberfl~che des sehr gesehrumpften Restes der linken Halbkugel des Grosshirns liessen sieh nirgends normale Windungen oder Furchen wahrnehmen. Es scheint, dass die vielen Durehsptilungen die ganze Sehicht der grauen Substanz an der Oberfl~che vernichtet hubert.

Wie sind die wunderbaren StSrungen des Sehvermtigens bei diesen Thieren zu erklEren? Es gilt, deutlich zu machen, wie es mSglich ist, dass ein Thief. welches Hindernisse mit grossem Ge- schicke umgeht, das also nicht b l i n d sein kann, gleichwohlFleisch nicht wahrnimmt, die Sch~tzung der Tiefe verloren hat und beim Anblick furchterregender Gegenst~nde nicht erschrickt.

Ich erinnere bier an eine hSchst interessante Beob~tehtung, die L u s s a n a und L e m o i g n e (13. I. S. 14) an einer Tanbe gemacht haben, und die ein genaues Seitenstfick zu meiner Beobachtung an Hunden darbietet. Diese Forscher haben einer Taube die linke tt~lfte des Grosshirns und das linke Auge ausgeschnitten. Das Thier verstand es vortrefflich bei seinen Bewegungen Hi~dernissen auszubiegen~

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. 25 sah abet vorgeworfenes Futter nicht und gerieth nicht in Furcht beim hnblick drohender Geberden.

L u s s a n a und L e m o i g n e erkliiren diesen merkwtirdigen Zu- stand folgendermassen : Sie sageR, das rechte noch vorh'andene huge steht in keinem Zusammenhange mit der noeh erhaltenen rechten HMfte des Grosshirns. Desshalb kSnnen bei dem versttimmelten Thier die Gesichtseindrticke nicht mehr zum Organ des Bewusst- seins gelangen. D~s Thier kann also keine Furcht mehr empfinden beim hnblick yon drohenden Geberden. Dagegen ist die Verbindung zwischen dem rechten huge und dem unversehrten Mittel- und Klein- hirn und was dahinter liegt, ungeschiidigt. Die Centralorgane fiir die Fortbewegung, welche hinter dem Grosshirn liegen, sind unver- letzt und werden durch die Eindriicke, welche sie vom unverletzten huge empfangen, richtig regulirt, so dass das Thier rein maschinen- m~tssig den Hindernissen aus dem Wege geht. Nach dieser Ansicht wiirde ein solches Thier also ohne Bewusstsein sehen. Es wiirde die Netzhautbilder zweckm~ssig verwerthen und doch keine bewusste Liehtempfindun~ haben.

Ich lasse es dahin gestellt, ob der Erkliirungsversuch yon L u s s a n a und L e m o i g n e fiir die Erfahrungen an Tauben geniigt.

Mir seheint er jedenfalls unzureichend, um die yon mir beschrie- benen Erscheinungen an den versttimmelten Hunden zu erkl~iren.

lch bin fiberzeugt, dass bei Hunden j e d e Halbkugel des grossen Hirns mit b e i d e n hugen in Verbindung steht, dass also yon dem rechten huge aus Erregungen auch der reehten H~lfte des Gross- hirns zufiiessen und in'sBewusstsein gelangen kSnnen. In der That haben die yon mir versttimmelten Thiere auf reich auch night den Eindruck gemacht, als wenn sie gar keine bewusste Gesichtsempfin- dung hiitten. Ich babe hierbe.i nattirlich die Periode im Sinn, welche Wochen lang nach der Ver]etzung anhebt. (Unmittelbar nach der Verstiimmelung sind viele Thiere zweifellos vollst~ndig blind auf dem entgegengesetzten Auge.) HStte z. B. der zuletzt beschriebene Hund, bei welehem die linke Halbkugel so gut wie ganz vernichtet war, gar keine bewusste Lichtempfindung gehabt, so wiire es nicht ver- stiindlich gewesen, warum er die Verschliessung des rechten huges mit der Kappe so iibel aufnahm.

Dutch meine Versuche an Fr~ischen (11. S. 65) habe ich bereits im Jahre 1868 dargethan, dass die F~ihigkeit bei der Fortbewegung des KSrpers mit Benutzung der Augen Hindernisse zu vermeiden,

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26 F t . G o l t z :

eine Funktion der Hirntheile ist, welche hinter dem grossen Gehirn liegen. Ich stimme daher durchaus der hnsicht yon L n s s a na und L e m o i g n e bei, dass die Thiere mit verstammeltem Grosshirn wesentlich maschinenm~issig ohne eine verwickelte Ueberlegung oder eine grosse Willensanstrengung nSthig zu haben, Hindernissen aus dem Wege gehen. Aber alas versttimmelte Organ des Bewusstseins erh~ilt immerhin yon dieser stillen Th~itigkeit der Vierhiigel u. s. w.

Kenntniss, wenn auch diese Kenntniss eine anomal ver~tnderte ist, wie das Organ, welches sie empf~ngt.

Es liegt in der Natur der Saehe, dass jede Vorstellung, die wit uns yon dem Empfinden eines hnderen machen, eine Hypo- these bleiben muss. So ist es also auch nut eine Hypothese, wenn ich es ausspreche, wie etwa die Gesichtsempfindungen beschaffen sein m6gen, die ein HuM auf dem re&ten Auge hat, naehdem ihm die linke His des Grosshirns liingere Zeit zuvor vernichtet wurde.

Ich stelle mirvor, das ein solches Thier einen ausserordent- lich geringen Farbensinn und auch einen sehr verschlechterten Orts- sinn der Netzhaut besitzt. Es sieht alles grau in grau, verwaschen, wie in :Nebel gehiitlt. Diese Annahme wiirde die ganze Reihe der Thatsachen him'eichend erkli~ren. Ein solcher HuM erkennt ein Stack Fleisch nicht mehr als solches, weil alas, was ibm vorhin als ein hellrother, scharf umgrenzter Gegenstand erschien, jetzt vielleicht eine mattgraue, verschwommene Masse darsteilt. Er erkennt eine Peitsche nicht mehr als Peitsche, eine Person nicht mehr als ein bestimmtes Individuum, weil die hnschauungsbilder, die er empfiingt, verwaschen und farblos sind, und nicht entfernt denen gleichen, welche er in der Erinnerung aufbewahrt hat. Dagegen nimmt er die Be- wegungen eines K~rpers, z. B. einer Hand ganz gut wahr, weil er sich der Wanderung des verwaschenen Ansehauungsbildes bewusst wird. Auch bleibt sein bewusstes Empfinden in Einklang mit dem maschinenmiissigen Handeln der niederen Centralorgane, wenn er beim Gehen Hindernisse vermeidet. Denn er unterscheidet die im Wege stehenden K~irper von ihrer Umgebung hinreichend durch die wech- selnde Lichtstarke an den Grenzen, wenn er auch die Einzelheiten in der Natur der K6rper selbst nicht wiedererkennt. So kiinnen wir ja auch in ziemlich dichtem Nebel, wenn wir langsam gehen, vorw~irts kommen ohne anzustossen. - - Diese Andeutungen mSgen gentigen.

Sollte sich eine Erkl~rung finden, welche die Thatsachen noch besser

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Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. 27 in Zusammenhang zu bringen vermiichte, so wiirde ich meine Hypo- these gem aufgeben~

Wir haben gesehen, dass die Thiere nach erheblicher Verstttm- melung immer zuerst blind sind auf dem entgegengesetzten huge, dass sich dann aIlm~tlig das SehvermSgen wieder einstellt, aber eigenthiimliche Stiirungen zeigt. Es fragt sich, ob sich diese Stii- rungen nicht vielleicht mit der Zeit noch mehr zur0ckbilden. Ueber diesen Punkt habe ich noch keine ganz zuverl~issigen Erfahrungen, und ich kann reich daher nut mit Vorsicht ausdriicken. Da ich spitter noch auf diese Sache zurttckkommen muss, so will ich hier nur kurz bemerken, dass meiner Ueberzeugung nach die StSrung des Sehvermiigens nach vollstandiger oder sehr erheblicher Ver- 9 nichtung der grauen Substanz einer Seite sich n ic h t ausglei-

chen wird.

Die Widersprtiche unter den frttheren Beobachtern haben dutch meine Darstellung eine hinreichende hufhellung erfahren. Wenn H i t z i g und auch F e r r i e r fanden, dass Thiere nach gewissen Verletzungen auf dem gekreuzten huge erblinden, so ist das nicht unrichtig, aber ihre Gegner hatten ebenfalls Recht, wenn sie diese Thatsache leugneten. Denn die Erblindung dauert nur kurze Zeit und dann kehrt das Sehvermiigen wieder. Die ganze Frage ist bisher so wenig gefSrdert worden, weil man nm" zwei Gegensiitze kannte: )~Blind oder sehend((. Ueberzeugte man sich, dass die Thiere sehen, so bekammerte man sich nicht weiter darum, wie sie sehen.

Es wiire natiirlich auch yore hiichsten Interesse, das Sehvermiigen yon Menschen eingehender zu pritfen, welche einen erheblichen Sub- stanzverlust des Gehirns erlitten haben.

Da nach einseitiger Verstiimmelung des Grosshirns sowohl die Empfindungsnerven der Haut, als auch die Sehnerven auf der ent- gegengesetzten Kiirperhiilfte eine StSrung ihrer Funktionen zeigen, so liegt die Vermuthung nahe, dass aueh andere hirnw~irtsleitende 1%rven, z. B. der Hiirnerv, Einbusse ihrer normalen Verrichtungen erfahren werden, doch stehen mir brauchbare Versuche zur Ent- scheidung dieser Frage nicht zur Verfilguug.

Ueber die Stlirungen tier Bewegung nach Verstiimmelung einer H~ilfte des Grosshirns.

Sofern eine Stiirung der Empfindung sich nur offenbaren kann dutch eine entsprechende 8t(irung der Bewegung, haben die friiherea

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