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Fortschreitende Digitalisierung bietet Chancen zur Internationalisierung innerhalb der Europäischen Union

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Fortschreitende Digitalisierung bietet Chancen zur Internationalisierung innerhalb der Europäischen Union

Dr. Gero Matouschek, Partner, Strategy&

Christian Lippke, Manager, Strategy&

Wolf Kindervater, Rechtsanwalt, PwC Legal

November 2021 Der vorliegende Artikel ist in Zusammenarbeit mit Google entstanden. Besonderer Dank geht

an Kirsten Mächtig, Retail Strategy and Operations Lead bei Google Germany.

Einleitung

Schon lange sind Unternehmen beim Absatz ihrer Dienstleistungen und Produkte nicht mehr nur auf ihren Heimatmarkt beschränkt. Der Trend, Wachstum durch Expansion in internationale Märkte zu generieren, ist alles andere als neu.

Allerdings wird es in der digitalen Ära mit stetig wachsender Zahl von Internetnutzern und einer wachsenden Zahl von Onlinekäufen über verschiedene Warengruppen und Dienst­

leistungen immer einfacher, neue Märkte mit einem verhältnismäßig geringen Risiko zu erschließen. Im EU­28 Raum hat sich das E­Commerce­Volumen seit 2015 nahezu verdoppelt und lag im Jahr 2020 bei 717 Mrd. EUR1. Hierbei führen das Vereinigte Königreich (80%), Dänemark (74%) und Deutschland (71%) die Statistik der Onlineshopper an2. Eine Internatio­

nalisierung innerhalb der Europäischen Union (EU) bietet sich insbesondere an, weil die Tätig­

keit in anderen Mitgliedstaaten über die Dienstleistungsfreiheit ohne große Hürden möglich ist und etwa die Bedingungen für den Vertrieb der Produkte durch die Mindestharmonisierung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) in der Regel vergleichbar sind. Gleichzeitig bietet die steigende Internetaffinität und -akzeptanz der Kunden sowie die durch Covid-19 beschleunigte Digitalisierung die Möglichkeit, sich in anderen Märkten mit effizienten Online­

direktabschlüssen frühzeitig zu positionieren, um Wachstumsziele erreichen zu können.

Eine erfolgreiche internationale Wachstumsstrategieentwicklung bei Versicherungen im EU­

Raum erfordert allerdings die Kombination von strategischem Verständnis mit detailliertem fachlichen Produktverständnis und regulatorischem Wissen.

Vorgehen

Strategische Eckpfeiler für Internationalisierung

Eine erfolgreiche internationale Wachstumsstrategie basiert typischerweise auf einem starken, erfolgreichen Geschäftsmodell im Heimatmarkt. Dabei sind Ansätze am vielversprechendsten, die auf eine Ansprache der bereits im Inland bestehenden Zielgruppensegmente mit vergleich­

baren Bedürfnissen abzielen. Versicherungen müssen dafür ein sogenanntes “right to win”

durch die Nutzung vorhandener Assets und Fähigkeiten für einen Wettbewerbsvorteil aufwei­

sen. Dies erfordert ein klares Verständnis darüber, auf welchen wichtigen Assets und Fähigkei­

ten des erfolgreichen Inlandsgeschäfts aufgebaut werden kann. Diese definieren das Spektrum der möglichen Aktivitäten im Ausland hinsichtlich Kundensegmenten, Produkten und Dienst­

leistungen sowie Kanälen.

1 https://ecommercenews.eu/ecommerce­in­europe/.

2 http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/submitViewTableAction.do.

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Der Ausgangspunkt für jegliche Internationalisierungsbemühungen ist eine umfassende Analyse der Auslandsmärkte, welche die Rahmenbedingungen und deren Attraktivität sowie die bestehenden Fähigkeiten bzw. Assets zusammenbringen. Das internationale Wachstum beruht auf der Entwicklung eines unternehmensindividuellen Entwicklungspfa­

des anhand der unternehmensspezifischen Stärken, wie z.B. hohe Verständlichkeit der Produkte, hohe Kundenzufriedenheit bei Serviceanfragen oder schnelle Abwicklung im Schadenfall. Dieser individuelle Entwicklungspfad wird im Laufe der Internationalisierungs­

fortschritte kontinuierlich weiterentwickelt.

Erfolgsfaktoren für Internationalisierung

Es existieren vielfältige Möglichkeiten zu expandieren: Neue Kundensegmente, neue Ver­

triebskanäle, neue Geschäftsfelder usw. Aus der Erfahrung ist eine Internationalisierung am erfolgreichsten, die sich auf die bestehenden Zielgruppen fokussiert und mit vergleichbaren Produkten in angrenzende Regionen expandiert. Die Nähe zum bereits bestehenden Kernge­

schäft ist wesentlicher Treiber des Erfolgs der Expansionsstrategie, da jede Anpassung am Geschäftsmodell neue bzw. angepasste Fähigkeiten erfordert. Bei Beachtung dieses Grund­

satzes kann die Erfolgswahrscheinlichkeit der Internationalisierung mehr als verdoppelt werden. Wer z.B. als digitaler Unfallversicherer im Heimatmarkt agiert, sollte auch die Interna­

tionalisierung im Ausland zunächst über den digitalen Vertrieb von KFZ­Policen beginnen und den Markteintritt nicht mit dem Vertrieb von Wohngebäudeversicherungen versuchen.

Auch Wiederholbarkeit schafft einen klaren Wettbewerbsvorteil. Bei der Replizierung von erfolgreichen Geschäftsmodellelementen im Wachstumsmarkt (z.B. Nutzung der gleichen Vertriebskanäle) kann eine Versicherung von einer Reihe von Vorteilen profitieren: Höhere Lernkurveneffekte durch Wiederholung, strategische Klarheit für Investoren und Mitarbeiter, Fähigkeit, ein immer tieferes Verständnis der Kunden zu gewinnen, reduzierte Komplexität durch Anwendung eines bekannten Musters, schnellere und zuverlässige Entscheidungsfin­

dung bei Investitionen und die Fähigkeit, mehrere Schritte im Voraus zu denken. Entspre­

chend der Erfolgsfaktoren sollte eine Internationalisierung mehrstufig angegangen werden.

Oftmals bieten Testmärkte oder kleinere Piloten Chancen, Dinge zu verproben und die Risiken bei großen Investitionsentscheidungen in neue Märkte zu reduzieren.

Auswahl der Märkte

In einem ersten Schritt sollte in einer Art Trichterlogik eine grobe Vorauswahl an möglichen Ländern getroffen werden. Oftmals ergeben sich aus Unternehmensvorgaben oder ­zielen Ausschlusskriterien, die für eine solche Vorauswahl genutzt werden können. Dies können beispielsweise Faktoren wie Fokus auf Nachbarländer, eine bestimmte Währung, Sprache oder ähnliches sein. Um sich als Unternehmen nicht zu übernehmen, sollte als Grundlage für die Internationalisierungsentscheidung ein Set von ca. fünf Ländern gewählt werden. Mit jedem zusätzlichen Markt steigt die Komplexität und der Analyseaufwand für die Internatio­

nalisierungsentscheidung.

Zur Festlegung konkreter Wachstumsmärkte hat sich eine ganzheitliche 360­Grad­Marktstu­

die von relevanten Märkten bewährt. Dabei wird die Bewertung der verschiedenen Marktein­

trittsoptionen anhand definierter Dimensionen festgelegt. Basierend auf einer solchen Markt­

studie können länderspezifische Rahmenbedingungen gegenübergestellt und verglichen werden. Hierbei empfiehlt es sich, sechs typische Dimensionen länderspezifisch zu betrachten:

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1. ökonomische Basisdaten,

2. Versicherungsmarkt und Wettbewerb,

3. Produktkompatibilität und Kundenpräferenzen,

4. regulatorische, rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen, 5. digitaler Vertrieb als Motor der Internationalisierung sowie 6. Wirtschaftlichkeit/Potenzial

In Abhängigkeit der Länderauswahl lassen sich grundsätzliche Internationalisierungsstrategi­

en diskutieren, die jeweils Vorteile, aber auch kritische Fragen mit sich bringen. Während es in einigen Märkten Sinn ergibt, einen umfassenden Markteintritt anzustreben, um eine breite Länder­ und Vertriebspartnerabdeckung zu erreichen, kann es in anderen Märkten sinnvoll sein, sich bewusst auf eine Nische zu konzentrieren, um selektiv oder sequenziell einen Markt über eine bestehende Marktlücke zu erschließen. In anderen Märkten wiederum kann es in Abhängigkeit von beispielsweise digitaler Reife Sinn machen, als Pionier oder später als Follower aufzutreten.

Bewertungsdimensionen der in Frage kommenden Märkte

1.

Ökonomische Basisdaten/Makroperspektive

Bei der Auswahl eines möglichen Wachstumsmarkts sollte sich ein Versicherer zuerst ein Gesamtbild verschaffen. Selbst in (West-)Europa weisen verschiedene Länder signifikante Unterschiede bei ökonomischen Rahmendaten auf. Nicht nur Bevölkerungsentwicklung und

­zusammensetzung, sondern auch Haushaltseinkommen, Kaufkraft, Erwerbstätigkeit, Inter­

netverbreitung und andere Faktoren beeinflussen die Größe und Attraktivität eines Marktes.

Daneben bestehen kulturelle Einflussfaktoren, die unbedingt bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden müssen. In Europa gibt es beispielsweise kulturell bedingte, länder­

spezifische Unterschiede für Risikoneigung.

2.

Versicherungsmarkt, Wettbewerb und Onlineaffinität

Neben ökonomischen Faktoren ist bei der Entscheidung für einen Markteintritt auch das bestehende Versicherungsumfeld im ausgewählten Land zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollten Versicherer die Wettbewerbsintensität in dem jeweiligen Markt evaluieren. Dabei ist ein differenziertes Vorgehen entlang verschiedener Dimensionen, z.B. (Sub­)Sparten, Vertriebswege und Kundensegmente zu empfehlen. Gerade in Abhängigkeit von der angestrebten Positionie­

rung sollte das direkte Wettbewerbsumfeld umfassend geprüft werden, um bei Eintritt auf eine klare Differenzierung abzuzielen und frühzeitig kompetitive Dynamiken zu verstehen. Auf Basis entsprechender Marktpenetration und Loyalität der Kunden muss ein passgenauer Markteintritt gewählt werden.

Neben der strategischen Evaluation des Wettbewerbsumfeldes kann auch eine Analyse der Suchdaten einer Suchmaschine wertvolle Einblicke in den Zielmarkt/Region geben und somit die Eintrittsstrategie und auch die Marktpriorisierung beeinflussen. Suchdaten können darüber hinaus Einblicke in den Status quo bzw. die Veränderung der Nachfrage über einen bestimm­

ten Zeitraum für ein Produkt und in die Wettbewerbssituation am Markt geben. Typischerweise werden bei einer solchen Analyse folgende Kriterien als erstes betrachtet:

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1. Marktgröße 2. Kostenstruktur 3. Wachstumspotenzial 4. Wettbewerbsdichte 5. Onlineaffinität

Zum Verständnis der nachfolgenden Analysegrafiken seien zunächst die wichtigsten Metriken erläutert

Größe des Kreises: Repräsentiert die absolute Größe (= Suchanfragen) des Marktes im ver­

gangenen Jahr. Diese Metrik ist hilfreich, da abgeleitet werden kann, wie sehr es bereits ein Interesse an einem bestimmten Produkt gibt oder wie hoch die Onlinenachfrage der Bevölke­

rung nach etablierten Produkten ist.

Wachstum in % (Jahresvergleich April 2020 bis April 2021): Diese Metrik zeigt, wie sich das Suchvolumen über das letzte Jahr verändert hat. Diese Metrik kann genutzt werden, um abzuschätzen, wie sich die Größe des Marktes entwickelt und wie viel Wachstum es in der Zukunft geben kann. Dies kann für die Gestaltung einer Markteintrittsstrategie von großer Bedeutung sein. Soll im ersten Schritt ein reifer, umkämpfter Markt betreten werden, in dem die Kunden das vertriebene Produkt bereits kennen und es ein signifikantes Suchvolumen gibt, oder liegt der Fokus zunächst auf einem kleineren Markt mit beispielsweise starken Wachstumschancen, in dem nach einem erfolgreichen Markteintritt die Chance auf eine Marktführerschaft besteht?

CPC (“cost per click” in €): Diese Metrik zeigt an, was ein Klick bei dem Einsatz von Suchma­

schinenwerbung durchschnittlich kostet. Aus dieser Metrik können einige Rückschlüsse für den betrachteten Markt gezogen werden. Beispielsweise kann sich hier ableiten lassen, wie stark der Wettbewerb wahrscheinlich ist. Meist gilt: Je höher die durchschnittlichen CPCs, desto mehr Wettbewerb herrscht bereits im Markt. Des Weiteren können sich manchmal auch Rückschlüsse auf die “Customer Journey” ziehen lassen. So können hohe CPCs bei geringem Suchvolumen/Wachstum darauf hinweisen, dass es sich um ein margenträchtiges Produkt handelt, das in der Regel online recherchiert, dann aber offline abgeschlossen wird?

Hinweis: Jeder Kreis in den folgenden Grafiken repräsentiert ein Land im europäischen Wäh­

rungsraum. Um diese lesbarer zu machen, sind nur die zehn größten Märkte (nach Suchvo­

lumen) für das jeweils betrachtete Produkt aufgeführt. In beiden Grafiken repräsentieren die Buchstaben dasselbe Land, d.h. Land A in Grafik 1 entspricht Land A in Grafik 2.

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Beispiel 1: Unfallversicherung (Beispielhafte Darstellung)

Interpretation

Es lässt sich feststellen, dass es zwei Märkte (A,B) gibt, in denen es ein besonders großes Suchvolumen nach dem Schlagwort “Unfallversicherung” gibt. In diesen beiden Märkten kann angenommen werden, dass einige (potentielle) Kunden sich im Internet über das Produkt informieren oder dieses bereits sogar eine Versicherung online abschließen.

Des Weiteren lässt sich erkennen, dass der durchschnittliche CPC in allen aufgeführten Ländern sehr niedrig ist, was auf einen derzeit noch geringen Wettbewerb im (Online­)Markt hindeuten kann. Einziger Ausreißer ist Land I – hier ist der CPC im Vergleich sehr hoch, bei gleichzeitig verhältnismäßig niedrigem Suchvolumen. Dies könnte darauf hindeuten, dass es sich um einen kleinen, reifen Markt in der EWR handelt, auf dem es bereits eine große On­

linekonkurrenz gibt. Zusätzlich kann festgestellt werden, dass in acht Märkten im Laufe des Zeitfensters zwischen April 2020 und April 2021 das Interesse an dem Produkt “Unfallversi­

cherung” deutlich gestiegen ist (Wachstum >5%).

Beispiel 2: Tierkrankenversicherung (Beispielhafte Darstellung)

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Interpretation

Im Vergleich zum Produkt “Unfallversicherung” zeigt sich bei der Analyse der Suchdaten und deren Entwicklungen für das Produkt “Tierkrankenversicherung” ein anderes Bild. Es fällt auf, dass hier Markt B im Verhältnis der größte Markt gemäß Suchvolumen für das Produkt ist, wohingegen sich der Rest des Suchvolumens homogener auf die weiteren Länder verteilt, als dies bei dem Produkt “Unfallversicherung” der Fall ist.

Es lässt sich ebenfalls erkennen, dass der durchschnittliche CPC (s.o. für Erklärung) sich in einem ähnlichen Spektrum bewegt, wie dies auch bereits bei dem Produkt Unfallversicherung der Fall ist. Dies könnte bedeuten, dass der Markt ähnlich onlineaffin ist, wie der Markt für Unfallversicherungen. Allerdings gibt es einen Ausreißer – nämlich Land B. Da dieses auch das verhältnismäßig größte Suchvolumen aufweist, kann angenommen werden, dass hier der Onlinemarkt bereits von einigen Anbietern bespielt wird. Beachtlich in dieser Darstellung sind vor allem auch die auf der y­Achse aufgeführten Wachstumsraten der Märkte. Es ist deutlich erkennbar, dass das Wachstum (April 2020 ­ April 2021) für Suchanfragen in diesen Märkten stärker ist als bei dem Produkt Unfallversicherungen – Land O verzeichnete ein Wachstum von ca. 55%. Die Gründe für ein solches Wachstum können verschiedener Natur sein. Diese reichen von Marketingaktivitäten über Saisonalitäten bis hin zu Krisen (bspw. Covid-19-Pande­

mie) sowie allgemeinen Trends und bedürfen im zweiten Schritt einer tiefergehenden Analyse.

Die Analysemethoden, um einen Markt und den Wettbewerb besser zu verstehen, sind extrem vielfältig und sollten immer auf die individuellen Fragestellungen des Unternehmens zuge­

schnitten werden. Da die Verfügbarkeit solcher Analysen nicht immer gegeben ist, können öffentlich zugängliche Plattformen, wie etwa “Google Trends” von großem Nutzen sein. Diese ermöglichen zahlreiche Analysen, die eine Charakterisierung des Onlinemarktes erlauben (z.B.: Nach welchen Stichwörtern wird in der Kategorie “Haftpflichtversicherung” in Land X gesucht?) und sind eine gute Grundlage für die weitere strategische Planung.

3.

Produktkompatibilität und Kundenpräferenzen

Um einen erfolgreichen Markteintritt im Ausland zu planen, darf bei der Auswahl und Planung geeigneter Märkte nicht ausschließlich die Marktsicht eingenommen werden. Neben einer Analyse der makroökonomischen Daten, einer Analyse des Wettbewerbsumfeldes, der recht­

lichen Rahmenbedingungen und der Produktkompatibilität ist es essentiell, den potentiellen Zielkunden mit seinen Anforderungen an das Produkt, sein Kaufverhalten (auch oft: “path to purchase”) und seine Präferenzen möglichst gut zu entschlüsseln. Diese Analyse kann dazu führen, dass sich die Priorisierung der internationalen Märkte ändert, da manche Anforderun­

gen oder Besonderheiten eines Zielmarktes nicht so einfach umgesetzt werden können.

Produkt: Beispielsweise kann eine Detailanalyse ergeben, dass ein bestimmtes Produkt, das im Zielland besonders nachgefragt wird, noch gar nicht im Produktportfolio existiert. Auf dem französischen Markt werden etwa bestimmte Produktmodule im Rahmen der Hausratversi­

cherung (“assurance multirisques habitation”) angeboten, wie man es vom deutschen Versi­

cherungsmarkt her noch nicht kennt.

Ein weiteres Beispiel für Unterschiede aufgrund kultureller Risikoneigungen stammt aus dem Bereich der Haftpflichtversicherung: In Österreich wird diese typischerweise als Kombipro­

dukt mit einer Hausratversicherung gebündelt, wohingegen der Markt für Haftpflichtpro­

dukte in Spanien deutlich weniger ausgeprägt ist. Darüber hinaus sind von regulatorischer und aktuarieller Seite auch Anpassungsbedarfe zu adressieren, um letztlich kompetitive und attraktive Produkte anzubieten. Diese Faktoren sind bei der Entscheidung zur Festlegung des

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Kaufverhalten: Der Weg zu einer Kaufentscheidung wird immer komplexer. Somit wird es immer schwieriger zu verstehen, welche Kontaktpunkte es gibt und wie diese die Kaufent­

scheidung des Konsumenten genau beeinflussen. Allerdings ist es gerade im Kontext einer Internationalisierungsstrategie wichtig zu verstehen, wie sich der “path to purchase” bei einem Kunden in einem Zielmarkt gestaltet. Denn auch hieraus kann abgeleitet werden, mit welchem Ansatz der Markt betreten werden sollte und welche Herausforderungen entstehen können.

Im Fall von Versicherungsprodukten, muss beispielsweise betrachtet werden, wie sich ein potentieller Käufer einer Versicherungspolice vom Gedanken an das Produkt bis zum Abschluss verhält und welche Berührungspunkte es auf diesem Weg gibt. Des Weiteren gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen Märkten in punkto der Bereitschaft, eine Versicherung online abzuschließen.

Die folgende Grafik zeigt einen Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich:

Hier zeigt sich, dass der die grundsätzliche Bereitschaft für einen kompletten Onlineabschluss in Deutschland höher ist als in Frankreich. Des Weiteren zeigt sich, dass sich die Kfz­Versiche­

rung in beiden Märkten als Onlinevertriebsprodukt eignet. Einen deutlichen Unterschied sieht man bei dem Abschluss eines Vertrags im Bereich Gebäudeversicherung – hier scheint es in Frankreich eine hohe Bereitschaft für einen Onlineabschluss zu geben, wohingegen dies in Deutschland deutlich anders ist. Allerdings müssen auch diese Erkenntnisse wieder im Kontext betrachtet werden: Aufgrund kultureller (Risiko­)Neigungen werden bestimmte Versicherungs­

produkte in bestimmten Märkten bevorzugt gekauft. Auch hier kann eine Erweiterung der Analyse durch Suchdaten zusätzliche wertvolle Einblicke in die Konsumpräferenzen gewähren.

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4.

Regulatorische/rechtliche und steuerliche Fragestellungen3

Ferner sind die in Frage kommenden Märkte auch im Hinblick auf die Regulatorik und

sonstigen rechtlichen Anforderungen zu untersuchen. Dabei sind insbesondere drei rechtliche Themenblöcke relevant.

a) Niederlassungs-/Dienstleistungsfreiheit

Soweit es die Frage betrifft, ob das betreffende Versicherungsunternehmen überhaupt Versicherungsgeschäft im Zielland zeichnen darf, kann im EU­Raum die Niederlassungs­

bzw. Dienstleistungsfreiheit genutzt werden. Für eine aufwandsarme Internationalisierung durch Onlinegeschäft kommt in erster Linie die Dienstleistungsfreiheit in Betracht. Im Rahmen des europäischen Passporting-Systems ist lediglich eine Notifikation der Sitzlandsbehörde, d.h. in Deutschland durch die Bafin, erforderlich. Diese benachrichtigt daraufhin die Behörde im jeweiligen Zielland. Der Aufwand für die Etablierung einer Niederlassung erscheint in der Regel erst dann ratsam, wenn das Geschäft eine Infrastruktur bzw. Personal im Zielland erfordert oder der Umfang bzw. der Ausbau des Geschäfts dies erforderlich macht.

b) Regulatorische Vorgaben für den Vertrieb

Eingehend zu prüfen sind die regulatorischen Vorgaben für den Vertrieb. Zwar wurde durch die Versicherungsvermittlerrichtlinie (“IMD”) und die Versicherungsvertriebsrichtlinie (“IDD”) eine Minimalharmonisierung in diesem Bereich erreicht. Allerdings hindert dies die einzelnen Staaten nicht daran, schärfere Bestimmungen zu erlassen. In Frankreich existiert – im Gegensatz zu Deutschland – etwa keine Möglichkeit eines Beratungsverzichts im Onlinegeschäft, d.h. es muss auch dort grundsätzlich beraten werden.

Im Übrigen sind insbesondere beim Onlinegeschäft auch noch weitere rechtliche Rahmen be­

dingungen zu beachten. So ist etwa in Österreich eine separate Einwilligung für die Nutzung der elektronischen Kommunikation einzuholen.

c) Anpassung der Bedingungen an lokales Recht

Schließlich sind die vertraglichen Bestimmungen eines Produkts nach der sog. ROM I – Verordnung auf die Gegebenheiten des lokalen Versicherungsvertragsrechts des Ziellandes anzupassen bzw. muss das lokale Recht beim Design eines neuen Produkts und dem Abfassen der AVB berücksichtigt werden. Hierbei ist es im Regelfall nicht ausreichend, die in den AVB genannten Paragrafen auszuwechseln, sondern es bedarf einer tiefergehenden Analyse, weil einige Sachverhalte in den anderen Staaten ggf. gänzlich anders als in Deutschland ausgestaltet sind.

5.

Der (digitale) Vertrieb

Nach eingehender Analyse zur Identifikation geeigneter Märkte ist der nächste Schritt die Planung einer Vertriebsstrategie für das Zielland. Zum einen sind hier die lokalen regulatorischen Anforderungen sowie die lokalen Kundenpräferenzen and Anforderungen an den Kaufprozess zu berücksichtigen (Stichwort „purchase journey“ – siehe 3.)

Auf Basis dieser Daten kann dann eine Misch- (online + offline) oder eine reine Onlinevertriebs- strategie definiert werden. Gerade wenn es sich um einen kompletten Neueintritt (ohne bisherige (physische) Präsenz im Markt) geht, bietet sich die Wahl einer Onlinestrategie an, da diese mit verhältnismäßig geringem Aufwand getestet bzw. implementiert werden kann. Basierend auf diesen ersten Erfahrungen können dann weitere Schritte geplant und umgesetzt werden.

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Grundsätzlich sind für die Erstellung einer Onlineeintrittsstrategie im Zielland zwei weitere Planungsschritte zu durchlaufen:

1. Design der operativen Prozesse

In diesem Schritt werden spezifische Aspekte der Kundenanforderungen erneut betrachtet und folgende Themengebiete als Teil der Strategie festgelegt:

– die Lokalisierung (Was sind die lokalen Anforderungen an Onlinewerbung) und wer übersetzt für mich Anzeigen, Website, App? Welche kulturellen Unterschiede in der Ansprache der Kunden muss ich berücksichtigen? In welchen Sprachen muss meine Website verfügbar sein?),

– das Kundenerlebnis (Welcher Kundensupport muss an welchem Punkt des Kaufprozesses verfügbar sein? Welche Anforderungen hat der lokale Kunde an meine Website oder den Onlinekaufprozess?),

– die Bezahlmethoden (Welche Zahlungsanbieter/Bezahlmethoden werden von Kunden im Zielmarkt typischerweise verlangt?)

2. Definition einer internationalen online Marketingstrategie

Auch in diesem letzten Schritt zur Finalisierung der Planung des internationalen Markteintritts gibt es keinen allgemeinen Ansatz, der für alle Unternehmen gleichermaßen funktioniert.

Es müssen alle in den vorherigen Schritten gesammelten Erkenntnisse betrachtet und in Einklang mit der Unternehmensstrategie bzw. Gesamtmarketingstrategie gebracht werden.

Basierend auf der Gesamtstrategie muss zunächst über die Grundstrategie für den neuen Markt entschieden werden. So kann beispielsweise ein Ansatz sein, vermehrte Aktivitäten im Bereich des Brandings zu planen, um eine neue Marke im Markt zu platzieren. Der Übergang zu einem eher performancegetriebenen Fokus erfolgt dann zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Marke bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht und sich eine Nachfrage eingestellt hat.

Eine anderer Ansatz ist es, das vorhandene Suchvolumen nach einem Versicherungsprodukt zu nutzen (so genannte generische Suchanfragen) und von Anfang an auf eine Performance­

strategie zu setzen und mittels Suchanzeigen das eigene Produkt zu platzieren. Auch die Zusammenarbeit mit im Zielmarkt etablierten Vergleichsportalen kann ein Teil der Strategie sein. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist, dass schnell Verkaufserfolge realisiert werden können.

Nachteil dieses Vorgehens ist, dass der Versicherer die Kontrolle über die Kundenansprache verliert und die Marke sowie das eigene Unternehmensprofil unschärfer werden. Dies kann zur Folge haben, dass Kunden zusehends illoyaler werden und die Versicherungsprodukte als schnell austauschbare Waren angesehen werden. Weitere Nachteile sind der Verlust von

„Data Ownership“ über die gesammelten Daten sowie der direkte Kontakt zum Kunden.

Alle genannten Faktoren machen eine Optimierung des Ansatzes zur Wachstumsgenerierung deutlich schwieriger, da sich eine Abhängigkeit der Kollaboration mit dem jeweiligen Vergleichs­

portal entwickelt.

Wichtig in diesem Schritt ist, alle für den Entscheidungsprozess relevanten Stakeholder zusammenzubringen, damit am Ende realistische Ziele und umsetzbare Maßnahmen vereinbart werden. Sobald das Stadium der Umsetzung erreicht ist, ist ein regelmäßiges Reporting des Fortschritts wichtig. Dies hilft eventuelle Abweichungen schnell zu identifizieren und gibt den Stakeholdern regelmäßige Einblicke in den Fortschritt.

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Kontakte

Dr. Gero Matouschek Partner, PwC Strategy&

+49-151-67326-502 gero.matouschek@pwc.com

Christian Lippke

Manager, PwC Strategy&

+41-79-155-1258 christian.lippke@pwc.ch

Wolf Kindervater

Rechtsanwalt, PwC Legal +49-151-54004-982 wolf.kindervater@pwc.com

6.

Wirtschaftlichkeit und Potenzial

Die Entscheidung für internationales Wachstum muss grundsätzlich ökonomisch Sinn machen und auf betriebswirtschaftliche Ziele in Verbindung zur Vision einzahlen. Dafür sollte das adressierbare Potenzial in einem ausgewählten Markt betrachtet werden, um letztlich mittels Business Case einen Blick auf finanzielle Kenngrößen wie Umsatz und Profitabilität zu erlangen. Nur eine ökonomisch tragbare Entscheidung mit einem attraktiven Verhältnis von Investitionserfordernissen, kalkulierbaren Risiken und letztlich überwiegendem finanziellen Nutzen kann die Grundlage für eine erfolgreiche Internationalisierung sein.

Fazit

Die Dienstleistungsfreiheit und die fortschreitende Harmonisierung regulatorischer Rahmen­

bedingungen bietet für Versicherungsunternehmen Chancen für eine aufwandsarme Internationalisierung im EU­Ausland, insbesondere über das Onlinegeschäft.

Eine unternehmensindividuelle Analyse kann dabei helfen, ausgehend von einem erfolgreichen Geschäftsmodell im Inland, mögliche Wachstumspotenziale im Ausland zu identifizieren und die hierfür erforderlichen Schritte zu definieren. Insbesondere die Nutzung von Suchdaten kann dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Unternehmen, die bereits in Vergangenheit über eine Internationalisierung nachgedacht haben, sind aufgerufen, Wachstumspotenziale in Auslandsmärkten zu prüfen und sich in wachsenden Märkten frühzeitig zu positionieren. Entscheidend ist dabei, dass eine erfolgreiche internationale Wachstumsstrategieentwicklung bei Versicherungen auch im EU­Raum die Kombination von Strategiekompetenz mit detaillierter fachlicher Produkt­

und Regulatorikkompetenz erfordert.

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