• Keine Ergebnisse gefunden

Recht der Steuern und der öffentlichen Finanzordnung Tax Law and Public Finance

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Recht der Steuern und der öffentlichen Finanzordnung Tax Law and Public Finance"

Copied!
31
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Anzeigepflicht für Steuergestaltungen und verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO

Benedikt Kruse

Die Fortentwicklung des Auskunftswesens als Chance im Kampf gegen missbräuchliche Steuervermeidungsstrategien

Nomos

Tax Law and Public Finance 21

(2)

Tax Law and Public Finance herausgegeben von

VRiBFH a.D. RA u StB Prof. Dr. Dietmar Gosch, Christian- Albrechts-Universität zu Kiel / Bundesfinanzhof, München Prof. Dr. Ulrich Hufeld, Helmut-Schmidt-Universität,

Universität der Bundeswehr Hamburg

Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL.M., Universität Augsburg Prof. Dr. Alexander Rust, LL.M., Wirtschaftsuniversität Wien Prof. Dr. Ralf P. Schenke,

Julius-Maximilians-Universität Würzburg (geschäftsführend für die Reihe)

Prof. Dr. Henning Tappe, Universität Trier

Prof. Dr. Birgit Weitemeyer, Bucerius Law School, Hamburg (geschäftsführend für die Reihe)

Begründet von: Prof. Dr. Arndt Schmehl (1970–2015)

Band 21

(3)

Anzeigepflicht für Steuergestaltungen und verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO

Die Fortentwicklung des Auskunftswesens als Chance im Kampf gegen missbräuchliche Steuervermeidungsstrategien

Nomos

(4)

1. Auflage 2021

© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2021. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Über- setzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Zugl.: Hamburg, Bucerius Law School, Diss., 2021 ISBN 978-3-8487-8227-7 (Print)

ISBN 978-3-7489-2649-8 (ePDF)

(5)

Die vorliegende Arbeit wurde von der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft im Herbsttrimester 2020 als Dissertation angenom- men. Die mündliche Prüfung fand am 25. Februar 2021 statt. Aktualisie- rungen wurden bis Juli 2020 berücksichtigt.

Für die hervorragende Betreuung und die rasche Erstellung des Erstgut- achtens bedanke ich mich sehr herzlich bei Frau Prof. Dr. Birgit Weite- meyer. Insbesondere möchte ich mich für die große Freiheit bei der Bear- beitung und die stets hilfreichen Anmerkungen bedanken. Herrn Prof. Dr.

Götz T. Wiese danke ich ebenfalls sehr herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens.

Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Recht der Steuern und der öffentlichen Finanzordnung“ möchte ich mich bei den Herausge- bern herzlich bedanken.

Ganz besonderer Dank gebührt schließlich all jenen, die mich auf die- sem Weg und bei der Erstellung dieser Arbeit begleitet haben. Dies gilt vor allem meinen Eltern, deren Unterstützung ich mir immer sicher sein konnte und die maßgeblich zum Erfolg dieser Arbeit beigetragen haben.

Hamburg, im März 2021 Benedikt Kruse

(6)
(7)

Einführung: Steuergestaltungen im Fokus des Gesetzgebers 13 Grundlagen der Untersuchung

Teil 1: 16

Ziel der Untersuchung

A. 16

Methodische Grundlagen

B. 16

Gegenstand der Untersuchung

C. 17

Mögliche Funktionen einer Anzeigepflicht

I. 19

Rechtssetzungsfunktion

1. 19

Veranlagungsunterstützende Funktion

2. 20

Abschreckungsfunktion

3. 21

Verfolgte Regelungsziele der Anzeigepflicht

II. 23

OECD-Empfehlung

1. 23

Richtlinie (EU) 2018/822

2. 25

Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen

3.

26 Zwischenergebnis

III. 28

Rechtliche Rahmenbedingungen einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen

Teil 2:

29 Vorgaben des Europarechts

A. 29

Ermächtigungsgrundlage

I. 29

Eingriff in Grundfreiheiten

II. 32

Rechtfertigung

III. 33

EU-Grundrechte-Charta

IV. 38

Art. 8 GRCh

1. 38

Art. 15, 16 GRCh

2. 40

Prüfungskompetenz des BVerfG

3. 44

Zwischenergebnis

V. 44

Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts

B. 45

Prüfungsmaßstab: Nationales Verfassungsrecht?

I. 46

Verhinderung von Gestaltungen als Verfassungsauftrag?

II. 48

Recht auf Gestaltungsfreiheit

III. 55

Berufsfreiheit der Intermediäre

IV. 59

(8)

Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Steuerpflichtigen

V.

68 Die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen und ihre

Wirkungen in der Praxis Teil 3:

73 Die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen

A. 73

Persönlicher Anwendungsbereich

I. 73

Sachlicher Anwendungsbereich

II. 79

Grenzüberschreitende Gestaltung

1. 79

Steuervorteil

2. 80

Allgemeine Kennzeichen der Anzeigepflicht

3. 82

Spezifische Kennzeichen der Anzeigepflicht

4. 83

„Stand-Alone“-Kennzeichen der Anzeigepflicht

5. 91

Zeitlicher Anwendungsbereich

III. 94

Grenzüberschreitender Informationsaustausch

IV. 97

Sanktionen bei Verstoß gegen die Anzeigepflicht

V. 99

Die Umsetzung der Regelungsziele der Anzeigepflicht in der Praxis

B.

99 Materiell-rechtliche Ebene

I. 101

Unbestimmtes Tatbestandsmerkmal „Steuervorteil“

1. 101

Ausgewählte Praxisbeispiele

2. 107

Steuerstundungsmodelle

a) 108

Einbringung in eine EU-Tochtergesellschaft

b) 113

Einlegen einer Forderung in eine ausländische Tochtergesellschaft

c)

114 Darlehensgewährung durch ausländische

Tochtergesellschaft d)

115 Ballooning

e) 117

Grenzüberschreitende Verschmelzung

f) 118

Einsatz einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft g)

119 Zwischenergebnis

3. 120

Zu erwartende Vielzahl unnötiger Anzeigen

a) 120

Anzeigepflicht bei unklarer Rechtslage nicht sicher bestimmbar

b)

122 Verfahrensrechtliche Ebene

II. 123

Offenbarungspflichten bei unklarer Rechtslage

1. 124

Rechtsprechung

a) 125

Literatur

b) 126

(9)

Eigene Ansicht

c) 126

Kontrolle von Steuererklärungen

2. 130

Überprüfbarkeit durch Risikomanagementsysteme

3. 131

Überprüfbarkeit in Betriebsprüfungen

4. 135

Zwischenergebnis

III. 136

Die Anzeigepflicht und Kooperation mit dem Steuerpflichtigen

Teil 4:

139 Grundlagen des Vertrauensschutzes

A. 140

Historische Entwicklung

I. 141

Verfassungsrechtliche Verankerung

II. 142

Vom Vertrauensschutz zur Steuerplanungssicherheit

III. 145

Steuerplanungssicherheit und Rechtsetzungsfunktion: ein Zielkonflikt?

B.

146 Bestandsinteresse des Steuerpflichtigen

I. 147

Änderungsinteresse des Staates

II. 148

Rechtsetzungsfunktion der Anzeigepflicht und Kooperation

III.

149 Objektive Notwendigkeit zur Kooperation

1. 150

Interessenlage der Parteien

2. 153

Steuerpflichtiger

a) 153

Finanzverwaltung

b) 155

Zwischenergebnis

3. 158

Steuerplanungssicherheit und Anzeigepflicht für Steuergestaltungen in anderen Rechtsordnungen C.

159 Reine Sanktionsregime

I. 159

Kooperationsangebote an den Steuerpflichtigen

II. 165

Zwischenergebnis

III. 171

Konkrete Ausprägungen steuerlicher Planungssicherheit im Steuerverfahrensrecht

D.

173 Vertrauensschutzgrundsatz

I. 173

Venire contra factum proprium

II. 175

Tatsächliche Verständigung

III. 178

Verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung

IV. 180

Advanced Pricing Agreements

V. 180

Verbindliche Auskunft

VI. 181

Zwischenergebnis

VII. 182

(10)

Steuerliche Planungssicherheit durch die verbindliche Auskunft

Teil 5:

183 Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft

A. 185

Zuständigkeit

I. 185

Persönlicher Anwendungsbereich

II. 186

Sachlicher Anwendungsbereich

III. 188

Sachverhalt

1. 188

Besonderes Interesse an der Auskunftserteilung

2. 191

Rechtliche Unsicherheit

a) 191

Erhebliche steuerliche Auswirkungen

b) 193

Ermessensentscheidung

IV. 194

Ausschlussgründe der verbindlichen Auskunft

V. 195

Zu erwartende Regelung

1. 195

Erzielung eines Steuervorteils

2. 195

Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO

3. 196

Zeitlicher Anwendungsbereich

VI. 197

Gebührenpflicht

VII. 200

Bindungswirkung und Bestandskraft der verbindlichen Auskunft

B. 202

Reichweite der persönlichen Bindungswirkung

I. 202

Reichweite der sachlichen Bindungswirkung

II. 204

Änderung des Sachverhalts

1. 204

Änderung der Rechtslage

2. 205

Begriff der Rechtsvorschriften in § 2 Abs. 3 StAuskV

a) 207

Prüfungsschritte bei rückwirkenden Gesetzen

b) 208

Echte Rückwirkung

c) 211

Unechte Rückwirkung

d) 213

Dispositionsschutz bei unechter Rückwirkung

e) 213

Zwischenergebnis

f) 222

Bestandskraft der verbindlichen Auskunft

III. 223

Allgemeines

1. 223

Korrekturvorschriften

2. 223

Rechtsschutz

IV. 225

Vergleich beider Instrumente

Teil 6: 227

Vergleich der persönlichen Anwendungsbereiche

A. 227

Vergleich der sachlichen Anwendungsbereiche

B. 230

Sachverhaltsbegriff

I. 230

Besonderes Interesse an der Auskunftserteilung

II. 230

(11)

Steuervorteil

III. 231

Standardisierte Gestaltungen

IV. 232

Vergleich der zeitlichen Anwendungsbereiche

C. 233

Bindungswirkung und Bestandskraft

D. 234

Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft

I. 234

Bestandskraft der verbindlichen Auskunft

II. 236

Rechtsschutz

III. 237

Grenzüberschreitende Aspekte

E. 238

Grenzüberschreitende Gestaltungen

I. 238

Grenzüberschreitender Informationsaustausch

II. 238

Zwischenergebnis: Gründe zur Reform der Situation de lege lata

F. 241

Übermäßige Belastung der Finanzverwaltung durch die Anzeigepflicht

I.

241 Mangelnde Verwirklichung der Rechtssetzungsfunktion

II. 242

Verbindliche Auskunft in ihrer derzeitigen Ausgestaltung kein taugliches Kooperationsinstrument

III.

242 Änderungsvorschläge de lege ferenda

Teil 7: 244

Ausweitung der verbindlichen Auskunft

A. 245

Vorüberlegungen grundsätzlicher Art

I. 245

Erteilung verbindlicher Auskünfte rechtspolitisch wünschenswert?

1.

245 Erhöhter Verwaltungsaufwand durch verbindliche

Auskünfte?

2.

248 Anonyme Publikation verbindlicher Auskünfte?

3. 250

Entfall der Anzeigepflicht bei verbindlicher Auskunft?

4. 252

Integration der verbindlichen Auskunft in das System der Anzeigepflicht

II.

254 Einführung eines § 89 Abs. 2a AO

1. 255

Verknüpfung der verbindlichen Auskunft mit der Anzeigepflicht

a)

256 Zentrale Zuständigkeit für die Auskunftserteilung

b) 257

Beibehaltung der Gebührenpflicht

c) 262

Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 27 FVG

2. 264

Änderung des AEAO zu § 89 AO, Tz. 3.5.4. Satz 1

3. 264

Verbindliche Auskunft auch bei Steuergestaltungen

a) 264

Verbindliche Auskunft auch in Fällen des § 42 AO

b) 267

(12)

Zu erwartende Verwaltungsvorschriften kein Ablehnungsgrund

4.

271 Kein rückwirkender Entfall der Bindungswirkung bei

aufgehobenen oder geänderten Rechtsvorschriften 5.

273 Keine Rücknahme der verbindlichen Auskunft für die

Zukunft bei geänderter FG-Rechtsprechung oder neuen Verwaltungsanweisungen

6.

274 Zwischenergebnis

7. 278

Zusammenfassung der unterbreiteten Vorschläge

III. 279

Vorteile der unterbreiteten Vorschläge

IV. 279

Zu erwartende positive Lenkungswirkung

1. 279

Förderung der Rechtssetzungsfunktion der Anzeigepflicht

2.

280 Steigerung der Steuerplanungssicherheit für den

Steuerpflichtigen 3.

280 Rechtliche Zulässigkeit der unterbreiteten Vorschläge

B. 280

Verfassungsrechtliche Pflicht zur Ausweitung der Kooperation?

I.

281 Gesetzmäßigkeit der Besteuerung

II. 282

Rechtsprechung

1. 283

Literatur

2. 284

Zwischenergebnis

3. 289

Vorbehalt des Gesetzes

III. 290

Gleichmäßigkeit der Besteuerung

IV. 290

Zwischenergebnis

V. 293

Fazit 295

Literaturverzeichnis 299

(13)

In den vergangenen Jahren beherrschten die Steuervermeidungsstrategien international tätiger Konzerne die Medien. Hochrangige Vertreter von Konzernen wie Amazon, Apple, Google oder Microsoft wurden vor Parla- mentsausschüsse auf der ganzen Welt geladen und dort mit Untersuchun- gen über ihre internationalen Steuerstrategien konfrontiert.1 In Europa, Asien und den Vereinigten Staaten wurde die öffentliche Aufmerksamkeit durch die mediale Berichterstattung und die öffentliche Diskussion auf die

„aggressive“ internationale Steuerplanung gelenkt. In Folge des gestiege- nen öffentlichen Drucks geraten die Regeln des internationalen Steuer- rechts nunmehr in den Fokus der Gesetzgeber.2

Insbesondere der politische Druck rund um die Veröffentlichung der Panama3- und Paradise4-Papers und die Umsetzung von BEPS-Action Point 125 haben die Europäische Union zum Tätigwerden veranlasst. Am 25.05.2018 wurde die Richtlinie (EU) 2018/822, die die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Einführung einer Anzeigepflicht für Steuer- gestaltungen in nationales Recht verpflichtet, erlassen. Der deutsche Ge- setzgeber hat entsprechend mit dem „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen“6 zum 01.01.2020 eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen in die Abgabenord- nung integriert. Zur Bekämpfung „aggressiver Steuergestaltungen“ erlegen europäische und nationale Normgeber den Steuerpflichtigen im Kampf gegen als aggressiv empfundene Steuergestaltungen somit weitere Transpa- renz- und Mitwirkungspflichten auf.

1 Grinberg, The Georgetown Law Journal 2016, 1137 (1139).

2 Grinberg, The Georgetown Law Journal 2016, 1137 (1139).

3 Hierbei handelt es sich um die Ergebnisse aus mutmaßlich illegal beschafften Da- tensätzen der Kanzlei „Mossack-Fonseca“ in Panama. Von den Veröffentlichungen sollen über 180.000 Briefkastenfirmen betroffen sein, siehe Stahl, KÖSDI 2018, 20676.

4 Bei den „Paradise-Papers“ handelt es sich um ca. 13,4 Mio. Dokumente aus „Steu- erparadiesen“. Sie stammen von der auf den Bermudas ansässigen Anwaltskanzlei

„Appleby“ sowie dem Treuhandunternehmen „Asiacti Trust“ in Singapur, Stahl, KÖSDI 2018, 20676.

5 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015.

6 BStBl. I 2019, 2875.

(14)

Auch aufgrund der vorgenannten Entwicklungen herrscht ein Klima des Misstrauens gegenüber dem Steuerpflichtigen und seiner Gestaltungstätig- keit. Steuergestaltungen sind unabhängig von ihrer Missbräuchlichkeit ge- nerell in Verruf geraten. Sie werden in der aktuellen Zeit daher auch ver- stärkt als Ursache für zunehmende Steuerungerechtigkeit und fiskalische Aufkommensprobleme ausgemacht.7 Dass steuerliche Gestaltungen wirt- schaftlich geboten sein können und auch nicht flächendeckend miss- bräuchlich sind, gerät dabei bisweilen aus dem Blick.

Die grundsätzliche Pönalisierung von Steuergestaltungen übersieht, dass durch steuerliche Gestaltungen letztlich Wirtschaftsteilnehmer ihre wirt- schaftliche Organisation an eine sich beständig ändernde Rechtslage anpas- sen: Denn ursächlich für Steuergestaltungen und die darauffolgenden Re- aktionen der nationalen und supranationalen Normgeber ist neben einer immer komplexeren Lebenswirklichkeit auch die mangelnde Kontinuität des Rechts selbst: So greift der Staat mit immer neuen Lenkungsvorschrif- ten in das Steuerrecht ein8 und versucht mit einer „Reparaturgesetzge- bung“ bereits identifizierte Umgehungsmöglichkeiten zu schließen. In Re- aktion darauf entdecken die Steuerpflichtigen stets neue Strategien der Steuervermeidung, auf welche die Finanzverwaltung und der Gesetzgeber dann in Form neuer Missbrauchsvermeidungsvorschriften reagieren.9

Zudem hat die Steuerrechtsordnung, hierzulande wie im Ausland, mit einigen Bereichen des Wirtschaftslebens nicht Schritt gehalten. Vielfach ist das Steuerrecht noch auf traditionelle Geschäftsmodelle zugeschnitten, so- dass sich im Hinblick auf den massiven Anstieg grenzüberschreitender Ak- tivitäten, die rasante Entwicklung von Informations- und Kommunikati- onstechnologien und zunehmende Bedeutung von geistigem Eigentum die Frage stellt, ob die bestehenden Regelungen noch zeitgemäß sind.10 Wesentliche Triebfeder für Steuergestaltungen, insbesondere bei grenz- überschreitenden Sachverhalten, ist damit der Zustand der Steuerrechts- ordnung selbst.

Adressaten des Misstrauens von Politik und Öffentlichkeit gegenüber steuerlicher Gestaltungstätigkeit sind jedoch der Steuerpflichtige und seine

7 Grinberg, The Georgetown Law Journal 2016, 1137 (1139); Rödder, Steuergestal- tung aus Sicht der Beratungspraxis, DStJG 33 (2010), 93.

8 Als Beispiel sei nur die aktuelle Diskussion um die Einführung einer CO2-Steuer genannt.

9 Vgl. Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 547 f.

10 Pross, Radmanesh, Der Aktionsplan der OECD/G20 zu Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Richtschnur für eine Überarbeitung der internationalen Be- steuerungsregeln, 535.

(15)

Berater. Dies manifestiert sich darin, dass diese mit immer neuen Informa- tionsaustauschsystemen überzogen werden.11 Es ist dabei zu beobachten, dass sich die Bemühungen des Gesetzgebers nur zugunsten des Fiskus aus- wirken.

Dies setzt den Steuerpflichtigen auf zweierlei Weise zu: Zum einen sind sie es, die die Befolgungskosten für die Transparenzmaßnahmen zu tragen haben,12 was einer wirtschaftlich sinnvollen Allokation von im Unterneh- men vorhandenen Ressourcen abträglich ist. Zum anderen nehmen die stetigen Änderungen des Gesetzgebers, als missbräuchlich empfundene Steuergestaltungen zu unterbinden, den Steuerpflichtigen die steuerrecht- liche Planungssicherheit, die sie für eine erfolgreiche Wirtschaftstätigkeit benötigen. Fehlende Rechtssicherheit hemmt nicht nur die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen, sie hat auch eine gesamtwirtschaftliche Rele- vanz.13 Erst ein stabiles rechtliches Umfeld ermöglicht langfristige Planun- gen, Unsicherheit hingegen lähmt wirtschaftliche Aktivität.14 Unsicherheit hinsichtlich der zu zahlenden Steuern erschwert Kalkulationen von Inves- titionen, die Investitionsbereitschaft sinkt.15 Die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft leidet, denn gerade wirtschaftliche Aktivitäten, die mit hohen Anfangsinvestitionen verbunden sind, bedürfen eines steuerplanungssiche- ren Umfeldes: Eine Investitions- oder Finanzierungsentscheidung wird erst dann getroffen, wenn ihre Vorteilhaftigkeit auch „nach Steuern“ fest- steht.16

Die mangelnde Vorhersehbarkeit des Rechts lässt sich damit im Kontext der aktuellen Diskussion um „missbräuchliche“ Steuergestaltungen als ein Umstand identifizieren, der steuerliche Umgehungsstrategien fördert. In- nerhalb der neuen gesetzlichen Regelungen zur Förderung der Transpa- renz stellt sich daher die Frage, ob und wie die Planungssicherheit des Steuerpflichtigen zum beiderseitigen Vorteil gestärkt werden kann. Dieser Thematik widmet sich die vorliegende Arbeit.

11 Zu nennen sind etwa das auf BEPS Action Point 13 basierende Country-by- Country-Reporting oder die verschiedenen Ausweitungen der EU-Amtshilfericht- linie, siehe dazu weitergehend Dölker, BB 2017, 279.

12 Der administrative Mehraufwand wird dabei als durchaus erheblich eingeschätzt, siehe Eilers, Sommer, ISR 2019, 75 (79).

13 Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 99.

14 Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 99.

15 BFH v. 19.6.1951 – III 81/50 S, BStBl. III 1952, 25; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 99.

16 Schanz, DStR 2015, 1986.

(16)

Ziel der Untersuchung

Das Ziel der Untersuchung „Anzeigepflicht für Steuergestaltungen und verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO“ besteht darin, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob unter Berücksichtigung der Regelungswirkun- gen der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen die mit der Anzeigepflicht verfolgten gesetzgeberischen Ziele gefördert werden können, indem dem Steuerpflichtigen verbindliche Auskünfte für anzuzeigende Steuergestal- tungen gewährt werden.

Es existieren bereits einschlägige Dissertationen sowohl zur grundsätzli- chen Konzeption einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen17 als auch zur verbindlichen Auskunft.18 Deren Erkenntnisse und Thesen sind eben- falls in die vorliegende Untersuchung eingeflossen. Eine umfassende Be- standsaufnahme des Verhältnisses beider Instrumente zueinander fehlt in- des bislang, nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich bei der Umsetzung der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen in nationales Recht um eine recht aktuelle Entwicklung handelt.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind für alle von der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen betroffenen Akteure aufschlussreich. Denn nur eine Analyse der Anzeigepflicht und ein Vergleich mit der verbindlichen Auskunft ermöglichen es, einen eventuellen gesetzgeberischen Handlungs- bedarf zur besseren Umsetzung der Anzeigepflicht zu identifizieren. Die vorliegende Arbeit dient daher dazu, sowohl Zweifelsfragen im Anwen- dungsbereich der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen zu klären als auch dem nationalen Gesetzgeber Vorschläge für eine sinnvolle Fortentwick- lung des Rechts der verbindlichen Auskunft vorzulegen.

Methodische Grundlagen

In methodischer Hinsicht erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme der Ge- schichte, Funktionen und rechtlichen Grundlagen der Anzeigepflicht für A.

B.

17 Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2012.

18 Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abgabenordnung, 2010.

(17)

Steuergestaltungen. Im Besonderen wird dabei auf die rechtlichen Rah- menbedingungen sowohl nach nationalem Verfassungsrecht als auch nach europäischem Recht eingegangen.

Um die Relevanz des Forschungsvorhabens aufzuzeigen, wird im Fol- genden die Zweckmäßigkeit der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen in ihrer nationalen Umsetzung analysiert und hinterfragt. Die Zweckmäßig- keit orientiert sich dabei an den vom Gesetzgeber mit der Anzeigepflicht verfolgten Zielen. Dazu wird konkret der Tatbestand der in deutsches Recht umgesetzten Anzeigepflicht analysiert und aufgrund dessen werden Probleme materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Art identifiziert, die einem den gesetzgeberischen Zielvorstellungen entsprechenden Voll- zug der Anzeigepflicht entgegenstehen.

Darauf aufbauend wird der Frage nachgegangen, ob daraus ein Bedürf- nis nach Kooperation mit dem Steuerpflichtigen folgt. Dazu wird zum einen die abstrakte Interessenlage der Beteiligten analysiert. Zum anderen wird auf Anzeigepflichten in anderen Rechtsordnungen eingegangen, um die Vorteile der Kooperation mit dem Steuerpflichtigen in diesem Bereich aufzeigen.

In der Folge wird die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO darauf- hin untersucht, ob sie nach geltender Rechtslage dem Steuerpflichtigen Möglichkeiten bietet, steuerliche Planungssicherheit im Hinblick auf nach der Anzeigepflicht anzuzeigende Steuergestaltungen zu erlangen. Aufbau- end auf dieser rechtsdogmatischen Analyse sollen Änderungsvorschläge de lege ferenda gemacht werden. Insofern wird auch ein rechtspolitischer An- satz verfolgt.

Gegenstand der Untersuchung

Das Ziel der Untersuchung gibt ihren Gegenstand vor: die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen und ihre Regelungsziele.

Nicht erst seit den Enthüllungen der „Panama Papers“ oder „Paradise Papers“ haben sich internationale und nationale Institutionen dem Kampf gegen missbräuchliche Steuergestaltung verschrieben. Ein in diesem Zu- sammenhang besonders aktuelles Thema ist die Anzeigepflicht für Steuer- gestaltungen. Sie ist bereits seit längerer Zeit Bestandteil ausländischer Rechtsordnungen19 und wurde nunmehr auch in Deutschland eingeführt, nachdem bereits mit dem Jahressteuergesetz 2008 der Plan bestand, eine C.

19 Siehe dazu im vierten Teil der Arbeit unter C.

(18)

Anzeige- und Registrierungspflicht von grenzüberschreitenden Steuerge- staltungen in die Abgabenordnung einzuführen.20 Nach scharfer Kritik aus Wissenschaft und Beraterschaft21 sah der Gesetzgeber damals jedoch davon ab, eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen einzuführen.

Die Thematik hatte durch Vorstöße auf OECD22- und EU-Ebene wieder erneute Aktualität gewonnen,23 sodass sich der europäische Gesetzgeber dazu veranlasst sah, eine solche Anzeigepflicht einzuführen: Im Amtsblatt der Europäischen Union wurde am 05.06.2018 eine entsprechende Richtli- nie zur Einführung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen veröffent- licht.24 Wie dargelegt ist die deutsche Umsetzung der Richtlinie seit dem 01.01.2020 in Kraft. Gegenstand der Überlegungen sind Gestaltungen, die zwar legal, aus fiskalischer Sicht aber unerwünscht sind, weil sie vor allem, indem sie Lücken im nationalen und internationalen Recht ausnutzen, eine zum Teil erhebliche Steuerersparnis zu Lasten des inländischen Steu- eraufkommens bewirken.25 Ziel der Anzeigepflicht ist es, solche Gestaltun- gen zu unterbinden.26

Fraglich ist jedoch, ob durch die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen rechtspolitisch unerwünschte Gestaltungen aufgedeckt werden. Eine An- zeigepflicht kann grundsätzlich, je nach Zielrichtung, verschiedene Zwe- cke erfüllen. Der verfolgte Zweck gibt gleichsam den Maßstab vor, an dem sich die Anzeigepflicht bei ihrer Anwendung messen lassen muss. Unter- sucht werden soll daher zunächst, welche Funktionen einer Anzeigepflicht in Betracht kommen und welche Regelungsziele durch die nationalen und supranationalen Normgeber mit einer Anzeigepflicht verfolgt wurden und werden.

Die Motivation, eine Anzeigepflicht einzuführen, ist damit Grundlage für die Folgefrage, nämlich ob die angestrebten Regelungsziele durch die konkrete Umsetzung der Anzeigepflicht verwirklicht werden können oder

20 Siehe Flämig, DStR, Beihefter zu DStR 44/2007, 2.

21 Siehe nur Schmidt-Keßeler als Hauptgeschäftsführerin der Bundessteuerberater- kammer, DStR-KR 2007, 29.

22 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015.

23 Hermenns, Münch, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – eine rechtliche Würdi- gung verschiedener Entwürfe unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnis- ses zu § 42 AO, 11.

24 Richtlinie (EU) 2018/822, Amtsblatt der Europäischen Union, L 139, 05.06.2018, 1-14.

25 Stöber, BB 2018, 1559.

26 Erwägungsgrund 2 Richtlinie (EU) 2018/822; BT-Drs. 19/14685, 19.

(19)

ob diesbezüglich Defizite bestehen, zu deren Abhilfe Lösungsvorschläge unterbreitet werden können.

Im Folgenden werden daher die verschiedenen Funktionen, die einer Anzeigepflicht beigemessen werden können, erläutert. Daran anschließend wird die Entwicklung der Anzeigepflicht nachgezeichnet, um die Motivati- on der jeweiligen Normgeber zur Einführung einer Anzeigepflicht darzu- legen.

Mögliche Funktionen einer Anzeigepflicht

Eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen kann verschiedene Funktionen erfüllen. Namentlich sind dies die Rechtssetzungsfunktion, die veranla- gungsunterstützende Funktion und die Abschreckungsfunktion (dazu im Detail sogleich). Die Funktion, die eine Anzeigepflicht erfüllen soll, ist re- levant für die Frage, ob der Gesetzgeber sein mit der Anzeigepflicht ver- folgtes Regelungsziel auch erreichen kann. Zudem ist es möglich, dass ne- ben einer vom Gesetzgeber explizit verfolgten Zielsetzung die Anzeige- pflicht auch (möglicherweise vom Gesetzgeber unbeabsichtigte) andere Funktionen beinhalten kann. Bei der nationalen Umsetzung der Anzeige- pflicht wird explizit eine Rechtsetzungsfunktion und daneben noch durch einen Rückbezug ins Veranlagungssystem eine veranlagungsunterstützen- de Funktion verfolgt.27 Es lohnt daher zunächst ein Überblick über die ver- schiedenen denkbaren Funktionen einer Anzeigepflicht für Steuergestal- tungen.

Rechtssetzungsfunktion

Zunächst kann die Funktion einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen darin liegen, die Informationsbasis der Finanzverwaltung zu verbreitern, sodass diese Gestaltungspotential identifizieren kann.28 Auf diese Weise können frühzeitig Gesetze oder untergesetzliche Maßnahmen erlassen wer- den, die den entsprechenden Gestaltungen ihre steuerliche Anerkennung verwehren.29 Insofern dient die Anzeigepflicht der Rechtsetzung (Rechtset- I.

1.

27 BT-Drs. 19/14685, 19.

28 Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 177; Beuchert, Osterloh-Konrad, IStR 2014, 643 (645).

29 Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 177.

(20)

zungsfunktion).30 Durch die Rechtsetzungsfunktion soll die Dynamik von Aktion und Reaktion von Steuerpflichtigem und Gesetzgeber bei der Be- kämpfung von Steuergestaltungen durchbrochen werden. Im Katz-und- Maus-Spiel zwischen einem Steuergesetzgeber, der niemals alle Gestal- tungsvarianten vorhersehen und erschöpfend regeln kann, und einer Ge- staltungsindustrie, der jede Gesetzesänderung Anlass zu neuen Innovatio- nen gibt, sollen die Anzeigepflichten dem Gesetzgeber einen zeitlichen Vorteil verschaffen.31 Die staatlichen Stellen sollen möglichst frühzeitig er- fahren, was im Markt für Steuergestaltungen vor sich geht, um auf aus ihrer Sicht unerwünschte Gestaltungen reagieren zu können.32

Die durch die rechtspolitische Funktion gewonnenen Informationen aus den Anzeigen nutzen dem Fiskus auf dreierlei Weise: Zunächst geben sie Aufschluss über die rechtliche Struktur der Gestaltungen. Daneben können sie Erkenntnisse über ihre Verbreitung, mithin über ihre fiskali- sche Bedeutung, vermitteln. Drittens ist es möglich, Informationen über den Steuergestaltungsmarkt allgemein zu erlangen.33

Diese Funktion wird von der Gesetzesbegründung des nationalen Um- setzungsgesetzes als vorrangiges Ziel der Anzeigepflicht hervorgehoben.34

Veranlagungsunterstützende Funktion

Neben der Rechtsetzungsfunktion kann die Anzeigepflicht auch eine ver- anlagungsunterstützende Funktion verfolgen, die eine Rückkopplung ins Veranlagungsverfahren gewährleistet. Die veranlagungsunterstützende Funktion sorgt dafür, dass die Anwendung der Steuergesetze einfacher und gleichmäßiger stattfinden kann, indem anzeigepflichtige Steuergestal- tungen in der Veranlagung aufgegriffen und einheitlich behandelt werden können. Neben der Anzeige der Steuergestaltung an sich ist es dafür aber ergänzend notwendig, dass die Gestaltung dem Steuerpflichtigen zugeord- net werden kann. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass der Finanzver- waltung zusätzlich der Name des Steuerpflichtigen mitgeteilt werden muss 2.

30 Hermenns, Münch, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – eine rechtliche Würdi- gung verschiedener Entwürfe unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnis- ses zu § 42 AO, 12.

31 Beuchert, Osterloh-Konrad, IStR 2014, 643 (644 f.).

32 Heber, IStR 2017, 559 (560); Osterloh-Konrad, Heber, Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 9.

33 Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 177.

34 BT-Drs. 19/14685, 19.

(21)

oder ihm für die angezeigte Gestaltung eine Registriernummer zugewiesen wird, die dann in der Steuererklärung angegeben werden muss.35 Von einer solchen Rückkopplung der Anzeigepflicht in das Veranlagungsver- fahren versprechen sich die Befürworter eine Steigerung der Effizienz und Gleichmäßigkeit des Steuervollzugs.36 Nach der Begründung des nationa- len Umsetzungsgesetzes soll die Anzeigepflicht neben der Rechtsetzungs- funktion auch einen veranlagungsbegleitenden Zweck verfolgen.37

Abschreckungsfunktion

Als weiteres Ziel einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen ist ebenso denkbar, diese auf Abschreckung hin auszurichten. Es soll so präventiv ver- hindert werden, dass Gestaltungen überhaupt umgesetzt werden.38 Der Gedanke, dass eine Anzeigepflicht gezielt dazu eingesetzt werden kann, die steuergestaltende Tätigkeit der Steuerpflichtigen insgesamt zu drosseln, stößt indes auf verfassungsrechtliche Bedenken.39 Dennoch wird sich eine faktische Abschreckungswirkung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltun- gen nicht vermeiden lassen,40 und selbst wenn sie nicht das Ziel sein sollte, ist sie aber dennoch der Effekt gesteigerter Transparenz: Zum einen dürf- ten potentiell Gestaltungswillige durch den durch die Anzeigepflicht ent- stehenden einmaligen und laufenden Erfüllungsaufwand durch die Prü- fung, ob eine Mitteilungspflicht besteht,41 abgeschreckt werden. Zum an- deren dürfte es eine abschreckende Wirkung haben, dass die wirtschaftli- che Verwertbarkeit einer entwickelten Steuergestaltung darunter leiden 3.

35 Osterloh-Konrad, Heber, Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 19.

36 Heber, IStR 2017, 559 (560); Osterloh-Konrad, Heber, Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 19.

37 BT-Drs. 19/14685, 21.

38 Heber, IStR 2017, 559 (560); Hermenns, Münch, Anzeigepflicht für Steuergestal- tungen – eine rechtliche Würdigung verschiedener Entwürfe unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zu § 42 AO, 13.

39 Ausführlich dazu Osterloh-Konrad, Heber, Beuchert, Anzeigepflichten für Steuerge- staltungen in Deutschland, 16 f.

40 Hermenns, Münch, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – eine rechtliche Würdi- gung verschiedener Entwürfe unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnis- ses zu § 42 AO, 13.

41 Dieser wird, wenn auch noch ohne konkrete Bezifferung, von der Bundesregie- rung als sehr erheblich eingeschätzt, BT-Drs. 19/14685, 21.

(22)

wird, dass sie dem Fiskus sogleich angezeigt werden muss, sodass eine steu- erliche Gestaltungsberatung insgesamt weniger attraktiv wird.

Das BVerfG hat entschieden, dass eine Norm verfassungswidrig sein kann, wenn sie sich widersprechende Gesetzeszwecke nebeneinander ver- folgt. Hintergrund ist das sog. Volkszählungsurteil des BVerfG, wonach eine Regelung zur Datenerhebung ungeeignet ist, wenn sie tendenziell Unvereinbares miteinander verbindet.42 Dies ist etwa der Fall, wenn das Ziel der Regelung die Informationsgewinnung ist und zugleich an die Preisgabe der Informationen negative Folgen geknüpft werden können.43 Gegenstand der Entscheidung waren die Regelungen zur Volkszählung 1983, wobei im konkreten Fall die aufgrund des Volkszählungsgesetzes 1983 erhobenen Daten für statistische Zwecke und andererseits für einen Melderegisterabgleich mit mitunter negativen Konsequenzen für den Be- troffenen genutzt werden konnten. Die Zwecke der beiden Erhebungen schlossen sich gegenseitig aus, sodass es an der Geeignetheit der Regelung fehlte.

Die Erwägungen des BVerfG in jenem Urteil sind jedoch nicht auf die Datenerhebung bei der Anzeigepflicht übertragbar. Der beschriebene Ab- schreckungseffekt der Anzeigepflicht beruht darauf, dass das zeitliche Mo- ment bei der Bekämpfung missliebiger Steuergestaltungen zugunsten des Fiskus verschoben wird; die Risikostruktur steuergestaltenden Handelns wird somit verändert.44 Dies ist aber unproblematisch, da der Gesetzgeber hier nicht gezielt Gestaltungen belastet, die er gleichzeitig materiellrecht- lich ermöglicht; vielmehr antizipieren die Steuerpflichtigen bloß die vor- aussichtliche Reaktion des Gesetzgebers. Das Vertrauen, auch zukünftig oder längerfristig Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts ausnutzen zu kön- nen, ist rechtlich aber nicht geschützt.45

Vor dem Hintergrund der genannten Rechtsprechung des BVerfG be- gegnet die Anzeigepflicht hinsichtlich ihrer faktischen Abschreckungswir- kung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da der Gesetzgeber mit ihr keine sich gegenseitig ausschließenden Regelungszwecke verfolgt.

42 BVerfG v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1.

43 BVerfG v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1.

44 Osterloh-Konrad, Heber, Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 18.

45 Osterloh-Konrad, Heber, Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 18.

(23)

Verfolgte Regelungsziele der Anzeigepflicht

Die Idee, eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen einzuführen, ist nicht neu. So hat es in der jüngeren Vergangenheit bereits auf nationaler Ebene verschiedene Ansätze und Vorschläge zu ihrer Einführung gegeben.46

Den Ausgangspunkt für die nunmehr relevante Entwicklung der Anzei- gepflicht bildete die Empfehlung der OECD zur Einführung einer Anzei- gepflicht im Rahmen des BEPS-Projektes. Nachdem der europäische Ge- setzgeber den Mitgliedsstaaten in Form der Richtlinie (EU) 2018/822 Vor- gaben zur Implementierung einer Anzeigepflicht gemacht hat, wurde die Anzeigepflicht nunmehr in nationales Recht umgesetzt.

Aus den Regelungszielen, die innerhalb der verschiedenen Phasen des Projektes zur Einführung einer Anzeigepflicht verfolgt wurden und wer- den, ergeben sich die Maßstäbe, an denen sich Tatbestand und Rechtsfolge der Anzeigepflicht messen lassen müssen. Im weiteren Verlauf dieser Ar- beit soll anhand dieser Maßstäbe überprüft werden, ob die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen die mit ihr verfolgten gesetzgeberischen Regelungs- ziele erfüllen kann.

OECD-Empfehlung

Im Rahmen des BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting) hat die OECD im Jahr 2015 empfohlen, eine Anzeigepflicht für Steuergestaltun- gen im nationalen Recht einzuführen.47 Primäres Ziel war dabei, die je- weiligen Steuerverwaltungen gezielt mit Informationen über Steuergestal- tungen zu versorgen.48 In ihrem Abschlussbericht hat die OECD die Emp- fehlungen zur Einführung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen nä- her erläutert. Die Anzeigepflicht als solche soll nicht zwischen dem recht- lich noch Zulässigen und dem rechtlich bereits Unzulässigen selektieren.

Vielmehr soll der Steuerverwaltung und dem Gesetzgeber die Möglichkeit gegeben werden, erkennen zu können, wo bestimmte Lücken in den Steu- II.

1.

46 Der Gesetzgeber plante bereits in den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008 die Einführung einer nationalen Anzeigepflicht, sah sich indes Kritik aus Praxis und Wissenschaft, sowie verfassungs- und europarechtlichen Bedenken ausgesetzt, siehe Heber, IStR 2017, 559.

47 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015.

48 Heber, IStR 2017, 559 f.

(24)

ergesetzen oder Disparitäten zwischen in- und ausländischen Steuergeset- zen ausgenutzt werden.

Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Anzeigepflicht empfiehlt die OECD recht weitgehende Maßnahmen. Sofern eine Rechtsordnung die primäre Anzeigepflicht dem Entwickler einer Gestaltung auferlegt, soll dieser der Finanzverwaltung sämtliche Namen der die Gestaltung nutzen- den Mandanten mitteilen – dies mitunter in einem automatisierten Ver- fahren.49

Ob eine anzeigepflichtige Gestaltung vorliegt, soll anhand von sog. hall- marks bestimmt werden. Unter hallmarks sind Instrumente zu verstehen, anhand derer sich die charakteristischen Merkmale von Steuergestaltungen erkennen lassen sollen.50 Diese werden unterteilt in generic hallmarks und specific hallmarks. Generic hallmarks zielen auf Merkmale ab, die gebräuch- lich bei beworbenen Steuergestaltungsmodellen sind, wie etwa Verschwie- genheitsverpflichtungen oder Provisionszahlungen.51 Es geht somit um äu- ßere Umstände einer Gestaltung, deren Spezifika den Finanzbehörden noch unbekannt sind.52 Diese Merkmale werden um die specific hallmarks ergänzt, dabei handelt es sich um den Finanzbehörden bekannte Merkma- le von Steuergestaltungen,53 wie etwa den Erwerb eines verlusttragenden Unternehmens, um dessen Verluste zu nutzen, oder die Nutzung steuerli- cher Präferenzregelungen. So sollen insbesondere „aggressive“ und „miss- bräuchliche“ Gestaltungen identifiziert werden.54

Die so gesammelten Informationen sollen dann den Handlungsbedarf auf legislativer oder administrativer Ebene aufzeigen.55 Die OECD verfolgt somit primär eine Rechtsetzungsfunktion. Allerdings wird auch die Ab- schreckungswirkung einer Anzeigepflicht hervorgehoben. Steuerpflichtige würden es sich zweimal überlegen, ob sie eine Gestaltung implementieren, wenn diese angezeigt werden müsse und die Finanzverwaltung möglicher- weise eine abweichende Auffassung vertrete.56 Zudem werde so Druck auf

49 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 55.

50 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 55.

51 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 39.

52 Hermenns, Münch, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen – eine rechtliche Würdi- gung verschiedener Entwürfe unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnis- ses zu § 42 AO, 14.

53 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 39.

54 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 45.

55 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 18.

56 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 18.

(25)

den Gestaltungsmarkt ausgeübt.57 Daneben soll die Anzeigepflicht nach dem Vorschlag der OECD auch eine veranlagungsunterstützende Funkti- on erfüllen, indem die angezeigte Gestaltung mit dem einzelnen Steuerfall verknüpft wird. So soll der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung eine Registriernummer angeben müssen, anhand derer die Gestaltung zugeord- net werden kann.58

Richtlinie (EU) 2018/822

Am 05.06.2018 wurde die „Richtlinie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2011/16 bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustau- sches im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschrei- tende Gestaltungen“ (Richtlinie (EU) 2018/822) im Amtsblatt der Europä- ischen Union veröffentlicht. Sie trat am 25.06.2018 in Kraft, war bis zum 31.12.2019 in nationales Recht umzusetzen59 und ist von den Mitglieds- staaten spätestens mit Wirkung zum 01.07.2020 anzuwenden.60 Gemäß dem Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EUV)61 ist die Anzeigepflicht auf grenzüberschreitende Gestaltungen beschränkt.62 Auf dieser Richtlinie basiert die Umsetzung in das nationale Recht, auf die an späterer Stelle ge- nauer eingegangen wird.

Entsprechend der Stoßrichtung der OECD-Empfehlung verfolgt die Richtlinie in erster Linie das Ziel, dass die Steuerbehörden der Mitglieds- staaten umfassende und relevante Informationen über potentiell aggressive Steuergestaltungen erhalten. Diese Informationen sollen die Behörden in die Lage versetzen, zeitnah gegen schädliche Steuerpraktiken vorgehen zu können und Schlupflöcher durch den Erlass von Rechtsvorschriften oder durch die Durchführung geeigneter Risikoabschätzungen sowie durch 2.

57 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 18.

58 OECD, Mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report 2015, 55.

59 Art. 2 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2018/822.

60 Art. 2 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2018/822.

61 Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedsstaaten weder auf zen- traler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Uni- onsebene besser zu verwirklichen sind, Art. 5 Abs. 3 EUV.

62 Erwägungsgrund 10 Richtlinie (EU) 2018/822.

(26)

Steuerprüfungen schließen zu können.63 In Erwägungsgrund 7 der Richtli- nie misst der europäische Richtliniengeber der Anzeigepflicht zumindest eine faktische Abschreckungswirkung dadurch zu, dass die Informationen über eine Steuergestaltung die Finanzverwaltung erreichen, bevor die Ge- staltung umgesetzt werden kann. Vordergründig wird mit der Anzeige- pflicht in Form der Richtlinie damit zwar eine Rechtssetzungsfunktion verfolgt, der europäische Richtliniengeber ist sich der faktischen Abschre- ckungswirkung der Anzeigepflicht aber durchaus bewusst.

Eine Abschreckungswirkung, die zwar nicht durch die Anzeigepflicht selbst, sondern durch einen Verstoß gegen sie eintreten soll, wird vom Richtliniengeber bei der Sanktionierung von Verstößen gefordert: Die Richtlinie enthält an verschiedenen Stellen die Aufforderung, dass die Mit- gliedsstaaten durch „erforderliche Maßnahmen“ sicherzustellen haben, dass die Anzeigepflichtigen ihren Verpflichtungen nachkommen.64 Nach Erwägungsgrund 15 der Richtlinie sollen die Mitgliedsstaaten zudem Vor- schriften über Sanktionen erlassen, um die Durchsetzung der im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften si- cherzustellen. Diese Sanktionen sollen wirksam, verhältnismäßig und ab- schreckend sein.65

Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen

Aufgrund der am 31.12.2019 abgelaufenen Umsetzungsfrist erstellte die Bundesregierung einen auf den 04.11.2019 datierten Entwurf eines Geset- zes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Dieses wurde am 12.12.2019 in seiner vom Finanzaus- schuss geänderten Fassung66 beschlossen, am 21.12.2019 im Bundessteuer- blatt Teil I veröffentlicht67 und trat damit rechtzeitig zum 01.01.2020 in Kraft.

Die Regelungen zur Anzeigepflicht sind in die Abgabenordnung inte- griert worden. Entgegen einem zuvor zirkulierenden Referentenentwurf68 3.

63 Erwägungsgrund 2 Richtlinie (EU) 2018/822.

64 Art. 8ab Abs. 1 ff. Richtlinie (EU) 2018/822.

65 Erwägungsgrund 15 der Richtlinie (EU) 2018/822; Art. 1 Nr. 6 Richtlinie (EU) 2018/822.

66 BT-Drs. 19/15876 v. 11.12.2019.

67 BStBl. I 2019, 2875.

68 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen v. 26.09.2019.

(27)

ist eine über grenzüberschreitende Steuergestaltungen hinausgehende An- zeigepflicht für rein nationale Steuergestaltungen nicht eingeführt wor- den. Eine entsprechende überschießende Umsetzung der Richtlinie ist je- doch für die Zukunft nicht ausgeschlossen: So hat das Bundesministerium der Finanzen bereits im April 2018 auf eine schriftliche Frage der FDP- Fraktion im Deutschen Bundestag mitgeteilt, dass es zusammen mit den Ländern prüfe, in welcher Form die Anzeige von rein inländischen Steuer- gestaltungen bei der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/822 berücksich- tigt werden könne.69

Zentrale Vorschrift der Anzeigepflicht ist § 138d AO, der die Pflicht der Intermediäre regelt, grenzüberschreitende Steuergestaltungen mitzuteilen.

Wann eine meldepflichtige Steuergestaltung vorliegt, bestimmt sich nach bestimmten „Kennzeichen“, die in § 138e AO im Einzelnen definiert wer- den. §§ 138f und 138g AO beschreiben das konkrete Verfahren zur Mittei- lung grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Daneben werden die neu- en Regelungen um Vorschriften zur Information der Landesfinanzbehör- den durch das Bundezentralamt für Steuern - BZSt - (§ 138i AO), zur Aus- wertung der Daten grenzüberschreitender Steuergestaltungen (§ 138j AO) und zur Anwendung (§ 138k AO) flankiert. Schließlich werden auch Sank- tionen bei Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Mitteilung von Steuergestaltungen (§ 379 AO) eingeführt.70

Im Wege eines automatisierten Informationsaustausches sollen die ge- sammelten Informationen über Steuergestaltungen zwischen den Mit- gliedsstaaten der EU ausgetauscht werden. Es wurde daher nicht nur die Abgabenordnung geändert, auch das EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG) wur- de angepasst. Die Details der neuen Regelungen werden im Folgenden noch einer inhaltlichen Analyse unterzogen.

Ziel des Vorhabens ist es, Steuervermeidungspraktiken und Gewinnver- lagerungen zeitnah zu identifizieren und zu verringern, um die Erosion des deutschen Steuersubstrats zu verhindern.71 Der Gesetzgeber hat sich dabei von der bereits erwähnten OECD-Empfehlung und der Richtlinie (EU) 2018/822 leiten lassen.72 Im Gegensatz zur OECD-Empfehlung und zur Richtlinie (EU) 2018/822 ist in der Gesetzesbegründung aber weder von einer ausdrücklich vorgesehenen noch einer faktisch in Kauf genom- menen Abschreckungswirkung die Rede. Vielmehr steht die Rechtsset-

69 BT-Drs. 19/1763 v. 20.04.2018, 9.

70 Vgl. dazu auch Ditz, Bärsch, Engelen, DStR 2019, 815.

71 BT-Drs. 19/14685, 1.

72 BT-Drs. 19/14685, 19.

(28)

zungsfunktion im Vordergrund, wobei auch eine veranlagungsunterstüt- zende Funktion verfolgt wird.73

Zwischenergebnis

Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass es das vordringliche Ziel der Anzeigepflicht in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien ist und war, unerwünschte Steuergestaltungen zu identifizieren und dem Gesetzgeber einen zeitlichen Vorteil im Rennen mit dem Steuerpflichtigen zu verschaf- fen. So soll der Gesetzgeber in die Lage versetzt werden, Maßnahmen ge- gen diese Gestaltungen zu ergreifen, bevor diese zu einem fiskalischen Schaden führen. Die Rechtssetzungsfunktion der Anzeigepflicht steht mit- hin nach dem Willen der verschiedenen Normgeber im Vordergrund. In- dem die angezeigten Gestaltungen mit der Veranlagung des Steuerpflichti- gen verknüpft werden, wird zudem die vorgenannte veranlagungsunter- stützende Funktion der Anzeigepflicht mitverfolgt.

Die subjektive Motivation des Gesetzgebers zur Einführung einer Anzei- gepflicht für Steuergestaltungen ist aber nicht notwendigerweise maßgeb- lich für die Einordnung und Würdigung der Anzeigepflicht. Der verfolgte Zweck der Anzeigepflicht muss vielmehr auch in Tatbestand und Rechts- folge der Anzeigepflicht zur Geltung kommen. Fraglich und damit Gegen- stand der weiteren Untersuchung ist, ob dies der Anzeigepflicht in der Form der nationalen deutschen Umsetzung gelingt. Darauf wird noch im Besonderen im dritten Teil der Arbeit (unter B.) eingegangen, indem un- tersucht wird, inwieweit der Tatbestand der Anzeigepflicht in der Lage ist, treffsicher Steuergestaltungen herauszufiltern, bei denen aus rechtspoliti- scher Sicht Änderungsbedarf besteht.

III.

73 BT-Drs. 19/14685, 19.

(29)

In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird kontrovers beurteilt, ob die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen rechtlich zulässig ist. Dies gilt sowohl für die europarechtliche Zulässigkeit als auch für die Rechtferti- gung nach nationalem Verfassungsrecht. Bevor die praktischen Auswir- kungen der Anzeigepflicht untersucht werden, muss zunächst gewürdigt werden, ob die Anzeigepflicht auch rechtlich zulässig ist. Im Folgenden soll daher zunächst dargelegt werden, an welchen rechtlichen Maßstäben sich eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen messen lassen muss, und darauf aufbauend gewürdigt werden, ob die Anzeigepflicht rechtlich zuläs- sig ist.

Vorgaben des Europarechts

Mit dem Erlass der Richtlinie (EU) 2018/822 hat der europäische Gesetzge- ber die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die Anzeigepflicht für Steuerge- staltungen in nationales Recht umzusetzen. Insofern stellt sich die Frage nach der europarechtlichen Zulässigkeit der Anzeigepflicht für Steuerge- staltungen. Hier sind mehrere Punkte zu betrachten. Zunächst ist auf die Gesetzgebungskompetenz des europäischen Gesetzgebers einzugehen. Da- neben ist zu erörtern, in welchem Verhältnis die Anzeigepflicht zu den Grundfreiheiten des AEUV steht. Schließlich ist auf die Grundrechte der EU-Grundrechte-Charta Bezug zu nehmen.

Ermächtigungsgrundlage

Vorschriften des sekundären Unionsrechts müssen mit dem primären Uni- onsrecht in Einklang stehen. Der europäische Gesetzgeber hat seine Ge- setzgebungskompetenz zum Erlass der Richtlinie auf die Generalklausel des Art. 115 AEUV gestützt.74 Danach kann der Rat einstimmig Richtlini- A.

I.

74 Richtlinie (EU) 2018/822 vor den Erwägungsgründen.

(30)

en für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten erlassen, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Nach Aussage der Richt- linie soll die Anzeigepflicht „Behörden in die Lage versetzen, zeitnah ge- gen schädliche Steuerpraktiken vorzugehen und Schlupflöcher durch Rechtsvorschriften oder durch geeignete Risikoabschätzungen und die Durchführungen von Steuerprüfungen zu schließen“75. Stimmen in der Li- teratur schließen daraus, dass die Anzeigepflicht in erster Linie der Siche- rung des Steueraufkommens der Mitgliedsstaaten dienen soll und es so mangels Bezug zum Binnenmarkt schon an einer Regelungskompetenz der EU fehlt.76

Es stellt sich daher die Frage, ob die Harmonisierungsbemühungen des europäischen Gesetzgebers einen hinreichenden Binnenmarktbezug auf- weisen. Dies wäre der Fall, wenn grenzüberschreitende Steuergestaltungen die Funktion des Binnenmarktes gefährden könnten. Dies ist nach hier vertretener Auffassung zu bejahen.

Damit mitgliedsstaatliche Vorschriften nach Art. 115 AEUV angeglichen werden können, müssen sich diese unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken.77 Mit anderen Worten müssen von den mitgliedsstaatlichen Vorschriften störende Einflüsse auf den Binnenmarkt ausgehen.78 Der Begriff der „unmittelbaren“ Auswirkun- gen ist so zu verstehen, dass eine gewisse Spürbarkeit, Wahrscheinlichkeit oder Intensität der Auswirkungen auf den Binnenmarkt erforderlich sind, damit die Union tätig werden darf.79 Der EuGH lässt es dafür genügen, dass die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen geeignet sind, den Binnenmarkt zu beeinträchtigen.80

Andererseits werden im Bereich des souveränitätssensiblen Steuerrechts den Bemühungen, das Recht europaweit zu harmonisieren, mit der Rechtssetzungsautonomie der Mitgliedsstaaten enge Grenzen gesetzt.

Denn im Bereich des Steuerrechts gilt das vom EuGH anerkannte Prinzip der Autonomie der Rechtsordnungen.81 Danach müssen die Mitgliedsstaa- ten ihre Steuerrechtsordnung nicht an diejenigen anderer Mitgliedsstaaten

75 Erwägungsgrund 2 Richtlinie (EU) 2018/822.

76 Stöber, BB 2018, 1559 (1567); kritisch auch Eilers, Sommer, ISR 2019, 75; Patzner, Nagler, IStR 2019, 402 (409).

77 Schröder in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 115 AEUV, Rn. 8.

78 Schröder in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 115 AEUV, Rn. 8.

79 Schröder in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 115 AEUV, Rn. 8.

80 Korte in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 115 AEUV, Rn. 8.

81 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 66.

(31)

anpassen, um Beeinträchtigungen der Steuerpflichtigen zu vermeiden.82 Die Steuerpflichtigen müssen daher negative Folgen, die sich aus einer Rechtsordnung oder aus dem Zusammenwirken parallel fortexistierender Rechtsordnungen ergeben, hinnehmen.83 Disparitäten aufgrund der Steu- erhoheit der Mitgliedsstaaten sind erlaubt und stellen noch keine Beein- trächtigung des Binnenmarktes dar.84 So führen auch unterschiedlich ho- he Steuersätze allein noch zu keiner Beeinträchtigung desselben.85

Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes setzt aber u. a. vor- aus, dass für alle Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaf- fen und gesichert werden.86 Wettbewerb als System dezentraler Entschei- dungsfindung durch Sicherung der Handlungsfreiheit der Wirtschaftssub- jekte ist ein Strukturmerkmal und zentraler Regelungsgegenstand des Uni- onsrechts:87 Nach Art. 119 Abs. 1 AEUV ist die Tätigkeit der Mitgliedsstaa- ten und der Union u. a. dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet. Nach Art. 120 AEUV handeln die Mit- gliedsstaaten und die Union in Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb.

Die Steuerrechtsordnungen der Mitgliedsstaaten können dabei relevante Wettbewerbsfaktoren sein. Zwischen dem wirtschaftlichen Verhalten der Steuerpflichtigen und der staatlichen Gestaltung der Steuerrechtsordnung findet ein stetes Wechselspiel statt, das sich vervielfacht, wenn – insbeson- dere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten – die Steuerrechtsordnun- gen mehrerer Staaten ins Kalkül zu ziehen sind.88 In dem Maße, in dem sich die nationalen Steuerrechtsordnungen unterscheiden, bilden sie für die Unternehmen und anderen Steuerpflichtigen Anreize zu Steuergestal- tungen.89

Die Funktionsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes wird somit tangiert, wenn und soweit Steuergestaltungen zu Verzerrungen des Wett-

82 EuGH v. 12.02.2009 – C-67/08, Margarete Block, Slg. I 2009, 885; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 66.

83 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 66.

84 Kokott, IStR 2019, 123 (130).

85 Kokott, IStR 2019, 123 (130).

86 Vgl. Schröder in: Streinz EUV/AEUV, Art. 115 AEUV, Rn. 9.

87 Gröpl in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 48. Lieferung 07.2019, Abschnitt J. Steuerrecht, Rn. 2.

88 Gröpl in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 48. Lieferung 07.2019, Abschnitt J. Steuerrecht, Rn. 1.

89 Gröpl in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 48. Lieferung 07.2019, Abschnitt J. Steuerrecht, Rn. 1.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

If the Contracting States merely adopt the sample Mutual Agreement on Arbitration as proposed by OECD and, in a given case, the issue of the seat arises (removal of an

1 KSchG (ein Monat nach Eingang der Anzeige) maßgeblich ist. Nach einer neueren Entscheidung des BAG beginnt die Freifrist erst nach Ablauf der Sperrfrist. 42 Somit hätte

Andreas Fuchs and Angelika Mueller Discussant: Sarah Langlotz. Does development aid increase

The particular focus of the 2017 annual con- ference will be on public finance and development, including (but not restricted to) research on:. ͮ Economic development and the

252/20 bestä- tigt: Laut diesem Urteil, besteht ein wichtiger Kündigungsgrund und Anspruch auf Schadenersatz, wenn ein Handelsvertreter noch während der Vertragsdauer sowie nach

Die Übertragung eines Betriebes (oder eines Betriebszwei- ges) kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, wenn der Kaufvertrag die Abtretung der Anlage und anderer

Diesbezüglich hob das Gericht hervor, dass es sich bei dem einen Rechts- institut um eine vorzeitige Schadensbezifferung und bei dem anderen um eine Sanktion für die

Stand: 02.06.2016 | Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt | Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden | © KÜFFNER MAUNZ LANGER