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Aktuelle Themen. Rentenreform 2001: Ende einer Illusion. Themen international Economics 12. Oktober Nr. 220

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Aktuelle Themen

12. Oktober 2001 Nr. 220

Themen international

Deutsche Bank Research Frankfurt am Main Deutschland

E-mail: marketing.dbr@db.com Fax: +49 69 910-31877

DB Research Management Axel Siedenberg

Norbert Walter Editor:

Ulrich Schröder +49 69 910-31704 ulrich.schroeder@db.com Publikationsassistenz:

Burgitta Scheurer +49 69 910-31711 burgitta.scheurer@db.com Internet:

http://www.dbresearch.de

Rentenreform 2001: Ende einer Illusion

• Mit der Rentenreform 2001 hat die Bundesregierung Schluss gemacht mit der jahrzehnte lang genährten Illusion, der Staat könne für alle Zeiten eine lebens- standardsichernde Altersrente – sprich: 70 % des letzten Nettolohns – gewähr- leisten. Achtung verdient auch die beschlossene Förderung privater Vermögens- bildung zum Zwecke der Alterssicherung.

• Doch das Thema Alterssicherung ist damit nicht vom Tisch – im Gegenteil: Schon die Annahmen der Reform widersprechen der Lebenswirklichkeit: eine Nettozu- wanderung nach Deutschland von jährlich 250.000 bis 300.000 Menschen, eine Halbierung der Zunahme der Lebenserwartung in den kommenden 30 Jahren gegenüber den zurückliegenden 30 Jahren, ein Rückgang der Arbeitslosenquote auf 3 % in den nächsten 25 Jahren etc.

• Das Problem der Alterssicherung geht im wesentlichen auf die seit 1970 drama- tisch sinkenden Geburtenraten bei gleichzeitig sinkender Sparquote zurück – anders ausgedrückt: die Deutschen investierten immer weniger in Human- und Realkapital. Im Jahr 2040 werden 40 % der Bevölkerung älter als 60 Jahre alt sein, 10 % älter als 80. Soll ihr relativer Lebensstand nicht sinken, müsste bei realistischen Annahmen und rein beitragsfinanzierter Alterssicherung der Bei- tragssatz dann bei 42 % liegen. Welche Generation von Erwerbstätigen wäre bereit, das zu finanzieren?

• Die Absenkung des Rentenniveaus ist unumgänglich. Von heute ca. 70 % wird es bis zum Jahre 2030 auf ca. 60 % des letzten Nettoeinkommens absinken, und diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Um die Versorgungslücke zu stopfen, muss mehr geschehen, als die Bundesregierung jetzt mit ihrer Rentenreform in Aussicht gestellt hat.

• Der Trend im Bereich der Alterssicherung ist eindeutig: Die private Vermögens- bildung erhält einen ungleich höheren Stellenwert als bisher. Der umlage- finanzierte, staatlich-organisierte Teil wird sich von Reform zu Reform zunehmend zu einer solidarischen Grundsicherung umbilden.

• Die Reformnotwendigkeit ist auch eine Chance. Der nicht mehr als aktiv gelten- de Bevölkerungsteil bleibt nun ein Leben lang am Wertschöpfungsprozess be- teiligt. Er ändert nur seine Beteiligungsform. Während die Jüngeren vorwiegend ihre Arbeitskraft einbringen, bringen die Älteren ihr Vermögen ein. Dem Unwort

„Altenlast“ wird so die Grundlage entzogen werden – auch ein Vorteil einer Reform, die auf dem richtigen Wege, aber noch lange nicht am Ziel ist.

Vortrag von Professor Dr. Meinhard Miegel, geschäftsführender Vorstand des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, Bonn, gehalten vor Führungskräften der Deutschen Bank AG am 22. August 2001 in Frankfurt am Main. Gastautoren vertreten ihre eigene Meinung, die nicht notwendigerweise die von Deutsche Bank Research ist.

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Rentenreform 2001: durchaus beachtlich

Ein Berg kreißte und gebar mehr als nur ein Mäuslein. Was die Bundes- regierung mit ihrer Rentenreform 2001 auf den Weg gebracht hat, ist durchaus beachtlich und es liegt mir fern, ihre Leistung klein zu reden.

Zwei Aspekte verdienen besondere Beachtung und im bisherigen poli- tischen Umfeld sogar Hochachtung:

Mit dieser Reform hat die Bundesregierung Schluss gemacht mit der jahrzehntelang genährten Illusion, der Staat könne für alle Zeiten eine lebensstandardsichernde Altersrente, sprich eine Altersrente in Höhe von etwa 70 % des letzten Nettolohns gewährleisten. Dass er das im Hinblick sowohl auf den Bevölkerungsaufbau als auch den Arbeitsmarkt nicht kann, pfiffen zuletzt die Spatzen von den Dächern. Aber viele Poli- tiker, namentlich Sozialpolitiker und zwar in allen Parteien, sträubten sich gegen diese Einsicht und manche sträuben sich auch weiter. Des- halb verlangte es Mut und Durchsetzungskraft, sich auf diese Weise von der lebensstandardsichernden, gesetzlichen Rente zu verabschie- den.

Die Hochachtung, die diese Leistung verdient, wird allerdings durch die Tatsache gemindert, dass die Bundesregierung ganz buchstäblich in letzter Minute – in der Nacht vor der Verabschiedung ihres Gesetzes- werkes im Bundestag – doch noch ein Stück weit vor den Traditionalisten eingeknickt ist, die die Veränderungen der Wirklichkeit, auch der Renten- wirklichkeit, nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Auf Druck der Gewerk- schaften stellte sie den Versicherten bis zum Jahre 2030 ein Renten- niveau von 67 % ihrer letzten Bruttoeinkommen in Aussicht, eine Aus- sicht, die – wie noch zu zeigen sein wird – völlig wirklichkeitsfern ist.

Das ist mehr als ein Schönheitsfehler im rentenpolitischen Gesamt- kunstwerk. Aber immerhin. Einiges wurde bewegt.

Der zweite Aspekt, der Beachtung und Hochachtung verdient, ist die nunmehr beschlossene staatliche Förderung privater Vermögensbildung für Zwecke der Alterssicherung. Dass dieses Förderkonzept noch ver- besserungsfähig ist, wissen alle, die sich mit ihm näher befasst haben.

Es steckt voller Fallstricke und enthält manche Ungereimtheit, auf der ich herumreiten könnte. Warum beispielsweise wird nur die Vermögens- bildung abhängig Beschäftigter staatlich gefördert und nicht auch die von Selbständigen, die ja mit ihren Steuern zu dieser Förderung maßgeb- lich beitragen? Doch ich will solche kritischen Fragen dahingestellt sein lassen und mich ausschließlich dem Positiven zuwenden, nämlich dem politischen Bekenntnis, dass durch die Bildung privater Vermögen besser und leichter für das Alter vorgesorgt werden kann als durch das umlagefi- nanzierte Rentensystem. Wäre es anders hätte die Bundesregierung, wie insbesondere von Gewerkschaftsseite hartnäckig gefordert, die künftige private Sparleistung – immerhin 4 % des Bruttolohns im Jah- re 2008 – dem Rentenbeitrag zuschlagen können. Dass gerade eine sozialdemokratisch geführte Regierung das nicht getan hat, ehrt sie und spricht für ihre ökonomische Einsichtsfähigkeit.

Doch ist damit das Thema Alterssicherung – gesetzlich und privat – für die nächsten 30 Jahre vom Tisch? Die Bundesregierung will uns das glauben machen. Ich kenne aber niemanden, auch nicht in Regierungs- kreisen, der diesem Glauben anhängt. Zu viel spricht dagegen.

Drei Hürden sind zu überwinden

Die erste: Schon gegen Ende des Jahres wird das Bundesverfassungs- gericht über die Gleichbehandlung von Renten und Pensionen entschei- den und auch wenn hierbei aller Voraussicht nach erhebliche Übergangs- fristen vorgesehen werden, wird die Entscheidung nicht ohne Rückwir- kungen auf den derzeitigen Gesetzestext bleiben.

Positiv: Abschied von der lebens- standardsichernden Rente ...

... und Bekenntnis zur privaten – staatlich geförderten – Vorsorge

Bundesverfassungsgericht entschei- det über Gleichbehandlung von Renten und Pensionen

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Die zweite Hürde ist die Opposition. Sie hat sich darauf festgelegt, den

„Rentenmurks“, wie sie die Reform nannte, bei der nächsten sich bie- tenden Gelegenheit aus der Welt zu schaffen. Wann diese Gelegenheit sein wird, weiß niemand. Zur Zeit scheint sie in weiter Ferne zu liegen.

Aber in der Politik drehen sich die Räder noch schneller als anderswo.

Was heute oben steht, kann morgen schon ganz unten liegen, und dann ist eben auch die nächste Rentenreform fällig.

Schließlich die dritte und höchste Hürde: die Lebenswirklichkeit. Wenn diese Reform nicht schon zuvor gestürzt ist, wird sie spätestens an ihr scheitern. Die Lebenswirklichkeit ist nämlich deutlich anders, als sie von den Reformatoren gesehen worden ist. Denn diese haben, um den Änderungsbedarf möglichst gering zu halten, Annahmen getroffen, die – vorsichtig formuliert – erklärungsbedürftig sind. Zum Beispiel: Kann Deutschland dauerhaft eine Nettozuwanderung von jährlich 250.000 bis 300.000 Menschen vornehmlich aus außereuropäischen Ländern ver- kraften? Wird sich die Zunahme der Lebenserwartung in den kommen- den 30 Jahren gegenüber den zurückliegenden 30 Jahren halbieren und wenn ja, warum? Wird die Arbeitslosenquote in den kommenden 25 Jah- ren wirklich auf 3 % zurückgehen? Ist davon auszugehen, dass trotz rückläufiger Bevölkerungszahl die Zahl der Erwerbstätigen in den nächs- ten 25 Jahren stetig steigt? Und wird sich der Anteil von Vollzeitarbeits- plätzen im Gegensatz zur bisherigen Entwicklung nicht weiter vermin- dern? Nur wenn alle diese und einige weitere Fragen mit einem unein- geschränkten Ja beantwortet werden können, ist das Zahlenwerk der Bundesregierung schlüssig. Anderenfalls fällt es früher oder später wie ein Kartenhaus zusammen und die nächste Reform ist fällig, gleichgültig, welche Parteien in Deutschland die Regierungsverantwortung tragen.

Das Thema Alterssicherung ist deshalb mit dieser Reform keineswegs abgehakt. Es bleibt auf der politischen Tagesordnung und wird von Jahr zu Jahr sogar noch brennender werden. Schon jetzt zeigt sich erster Korrekturbedarf, obwohl das Gesetz erst wenige Monate in Kraft ist.

Die Vorhersage, der Beitragssatz würde nächstes Jahr gesenkt werden, kann nach menschlichem Ermessen nicht mehr eingelöst werden. Zu- gleich steigt der Steuerzuschuss viel stärker als angenommen.

Worauf gilt es sich einzustellen?

Um diese Frage beantworten zu können, sind zunächst die eigentlichen Dimensionen der Herausforderung zu klären. Beginnen wir mit wenigen demographischen Grunddaten.

Der letzte Jahrgang, der sich in Deutschland in der Zahl seiner Kinder noch voll ersetzte, d. h. ökonomisch gewendet, bestandserhaltendes Humankapital gebildet hat, war der Jahrgang 1892. Seitdem war die Zahl der Kinder stets kleiner als die der Eltern. Bis etwa 1970 wurden aber immerhin noch neun von zehn Kindern geboren, die zur Bestandser- haltung erforderlich waren. Hierauf können sich die heute über 60-jäh- rigen und mehr noch die über 70-jährigen berufen. Sie können geltend machen, mit der Zahl ihrer Kindern im Großen und Ganzen noch ausrei- chend für ihr Alter vorgesorgt zu haben.

Das können die heute Jüngeren nicht mehr. Anfang der siebziger Jahre brach die Geburtenrate fast schlagartig von 90 auf 66 % der Bestandser- haltungsrate ab. Seit dieser Zeit treten an die Stelle von drei Erwachse- nen im zeugungs- und gebärfähigen Alter nur noch zwei Kinder. Die Kindergeneration ist also zahlenmäßig ein Drittel kleiner als die Elternge- neration. Hierfür ist ursächlich, dass ein Viertel der Zeugungs- und Ge- bärfähigen überhaupt kein Kind und ein weiteres Viertel nur noch ein Kind hat. Um ein solches Geburtendefizit auszugleichen, müsste die

Opposition stellt Reform in Frage

Revisionsbedarf zeichnet sich ab

Thema Alterssicherung bleibt auf der Tagesordnung

Heutige Kindergeneration zahlen- mäßig ein Drittel kleiner als Elterngeneration

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verbleibende Bevölkerungshälfte durchweg drei und vier Kinder haben.

Davon kann jedoch keine Rede sein. Die meisten Haushalte haben nur zwei Kinder und hieran wird sich auch (trotz Titelgeschichten im Spiegel) vorerst wenig ändern. Nicht auszuschließen ist sogar, dass die Geburten- rate weiter sinkt. Die heute 30-Jährigen haben jedenfalls noch weniger Kinder, als die heute 40-Jährigen vor zehn Jahren hatten.

Nun wäre das nicht weiter problematisch, wenn die seit etwa 1970 Erwerbsfähigen die Mittel, die sie nicht in Kinder investiert haben, an anderer Stelle investiert hätten. Denn in gewissem Umfang kann – zumindest mit Blick auf den materiellen Lebensstandard – Human- kapital durch Real-, vor allem aber durch Produktivkapital ersetzt werden, und es gibt ja durchaus einsichtige Gründe, die Bevölkerungsdichte in so dicht besiedelten Räumen wie Deutschland und Europa ein wenig aufzulockern. Doch das genaue Gegenteil ist geschehen. Die jetzt 30 bis 60-Jährigen – wie sich die Jüngeren verhalten werden, ist derzeit noch unklar – „schenkten“ sich nicht nur Investitionskosten in Human- kapital in gigantischer Höhe – jährlich sind das etwa 120 Mrd. DEM, seit 1970 insgesamt rund 3.000 Mrd. DEM –, zugleich senkten sie auch ihre Sparquote. Widersinniger hätte sich eine Generation nicht verhalten können.

Eine einfache Rechnung mag das verdeutlichen. 1970, als die Eltern- generation noch 90 % der bestandserhaltenden Kinderzahl großzog, lag die Sparquote bei 14,7 % der verfügbaren Einkommen. Mit dem Rückgang der Geburtenrate sank sie bis 2000 auf 9,8 %. Noch deutlicher wird der Einbruch, wenn auch die unterschiedlichen Investitionen in Kinder berücksichtigt werden, also gewissermaßen eine Humankapital- Sparquote gebildet wird. Dann steigt die „Sparleistung“, die 1970 erbracht wurde, auf 15,9 % und fällt 2000 auf 5,8 %. Das entspricht einem Rückgang der „Ersparnisse“ in Human- und Realkapital von annähernd zwei Dritteln binnen einer Generation.

Damit nicht genug. In den zurückliegenden 30 Jahren wurde – gemes- sen an der allgemeinen Einkommensentwicklung – nicht nur immer weniger Vermögen gebildet, sei es in Gestalt von Kindern oder Real- kapital. Zusätzlich verschuldeten sich die öffentlichen Haushalte – häufig für konsumtive Zwecke. Auch diese Last muss vorwiegend von den jetzt und künftig Erwerbsfähigen getragen werden.

Zu glauben, die jeweils erwerbsfähige Generation könne kraft Gesetzes gezwungen werden, unter diesen Bedingungen die jeweils alte aus- kömmlich zu versorgen, ist zumindest leichtfertig. Die Jungen werden nur tragen, was ihnen angemessen erscheint. Und auch der Appell an eine gerechte Lastenverteilung zwischen Jung und Alt dürfte wenig Widerhall finden. Sollten die künftig Erwerbsfähigen größere Lasten tragen als die heutigen, wäre dies ein reiner Gnadenakt und kein ein- klagbarer Akt sozialer Gerechtigkeit.

Sozial gerecht wäre es, wenn die künftig Erwerbsfähigen für Zwecke der gesetzlichen Rentenversicherung relativ nicht stärker belastet wer- den als die gegenwärtig Erwerbsfähigen. Wie sieht deren Belastung aus?

Wie hoch werden die Lasten sein, die auf die künftig Erwerbstätigen zukommen?

Derzeit sind knapp 22 % der Bevölkerung nicht mehr am Arbeitsprozess beteiligt. Ihnen fließen über Transfers wie Renten, Pensionen oder Sozial- hilfe sowie Vermögenseinkommen einschließlich Vermögensverzehr reichlich 20 % aller erwirtschafteten Güter und Dienste, des BIP, zu.

Zwei Drittel dieses Mittelstroms gelangen über öffentliche Transfers an

Lastenverteilung zwischen Jung und Alt auf dem Prüfstand

Viel weniger Investitionen in Human- kapital ...

... und gleichzeitig niedrigere Spar- quote

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die Empfänger, ein Drittel über private Vermögen und – sehr beschei- dene – private Transfers.

Bis 2040 wird der Anteil der nicht mehr am Arbeitsprozess Beteiligten – bei einer unterstellten Zuwanderung von 100.000 Erwerbsfähigen jährlich und einer Verschiebung des Renteneintritts um zwei Jahre – von derzeit knapp 22 % auf 36 %, also um etwa zwei Drittel, steigen.

Ursächlich hierfür ist neben dem Rückgang der Zahl der Jungen die erfreuliche Tatsache, dass die Alten immer älter werden. Auch dazu einige Zahlen:

Heute sind 3,1 Millionen Menschen älter als 80, davon knapp 500.000 älter als 90 und etwa 5.000 älter als 100 Jahre. In einer Bevölkerung, die zahlenmäßig um mehrere Millionen Menschen abnehmen wird, werden 2040 6,9 Millionen über 80 Jahre alt sein, davon 1,4 Millionen älter als 90 und schätzungsweise 100.000 älter als 100 Jahre. Binnen 40 Jahren wird sich also die Zahl der über 80-jährigen weit mehr als verdoppeln, die Zahl der über 90-jährigen annähernd verdreifachen und die Zahl der über 100-jährigen verzwanzigfachen. Fast 40 % der Bevöl- kerung werden dann älter als 60, 10 % älter als 80 Jahre sein. Dabei verweist die Medizin darauf, dass diese Hochrechnungen recht konser- vativ seien. Die Zunahme des alten Bevölkerungsteils könne auch noch sehr viel deutlicher ausfallen.

Soll der relative Lebensstandard aller dieser künftig Alten gegenüber heute nicht sinken, muss ihnen nach den Gesetzen der Mathematik statt eines Fünftels aller Güter und Dienste im Jahre 2040 reichlich ein Drittel zufließen. Wahrscheinlich wird es sogar mehr sein müssen, da ein so großer Altenanteil hohe Anforderungen an das bekanntlich teure Gesundheits- und Pflegewesen stellt. Aber belassen wir es der Einfach- heit halber bei einem Mittelbedarf von rund einem Drittel des BIP. Das bedeutet gegenüber heute einen Anstieg von zwei Dritteln von rund 20 % auf rund 33 % des Bruttoinlandsprodukts. Und bleibt es bei dem jetzt gültigen Reformwerk, würde auch noch im Jahr 2040 der weitaus größere Teil dieses Mittelbedarfs – schätzungsweise 18 % des Bruttoin- landsprodukts – durch öffentliche Transfers an den alten Bevölkerungsteil gelangen.

Hier sollten wir für einen Moment innehalten und darüber nachden- ken, was das bedeutet. Die heute Erwerbsfähigen ächzen und stöh- nen, wenn sie den Alten reichlich ein Achtel der erwirtschafteten Güter und Dienste zukommen lassen. Um den Verdruss der aktiven Genera- tion zu mildern, unternimmt die Politik alles, um die wahren Kosten des gesetzlichen Alterssicherungssystems zu verschleiern. Würde die Bevölkerung sie kennen, wäre der Widerstand hiergegen wahrschein- lich unüberwindlich.

Auch dazu eine einfache Zahl. Würde der gesamte Aufwand der gesetz- lichen Rentenversicherung in ihrer derzeitigen Form ausschließlich über Beiträge finanziert, läge der Beitragssatz derzeit bei 28 %. Hinzu kom- men die Steuerlasten für die Finanzierung der Pensionen und der Sozial- hilfe für Alte. Bliebe es bei der Riester-Rente und würde sie ausschließ- lich über Beiträge finanziert, müsste der Beitragssatz bei den recht unrealistischen Annahmen der Regierung bis 2040 auf 34 % und bei etwas realistischeren Annahmen auf 42 % der Bruttoeinkommen stei- gen. Auch hier kämen noch wachsende Steuerlasten für die Pensionen und die Sozialhilfe für Alte hinzu. Darüber hinaus müssten die Bürger auch in diesem Szenario vermehrt private Vermögen bilden, wenn sie im Alter ihren Lebensstandard aufrecht erhalten wollen. Das alles ist nicht sehr realistisch. Ganz offenkundig hat die Regierung mit ihrem Reformwerk zwar einen beachtlichen Schritt gewagt, aber noch nicht

Im Jahr 2040 werden 40 % der Bevölkerung älter als 60, 10 % älter als 80 Jahre sein

Beitragssatz müßte heute bei aus- schließlicher Beitragsfinanzierung bei 28 % liegen ...

... und 2040 bei 42 % der Bruttoein- kommen

Transferbedarf steigt

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das Alterssicherungssystem geschaffen, auf das sich die jetzt aktive Generation verlassen könnte. Die heute Jüngeren werden mit an Sicher- heit grenzender Wahrscheinlichkeit im Alter nicht durch dieses System versorgt werden.

Was wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten geschehen?

Die große Linie ist: Absenkung des Rentenniveaus bei steigenden Bei- tragssätzen, was zwangsläufig zu einer Verschlechterung des Beitrags- Leistungs-Verhältnisses führt. Die Folgen sucht die Bundesregierung möglichst zu verschleiern. Würde sie der Bevölkerung ein ungeschmink- tes Zahlenwerk vorlegen, müsste sie mit einem massiven Druck „raus aus der gesetzlichen Rentenversicherung“ rechnen. Um das zu vermei- den, sollen die Beitragssätze durch Steuerzuschüsse künstlich niedrig gehalten werden oder genauer bis 2030 nicht über 22 % der Bruttolöhne steigen und die Absenkung des Rentenniveaus möglichst unauffällig erfolgen. Dabei geht die Bundesregierung recht trickreich vor.

Die Rente wird wieder – wie vor 1992 – der Bruttolohnentwicklung ange- passt. Allerdings findet diese nur „modifiziert“ Anwendung. Die Brutto- lohnveränderung wird modifiziert, um die Belastungsveränderung des Rentenversicherungsbeitrags sowie des Aufwandes für die staatlich geförderte Zusatzvorsorge, die ab 2002 jedes zweite Jahr um 1 % des Bruttolohns steigt, bis auf insgesamt 4 % im Jahre 2008. Angenommen, der Bruttolohn steigt in einem gegebenen Jahr um 2,6 %, der Renten- versicherungsbeitrag um 0,1 % und der Aufwand für die private Vorsorge um 1 %, dann steigt die Rente um 1,5 %: 2,6 - 0,1 - 1,0. Auf diese Weise steigen die Renten langsamer als die Bruttolöhne. Das Renten- niveau sinkt.

Ab 2011 werden dann nur noch 90 % der Bruttolohnsteigerungen bei der Rentenanpassung berücksichtigt. Der Effekt ist ähnlich wie bei den Maßnahmen bis 2010: das Rentenniveau sinkt weiter. Die kritische Frage ist: wie weit sinkt es? Hierauf hat die Bundesregierung keine Antwort.

Sie sagt: Nicht unter 67 % für den Eckrentner, also den Versicherten, der 45 Jahre lang ein Durchschnittseinkommen erzielt hat. Sie ist sich ihrer Sache aber nicht sicher. Deshalb fordert sie den Gesetzgeber aus- drücklich zum Handeln auf, sollte das Rentenniveau doch unter 67 % fallen.

Dass dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall sein wird, ist unter fast allen Experten einschließlich des Verbandes Deut- scher Rentenversicherungsträger Konsens. Sie gehen von einem Rück- gang auf eher 64 oder allenfalls 65 % aus und zwar bis 2030. Diese Rückführung soll nun durch den Aufbau eines staatlich geförderten pri- vaten Vermögensstocks nicht nur kompensiert, sondern überkompen- siert werden. Aufgrund dieser Maßnahmen soll – so die frohe Bot- schaft – der Bürger im Alter nicht nur ebenso gut, sondern noch besser versorgt sein als heute. Das klingt gut. Aber stimmt es auch? Denn was hier in Aussicht gestellt wird, grenzt an Zauberei.

Wie hoch wird das Rentenniveau noch sein können?

Bleiben wir bei den Fakten. Zunächst einmal gilt die Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf realistisch 64 % nur für den sogenannten Eckrentner. Hinzu kommt, dass der Rückgang des Rentenniveaus mit dem Jahr 2030 nicht zum Stillstand kommt. Wie alle Kundigen wissen, werden die dreißiger Jahre besonders schwierig werden. Spätestens dann wird die Eckrente mehr oder minder deutlich gegen 60 % des letzten Nettoeinkommens tendieren.

Bundesregierung: Rentenniveau darf für den Eckrentner nicht unter 67 % des letzten Bruttolohns sinken

Staatlich geförderter Vermögensauf- bau soll Rückgang kompensieren

Aber: ab 2030 wird Eckrente gegen 60 % des letzten Nettolohns tendieren

Verschlechterung des Beitrags- Leistungsverhältnisses

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Noch viel bedeutsamer ist jedoch, dass die überwältigende Mehrheit der heutigen und mehr noch der künftigen Rentner keine Eckrentner sein werden. Die wenigsten arbeiten noch 45 Jahre – die durch- schnittliche Lebensarbeitszeit liegt heute bei nur noch 37,5 Jahren mit weiter fallender Tendenz – und die meisten erzielen während dieser Zeit auch nicht ununterbrochen ein Durchschnittseinkommen. Ein Drittel aller abhängig Beschäftigten geht bereits jetzt nur noch einer Teilzeit- arbeit oder einer geringfügigen Beschäftigung nach, und dieser Anteil wird noch im Laufe dieses Jahrzehnts auf die Hälfte der abhängig Be- schäftigten ansteigen. Der Eckrentner, auf den die ganze Argumentation der Bundesregierung aufbaut, wird damit endgültig zur Fiktion.

In Wirklichkeit liegt schon jetzt das Rentenniveau von Haupteinkom- mensbeziehern bei nur noch 59 % des letzten Nettoeinkommens. Bei Nicht-Haupteinkommensbeziehern liegt es zum Teil sogar erheblich niedriger. Dieses Rentenniveau wird sich bereits ohne Eingriffe des Gesetzgebers aufgrund der soeben erwähnten Veränderungen der Er- werbsarbeit weiter mindern. Das aber heißt, dass mit diesen Eingriffen für die große Mehrheit der Bevölkerung das Rentenniveau auf 50 % und weniger des Nettoeinkommens zurückgehen wird. Darauf gilt es sich einzustellen: Binnen einer Generation sinkt das staatlich gewähr- leistete Versorgungsniveau von heute noch verbreitet 70 % in der Regel auf etwa 50 %. Das ist der realistische Entwicklungspfad. Alles andere sind bunte Träume.

Damit ist nicht, wie die Bundesregierung nahe legt, im Laufe der Zeit ein Versorgungsloch von 3 Prozentpunkten zu stopfen, sondern – wenn an einem Versorgungsniveau von 70 % des letzten Nettoeinkommens festgehalten wird – von 20 Prozentpunkten. Soll das Versorgungsniveau gar auf 80, 90 oder 100 % steigen – wofür einiges spricht – könnte sich die Lücke bis auf 50 % erweitern. Aber bleiben wir vorerst bei jenen 20 %. Um diese Lücke durch private Vorsorgemaßnahmen zu füllen, muss entschieden mehr geschehen, als die Bundesregierung jetzt mit ihrem privaten Vermögensbildungskonzept in Aussicht stellt.

Mit diesem Konzept ist eine lebensstandardsichernde Versorgung nicht zu erreichen, zumindest nicht für jene, denen nicht noch etwa 40 Jahre für Zwecke der Vermögensbildung zur Verfügung stehen, also alle heute über 25-Jährigen.

Rechnen wir einmal nach. Um eine Lücke von nur 10 Prozentpunkten zwischen gesetzlicher Rente und letztem Nettolohn zu füllen, müssen – bei einem durchschnittlichen Zinssatz von 4 %, nachgelagerter Be- steuerung und einer Versorgungsdauer von 22 Jahren – 40 Jahre lang 2,5 % des Bruttoeinkommens oder 30 Jahre lang 3,1 % oder 20 Jahre lang 4,6 % für Alterssicherungszwecke zurückgelegt werden. Für die- jenigen, die nur noch einen Vermögensbildungshorizont von vielleicht 25 Jahren haben und in dieser Zeit eine Lücke von voraussichtlich 20 Prozentpunkten füllen müssen, heißt das, dass sie ab sofort etwa 8 % ihres Bruttoeinkommens allein fürs Alter sparen müssen. Werden noch andere Sparziele verfolgt, müssen die Sparleistungen entspre- chend höher ausfallen.

Darf ich daran erinnern, dass die Sparquote heute insgesamt nur bei 9,8 % der verfügbaren Haushaltseinkommen liegt, und darf ich ferner darauf hinweisen, dass diese Sparleistung keineswegs von der Bevöl- kerung in ihrer ganzen Breite, sondern nur von einer recht kleinen Minder- heit erbracht wird. Die Folge: die Alterssicherung der Zukunft erfordert eine immense zusätzliche Vermögensbildung breitester Bevölkerungs- schichten. Mit ein paar tausend Mark hier für ein neues Auto und ein paar hundert Mark da für den nächsten Urlaub ist es nicht mehr getan.

Wir treten ein in eine wirklich neue Phase der Vermögensbildung.

Eckrentner wird zur Fiktion

Rentenniveau wird auf 50 % und weniger des letzten Nettoein- kommens zurückgehen

Versorgungslücke zu 70 % des letzten Nettoeinkommens wird also 20- statt 3 Prozentpunkte sein

Erwerbstätige mit einem Vermögens- bildungshorizont von 25 Jahren müssten 8 % fürs Alter sparen

Wirklich neue Phase der Vermögens- bildung

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Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Fürsorge für den alten Bevölke- rungsteil – und nur darum handelt es sich bei den Beitragszahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung einschließlich der dafür bestimm- ten Steuern – noch keine Vorsorge für das eigene Alter ist. Diese Vor- sorge sind immer nur Investitionen, in Kinder oder Realkapital und am besten in beide. Diese einfache Wahrheit wird den Menschen in den nächsten Jahren überdeutlich zu Bewusstsein gebracht werden. Die Rentenreform wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Private Vorsorge muss forciert werden

Als in der Sowjetunion in den zwanziger Jahren die Landwirtschaft kollektiviert wurde, wurden den Bauern kleine Restbestände zur privaten Nutzung belassen. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass auf diesen privat genutzten Restflächen mehr erwirtschaftet wurde als auf den riesigen kollektiv genutzten. Etwas Ähnliches wird sich jetzt im Bereich der Alterssicherung ereignen. Schon in acht bis zehn Jahren, um 2010, werden die abhängig Beschäftigten über Beiträge 20 % und über Steu- ern nochmals 10 % ihrer Bruttoarbeitseinkommen an die gesetzliche Alterssicherung abführen. Zugleich werden viele 4 % ihrer Einkommen für die private Vorsorge zurücklegen. Und schon bald werden sie merken, wie diese 4 % mit Zins und Zinseszins blühen und wachsen, während jene 30 %, die sie für das umlagefinanzierte System aufzubringen haben, ständig an Wert verlieren, d.h. eine Negativrendite erzielen. Das gilt für alle, die heute 30 Jahre oder jünger sind. Sie werden aus der gesetz- lichen Rentenversicherung real weniger herausbekommen, als sie dort- hin einbezahlt haben, und die Älteren werden sich mit Minirenditen von real allenfalls 1 % begnügen müssen. Jene 4 %, die sie zusätzlich spa- ren, werden hingegen mindestens ebenso stark wachsen wie die Volks- wirtschaft insgesamt.

Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann immer mehr Rentenver- sicherte mit großem Nachdruck fragen werden: Wieso werden eigent- lich sieben Achtel unserer Altersvorsorge in einem System umgeschla- gen, in dem sie nicht nur unverzinst, sondern negativ verzinst sind und wieso können wir nur ein Achtel verzinst anlegen? Wer immer dann die politische Verantwortung trägt, wird sich mit der Beantwortung dieser Frage schwer tun. Zwar geht die derzeitige Bundesregierung davon aus, dass auch die Renten real steigen werden. Eine Begründung für diese Annahme gibt sie jedoch nicht. Gegen sie sprechen alle Erfahrungen der zurückliegenden 20 Jahre, und es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass diese Erfahrungen in den kommenden 20 Jahren ihre Gültigkeit verlieren.

Konkret: Von 1980 bis heute hat sich die Kaufkraft der Eckrente praktisch nicht verändert. Wer in diesem Jahr oder vor 10, 15 oder 20 Jahren in Rente ging, erhielt trotz kräftig steigender Abgaben real mehr oder min- der dasselbe, der Eckrentner beispielsweise 2.230 DEM brutto. Der Grund: das durchschnittliche Nettoeinkommen der abhängig Beschäf- tigten, das der Rentenberechnung zugrunde liegt, hat sich in 21 Jahren real kaum erhöht. Zwar sind die Stundenlöhne ständig gestiegen. Doch parallel dazu nahm die Zahl der gearbeiteten Stunden ab. Die Folge:

Die Kaufkraft der abhängig Beschäftigten blieb insgesamt fast unver- ändert, weshalb auch die Kaufkraft der Rentner fast unverändert blieb.

Wo aber ist dann die Wohlstandsmehrung während der zurückliegenden 20 Jahre hingegangen, wenn sie nicht bei den abhängig Beschäftigten und Rentnern angekommen ist? Zum einen ging sie in steigende Trans- fers für eine wachsende Zahl von Alten, Arbeitslosen, Sozialhilfeemp- fängern und anderen. Zum anderen aber ging sie in Vermögenseinkom- men, die heute real fast 2,5-mal so hoch sind wie vor 20 Jahren. Dieser

Zunehmende Attraktivität privater Vorsorge aufgrund positiver Rendite

Gesetzliche Alterssicherung verliert an Akzeptanz

Kaufkraft der Eckrente seit 1980 unverändert

Steigende Transfers ...

... und Vermögenseinkommen

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Anstieg der Vermögenseinkommen hat eine lebhafte gesellschafts- politische Debatte unter dem Motto „Soziale Gerechtigkeit“ ausgelöst.

Ist es sozial gerecht, wenn der Faktor Arbeit am steigenden Wohlstand nur mittelbar durch sinkende Arbeitsstunden, der Faktor Kapital aber dafür umso unmittelbarer in klingender Münze teilhat?

Die Antwort: Diese Entwicklung ist nicht nur sozial gerecht, sie ist auch alternativlos. Denn im gleichen Zeitraum, in dem sich das Arbeitsvo- lumen pro abhängig Beschäftigten um rund 30 % vermindert hat – das ist der Zeitraum von 1960 bis heute – hat sich der Kapitaleinsatz real auf das 3,3-fache pro Beschäftigten erhöht. Da kann es nicht verwun- dern, wenn ein steigender Anteil an der Wertschöpfung an das Kapital und ein sinkender an den Faktor Arbeit fließt. Wäre es anders, müsste die Rendite des Kapitals fortlaufend abnehmen, was bei seiner Verflech- tung offensichtliche Konsequenzen hätte – das Kapital würde sich inner- halb kürzester Zeit verflüchtigen.

An sich ist dieser steigende Kapitaleinsatz und der breiter werdende Strom von Vermögenseinkommen in einer Bevölkerung, deren Alten- anteil sprunghaft wächst, eine ausgesprochen glückliche Fügung. Was kann einer Bevölkerung, deren Muskelkraft – bildhaft gesprochen – schwindet, besseres widerfahren, als dass sie sich zunehmend auf ihr Wissen und Kapital stützt? Ich wiederhole: Das ist eine ausgesprochen glückliche Fügung, die jedoch von vielen noch nicht begriffen worden ist, namentlich von Sozialpolitikern, die die Bevölkerung viel zu lange in das tradierte Alterssicherungssystem gepresst haben. Dadurch sind gerade die Bevölkerungsschichten ins Hintertreffen geraten, deren Spar- fähigkeit durch die Beitragszahlungen an die sozialen Sicherungssys- teme weitgehend absorbiert wird – die wirtschaftlich Schwächeren.

Dieses politisch völlig unannehmbare Ergebnis soll nunmehr durch den Ausbau der privaten Vorsorge ein wenig korrigiert werden. Wesentlich breitere Bevölkerungsschichten sollen durch ihre Spartätigkeit an der steigenden Wertschöpfungskapazität des Kapitals teilhaben. Das ist zu begrüßen. Die Tür zu einer zeitgemäßen Alterssicherung wurde ein wenig geöffnet. Allerdings ist der Spalt zu schmal.

Nach diesem ersten muss zügig ein zweiter und dritter Schritt erfol- gen, damit die Bevölkerung zum einen ihre rasch größer werdenden Versorgungslücken durch private Vorsorge stopfen und zum anderen an der Dynamik des Kapitals teilhaben kann. Dieses eine Achtel der Altersvorsorge, das da in Aussicht genommen worden ist, ist für ein zukunftsfähiges Alterssicherungssystem zu klein. Angemessen und international zunehmend üblich ist es, drei Achtel oder etwa 40 % der Alterseinkommen über private Vermögen zu organisieren.

Damit sind die Horizonte sichtbar, auf die die Deutschen zugehen müs- sen. Im Bereich der Vermögensbildung bleibt noch viel zu tun. Das gilt insbesondere für eine Bevölkerung, die so wenige Kinder großzieht.

Sie muss außergewöhnliche Sparanstrengungen auf sich nehmen, um dieses Defizit auszugleichen.

Was bleibt zu tun?

Erstens muss die Tür zu privater Vorsorge deutlich weiter geöffnet wer- den. Was jetzt geschehen ist, ist besser als nichts, aber nicht annähernd genug. Erst wenn breite Bevölkerungsschichten etwa 8 % ihrer Bruttoar- beitseinkommen für ihre Alterssicherung zurücklegen, ist diese in trocke- nen Tüchern.

Zweitens müssen breite Schichten zu größerer privater Vorsorge befä- higt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Abgaben der Renten- versicherten nicht ständig steigen, sei es offen über Beiträge, die bis

Breitere Bevölkerungsschichten sollen durch private Vorsorge an Dynamik des Kapitals teilhaben

Noch mehr private Vorsorge

Abgabenlast der Rentenversicherten begrenzen

Steigender Anteil des Kapitals an der Wertschöpfung

(11)

2030 auf 22 % klettern sollen, sei es klammheimlich über Steuern.

Daraus folgt:

Drittens muss auch bei sinkendem Rentenniveau – und das ist die zwangsläufige Folge relativ gleichbleibender Belastungen für die Er- werbsfähigen – Altersarmut sicher verhindert werden. Das ist möglich, wenn auch nicht so, wie das jetzt beschlossen worden ist. Die bedarfs- orientierte Grundsicherung oder richtiger Altensozialhilfe, die künftig ge- zahlt werden soll, bedeutet nämlich, dass es von nun an zwei Arten von Rentnern gibt: die einen, die möglicherweise ein ganzes Berufsleben lang Beiträge entrichtet haben, und die anderen, die das nicht getan haben, aber am Tage des Rentenbeginns genauso versorgt werden wie viele Beitragszahler. Diese Altensozialhilfe ist ein ausgesprochener Nega- tivanreiz, sich anzustrengen und zur eigenen Alterssicherung beizu- tragen.

Fazit

Der Bevölkerungsaufbau und die Rolle der Erwerbsarbeit im Wertschöp- fungsprozess ändern sich grundlegend. Die Folge hiervon ist – trotz aller Reformen – der Verfall der tradierten Sozialsysteme, namentlich der gesetzlichen Alterssicherung. Doch jede dieser Veränderungen bein- haltet weitaus größere Chancen als Risiken. So ist die Zunahme der Lebenserwartung zweifellos positiv zu werten. Dass zugleich an die Stelle von Erwerbsarbeit Wissen und Kapital im Wertschöpfungsprozess treten, ist – ich wiederhole es – eine glückliche Fügung. Aber auch der hierdurch bewirkte Verfall des tradierten Systems der gesetzlichen Alters- sicherung ist zumindest mittelfristig keineswegs negativ zu beurteilen.

Denn hierdurch eröffnet sich für breite Bevölkerungsschichten die Mög- lichkeit, sich vermehrt an dem immer bedeutenderen Produktivfaktor Kapital zu beteiligen.

Aus einiger Distanz betrachtet, bilden alle diese Elemente ein in sich schlüssiges Ganzes. Es ist das große Versäumnis der Politik, diese Zu- sammenhänge bislang nur unzureichend erkannt und noch unzureichen- der genutzt zu haben. Hoffen wir, dass sich hieran nunmehr etwas än- dert.

Der Trend im Bereich der Alterssicherung ist eindeutig: Der umlagefinanzierte, staatlich organisierte Teil bildet sich von Reform zu Reform zunehmend um zu einer solidarischen Grundsicherung.

Nur das wirtschaftlich schwächste Drittel der Bevölkerung kann davon ausgehen, dass diese Grundsicherung ausreicht, ihren ge- wohnten – niedrigen – Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Wer nicht zu diesem wirtschaftlich schwächsten Drittel gehört, muss – graduell unterschiedlich – mehr als bisher für sich selbst sorgen.

Die private Vermögensbildung erhält einen ungleich höheren Stellenwert als bisher. Das hat unter anderem den äußerst bedeutsamen Effekt, dass der derzeit noch als nicht mehr aktiv geltende Bevölkerungsteil ein Leben lang am Wertschöpfungsprozess beteiligt bleibt. Er ändert nur seine Beteiligungsform. Während die Jüngeren vorwiegend ihre Arbeitskraft einbringen, bringen die Älteren vorwiegend ihre Vermögen ein. Beide, Arbeitskraft und Vermögen, sind jedoch in entwickelten Volkswirtschaften von ähnlicher Bedeutung. Auch das gilt es bei der Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme im Blick zu behalten:

Dem Unwort „Altenlast“ kann und muss die Grundlage entzogen werden.

Prof. Dr. Meinhard Miegel

Altersarmut verhindern – Altensozialhilfe allerdings der falsche Weg

Neue Strukturen der Altervorsorge beinhalten mehr Chancen als Risiken

Private Vorsorge erhält viel höheren Stellenwert

Umlagefinanziertes System über- nimmt Grundsicherung

(12)

D

ie Alterssicherungssysteme in Europa stehen vor großen Herausforderungen, insbesondere der aus der demografischen Entwicklung resultierenden Aufgabe, den Ansprüchen einer wachsenden Zahl von Rentnern an das Sozialprodukt gerecht zu werden. Die großen EU-Länder auf dem Kontinent sind darauf erst unzureichend vorbereitet. Vor allem in Deutschland müssen die staatliche Rentenver- sicherung grundlegend reformiert und die betriebliche sowie die private Altersversorgung durch ver- besserte Rahmenbedingungen nachhaltig gestärkt werden.

W

ährend in Deutschland das komplexe System der betrieblichen Altersversorgung erhebliche Schwachstellen aufweist, tragen Betriebsrenten in Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz bereits erheblich zu den Alterseinkommen bei. Dies spricht für die in diesen Ländern verbrei- tete Vorsorge mittels Pensionsfonds, die auch in Deutschland zugelassen werden sollten. Durch die recht unterschiedlichen arbeits-, aufsichts- und steuerrechtlichen Arrangements der einzelnen Länder sind wir in Europa jedoch noch weit entfernt von einem Binnenmarkt für Pensionsfonds.

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Rentenreform 2001 - Deutschland auf dem Weg zu einem 12. Juli 2001 wetterfesten Alterssicherungssystem

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