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Prien, am 17. August Meine liebe Christa,

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Academic year: 2022

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(1)

Prien, am 17. August 2021 Meine liebe Christa,

auch wenn ein neues Kapitel unserer Geschichte aufgeschlagen und meine Trauerphase prinzipiell abgeschlossen ist, durchgeisterst Du doch weiterhin meine Träume; so auch heute Nacht. Dabei habe ich keine Erinnerung an einen konkreten Traum, nur das Gefühl Deiner intensiven Gegenwart, und die habe ich genossen in vollen Zügen. Es ist wunderbar, Dich immer wieder derart nah bei mir spüren zu dürfen im Bewusstsein, dass sich dies nie ändern würde. – Es ist genau das, was wir uns zum Abschied versprochen haben, drei Wochen vor Deinem Tod: das aneinander Denken wird nicht aufhören! - In Deinem Durchgeistern meiner Träume löst Du dieses Versprechen Deinerseits immer wieder ein, denkst weiterhin viel an mich. Und ich tu es Dir gleich; habe mir nicht umsonst Gedenkstätten in meinem Zuhause geschaffen, die mein Denken an Dich stets präsent halten. Heute Morgen erwachte ich und hatte den Duft der Rose, die Deinen Namen trägt, in der Nase wie eine liebevolle Umarmung als Guten-Morgen-Gruß. Und tatsächlich steht ja momentan eine

abgeschnittene Rosenblüte neben Deinem Bild auf meinem Esstisch; ich wollte sie gestern dem vorhergesagten Unwetter nicht aussetzen; es sollte sie nicht zerstören! Das Unwetter hat sich zum Glück nicht in Prien ausgetobt – der Rosenduft in meiner Wohnung

ist überwältigend in seiner Süße und Zartheit, und erfreut mich Tag und Nacht. - Die Welt indes gerät zunehmend aus den Fugen: nach den verheerenden Hoch- wassern, den Waldbrand fördernden Hitzewellen mit bis zu 47°C in Südeuropa, hat nun nach dem Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan innerhalb weniger Wochen die Taliban erneut das ganze Land überrollt und eingenommen. Einzig der Flughafen von Kabul scheint noch von den Amerikanern gehalten; erschütternde Szenen spielen sich dort ab. Menschen in Panik stürmen die wenigen Flugzeuge, denen eine Landung gelingt, rennen startenden Maschinen nach, klammern sich verzweifelt an deren Tragflächen, um irgendwie dieses Land verlassen zu können, und stürzen beim Abheben der Maschine unweigerlich in den Tod. FURCHTBAR! – Ganz zu schweigen von der Pandemie, die nicht wirklich in den Griff zu bekommen ist. Israel ist erneut Hochinzidenzgebiet …

Du aber ruhe in Frieden! Du hast ihn Dir verdient! – Viel denke ich an Dich!

Deine Sonja

(2)

Prien, am 25. August 2021 Meine liebe Christa,

gestern und heute habe ich die Fotos bearbeitet, die an Deinem Todestag entstanden sind, just 4 Monate danach. – In einem letzten Anstrengungsversuch hatte ich die Idee, vielleicht auf die mir eigene unkonventionelle Art an eine Corona-Impfung zu kommen, denn der letzte Hoffnungsschimmer, Dich doch noch einmal sehen zu können, war noch nicht ganz erloschen. So war ich mit meiner Freundin, deren Sohn einen Impftermin hatte, auf gut Glück mit nach Rosenheim gefahren. Mein Unterfangen war natürlich chancenlos, und mit Dir im Herzen erkundete ich in der gewonnenen Zeit die Umgebung des Impfzentrums. Es war ein schöner und sonniger Tag, die Tulpen vor dem Kapuzinerkloster leuchteten in unverschämt knalligem Rot; ich schickte sie Dir als letzten Foto-Gruß. Ob Du ihn noch gesehen hast? Gelebt

hast Du auf jeden Fall noch. Vielleicht hat Dein menschlicher Engel ihn Dir gezeigt …? Vielleicht hat das leuchtende Rot ein letztes Lächeln in Deine Seele gezaubert, wer weiß …?

Es war und ist schon etwas ganz Besonderes zwischen uns Beiden, etwas Wunderbares, das nie enden wird … - Ein kostbares Geschenk des Himmels von größtem Seltenheits- wert! – Im Übrigen hat die Gedenkstunde an Dich, „Memento mori“, die ich für November in meiner Priener Pfarrkirche

zusammen mit unserem großartigen Kantor plane, konkrete Formen angenommen:

die Texte sind gewählt und gestoppt, sodass der Kantor nur mehr die Musikstücke aussuchen muss, die meinen Texten den passenden Rahmen geben sollen. – An mir also wird das Projekt „Orgel & Lesung“ nicht scheitern! Ich hoffe so sehr, dass es zur Verwirklichung dieses meines Herzens-Projektes kommen wird!

Entgegen der Wettervorhersage, die Sonnenschein versprach, ist es heute herbstlich kühl und grau; Wäsche gewaschen habe ich trotzdem, in der Hoffnung, dass es zumindest nicht regnen wird …

Immer verbunden mit Dir umarmen sich unsere Seelen. Kürzlich habe ich mir einen sehr schönen Spruch von Aristoteles aus meinem Abreißkalender bewahrt:

„Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern.“ – Tiefste Freundschaft im idealen Sinn!

Alles Liebe - Deine Sonja

(3)

Prien, am 2. September 2021 Meine liebe Christa,

eigentlich wollte ich heute im Zug sitzen, nach Karlsruhe fahren, 2 Nächte dort verbringen, und dann mit der Familie meiner Schwester an die Nordsee reisen.

Eigentlich! – Alles war bestens geplant: auf der Rückfahrt wollte ich die endlos lange Fahrt von Westerland nach Prien, gute 11 Stunden, unterbrechen, um noch ein paar Tage bei meinen Wahl-Geschwistern in Hamburg zu verbringen. Eigentlich! - Pandemie bedingt haben wir uns gefühlte hundert Jahre nicht mehr gesehen, und dieser Besuch ist auch noch nicht ganz gecancelt, im Gegensatz zu Westerland; das werde ich heuer wohl nicht zu sehen bekommen, leider, und so habe ich meine Tickets kostenlos storniert. – Was ist geschehen? Die Gewerkschaft der Lokführer hat einen 5-tägigen Streik ausgerufen, just jetzt! Es fahren nur mehr 40% der Züge, und diese dürften relativ voll werden. Mein lieber Neffe ist zwar vom Gegenteil überzeugt, und möglicherweise ist seine Sicht der Dinge sogar richtig, doch wenn ich eins und eins zusammenzähle, ergibt sich mir eine andere Rechnung und ich erinnere mich an die Bilder und Reportagen vom letzten Streik unlängst. Streik und Pandemie, die ja nach wie vor vorhanden ist mit kontinuierlich steigenden Inzidenzzahlen, das ist für mich eine Komponente zu viel; es reicht schon „entweder – oder“. Und ich sehe Dich mir zustimmend zunicken und höre Dich sagen: “Man muss sich nicht unbedingt in Gefahr bringen, nein?“ – Klar, bin ich geimpft, doch auch eine leichte Corona-Infektion muss ich nicht haben, und die ist trotz Impfung möglich. – Irgendwie bin ich immer noch in einem gewissen inneren Lockdown. Ja, dreieinhalb Stunden nach Wien, das ist kein Problem und MUSSTE sein, doch aus reiner Lust und Tollerei den weiten Weg an die Nordsee, zumal unter den gegebenen Umständen, das muss nicht sein!

Nun verbringe ich einen wunderschönen Spätsommertag in Prien, den ich auch für große Wäsche nutzte. Und über die hohen jüdischen Feiertage (Rosch HaSchana, das jüdische Neujahrsfest) bin ich zuhause, das hat auch was; die nämlich hatte ich bei meiner Urlaubs-Planung nicht auf dem Schirm, wie ich später bemerkt habe…

Wenn schon keine Grüße von der Insel Sylt, so doch umso herzlichere Grüße aus Prien, mit einer innigen Umarmung!

Deine Sonja

(4)

Prien, am 4. September 2021 Meine liebe Christa,

wie gut, dass ich mich entschlossen habe, nicht an die Nordsee zu reisen. Meine liebe Schwester und ihr Mann indes sind unterwegs dorthin, insgesamt über 14 Stunden, HILFE!!! – Da es an diesem Tag lediglich eine einzige Direktverbindung von Hamburg nach Westerland gibt, entsteht ihnen ein etwa vierstündiger Zwangsaufenthalt in der schönen Hansestadt mit einer Ankunft in Westerland kurz nach 22 Uhr. Einkaufen ist also nicht mehr möglich, und der Folgetag ist Sonntag … Und wie voll dieser einzige Direktzug sein würde, möchte ich mir erst gar nicht vorstellen!

Und wieder bemerke ich ein solches Zeichen, wo das mystische Wissen in mir bereits Freitag vor einer Woche „wusste“, dass ich nicht verreisen würde, als ich zu Schabat eine ¾ l-Flasche Wein zum Kiddusch öffnete. Den geöffneten Verschluss in der Hand haltend fiel mir ein, dass ich eigentlich eine kleine Flasche hätte öffnen sollen, da ich kommenden Schabat nicht hier sein würde und mir eine große Flasche stets für zwei Schabat-Wochen dient … - Schon lange habe ich mir abgewöhnt, mich über derartige

„Fehlhandlungen“ zu ärgern, weil die Erfahrung mich gelehrt hat, wie oft zum Guten sich im Nachhinein solch vermeintliche Fehlhandlungen letztlich fügen können; so auch jetzt!

Einen wunderschönen Spätsommer-Nachmittag habe ich mit einer lieben Freundin verbracht. Zunächst besuchten wir die 1472

geweihte Hostienkirche St. Salvator unweit von Prien. Schade nur, dass sie verschlossen war;

lediglich zwei vergitterte Fenster erlaubten einen sehr eingeschränkten Einblick in das barockisierte Innere. Von dort aus führte uns ein Spaziergang zu einer kleinen, ebenfalls

verschlossenen Kapelle mit einer schwarzen Madonna. Und anschließend ratschten wir noch gemütlich bei Kaffee und Kuchen.

Abends gönnte ich mir im Fernsehen die Oper Turandot, eine sehr eindrucksvolle Inszenierung der „Oper im Steinbruch“ aus dem Burgenland, mit einem beachtens- werten, mir völlig unbekannten Calaf (Andrea Shin). Es reizt mich sehr, eine solche Inszenierung an diesem einmaligen Ort einmal live mitzuerleben, schaun wir mal! Von Wien aus gibt es Bus-Shuttles zu diesen Events, hab ich gesehen!

(5)

Ach, Christa, wie gerne würde ich mich mit Dir darüber und über vieles mehr austauschen … - So kann ich Dir nur erzählen, und manchmal habe ich das Gefühl, dass Du mir doch antwortest und mit mir sprichst. Möge es so bleiben! –

Immer mit Dir verbunden Deine Sonja

P.S.: Stell Dir vor, was ich wieder gefunden habe, als ich kürzlich einen Regentag nutzte für meine Steuersachen… Inmitten, gut verwahrt, die einzige Autogrammkarte, die Du mir einmal geschickt hast.

In Karlsruhe hing sie stets gerahmt an einer Wand, bis ich den Rahmen anderweitig brauchte; das war schon während der Vorbereitung zu meinem Umzug nach Prien. Normalerweise lasse ich die alten Bilder hinter den neuen, hier leider nicht, denn ich wollte nicht, dass Du einfach hinter dem anderen Bild verschwindest, und so verwahrte ich Dich in einer Klarsichthülle, die in meinem Steuer- ordner eingeheftet ist, da ich diesen Ordner gewiss nicht verlieren oder entsorgen würde. Nicht dumm gedacht, nur war mir das absolut nicht mehr bewusst. Und die Sehnsucht nach diesem „Stück von Dir“ erwachte erst wieder mit Deinem Tod. Neu gerahmt empfängst Du mich jetzt im Eingangsbereich meiner Diele. Das Haus verliert eben doch nichts! Zum Glück!

Deine Sonja

(6)

Prien, am 7. September 2021 Meine liebe Christa,

wie unglaublich gesegnet ich bin mit Deiner Nähe, die ich tagtäglich neu spüren darf!

Als ich mir vorgestern die Übertragung der „Traviata“ aus Verona anschaute, da sah und hörte ich sie auch mit Deinen Augen und Ohren… Immer warst Du an allem sehr interessiert, so scheint es mir nur natürlich, dass dieses Dein Interesse in mir weiter lebt, und wir fortan alles auf eine ganz besondere gemeinsame Art erleben dürfen.

Dazu sind mir denn gleich folgende Zeilen eingefallen:

Das wird auch am Sonntag in Hamburg geschehen, wenn ich mir die bei Renovie- rungsarbeiten entdeckte ursprüngliche Decke aus der Bauzeit des Brahms- Museums-Gebäudes anschauen werde.

Unsere Hamburger Freundin erzählte Dir davon, und natürlich interessierte Dich das.

Nun ist die Renovierung abgeschlossen,

und im Rahmen des „Tages des offenen Denkmals, wird dieser „Schatz“ erstmals der Öffentlichkeit zugängig gemacht, und da ich, der „himmlischen Regie“ folgend, just über dieses Wochenende zu Besuch bei meinen Wahl-Geschwistern in Hamburg weile, werde ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, und berichten!

Heute und morgen feiern die jüdischen Gemeinden Rosch HaSchana, das jüdische Neujahrsfest. Da ich nun zu Hause bin, feiere ich es ebenfalls und habe mir gestern

„Zimmes“ gekocht, ein traditionelles süßes Karotten-Gericht. Dabei wünscht man sich ein möglichst „süßes“ neues Jahr, und man isst Apfel mit Honig …Schana towah! !הבוטהנש

Von Herzen Deine Sonja

„WIR“ SEIN

Auch schauen mit Deinen Augen und hören mit Deinen Ohren und sprechen mit Deinen Worten – so bist Du lebendig in mir ! Auch denken mit Deinen Gedanken und handeln mit Deiner Entscheidung und leben in unsrer Erinn’rung – so bist Du lebendig in mir ! Mein Sein, mit Dir tief im Herzen:

wir schauen, wir hören und sprechen, wir denken, wir handeln und leben – so sind, und so bleiben wir „WIR“ !

(7)

Prien, am 14. September 2021 Meine liebe Christa,

nun bin ich zurück aus Hamburg mit vielen neuen Eindrücken aus dieser Stadt, die doch auch sehr schön ist, wenngleich sie Wien für mich nie erreichen wird. Wien war schon meine Stadt bevor wir uns begegneten, doch durch die stetig gewachsene tiefe seelische Verbundenheit mit Dir, ist Wien zusätzlich zu all seinen Schönheiten erfüllt wie keine zweite Stadt von zahllosen wunderbaren Erinnerungen an gemeinsam erlebte Stunden, sei es als Zuhörende bei Deinen Liederabenden oder einer Opern- aufführung an der Wiener Staatsoper, oder, wie es sich in den letzten Jahren regelmäßig ergeben hat, auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch bei Dir zu Hause. – Doch eine der eindrucksvollsten Begegnungsszenen fand tatsächlich vor vielen Jahren in der Hamburger Staatsoper statt: hier nämlich wolltest Du mir keines Deiner Fotos geben, die Du gerade an Deine Fans verteiltest, weil Du der Überzeugung warst, dass ich kein Foto von Dir bräuchte, da ich ja Dich hätte … Von Anfang an wusstest Du Unterschiede zu machen. Manchmal mochte ich das gar nicht glauben, aber es war tatsächlich so.

Am Sonntag kamen wir gerade noch rechtzeitig am Brahms-Museum an; hatte doch der anstehende Marathon so manch zeitfressende Umleitung von uns gefordert. – Neugierig haften sich meine Blicke an der neu entdeckten

Decke im Entrée fest, die in einem Deckenfenster optimal beleuchtet großartig zur Wirkung kommt. Ein kurzer Filmbeitrag gibt detaillierten Aufschluss über die Entdeckung und Restaurierung des hinzugewonnenen Schatzes. Ein hölzernes Brahms-Puzzle erinnert an diesen Tag des offenen Denkmals, ein weiteres Stehrum; ich habe es in die Vitrine

meines Buffets gestellt, so muss ich es wenigstens nicht abstauben…

Wie ich heute Morgen die Rose, die Deinen Namen trägt, gieße, sehe ich, dass sie in meiner Abwesenheit vier neue Triebe angesetzt hat! Und Arleens Rose hat

zwei ihrer Knospen geöffnet; eine habe ich abgeschnitten und neben Deinem Foto auf meinem Esstisch platziert.

Einmal mehr umarmen unsere Seelen einander!

Deine Sonja

(8)

Prien, am 15. September 2021 Meine liebe Christa,

oft steckt der eigene Haushalt voller Überraschungen, und augenblicklich scheint es an der Zeit, jene Überraschungen zu finden, die mit Dir zu tun haben.

Nach dem lange vermissten Autogramm-Foto fand ich soeben einen Briefumschlag voller Fotos von diversen Abschieds-Events. Die meisten Bilder zeigen Dich bei Deinem letzten Liederabend im Wiener Musikvereinssaal, der am 24. April 1994 stattfand. - 24. April? - Das ist doch Dein Todestag … - Und ich schaue in die glücklichen Gesichter derer, die Dir ein Faksimile von Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“ zum Abschied geschenkt haben, während ich ganz am Ende der Fan- Schlange darauf wartete, Dir in aller Ruhe und jenseits des immensen Trubels begegnen zu können. Ich wusste damals, dass unsere Geschichte noch längst nicht zu Ende sein würde. Dass sie uns auf den Tag genau noch 27 wunderbare weitere Jahre schenken würde, wusste ich nicht. Vielmehr schaute ich dankbar zurück auf die letzten 9 Jahre Deiner Weltkarriere, die mir vergönnt waren, Dich zu begleiten, so oft es Zeit und Job mir erlaubten. Natürlich bedauerte ich, dass ich fortan Deine wunderschöne Gesangs-Stimme live nie mehr werde erleben können, außer in irgendwelchen Kursen, wenn Deine Studenten nicht verstehen wollen, was Du ihnen versuchst klarzumachen, und Du schlichter Hand Dich zur praktischen Demonstration entscheidest, um ihnen vorzumachen, wovon Du sprachst. – Doch das Wichtigste war und ist, Dich zu haben, Dich, den Menschen Christa, denn mehr geht einfach nicht.

Und das hast Du zugelassen bis zu Deinem Tod am 24. April 2021. Und mehr noch:

Dein Vermächtnis will es, dass unsere Geschichte weiter geht, bis zu meinem Tod … Ich danke Dir, meine liebe Christa! Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich das zu würdigen wissen, und die Fotos, die ich vielleicht irgendwann tatsächlich einmal brauche, werden mir dann hilfreich sein, sowie alles, was ich notiert und aufgeschrieben habe, damit es zumindest mir nie verloren ginge … - Neben Inge und Thea bist Du einer der wichtigsten und mich nachhaltig prägenden Menschen in meinem Leben, und wirst es immer bleiben!

Ich schaue die Fotos an, höre Dich reden und lachen, meine Seele umarmt Dich, ich drücke Dich und wünsche Dir und uns alles Gute!

Von Herzen Deine Sonja

(9)

Prien, am 19. September 2021 Meine liebe Christa,

gestern Abend habe ich mir ein Sonderkonzert unserer geliebten Wiener Philharmoniker auf 3 Sat angeschaut. Unter der Leitung von Christian Thielemann spielten sie zuerst ein Orchesterwerk des zeitgenössischen kanadischen Komponisten Samy Moussa: Elysium (= Insel der Seligen), ein Auftragswerk der Wiener Philhar- moniker, das gestern in der 2010 von Papst Benedikt XVI. geweihten Basilika Sagrada Familia uraufgeführt wurde in Anwesenheit des Komponisten. ELysium passte vor- züglich zu Anton Bruckners 4. Sinfonie, die im Anschluss erklang. Diese wunderbare Musik, interpretiert von unserem Lieblingsorchester, dazu in einem derart besonderen Raum wie dieser Basilika in Barcelona … Was für eindrucksvolle Bilder eines atem- beraubenden Bauwerks, das bereits 1882 begonnen, und 2026 zum 100. Todestag seines Architekten Antoni Gaudi fertiggestellt werden sollte. Die Pandemie macht auch diese Pläne zunichte; und so werden die Baukräne noch länger zwischen den spitzen Türmen hervorragen. Zeitweise bin ich ganz nah an meinem TV-Bildschirm gestanden;

dann hatte ich das Gefühl mittendrin zu sein in diesem lichtdurchfluteten Raum, umgeben von den Farbspielen der bunten Fenster, den zahllosen schlanken Baum-Säulen mit den integrierten Leuchten, zwischen denen Wendel-Stiegenaufgänge zu den Galerien hinaufführen; über mir die hohen Deckenge- wölbe und außergewöhnlich gestalteten Kup- peln, gigantisch und faszinierend… - Das einmal sehen, erleben, dachte es in mir zusammen mit der Frage, ob Dir dieser Anblick vor Ort je vergönnt gewesen ist? Kein Wunder, zählt dieses so besondere Bauwerk, obwohl noch lange nicht fertiggestellt, heute schon als Weltkulturerbe.

Mit einem herbstlichen Sonntagsgruß umarme ich Dich! - Deine Sonja

(10)

Prien, am 23. September 2021 Meine liebe Christa,

gestern habe ich die Bilder für meinen Fotokalender 2022 ausgesucht, die entsprech- enden Abzüge bestellt und die Begleitverse verfasst. Meine Gedanken waren die ganze Zeit bei Dir, die Du meine alljährlichen Kalender so sehr geschätzt hast, dass sie sogar Erwähnung fanden in Deinen Memoiren, und ich immer schon beim Basteln die Freude spürte, die ich Dir mit diesem Geschenk machen durfte. In das Erstellen Deines letztjährigen Kalenders hatte ich besonders viel Liebe und gute Wünsche hineingepackt, denn ich wusste, dass es der letzte Kalender für Dich sein würde.

Gerade mal das erste Viertel hast Du noch geschafft. An der Türklinke Deines Schlaf- zimmers hängend hat er Dich begleitet bis zu Deinem letzten Atemzug. Was wohl danach aus ihm geworden ist? – Vermutlich verschwand er mit vielen anderen Sachen von Dir in der großen Mulde, als Dein Haus ausgeräumt wurde. Aber, vielleicht hat ihn auch jemand mitgenommen; ich werde es nie erfahren. – Heuer auf jeden Fall werde ich ein Exemplar weniger basteln. Wieder ein Israel-Kalender wird es sein: „Sonne über Israel“, und ich weiß, er wird Dir gefallen. – Noch immer habe ich es nicht fertiggebracht, Dich aus meinen Kontaktdaten zu streichen; schwer genug fiel es mir bei den vergangenen Grüßen zu Schawuot und Pfingsten, Dich aus dem Festtags- Verteiler zu löschen. – Du fehlst mir wirklich, manche Tage weniger, manche Tage mehr. Dann spüre ich eine schier unbändige Sehnsucht nach Wien. In Wien werde ich immer das Gefühl haben, Dich zu besuchen. Vor einigen Tagen habe ich die digitalen Newsletter von der Albertina und dem Kunsthistorischen Museum geordert, um zu erfahren, wann es interessante Ausstellungen gibt. Diese Termine werden zukünftig meine Wienreisen planen, der Grund dafür sind sie nicht. Hauptgrund wird sein und bleiben, Dir dort zu begegnen, Dir und unseren Erinnerungen näher sein zu dürfen …- Indes entwickelt sich die Rose, die Deinen Namen trägt, prachtvoll, und verheißt mir weitere vier wohlduftende Blüten. – Und, die erste Tomate zeigt eine leichte Rötung!

Die Nächte sind schon herbstlich frisch, sodass der Reifeprozess dauern wird …

Sonnige Grüße schicke ich Dir heute. Still ist es geworden in meinen Träumen um Dich… Alles ist geschehen, scheint gesagt …?

Umarme Dich herzlich! Deine Sonja

(11)

Prien. am 25. September 2021 Meine liebe Christa,

fast auf den Tag genau ist es 5 Monate her, dass Du gegangen bist von dieser Welt, deren Lauf Du stets mit wachem und neugierigem Geist verfolgt hast. Heute ist Bundestagswahl. Und auch wenn Du Deine Heimat in Österreich gefunden hast, weiß ich, Du hättest das politische Geschehen in Deutschland aufmerksamst verfolgt. Ich bin gespannt, wie es letztlich ausgehen wird, auf jeden Fall knapp, und die Regierungsbildung wird spannender denn je. Bleibt die Hoffnung, dass wir keine israelischen Verhältnisse bekommen werden, mit etlichen Neuwahlen … Ich habe bereits per Briefwahl meine Wählerpflicht erfüllt. Nun heißt es abwarten …

Gestern Abend war ich im Vorabendgottesdienst in unserer schönen Priener Pfarrkirche; der Mann meiner Priener Freundin hat seinen ersten Wortgottesdienst zelebriert, und, er hat es sehr gut gemacht, mit schlüssigen Impulsen, Chapeau! - Im stillen Gebet habe ich mich dann ganz eng mit Dir verbunden. Du warst nie eine Kirchgängerin, jetzt nehme ich Dich einfach mit. In meinem Gesangbuch liegt seit neuestem Dein Sterbebild, d.h. das, was ich mir aus den beiden Fotos, die ich davon gemacht habe, gebastelt habe, denn leider waren alle Originale bereits verteilt bis auf jenes Eine, welches ich bei meinem letzten Wienaufenthalt fotografieren durfte.

Und, Dein Seelenlicht auf meinem Esstisch hat einen neuen Halter bekommen. Noch hast Du keinen Stern auf der Wiener „Sternenmeile“. Außer

Leonie Rysanek konnte ich überhaupt keine Sänger dort entdecken! Vielleicht wirst Du eines Tages ja einen bekommen, etwa zu Deinem 95.? Oder zu Deinem 100.?

Das wäre ein schöner öffentlicher Gedenkort für all Deine Fans, denen Du Dich so in aller Stille entzogen hast… – Bei mir hast Du jetzt einen gläsernen Stern, in dem ich Dir jeden Samstagabend zur Stunde Deines Todes ein Lichtlein

zünde, und meist auch am Sonntagmorgen, zur Stunde, wo ich Deine Todesnachricht erhielt. Dieser Kerzenleuchter musste jahrelang in der Vitrine ausharren, ehe er jetzt endlich weiß, worauf er gewartet hat.

In der Gewissheit, dass Du mir nie wirst verloren gehen, umarme ich Dich!

Deine Sonja

(12)

Prien, am 1. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

Heute habe ich das Kilo Kaffeebohnen geöffnet, das ich Anfang Juli aus Wien mitgebracht habe als ein Stück „Erbe“ von Dir. Die Hälfte habe ich gemahlen, die andere Hälfte in einer Aromabüchse zwischengelagert, denn ich wollte ja doch so schnell wie möglich jenes „Christa-Gedenk-Kunstwerk“ vollenden, das mir schon länger vorschwebte. Und schau, es ist ein „Hängrum“

geworden, das nun meine Küche ziert: Hintergrund ist ein Foto Deiner Küche, in der wir so oft miteinander standen, erzählend und auf unseren Kaffee wartend. Dann zeigt es jene Kaffeetüte, die Du sicher mal in Deinen Händen gehalten hast, um sie aufzuräumen. Ich konnte diese

Tüte nicht einfach entsorgen, wenngleich sie für jeden Außenstehenden nichts weiters ist, als eine stinknormale Kaffeetüte. Dass sie aus Deinem Haushalt in den meinen gewechselt hat, macht sie so besonders. Nun ist sie geeint mit den letzten gesungenen Takten des wunderbaren Liedes „Morgen!“ von Richard Strauss, gesetzt aus einigen Deiner Kaffeebohnen. Gerne hast Du dieses Lied als Zugabe gegeben, und stets an derselben Stelle schossen mir zutiefst berührt und bewegt die Tränen in die Augen:

„… und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen.“ Es waren die Tränen jenes

„Glückes“, das ich dankbar empfinden durfte, dass Du solch seelische Nähe zwischen uns zugelassen hast. Und dieses zutiefst empfundene Glück wird nie enden! Was für ein Geschenk in Ewigkeit, denn „des Glückes stummes Schweigen“ ist inzwischen tatsächlich auf uns herabgesunken, und ruht auf uns, wie der kleine Engel bezeugt, der einst auf Paul-Emiles Grabstätte stand und jetzt vermutlich auf der Deinen ist. -

„GLÜCK“ habe ich diese Collage genannt, das GLÜCK, Dich 36 wunderbare reiche Jahre gehabt zu haben; das GLÜCK, Dich als Teil meiner Herzensfamilie wahrzunehmen; das GLÜCK, Dich auf Bühne und Konzertpodium erlebt zu haben; das GLÜCK, manch glückliche Zeit mit Dir verbringen zu dürfen vor allem, seit Du Dich als Pensionistin aus Deiner Weltkarriere zurückgezogen hattest; das GLÜCK, Deinen geistreichen Erzählungen zuhören zu dürfen; und nicht zuletzt das GLÜCK unserer politisch-philosophischen Diskussionen und Streitgespräche, die mir wirklich fehlen … Wie hätte ich diese Collage anders nennen können als GLÜCK?

Einmal mehr danke ich Dir von ganzem Herzen! Deine Sonja

(13)

Prien, am 3. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

heute also produzierte meine kleine Kaffeemaschine erstmals Kaffee aus jenen Bohnen, die Anfang Juli aus Deinem Haushalt in den meinen wechselten. Auf mein geliebtes Kaffeegewürz habe ich bewusst verzichtet, denn ich wollte den Geschmack Deines Kaffees pur genießen so, wie ich es letztmals im November 2019 bei Dir zuhause getan habe. – Eine ganze

Weile werde ich nun diesen Geschmack allmorgendlich genießen, mit einer Mischung aus freudiger Erinnerung, großer Dankbarkeit und der Wehmut des schmerzlichen Verlustes all dieser Freuden, die mir jahrelang wie Fixsterne am Himmel meines Lebens leuchteten. Den Kaffeesatz werde ich als Blumendünger weiterverarbeiten, und irgendwie schwebt mir ein Engelsbild vor, das ich aus dem Kaffeesatz zaubern möchte … Mal sehn, ob mir das gelingt. Ein passendes Gedicht dazu ist mir bereits eingefallen, während ich die erste Tasse Deines Kaffees genossen habe:

MEIN ENGEL

Du bist der Engel, der über mir wacht, der mich begleitet und gibt auf mich Acht, der meine Zeit teilt bei Tag wie bei Nacht. – Du bist der Engel, der über mir wacht.

Du bist der Engel, der jetzt an mich denkt, mein Tun und Denken auch weiterhin lenkt.

Du bist in mir, schwebst uneingeschränkt durch meine Seele, die viel an Dich denkt …

Gleich werde ich nach Oberstdorf fahren. Anlässlich des Geburtstags meines Schwagers haben wir ein kleines Familientreffen arrangiert. Draußen tobt der von Meteorologen angekündigte Föhnsturm, die Berge scheinen zum Greifen nah. Das Wetter soll sich ändern, kälter werden, herbstlicher … Schaun wir mal. –

Für heute alles Liebe!

Deine Sonja

(14)

Prien, am 8. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

kalt ist es geworden, herbstlich und nass, nicht nur in Oberstdorf. Als ich gestern nach Prien zurückfuhr, hatte ich sämtliche Kleidungs-Schichten übereinander an, die ich in meinen Rucksack gepackt hatte und schwitzte keineswegs. Hinter mir liegen harmonische Familientage. Selbst mein Neffe kam zum Geburtstag seines Vaters für ein paar Stunden nach Oberstdorf. Seine „Herzens-Familie“ ist aber nach wie vor die Bahn, und alles, was dazu gehört. Und so bereist er in seinen Urlaubstagen per Bahn ganz Deutschland kreuz und quer, und ist überglücklich dabei. Das Wetter in Oberstdorf war ebenso mäßig, wie es das in Prien wohl war, während in Kloster- neuburg zunächst noch sommerliche Wärme herrschte und die Sonne schien. Doch inzwischen dürfte auch dort der Herbst eingekehrt sein. Die Bergspitzen um Oberstdorf herum zeigten sich bereits weiß

überzuckert. Ob die Kampen- wand hier bei Prien auch schon den ersten Schnee zu verbuchen hat, konnte ich noch nicht fest- stellen, da die Wolken nicht

weichen wollen, um den Blick zum Gipfel freizugeben, wenngleich ab und zu sogar die Sonne scheint.

Und wieder habe ich heute Morgen Deinen Kaffee genossen. Er schmeckt mir so gut, dass ich erwäge, bei dieser Sorte zu bleiben. Somit hättest Du nachhaltig in meine Haushaltsplanung eingegriffen. Und wieso auch nicht? Bist Du doch Teil meines Lebens und wirst es immer bleiben! Die vielen tausend Bilder von Dir sind überall und jederzeit lebendig in mir, und meine Erinnerungen spazieren darin mit großer Freude und Dankbarkeit, und das ist wunderschön! Sie spazieren durch Dein ehemaliges Zuhause ebenso, wie durch Deine Bühnen- und Konzertauftritte und unsere damit verbundenen Begegnungen. Dein geliebter zweiter Mann Paul-Emile kommt darin ebenso vor wie die Familie Deines Sohnes, die ab und zu auch dabei war. Es ist die gesamte Familie Berry-Ludwig-Deiber, die Teil meiner zunehmend wachsenden Herzens-Familie geworden ist und bleiben wird. Es ist Dein wunderbares Vermächtnis, dass das so ist! Einmal mehr: von Herzen Dank dafür!

In ewiger und dankbarer Verbundenheit!

Deine Sonja

(15)

Prien, am 10. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

gestern Abend, nach der Sondersendung zum Rücktritt von Kanzler Kurz, der nicht wirklich ein Rücktritt ist, da Kurz lediglich das Kanzleramt zur Verfügung stellt, sich aber keineswegs aus der Politik zurückzuziehen gedenkt, da er Partei-Obmann bleibt, nach dieser Sendung also brachte ORF2 einen Mitschnitt der Neuinszenierung von Rossinis „Barbier von Sevilla“. Sehr bunt, die Darsteller als singende Pantomimen gezeichnet, in ebenso bunten Kostümen, doch ohne jegliche Requisiten. So wird der Brief aus der leeren Hand gelesen, und überhaupt alles rein körperlich dargestellt … Ziemlich befremdlich das Ganze, und so habe ich mich mit dem Beginn der Oper begnügt. Ich habe mir Dich als Rosina vorgestellt in dieser Inszenierung und bezweifle, dass Du Dich darin wohlgefühlt hättest … Gewiss, Du hast sehr gerne Deine Hände als Ausdrucksmittel benutzt; dazu hättest Du in dieser Neuinszenierung Möglichkeiten ohne Ende, denn außer den Händen blieben Dir keine weiteren ablenkenden Requisiten.

Überzeugt hat mich die Idee dieser pantomimischen Regie nicht wirklich; auch das in seiner plakativ fast kitschigen Buntheit quadratisch praktische Bühnenbild aus hin und her gezogenen Folien mitsamt den Kostümen traf nicht wirklich meinen Geschmack.

Begeisterung sieht anders aus, und so entschied ich mich letztlich für einen der im TV- Programm angebotenen Krimis.

Während mein PC mir Sonnenschein bei 10°C anzeigt, bestätigt mir der Blick aus dem Fenster dichtesten Nebel, der nur die nächste Umgebung zur Sicht freigibt. Vermutlich reicht das Auge meines Laptops durch den Nebel hindurch bis zum Gipfel der Kampenwand; und dort scheint sicher die Sonne …

Indes warten diesen Nachmittag noch zwei interessante Zoom-Events auf mich!

Draußen verpassen tu ich ja nichts!

Den Duft Deines verlöschten Kerzleins einatmend, schicke ich Dir sonntäglich herbstliche Grüße.

In tiefer Verbundenheit Deine Sonja

(16)

Prien. am 13. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

heute wäre meine Oma mütterlicherseits 121 Jahre alt. - Bis 120 wünschen jüdische Menschen einander, wenn sie sich gratulieren. – Mein Blick ruht im herzlichen Lachen Deines Fotos, das auf meinem Esstisch steht, umgeben von Blumen … Das Gesteck mit dem Kerzerl hat mir gestern eine liebe Mitbewohnerin gebracht, von ihrer Mutter eigenhändig kreiert mit Blumen aus dem eigenen Garten, als Dank dafür, dass ich den Jahresableser für Wasser und Heizung in ihre Wohnung gelassen habe. Wann immer ich Blumen bekomme, stelle ich sie zu Deinem Bild und spreche mit Dir; für mich sind es „unsere“ Blumen … „Du hast mein Leben reich gemacht …“ – plötzlich ist diese Zeile in mir, und entwickelt sich zu einem neuen Gedicht:

Du hast mein Leben reich gemacht!

Hab viel erkannt, viel nachgedacht!

Du sagtest immer klipp und klar, was deiner Sicht nach richtig war.

Du hast mein Leben froh gemacht;

wir haben gern und viel gelacht.

Du wusstest spannende Geschichten aus Deinem Leben zu berichten … Die Seelen sind sich nah gekommen.

Das hat Dein Tod uns nicht genommen!

So fühl ich täglich Dich mir nah, in meiner Seele wohnend, da!

Draußen ist es wahrlich herbstlich-winterlich geworden; auch die Bergspitzen um den Chiemsee herum tragen inzwischen weiße Schneemützen, die sich Wolken bedingt, nur selten zeigen. Aber, der nächtliche Niederschlag, der in Prien natürlich als Regen fiel, hat aufgehört, und es ist zumindest trocken.

Mit meinen Gedanken sehr viel bei Dir umschließt meine Seele die Deine!

Von Herzen Deine Sonja

(17)

Prien, am 14. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

zu dieser Zeit vor einem Jahr funktionierten unsere regelmäßigen Telefonate noch. Die

„dunkle“ Jahreszeit mit den früh dunkel werdenden Tagen, die nach der Umstellung auf die Winterzeit alljährlich bevorstehen, Dir haben sie im Jahr 2020 irgendwie „Angst“

gemacht. Als Du mir das sagtest, habe ich mir fest vorgenommen, Dich noch öfters, und gerade in der aufsteigenden Dunkelheit, anzurufen, dich ein wenig zu begleiten durch dieses furchterregende Dunkel. – Ja, begleitet habe ich Dich dann tatsächlich, doch ganz anders, als ich mir das jemals vorgestellt hatte. Ich habe Dein Sterben begleitet. Telefonate waren von heute auf morgen nicht mehr möglich. Blieb uns WhatsApp, zum Glück!

Jetzt sitze ich am Frühstückstisch, genieße für mich allein den Kaffee, den ich bei Dir zuhause in Deiner kostbaren Gesellschaft stets so gerne trank, und denke an unsere letzte physisch gemeinsame Stunde am 15. November 2019. Du hast sie Dir erbeten, diese letzte physisch gemeinsame Stunde: „Ach, komm, bleib noch!“ meintest Du.

„Nimm den Bus um 18 Uhr. Das reicht doch, oder?“. – Ich blieb. Und schon damals nahm ich diese Stunde als eine ganz besondere wahr. Nicht nur, dass Du sie Dir erbeten hattest. Draußen dämmerte es schon. Du hast ein Kerzlein angezündet, uns ein Gläschen Wein eingeschenkt. Ein tiefer stiller Friede umfing uns in Deinem weit- räumigen Wohnzimmer, das mir vertraut fast Heimat geworden ist bei meinen vielen Besuchen, seit ich in Prien wohne. Mein Ich ahnte nicht, was wir gerade „feierten“, doch unsere Seelen schienen zu wissen, dass wir dabei waren, unsere letzte physisch gemeinsame Stunde zu „leben“. Erst jetzt in der Rückschau, ein halbes Jahr nach Deinem Tod, hat mein Ich das auch begriffen. Möglicherweise hatte Dein Ich bereits eine Vorahnung, denn auf meine Bemerkung, dass ich Dich fitter empfände als Deine gleichaltrige Schulfreundin, hast Du geantwortet: „Sag das nicht! Ich glaube nicht.“ – Solche Äußerungen waren eher seltener bei Dir und ich schenkte Deinen Worten keine übermäßige Beachtung, sah Dich vor mir stehen, aufrecht und voller Lebensfreude, und brachte Deine Aussage mit meiner momentanen Wahrnehmung nicht wirklich zusammen. –

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Bei unserer Verabschiedung spürte ich bereits ein ungewohntes Rumoren in meinem Gedärm. „Noch schnell eine Runde Pipi …“ und ich verschwand in der Toilette, meinen Darm zu entleeren. Durchfall jetzt, wie unpraktisch! Und ich dachte an die „lange“

Rückfahrt nach Wien … Dann wünschten wir uns alles Gute. Eine letzte Umarmung.

Ein letztes „Ba-ba bis zum nächsten Mal! … Und heute weiß ich, dass irgendetwas in meiner Seele in dem Augenblick schon wusste, dass es dieses „nächste Mal“ nicht mehr geben würde.

Als hielte mich etwas fest, hier an diesem Deinem Wohnort, verpasste ich besagten Bus. Ein netter Mensch nahm mich mit hinunter zum Bahnhof Kierling. Getrieben von dem Gedanken „so schnell wie möglich ins Hotel, zum nächsten Klo“ bin ich in das rettende Auto eingestiegen. Ich per Anhalter unterwegs? Warnungen aus der Sendung

„XY ungelöst“ tauchten kurz auf in mir; ich verdrängte sie. Ist ja auch alles gut gegangen. – Einen Teil der Nacht verbrachte ich denn auf meiner Toilette im Hotel, konnte mir nicht erklären, warum es mir so schlecht ging, nach der wunderbaren Begegnung mit Dir. Eigentlich sollte ich Sprühen vor Glück und vor Freude.

Stattdessen verstörte mich eine mir sehr ungewohnte Realität. Ähnlich schlecht ging es mir damals, als meine geliebte Oma Melanie in die DDR zurückverfrachtet wurde und mir klar war, dass ich sie nie mehr wiedersehen würde. Die Verknüpfungen von damals mit dem Tag des 15. November 2019 gelangen mir jedoch nicht. Damit war mir die Hoffnung gesichert, Dich wiederzusehen, die allerdings ab Dezember 2020 rasant abnahm, ohne je ganz zu verschwinden. Noch am Tag Deines Todes hatte ich versucht, auf Schleichwegen zu einer früheren Corona-Impfung zu kommen - ein letztes Aufflackern einer allerletzten Hoffnung, Dich noch einmal zu sehen. Das war am frühen Morgen des 24. April 2021. Die Impfung habe ich nicht bekommen. Ich schickte Dir ein letztes Blumen-Foto mit einem lieben Gruß; vermutlich hast Du es nicht mehr gesehen, Deine Seele aber hat es empfangen, da bin ich mir ganz sicher. Am Abend bist Du physisch gestorben. In meiner Seele hast Du ewige Heimat!

„Viel denke ich an Dich!“ schriebst Du, schreibe ich!

Deine Sonja

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Prien, am 15. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

nun habe ich meine Collage

„GLÜCK“ nochmals überarbeitet und in einem größeren Rahmen untergebracht, der einen groß- zügigeren Einblick in Deine Küche zulässt. Hinzugekommen ist eine Tasse dampfenden Kaffees im Vordergrund. Beeindruckt von den genialen Sandanimationen der israelischen Künstlerin Ilana

Yahav entstand mein bescheidenes „Kunstwerk“ aus dem Satz Deines Kaffees.

Außerdem fügte ich 3 Fotos von Dir hinzu, drei Deiner Lebensebenen symbolisierend, die ich in den 36 Jahren, die uns geschenkt waren, begleiten durfte: Opernbühne, Konzertpodium und Du ganz privat. Letztere Ebene war die Intensivste und währte 27 wunderbare Jahre lang, für die ich sehr dankbar bin. Was immer ich mache in meiner kleinen Küche, Du wirst mir fortan zuschauen, mich erfreuen und inspirieren, wenn ich mein „GLÜCK“ anschaue.

Gestern erreichte mich die Todesnachricht von meinem Onkel in Dresden; eine seiner Enkelinnen ist mein Patenkind, inzwischen selbst Mutter von zwei Kindern. Als sie noch ein Kind war, bin ich alljährlich in Dresden gewesen, auch zu DDR-Zeiten. Das Sammelsurium meiner Erinnerungen wächst stetig, und mit jedem Todesfall erwachen sie zu neuem Leben, werden Teil der Verarbeitung von Verlust und Schmerz. Vielleicht werde ich zur Beerdigung nach Dresden fahren, um die etwas eingeschlafene Beziehung zu diesem Teil der Familie meines Vaters neu zu beleben. Möge unser Kontakt zukünftig nicht allein im Austausch von Todesnachrichten bestehen!

Heute war ein sonniger Tag, und ich genoss ihn auf meinem Balkon.

In tiefer Verbundenheit – Deine Sonja

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Prien, am 18. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

da das von mir angedachte November-Projekt „Memento Mori“ zumindest in diesem Jahr nicht zustande kommen wird, ich aber das dringende Bedürfnis habe, etwas mit den Gedichten zu gestalten, zu denen Du mich inspiriert hast, habe ich nun ein neues, Jahreszeit unabhängiges Konzept entworfen, das ich möglicherweise im Sommer 2022 in Karlsruhe umsetzen kann, zusammen mit meinem langjährigen Bekannten, Freund, ehemaligen Nachbarn und Kollegen, der hervorragend Orgel spielt. Wir sind ein bewährtes Team, haben schon öfters zusammen gewirkt. – Ich weiß, Du willst keine großartigen Festlichkeiten und Events um Deine Person. Mir aber kannst und wirst Du vertrauen. Ich werde Dich nicht auf ein Podest stellen, um Dich „anzubeten“, habe das ja nie getan! „Gespiegelte Jahre“ soll der Titel sein, mit dem Untertitel

„Erinnerungen an Christa Ludwig“; unsere in meinen Gedichten „gespiegelten“ 36 Jahre, die wir einander begleiteten, denn seitdem ich Dich für mich „entdeckt“ habe, sind nebenbei Gedichte entstanden, wie ich Dich kennen und erleben durfte. In meinen Moderationen werde ich neben einigen Fakten erzählen, in welchem Zusammenhang mit Dir beispielsweise das Gedicht „Auferstehung – die Geschichte Dresdens“

entstanden ist. Du hast mir mal erzählt, dass Du dieses Gedicht in Deiner Partitur von Mahlers 2. Sinfonie „Auferstehung“ verwahrtest. - In Deinem Buch hast Du mich als Jemanden eingeordnet, der Dich bewundert. Doch, haben wir uns nicht gegenseitig bewundert? So wie Du über meine Gaben und meine persönliche Nutzung derselben geschrieben hast, liegt dieser Rückschluss durchaus nahe. Ja, wir haben einander auf Augenhöhe bewundert; das war wohl mit eines der Geheimnisse unserer tiefen seelischen Verbundenheit.

Das Konzept habe ich gestern meinem Organisten-Freund zugesandt, und bin nun sehr gespannt, was letztlich daraus wird.

Danke, meine liebe Christa, für die unzähligen kostbaren Inspirationen, die Du mir 36 Jahre lang geschenkt hast!

Von ganzem Herzen – Deine Sonja

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Prien, am 20. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

nicht jede Nacht ist zum Schlafen da. Heute war wieder eine solche Nacht. Dann liege ich stundenlang wach, manchmal leistet das mystische Licht des Mondes mir Gesellschaft, und ich verbringe Zeit mit Dir und all Deinen Lieben in ungezwungener familiärer Atmosphäre. Ich genieße dieses geistige Miteinander, das von Schlafen so gar nichts hält, und hoffe auf die Kraft des morgendlichen Frühstückskaffees, dieses Schlaf-Defizit erfolgreich zu übertünchen. – Du wohnst in mir, denn Seelenwohnungen sind auf Ewigkeit ausgerichtet und kaum kündbar. All meine „Herzensfamilien“ wohnen hier. Mit zunehmenden Alter wird es also nicht leerer in meiner Seele. Da alle Herzensmenschen des anderen für mich mit dazu gehören, wächst die Gemeinschaft eher, statt sich zu verkleinern, denn hier weilen all meine physisch gegangenen zusammen mit allen noch voll im Leben stehenden Herzensmenschen in paradie- sischer Eintracht. Es ist quasi die Vorstufe jenes EINS Werdens, wohin wir ein Leben lang auf dem Weg sind, das EINS, aus dem wir einst gekommen sind, und in das wir mit dem Tod zurückkehren werden. Der Mensch ist Materie mit einem göttlichen Kern.

Mit dem Tod geht die Materie zurück in den materiellen Erdkreislauf, das Göttliche findet seinen Weg zurück ins entgrenzte EINS. Stirbt ein Mensch, mit dem ich mich seelisch sehr verbunden fühle, bleibt ein kleiner Teil seiner „Göttlichkeit“ in meiner

„Göttlichkeit“ (Seele) zurück. Sterbe ich, so wird auch ein Teil meiner „Göttlichkeit“ in der „Göttlichkeit“ eines lieben Seelenverwandten wohnen bleiben, und damit auch ein kleiner Anteil all meiner persönlichen Seelenbewohner. Hieraus erklärt sich für mich das, was man als irdische „Unsterblichkeit der Seele“ bezeichnen könnte. Mit jeder

„Vererbung“ werden die göttlichen Fremd-Anteile zwar entsprechend geringer, gleich einer homöopathischen Dosierung, doch wirklich tot wäre ich erst dann, wenn die Kette der Seelenverwandtschaften völlig abreißen würde, was kaum vorstellbar ist. – Schade, dass ich mit Dir darüber nicht mehr sprechen und diskutieren kann. Bei allem Geistigen, das uns verbindet, fehlen mir unsere physischen Diskussionen und Streit- gespräche wirklich sehr!

In tiefer geistiger Verbundenheit – Deine Sonja

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Prien, am 22. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

heute habe ich wieder meine alljährlichen Foto-Kalender gestaltet, und obwohl ich für Dich keinen wirklich bastelte, waren meine Gedanken die ganze Zeit bei Dir. – Du warst in der Tat der größte „Fan“

dieser Kalender, hast Dich jedes Jahr so von Herzen darüber gefreut, und im Bewusstsein dieser Deiner Freude ist er denn auch alljährlich entstanden.

Vielleicht habe ich deshalb so viel an Dich gedacht, mich umgeben mit Deiner Freude, die ich nun nur mehr geistig empfangen kann. – Dann habe ich aber doch noch einen mehr gefertigt, als es gebraucht hätte.

Es ist Dein Kalender, der eben jetzt bei mir hängen wird, um mich zu begleiten in Deinem Geiste.

Vor kurzem habe ich nochmals in Deinen WhatsApp-Chat geschaut, den ich mir archiviert und exportiert habe, und festgestellt, dass das schöne Bild von Dir mich nicht mehr anlacht. Das bedeutet, Dein Handy ist endgültig platt. Zum Glück habe ich mir das Bild rechtzeitig gesichert.

Nach Dresden werde ich nun doch nicht fahren, da die Beerdigung meines Onkels situationsbedingt nur im allerengsten Familienkreis stattfinden wird; so werde ich in Gedanken dabei sein; darin bin ich ja inzwischen ziemlich geübt.

Der Herbststurm, der gestern und vorgestern über Teilen Deutschlands tobte, hat sich gelegt. Hier in Prien war es lediglich ein wenig windiger als sonst.

Für heute alles Liebe! Deine Sonja

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Prien, am 24. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

ein ganzes halbes Jahr ist es nun schon her, seit Du physisch aus dieser Welt gegangen bist, was unserer geistig-seelischen Verbundenheit keinerlei Abbruch beschert hat. Viel an Dich gedacht habe ich, und viel philosophiert … Fazit: die weiter bestärkte Gewissheit, dass Du mir gar nicht verlorengehen kannst, da der Mensch selbst innerhalb des irdischen Lebens geistig-seelisch betrachtet den Status der Unsterblichkeit genießt. Das ist so wunderbar tröstend, und ist mir eine überlebenswichtige Erkenntnis, die ich nun meiner Cousine in Dresden versucht habe weiterzuvermitteln in einem vierseitigen Brief. Ich habe große Sorge, sie könne sich übernehmen an der Last, die sie dabei ist, sich aufzubürden. Es kann unmöglich Sinn einer engen und innigen Seelenverbundenheit sein, dass der sich Kümmernde letztlich daran zerbricht, auch nicht, wenn es die eigene Mutter ist. So hoffe ich sehr, sie wird meine sehr deutlichen, aber „goldenen“ Worte – so hast Du gerne all das Wertvolle genannt, das Dir Deine Mutter mit auf den Weg gegeben hat -, dass also auch meine Cousine diese meine „goldenen Worte“ beherzigen und entsprechend umdenken wird.

Dein physisches Gehen hat mich Stärke gelehrt, und unsere seelische Verbundenheit bestärkt mich täglich neu, dass sie ewig und tatsächlich unsterblich ist.

Heute Nacht gab es leichten Frost; der Himmel ist wolkenlos blau. Während im Osten die Sonne ihren Lauf beginnt, verschwindet im Westen der Mond hinter dem Dachgiebel des Nachbarhauses. – Gleich werde ich in die Kirche gehen, um meinem Lektorendienst nachzukommen.

Übrigens habe ich mir Dein letztes wunderbares Buch „Leicht muss man sein“, das ich bisher nur in der Digital-Ausgabe besitze, in Papierform bestellt, da ich beim neuerli- chen Lesen feststellen musste, dass es doch eines jener Bücher ist, das ich in Händen halten möchte. Versonnen darin blättern, lesen und bei den Bildern verweilen, das möchte ich gerne, danach verlangt mich!

Und manchmal bin ich einfach tieftraurig. Plötzlich schießen mir, wie heute Nach- mittag, Tränen in die Augen, ohne dass ich genau wüsste, warum. Es gibt nicht wirklich

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einen Grund außer, dass ich Dich zu sehr vermisse. Ich lasse die Tränen zu, weiß, dass Du nicht möchtest, dass ich weine, und frage mich gleichzeitig, ob Du derartige Zustände kennst, zum Beispiel als Dein lieber Mann gestorben ist? – Darüber haben wir nie gesprochen. Jetzt weine ich und kann nicht aufhören damit. Irgendwann meine ich Deine Stimme zu hören: „Sonja, was weinst Du denn … Schau, es geht mir gut jetzt, und ich bin doch immer bei Dir, das weißt Du, und Du spürst es auch.“ – Ja, das stimmt, ich weiß es und ich spüre es. Aber Dich nie mehr wiederzusehen, Dich nie mehr physisch umarmen zu können, daran habe ich mich noch immer nicht ganz gewöhnt. Vielleicht ist diese Sehnsucht durch Corona verstärkt, denn die epidemische Notlage, vereint mit meinem Verstand, verbietet solch physische Nähe seit inzwischen bald zwei Jahren. Solche Nähe war ich von zuhause aus nicht gewohnt, aber genossen habe ich es, wann immer sich Gelegenheit dazu bot, meine Herzensmenschen zu umarmen und zu drücken, weil es einfach gut tut, beiden gut tut. Die Hoffnung, dies irgendwann einmal wieder völlig normal tun zu können, diese Hoffnung gibt es Dir gegenüber nicht mehr. Und wenn diese Tatsache Besitz von meinem Bewusstsein nimmt, beginnen sich meine Tränen zu verselbständigen, und ich schaue machtlos zu.

Lange Zeit hatte ich derartige Zustände nicht mehr, zuletzt Ende meiner Würzburger Studienzeit. Ingeborg Hallstein nicht mehr in der zur Studien-Gewohnheit gewordenen Regelmäßigkeit zu sehen, verstörte mich. Dann musste ich sie anrufen, und immer nahm sie sich Zeit für mich, auch wenn sie eigentlich gar keine hatte, und meine Tränen versiegten. Jetzt müsste ich Dich anrufen … Aber leider geht das nicht mehr.

Vielleicht auch deshalb brauche ich Dein Buch „Leicht muss man sein“; ich muss es noch einmal lesen, um etwas „leichter zu werden“. Möglicherweise finde ich darin den entsprechenden Schlüssel für ein wenig mehr Leichtigkeit …

Draußen dämmert es. Ich zünde eine Kerze an und denke an Dich, an unsere letzte gemeinsame Stunde im November 2019.

In tiefer Verbundenheit grüße ich Dich!

Deine Sonja

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Prien, am 26. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

so viel steht schon mal fest: Das Projekt „Gespiegelte Jahre – lyrische Reminiszenzen, Christa Ludwig gewidmet“ wird es geben! Mein lieber Freund, ehemaliger Nachbar und Kollege hat erklärt, er sei auf jeden Fall dabei! – Das freut mich wirklich sehr! Und sicherlich wird er wunderbar passende Musikstücke auswählen, die meinen Gedichten erst den richtigen Rahmen schenken werden. Vermutlich im Sommer des kommenden Jahres wird dieses „Orgel & Lyrik-Projekt“ in der Karlsruher Lutherkirche stattfinden.

Du wirst dabei sein, wie Du immer dabei warst und bist bei allem, was ich mache. Du hast meine „Projekte“ stets mit großem Interesse verfolgt, und so wird es auch zukünftig bleiben.- Vielleicht gelingt im November 2022 ja auch das „Memento Mori- Projekt“ in der Priener Pfarrkirche, wenn Corona bis dahin hoffentlich nicht mehr das alles bestimmende und beschränkende Thema ist, wenn wieder mehr Normalität herrschen wird, die Freiräume schafft für zusätzliche Aktivitäten neben den kirchenmusikalischen Aufgaben und Herausforderungen unseres Kantors. – Von meiner Seite aus stehen beide Programme, wobei ich bei den „Gespiegelten Jahren“

möglicherweise Gedichte austauschen werde, weil laufend neues Hörenswertes entsteht …

Augenblicklich erobern die Corona-Inzidenzen wieder sämtliche Gipfelwerte – es ist in der Hauptsache die Pandemie der Ungeimpften. Einige Impf-Durchbrüche gibt es wohl schon, doch meist bei Menschen, deren Immunsystem aus medizinischen Gründen nicht in der Lage ist, genügend Antikörper zu bilden. Achtsamkeit ist und bleibt das Gebot der Stunde! - Österreichs neuer Kanzler, vermutlich bestens vernetzt mit der

„grauen Eminenz Sebastian Kurz“, erwägt tatsächlich eine Art „Ausgangssperre für Ungeimpfte“. – Auch hierzulande wächst der Druck auf die Ungeimpften, die nun für ihre Tests in ihre eigene Tasche greifen müssen. Richtig! Wie kommt die Allgemeinheit dazu, irgendwelchen Impfunwilligen kostspielige Tests zu bezahlen, wo es doch für jeden ein kostenloses Impfangebot gibt, und nicht abgeholte und deswegen abgelaufene Impfstoffe gar vernichtet werden …

Ganz liebe Grüße für heute! – Deine Sonja

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Prien, am 28. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

der Morgen-Nebel umfängt uns total; kaum siehst Du die Hand vor den Augen; es ist Herbst, und ab Sonntag soll es nicht nur kühler, sondern auch feuchter werden. Ich sollte also fortfahren, meinen Balkon winterfest zu machen.

Drinnen indes scheint Dein Geist in mir zu walten. Nicht nur mein Bücherschrank ist leerer geworden, ich habe auch damit begonnen, meine vielen „Stehrums“ zu dezimieren. Teils gebe ich sie in den AWO-Laden als Spende zum Weiterverkauf, hauptsächlich Dinge, die ich mir einst gekauft habe, die aber über keine wesentliche Geschichte verfügen; vielleicht erfreuen sie ja noch irgendwen, wer weiß? - Ein anderer Teil verschwindet in Kisten, Gefäßen oder Schränken – auf jeden Fall so verstaut, dass das leidige Abstauben sich erübrigt und überhaupt die große Linie besser zum Vorschein kommt. – Ein Stück „Leben“, das ich bisher brauchte als Ausdruck von Heim und Gemütlichkeit, wird eingepackt. Ich erinnere mich gut an Deinen Kommentar, als ich Dir Fotos meiner Priener Wohnung schickte. Gemütlich fandest Du’s, nur die vielen Stehrums, „Hilfe!!!“ – Damals antwortete ich Dir, dass, wenn ich sie nicht mehr bräuchte und ich keine Lust mehr hätte, sie zu pflegen, sie sehr schnell in einer Kiste und im Keller wären. Jetzt scheint es allmählich so weit zu sein und ich sehe Dich lachen und nicken. – War es doch bei Dir ohne viele „Stehrums“

ebenfalls urgemütlich! – Und so räume ich, ganz in Deinem Sinne und befreie mich peu à peu. Man hat viel zu viel „Zeug“; und je länger das Leben, desto mehr davon häuft sich an. Der Umzug nach Prien war diesbezüglich schon höchst befreiend, denn in Karlsruhe hatte ich noch sehr viel mehr Platz und Stauraum. Und meine lieben Schüler bedachten mich bei gegebenem Anlass mit hübschen Nettigkeiten, über die ich mich natürlich freute, und die ich selbstverständlich in meiner Wohnung platzierte.

Als Pensionistin habe ich davor eher Ruhe, und freundlich bitte ich jeden Besuch darum, möglichst NICHTS mitzubringen; und die meisten halten sich daran. – Es zieht also eine neue Gemütlichkeit bei mir ein, ganz in Deinem Sinne!

Alles Liebe! – Deine Sonja

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Prien, am 30. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

mit großer Freude habe ich gestern Dein Buch „Leicht muss man sein“ aus meinem Postkasten geholt und sofort zu lesen begonnen; ich lese es heute anders, als beim ersten Mal. Erneut erfahre ich, was mir beim neuerlichen Hören Deiner Tonaufnahmen immer wieder auffällt. Schon während ich Dein Sterben begleitete, doch sehr viel intensiver noch, seit ich Dich physisch nicht mehr habe, erlebe ich alles, was mit Dir zu tun hat in einer mir bisher unbekannten Tiefe so, als hätte Dein physisches Wegbrechen sich in geistig-seelische Kräfte umgewandelt, die mir eine ganz neue Tiefen-Dimension erschließen, die unglaublich ist, unbeschreiblich und wunderbar.

Eine „Buchseite“ umschlagen, um die nächste lesen zu können. Umso besser, wenn es sich hierbei um dasselbe „Buch“ handelt, das ich liebgewonnen habe, um dieselbe Geschichte. Und einmal mehr schwingen die Worte der Marschallin von Hugo von Hofmannsthal in mir: „… halten und nehmen, halten und lassen …“ – Ich halte das

„Lebens-Buch meines Herzens“ in Händen, nehme seine meine geliebte Geschichte mit Achtung, Freude und Dankbarkeit auf und an, und indem ich Dein physisches Sein loslasse, schlage ich beherzt die letzte Seite dieses Kapitels um. Erstaunt und freudig darf ich dabei entdecken, dass meine wunderbare Lieblingsgeschichte gar nicht zu Ende ist, sondern sich fortsetzt mit einem neuen Kapitel, von dem zu träumen ich kaum gewagt habe. Und so beginnt ein neues „Halten und Nehmen, Halten und Lassen“, zu dem ich nur zu gerne bereit bin. – Das Leben steckt eben voller Überraschungen!

Ein sonniger Herbsttag geht zu Ende mit einem ausgedehnten Spaziergang, den ich mit einer lieben Freundin unternommen habe.

Die scharf gezeichneten Berge unter Föhn- einfluss zum Greifen nah, ein warmer Föhn- wind lässt fast Frühlingsgefühle aufkommen…

Morgen wird es bereits vor 18 Uhr zu dämmern beginnen, denn heute Nacht wird die Uhr eine Stunde zurück auf die Normalzeit gestellt.

Dir zutiefst verbunden! - Deine Sonja

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Prien, am 31. Oktober 2021 Meine liebe Christa,

die Zeit ist umgestellt. Die Sonne strahlt licht und warm. Ich sitze auf meinem Balkon und lese Dein Buch zu Ende. Was für ein wunderbares Buch! Wie viele tiefe Gedanken, die uns verbinden, uns immer verbunden haben. Und wie vieles, was ich darin lese, durfte ich selbst erlernen, erfassen, begreifen, habe ich mir aus eigener Kraft erarbeitet in den bisher 67 Jahren meines Lebens. Manches lernte ich von Dir, vieles aber habe ich dank der Gabe Gottes aus mir selbst heraus schöpfen können, und ganz aus mir heraus bin ich dann zu den Erkenntnissen gelangt, in denen sich unsere Seelen finden konnten. Das macht mich glücklich und auch ein wenig „stolz“, wenngleich ich dieses Wort mit einiger Vorsicht benutze, denn es ist ein großes Wort, das ich lieber durch „dankbar“ ersetzen möchte. – Ein Sprichwort besagt, dass man so alt sei, wie man sich fühlt. Ich möchte es ins Positive umkehren und sagen: „Ich bin so jung, wie ich mich fühle.“ Hierbei geht es um das geistige Sich-Fühlen, das Gefühl meiner unsterblichen Seele, die ewig ist, und zeitlos, und damit ohne Alter. Genau das habe ich in Dir immer gesehen und gespürt. Darum fanden alle unsere Begegnungen stets auf Augenhöhe statt und Dein durchaus hohes Alter ist mir nie aufgefallen, wenn wir uns gegenübersaßen, unterhielten, diskutierten … Zwar bist Du mir schon so etwas wie eine „geistige Mutter“, nicht aber „Mutter“ im Sinne unseres Altersverhältnisses.

Da warst Du mir eher eine gleichaltrige Schwester, mit der ich mich gerne austauschte und blendend verstand, die mein Denken inspirierte und damit einen gewissen Einfluss nahm auf meine Handlungen. Und oft dachte es in mir: „Die Frau ist neunzig – unglaublich“. – Für mich warst du höchstens gleichaltrig. – Dieses Empfinden erschwerte den Prozess, Dich physisch loszulassen, erheblich. Deinen physischen Verfall Pandemie bedingt nicht real sehen und verfolgen zu können, machte mir das Loslassen zusätzlich schwer, und ich musste mich zu einem Bild zwingen, das Dich in diesem physischen Verfall zeigte. Dank unserer Seelen-Verbundenheit ist mir das gelungen, und damit auch das Loslassen. - „Leicht muss man sein“, ja, doch das ist oft gar nicht so einfach, aber, möglich ist es, zum Glück. -

In diesem Sinne, danke für Deine Treue und Verbundenheit! – Deine Sonja

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Prien, am 1. November 2021 Meine liebe Christa,

bisher habe ich immer von unseren „unterschiedlichen“ Leben gesprochen, in denen wir uns 36 Jahre lang begleiten durften. Aber, waren sie tatsächlich so unterschiedlich, wie sie auf den ersten Blick scheinen? Haben wir nicht beide in unserer aktiven Berufszeit gleichermaßen der Musik gedient, dieser „heiligen Kunst“, wie Hugo von Hofmannsthal den Komponisten im Prolog seiner Oper „Ariadne auf Naxos“ aussagen lässt? Dazu taten wir dies im selben Genre, dem Singen, Du als aktive Sängerin weltweit, ich als aktive Gesangspädagogin in Karlsruhe. Dabei habe ich sehr viel von dem weitergegeben, was ich in Deinen zahlreichen Meisterkursen erfahren durfte, sodass ein Schüler mir einmal verriet, er sähe sich quasi als Dein Enkelschüler. Und noch etwas ist mir immer wieder aufgefallen: neben der großen Freude an schönen Klamotten, teilten wir uns ebenso eine Liebe zu oft denselben Farben. Nicht nur einmal begegneten wir uns in nicht nur innerer, sondern ebenso in äußerer Harmonie, indem wir uns unabhängig voneinander für dieselben Farben entschieden hatten, wie auf dem Foto von uns beiden, das ich so sehr mag. „Ihr seht ja aus wie Schwestern!“ rief kürzlich eine Freundin aus, als ich ihr das Foto zeigte, und eine andere meinte, sie müsse erst mal gucken, wer da wer sei…– Deshalb mag ich dieses Foto so sehr, weil es genau das ausdrückt, was unser „wir“ ausmacht. - Mit zunehmendem Alter haben sich unsere Leben zusehends angeglichen. – Als Du 1994 in Pension gegangen bist, hast Du Dich für ein Leben in größtmöglicher Freiheit entschieden. 2014, zwanzig Jahre später, habe ich es Dir nachgetan, ohne mir gleich darüber bewusst zu sein.

Unsere Beweggründe waren verschieden, zumindest auf den ersten Blick. 1993 war Deine liebe Mutter gestorben; das gab Dir den Anstoß mit immerhin fast 67 Jahren in Rente zu gehen, Dich endlich zu befreien aus dem Zwangskostüm Deines Sänger- berufes, immer gut bei Stimme sein zu müssen. – Mein Hauptauslöser hingegen war meine Krebserkrankung. Plötzlich zu spüren, wie von einem Tag auf den anderen alles anders sein kann, erwachte ich aus der Narkose mit dem einen Gedanken, nur mehr das tun zu wollen, was mir Freude macht. Einen genauen Plan dazu hatte ich derzeit noch nicht. – Und jetzt taucht wiederum eine Parallele auf: im Jänner 2014 stirbt meine Mutter, am 23. April 2014 mein Vater – Dein Todestag ist der 24. April! – Jetzt, mit dem

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Ableben meines Vaters formt sich der Plan für mein zukünftiges Leben in höchstmöglicher Freiheit. Allein die Beziehung zu unseren Müttern hätte unterschied- licher nicht sein können. Während ich Dein Verhältnis als nahezu ideal bezeichnen möchte, war das meine das genaue Gegenteil. – Und wovon befreite ich mich? Das vermochte ich erst 5 Jahre später konkret zu definieren. 2014 war da nur diese innere Stimme in mir, die mir schon seit einiger Zeit eingegeben hatte, dass Karlsruhe nicht der Ort sein sollte, um hier alt zu werden. Doch meine überschaubaren Finanzen ließen ein Weiterspinnen dieses Gedankens nicht zu. Nun sah das ganz anders aus.

Plötzlich konnte ich verwirklichen, wovon ich träumte, und überlegte nicht lang; ich tat es einfach, packte mein durchaus geliebtes Leben zusammen, zog nach Prien, und schuf mir „mon petit paradis“, und eine Reise zu Dir nach Wien war mit guten drei Stunden schon fast erweitertes Wohngebiet. – Und meine Befreiung? Die wurde mir klar, als ich das erste Mal nach Israel flog, und mir damit einen Jahrzehnte langen Herzenswunsch erfüllte. Du fandest das toll, und ich genoss es, dass da keiner war, der mich mit kopfschüttelndem Warum oder vorwurfsvollem Wozu bedrängt hätte. Die Befreiung aus den elterlichen Fesseln war endlich vollzogen und ich badete förmlich im Glück der erworbenen größtmöglichen Freiheit; das war 2019. Selbst die Pandemie, die 2020 über die Welt hereinbrach, konnte diese meine innere Freiheit nicht ein- schränken, und ich höre Dich sagen: „Ach, weißt du, mir macht dieses Corona nichts aus. Mir fehlt ja nichts. Ich bin gerne allein und zuhause.“ Auch darin waren wir uns komplett einig. – Ja, ich werde es weiterleben, dieses mein Leben in größtmöglicher Freiheit, allen Einschränkungen zum Trotz, die äußere Umstände von mir und der Gesellschaft verlangen. Ich genieße dieses Geschenk der Freiheit hier an diesem wunderschönen Ort, den ich mir ausgesucht habe, und den meine Eltern nie betreten haben; das macht diesen Ort für mich so frei! – Dich spüre ich weiterhin in mir, bei mir, mit mir. Und wenn Du Dich jetzt umschaust in meiner geliebten Wohnung, dann er- kennst Du an den vielen verschwundenen „Stehrums“, wie recht ich habe. Raum schaffen für eine Zukunft, die dieser äußeren Dinge nicht mehr bedarf. Auch das durfte ich lernen von Dir. – Du indes hast es geschafft in die absolute Freiheit, zurück in die Entgrenztheit des EINs, aus dem wir gekommen sind, und in das wir zurückkehren, uns neu zu einen. - Deine Dir überaus dankbare Sonja

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Prien, am 3. November 2021 Meine liebe Christa,

“Wunder gibt es immer wieder …“ sang einst Katja Ebstein in einem ihrer größten Schlager-Hits. Und recht hat sie! – Wunder? Was eigentlich ist ein Wunder? Etwas Wunderbares, das geschieht zwischen Himmel und Erde, das ich wahrnehmen darf und doch nicht fassen kann, während es geschieht. – Die Tatsache unserer tiefen Seelenbeziehung beispielsweise ist ein solches „Wunder“. Das „Besondere“, das uns verbindet, seit ich Dir 1985 zum ersten Mal in Deiner Garderobe an der Wiener Staatsoper begegnet bin, das Besondere, das mir immer wieder „wunderbare“ Zeichen schickte, um mich auf diese Art von seiner tatsächlichen Existenz zu überzeugen, dieses Besondere, das in jener Abendstunde am 15. November 2019 gipfelte, als wir in Deinem Wohnzimmer sitzend in einer stillen Feier unseren physischen Abschied zelebrierten, eine Wahrheit, die nur unseren Seelen wirklich erschlossen war. – Das wahrhaft Unglaubliche geschieht einfach, und der Verstand ist nicht in der Lage, es als das zu fassen, was es ist: das wunderbare Unglaubliche, das in der Tat seinen Platz hat zwischen Himmel und Erde.

36 Jahre lang habe ich es gespürt, dieses „Wunder“, und wagte doch oftmals nicht, selbst daran zu glauben, dass es ist. Vielmehr habe ich es gehütet in der Tiefe meiner Seele als Geheimnis, als meinen heiligen Schatz. Mit wem auch hätte ich über das, was ich selbst kaum glaubte, sprechen können? Etwa mit all jenen, die, wie ich, zu Deinen Konzerten und Aufführungen pilgerten, Dich anhimmelnd, anbetend, oder wie ich, Dich verehrend und bewundernd? Sie hätten mich abgetan als Jemanden, der sich interessant machen will, der sich in höchstgradiger Einbildung einen Traum zur Wahrheit zimmert. Das wollte und durfte ich nicht zulassen, denn irgendetwas in mir war sich ziemlich sicher, dass ich mich nicht täuschte, sondern die Dinge genau so sah, wie sie immer waren: ganz besonders und wahrhaftig.

Wie sehr ich mich nicht geirrt habe, entschlüsselte sich mir nach Deinem physischen Weggehen, indem ich begonnen habe, darüber zu schreiben und zu sprechen. In der Rückbelichtung des Gewesenen offenbarte sich mir dieses gefühlte „Wunder“ als eine große und immer noch fast unglaubliche Wahrheit, die ich nun teilen möchte mit

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meinen Mitmenschen. Möge es ihnen zeigen, dass die Existenz einer solch zunächst unfassbaren Wahrheit tatsächlich möglich ist innerhalb der Komplexität menschlichen Seins, und wie sehr es sich lohnt, dieses Leben so intensiv, wie dem beschränkten menschlichen Verstand möglich, zu nehmen und zu leben!

Im Schlafzimmer stolpere ich ein letztes Mal über die Kiste voller „Stehrums“. Noch vor kurzem zierten sie meine Möbel, standen überall herum, bis sie mich eines Tages vorwurfsvoll zu fragen schienen: Wieso und wozu stehen wir hier herum? – Diese Frage konnte ich ihnen plötzlich nicht mehr beantworten. Sie sahen mich an unter ihrem Mantel aus Staub, und taten mir leid. Behutsam blies ich ihnen den Staub weg, schaute ihm nach, wie er über den Balkon hinaus in der Atmosphäre zerwirbelte, und legte ein Stehrum nach dem anderen in eine leere Kiste. Diese werde ich zum AWO- Laden bringen. Vielleicht werden sich neue Besitzer daran erfreuen, so, wie ich es Jahrzehnte lang getan habe. Jetzt brauche ich das nicht mehr. Es ist Dein Geist, der mit Deinem Ableben in mich geschlüpft, mich erkennen lässt und handeln macht. Das

„Besondere“, das uns immer verbunden hat, es ist geblieben, es wohnt in mir, intensiver als je zuvor. – Ich glaube begriffen zu haben, was „Loslassen“ wirklich bedeutet. Dein physisches Gehen hat es mich gelehrt, hat mich dazu gezwungen, mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, und, wie Du siehst, ich habe diese Heraus- forderung, die mir zunächst nicht zu bewältigen schien, erfolgreich angenommen und bewältigt. Das macht mich Staunen, dankbar, und ein klein wenig stolz, dass ich es letztendlich geschafft habe.

Befreit wendet mein Blick sich in eine neue, weiter geöffnete Zukunft. Erkenntnis und Tatkraft dafür verdanke ich zu einem großen Teil Dir, meine liebe Christa. Und alles Vergangene unverloren komprimiert in dieser Erkenntnis, trenne ich mich leicht von den immer neu verstaubenden Relikten einer Vergangenheit, die trotz allem als meine Geschichte immer in mir verwurzelt bleiben wird. – Das in der Rückschau Verstandene ist mir zur Basis meiner Zukunft geworden. - „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts.“ sagte der dänische Philosoph Søren Kierkegaard einmal. „Leben muss man es vorwärts.“ – Und das werde ich tun! …

In der uns eigenen Verbundenheit – Deine Sonja

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