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Archiv "Medizinische Publikationen: Viel heiße Luft" (16.11.2001)

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ie Publikationsflut im medizini- schen Bereich hat ungeahnte Ausmaße angenommen: Weltweit werden täglich etwa 6 000 medizinische Artikel veröffentlicht. In der Daten- bank von Medline, in der bei weitem nicht alle Journale verzeichnet sind, können 22 400 Zeitschriften abgerufen werden. Zwar ist in den Lebenswissen- schaften ein starker Wissenszuwachs zu verzeichnen, der aber nicht so viele Ver- öffentlichungen rechtfertigt. Douglas Altman vom ICRF/NHS Centre for Statistics in Medicine in Oxford machte auf dem vierten Congress on Peer Review in Biomedical Publica- tion in Barcelona das akademische Bewertungssystem für die Vielzahl von Veröffentlichungen verantwort- lich: publish or perish. Aus Karriere- gründen werde zu viel und oft wissen- schaftlich Nutzloses publiziert. Alt- man vertritt die Auffassung, dass die Ärzte für die Forschung nicht gut gerüstet sind. So werde beispielsweise die mathematische Analyse zwar oft als wichtig angesehen, aber „die Stati- stik wird von Leuten ausgeführt, die kein angemessenes Verstehen und Wis- sen aufweisen“.

Das Gleiche gelte für das Begutach- tungsverfahren, in dem die statistische Auswertung häufig ebenfalls nicht nachgeprüft werde. Mithin stellt offen- bar auch das Review-Verfahren hierfür kein Korrektiv dar, und Altman folgert aus der Sicht des Statistikers, dass Peer Review schwierig und nur teilweise er- folgreich sei. Zur retrospektiven Über- prüfung solle die Veröffentlichung der Rohdaten obligatorisch sein. Die von vielen Zeitschriften festgelegten Fri- sten für die Einsendung von Diskussi- onsbemerkungen erlauben nur eine Stellungnahme innerhalb weniger Wo- chen. Dies entmutige die Leser, die pu-

blizierte Arbeit in Diskussionsbeiträ- gen zu kommentieren.

Um Missstände dieser Art zu behe- ben, schlägt Altman vor, die Qualität der Forschung strenger zu beurteilen.

Ferner solle man sich gegen ein Bewer- tungssystem wenden, das die Fähigkeit eines Forschers ausschließlich an der Länge der Publikationsliste beurteile.

Dies forderte Altman bereits 1994 in ei- nem Beitrag des British Medical Jour- nal (BMJ) (6). Den Autoren solle viel-

mehr das Publizieren erleichtert wer- den, indem das Procedere der Zeit- schriften harmonisiert und beispiels- weise „kleinkarierte Auflagen“ vermie- den sowie die Ressourcen des Internets genutzt werden.

Begutachtungsverfahren

Das Begutachtungsverfahren von wis- senschaftlichen Manuskripten, das Peer-Review-Verfahren, ist immer wie- der infrage gestellt worden, ohne dass allerdings bessere Alternativen prä- sentiert wurden. Tom Jefferson vom Cochrane Centre in Oxford hat die Auswirkungen des Begutachtungsver- fahrens auf verschiedene Parameter

wie Wichtigkeit, Nützlichkeit, Genauig- keit und methodologische Schlüssigkeit hin untersucht. Man könne nicht be- haupten, so Jefferson in Barcelona, dass das Peer Review eine wissenschaftliche oder evidenzbasierte Methode sei, weil es keine diesbezüglichen Analysen gä- be. Jefferson folgert, dass „es nur gerin- ge und verstreut vorkommende Bewei- se gibt, die zeigen, dass Peer Review die Qualität von biomedizinischer For- schung sicherstellt“.

In den meisten Fällen erfährt beim Peer Review ein anonym bleibender Gutachter die Identität des Autors, der das Manuskript einreicht. Über das Für und Wider wird seit Jahren gestrit- ten. Richard Smith ist in einem Editori- al im BMJ der Meinung, dass dieses Evaluationsverfahren langsam, teuer, sehr subjektiv, anfällig für systematische Verzerrungen (Bias), einfach zu miss- brauchen und unbrauchbar sei, grobe Fehler zu erkennen, und meist Betrug nicht nachweisen könne (7). Smith be- zieht sich hierbei auf Erkenntnisse der drei vorherigen Peer-Review-Kon- gresse und auf Beobachtungen des ehemaligen Chefredakteurs des BMJ, Stephen Lock (1, 2, 3, 4). Untersu- chungen konnten keinen Unter- schied zwischen einem verblindeten Peer Review, wo das anonymisierte Manuskript begutachtet wird, und einer herkömmlichen Beurteilung feststellen. Im zweiten Fall sind dem Reviewer die Autoren bekannt, er aber bleibt anonym. Die Entscheidung des BMJ, so Smith, seit 1999 ein offenes Peer Review durchzuführen, bei dem Gutachter und Begutachtete bekannt seien, basiert auf ethischen Gesichts- punkten. Dieses Verfahren werde allge- mein akzeptiert, betont Fiona Godlee von BioMed Central, London. Beson- ders die Autoren begrüßen die Neue- rung, und es bestehe die Möglichkeit, dass Interessenkonflikte des Gutachters erkannt werden.

Während der Leser in Originalpubli- kationen die Ergebnisse zumindest teil- weise selbst beurteilen kann und nicht nur auf die Interpretation durch die Verfasser angewiesen ist, ist dies bei Übersichtsarbeiten, in denen der Wis- sensstand zusammengefasst ist, und bei Editorials nicht möglich: Der Leser kann das glauben oder nicht. So sollten T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 46½½½½16. November 2001 AA3021

Medizinische Publikationen

Viel heiße Luft

Fehlerhafte Studien und die Beeinflussung der Forschung durch Sponsoren gefährden die wissenschaftliche

Aussagekraft und die Basis für Diagnostik und Therapie.

Dem Sponsor missfallen diese Ergebnisse.

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nach Auffassung von Shea et al. die Suchstrategie zur Ermittlung der rele- vanten Literatur, die Auswahlkriterien sowie die Methode, nach der die ausge- wählten Daten in Reviews zusammen- gefasst werden, angegeben werden (Proceedings of the VII Cochrane Col- loquium 1999). Alejandro Jadad und Mitarbeiter haben 50 systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zum Thema Asthmabehandlung eva- luiert (5). Zwölf Arbeiten stammten von der Cochrane Library, und 38 wur- den in Peer-Review-Zeitschriften ver- öffentlicht. 40 Arbeiten wiesen „ernste oder verbreitete Fehler“ auf, darunter sämtliche sechs Arbeiten die industriel- le Verbindung hatten. Von den zehn solidesten Arbeiten stammten sieben aus der Cochrane Library.

Autorenschaft aus Gefälligkeit

Graham Mowatt von der Universität von Aberdeen, Schottland, untersuchte bei Cochrane Reviews, welchen Anteil die Autoren an der Erarbeitung des Manu- skripts hatten. Mithilfe eines im Internet abrufbaren Fragebogens wurden die Au- toren von 577 Reviews aufgefordert, dar- zustellen, welchen Beitrag jeder Autor geleistet hat. Die Auswertung zeige, so Mowatt, dass in 48 Prozent der Über- sichtsarbeiten Autoren aufgeführt seien, die, nach den Kriterien des International Committee of Medical Journal Editors, keinen Beitrag geleistet haben, der sie dafür qualifiziere. Richard Smith schätzt, dass „ein Drittel der Autoren von Ori- ginalbeiträgen keine ordentlichen Auto- ren sind“. Durch diese Art von „Gefäl- ligkeitsautorenschaft“ nach dem Motto:

„eine Hand wäscht die andere“ wird die Publikationsliste ebenfalls verlängert.

Die Zeiten, in denen unabhängige Wissenschaftler die Schlüsselfiguren bei Design, Durchführung und Evaluation von Studien waren, könnten, nach Auf- fassung der Chefredakteure vieler maß- geblicher medizinischer Zeitschriften, bald vergangen sein. Wie aus einer Er- klärung hervorgeht, die gleichzeitig in mehreren Journalen veröffentlicht wur- de, sehen die Autoren den Hauptgrund für die zunehmende Abhängigkeit im wachsenden ökonomischen Druck. So werden in den USA circa 500 Millio-

nen $ veranschlagt, um ein neues Medi- kament auf den Markt zu bringen. Um die notwendigen Studien durchzu- führen, konkurrieren in den USA priva- te Forschungsinstitute, die mittlerweile 60 Prozent der industriellen Forschungs- gelder erhalten, mit akademischen Ein- richtungen, die noch einen Anteil von 40 Prozent halten. Diese Situation erlaube es den industriellen Auftraggebern, das Studiendesign, den Zugriff auf die Roh- daten und die Interpretation der Ergeb- nisse zu bestimmen – in einer Weise, die nicht immer den Interessen der For- scher, der Studienteilnehmer oder dem wissenschaftlichen Fortschritt diene.

Ferner seien einige Fälle bekannt gewor- den, in denen die Studienergebnisse nicht den Erwartungen der Sponsoren

entsprochen hätten und deshalb nicht veröffentlicht werden durften. Nancy Olivieri vom Hospital for Sick Children in Toronto hatte sich über solche Beden- ken offenbar hinweggesetzt. Im August 1998 veröffentlichte ihre Arbeitsgruppe im New England Journal of Medicine, dass der in der Studie untersuchte Che- latbildner Deferiprone zur Therapie der Thalassaemia major die Eisenkonzen- tration nicht adäquat kontrollieren kön- ne. Darüber hinaus wurden bei einigen Patienten Leberschäden festgestellt (N Engl J Med 1998; 339: 417–423). Apotex, der in Kanada ansässige Hersteller von Deferiprone, geht seitdem gerichtlich gegen die Autoren vor.

Autorenrichtlinien präzisieren

Um der wachsenden Abhängigkeit und möglichen Zensur der Sponsoren ent- gegenzutreten, verlangen die Annals of Internal Medicine, BMJ, JAMA, Lan- cet, New England Journal of Medicine und einige andere Zeitschriften von den Autoren eine detaillierte Er- klärung. Darin müssen diese bestätigen, dass sie die Verantwortung für die Durchführung der Studie übernehmen, Zugang zu allen Daten besaßen und un- abhängig entschieden, ob die Arbeit publiziert wird. Obwohl eine derartige Einflussnahme meistens von Sponsoren aus der Pharmaindustrie zu erwarten sei, müsse, so das Autorenkollektiv, auch bei öffentlichen Geldgebern mit Zensur gerechnet werden, wenn bei- spielsweise die Studie zu Ergebnissen führt, die im Gegensatz zu aktuellen Behandlungsstandards stehe.

Als Konsequenz aus dieser Entwick- lung werden die Richtlinien der Uni- form Requirements for Manuscripts Submitted to Biomedical Publications überarbeitet. Diese wurden ursprüng- lich von der Vancouver-Gruppe im Jahr 1979 formuliert, um einen international etablierten formalen Standard von wis- senschaftlichen Manuskripten zu er- zielen. Ausgehend von der Vancouver- Gruppe hat sich das International Com- mittee of Medical Journal Editors gebil- det, welches die Richtlinien aktualisiert hat (Textkasten). Dr. Stephan Mertens Literatur beim Verfasser und unter www.aerzteblatt.de T H E M E N D E R Z E I T

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A3022 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 46½½½½16. November 2001

Richtlinien des International

Committee of Medical Journal Editors

Autoren sollen erklären, ob im Zusammen- hang mit der Publikation ein finanzielles Interesse besteht. Hierzu zählen ein Arbeitsverhältnis, Be- ratertätigkeit, Aktienbesitz, ein freiwillig gezahl- tes Honorar oder eine bezahlte Gutachtertätig- keit.

Die Verfasser werden gebeten, ein persön- liches oder familiäres Verhältnis, eine wissen- schaftlich konkurrierende Beziehung oder eine wissenschaftliche Leidenschaft (zur Verfechtung einer bestimmten Hypothese) offen zu legen.

Besonders bei Editorials und Übersichtsarti- keln ist die Nennung von Interessenkonflikten wichtig, da hier eine voreingenommene Interpre- tation besonders schwer zu durchschauen ist.

Zuschüsse von Firmen, privaten Stiftungen und öffentlichen Stellen sollen bei Einreichung des Manuskripts dargelegt und mit veröffentlicht werden. Erläuterung der Rolle eines Sponsors bei Studiendesign, Erfassung, Analyse und Interpre- tation der Daten, dem Verfassen des Manuskripts sowie bei der Entscheidung, ob publiziert wird.

Bei gesponserten Studien könnte die Zeit- schrift von den Autoren eine Erklärung fordern, in der sie bestätigen, dass sie „zu jeder Zeit voll- ständigen Zugang zu allen Studiendaten hatten und die volle Verantwortung für die Integrität der Daten und die Genauigkeit der Datenanalyse übernehmen“.

Es wird gewünscht, dass Gutachter einen In- teressenkonflikt der Zeitschrift mitteilen, wenn dieser die Bewertung eines Manuskripts beein- flussen würde, und sie sollen die Arbeit nicht be- urteilen.

❃Bei Redakteuren, die über die Annahme eines Manus- kripts befinden, sollten weder persönliche, berufliche noch fi- nanzielle Interessen vorliegen.

Erklärungen über potenzielle Interessenkonflikte aller Re- daktionsmitglieder sollten regelmäßig veröffentlicht werden.

Übersetzung und Zusammenfassung: Stephan Mertens

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