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eimar ist eigentlich ein Park, in welchem ei- ne Stadt liegt.“ Adolf Stahr, von dem dieser Satz aus dem Jahr 1851 überliefert ist, hätte mit seiner Umkehrung auch heute noch Recht. Vom Stadtschloss oder vom Haus der Frau von Stein sind es nur wenige Schritte bis ins lich- te Grün einer ausgedehnten Parklandschaft. Der Park an der Ilm, nach 1778 unter Goethes Mitwirkung angelegt, ist 60 Hektar groß – Natur und Architektur „als eine Folge von ästhetischen Bil- dern“. Berghang und Fluss- niederung, Baumgruppen und weite Rasenflächen in wohl- tuendem Wechsel, die Ilm in ihrem natürlich gewundenen Bett, Sphinxgrotte, Goethes Gartenhaus, Römisches Haus, Dessauer Stein, Tempelher- renhaus, Shakespeare-Denk- mal, Borkenhäuschen, Schlan- genstein, Felsentor – ein Ge- samtkunstwerk.Den Marktbrunnen ziert eine Neptunsfigur. Die Ge- bäude ringsum repräsentie- ren Geschichte: das Hotel
„Elephant“, in Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“ li- terarisch verewigt; das Cra- nach-Haus, in dem Lucas Cranach d. Ä. 1552/53 sein letztes Lebensjahr verbrach- te; das Stadthaus im Stil der Frührenaissance; das neugo- tische Rathaus, in seinem ge- stuften Turm ein Glocken- spiel aus Meißner Porzellan.
Nur wenige Schritte zum Platz der Demokratie. An sei- ner Südseite das Fürstenhaus, heute Hochschule für Musik
„Franz Liszt“. Westlich das Grüne Schloss mit der Herzo- gin-Anna-Amalia-Bibliothek.
Ein bauliches Juwel ist der Rokokosaal von 1761. Rund
neunhunderttausend Bände sind in diesem Haus aufbe- wahrt. Das Schlossmuseum stellt die „Kunstsammlungen zu Weimar“ aus, darunter zahl- reiche Cranach-Gemälde und Dürer-Zeichnungen.
Ein „höchstgebildeter Kreis“
von Literaten und Künstlern Gegenüber dem Eingang zum Park an der Ilm steht, in war- mem Altrosa, das Haus der Frau von Stein. Charlotte von Stein verband eine langjährige enge Freundschaft mit Goethe.
Der Dichter wohnte am Frau- enplan, Weimars meistbesuch- ter Adresse. Goethe bewohn-
te das Haus von 1782 bis 1832, als er hier starb. Im Goethe- Nationalmuseum wird der ge- samte Nachlass des Dich- ters, ausgenommen die Hand- schriften, verwahrt – alles in allem rund 50 000 Objekte.
Die Amalienstraße führt zum Historischen Friedhof.
Linden säumen die Allee hin- auf zur 1824/25 errichteten
Fürstengruft. Dort stehen die Eichensärge Goethes und Schillers – in Nachbarschaft der Sarkophage von 41 Mit- gliedern des Weimarer Her- zoghauses. Eine Stadtführe- rin berichtet: „Seit der Wen- de kommen nicht mehr so viele Gäste aus den Ostlän- dern, dafür aber Westdeut- sche, Franzosen, Amerikaner und Japaner. Die Japaner sind am besten vorbereitet, sie sind sehr interessiert an Goethe, auch an Luther, Bach und Beethoven. Ich staune oft, was diese Leute schon al- les wissen.“
Das Schillerhaus gehörte der Familie von 1802 bis 1826.
Friedrich Schiller verfasste dort seine letzten großen Dramen: den „Tell“ und die
„Braut von Messina“. Das barocke Bürgerhaus ist 224 Jahre alt und dient heute als Schiller-Gedenkstätte. Der neue Anbau mit Elementen des Weimarer Bauhaus-Stils beherbergt das Schiller-Mu- seum.
Wohin man auch kommt in dieser Stadt: Man trifft auf Spuren ihrer Geistes- und Kunst-Koryphäen. Wieland, Herder, Goethe, Schiller – die vier „Weimarer Riesen“.
Johann Sebastian Bach, Franz Liszt, Richard Strauss, Lucas Cranach, Max Liebermann, Walter Gropius, Lyonel Fei- ninger, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Gerhard Marcks, Oskar Schlemmer, Henry van de Velde, Georg Muche – es muss schon etwas dran sein am Genius loci, am Geist Weimars, der so viel schöpferi- sche Kraft hier zu- sammenführte. Wei- mar ist eben nicht nur Hort der Klas- sik, sondern auch Hort der klassischen Moderne. Von 1919 bis 1925 arbeitete dort das von Walter Gro- pius gegründete Staat- liche Bauhaus. Die vom Staatlichen Bauhaus ausge- henden Impulse wirken bis heute; seine Tradition lebt fort in der heutigen Bauhaus- Universität. Der Van-de-Vel- de-Bau gehört seit 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Im Deutschen Nationalthea- ter tagte 1919 die verfassungs- gebende Weimarer National- versammlung. Vor dem Ba- rockbau das „Wahrzeichen“
der Stadt, das Doppelstand- bild Goethes und Schillers.
Dem Theater gegenüber be- findet sich das Wittumspalais, in dem die Herzogin Anna Amalia zu ihren Tafelrun- den einen „höchstgebildeten Kreis“ von Literaten und Künstlern versammelte, wo – so Goethe – „jeder auf seine Weise sich und andere unter- hielt“. Der Ostflügel des Ge- bäudes beherbergt das Wie- land-Museum. Günther Dressler V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 9½½½½2. März 2001 AA549
Die Stadt im Park
Die thüringische Stadt ist nicht nur Hort der Klassik, sondern auch Zentrum der klassischen Moderne.
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Goethes Wohnhaus am Frauenplan
Foto: Günther Dressler