In der 1950 in Massachu- setts uraufgeführten Oper
„Der Mulatte“ (Musik: Jan Meyerowitz, Libretto: Lang- ston Hughes), die 1971 in Neapel erstmals zu hören war und jetzt als deutsche Erstaufführung im Darm- städter Staatstheater heraus- kam, bildet das Südstaaten- problem Schwarz und Weiß den Konfliktstoff. Im alten Europa und Vorderen Orient trägt er nur andere Namen.
Das Drama bleibt das glei- che: Rassenschranken und Überheblichkeit, Intoleranz und Machtmißbrauch.
Inhalt der Oper ist ein tödlich endender Vater-Sohn- Konflikt, eine ausweglos scheinende, ambivalente Be- ziehung: Der alternde Oberst Norwood hat mit seiner farbi- gen Haushälterin Cora drei Kinder, darunter Robert, den ihm in Aussehen und Art so fatal ähnlichen Sohn. Nor- wood erkennt ihn nicht an.
Nach sechs Jahren Studium in der Fremde kehrt Robert
auf die Farm zurück, um, nach Norwoods Willen, auf der Plantage mitzuarbeiten, wie das Heer seiner schwar- zen Brüder, als einer der ihren. Das schmeckt Robert nicht mehr, er revoltiert.
Es kommt zu einer harten Auseinandersetzung mit dem Vater, als er die gesetzten
„Schranken“ überschreitet und Paroli bietet. Da sieht der Alte rot: Er greift zur Pi- stole, will abdrücken – und kann es plötzlich doch nicht.
Robert entwindet sie ihm.
Ein kurzes Handgemenge, Schläge, dann drückt er zu, erwürgt den Vater mit der bloßen Hand und entflieht.
Doch die Häscher sind schnell, den Dschungel im Sumpf zu erreichen gelingt nicht mehr. Um von seinen Verfolgern nicht als lodernde Fackel zur Belustigung der weißen Kolonie durch die Straßen gehetzt zu werden, jagt er sich die letzte Kugel selbst in den Kopf. Glasscher- ben auf der Bühne, zwei Tote
– was tut’s? Alles wird weiter- gehen wie zuvor. Niemand lernt dazu, nichts ändert sich . . .
Die unter Claus Guths Regie herausgebrachte Oper
„Der Mulatte“: eine beispiel- hafte Aufführung des Staats- theaters, das, seine begonne- ne Reihe gegen Intoleranz fortsetzend, die Zuhörer mit einem heiklen Thema kon- frontiert, einen mutigen Schritt nach vorn tut. Er wur- de mit starkem Beifall für die ausgezeichnete Interpretati- on bedankt und vielen Bra-
vos für die auf hohem Niveau singenden Protagonisten.
Christina Schmidts kalter, kalkweißer Bühnenraum mit
„schwarzem Winkel“, einem pompösen Armstuhl für Nor-
wood und dem Porträt seiner verstorbenen Frau als einzi- gen Requisiten stellt Anfor- derungen an die Sänger, die sie prachtvoll erfüllen: Re- becca Turner ist eine darstel- lerisch überzeugende Cora.
Hubert Bischoff spielt den Oberst, verdeutlicht großar- tig den quälenden inneren Zustand des im Grunde ein- samen Mannes.
Bruno Caproni gibt mit ansprechendem Bariton den jungen Stürmer und Dränger Robert, Barbara Meszaros singt klar und tonschön Nor-
woods Tochter Sally, in der
„Traumerzählung“ auch die
„junge Cora“.
Meyerowitz’ durch das Orchester subtil wiedergege- bene Musik trägt trotz aus Spirituals und Blues beruhen- den Songs durchaus europäi- sche Züge. Sie ist aufregend und faszinierend zugleich, sollte jeden Theatermann zum Nachspielen inspirieren.
„Der tiefere Entstehungs- grund der Oper war einfach mein eigenes Schicksal“, be- kennt freimütig der bei uns bislang noch völlig unbe- kannte Komponist. Als 20jähriger Student mußte er 1933 Hals über Kopf aus Ber- lin verschwinden, entkam der Gestapo, überlebte in Frank- reich den Krieg. Erst 1946 ge- lang die lange geplante Aus- wanderung in die USA, wo Meyerowitz schnell zu Anse- hen und Ruhm kam. Es wird Zeit, daß man seine Musik auch außerhalb Hannovers und Darmstadts endlich ken- nenlernt!
Britta Steiner-Rinneberg A-2048 (66) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 31–32, 5. August 1996
V A R I A FEUILLETON
Oper „Der Mulatte“
Ein Drama
gegen Intoleranz
Bruno Caproni gibt mit ansprechendem Bariton den jungen Stürmer und Dränger Robert, Rebecca Turner ist eine darstellerisch überzeugende Cora.Foto: Barbara Aumüller