Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 49⏐⏐8. Dezember 2006 A3293
S E I T E E I N S
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ine Zeit lang schien es so, als würde das Engage- ment der vergangenen Monate in Resignation umschlagen. Hatte es nicht vier nationale Protesttage gegen diese Gesundheitsreform gegeben, ohne dass die riesige Beteiligung von Ärztinnen und Ärzten besonde- re Resonanz in der Politik gefunden hätte? Ein gewisser Frust war verständlich. Und doch ist der vom außeror- dentlichen Ärztetag am 24. Oktober beschlossene, unter großem Zeitdruck vorbereitete bundesweite Aktionstag am 4. Dezember ein bemerkenswerter Erfolg gewor- den. Das mediale Echo war wieder durchweg positiv, wohl auch, weil die sachliche Information im Vorder- grund stand. Dass ein Bündnis von mehr als 40 Verbän- den und Organisationen des Gesundheitswesens zu dem Aktionstag aufgerufen hatte, hat der Öffentlichkeit vor Augen geführt: Es geht nicht um die Unzufriedenheit einzelner Gruppen. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Psy- chologische Psychotherapeuten, Ergotherapeuten, Lo- gopäden, Medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte – sie alle haben durch ihr persönliches Engagement, durch ihre Beteiligung an den vielfältigen Aktionen deutlich gemacht, dass die Grundrichtung der geplanten Reform auf breiten Widerstand stößt.Staatliche Bevormundung und Zentralisierung statt Selbstverwaltung kann weder bei der Mittelbereitstel- lung für das Gesundheitswesen noch bei der Entschei- dung über medizinische Behandlungsmethoden das Mittel der Wahl sein. Eine Politik, die dringend notwen- dige Grundsatzentscheidungen zur Finanzierung der Krankenversicherung aufschiebt, verlängert die Unter- finanzierung des Gesundheitswesens und trägt damit die Verantwortung für den schleichenden Qualitätsver- lust. Das Motto „Patient in Not – diese Reform schadet allen!“ war deshalb richtig gewählt. Die Patienten seien die Verlierer dieser Reform, sagte Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe, der Präsident der Bundesärztekammer.
Dieser Satz wird erst durch Konkretisierung anschau-
lich, wenn der Patient von seinem Arzt Beispiele hört, die ihn betreffen. Schon deshalb muss die Information der Versicherten und Patienten über die Folgen einer falschen Gesundheitspolitik auch nach dem 4. Dezem- ber weitergehen.
Niemand wird sich der Illusion hingeben, mit Pro- testtagen ließe sich schlagartig eine Kursänderung in der Politik bewirken. Aber sie können die direkten Gespräche mit Politikern wirksam unterstützen. Und tatsächlich kommt einiges in Bewegung. Zwar steht eine Rücknahme der Reformpläne in Berlin nicht zur Diskussion, aber bei den Honorarregelungen für die Kassenärzte ist zumindest eine Vereinfachung angekün- digt. Die Länder machen inzwischen den pauschalen
„Sanierungsbeitrag“ der Krankenhäuser ebenso zum Thema im Bundesrat wie die Einschränkung der Selbst- verwaltung. Näheres ist in diesem Deutschen Ärzteblatt nachzulesen. Ob und in welchem Ausmaß diese Ände- rungswünsche im Gesetz ihren Niederschlag finden, ist offen. Die endgültigen Entscheidungen zur Gesund- heitsreform fallen erst im kommenden Jahr. Bis dahin bleibt noch Zeit zum Nachdenken. Die Politiker sollten sie nutzen.
Heinz Stüwe Chefredakteur
BUNDESWEITER AKTIONSTAG
Anstoß zum Nachdenken
Heinz Stüwe