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Vermeidung von Nadelstichverletzungen
PD Dr. med. Monika A. Rieger
Kommissarische Leiterin
Institut für Arbeits- und Sozialmedizin Tübingen
ABAS und KRINKO im Dialog 27.10.2009
Infektionsprävention bei Patienten und Beschäftigten
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Nadelstichverletzung – Infektionsrisiken
- ca. 1 NSV pro Beschäftigtem pro Jahr
- Dunkelziffer bei den gemeldeten NSV: 26-90%
- Infektionsrisiko: v.a. blutübertragbare Virusinfektionen
Hepatitis B Hepatitis C HIV
bis 100%
bis 10%
0,3%
30%
3%
0,3%
Infektions-
risiko »3er-Regel«
100 Kopien Æ ca. 1µl
?? Æ 1µl – 1ml
100-500 Kopien Æ 1 ml Infektiöse Dosis Æ
Blutmenge
Quelle: International Healthcare Worker Safety Center, University of Virginia. U.S. EPINet Needlestick and Sharps 3
Injury Surveillance Network. Sharps Injury Data Report for 2000-2006; 66 hospitals contributing data, 10.117 total injuries.
Report available at http://healthsystem.virginia.edu/internet/epinet/epinetdatareports.cfm.
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000
Benutzer andere Person
unbekannt keine Angabe
Anzahl Nennungen
Wer wurde bei NSV verletzt?
Nadelstichverletzung – verletzte Personen
n=10.054 (66 Krankenhäuser, 10.117 NSV, Jahre 2000-2006)
Quelle: International Healthcare Worker Safety Center, University of Virginia. U.S. EPINet Needlestick and Sharps 4
Injury Surveillance Network. Sharps Injury Data Report for 2000-2006; 66 hospitals contributing data, 10.117 total injuries.
Report available at http://healthsystem.virginia.edu/internet/epinet/epinetdatareports.cfm.
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
während des Gebrauchs
Arbeitsgang mit mehreren
Schritten
zwischen Benutzung und
Entsorgung
während / nach Entsorgung
unkooperativer Patient
Wann trat die NSV auf?
Nadelstichverletzung – Zeitpunkt / Arbeitsablauf
n=10.101 (66 Krankenhäuser, 10.117 NSV, Jahre 2000-2006) Anzahl
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Schutzmaßnahmen: Arbeitsschutzgesetz
1. Arbeitsgestaltung: Gefährdung für Leben und Gesundheit
möglichst vermeiden, verbleibende Gefährdung möglichst gering halten (Minimierungsgebot);
2. Gefahren an ihrer Quelle bekämpfen;
3. bei Maßnahmen: Stand der Technik, Arbeitsmedizin & Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen;
4. Maßnahmen mit dem Ziel planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen;
5. individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Maßnahmen;
….
§ 4 Allgemeine Grundsätze
(ArbSchG (1996) - 89/391/EWG)6
Schutzmaßnahmen: BioStoff-Verordnung
§ 10 Schutzmaßnahmen
(BioStoffV (1999) - 2000/54/EG)Ausgestaltung / Konkretisierung:
Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) Gesundheitsdienst: TRBA 250
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Hierarchie der Schutzmaßnahmen
ubstitution echnisch
rganisatorisch ersönlich
T O
P S
Prävention (der Folgen) von Nadelstichverletzungen
- Nadelabwurfbehälter - „sichere Instrumente“
- Schulung, Unterweisung, Training - Arbeitsorganisation:
- Ruhe für die Punktion
- Regelung der Entsorgung
- Schnittstellen mit anderen Bereichen, z.B.:
- Küche, Gebäudereinigung, Technik - Zusammenarbeit mehrerer Arbeitgeber - Organisation der Ersten Hilfe
- (doppelte) Handschuhe - Impfung
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Nadelstichverletzung - Handschuhe
Quelle: International Healthcare Worker Safety Center, University of Virginia. U.S. EPINet Needlestick and Sharps
Injury Surveillance Network. Sharps Injury Data Report for 2000-2006; 66 hospitals contributing data, 10.117 total injuries.
Report available at http://healthsystem.virginia.edu/internet/epinet/epinetdatareports.cfm.
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000
1 Paar 2 Paar keine
Handschuhe
Anzahl Nennungen
n=8.935 (66 Krankenhäuser, 10.117 NSV, Jahre 2000-2006)
Penetration von Handschuhen
P
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Abwurfbehälter T
- stich- und bruchfest, den Abfall sicher umschließen -
verschließbares Einwegbehältnis- Inhalt bei z.B. Druck, Stoß, Fall nicht freigegeben - durchdringfest
- keine Beeinträchtigung durch Feuchtigkeit
- Größe und Einfüllöffnung abgestimmt auf Entsorgungsgut - kein Öffnen beim Abstreifen von Kanülen
- kenntlich als Abfallbehältnis (Farbe, Form, Beschriftung) - ggf. Benutzungshinweise
Æ abgestimmt auf Entsorgungskonzept
Æ abgestimmt auf verwendete Spritzensysteme Æ erkennbarer Füllgrad
TRBA 250 (Stand Juli 2007), Abschnitt 4.1.1.4: ab Schutzstufe 1
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Sichere Instrumente T
TRBA 250 (Stand Juli 2007), Abschnitt 4.2.4: ab Schutzstufe 2
Einsatz bei:
- Patienten, die nachgewiesenermaßen durch Erreger der Risikogruppe ≥ 3 (einschließlich 3**) infiziert sind
- Behandlung fremdgefährdender Patienten
- Tätigkeiten im Rettungsdienst und in der Notfallaufnahme - Tätigkeiten in Gefängniskrankenhäusern
zusätzlich:
- „Tätigkeiten, bei denen Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge übertragen werden können“, insbesondere:
− Blutentnahmen
− sonstige Punktionen zu Entnahme von Körperflüssigkeiten (Ausnahmen möglich; Gefährdungsbeurteilung!)
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Sichere Instrumente T
TRBA 250 (Stand Juli 2007), Abschnitt 4.2.4
Auswahl von / Anforderungen an sichere Instrumente
- Anwendungsbezug - Handhabbarkeit
- Akzeptanz
- Anpassung der Arbeitsabläufe
- Unterweisung und Schulung: Umgang mit Instrumenten - Überprüfung der Wirksamkeit
- keine Gefährdung der Patienten
Æ Evaluation erforderlich!
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Sichere Instrumente
Technisches Prinzip: nach Anwendung stumpf / gekapselt
T
Art der Anwendung / Auslösung aktiv
(einhändige) Aktivierung
passiv
„von selbst“
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Nadelstichverletzung – sichere Instrumente
Quelle: International Healthcare Worker Safety Center, University of Virginia. U.S. EPINet Needlestick and Sharps Injury Surveillance Network. Sharps Injury Data Report for 2007; 29 hospitals contributing data, 951 total injuries.
Report available at http://healthsystem.virginia.edu/internet/epinet/epinetdatareports.cfm.
42 529
341
0 100 200 300 400 500 600
sicheres Instrument
kein sicheres Instrument
unbekannt
Anzahl Nennungen
n=912 (29 Krankenhäuser, 951 Fälle, Jahr 2007)
Verwendung sicherer Instrumente
T
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Nadelstichverletzung – sichere Instrumente
Quelle: International Healthcare Worker Safety Center, University of Virginia. U.S. EPINet Needlestick and Sharps Injury Surveillance Network. Sharps Injury Data Report for 2007; 29 hospitals contributing data, 951 total injuries.
Report available at http://healthsystem.virginia.edu/internet/epinet/epinetdatareports.cfm.
226
38 55
0 50 100 150 200 250
vollständig aktiviert
teilweise aktiviert nicht aktiviert
Anzahl Nennungen
n=319 (n=341 NSV bei sicheren Instrumenten) (gesamt: 29 Krankenhäuser, 951 Fälle, Jahr 2007)
NSV – Status des Sicherheitsmechanismus
T
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Nadelstichverletzung – sichere Instrumente
Quelle: International Healthcare Worker Safety Center, University of Virginia. U.S. EPINet Needlestick and Sharps Injury Surveillance Network. Sharps Injury Data Report for 2007; 29 hospitals contributing data, 951 total injuries.
Report available at http://healthsystem.virginia.edu/internet/epinet/epinetdatareports.cfm.
39 65
204
0 50 100 150 200 250
vor Aktivierung während Aktivierung
nach Aktivierung
Anzahl Nennungen
n=308 (n=341 NSV bei sicheren Instrumenten) (gesamt: 29 Krankenhäuser, 951 Fälle, Jahr 2007)
Zeitpunkt NSV - Verwendung Sicherheitsmechanismus
T
Evaluation!
Schulung, Training!
Sichere
Entsorgung!
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Evaluation eigensicherer Instrumente
http://www.osha.gov/Publications/osha3161.pdf
Empfehlung für die Evaluation (OSHA, 1993):
- Anzahl pro Instrument: mind. vier - multimodale Schulung, Training - praxisnahe Anwendung
- Dummies, Simulatoren - Patienten
- alle Anwendungen ausprobieren - gezielt falsch benutzen
- Freitextantworten, Priorisierungen
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Evaluation eigensicherer Instrumente
Kriterien aus TRBA 250 - Anwendungsbezug - Handhabbarkeit - Akzeptanz
- Anpassung der Arbeitsabläufe - Unterweisung und Schulung:
- Umgang mit Instrumenten
- Überprüfung der Wirksamkeit - keine Gefährdung der Patienten
www.stop-nadelstich.de
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Einführung sicherer Instrumente: Projekt STOP
Beteiligung der Betroffenen: Ärzte & Pflegende - Schulung, Training
- Evaluation
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Evaluation sicherer Instrumente
Beispiel: Evaluation – Venenverweilkanülen - Klinik
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Beispiel: Evaluation – Venenverweilkanülen - Rettungsdienst
Evaluation sicherer Instrumente
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Beispiel: Evaluation – Flügelkanülen - Klinik
Evaluation sicherer Instrumente
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Nadelstichverletzungen – Etablierung von sicheren Instrumenten im Gesundheitswesen
Quelle: Dr. U. Swida, Amt für Arbeitsschutz, Hamburg
Durchführung
• Informationsveranstaltung
• Durchführung von Pilotprojekten an 12 Krankenhäusern
• Erfahrungsaustausch
• Tagung „Sichere Instrumente - Hamburg stellt um“
(Rechtslage, Vorstellung der Ergebnisse für den norddeutschen Raum)
Kooperationspartner:
‐Empfehlungen zum Projektrahmen
‐Musterkoffer & Informationsmaterial
‐Arbeitshilfen (Gefährdungsbeurteilung, Erprobungsbogen,
Dokumentationshilfe…)
Einführung sicherer Instrumente: Hamburg
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Organisatorische Schutzmaßnahmen
O
„Katastrophale Arbeitsbedingungen“
(Freitextangabe, STOP-Projekt)
-> Stress & Häufigkeit von Arbeitsunfällen -> Sicherheitskultur, Vorgesetzte als Vorbild im Gesundheitsdienst
- DRGs, Outsourcing, Privatisierung:
- Arbeitsverdichtung
- neue Aufgabenverteilung - (neue / mehr) Schnittstellen
- Umsetzung TRBA 250 (Organisation) - Schulung, Training, Beratung
- Kooperation der Arbeitgeber - Regelung der Ersten Hilfe
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Vermeidung von Nadelstichverletzungen
- mehr als die Einführung sicherer Instrumente - Grundlage für multimodalen Ansatz:
Gefährdungsbeurteilung
- Kooperation aller an Arbeitsschutz und Hygiene beteiligten Personen
- Partizipation der Beschäftigten