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Das Phänomen Lurking: Individuelle Lernprozesse

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Academic year: 2022

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Dissertation

Das Phänomen Lurking

Individuelle Lernprozesse „aktiver“ und

„passiver“ Nutzer*innen virtueller

Lernumgebungen im Fernstudium am

Beispiel der FernUniversität in Hagen

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Das Phänomen Lurking

Individuelle Lernprozesse „aktiver“ und „passiver“ Nutzer*innen virtueller Lernumgebungen im Fernstudium am Beispiel der FernUniversität in Hagen.

Dissertation zur Erlangung des akademischen Titels einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.)

an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen, Institut für Bildungswissenschaft und Medienforschung

vorgelegt von:

Claudia Grüner

Erstgutachterin: Frau Prof. Dr. Claudia de Witt Zweitgutachter: Herr Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz

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Dass die vorliegende Dissertationsschrift trotz persönlicher Turbulenzen zum Abschluss gebracht werden konnte, erforderte einen hohen Kraftaufwand und langen Atem, der ohne die Unterstützung und Motivation vieler Menschen in meinem privaten und beruflichen Umfeld nicht möglich gewesen wäre. Dafür möchte ich allen meinen herzlichsten Dank aussprechen.

Insbesondere bedanke ich mich bei meiner Erstgutachterin Frau Prof. Dr. Claudia de Witt. Einmal dafür, dass sie mir diese Dissertation ermöglicht hat, vor allem aber für wertvolle Impulse, Geduld und ein stets offenes Ohr. Meinem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz danke ich für wichtige Impulse und Unterstützung, insbesondere in der Startphase der Dissertation.

Ein ganz besonderer Dank gebührt auch meiner Kollegin Birgit Baudach. In der Aufbereitung und Auswertung der Log-Dateien war sie mir mit Geduld und Präzision eine unentbehrliche Unterstützung.

Ebenso bedanke ich mich beim Team des ZMI der FernUniversität in Hagen für die Bereitstellung und Filterung der Daten und die gute Kooperation.

Mein Dank gilt auch all meinen Kolleg*innen des Lehrgebiets Bildungstheorie und Medienpädagogik für vielerlei Unterstützung. Insbesondere die kritisch-konstruktiven Diskussionen mit Christina Gloerfeld, Christian Leineweber und Patrycja Psyk bei den Treffen unserer „Dissertations-Selbsthilfegruppe“ waren impulsgebend und motivierend.

Ein herzliches Dankeschön geht natürlich auch an die Studierenden, die mir ihre Zeit zur Verfügung gestellt und mich mit Interviews und Lernprotokollen unterstützt haben.

Ohne sie hätte diese Arbeit nicht geschrieben werden können.

Dafür, dass ich überhaupt den Mut gefunden habe, mich an ein Dissertationsprojekt zu wagen, danke ich Maria Flück, die mich stets ermutigt und als Mentorin und Kollegin lange Zeit begleitet hat.

Und last but not least gilt mein tiefer Dank meiner Familie, die mich mit endloser liebevoller Geduld unterstützt hat, auch wenn das in manchen Phasen sicher nicht einfach war. Euch ist diese Arbeit gewidmet!

Claudia Grüner Lünen, im Februar 2018

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3

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis---6

Tabellenverzeichnis---7

1 Einleitung --- 8

1.1 Einführung in das Forschungsfeld und Problemaufriss--- 8

1.2 Zielsetzung der Arbeit, methodisches Vorgehen und struktureller Aufbau -- 11

2 Grounded Theory Methodologie – Verortung und Begründung --- 15

2.1 Wissenschaftstheoretische Verortung der GTM --- 15

2.2 Die GTM und das Phänomen Lurking – Methodologischer Bezugsrahmen 23 3 Perspektivische Annäherung an das Phänomen Lurking --- 30

3.1 Kontextuelle Verortung des Phänomens --- 31

3.2 Überlegungen zur begrifflichen Einordnung des Phänomens Lurking --- 36

3.3 Der bisherige Forschungsstand --- 38

3.3.1 Querschnitt durch die Forschungslage --- 40

3.3.2 Lurking im Kontext von MOOCs --- 50

3.3.2.1 MOOCs – Ein zusammenfassender Überblick --- 51

3.3.2.2 Das Prinzip des Konnektivismus --- 55

3.3.2.3 Differenzierung der Partizipationsformen --- 58

3.3.3 Vielschichtigkeit der Deutungen – Eine definitorische Eingrenzung --- 60

3.3.3.1 Die Ambivalenz passiver Partizipation --- 61

3.3.3.2 Zugeschriebene Perspektiven und Deutungen --- 62

3.3.3.3 Zusammenfassende Betrachtung --- 67

3.3.4 Lurking als Phänomen virtuellen Lernen und Lehrens --- 69

3.4 Weiterer Forschungsbedarf und Schlussfogerungen --- 74

4 Lerntheoretische Rahmung des Phänomens Lurking --- 76

4.1 Lernen aus subjektwissenschaftlicher Perspektive --- 77

4.2 Definitorische Einordnung der Begriffe Handeln und Lernhandeln --- 82

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4.3 Definitorische Einordnung des Begriffs Selbststeuerung --- 86

4.4 Verknüpfung von Lurking und Lernen --- 90

5 Das Fernstudium – Besonderheiten des Anwendungsfeldes --- 93

5.1 Distance Education – Entwicklungslinien im Blitzlicht --- 94

5.2 Das Beispiel FernUniversität in Hagen – Ausgewählte Aspekte --- 97

6 Methodik der empirischen Untersuchung und Logfileanalyse --- 100

6.1 Untersuchungsdesign --- 100

6.2 Zugang zum Forschungsfeld und Auswahl der Probanden --- 104

6.3 Schritte zur Erhebung und Auswertung der Daten --- 108

6.3.1 Vorgehen zur Analyse der Lernprotokolle --- 109

6.3.2 Vorgehen zur Analyse der Interviews --- 111

6.3.2.1 Begründung der Interviewmethode--- 114

6.3.2.2 Erstellung des Interviewleitfadens --- 115

6.3.2.3 Transkription der Interviews --- 117

6.3.2.4 Form der Auswertung --- 119

6.3.3 Quantitative Ergänzung der qualitativen Daten – Eine Logfileanalyse --- 123

7 Deskriptive Darstellung der Ergebnisse der qualitativen Analyse --- 135

7.1 Auswertung der Lernprotokolle--- 136

7.2 Auswertung der Interviewdaten --- 144

7.3 Zusammenführung von Lernprotokollen und Interviewdaten --- 156

8 Interpretation und theoretische Verortung der Daten --- 161

8.1 Faktoren datensensibler Interpretation --- 161

8.2 Theoretische Verortung der Kernkategorien --- 164

8.2.1 Kategorie K1: Nutzungsbarrieren und Handlungsbegründungen --- 165

8.2.1.1 Kategorie K1a: Zeitlast --- 166

8.2.1.2 Kategorie K1b: Emotionale Faktoren --- 170

8.2.2 Kategorie K2: Soziale Präsenz --- 176

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5

8.2.3 Kategorie K3: Lernen durch Beobachtung und Modellierung--- 185

8.2.4 Kategorie K4: Flexibles und Selbstkontrolliertes Lernhandeln --- 193

8.3 Zusammenführung der Kernkategorien und theoretische Quintessenz ---- 201

8.3.1 Eingrenzungen und Schlussfolgerungen --- 208

8.3.2 Antworten auf die forschungsleitenden Fragen --- 210

8.3.3 Theoretische Quintessenz --- 215

9 Abschließendes Resümee --- 221

9.1 Implikationen für das Lehren und Lernen im Fernstudium --- 221

9.2 Methodenreflexion und Reichweite der Theorie --- 226

9.3 Fazit und Ausblick --- 231

Literaturverzeichnis --- 235

Erklärung --- 254

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6 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Strukturelles und methodisches Vorgehen der Arbeit. ... 15

Abbildung 2: Kodierparadigma nach Strauss. ... 29

Abbildung 3: Skizzierung der Analyseschritte. ... 30

Abbildung 4: Top Reasons of Lurking. ... 46

Abbildung 6: Spektrum differenten Nutzungsverhaltens. ... 68

Abbildung 5: Das Subjekt im Spannungsfeld von formalem und informellem Lernen. . 73

Abbildung 7: Deduktive Kategorien ... 110

Abbildung 8: Ablauf der qualitativen Inhaltsanalyse. ... 111

Abbildung 9: Liste der Codes, Ausschnitt ... 121

Abbildung 10: Strukturierung der Codings. ... 122

Abbildung 11: Verhältnis Einträge in Moodle Gesamt und Passiv pro Tag ... 127

Abbildung 12: Anzahl Moodle-Aufrufe passiver Nutzer*innen pro Tag ... 128

Abbildung 13: Anzahl passive Nutzer*innen pro Tag ... 129

Abbildung 14: Tägliche Anzahl Aufrufe pro Nutzer*in ... 130

Abbildung 15: Moodle-Aufrufe nach Kategorien ... 132

Abbildung 16: Tägliche Nutzungszeit pro Nutzer*in (Inaktivität 30 Minuten) ... 134

Abbildung 17: Tägliche Nutzungszeit pro Nutzer*in (Inaktivität 2 Stunden) ... 134

Abbildung 18: Kategorien Lernprotokolle. Schema der Bezugsstruktur ... 141

Abbildung 19: Verhältnis Zeitaufwand für Lernaktivitäten ... 143

Abbildung 20: Mittelwert Zeitaufwand für Lernaktivitäten in Minuten ... 143

Abbildung 21: Relation der Kodierungen in MAXQDA ... 147

Abbildung 22: Schema der Kernkategorien ... 160

Abbildung 23: Bezugspunkte der Kernkategorien ... 202

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7 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Interaction in Usenet Groups. ... 39

Tabelle 2: Anzahl der Moodle-Aufrufe gesamt und passiv ... 127

Tabelle 3: Anzahl passiver Nutzer*innen pro Tag ... 129

Tabelle 4: Qualitative Inhaltsanalyse der Lernprotokolle ... 137

Tabelle 5: Grundlegende Kategorien zur Vorbereitung der axialen Kodierung ... 144

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1 Einleitung

1.1 Einführung in das Forschungsfeld und Problemaufriss

Technologische Innovationen und Prozesse der Digitalisierung treiben Veränderungen von Gesellschaft, denen sich jede/r Einzelne dauerhaft stellen muss, rasant voran.

‚Lebenslanges Lernen‘, ‚Selbstgesteuertes Lernen‘, ‚Partizipation‘, ‚Lernen mit digitalen Medien‘ oder auch ‚Medienkompetenz‘ und ‚Medienbildung‘ sind einige der Begriffe, die mit diesem umfassenden Wandel verbunden sind (vgl. z. B. Biermann, Fromme &

Verständig, 2014; Griesehop & Bauer, 2017). Das stellt auch die Medienpädagogik vor Herausforderungen, insbesondere wenn es darum geht, „die digitalen Medien wirkungsvoll zur Gestaltung der Online-Lehre und des Online-Lernens einzusetzen und in Handlungspraxen onlinebasierter Lehr-Lernarrangements zu überführen“ (Griesehop

& Bauer, 2014, S. VI). Engagement und Eigenaktivität der Lernenden stehen dabei im Zentrum, auch im Hinblick auf das gemeinsame Lernen in internetgestützten Lernumgebungen bzw. in virtuellen Gemeinschaften, die hier Döring folgend in einem ersten Schritt als Gemeinschaften, die „sich durch wiederholte, regelgeleitete Kommunikation an einem virtuellen Ort“ konstituieren (Döring, 2003, S. 501, Hervorh. im Original) eingestuft werden können.

Döring verweist darauf, dass sich innerhalb dieser Gemeinschaften unterschiedliche Nutzungstypen ausbilden, deren Ausmaß an Sichtbarkeit und Selbstdarstellung ein mögliches Unterscheidungskriterium bilden kann. Einen Nutzungstyp, der quasi unsichtbar bleibt und möglicherweise vor einer offensiven und öffentlichen Selbstdarstellung zurückschreckt, stellen die sog. ‚Lurker‘ dar, ein Begriff aus dem Netzjargon, der etymologisch auf dem englischen „to lurk“ beruht, was so viel bedeutet, wie lauern, schleichen, sich versteckt halten (vgl. Grüner, 2016). Schon durch diese Begriffsableitung erhält Lurking eine negative Konnotation und verursacht zunächst einmal Unbehagen. Die Assoziation mit ‚Abgucken‘ oder dem ‚Blinzeln durch ein Schlüsselloch‘ ist hier nicht weit entfernt. Allerdings könnte es auf Dauer ‚vor dem Schlüsselloch‘ recht eng werden, denn der Begriff Lurking beschreibt nicht das Nutzungsverhalten von Einzelnen, sondern stellt ein Massenphänomen dar (vgl. ebd.).

Die überwiegende Anzahl der Nutzer*innen im Netz „lurkt“, greift dabei auf unterschiedliche virtuelle Umgebungen im Internet zurück und hält sich ansonsten im Hintergrund oder offline auf. Lurking ist somit auch ein soziales Phänomen, das im

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Hinblick auf digitale Strukturen zwar salient wird, aber durchaus auch auf andere Settings übertragbar ist.

Wann macht sich jemand des Lurkings „verdächtig“? Geschieht dies beim Suchen nach Informationen in unterschiedlichen Foren? Beim kurzen Blick in die aktuelle Diskussion auf Facebook? Oder beim Blick über die Schulter von Kolleg*innen? Bei ausschließlich zuhörender (und vielleicht nicht einmal dieser) Beteiligung in einem Präsenzseminar?

Vielleicht sind manchmal auch noch Situationen aus der Schulzeit im Gedächtnis, als morgens auf dem Schulweg noch schnell die Hausaufgaben von den Mitschüler*innen abgeschrieben wurden? Das Phänomen Lurking und die damit verbundenen Assoziationen sind nicht neu und eben auch nicht nur auf digitale Kontexte bezogen. Sie sind auf den ersten Blick vielleicht sogar als banal und trivial einzustufen, gewinnen jedoch im Kontext von durch Digitalisierung geprägten Lernprozessen an neuer Bedeutung, so dass sich ein zweiter Blick aus bildungswissenschaftlicher Perspektive durchaus lohnt, insbesondere im Hinblick auf das Forschungsfeld Distance Eduaction bzw. Fernstudium, das in besonderem Maße von den Veränderungen durch Technologie und Digitalisierung abhängt.

Angesprochen sind hier hochschuldidaktische und medienpädagogische Fragestellungen, insbesondere im Hinblick auf die Förderung von selbstgesteuertem Lernen und Handeln, die Unterstützung der Eigenaktivität der Studierenden sowie die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Hochschulen sind laut dem Strategiepapier der Kultusministerkonferenz „wichtige Nutzer digitaler Möglichkeiten und zugleich Treiber der digitalen Entwicklung“ (KMK, 2016, S. 43). Diese Einschätzung bezieht sich auf unterschiedliche Ebenen. Im Hinblick auf die Lehre wird konstatiert: „Besondere Chancen liegen in den Möglichkeiten, die Studierenden mittels digitaler Technologie intensiv und interaktiv in Lehr-Lern-Prozesse einzubinden.“ (ebd., S. 46). Hier sind unter anderem die veränderten Rollen von Lehrenden und Lernenden sowie die zeitliche und räumliche Entgrenzung angesprochen. Im Kern ist damit auch die Fragestellung betroffen, inwieweit Studierende an der Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen partizipieren können, wobei Partizipation hier als Möglichkeit zu einer aktiven, gestaltenden Mitwirkung und Beteiligung sowie als „mitverantwortliche Selbstbestimmung“ (Wagner, Gerlicher & Brüggen, 2011) verstanden werden soll. Dem Ziel forcierter Interaktion und Partizipation steht jedoch die hohe Zahl an Studierenden gegenüber, die virtuelle Lernumgebungen nur in geringem Maße nutzen und überwiegend

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im Hintergrund bleiben. Über diese Nutzungsgruppe ist nur wenig bekannt, dennoch ist sie präsent und bildet einen großen Teil einer virtuellen Gemeinschaft. Das bedeutet für Lehr-/Lernprozesse, es wird quasi gemeinschaftlich agiert, ohne jedoch genaue Kenntnis über die Gemeinschaft der Lernenden zu haben. Damit fehlt aber auch Wissen über das Lernverhalten und die Bedarfe der Studierenden, das jedoch erforderlich ist, um eine virtuelle Lernumgebung lernförderlich gestalten zu können (vgl. z. B. Kerres, 2013). Es erscheint daher als notwendig und vielversprechend, die Nutzungsgruppe der sog.

‚Lurker‘ näher in den Blick zu nehmen, nach den Gründen für eine überwiegend passive Nutzung virtueller Lernumgebungen zu fragen und zu eruieren, wie Lurker ihren Lernprozess gestalten. Der Terminus ‚passiv‘ wird hier im Sinne von Döring (2003, S.

397) verwendet, die darunter einen „passiv-rezeptiven Nutzungsstil“ versteht.

Ausgangspunkt für die Betrachtung ist die These, dass die Gründe für eine passive Nutzung als vielfältig, individuell und variabel angenommen werden und eine Wechselwirkung zwischen aktiver und passiver Beteiligung erwartet wird.

Das Wissen über das Phänomen Lurking ist bisher fragmentarisch, vieles wird vermutet, wenig ist empirisch abgesichert oder von genereller Gültigkeit und die Forschung zum Phänomen stagniert seit einigen Jahren (vgl. Kapitel 3.3). Die folgende Arbeit greift zur Darstellung eines möglichst umfassenden Bildes des Ausgangspunktes die bisherigen Forschungsstränge auf und geht dabei bis in die Anfänge der Betrachtung des Phänomens zurück, die im Aufkommen der Mailinglisten in den 1990er Jahren liegen. Die Untersuchung ist explorativ und kann nur einen Ausschnitt als weiteren Teil zur Vervollständigung des Bildes darlegen und betrachten. In den Blick genommen wird formales Lernen im institutionellen Kontext eines Fernstudiums. Das gewählte Anwendungsfeld ist die FernUniversität in Hagen, die hier als exemplarisch für das Fernstudium gesehen wird und gleichzeitig ein Beispiel für digitales Lehren und Lernen darstellt. Die Arbeit leistet damit einen Beitrag zur Erforschung des Lehrens und Lernens in der Fernlehre am Beispiel der FernUniversität in Hagen und ist als explorativer Beitrag zum Forschungsfeld Distance Education zu verstehen. Die gewonnenen Erkenntnisse können in der angestrebten Exemplarität als richtungsweisend für weitere Fernstudienkontexte gesehen werden und haben auch Relvanz für digital unterstützte Lernprozesse an Präsenzhochschulen, insbesondere im Hinblick auf die mit Digitalisierungsprozessen verbundene zeitliche und räumliche Entgrenzung sowie die zunehmende Verschmelzung von Fern- und Präsenzlehre.

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1.2 Zielsetzung der Arbeit, methodisches Vorgehen und struktureller Aufbau Ziel der Dissertation ist es, das Phänomen Lurking systematisch in seinem Facettenreichtum darzustellen, detaillierter aufzuschlüsseln und theoretisch grundlegend neu einzuordnen. Die bisherige Forschung hat einen ersten groben Rahmen gespannt, der aber unter anderem aus hochschuldidaktischer Perspektive – und hier insbesondere im Kontext des Fernstudiums – noch zahlreiche Lücken aufweist und den es weiter zu differenzieren und auszufüllen gilt. Dieser Sachverhalt stellt ein Desiderat dar, das insbesondere auch für die Gestaltung von Lernumgebungen und die Unterstützung selbstgesteuerter Lernprozesse von Bedeutung ist. Um zu einem besseren Verständnis des Phänomens Lurking gelangen zu können, ist zu fragen, ob und inwieweit Lurking als eine gezielte Lern- und Handlungsstrategie eingesetzt wird, und welche Handlungsgründe einem passiven Nutzungsverhalten zugrunde liegen.

Über die subjektiven Einstellungen der sogenannten ‚Lurker‘ und ihre jeweiligen Wünsche, Bedarfe und Strategien im Hinblick auf den individuellen Lernprozess ist nur wenig bekannt, das Forschungsfeld ist also weitgehend unbestellt, so dass sich zur Annäherung an das Phänomen Lurking der Einsatz qualitativer Methoden anbietet. Ziel der Untersuchung ist es, einen Zugang zu subjektiven Sichtweisen zu bekommen sowie individuelle Sinnstrukturen herauszuarbeiten und zu analysieren, womit eine Hauprichtung qualitativer Sozialforschung berührt wird (Brüsemeister, 2008, S. 7). Um das gesetzte Ziel erreichen zu können, ist eine in hohem Maße offene Herangehensweise erforderlich. Die Grounded Theory Methodologie (GTM) „als die klassische, Theorien entdeckende qualitative Methode“ (ebd., S. 151) erweist sich hier in besonderem Maße als geeignet, da sie es ermöglicht, weitgehend vorbehaltlos an den Forschungsgegenstand heranzugehen. Darüber hinaus deckt die Grounded Theory Methodologie ein breites Spektrum an Gegenstandsbereichen ab und macht es möglich, vielfältige Datenformen und auch unterschiedliche methodische Herangehensweisen miteinander zu kombinieren.

Fokussiert werden sowohl Handlungsprozesse im Sinne von Selektionsentscheidungen als auch Gruppenprozesse im Sinne eines handelnden Zusammenwirkens, das auf das jeweilige Einzelhandeln zurückwirkt (vgl. Brüsemeister, 2008, S. 152). Beide Aspekte sind für eine interpretative Auseinandersetzung mit dem Phänomen Lurking von Relevanz.

Die Subjektivität der Forschenden ist in den Interpretationsprozess mit eingebunden und der Untersuchungsgegenstand soll möglichst ohne theoretische Vorannahmen und Hypothesen in den Blick genommen werden (Glaser & Strauss, 2010). Das bedeutet jedoch nicht, sich ohne jegliches Wissen und unvorbereitet in das Forschungsfeld zu

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begeben. Ein Überblick über bestehende Erkenntnisse zum Untersuchungsgegenstand und eine erste theoretische Annäherung sind unumgänglich, auch um eine größtmögliche theoretische Sensibilisierung zu erreichen, ohne die eine adäquate Interpretation der empirischen Daten nicht möglich ist. Der empirischen Untersuchung sind daher theoretische Vorüberlegungen vorangestellt, die sich auf die Methodologie, auf die bisherige Forschungslage zum Phänomen Lurking sowie auf die lerntheoretische Einordnung des Phänomens beziehen. Der strukturelle Aufbau der Arbeit gestaltet sich wie folgt:

Nach einer in Kapitel 2 vorgenommenen wissenschaftstheoretischen Einordnung der Grounded Theory Methodologie wird im dritten Kapitel zur Betrachtung des Phänomens Lurking zunächst ein Querschnitt durch die bisherige Forschungslage gezogen und die Ergebnisse werden im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit an die hier interessierende Fragestellung diskutiert. Die unterschiedlichen Facetten, Betrachtungsweisen und Deutungen des Begriffs Lurking werden aufgezeigt und anhand bisheriger Argumentationslinien systematisch eingeordnet. Diese erste theoretische Annäherung erhebt nicht den Anspruch auf eine erschöpfende Darstellung der Theorie zum Phänomen Lurking, sondern greift ausgewählte Aspekte auf, anhand derer der weitere Betrachtungsrahmen gespannt werden kann. Die erkennbaren theoretischen Bezugspunkte werden im Kontext der Vorüberlegungen bzw. der theoretischen Sensibilisierung zunächst nur kurz beleuchtet, um dann im fortschreitenden Verlauf der Arbeit weiter ausdifferenziert zu werden. Die Grundlage für dieses Vorgehen ist ein im Zuge der Anwendung der Grounded Theory Methodologie entstehender iterativer Prozess, in dessen Verlauf die theoretischen Bezugspunkte sich in zunehmender Deutlichkeit und Vertiefung herausarbeiten lassen.

Zur trennscharfen Bestimmung und Eingrenzung des Phänomens im Hinblick auf Lernen und subjektive Lernhandlungen wird im vierten Kapitel die lerntheoretische Rahmung auf der Grundlage der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie nach Holzkamp (1995) aufgespannt und durch ausgewählte Aspekte handlungstheoretischer Ansätze ergänzt. Dieser theoretische Rahmen ermöglicht es, das lernende Subjekt in das Zentrum der Betrachtung zu stellen und bietet damit eine gute Basis, um auf subjektive Sichtweisen und Sinnstrukturen individueller Nutzer*innen fokussieren zu können. Aufgrund der handlungsorientierten Perspektive ist zudem die Einordnung von Lurking als Aktivität und Handlungsstrategie möglich.

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Um das für die empirische Untersuchung ausgewählte Anwendungsfeldes betrachten zu können, werden im fünften Kapitel die Besonderheiten von Fernstudium und Distance Education kurz dargestellt. Ziel der Ausführungen ist es, den institutionellen Rahmen, in den die Arbeit eingebettet ist, darzulegen und näher zu bestimmen. In den Blick genommen werden insbesondere auch die zunehmend erkennbare Entgrenzung und Verschmelzung von Fern- und Präsenzlehre.

An die theoretischen Vorüberlegungen schließt sich ab Kapitel sechs eine empirische Untersuchung an, in der ein spezifischer Bereich des Anwendungsfeldes exemplarisch in den Blick genommen und interpretativ analysiert wird. Das erfolgt auf der Grundlage von drei unterschiedlichen Datensätzen, die zunächst getrennt analysiert werden, um dann im Verlauf des an der Grounded Theory Methodologie ausgerichteten Vorgehens als Kategorien zusammengeführt und in ihrer Gesamtheit interpretiert zu werden. Den Schwerpunkt der Untersuchung stellen episodische Interviews dar, die mit Studierenden der FernUniversität in Hagen geführt wurden. Diese werden in Anlehnung an die von Glaser und Strauss für die Grounded Theory Methodologie erarbeiteten Kodier- und Kategorisierungsschritte ausgewertet. Ziel der Interviewanalyse ist es, subjektive Sinnstrukturen herauszuarbeiten, die Rückschlüsse auf die Intention und die Begründung des jeweils individuellen Nutzungsverhaltens erlauben. Ergänzt werden diese Daten durch Lernprotokolle, die über einen Zeitraum von vierzehn Tagen von Studierenden erstellt wurden. Ausgewertet werden die Lernprotokolle mit der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Ziel ist die strukturierte Verknüpfung der Protokolldaten.

Der dritte Datensatz basiert auf einer Logfileanalyse. Anhand der anonymisiert und gefiltert vorliegenden Daten konnte quantitativ untersucht werden, ob und in welcher Form sich das konkrete Nutzungsverhalten unsichtbarer Nutzer*innen mess- und sichtbar machen lässt. Die statistisch erhobenen und ausgewerteten Daten sind geeignet, die qualitativen Daten zu stützen und zu untermauern und werden in diesem Sinne in die Interpretation mit einbezogen.

Der konkrete Aufbau der empirischen Untersuchung sowie die Logfileanalyse werden in sechsten Kapitel detailliert erläutert, bevor dann in den Kapiteln sieben und acht die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung dargestellt und interpretiert werden und der in den Kapiteln drei und vier bereits dargelegte theoretische Bezugsrahmen erweitert und vertieft wird. Das erfolgt in einem Prozess ständigen Vergleichens; Ergebnisse und Theorie werden immer wieder in wechselseitigen Bezug gesetzt und auf diese Weise

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zunehmend verdichtet. Eine gezielte theoretische Einordnung der Kernkategorien ergänzt die anfangs erstellte theoretische Rahmung im Laufe der Ergebnisinterpretation.

Vor diesem Hintergrund lassen sich die bisherigen Erkenntnisse zum Phänomen Lurking neu bewerten und die mit dem Phänomen verbundenen Konnotationen und Begrifflichkeiten werden in einen neuen und erweiterten lerntheoretischen Zusammenhang gebracht. Darauf aufbauend werden Implikationen für das Fernstudium abgeleitet, bevor die Arbeit mit Fazit und Ausblick schließt. Im Sinne einer fortlaufenden Reflexion „des Forschers über die Forschung als Teil der Erkenntnis“ (Flick, 2002, S. 16) und der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit wird die empirische Erhebung nicht nur methodologisch begründet sondern auch detailliert in der praktisch-methodischen Durchführung dargestellt und reflektiert. Im Laufe der Erhebung getroffene Entscheidungen werden dabei in Bezug auf Wirkung und Eignung berücksichtigt und in die Interpretation miteinbezogen. Ohne ein solches Vorgehen bleiben das Gesamtbild der Untersuchung sowie der Umgang mit Subjektivität unvollständig.

Die unten stehende Abbildung 1 stellt das strukturelle und methodische Vorgehen in der Arbeit noch einmal im Überblick dar. Sie verdeutlicht vor allem den über den gesamten Verlauf der Arbeit vorgenommenen stetigen Vergleich zwischen Empirie und Theorie, der insbesondere zwischen den Schritten vier und sechs in hoher Intensität erfolgte und ein zentrales Merkmal des Vorgehens entlang der Grounded Theory Methodologie darstellt.

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Abbildung 1: Strukturelles und methodisches Vorgehen der Arbeit.

2 Grounded Theory Methodologie – Verortung und Begründung

In diesem Kapitel werden diejenigen theoretischen Grundlagen dargelegt und erläutert, die für die Entscheidung, die Untersuchung anhand eines qualitativen Vorgehens entlang der Grounded Theory Methodologie durchzuführen, als leitend anzusehen sind.. Das erfolgt zunächst übergreifend im Hinblick auf eine allgemeine wissenschaftstheoretische Verortung und wird dann noch einmal konkret auf die theoretischen Voraussetzungen für die vorliegende Untersuchung bezogen. Die forschungspraktische Umsetzung der Methode wird an dieser Stelle noch nicht thematisiert, sondern in Kapitel sechs ausführlich beschrieben.

2.1 Wissenschaftstheoretische Verortung der GTM

Qualitative Forschung gründet in Tradition und Historie auf soziologischen, anthropologischen und ethnographischen Methoden, die schon einen frühen Ursprung haben. Friebertshäuser Langer und Prengel verweisen hier beispielsweise auf die Arbeit von Christian Trapp, der schon 1780 „die Bedeutung ‚anthropologischer Beobachtungen und daraus fließender zuverlässiger Erfahrungen‘ für die Erziehung“ herausstellt

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(Friebertshäuser, Langer & Prengel, 2013, S. 17). Einer solchen Traditionslinie folgend betonen Flick, von Kardorff und Steinke, dass Qualitative Forschung den Anspruch hat

„Lebenswelten ‚von innen heraus’ aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen.“ (Flick, von Kardorff & Steinke, 2013, S. 14)

Denzin und Lincoln (1994) verweisen darauf, dass insbesondere die Arbeiten der ‚Chicago School‘ in den 1920er und 1930er Jahren zu einer breiten Etablierung des qualitativen Forschungsansatzes beigetragen haben. Die Autoren machen zudem deutlich, dass qualitative Forschung weit dimensioniert und kaum eindeutig zu definieren ist:

„Qualitative research as a set of interpretive practices, privileges no single methodology over any other. As a site of discussion, or discours, qualitative research is difficult to define clearly. It has no theory, or paradigm, that is distinctly its own.” (Denzin & Lincoln, 1994, S. 3)

Als entsprechend diffizil und vage kann auch die wissenschaftstheoretische Verortung der Grounded Theory Methodologie (GTM) beschrieben werden. Reichertz und Wilz weisen berechtigt darauf hin, dass die GTM „kein System aufeinander abgestimmter und konsistenter theoretischer wie epistemologischer Aussagen ist“ und somit die Methodologie im strikten Sinne auch nicht restlos begründet werden kann (Reichertz &

Wilz, 2016, S. 56). Zudem beinhaltet das Label eine Doppeldeutigkeit, indem „es die zentrale Qualität der mit dem Verfahren zu erarbeitenden Theorien zugleich zum Namen für das Verfahren selbst erhebt“ (Strübing, 2008, S. 13). Es ist somit auch zwischen dem Forschungsprozess und dem Forschungsresultat zu unterscheiden, wobei letzteres ebenfalls als dynamisch und prozessual eingestuft werden kann. Mit Bryant (2017) kann hier „Grounded Theory“ und „Grounded Theorizing“ unterschieden werden. Für die vorliegenden Ausführungen ist eine solch explizite begriffliche Trennung sekundär, so dass die ursprüngliche Terminologie beibehalten wird. Die GTM ist vor allem aus ihrer Entwicklungsgeschichte und den Ausgangspositionen ihrer Begründer Barney Glaser und Anselm Strauss heraus zu verstehen. Insbesondere in der Fassung von Strauss ist sie eng mit der pragmatistischen Denktradition verbunden. Letztere wird von Strauss selbst nur wenig explizit gemacht, ist den Ausführungen jedoch inhärent und in einschlägiger Literatur wird wiederholt auf diesen Bezug verwiesen (vgl. z. B. Denzin & Lincoln, 1994;

Mey & Mruck, 2011; Aßmann, 2013; Equit & Hohage, 2016). Eine umfassende

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Betrachtung der epistemologischen Grundlagen der Theorie legt Strübing vor (2008;

2014). Er betont unter anderem, dass die GTM letztlich ein „Produkt der Rebellion“

(Strübing, 2008, S. 7) ist und einen innovativen und kreativen Forschungsansatz verfolgt.

Diese Einschätzung lässt sich durch Aussagen von Strauss, die in einem Interview mit Legewie (2004) getätigt wurden unterstreichen. Gleichzeitig machen diese Aussagen die Zielsetzung des Ansatzes der GTM deutlich, so dass Strauss hier ausführlich zu Wort kommt:

„Wir verbanden drei Zielsetzungen mit dem Buch: Erstens versuchten wir, qualitative Forschung, die damals nicht anerkannt wurde, zu legitimieren. In vielen Departements ist es ja immer noch so, dass qualitative Forschung nicht als wissenschaftlich gilt! So wurde das Buch auch benutzt. – Studenten konnten damit ihre qualitativen Studien vor den Prüfungsausschüssen besser rechtfertigen. Zweitens wollten wir Funktionalisten wie PARSONS und MERTON attackieren. Damals wurden deren Theorien von den Studenten und jungen Soziologen umstandslos übernommen und alles andere in Frage gestellt. Wir wandten uns gegen diese "überlieferten Theorien", und das war auch wirkungsvoll. Deswegen hat das Buch diese aktive und scharfe Diktion. Der Lektor hat zunächst alle aktiven Verben ins Passiv verkehrt, um das abzumildern, doch wir haben dagegen protestiert und uns durchgesetzt. Der dritte Grund war die Darstellung der Möglichkeit von Theoriebildung aus den Daten heraus. Das wird ja bis heute von vielen qualitativen Forschern bezweifelt. Die meisten begnügen sich mit ethnografischen Beschreibungen wie die frühen Chicagoer. Und neuerdings die Postmodernen halten es nicht mehr für sinnvoll, systematisch Theorien zu entwickeln.“ (Legewie, 2004, Abs. 52, Hervorh. im Original)

Glaser und Strauss setzen sich mit dem Verhältnis von Theorie und Wirklichkeit auseinander und es geht ihnen darum, die Lücke zwischen Theorie und Empirie zu überwinden, die ihrer Ansicht nach bis dahin in den zeitgenössischen soziologischen Theorien nicht überbrückt werden konnte. Unter der Bezeichnung Grounded Theory verstehen sie „die Entdeckung von Theorie auf der Grundlage von Daten“, was nach Ansicht der Autoren „eine der größeren der Soziologie heutzutage gestellten Aufgaben ist, weil eine solche Theorie, wie wir sie zu zeigen hoffen, empirisch beschreibbaren Situationen gerecht wird und Soziologen wie Laien gleichermaßen verständlich ist.“

(Glaser & Strauss, 2010, S. 19) Glaser und Strauss grenzen sich gegen nomologisch- deduktive Verfahren ab und verweisen darauf, dass in ihrem Ansatz der Prozess der Theoriegenerierung im Fokus steht. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass die Grounded Theory als Produkt unterschiedliche Formen annehmen und „sowohl in Form eines

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kodifizierten Aussagengefüges als auch als fortlaufende theoretische Diskussion präsentiert werden“ kann (ebd., S. 49). Wissenschaftstheoretisch sind Glaser und Strauss unterschiedlich beheimatet. Während Strauss von der Chicagoer Schule geprägt ist, ist Glaser als Schüler von Lazarsfeldt stärker vom Funktionalismus beeinflusst. Diese differierenden Traditionen werden im Ursprungswerk „The Discovery oft the Grounded Theory“ (1979, Erstveröffentlichung 1967) zusammengeführt, jedoch nicht systematisch aufgearbeitet. Der Bezug der Grounded Theory zum amerikanischen Pragmatismus zeigt sich in seinem Ursprung zunächst „eher am Rand und ohne erkennbare Systematik“

(Strübing, 2008, S. 38). In der weiteren Entwicklung der Theorie bildeten sich durch gravierende Differenzen der Autoren zwei unterschiedliche Varianten heraus, die mit der pragmatisch-interaktionistischen Orientierung von Strauss und der eher kritisch- rationalistischen Ausrichtung von Glaser auf gegensätzlichen methodologischen Standpunkten basieren, auch wenn, insbesondere methodentechnisch, durchaus Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zu erkennen sind, die aber unterschiedlich begründet und eingeordnet werden. Auch Corbin verweist auf den trotz aller Differenzen engen Zusammenhang der Varianten, präsentiert aber auch ein Memo von Strauss, das sich auf den Ansatz von Glaser bezieht. Sie zitiert: „Though we do the same, we don’t make the same claim.“ (Corbin, 1998, S. 126) Dieses Nebeneinander von epistemologischen Unterschieden bei gleichzeitig ähnlich strukturiertem methodischen Vorgehen ist für die systematische Einordnung der Methodologie zwingend zu berücksichtigen und bedingt, dass die GTM nicht pauschal als Methodologie zur Begründung eines empirischen Vorgehens herangezogen werden kann, sondern in ihren Variationen spezifiziert werden muss. Nach Charmaz liegt deren Unterschiedlichkeit vor allem darin begründet, „wie wir über Daten nachdenken und uns ihnen gegenüber verhalten.“ GTM ist demnach eine „Gruppe von Methoden“ und ein „Knotenpunkt, um den herum Forscher/innen über aktuelle Debatten der qualitativen Forschung diskutieren – und im weiteren Sinne über die Produktion von Wissen und über wissenschaftliches theoretisieren“ (Charmaz, 2011, S. 182). Die konkrete Forschungsmethode oder – strategie kann basierend auf dieser Grundlage an das jeweilige Untersuchungsfeld angepasst werden. Für die vorliegende Arbeit gilt, dass vor allem die Variante von Strauss herangezogen wird, die er später mit Corbin weiter entwickelt hat, und die einen deutlicheren pragmatistischen Bezug aufweist. Strübing stuft diese Variante als die

„wissenschafts- und methodentheoretisch gehaltvollere“ ein (Strübing, 2008, S. 9). Dieser Einschätzung wird hier gefolgt. Dennoch fließen in das methodische Vorgehen auch

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Anteile von Glasers Variante ein, der maßgeblich das Konzept der komparativen Analyse vertritt. In die Überlegungen einbezogen wird zudem der konstruktivistische Ansatz der GTM. (vgl. Charmaz, 2006; 2008). Dieser bezieht sich explizit auf den symbolischen Interaktionismus und wurzelt ebenfalls im amerikanischen Pragmatismus. Somit ist auch eine Nähe zum Ansatz von Strauss und Corbin feststellbar. Charmaz nimmt für sich eine zeitgemässe Erweiterung der Theorie in Anspruch, was Equit und Hohage neben der konstruktivistischen Perspektive unter anderem auch auf eine veränderte Rezeption des Pragmatismus zurückführen. (Equit & Hohage, 2016, S. 31). Glaser widerspricht der konstruktivistischen Grounded Theory vehement und stuft sie als irrelevant gegenüber der Ursprungstheorie ein (Glaser, 2002, S. 32). Dieser Einschätzung wird hier ausdrücklich nicht gefolgt. Strauss und Corbin beziehen sich bezüglich ihrer Verortung im Pragmatismus in einem Aufsatz explizit auf Dewey und betonen darin ihren Standpunkt, dass Wahrheit (und damit letztlich auch Erkenntnis, Anmerkung der Autorin) nicht absolut ist, sondern durch Handeln entsteht und auch immer Interpretation ist (vgl. Strauss & Corbin, 1994, S. 279). Hier kann an Strübing angeknüpft werden, der den Kern von Deweys Forschungslogik herausarbeitet indem er darauf rekurriert, dass Realität „in der tätigen Auseinandersetzung mit Elementen der sozialen wie der stofflichen Natur [entsteht], die damit zu Objekten für uns werden und Bedeutungen erlangen, die wir uns über Prozesse der Symbolisation wechselseitig anzeigen können“ (Strübing, 2008, S. 38). Die Bedeutung von Objekten wird demnach durch das Handeln von Subjekten hervorgebracht. Ein Aspekt, der mit einer handlungstheoretischen Perspektive auf Lernen korrespondiert. Derart hergestellte Realität ist aber auch immer limitiert und stetem Wandel unterzogen. Dazu noch einmal Strübing: „Realität ist zwar objektiv, aber nicht universell, es gibt mithin auch keinen Anlass, ein universelles, akteursunabhängiges Wahrheitskriterium anzunehmen.“ (ebd., S.

39) Dieses Realitätsverständnis des Pragmatismus hat Auswirkungen auf den Forschungsprozess. Glaser und Strauss betonen dezidiert die Prozesshaftigkeit der Theoriegenerierung:

„Mit unserer komparativen Methode legen wir Wert darauf, die Generierung von Theorie als Prozess darzustellen; eine Grounded Theory ist kein perfektes Produkt, sondern in permanenter Entwicklung begriffen.“ (Glaser & Strauss, 2010, S. 49)

Der durch die komparative Analyse initiierte Prozess von Forschung kann in der Lesart von Strauss (von der Glaser sich deutlich abgrenzt) als iterativ-zyklisch beschrieben

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20

werden und weist damit eine Nähe zu Deweys Forschungsstruktur auf, die auf einem zyklischen Problemlösungsprozess beruht, der sich im Alltagshandeln ebenso darstellt, wie im wissenschaftlichen Forschen. Subjekt und Objekt sind in diesem Prozess nicht getrennt sondern co-konstituieren sich kontinuierlich neu (vgl. Strübing & Schnetter, 2004, S. 223). Damit kann aber auch nicht mehr trennscharf zwischen Forschenden und Beforschten unterschieden werden. Die Forschenden sowie die angewandten Methoden sind Bestandteil des Forschungsprozesses und somit selbst Gegenstand der Erkenntnis.

Forschung und Lebenswelt stehen Dewey zufolge in engem wechselseitigem Verhältnis:

„Die Existenz von Forschungen unterliegt keinem Zweifel. Sie finden sich in jedem Bereich des Lebens und in jedem Aspekt jeden Gebietes […] Gerade weil die Forschung und ihre Schlußfolgerungen so eng und entscheidend mit der Bewältigung aller Angelegenheiten des Lebens verflochten sind, ist keine Untersuchung dieser Angelegenheiten adäquat, wenn man nicht zur Kenntnis nimmt, wie sie von den jeweils gängigen Methoden und Instrumenten der Forschung beeinflußt werden.“ (Dewey, 2004, S. 226)

Auf dieser Grundlage kann auch die Perspektive von Strauss aufgesetzt werden, der Forschung als Arbeit in einem arbeitssoziologischen Sinn betrachtet. Diese Sichtweise schließt die Organisation und Koordination der Aufgabe ebenso ein, wie den Umgang mit persönlichen Ressourcen und die Vertiefung in die Thematik:

„Zwischen dem Wissenschaftler und seiner Arbeit besteht eine intensive Wechselwirkung genau in dem Sinn, in dem Dewey über die Arbeit des Künstlers schreibt (Dewey sieht zwischen künstlerischem und wissenschaftlichem Arbeiten keinen grundlegenden Unterschied) […] Kurz gesagt: Der Wissenschaftler wird, wenn er mehr als nur sachkundig ist, - mit seinen Gefühlen und seinem Intellekt – ‚in seiner Arbeit‘ sein und von Erfahrungen, die er im Forschungsprozeß gemacht hat, tief beeinflußt werden.“

(Strauss, 1991, S. 35)

Das obige Zitat verdeutlicht noch einmal die Verwobenheit und Co-Konstitution von Subjekt und Objekt. So wird klar, dass eine auf diese Weise vorgenommene Theoriegenerierung ohne Subjektivität kaum denkbar ist. Erfahrung und Intuition der Forschenden fließen in die Datenauswertung ein, Sinnstrukturen werden auch im Hinblick auf deren Bedeutung für die Forschenden rekonstruiert und Forschende und Beforschte teilen ihre auf das Forschungsfeld bezogenen Wissensbestände. Gleichzeitig zeigt sich hier eine nicht zu vernachlässigende Problematik, auf die Reichertz und Wilz

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dezidiert hinweisen, nämlich die fehlenden Maßstäbe, um die Angemessenheit der jeweils getroffenen Forschungsentscheidung zu beurteilen und zu begründen:

„Alle diese Angemessenheitsurteile müssen die Forschenden in eigener Verantwortung gegenüber dem Untersuchungsfeld selbst fällen, es gibt keine äußeren, gar objektiven oder institutionell abgesegneten Maßstäbe für diese Urteile, sondern es gibt nur die Forscherin/den Forscher und ihr/sein persönliches Vermögen sensibel Daten zu erheben, sensibel zu Kodieren und sensibel zu konzeptionalisieren.“ (Reichertz & Wilz, 2016, S. 56)

Forschung anhand der GTM bedarf demnach auf allen Ebenen einer präzisen Begründung des Vorgehens und der Entscheidungen und unterliegt in hohem Maße der Selbstverantwortlichkeit und Selbstreflexivität der Forscher*innen. Als Orientierungshilfe um diesem Anspruch gerecht werden zu können, kann das von Breuer vorgeschlagene Konzept der reflexiven Grounded Theory herangezogen werden, ein Beitrag zur Systematisierung des selbstreflexiven Vorgehens. Als mögliche Praktiken werden unter anderem das Führen eines Forschungstagebuchs und das systematische Reflektieren von Forschungsinteraktionen vorgeschlagen (Breuer, 2009, S. 129). Breuer verweist in diesem Kontext ebenfalls auf die Sichtweise der GTM, der zufolge Forschung Arbeit, - oder wie er es nennt „Menschenwerk“ - ist, dem nicht nur in der epistemologischen Begründung, sondern auch in der praktischen Durchführung Ausdruck verliehen werden muss (vgl.

Breuer, 2016, S. 68).

Strittige Punkte innerhalb der Variationen betreffen insbesondere die Fragen nach der Untersuchungslogik sowie dem theoretischen Vorwissen und der Emergenz der Daten.

Glaser wird nahe an der Position rein induktiver Erkenntnis gesehen, der zufolge eine bereits existierende, absolute Realität vorausgesetzt wird, die möglichst unvoreingenommen aus den Daten heraus aufgedeckt werden soll (vgl. Strübing, 2008, S.

68). Das steht in deutlichem Widerspruch zum pragmatistischen Ansatz von Strauss und Corbin, aber auch zum konstruktivistischen Ansatz von Charmaz, die auf die wechselseitig soziale Konstruktion und die Entstehung von Realität im Zuge symbolischer Interaktion fokussieren. Equit und Hohage verweisen darauf, dass Emergenz aus pragmatistischer Perspektive nicht schlüssig ist, da kein neutraler, unvoreingenommener Standpunkt bestehen kann (vgl. 2016, S. 17). Strübing merkt an, dass Glaser durch das Konzept der theoretischen Sensibilität die Ablehnung des Bezugs auf theoretisches Vorwissen auch nicht konsequent verfolgt (2008, S. 68). Die Ansätze

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sind hier durchaus nicht immer trennscharf auseinander zu halten. Auch Strauss und Corbin nehmen das induktive Vorgehen in Anspruch und postulieren gleichzeitig die Offenheit des Prozesses:

„Eine ‚Grounded‘ Theory ist eine gegenstandsverankerte Theorie, die induktiv aus der Untersuchung des Phänomens abgeleitet wird, welches sie abbildet[…] Am Anfang steht […] ein Untersuchungsbereich – was in diesem Bereich relevant ist, wird sich erst im Forschungsprozeß herausstellen.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 8)

Wird die GTM in Ursprung und Grundlage auch als induktiv verstanden, bleibt die Frage bestehen, ob vor dem Hintergrund der pragmatistischen Perspektive auch die Abduktionslogik im Sinne von Peirce für die GTM anwendbar und nachweisbar ist. Es stellt sich die Frage, inwieweit es tatsächlich gelingen kann neues Wissen und neue Ideen zu generieren. Dazu Peirce:

„Die Abduktion ist der Vorgang, in dem eine erklärende Hypothese gebildet wird. Es ist das einzige logische Verfahren, das irgendeine neue Idee einführt, denn die Induktion bestimmt einzig und allein einen Wert, und die Deduktion entwickelt nur die notwendigen Konsequenzen einer Hypothese.“ (Peirce, 2004, S. 207)

Abduktion führt demnach zu einer vorläufigen Idee, nicht zu einem endgültigen Ergebnis.

Das korrespondiert mit der oben erwähnten Annahme von Strauss und Glaser, dass eine Grounded Theory keine perfekte Theorie sondern ein in der Entwicklung befindliches Produkt ist. Generell stellt sich die Frage, wie Abduktion im Verfahren der Theoriegenerierung einzuordnen ist und es zeigen sich durchaus unterschiedliche Perspektiven. Reichertz verweist beispielsweise darauf, dass abduktives Folgern eine Haltung ist, die gegenüber den Daten und dem theoretischen Vorwissen eingenommen wird: „Daten sind ernst zu nehmen, und die Gültigkeit des bislang erarbeiteten Wissens ist einzuklammern.“ (Reichertz, 2013, S. 284) Strübing merkt kritisch an, dass Ergebnisse abduktiven Schließens nicht legitimiert werden können (vgl. 2008, S. 47). Reichertz und Wilz beantworten die Frage, ob abduktives Schließen der GTM in der Variante von Strauss inhärent ist mit einem klaren ‚Ja‘. Sie unterscheiden mit dem Auffinden von Ähnlichkeiten sowie mit dem Auffinden des Neuen zwei geistige Tätigkeiten, die sie der qualitativen Induktion bzw. der Abduktion zuordnen. Abduktion definieren sie dahin gehend, dass „mithin etwas Neues (z. B. neuer Code) mittels gedanklichen Sprungs erfunden werden muss, was in den Daten weder als Konzept noch als Theorie enthalten ist.“ (Reichertz & Wilz, 2016, S. 61) Damit kann eine weitere Abgrenzungslinie zur

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Variante von Glaser gezogen werden. Charmaz bezieht abduktives Denken konkret in ihre konstruktivistische Grounded Theory ein, sieht es als Weiterentwicklung des induktiven Vorgehens und stellt den Bezug zur komparativen Analyse her:

„Grounded-Theory-Methodik beginnt mit induktiven Analysen der Daten, bewegt sich aber über Induktion hinaus, um eine imaginative Interpretation des untersuchten Lebens hervorzubringen. Wir übernehmen eine abduktive Logik, wenn wir über überraschende Befunde nachdenken und kehren dann ins Feld zurück, um unsere Vermutung zu überprüfen. Abduktion unterliegt somit dem iterativen Prozess des Hin-und-Her- Schreitens zwischen den Daten und der Konzeptionalisierung, der die Grounded- Theory-Methodologie kennzeichnet.“ (Charmaz, 2011, S. 192)

In der vorliegenden Arbeit wird diesem Ansatz insgesamt gefolgt, jedoch wird die Ansicht vertreten, dass die verschiedenen Formen des Schlussfolgerns nicht konsequent trennscharf auseinander gehalten werden können. Auch Schritte der Deduktion sind ein möglicher Weg in der Gestaltung der GTM, wie Corbin im Bezug zum Zusammenhang von empirischen Daten und theoretischem Konzept anmerkt.

„For us, when a relationship between two concepts is interpreted from data, this becomes a deductive process, that is, one deduces a relationship based on the evidence in data […]

Because we believe that analysts are potentially fallible in their interpretations, any relationships inferred from data should be checked out against subsequent data.“ (Corbin, 1998, S. 123)

Wenn Trennschärfe nicht gegeben ist, sind Induktion, Deduktion und Abduktion in diesem Sinne vielmehr zu verzahnen. Dazu gilt es, einen heuristischen Rahmen zu erstellen, innerhalb dessen eine wechselseitige Bezugnahme zwischen Daten, Konzepten und Theorie möglich wird.

2.2 Die GTM und das Phänomen Lurking – Methodologischer Bezugsrahmen Die am Anfang jeder empirischen Untersuchung stehende Notwendigkeit der Methodenwahl birgt immer auch die Herausforderung, die Angemessenheit der Methode zu bestimmen. Das Phänomen Lurking als ‚Erkenntnisgegenstand‘ ist insgesamt theoretisch wenig fundiert und wurde bisher überwiegend fragmentarisch bearbeitet. In der vorliegenden Untersuchung soll das Phänomen weitergehend exploriert werden. Im Vordergrund steht die Generierung von Theorie auf der Grundlage subjektiver Sichtweisen und Sinnstrukturen der Akteure im Forschungsfeld. Die beschriebenen Merkmale legen ein Vorgehen anhand qualitativer Forschungslogik nahe. (vgl. z. B.

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Brüsemeister, 2008; Flick, 2002; 2013). Diesem Pfad folgend ist zu berücksichtigen, dass stets die Methode an den Untersuchungsgegenstand anzupassen ist, nicht umgekehrt.

Brüsemeister verweist explizit darauf, dass Gegenstandsangemessenheit ein zentraler Begriff qualitativer Forschung und somit das ‚Sich-Einlassen‘ auf den Forschungsgegenstand ein prägendes Merkmal des Forschungsprozesses ist:

„Gegenstandsangemessenheit heißt also in der qualitativen Forschung grundsätzlich, Daten nicht bestehenden Theorien unterzuordnen. Vielmehr sind Theorien und Methoden, im Prinzip alle Entscheidungen innerhalb eines qualitativen Forschungsprozesses, dem Gegenstand, den man erforschen will, anzupassen.“

(Brüsemeister, 2008, S. 28)

Ein solcher Anpassungsprozess erfordert Offenheit, Flexibilität und Reflexivität, um in jeder Phase des Forschungsprozesses Gegenstandsangemessene Entscheidungen treffen zu können. Starre methodologische Regeln könnten sich hier eher als hinderlich erweisen (vgl. Strauss, 1991). Dennoch ist darauf zu achten, dass ‚Anpassung‘ nicht als willkürliche Auswahl oder Anwendung der Methode missverstanden werden darf, auch wenn subjektive und individuelle Entscheidungen im Verlauf möglich sind. Strauss regt an, vorgeschlagene Methoden als Leitlinien zur Orientierung aufzufassen: „Jeder Forscher hat auch seinen eigenen Arbeitsstil, ganz zu schweigen von individuellen Fähigkeiten und Begabungen, so daß eine Standardisierung von Methoden (wenn man sie für bare Münze nimmt) alle Anstrengungen eines Sozialwissenschaftlers nur hemmen oder sogar ersticken würde.“ (Strauss, 1991, S. 32) Er versteht Forschung zudem als zu koordinierende Arbeit und plädiert für eine „in hohem Maße selbstreflexive Herangehensweise“ (ebd., S. 34).

Diese Auffassung liegt der vor allem von ihm, Glaser und Corbin entwickelten Grounded Theory Methodologie zugrunde und bietet eine hohe Anschlussfähigkeit für die Betrachtung des hier zu untersuchenden Phänomens, was im Folgenden näher betrachtet wird. Dazu werden die für das empirische Vorgehen der vorliegenden Forschungsarbeit relevanten Entwicklungslinien und Bezugspunkte der Grounded Theory Methodologie aufgegriffen und in ihrer Bedeutung für den Untersuchungsrahmen skizziert.

Welche Aspekte sind nun angesichts der beschriebenen Vielfalt für die Methodik der vorliegenden Untersuchung als relevant zu erachten? Um das zu beantworten, sollen die grundlegenden Positionen hier noch einmal zusammengefasst bzw. ergänzt und konkretisiert werden.

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Wie vorab schon beschrieben, ist die GTM in ihrem Ursprung nicht als einzelne Methode, sondern als Methodologie zu verstehen, die sich auf die Generierung und Relationierung von Theorien bezieht, nicht auf deren Überprüfung. Im Forschungsprozess wird die Theorie aus den Daten extrahiert und an diese zurückgebunden (Strübing, 2008; Mey &

Mruck, 2007; Equit & Hohage, 2016). Breuer fasst diesen Zusammenhang allgemeiner und spricht von einer

„Forschungslogik, bei der es um das Erfinden und Ausarbeiten gegenstandsangemessener Begriffe, von Modellierungen und Theorien auf der Basis empirischer Erfahrungen, im Austausch zwischen Daten (-erhebung) und Theorie (-entwicklung) geht“ (Breuer, 2009, S. 9).

Breuer bezeichnet die GTM zudem als ein „Verfahren sozialwissenschaftlicher Hermeneutik“ (2009, S. 38). Eine Perspektive, der Reichertz und Wilz nicht folgen. Sie räumen zwar ein, dass Prozesse des Verstehens zum Vorgehen der GTM gehören und Daten auch durchaus hermeneutisch interpretiert werden, geben jedoch zu bedenken, dass der in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik verankerte Grundgedanke von Hermeneutik sich nicht auf die GTM anwenden lässt, da Strauss nicht von einer hinter der Oberfläche liegenden wirklicheren Welt ausgeht, die im Lauf der Analyse enthüllt werden muss (vgl. Reichertz &Wilz, 2016, S. 62). Strauss selbst formuliert seine Vorstellung von der Grounded Theory im Interview mit Legewie (2004) folgendermaßen:

„Zunächst einmal meine ich, Grounded Theory ist weniger eine Methode oder ein Set von Methoden, sondern eine Methodologie und ein Stil, analytisch über soziale Phänomene nachzudenken. Ich habe diesen Stil gewissermaßen unvollständig entwickelt aus meinen Bedürfnissen als Interaktionist und Feldforscher heraus. Wenn ich nun sagen sollte, was zentral ist, würde ich drei Punkte hervorheben: Erstens die Art des Kodierens.

Das Kodieren ist theoretisch, es dient also nicht bloß der Klassifikation oder Beschreibung der Phänomene. Es werden theoretische Konzepte gebildet, die einen Erklärungswert für die untersuchten Phänomene besitzen. Das Zweite ist das theoretische Sampling. Ich habe immer wieder diese Leute in Chicago und sonst wo getroffen, die Berge von Interviews und Felddaten erhoben hatten und erst hinterher darüber nachdachten, was man mit den Daten machen sollte. Ich habe sehr früh begriffen, dass es darauf ankommt, schon nach dem ersten Interview mit der Auswertung zu beginnen, Memos zu schreiben und Hypothesen zu formulieren, die dann die Auswahl der nächsten Interviewpartner nahe legen. Und das Dritte sind die Vergleiche, die zwischen den Phänomenen und Kontexten gezogen werden und aus denen erst die

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theoretischen Konzepte erwachsen. Wenn diese Elemente zusammenkommen, hat man die Methodologie.“ (Legewie, 2004, Abs. 58/59)

Strauss gibt hier also mit der Art und Weise des Kodierens, dem theoretischen Sampling und dem Vergleich zwischen Phänomen und Kontext einen klaren Rahmen für seine Variante der GTM vor, räumt aber auch ein, dass das Verfahren es möglicherweise hergibt, davon abzuweichen:

„Wenn die genannten drei Essentials beachtet werden, ist es Grounded Theory, wenn nicht, ist es etwas anderes. Aber wenn jemand sich trotzdem auf die Grounded Theory beruft, kann ich es auch nicht verhindern!“ (ebd., Abs. 64)

Das lenkt den Blick auf Offenheit als ein weiteres, auch methodentechnisch relevantes, Charakteristikum der GTM. Reichertz und Wilz bezeichnen diese Offenheit als Segen und Fluch zugleich, da zwar eine größtmögliche Anpassung an den Forschungsgegenstand erfolgen kann, es gleichzeitig aber auch möglich wird, unspezifische methodische Grundlagen lediglich zu etikettieren (vgl. Reichertz & Wilz, 2016, S. 48). Darüber hinaus betonen die Autoren noch einmal dezidiert, dass längst nicht mehr von ‚der‘ Grounded Theory die Rede sein kann. Vielmehr hat sich seit der Entwicklung der Theorie vor gut fünfzig Jahren eine Vielfalt an Varianten ausgebildet, die unterschiedliche Prämissen und Anknüpfungspunkte aufweisen, sich aber auch nicht immer trennscharf unterscheiden lassen (vgl. ebd.). Auch Mey und Mruck sehen eine Gefahr in der zunehmenden Verbreitung der qualitativen Forschung im Allgemeinen und der GTM im Besonderen:

„Zugleich wächst aber im Zuge der Ausweitung und Verbreiterung qualitativer Forschung die Zahl zusammenfassender Darstellungen, allesamt ihrerseits ‚Auslegungen‘

der GTM mit denkbar unterschiedlichen Interpretationsspielräumen“ (Mey & Mruck, 2007, S. 43).

Angesichts dessen fordern sie zu „einer reflexiven Auseinandersetzung mit und Aneignung der GTM“ auf (ebd., S. 44). Das stellt einen hohen Anspruch an die Fähigkeit der Forschenden. Da es ‚den einen‘ richtigen Weg, dem bei der Anwendung der Grounded Theory gefolgt werden kann, nicht gibt ist es vielmehr geboten, zur Vermeidung der Beliebigkeit reflexiv die Eignung der vielfältigen Möglichkeiten sowie die eigenen Bedarfe, Interessen und Fähigkeiten zu überprüfen, um dann das Vorgehen im Forschungsprozess anzupassen, nachvollziehbar zu begründen und

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gegenstandsangemessen zu gestalten. Als Leitlinie kann dazu die in Kapitel 2.1 dargelegte wissenschaftstheoretische Verortung des Ansatzes dienen. Wie dort bereits erwähnt stützt sich die vorliegende Forschungsarbeit überwiegend auf die von Strauss und Corbin entwickelte Variante unter Einbezug der konstruktivistisch orientierten Grounded Theory von Charmaz (vgl. 2006; 2008; 2011). Beide Ansätze weisen eine deutliche Nähe zueinander auf, wobei Charmaz zentrale Aspekte der ursprünglichen Fassung übernimmt, diese aber zum Teil deutlicher hervorhebt und stärker akzentuiert. Das betrifft die pragmatistische Untermauerung ebenso wie die Reflexivität im Forschungsprozess oder die Auseinandersetzung mit den Daten, die hier als soziale Konstruktionen gesehen werden. Auch Kategorien werden in dieser Lesart konstruiert und ergeben sich nicht ausschließlich aus den Daten. Hier nimmt Charmaz eine klare Abgrenzung gegenüber einer objektivistischen Perspektive ein (vgl. 2011, S. 196). Das folgende Zitat verdeutlicht die Perspektive von Charmaz und pointiert die Grundlage, auf der das forschungspraktische Vorgehen dieser Arbeit verstanden werden kann:

„Die konstruktivistische GTM geht davon aus, dass wir Wissen produzieren, indem wir uns mit empirischen Problemen auseinandersetzen. Wissen beruht auf sozialen Konstruktionen. Wir konstruieren Forschungsprozesse und die Produkte der Forschung, aber diese Konstruktionen finden unter existierenden strukturellen Bedingungen statt, ergeben sich in emergenten Situationen und werden von den Perspektiven, Privilegien, Positionen, Interaktionen und geografischen Standorten der Forscher/innen beeinflusst.“ (Charmaz, 2011, S. 184)

Diese strukturellen Bedingungen sind im Zuge der Selbstreflexivität der Forschenden sowie der theoretischen Sensibilisierung zu thematisieren und explizit zu machen. Hohage verortet diesen Schritt im von Charmaz postulierten ‚theoretical coding‘ und sieht ihn im Zusammenhang mit der aktiven Nutzung der bestehenden Theorielandschaft sowie der jeweiligen theoretischen Sensibilität (vgl. 2016, S. 120). Für die hier vorliegende Untersuchung gilt, dass ein solcher Schritt avisiert wird, jedoch nicht als eigene Kodierphase, sondern im Kontext des selektiven Kodierens nach Strauss. In diesem Kodierschritt wird eine theoretische Einordnung der Kernkategorien vorgenommen und anhand der bestehenden Daten und Theorien rücküberprüft, bevor die Ergebnisse zunächst deskriptiv und später dann als „analytische Geschichte“ zusammengefasst und anhand eines roten Fadens, einer „Story Line“ geordnet werden (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 94 ff). Anhand der Verknüpfung dieses Verfahrensschrittes mit dem ‚theoretical coding‘ von Charmaz wird eine höhere Plausibilität der zu generierenden Theorie

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erwartet. Das Kodieren als Form der Datenanalyse ist ein zentraler Bestandteil der GTM und variiert im Hinblick auf die Art und Weise der Durchführung. Gemeinsam ist den Variationen eine zunehmende Abstraktion der Daten. Strauss und Corbin (1996) gehen anhand eines dreistufigen Kodierschemas vor, das neben dem oben schon benannten selektiven Kodieren noch das offene und axiale Kodieren beinhaltet. Die dazu erforderlichen Schritte werden hier kurz erläutert: Im Verlauf des am Anfang stehenden offenen Kodierens werden die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und kategorisiert.

Das erfolgt in dem Sinne, dass Fragen an den Text gestellt sowie Beobachtungen, Ideen, ungewöhnliche Aspekte usw. herausgegriffen und benannt (kodiert) werden. Die Benennung kann anhand theoretischer Konzepte erfolgen, aber in Form der sog. ‚In- Vivo-Codes‘ auch direkt aus den Daten heraus gewonnen werden, indem prägnante Worte und Äußerungen der Probanden direkt als Code übernommen werden. Das kann Zeile für Zeile, Abschnitt für Abschnitt oder auch in Bezug auf das gesamte Dokument erfolgen. Die im Verlauf des offenen Kodierens gewonnenen Kategorien bilden anfänglich eine umfangreiche, offene und letztlich noch unsystematische Sammlung von Daten, die im weiteren Verlauf noch im Hinblick auf ihre Eigenschaften und Dimensionen geordnet werden. Im Prozess des offenen Kodierens werden erste Beziehungen zwischen den Kategorien sichtbar, es werden weitere Fragen aufgeworfen und erste Ideen und Hypothesen können im Memo festgehalten werden. Mit entsprechend reduzierter und strukturierter Datenbasis kann das axiale Kodieren erfolgen, das in Anlehnung an ein von Strauss (1991) vorgeschlagenes paradigmatisches Modell vorgenommen wird und sich stärker an einzelnen Kategorien ausrichtet. Ziel ist es, die Eigenschaften einer Kategorie oder eines Phänomens zu dimensionalisieren und zueinander in Bezug zu setzen. Die Daten werden dabei nach ihrer Relevanz geordnet und einer Kategorie zugewiesen und zwar im Hinblick auf

 die ihnen zugrunde liegenden Bedingungen.

 die Interaktion zwischen den Akteuren, die hier als Wechselbeziehung verstanden wird und in den situativen Kontext der Untersuchung eingeordnet ist.

 den gezielten Einsatz von Strategien, die auch als Handlungsstrategien beschrieben werden können, sowie

 die aus einer Handlung entstehenden Konsequenzen.

Das Entdecken von entsprechend zuordenbaren Kategorien und insbesondere das Auffinden von Bedingungen und Konsequenzen erfolgt anhand von Schlüsselwörtern

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29

und Ausdrücken wie beispielsweise: „deshalb“, „wegen“, „auf Grund von“ oder „die Folge war“. Im Verlauf der Analyse ist es daher wichtig, auf entsprechende Formulierungen zu achten. Das Einhalten des Kodierparadigmas ist Strauss zufolge unerlässlich, andernfalls liegt kein „echtes Kodieren“ vor (vgl. 1991, S. 57). Als Adaption für die vorliegende Untersuchung lässt sich das Kodierparadigma folgendermaßen veranschaulichen:

Abbildung 2: Kodierparadigma nach Strauss. Eigene Darstellung in Anlehnung an Böhm, 2013, S.479

Die Analyseschritte des axialen Kodierens werden von Strauss und Corbin als ein

„komplexer Prozess induktiven und deduktiven Denkens“ (1996, S. 92) eingeordnet. In jüngeren Arbeiten zur GTM wird darauf verwiesen, dass der Verfahrensschritt des axialen Kodierens als zu schwerfällig und zu wenig offen kritisiert werden kann (vgl. z. B. Hohage, 2016, S. 118). Wenn auch diese Kritik durchaus nachvollziehbar ist, wird hier dennoch an diesem Schritt festgehalten, um Daten, Analyseschritte, sensibilisierende Konzepte und Theorie in einen wechselseitigen Bezug setzen zu können. Das Modell bietet den dazu erforderlichen heuristischen Rahmen. Auf dieser Grundlage kann im Zuge des selektiven Kodierens die Kernkategorie herausgearbeitet, systematisch zu den anderen Kategorien in Bezug gesetzt und neu kodiert werden. Strauss zufolge unterscheidet sich das selektive Kodieren nur wenig vom axialen Vorgehen. Vielmehr werden auch hier die Kategorien zueinander in Bezug gesetzt und verglichen, aber auf einer abstrakteren Ebene. Die dazu erforderlichen Schritte erfolgen nicht linear, sondern wie für die komparative Analyse beschrieben in einer stetigen Hin-und Her-Bewegung (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 95).

So wird iterativ-zyklisch ein zunehmender Grad an Abstraktion erreicht. Das komplexe Vorgehen in der Analyse und der strukturelle Ablauf der empirischen Untersuchung

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werden mit der folgenden Abbildung noch einmal expliziert und verdeutlicht. Der iterative Prozess spiegelt sich auch in den Ausführungen der Arbeit wieder, so dass es teils zu Überschneidungen kommt. Die in der Abbildung genannten Kapitel verweisen auf die jeweiligen Bearbeitungsschwerpunkte.

Abbildung 3: Skizzierung der Analyseschritte. Eigene Darstellung in Anlehnung an Strauss, 1991, S.46

3 Perspektivische Annäherung an das Phänomen Lurking

Nachdem im vorherigen Kapitel das methodische Vorgehen in der Arbeit wissenschaftstheoretisch verortet und begründet wurde, werden im Folgenden nun die bisherigen Untersuchungen und Erkenntnisse zum Phänomen Lurking dargestellt und systematisiert. Im Sinne einer theoretischen Sensibilisierung wird ein erstes Ordnungsschema vorgeschlagen, das im Laufe der Durchführung der empirischen Untersuchung zu erweitern ist. Im Kontext der Erarbeitung des bisherigen Forschungsstandes werden auch erste relevante theoretische Bezugspunkte herausgearbeitet, die hier zunächst noch als ‚lose Fäden‘ gesammelt und im weiteren Verlauf der Arbeit miteinander verknüpft werden. Insgesamt wird mit diesem Kapitel das Ziel verfolgt, einen umfassenden und systematischen Überblick über die bisherige Einordnung des Phänomens Lurking zu erstellen. Dabei wird zunächst eine kontextuelle Verortung vorgenommen, an die sich Überlegungen zur begrifflichen Einordnung und eine detaillierte Darstellung des bisherigen Forschungsstandes anschließen.

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31 3.1 Kontextuelle Verortung des Phänomens

Das Phänomen Lurking ist kontextuell im Bereich der computer- bzw.

internetvermittelten Kommunikation verortet und medienpädagogisch relevant im Hinblick auf das mit der Nutzung von virtuellen Lernumgebungen verbundene Lernhandeln. Berührt ist zudem die Frage nach Möglichkeiten der Partizipation in virtuellen Gemeinschaften oder virtuellen Communities.1 Da in der Literatur unterschiedliche Vorstellungen von virtueller Gemeinschaft zu finden sind – Beck spannt hier beispielsweise einen weiten Bogen „zwischen Sozialutopie und Geschäftsidee“ (2006, S. 165) - gilt es zunächst zu klären, was für die vorliegende Erhebung unter einer virtuellen Gemeinschaft verstanden wird. Der Begriff umfasst unterschiedliche Dimensionen und ist im Zuge der fortschreitenden technologischen Entwicklungen einem fortdauernden Wandel unterzogen (vgl. z. B. Kahnwald, 2013). Die virtuelle Gemeinschaft steht der face- to-face Gemeinschaft gegenüber, weist aber differente Kommunikations- und Interaktionsstrukturen auf (Castells, 2001). Wellmann und Giulia (1999) offerieren eine für beide Formen mögliche Definition, die von Castells (2001) aufgegriffen wird.

Demnach ist eine Gemeinschaft personell und umfasst

„Das soziale Netzwerk eines Individuums, das aus informellen interpersonellen Verbindungen (ties) besteht, die von einem halben Dutzend intimer Bezugspersonen bis zu Hunderten von schwächeren Verbindungen reicht.“ (Castells, 2001, S. 408)

Innerhalb dieses Netzwerkes sind unterschiedliche Kommunikations- und Interaktionsformen möglich und beobachtbar. Die Unterscheidung zwischen schwachen und starken sozialen Verbindungen ist zudem ein zentrales Charakteristikum, um verschiedene Formen virtueller Gemeinschaften differenzieren zu können. Dazu noch einmal Castells:

„Das Netz eignet sich besonders gut zur Entwicklung einer Vielzahl schwacher Verbindungen. Schwache Verbindungen sind nützlich, um zu niedrigen Kosten Informationen bereitzustellen und Chancen zu eröffnen“ (Castells, 2001, S. 409).

Insbesondere diese schwachen Verbindungen sollen im Hinblick auf mögliche heterogene Partizipationsstrukturen und unterschiedliche Lesarten zum Phänomen Lurking in den Blick genommen werden. In den bisherigen Forschungen zu Lurking zeigen sich kontextabhängige Variationen des Begriffs, die zur Annäherung an das Phänomen und

1 Die beiden Begriffe werden im weiteren Verlauf synonym genutzt.

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