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Archiv "Differenzierte Diagnostik und multimodale Therapie hyperkinetischer Störungen: Offene Fragen" (20.05.2005)

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(1)

M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2020. Mai 2005 AA1461

Funktionelle Bildgebung

Seit wenigen Jahren stehen der Hirn- forschung die Untersuchungsmetho- den der funktionellen Bildgebung zur Verfügung, die es ermöglichen, dem Gehirn beim Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen „zuzusehen“. Im Bereich der Alkoholabhängigkeit wer- den diese genutzt, um zu untersuchen, warum Menschen mit Alkoholabhän- gigkeit wieder mit dem Trinken anfan- gen, obwohl sie abstinent bleiben möchten. Hugh Myrick, South Caroli- na, USA berichtete, dass das Betrach- ten von Bildern mit alkoholhaltigen Getränken bei Alkoholabhängigen zu vermehrter Hirnaktivität in Systemen führt, die mit motivationalen Prozessen assoziiert sind. Michael Smolka, Mann- heim, präsentierte Daten, die zeigen dass das Risiko, wieder mit dem Trin- ken anzufangen umso höher ist, je stär- ker die Hirnaktivierung des motivatio- nalen Systems durch Bilder alkoholhal- tiger Getränke ist. Matthias Reimold, Tübingen, stellte eine Positronenem- missionstomographie-Studie vor, die ergab, dass ein starkes Verlangen nach Alkohol mit einer erhöhten Aktivität der µ-Opiatrezeptoren im ventralen Striatum zusammenhängt.

Genetik

Inzwischen gilt die Beteiligung geneti- scher Faktoren an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Alkoholabhän- gigkeit als gesichert, wobei wahrschein- lich bis zu 150 Gene eine Rolle spielen.

In der US-amerikanischen COGA-Stu- die (Collaborative Study on the Gene- tics of Alcoholism) wurden mehr als 2 000 Familien von Alkoholabhängigen untersucht. Die Analysen zeigten eine Beteiligung mehrerer chromosomaler Regionen und Gene an der Alkoholab- hängigkeit. Ein alternativer Ansatz be- steht in der Identifikation von Risikoge- nen im Tiermodell. Mit diesem Ansatz, der auch im Rahmen des deutschen Na- tionalen Genomforschungsnetzwerks verfolgt wird, konnte auch eine Beteili- gung von Genen des Glutamatsystems festgestellt werden, so Beth Bennet, Co- lorado, USA. Weiterhin wurde berich- tet, dass durch die EU-geförderte For-

schungsgruppe TARGALC („Targeting Alcoholism“) zwölf neue Gene identifi- ziert wurden, die im Verdacht stehen, an der Entstehung der Alkoholabhängig- keit beteiligt zu sein.

Der Kongress gab eine umfassende Übersicht über die aktuelle Forschung und vermittelte auch praktische Hin- weise zum besseren Umgang mit Alko- holproblemen, von denen in Deutsch- land derzeit etwa 4,5 Millionen Men- schen unmittelbar betroffen sind (etwa 2,5 Millionen mit „schädlichem Ge- brauch“ und zwei Millionen Abhängi- ge).

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Karl Mann Lehrstuhl für Suchtforschung

Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Postfach 12 21 20

68072 Mannheim

Sinn der Ergotherapie

Die Ergotherapie wird weder in der Übersichtsarbeit aufgeführt, noch ist sie Teil der Leitlinien der Deutschen Gesell- schaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie für die Behandlung hyperkinetischer Störungen. Grund da- für ist nach meiner Kenntnis, dass es kei-

ne Evidenz dafür gibt, dass ergothera- peutische Behandlungen, Aufmerksam- keitsstörung, Hyperaktivität und Impul- sivität bessern können. Als Versiche- rungsmediziner sehe ich allerdings, dass hyperkinetische Störungen vorwiegend ergotherapeutisch behandelt werden.Er- gotherapie ist – zumindest nach meiner Erfahrung – die am meisten verbreitete Methode zur Behandlung hyperkineti- scher Störungen. Die von den Autoren angegebene multimodale Behandlung der hyperkinetischen Symptomatik fin- det möglicherweise so meistens gar nicht statt. Ich kann dies allerdings nur mit ei- ner kleinen Serie unterlegen: Dazu wur- den 24 Behandlungsfälle von Kindern, die an ADHS leiden, untersucht. In allen 24 Fällen wurde eine Ergotherapie durchgeführt. In 23 Fällen erfolgte die Ergotherapie ohne kinderpsychothera- peutische Begleitung, nur in einem Fall erfolgte eine Ergotherapie verbunden mit Kinderpsychotherapie (Manuskript in Vorbereitung). Mich würde sehr inter- essieren, ob die Autoren ähnliche Erfah- rungen gemacht haben und ob somit die Behandlung der hyperkinetischen Kin- der häufig inadäquat ist. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Eltern viel eher bereit sind, ihr Kind zur Ergothera- pie zu schicken als zum Kinderpsycho- therapeuten. Außerdem habe ich den Eindruck, dass viele Eltern eine ausge- prägte Abneigung gegen die Behandlung mit Methylphenidat haben und dass das Medikament teilweise regelrecht verteu- felt wird.

Dr. med. Rainer Hakimi HALLESCHE Krankenversicherung a. G.

Reinsburgstraße 1, 70178 Stuttgart

Offene Fragen

Der ehrenwerte Versuch „Ordnung zu schaffen“ in der Vielfalt der möglichen Ursachen für das „Oberflächen-Syn- drom“ Hyperaktivität, Unkonzentriert- heit und Impulsivität (ADHS) lässt mehr Fragen offen als er beantwortet.

Deutlich wird, dass das postulierte Syn- drom ADHS eine Vielzahl von infrage kommenden Ursachen haben kann, dass also die Verhaltensstörung ADHS nur die sichtbare „Spitze des Eisberges“ re- präsentiert. Hier können aus Platzgrün- den nur einige Fragen gestellt werden:

zu dem Beitrag

Differenzierte Diagnostik und

multimodale Therapie hyperkinetischer Störungen

von

Prof. Dr. med. Dr. phil. Helmut Remschmidt

Dr. med. Philip Heiser in Heft 37/2004

DISKUSSION

(2)

1. Ist bei der Zwillingsforschung be- dacht worden, dass monozygote Zwillin- ge psychologisch unter einheitlicheren Bedingungen aufwachsen als dizygote Zwillingpaare (die nicht nur vom Ge- schlecht unterschiedlich sein können)?

2. Kann unterschieden werden, ob die hyperkinetische Störung die zugrunde liegende Störung darstellt, oder ob sie als Komorbidität (zu zum Beispiel Angst- störungen oder Depressionen) nur Aus- druck der mit diesen Krankheiten ver- bundenen inneren Spannungen ist?

3. Wie erklärt man den großen Unter- schied zwischen Jungen und Mädchen bezüglich der Externalisierung bezie- hungsweise Internalisierung von Proble- men?Agieren Jungen ihre Depressionen aus, während Mädchen sie durch Be- drücktheit zeigen?

4. Kann es sein, dass die Tabuisierung der Schuldfrage bei den „störungsrele- vanten Rahmenbedingungen“ („inkon- sistentes Erziehungsverhalten“, „man- gelnde Wärme in der familiären Bezie- hung“) zu einer Verschiebung der Schuld auf die „Gene“ führen?

Bei der überwiegenden Zahl von Kin- dern mit einer ADHS-Symptomatik, bei denen die motorische Unruhe, Unkon- zentriertheit und Impulsivität innere Spannungen und Konflikte zum Aus- druck bringen, muss an August Hombur- ger erinnert werden, der schon 1926 im ersten deutschsprachigen Lehrbuch für Kinderpsychiatrie schrieb: „Aber wer einmal gelernt hat, Bewegungserschei- nungen auf das Ganze des Seelenlebens zu beziehen, wird immer von neuem über die Fülle der Zugänge zu Seelischem staunen, die sich ihm allenthalben eröff- nen.“ Da bei der sehr komplexen Dia- gnostik auch die Weichen für die Be- handlung gestellt werden, geht es darum, ob die Therapie eher auf einer somati- schen oder einer psychiatrisch-psycho- therapeutischen Schiene geleitet wird.

Ob andere als Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit profunder psycho- therapeutischer Weiterbildung über die Kompetenz verfügen, diese für das Kind und die Familie so folgenschwere Ent- scheidung treffen zu können?

Dr. med. Terje Neraal

Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychotherapie/Psychoanalyse Höhenstraße 33c, 35435 Wettenberg

Schlusswort

Die Frage, ob Ergotherapie für die Be- handlung von Kindern mit hyperkineti- schen Störungen (HKS) indiziert ist,wur- de von Herrn Dr.med.Hakimi aufgewor- fen. In einer Stichprobe von 24 Kindern mit HKS hat er festgestellt, dass alle Kin- der Ergotherapie erhielten, obwohl in den Leitlinien der Deutschen Gesell- schaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie kei- ne Ergotherapie empfohlen wird. Nur ei- nes dieser Kinder erhielt Psychotherapie.

Wir haben in unserem Artikel die Er- gotherapie nicht erwähnt, weil es keine Studien gibt, die den Effekt von Ergothe- rapie bei Kindern und Jugendlichen mit HKS belegen. Momentan wird die Ergo- therapie bei HKS als entbehrliche Thera- piemaßnahme eingestuft. In der Praxis sieht das allerdings anders aus. Dort wird die Ergotherapie häufig angewandt, sie kann aber nicht als spezifisch wirksame Behandlung angesehen werden.

Herr Dr. Neraal hat in seinem Leser- brief mehrere Fragen gestellt, unter an- derem, ob bei der Zwillingsforschung be- dacht worden ist, dass monozygote Zwil- lingspaare gegebenenfalls psychologisch unter einheitlicheren Bedingungen auf- wachsen als dizygote Zwillingspaare (die auch gegengeschlechtlich sein können).

Dazu ist zu sagen, dass Zwillingsstudien zur Messung der Korrelation von Sym- ptomen der Aufmerksamkeitsdefizit/Hy- peraktivitätsstörungen (ADHS), dizygo- te Zwillinge in gleich- und gegenge- schlechtliche Gruppen unterteilt haben, wobei es keine oder kaum Unterschiede gab (1, 2, 3). Wir glauben, dass gleichge- schlechtliche Zwillinge doch relativ ähn- lich aufwachsen. Kann unterschieden werden, ob die hyperkinetische Störung die zugrunde liegende Störung darstellt, oder ob sie als Komorbidität (zum Bei- spiel bei Angststörungen oder Depres- sionen) nur Ausdruck der mit diesen Krankheiten verbundene inneren Span- nungen ist? Einerseits gibt es Kinder mit HKS ohne Komorbiditäten, wenn auch selten. Häufig ist die Entwicklung ande- rerseits so, dass die Symptome für HKS eindeutig zuerst vorhanden waren und dann Komorbiditäten aufgetreten sind (so genannte sukzessive Komorbiditä- ten). Die Abgrenzung von den anderen erwähnten Störungen ist möglich. Dar-

über hinaus zeigen die meisten Patienten mit Angststörungen und Depressionen in der Regel nicht das Vollbild einer hyper- kinetischen Störung. Wie erklärt man den großen Unterschied zwischen Jun- gen und Mädchen bezüglich der Externa- lisierung beziehungsweise Internalisie- rung von Problemen? Agieren Jungen ih- re Depression aus, während Mädchen sie durch Bedrücktheit zeigen? Eine Über- sichtsarbeit von Gershon (4) ergab, dass Mädchen mit ADHS geringere Ratings hinsichtlich Hyperaktivität, Unaufmerk- samkeit, Impulsivität und externali- sierender Probleme haben, allerdings haben sie häufiger intellektuelle Beein- trächtigungen und mehr internalisieren- de Probleme. Letzteres trifft auf Mäd- chen generell zu und hat insofern nichts mit HKS zu tun. Einige Geschlechts- unterschiede sind allerdings durch Re- krutierungsunterschiede zu erklären. So zeigen Untersuchungen von Stichproben außerhalb von Kliniken, dass Mädchen mit ADHS, hinsichtlich Aufmerksam- keit, internalisierenden Störungen und Aggressionen in der Peer-Gruppe weni- ger beeinträchtigt sind als Jungen.Weite- re methodische Unterschiede in den ver- schiedenen Studien liegen in der Nicht- beziehungsweise Berücksichtigung von Komorbiditäten und dem Entwicklungs- verlauf sowie in der Anwendung unter- schiedlicher Diagnoseprozeduren und der Befragung verschiedener Untersu- cher. Kann es sein, dass die Tabuisierung der Schuldfrage bei den „störungsrele- vanten Rahmenbedingungen“ („inkon- sistentes Erziehungsverhalten“, „man- gelnde Wärme in der familiären Bezie- hung“) zu einer Verschiebung der Schuld auf die „Gene“ führt? Wir meinen, dass dies nicht der Fall ist. Zum einen beruhen die Familien-, Zwillings- und Adoptions- studien im Wesentlichen auf den Anga- ben und Einschätzungen der Eltern, bei denen man die Kenntnis einer geneti- schen Fragestellung meist nicht voraus- setzen kann. Zum anderen können die Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchungen wohl kaum mit Schuld- fragen in Zusammenhang gebracht wer- den. Ob andere als Fachärzte für Kin- der- und Jugendpsychiatrie mit pro- funder psychotherapeutischer Weiterbil- dung über die Kompetenz verfügen, die Weichen für die Behandlung von HKS zu stellen, ob die Therapie eher auf einer so- M E D I Z I N

A

A1462 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2020. Mai 2005

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M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2020. Mai 2005 AA1463

matischen oder einer psychiatrisch-psy- chotherapeutischen Schiene geleitet wird? Ärzte, die Kinder und Jugendliche mit HKS behandeln, müssen unbedingt über differenzierte Kenntnisse und Er- fahrungen in der Diagnostik, Differenzi- aldiagnostik und differenzierten Thera- pie verfügen. Dabei ist eine solide verhal- tenstherapeutische Weiterbildung nütz- lich,weil sich die Behandlung keineswegs nur auf Medikamente stützen kann, son- dern auch Methoden der kognitiven Ver- haltenstherapie erfolgreich einbezieht.

Eine wichtige Säule der Behandlung ist ferner die Beratung der Eltern.

Literatur

1. Groot AS, de Sonneville LM, Stins JF, Boomsma DI: Famili- al influences on sustained attention and inhibition in pre- schoolers. J Child Psychol Psychiatry 2004; 45: 306–314.

2. Rhee SH, Waldman ID, Hay DA, Levy F: Sex differences in genetic and environmental influences on DSM-III-R at- tention-deficit/hyperactivity disorder. J Abnorm Psychol 1999; 108: 24–41.

3. Beijsterveldt van CE, Verhulst FC, Molenaar PC, Booms- ma DI: The genetic basis of problem behavior in 5-year- old dutch twin pairs. Behav Genet 2004; 34: 229–242.

4. Gershon J: A meta-analytic review of gender differences in ADHD. J Atten Disord 2002; 5: 143–154.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Dr. phil. Helmut Remschmidt Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Philipps-Universität Hans-Sachs-Straße 6, 35033 Marburg

zu dem Beitrag

Genetische Diagnostik vor dem Hintergrund von Millionen

Polymorphismen

von

Prof. Dr. med. Peter Propping in Heft 46/2004

DISKUSSION

Anamnese vor Molekulargenetik

Eine Million Polymorphismen sind es nur für diejenigen, die auf die Anam- nese verzichten. Schon wer mit diesem

einfachen Instrument zwei bis drei Chemikalien, eventuell noch eine Arz- nei ermittelt, hat die Zahl der notwen- digen Untersuchungen bereits mit die- sem Schritt auf wenige Möglichkeiten reduziert. Der erfahrene Untersucher benötigt oftmals nur noch die Bestäti- gung des klinischen Verdachts. Es gibt nicht viele ärztliche Therapien, die so kostengünstig und unzweifelhaft sind, wie ein durch solche Erkenntnis unter- mauerter Expositionsstopp bezie- hungsweise die hierdurch optimierte Auswahl und/oder Dosierung von Arzneien.

Dr. med. Kurt E. Müller Scherrwiesenweg 16 88316 Isny

Schlusswort

Die Argumente von Herrn Dr. Müller sind sehr allgemein. Leider spricht er keine konkreten Beispiele an, die Be- leg für einen klaren Zusammenhang zwischen einem bestimmten Genotyp und einem Phänotyp sind. Er hat of- fenbar genetische Varianten im Auge, die in die Metabolisierung von Medi- kamenten und anderen Chemikalien involviert sind. Die Pharmakogenetik ist wissenschaftlich faszinierend. Häu- fig ist eine Vielzahl von Metabolisie- rungsschritten am Abbau eines Phar- makons oder einer anderen chemi- schen Substanz beteiligt. Dabei kön- nen zum Beispiel von jedem involvier- ten Enzym verschiedene genetische Varianten existieren. Der Labornach- weis einer bekannten Variante ist häu- fig relativ einfach. Entscheidend ist jedoch die Frage, welcher Beitrag am Zustandekommen eines Phänotyps – zum Beispiel einer Krankheit oder einer Chemikalien-Nebenwirkung – einem bestimmten Genotyp zukommt.

Dabei geht es nicht um nachgewiese- ne Effekte beim Vergleich großer Untersuchungskollektive, sondern um den Einfluss im Einzelfall, das heißt den Nutzen für den Patienten. Dieser Nutzen liegt zum Beispiel auf der Hand beim Cholinesterasemangel, der bei intraoperativer Verabreichung von Succinylcholin zu verlängerter Apnoe führt, oder bei maligner Hyperthermie

nach Halothan-Narkose infolge von Mutationen im Ryanodin-Rezeptor- gen auf der Hand. Die entsprechen- den Genvarianten haben tiefgreifen- de Funktionsstörungen zur Folge; die Phänotypen sind daher monogen erb- lich. Im Unterschied dazu wirken sich die meisten Genvarianten funktionell jedoch gar nicht oder nur schwach aus und haben daher für die Therapie kei- ne praktische Bedeutung.

Die Schwierigkeit, Erkenntnisse der Pharmakogenetik in der Therapie nutzbar zu machen, ist in der Vergan- genheit häufig thematisiert worden und war zum Beispiel auch Gegen- stand von Kommentaren aus jüngster Zeit (1, 2). Selbst wenn die genetische Variante eines Enzyms, eines Rezep- tors oder eines Transkriptionsfaktors Einfluss auf die Funktion hat, können andere Mechanismen den Gesamtef- fekt kompensieren. Die wissenschaft- liche Literatur ist voll von interessan- ten Beispielen dieser Art, die die An- wendung in der Praxis begrenzen kön- nen.

Man muss die Sorge haben, dass Herr Dr. Müller genau den Verführun- gen zu einer unkritischen Diagnostik unterliegt, vor denen ich in meinem Artikel gewarnt habe. Es führt kein Weg daran vorbei, dass für jeden Ge- notyp, der mit Blick auf therapeuti- sche oder präventive Konsequenzen bestimmt werden soll, empirisch ge- prüft werden muss, für welchen Perso- nenkreis unter welchen Bedingungen die Kenntnis eines Genotyps Nutzen bringt. Die Humangenetik hat größtes Interesse daran, dass ihre Erkenntnis- se Patienten helfen können. Allgemei- ner Überschwang ist in der Medizin aber nicht hilfreich.

Literatur

1. Thummel KE: A genetic test for immunosuppressant dose selection? Pharmacogenetics 2004; 14: 145–

146.

2. Veenstra DL: Bringing genomics to the bedside: a cost-effective pharmacogenomic test? Pharmacoge- netics 2004; 14: 333–334.

Prof. Dr. med. Peter Propping Institut für Humangenetik, Universität Bonn Wilhelmstraße 31

53111 Bonn

Referenzen

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