Workshop der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA)
Organisationale Resilienz – Nutzen für den Arbeitsschutz
Verbesserungspotential zum bestehenden Sicherheitsmanagement/- konzept Dortmund, 10. Februar 2014
Prof. Dr. Frank Ritz
Institut Mensch in komplexen Systemen (MikS)
Stand der Forschung & Entwicklung zur Organisationalen Resilienz
10. Februar 2014 Prof. Dr. Frank Ritz 2
Inhalt
• Ausgangslage, Theorie und zentrale Problematik:
Zuverlässigkeit, Sicherheit, Sicherheitsmanagement & Sicherheitskultur
Ereignisentstehung
Resilienz: menschliche Adaptationsfähigkeit
• Resilienz: Stand der Forschung im Organisationalen Kontext
• Forschungs- & EntwicklungsprojektTeamSafe
Forschungsmethodik im Simulator
Grundlagen resilienz-basiertes Schulungskonzept
Methode PUMA
• Fazit & Ausblick: „Organisationale Resilienz quo vadis?“
Was sind Sicherheit, Zuverlässigkeit, Resilienz?
Definitionen: Sicherheit und Zuverlässigkeit
•
Zuverlässigkeit:– „Wahrscheinlichkeit, dass ein Element eine definierte Qualität während eines vorgegebenen Zeitintervalls und unter vorgegebenen Bedingungen erbringt“ (Bubb, 1990)
– „menschliche Zuverlässigkeit ist als Wahrscheinlichkeit definiert, dass ein Mensch eine Aufgabe über eine gewisse Zeitdauer fehlerfrei ausführt (Park, 1997)
•
Sicherheit:– 100% Wahrscheinlichkeit für Zutreffen einer Prognose (Ritz, 2011a) – „dynamisches Nicht-Ereignis“ (Weick & Sutcliffe, 2001)
– „vorausblickende“ Einschätzung: “An organization is only as safe as the first accident ahead of it, not the many successful experiences that lie behind.“(Schulman, 2007, p.39)
– ... bedarf kontinuierlicher organisationaler Bemühungen (Ritz et. al, 2007)
Prof. Dr. Frank Ritz 4
10. Februar 2014
Definitionen: Sicherheitsmanagement & Sicherheitskultur
• Sicherheitsmanagement: objektiver Anteil des Engagements einer
Organisation zur Sicherheit: Bereitstellungen von Strukturen, Prozessen und Regeln, als Voraussetzung dafür, dass bestmöglich sicherheitsorientiert gehandelt und gelernt werden kann (Ritz et al., 2007).
• Sicherheitskultur: beobachtbares sicherheitsgerichtetes Verhalten und Lernen, das auf gemeinsamen Artefakten, Werten und Grundnahmen basiert, die sich in einer Organisation bzgl. Sicherheit als erfolgreich erweisen und etablieren (Ritz, in Vorb.; Schein, 1990).
„Ganzheitliches Phänomen, das alle Organisationsmitglieder und beteiligte interorganisationale Akteure einbezieht und dessen Verhaltenswirksamkeit sich auf beobachtbare & psychologische Merkmale bezieht“ (INSAG-15, 2002)
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10. Februar 2014
Sicherheit im situationalen Kontext (Ritz, 2012; Ritz et al., 2013)
erwartet unerwartet, unbekannt
Herleitung neuer Pläne, Strategien und
Korrekturprozeduren erforderlich
unerwartet, bekannt
(Handlungen im voraus planbar &
System kompensiert „automatisch“)
zuverlässig
unzuverlässig
Kompensation:
Adaptation durch Mensch Situation
Sicherheit Systemstatus:
Systemqualität: Sicherheit
Prof. Dr. Frank Ritz 6 10. Februar 2014
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Organisationale Faktoren Lokale Arbeitsplatz-
Bedingungen
Gefahren/Gefährdungen Schädigungen
Unsichere Handlungen Latente
Bedingungen
INDIVIDUUM
•z.B. Wahrnehmung
TECHNIK
•z.B. Usability
ORGANISATION
•z.B. Regeln GRUPPE
•z.B. Soziale Normen
Ereignisentstehung - organisationale Perspektive (i.A. Reason, 1997)
Prof. Dr. Frank Ritz 10. Februar 2014
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Systemisches Ereignisentstehungsmodell (Hollnagel, Woods &
Leveson, 2006)
Complex relations between input (causes) and output (effects) give rise to unexpected and disproportionate consequences.
Socio-technical systems are non-linear (Hollnagel, 2006).
Grundannahme:
Ereignisse Unfälle sind ein Resultat unerwarteter Kombinationen von üblichen Leistungsschwankungen.
Analyse:
Beobachtung und Steuerung von Leistungsschwankungen und deren (Rück-) Kopplungen.
Ziel:
Ereignisse werden durch Kontrolle und Dämpfung der Schwankung verhindert. Die Sicherheit setzt die Fähigkeit voraus, künftige
Ereignisse zu antizipieren.
Ereignis
Prof. Dr. Frank Ritz 10. Februar 2014
Systemschwankungen : Wie kann ich mir das vorstellen?
Prof. Dr. Frank Ritz 10
Systemschwankungen: Ende gut, alles gut?
10. Februar 2014
•
Psychologisches Konstrukt der 1950er Jahre (vgl. Werner, 1971;Bronfenbrenner, 1979) bei der Bewältigung kritischer Lebenssituationen
•
„Resilience Engeneering“ (Hollnagel, Woods & Leveson, 2006):– Ereignisse, z.B. Unfälle, sind Resultat unerwarteter Kombinationen von üblichen Leistungsschwankungen in komplexen Systemen
– Analyse: Beobachtungen und Steuerung von Leistungsschwankungen und deren (Rück-) Kopplungen
– Ereignisse werden durch Kontrolle und Dämpfung der Schwankungen verhindert. Sicherheit setzt die Fähigkeit voraus, künftige Ereignisse zu antizipieren
•
Insbesondere die Organisationsform Team besitzt die Fähigkeit, durch Adaptation Schwankungen frühzeitig sicherheitsgerichtet zu regulieren (Ritz, 2012)•
Adaptationsfähigkeit in Teams ist wichtiges Trainingsgebiet, um Systeme über Zuverlässigkeit hinaus zu Sicherheit zu befähigen (Ritz, et al. 2013)Theoretischer Hintergrund Resilienz
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05.11.2013
Definition: Resilienz in Organisationen (Ritz, 2013; Ritz, in Vorb.)
•
„Prozess erfolgreichen Adaptationsverhaltens bei der Bewältigung potentiell sicherheitskritischer Systemzustände, durch:– Entwicklung & Nutzung erfolgreicher „Coping-Strategien“
– Ausgleichen interner und externe Anforderungen
– Nutzung & Erweiterung bestehenden Wissens (z.B. technische Zusammenhänge)
– Flexibilität auf mentaler, emotionaler und Verhaltensebene – Einsatz erlernter Fähigkeit: Koordinations- &
Kooperationsmechanismen, Sensomotorischer Fähigkeiten“
•
Resilienz bedeutet, Organisationen widerstandsfähiger gegen interne und externe Gefahren zu gestalten.•
Resilienz kann durch kontinuierliches Training und Reflexion gesteigert werden. (Insbesondere unter Nutzung von Simulation und Videoanalyse)10. Februar 2014 Prof. Dr. Frank Ritz 15
Resilienz: Gefahren & Chancen im Organisationalen Kontext
•
Die Forschung & Entwicklung zur Resilienz ist am Anfang ihrer Entwicklung•
Erster Ansatz das „Resilience Engineering“ (Hollnagel, Woods & Leveson, 2006) ist „äußerst akademisch“Aber:
•
dieErfassung und Reflexion konkreter Verhaltensweisenmenschlicher Adaptation inunerwarteten und unbekannten Situationenliefert wichtige Hinweise über– Schwachstellen in (technischen) Systemen und – Informationen über menschliche Leistungsfähigkeit.
•
einen dieser Hinweise zu ignorieren ist doppelt gefährlich!– Wie können Schwachstellen verbessert werden, ohne Berücksichtigung menschlicher Stärken?
– Wo adaptiert werden muss, liegen hohes Leistungsvermögen und Gefahr dicht beieinander.
16 Prof. Dr. Frank Ritz
10. Februar 2014
Resilienz einbeziehen ins Organisationale Lernen (Argyris &
Schön, 1996)
vertiefende, bedingungsbezogene Analyse von Prozessen & Kontexten Organisationale
Veränderung
1. Single-Loop-Lernen Direkte & schnelle Massnahmen zur unmittelbaren Verbesserung vor Ort 2. Double-Loop-Lernen
Umfassendes Lernen, Verbesserung über
Ereignis hinaus
3. Deutero Lernen:Lernen, wie und was in der Organisation gelernt wird
Ereignis
Prof. Dr. Frank Ritz 14
10. Februar 2014
Beispiel: F&E - Projekt TeamSafe (Laufzeit: 09/2011 bis 08/2014)
• Paradigmenwechsel Sicherheitsforschung: Fokus menschliche Stärken
„Bridging the Gap from Reliability to Safety“ (Ritz, 2012)
• Forschung Resilienz:
Was macht komplexe, soziotechnische Arbeitssysteme widerstandsfähig?
Adaptives Verhalten bei Teamarbeit in Leitwarten von KKW
Erfolgsfaktoren sicherheitsgerichteter Bewältigung kritischer Situationen
• Entwicklungen:
resilienz-basiertes Schulungskonzept
Methode zur Bewältigung unerwarteter und unbekannter Systemzustände
Prof. Dr. Frank Ritz 15
10. Februar 2014
Herausforderung simulatorgestützter Trainings
•
Simulator ermöglicht:– praktisches Training im Arbeitssetting
– unbegrenzte Anzahl möglicher Übungsszenarien
•
“Symptomorientierte Störfallvorschriften”genauere Vorgaben für Teams•
Zuverlässigkeit: Training von Standardschalthandlung•
Vorhandenes Konzept deckt nicht alle sicherheitsbezogenen Bereiche ab•
Ansatz für Sicherheit durch kooperatives Handeln im Team fehlt: Stärken erkennen, fördern und exemplarisch nutzen (Brüngger & Ritz, 2011).Trainingskonzept gefordert, um aus eigenen Stärken zu lernen
Prof. Dr. Frank Ritz 19 10. Februar 2014
Sicherheit als herausforderndes Feld für Trainings
•
Sicherheit paradoxerweise negativ konnotiert•
Konzentration auf Fehler, bei gleichzeitiger Vernachlässigung von Stärken•
Problematische Effekte:– MA verunsichert beim Thema „Sicherheit“
– MA tendenziell abgeneigt bzgl. „sicherheitsgerichteter Schulungen“
– Sicherheitskulturelle Entwicklung durch “Ambiguität” gehemmt
•
“Resiliente Kompetenzen” von Teams entziehen sich Organisationalem Lernen•
Problem: zuverlässigkeitsorientiertes Konzept im SMSProf. Dr. Frank Ritz 20 10. Februar 2014
TeamSafe: Projektansatz
Leitfrage: Welche Teamprozesse sind zur erfolgreichen Bewältigung von uner- warteten und unbekannten Situationen in wichtig und wie kann daraus konstruktiv (motivierend) gelernt werden?
Theorie
Praxis
+
Empirie=
Training21
Praxis in Simulator KKW & Kontrollraum KKW Praxis: Forschungs- und Entwicklungsperspektive
Prof. Dr. Frank Ritz 10. Februar 2014
Resilienz: Adaptationsfähigkeit im Team
•
Bekannte, unerwartete Situationen (Sicherheit durch Zuverlässigkeit) – Erkennen u. Informationen in aktuellen Kontext einbinden (Konstellationen,Systemzustände,...)
- trainierte Handlungspläne abarbeiten
- ggf. leichte Modifikationen (z.B. Reihenfolge festlegen von Massnahmen/Handlungen bei „multiplen Abweichungen“)
- Erfolgsüberwachung, ggf. Anpassung (Übergang zu unbekannten Situationen) – Unterscheidung zu unbekannten Situationen (Unterschiede erkennen)
•
Unbekannte, unerwartete Situationen (Sicherheit durch Resilienz) – Erkennen potentieller Abweichungen von „Standardprozeduren“– trainieren von Management der Situation unter hoher „Verhaltensunsicherheit“
– Einsatz „PUMA-Methode“
– Anwendung spezifischer Koordinations- & Kooperationshandlungen (SIP) zur Lösungsfindung und Erfolgskontrolle bei Umsetzung
– Ausstieg PUMA in „Standardprozedur“
Prof. Dr. Frank Ritz 19 10. Februar 2014
•
Stärken-orientierter Ansatz•
Partizipation durch Workshops mit Instruktorenteam: Szenarien- und Feedbackgestaltung, Methodenentwicklung PUMA•
Entwicklung von Koodierschemata (wissenschaftliche Basis & Kontrollraum- Relevanz!)•
Videoanalyse zur:– Identifikation von Stärken im Team – zur Reflexion mit jeweiligem Team und
– in Sequenzen als positives Beispiel für angewandte Bewältigungshandlung
•
Integrative Vermittlung theoretischer Kenntnisse und Transfer auf operative Tätigkeit (Training)•
Evaluation der Schulung (Fragebogen und „face-to-face-feedback“)Grundlagen resilienz-basiertes Schulungskonzept
Prof. Dr. Frank Ritz 20 10. Februar 2014
Exemplarisches Vorgehen bei Simulatortrainings
• Fragebogen 1: „Team Mental Models“ (TMM)
• Vermittlung von Theorie, z.B.:
– “Team Situation Awareness” (Endsley, 2000) – “Group Think” (Janis, 1972)
• Videobeispiele erfolgreichen Adaptationsverhaltens durch Teams (aus vorheriger Erhebung)
• Übungsszenarien im Simulator
– Beobachtung & Videoaufnahmen des Teamverhaltens
– Beurteilung der „Lösungsgüte“ durch Instruktoren im direkten Anschluss
• Feedback und Reflexion unter Nutzung von Videoaufzeichnungen
• Fragebogen 2: TMM
Prof. Dr. Frank Ritz 21 10. Februar 2014
Forschungsmethodik im Leitwartensimulator
• Expertenratingszur Beurteilung der Lösungsgüte der Teams in spezifischen Szenarien
• Videoanalyse(Noldus Observer) des Teamverhaltens zur gezielten Ableitung von „Stärken im Team”
– Entwicklung und Einsatz theoriegestütztes Koodierschema (z.B. Kleindienst et al., 2012; in press)
• Fragebogendaten zu TMM
• Integration der Ergebnissezur
i) Erarbeitung des Schulungskonzepts ii) Methodenentwicklung: „PUMA“
iii) Theorienentwicklung
Prof. Dr. Frank Ritz 22 10. Februar 2014
Exemplarische Ergebnisse Phasen 1 & 2
• Forschung: Ermittelte Stärken (SIP) in Teams: Koordinationsmechanismen, z.B.:
– “Namentliches Ansprechen bei Aufgabenzuteilung”
– “Pointing zur Aufmerksamkeitslenkung”, etc…
• Methode: PUMA zur Erörterung im Kontrollraum von unerwarteten, unbekannten Situationen
– Problem - Situation auf «Symptomebene» beschreiben – Ursachen - Diagnose der Störungsursachen
– Massnahmen - Entwicklung von Optionen und Entscheidungen
– Ausführung – Planung u. Überwachung von Arbeitsschritten, Aufgaben- verteilung im Team
– Zusätzliche Absicherung durch Entscheidungsmatrix (durch Schichtchef)
• Schulungskonzept: Theoretisches Verständnis, Rückmeldung von positiven Verhaltensbeispielen per Video, Training im Umgang mit PUMA und Reflexion
Prof. Dr. Frank Ritz 23 10. Februar 2014
Fazit & Ausblick F&E - Projekt TeamSafe
• Stärken schrittweise identifiziert, für Organisationales Lernen bereitgestellt und zur positiven Entwicklung der Sicherheitskultur beigetragen
• Sicherheit auch eine „positive Konnotation“ verliehen
• >90% Akzeptanz für Videoeinsatz bei simualtorgestützten Training
• Konzept des partizipativen Vorgehens hat sich bewährt
• TrainingskonzeptundMethode(PUMA) zur Bewältigung potentiell sicherheits- kritischer Situationen ist evaluiert und kommt auch im Realbetrieb zum Einsatz
• Forschung:
– Koodierschema für Videoanalyse ist entwickelt – Systematisierung SIP läuft
– dritte Erhebungsphase läuft, Forschungsergebnisse Gesamtprojekt: 4. Quartal 2014
24 Prof. Dr. Frank Ritz
10. Februar 2014
Organisationale Resilienz quo vadis?
• Integration in bestehende Konzepte erforderlich
• Anwendungsorienterte Forschungs- & Entwicklungsprojekte umsetzen
• Konkrete Methoden im Verbund Forschung-Industrie entwickeln und implementieren
• Interorganisationale Beziehungen berücksichtigen
• Kontinuität in der Paradigma-Entwicklung:
– Menschliche Stärken ermitteln und in die soziotechnischen Systemgestaltung einbeziehen
Motivationale Grundlage für unternehmerischen Erfolg, Gesundheit und Sicherheit bilden
25 Prof. Dr. Frank Ritz
10. Februar 2014
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Literatur
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Reason, J.T. (1997). Managing the risks of organizational accidents. Aldershot: Ashgate.
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Weick, K. & Sutcliffe, R. (2001). Managing the unexpected. Assuring high performance in an age of complexity. San Franciso, CA: Jossey-Bass Prof. Dr. Frank Ritz
10. Februar 2014