Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 27|
9. Juli 2010 A 1329N
ein – von einer Reform kann nicht mehr ernst- haft die Rede sein. Dazu sind die Neuerungen, die Union und FDP für die Finanzierung des Gesund- heitswesens angekündigt haben, zu banal. Nach acht Monaten Regierung lautet die Antwort auf das Milliar- denloch der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV):Beitragssatzerhöhung – von 14,9 auf voraussichtlich 15,5 Prozent. Auch die Zusatzbeiträge sollen „weiter- entwickelt“ werden und möglicherweise künftig bis zu zwei Prozent des Bruttoeinkommens betragen.
Die Opposition reibt sich die Hände, spricht von ei- nem „Flop“. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte gar den Rücktritt von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Und in der Tat: Von dem Plan, die Finanzierung des Gesundheitswesens grundlegend neu auszurichten, ist nicht viel übrig geblieben. Die prinzipiell richtige Idee, die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abzukoppeln, ist momentan nicht durchsetzbar. Die Kopfpauschale ist tot. Dazu haben si- cherlich die permanenten Angriffe der CSU beigetra- gen, die sich als soziales Gewissen der Koalition profi- lieren wollte. Hinzu kam eine – wie so oft – abwartende Haltung der Kanzlerin. Und schließlich stand sich dann die FDP noch selbst im Weg, wenn sonst niemand zur Stelle war. Mit der NRW-Wahl kam die Quittung. Die Rücktrittsforderung von Lauterbach mag eher pole- misch als ernsthaft sein. Aber hatte Rösler nicht sein politisches Schicksal mit der Kopfpauschale ver- knüpft? Davon ist jetzt keine Rede mehr.
Die Empörung über die Beitragssatzerhöhung ist un- terdessen groß. Und sie ist durchaus nachvollziehbar.
Offenbart der Vorgang doch einmal mehr, dass diese Bundesregierung auf der Stelle tritt und keine gemein- same Linie hat. Die höheren GKV-Beiträge sind zu- nächst einmal eine Notlösung. Allerdings sind sie auch keine Katastrophe. Zumal der Beitragssatz schon ein- mal bei 15,5 Prozent lag und dann im Rahmen des Kon- junkturpakets der Bundesregierung gesenkt wurde. Wir sind also wieder zurück beim Ausgangspunkt des Ge- sundheitsfonds.
Manche Ärztinnen und Ärzte sehen im Verhalten von Union und FDP eine Abkehr von der Kostendämp- fungspolitik vorheriger Regierungen. Und es stimmt:
Der höhere Beitragssatz bringt erst mal mehr Geld in den Topf, das benötigt wird, um das Defizit abzumil- dern. Entsprechend sieht es danach aus, als seien bei Niedergelassenen und Krankenhäusern Abstriche bei erwarteten Zuwächse wahrscheinlich – aber keine Null- runde. (Die Beratungen dauerten bei Redaktionsschluss noch an.) Kürzungen im Leistungskatalog wird es wohl nicht geben. Doch ist das wirklich eine neue Politik oder eher eine gewisse Ratlosigkeit?
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, ange- sichts des demografischen Wandels und des medizini- schen Fortschritts müsse man damit leben, dass die Ge- sundheitsversorgung teurer werde. Das mag sein, es entbindet die Politik aber nicht von der Verantwortung, auch Strukturen auf den Prüfstand zu stellen. Elf Milli- arden Euro sollen 2011 im Gesundheitswesen fehlen.
Eine konkrete Prognose wird der Schätzerkreis voraus- sichtlich aber erst im Herbst erstellen. Vielleicht hat die Regierung bis dahin ihr Formtief überwunden und tritt nicht mehr so ideenlos, zerstritten und ängstlich auf.
Schwarz-Gelb kann froh sein, dass die Nation zurzeit gedanklich und emotional in erster Linie mit dem The- ma Fußball befasst ist.
ERHÖHUNG DER KASSENBEITRÄGE
Schwarz-Gelb tritt auf der Stelle
Dr. med. Birgit Hibbeler
Dr. med. Birgit Hibbeler Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik