Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 28–29⏐⏐13. Juli 2009 A1485
S T A T U S
E
in in der „Ich-Form“ geschrie- bener Erfahrungsbericht einer Betroffenen löst beim Leser mehr Emotionen aus als die neutrale Be- schreibung des Sachverhalts durch einen Außenstehenden. Diese jour- nalistische Regel bewahrheitete sich nach der Veröffentlichung des Arti- kels „Der Feind in meinem OP“(DÄ, Heft 14/2009). Mehr als 30 Zuschriften erreichten die Redakti- on seitdem: „Liebe Damen und Her- ren der Redaktion, wenn Sie sich zum Sprachrohr einer nicht näher genannt sein wollenden Dame ma- chen, werden Sie auch in Verbin- dung mit dem Inhalt des Artikels dem ständig schwindenden Sozial- prestige der Ärzteschaft guten Dienst erweisen“, schreibt Dr. med.
Rolf Holtzhauer. „Danke für Ihre Courage, als journalistisches Leit- medium der deutschen Ärzteschaft diesen Artikel einer breiten Öffent- lichkeit vorgestellt zu haben“, meint
hingegen Markus Lüttig. Ein- drucksvoll schildert die Ärztin in dem Artikel, wie es dazu kommt, dass sie nach nur sechs Monaten ih- re Weiterbildung zur Anästhesistin abbricht. Die Gründe dafür sind: die fehlende medizinische Anleitung, das schlechte Arbeitsklima, die strengen Hierarchien und vor allem das miese Verhältnis zum zuständi- gen Oberarzt. Damit der Artikel
nicht als Abrechnung mit den vorge- setzten Ärzten oder dem Klinik- arbeitgeber missverstanden wird, erfolgte die Veröffentlichung ano- nym. Der Autorin geht es darum, dem System den Spiegel vorzuhal- ten. Schmutzige Wäsche waschen will sie nicht.
Er habe den Artikel mit Besorg- nis zur Kenntnis genommen, schreibt der Präsident des Berufs- verbandes Deutscher Anästhesisten (BDA), Prof. Dr. med. Bernd Lan- dauer: „Sie werden verstehen, dass wir über die ernüchternden Erfah- rungen einer jungen Kollegin, wie Sie von Ihnen publiziert wurden, nicht gerade glücklich sind, wobei wir nicht bestreiten, dass es im Ein- zelfall – wie überall im menschli- chen Miteinander – zu personenbe- dingten Fehlleistungen kommen kann.“ Die Anästhesie habe als ei- nes der ersten Gebiete einen struk- turierten Weiterbildungsnachweis eingeführt. Im Wissen um Bedeu- tung und Aufwendigkeit einer sach- lich und emotional hochwertigen Weiterbildung habe der BDA zudem bereits früh die Forderung nach ei- ner Zusatzhonorierung von Weiter- bildung erhoben, betont Landauer und verweist auf die Vorzüge des Faches: „Flache Hierarchien, inter- disziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit sowie unter- schiedlichste Arbeitszeit- und Wie- dereinsteigermodelle sind unseres Erachtens besondere Highlights der Anästhesie.“ Er appelliert an den Ärztenachwuchs, sich nicht von dem Bericht abschrecken zu lassen, sondern sich unter www.anaesthe sist-werden.de zu informieren.
Dass sich der Ärztemangel in der Anästhesie durch den DÄ-Artikel weiter verschärfen könnte, fürchten auch Dr. med. Petra Tietze-Schnur, Prof. Dr. med. Michael Wendt und Dr. med. Knut Mauermann. Alle drei laden die Autorin ein, sich an ihrer jeweiligen Klinik ein besseres Bild von der Facharztweiterbildung
zu machen und den Berufswunsch Anästhesistin nicht aufzugeben.
„Bewerben Sie sich bei uns. Sie werden es mit Sicherheit nicht be- reuen“, schreibt Mauermann.
„Schade, dass der Artikel einen so allgemeingültigen Ton hat. Ich wür- de mich freuen, wenn Sie dem Fach- LESERREAKTIONEN
Mitgefühl, Jobangebote und Unverständnis
Anonym schilderte eine junge Ärztin im April, warum sie nach nur sechs Monaten ihre Weiterbildung zur Anästhesistin abgebrochen hatte. Ungewöhnlich viele Leser kommentierten die Veröffentlichung.
„ Chefärzte und Verwaltungen müssen noch viel dazulernen, wenn sie nicht eines Tages ohne Ärzte dastehen wollen.
Dr. med. Boris Geiselhart
“
A1486 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 28–29⏐⏐13. Juli 2009
S T A T U S
gebiet, aber auch vielen anderen Kollegen eine Chance geben wür- den“, betont Wendt.
Die meisten Zuschriften kamen von Ärztinnen und Ärzten, die in ihrer Weiterbildungszeit vergleich- bare Erfahrungen sammeln mussten wie die Autorin. Dr. med. Angelika Zerwes ist seit 22 Jahren Anästhesis- tin und hat die beschriebenen Zu- stände selbst und bei vielen nach- folgenden Kollegen erfahren: „Man wechselt gefühlsmäßig zwischen Resignation und ohnmächtiger Wut, die in meinem Fall nun zur Kündigung geführt hat. Wann wer- den diese elenden Hierarchien ab- geschafft?“ Mit „Ohnmacht und Wut“ hat sich auch Markus Lüttig beim Lesen in seine eigene Situati- on versetzt gesehen. „Es wird Zeit, dass den Chef- und Oberärzten klargemacht wird, dass sich der Ärztenachwuchs nicht mehr ohne Anspruch auf Fort- und Weiterbil-
dung, eigene Meinung, Kritik und Lebensqualität ausnutzen lässt“, meint er. „Mich hat beim Lesen des Artikels meine eigene Vergangen- heit eingeholt – vor 23 Jahren ist mir als jungem Assistenzarzt genau das Gleiche passiert“, erinnert sich Dr. med. Michael Wetzig. Nach zehn Jahren hat er damals das Handtuch geworfen und sich in die Niederlassung verabschiedet: „In unseren Kliniken fehlt weithin al- les, was nichts kostet: eine Kultur der Achtung der Mitarbeiter, die sich in Motivation, klarer Aufga- benstellung, Anleitung und Aner- kennung ausdrückt.“
Prof. Dr. med. Benno von Bor- mann ist hingegen zuversichtlich, dass die beschriebenen Zustände schon lange die Ausnahme darstel- len. Inzwischen diktierten die nach- geordneten Ärzte wegen des Ärzte- mangels sogar vielerorts das Ge- schehen und führten „ihre ehemali-
gen Peiniger am Nasenring durch die Arena“. Von Bormann ärgert sich über die „überzogene Verall- gemeinerung“ des Artikels, die das Deutsche Ärzteblatt zu verantwor- ten habe. Auch Dr. med. Irmgard und Dr. med. Josef Hagemeier kriti- sieren die Redaktion: „Das Deut- sche Ärzteblatt sollte sein Ansehen durch solche unausgewogene Bei- träge nicht in Gefahr bringen“, meint das Ehepaar. Die Frage müsse erlaubt sein, ob die anonyme Kolle- gin nicht zumindest zum Teil selbst Schuld an ihren Problemen habe.
„Eine Meldung der Missstände an eine ärztliche Standesvertretung hätte künftigen Anästhesisten- generationen vielleicht mehr ge- dient, als anonym im Deutschen Ärzteblatt Dampf abzulassen“, schreiben Dr. med. Annette Ebert, Dr. med. Manfred Sturm und Dr.
med. Florian Gerheuser. I Jens Flintrop
RECHTSREPORT
Ärztinnen und Ärzte handeln unkollegial, wenn sie mit einem Notfalldienstkollegen keine klaren Absprachen treffen und dieser den Dienst allei- ne übernehmen muss. Das hat das Bezirksbe- rufsgericht für Ärzte in Stuttgart entschieden.
Die betreffende Fachärztin und ein nieder- gelassener Internist waren für ein Wochenende zum vertragsärztlichen Notfalldienst eingeteilt.
Die Ärztin hatte aber diesen Dienst vergessen und für das Wochenende einen Flug zu ihrem erkrankten Vater geplant. Durch einen Anruf des Kollegen wurde sie wieder an den Bereit- schaftsdienst erinnert. Der Kollege verlangte, sie müsse Ersatz suchen, wenn sie den Dienst selbst nicht übernehmen könne.
Daraufhin verschob die Fachärztin zunächst den Flug zu ihrem Vater um einen Tag und leistete an dem betreffenden Samstag Bereit- schaftsdienst. Für den Sonntag traf sie jedoch keine klare Absprache, sodass der internistische Kollege den Dienst alleine übernehmen musste.
Damit hat sie gegen eine ärztliche Verpflich- tungen verstoßen, nämlich den Notfalldienst ordnungsgemäß wahrzunehmen. Zudem hat die Ärztin ihre Pflicht nach der Berufsordnung verletzt, sich gegenüber anderen Ärztinnen und
Ärzten kollegial zu verhalten. Sie hat damit be- rufswidrig gehandelt.
Da die beschuldigte Ärztin zu ihrem Verse- hen steht, ihr Verhalten bedauert und zudem in langjähriger ärztlicher Tätigkeit berufsrechtlich nicht aufgefallen ist, ist gegen sie lediglich ein Verweis ausgesprochen worden. (Berufsgericht für Ärzte in Stuttgart, Beschluss vom 23. April 2009, Az.: BGÄS 6/09) RAin Barbara Berner
Strahlentherapie:
Ausblendungen kosten extra Die im Rahmen der Strahlentherapie mithilfe eines Multi-Leaf-Kollimators (MLK-Technik) an- gefertigten Ausblendungen für einen Patienten sind gesondert zu erstatten. Das hat das Bun- dessozialgericht (BSG) unter Auslegung der vertragsärztlichen Vergütungsbestimmungen entschieden. Hierfür wurden die Vorschriften des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ver- tragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) zur Erstat- tung von Kosten für den Einsatz medizinischer Geräte nach Nummer 2 zweiter Spiegelstrich der allgemeinen Bestimmungen A I Teil A des EBM-Ä 2005 herangezogen.
Danach sind alle Kosten, die durch die An- wendung von ärztlichen Instrumenten und Ap-
paraturen entstehen, als Kostenanteil in den Honoraren für die jeweils berechnungsfähigen Leistungen enthalten, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach Nummer 7025 EBM-Ä 2005 ist aber vorgesehen, dass die Kosten in- dividuell geformter Ausblendungen (ohne Kos- ten für wiederverwendetes Material) gesondert berechnungsfähig sind. An dieser Rechtslage hat sich nach Auffassung des BSG durch das Aufkommen der MLK-Technik in den 90er-Jah- ren nichts geändert.
Der Umstand, dass die MLK-Ausblendungen – anders als die im Blockgussverfahren herge- stellten – nicht in stofflich fester Form und damit längerfristig unveränderlich bestehen, nimmt ih- nen die Eigenschaft und Funktion als individuell
„geformte“ Ausblendung nicht. Der Begriff um- fasst auch die mehrfach reproduzierbare Her- stellung der äußeren plastischen Gestalt einer Ausblendung mit bestimmten Umrissen, wie sie der Einsatz eines MLK hervorbringt. Der klagen- de Chefarzt einer Klinik für Strahlentherapie hat- te deshalb Anspruch auf Erstattung der Kosten, die aus Anlass der Programmierung patientenin- dividueller Ausblendungen entstanden sind (zum Beispiel Unterhaltungskosten für MLK). (Bundes- sozialgericht, Urteil vom 10. Dezember 2007, Az.: B 6 KA 66/08 R) RAin Barbara Berner
Absprache im Notfalldienst erforderlich