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Archiv "Widerstand gegen die Neuregelung der Krankenversicherung" (23.05.1997)

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D

ie im Kassenarztrecht von 1955 verankerte starke Stellung der Kassenärztlichen Vereinigungen gegenüber den gesetzlichen Kranken- kassen führte bereits seit 1957 dazu, daß man im Arbeitsministerium ein Krankenversicherungs-Neurege- lungsgesetz (KVNG) in Angriff nahm, mit dem die Verhandlungsposi- tion der Krankenkassen gestärkt und einem zu raschen Anstieg der kas- senärztlichen Gesamtvergütung ent- gegengewirkt werden sollte. Daß man bei der Neuregelung gleichzeitig an- strebte, die Versicherten aus Grün- den der Kostendämpfung bei Inan- spruchnahme des Arztes zu einer Selbstbeteiligung heranzuziehen, er- wies sich als ein schwerwiegender tak-

tischer Fehler, da hierdurch eine brei- te Ablehnungsfront, von den Gewerk- schaften über die SPD bis zu den Ärz- teverbänden, gegen das Gesetzesvor- haben geschaffen wurde.

Im Gegensatz zur Entwicklung des Kassenarztrechts gelang es den beiden ärztlichen Spitzenorganisatio- nen diesmal allerdings nicht, ihre Vor- stellungen bereits in die Referenten- entwürfe aus dem Arbeitsministerium einfließen zu lassen. Spätestens mit der Billigung eines nur geringfügig modifizierten Gesetzentwurfs durch das Kabinett im November 1959 wur- de der Konflikt um die Reform der Krankenversicherung mit allem Nachdruck auch in der Öffentlichkeit ausgetragen. Die angestrebte Reform

entwickelte sich laut Douglas Webber in der Folge „zum umstrittensten sozi- alpolitischen Vorhaben, das die Ge- schichte der Bundesrepublik bis dahin erlebt hatte“.

Der Marburger Bund reihte sich – vorbehaltlich seiner Forderung nach unbeschränkter Zulassung zur Kas- senpraxis – in die gemeinsame Ab- wehrfront von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereini- gung ein. Im Gegensatz dazu war die Haltung des Hartmannbundes zur ge- planten Neuregelung des Kassenarzt- rechts in den Jahren 1958–60 ambiva- lent und nicht zuletzt von dem Gedan- ken bestimmt, langfristig auf eine Schwächung der öffentlich-rechtli- chen Vertretung der Kassenärzte hin- wirken zu können. Daß man hierbei auch hinsichtlich der eigenen Klientel den Bogen überspannte, zeigte sich in den folgenden Jahren in einem rund 10prozentigen Rückgang der Mit- gliedschaft im Hartmannbund. Das Konzept einer Alternative zur öffent- lich-rechtlichen Organisation der Kassenärzte, überhaupt eines Füh- rungsanspruchs in der ärztlichen Be- rufspolitik, mußte endgültig ad acta gelegt werden. So kam dem auf freie Mitgliedschaft gegründeten Hart- mannbund nunmehr eher die Funkti- on zu, in der berufspolitischen Diskus- sion als Korrektiv der gegenüber der staatlichen Seite mehr zu Kompro- missen neigenden ärztlichen Körper- schaften zu wirken und nachdrücklich für bestimmte Grundpositionen, wie etwa die Freiheit ärztlichen Handelns, in der Öffentlichkeit einzutreten.

Außerordentlicher Ärztetag

Der entschiedene Widerstand der ärztlichen Standesvertreter gegen den Entwurf des Krankenversiche- rungs-Neuregelungsgesetzes artiku- lierte sich auf dem Außerordentlichen Deutschen Ärztetag, der am 10. Fe- bruar 1960 in der Frankfurter Pauls- kirche zusammentrat. Heftig kritisiert wurden insbesondere diejenigen Be- stimmungen des Gesetzentwurfs, die die freivertraglichen Honorarverein- barungen zwischen Ärzten und Kran- kenkassen einschränkten und eine Honorarfestsetzung durch den Ar- A-1424 (52) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997

T H E M E N D E R Z E I T DAS BESONDERE BUCH

Widerstand gegen die Neuregelung der Krankenversicherung

Thomas Gerst

Mit dem 1955 verabschiedeten Gesetz über das Kassenarztrecht, das bereits seit 1949 im Bundesarbeitsministerium vorbereitet worden war und seit 1951 den Bundestag beschäftigte, hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung unter Ludwig Sievers ihre wesentlichen Forderungen durchsetzen können. Ambulantes Versorgungsmonopol – das heißt der Ausschluß von Konkurrenz durch Eigeneinrichtungen der Krankenkas- sen oder durch Krankenhaus-Ambulanzen – und die Möglichkeit einer kassenärzt- lichen Vergütung nach Einzelleistungen schienen die beste Gewähr für eine in der Fol- gezeit überdurchschnittliche Einkommensentwicklung bei den Kassenärzten zu bieten.

Nur wenig Beinfreiheit. Delegierte auf dem Außerordentlichen Ärztetag 1960 in der Frankfurter Paulskirche

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beitsminister ermöglichten. Den ge- planten Aufbau eines umfassenden Beratungsärztlichen Dienstes mit weitgehenden Kontrollbefugnissen in bezug auf die kassenärztliche Tätig- keit empfand man genauso als Kampfansage wie die Aufweichung des Sicherstellungsauftrags bei der ambulanten Versorgung durch die nunmehr eher mögliche Errichtung von Eigeninstituten der Krankenkas- sen. Zwar hatten sich die ärztlichen Standesorganisationen seit Jahren ge- gen die immer weiter nach oben aus- gedehnte Pflichtversicherungsgrenze bei der Krankenversicherung ge- wandt und eine angemessene Selbst- beteiligung der höheren Einkom- mensgruppen gefordert; jedoch lehn- te man die nun geplante Einheitsge- bühr für die Inanspruchnahme ärztli- cher Leistungen als sozial unausgewo- gen und als ein für die allgemeine Ent- wicklung der Volksgesundheit kon- traproduktives Regulativ ab.

Während Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereini- gung einerseits versuchten, in Bonn die Realisierung des Gesetzentwurfs auf informellen Wegen zu verhindern, suchte man gleichzeitig seit Beginn des Jahres 1960 durch das Wirken der von den Standesorganisationen initi- ierten Aktionsgemeinschaft der Deutschen Ärzte mit großem organi- satorischen und publizistischen Auf- wand die öffentliche Meinung im Sin- ne der Ärzteschaft zu beeinflussen.

Angesichts der 1961 bevorstehenden Bundestagswahl blieb diese Protest- kampagne, verstärkt noch durch Ak- tionen der Gewerkschaften gegen die bevorstehende Mehrbelastung der Versicherten, nicht ohne Wirkung auf die CDU-Parteiführung.

Direkte Gespräche mit Adenauer

Auf Vermittlung einer ärztlichen Bundestagsabgeordneten schaltete sich Konrad Adenauer persönlich in die Auseinandersetzung ein und kam im Verlauf des Jahres 1960 dreimal zu Gesprächen mit Spitzenvertretern der ärztlichen Standesorganisationen zusammen. Das Ergebnis war, daß Adenauer seinem Arbeitsminister Theodor Blank die Unterstützung bei

der Durchsetzung des Gesetzent- wurfs versagte, was zu einer überaus kritischen Berichterstattung in den Medien führte, die den Vorgang als geradezu exemplarisch für den wach- senden Einfluß von Interessenver- bänden auf die Politikgestaltung und für die zunehmend bei der Gesetzge- bung konstatierte Ausschaltung des Parlaments bewerteten. „Es war bis- her schon das selbstbewußte Anti- chambrieren der Lobbyisten in Bonn

kaum noch zu ertragen.

Jetzt scheinen sie aber vom Antichambrieren zum Kommandieren übergehen zu wollen.“

(Die Zeit, 23. Dezem- ber 1960). Ungeachtet der publizistischen Re- aktionen war mit dem Eingreifen Adenauers, der den Einfluß der Ärzteschaft auf die be- vorstehende Wahlent- scheidung sehr hoch einschätzte, das Schicksal der Kran- kenversicherungsreform besiegelt.

Die parlamentarische Beratung des Gesetzentwurfs wurde 1961 einge- stellt. Die Stellung der Ärzteschaft in- nerhalb der Krankenversicherung blieb weitgehend unverändert, bis Mitte der 1970er Jahre im Zuge der wirtschaftlichen Rezession erneut Diskussionen um Kostendämpfung und Strukturreformen auf der Tages- ordnung standen.

A-1425 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997 (53)

Spitzenvertreter der ärztlichen Standesorganisationen im Gespräch mit Bundeskanzler Konrad Adenauer am 17. August 1960

V

on Beginn an hatte die SED bei der Durchsetzung eines soziali- stischen Gesundheitswesens mit mehreren miteinander verbundenen Hindernissen zu kämpfen. Erstens gab es anfangs nur sehr wenige Ärzte, die Mitglieder der SED wurden oder schon in der KPD organisiert waren.

Eher konservativ eingestellt sah die überwältigende Mehrheit der Ärz- teschaft den Veränderungen im Ge- sundheitswesen mit Mißtrauen entge- gen. Zweitens machte es die Tatsache, daß fast ausschließlich die nieder- gelassenen Ärzte das ambulante Gesundheitswesen aufrechterhielten,

der SED anfangs schwer, Polikliniken als organisatorisch-politischen Kern des neuen Gesundheitswesens durch- zusetzen, obwohl diese in materieller Hinsicht deutlich privilegiert wurden.

Sachzwänge erforderten es, diese Mehrheit in der Ärzteschaft zu loyaler Arbeit in einem ungeliebten politi- schen System anzuhalten. Auseinan- dersetzungen waren daher unaus- weichlich. Den Ärzten war sehr wohl bewußt, daß sie am Aufbau eines So- zialismus im SED-Sinne mitwirken sollten und daß die Intelligenzpolitik der SED im Grunde taktischer Natur war. Ihnen stand das Beispiel der

Die Ärzteschaft und der Aufbau des sozialistischen Gesundheitswesens

Klaus-Dieter Müller

Bereits 1946 stand fest, daß es in der sowjetisch besetzten Zone zukünftig keinerlei

ärztliche Selbstverwaltung in der Form öffentlich-rechtlicher Ärztekammern und

Kassenärztlicher Vereinigungen geben würde. Deren Aufgaben wurden in der Folge

von der staatlichen Gesundheitsverwaltung und dem Freien Deutschen Gewerk-

schaftsbund (FDGB) übernommen. Nicht gerade die besten Startvoraussetzungen

für die Bemühungen der SED, die verbliebenen Ärzte in der Ostzone vom Aufbau

eines sozialistischen Gesundheitswesens zu überzeugen.

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