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Archiv "„Auswirkungen eines Atomkriegs auf die Gesundheit und das Gesundheitswesen„" (13.02.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Bekanntgaben

"Auswirkungen eines Atomkriegs auf die Gesundheit

und das Gesundheitswesen"

Bei der folgenden Dokumentation han- delt es sich um einen Auszug aus einer Studie der Weltgesundheitsorganisation, deren deutsche Fassung unter dem Titel

„Auswirkungen eines Atomkrieges auf die Gesundheit und das Gesundheitswe- sen" 1984 erschienen ist (vgl. zur Erläute- rung auch den Beitrag auf Seite 395)

Versorgung der Verletzten Ausmaße des Problems

Gleich welches Szenarium man betrach- tet, die Zahl der Toten und Verletzten ei- nes Atomkriegs wäre immens. In einem bestimmten Umkreis vom Explosionsort wäre kein Überleben möglich. Die Zahl der Opfer jenseits dieses Kreises wäre abhängig von den Faktoren, die in bezug auf die Sprengkörper und ihre Wirkun- gen bereits beschrieben wurden, aber auch vom Verhalten der Menschen zum Zeitpunkt des Angriffs, also von ihren Aufenthaltsorten und davon, welche Art von Schutzräumen sie finden könnten, wenn überhaupt. Viele würden Mehr- fachverletzungen erleiden, und ihre Überlebenschancen wären entspre- chend vermindert.

Angesichts von Bedürfnissen, die weit über die verfügbaren Mittel hinausge- hen, wäre die medizinische Versorgung in erster Linie darauf ausgerichtet, ein Maximum an Menschenleben zu retten und dazu den Einsatz der Mittel und Kräfte und die Durchführung der Be- handlung so effizient wie möglich zu ge- stalten. Die grundlegenden Prinzipien des Katastrophenschutzes, sowohl bei Natur- als auch bei Zivilisationskatastro- phen, sind 1) Triage (Sichtung der Ver- letzten und Einteilung in Dringlichkeits- kategorien zur Behandlung; Anm. d.

Übs.), 2) Evakuierung und 3) angemesse- ne Erstversorgung.

Bei der Triage werden die Menschen in drei Gruppen „sortiert": Menschen mit

geringen Überlebenschancen, solche mit realistischen Überlebenschancen bei Behandlung und solche, die auch ohne Behandlung noch gute Über- lebenschancen haben bzw. deren Be- handlung zurückgestellt werden kann.

Grundsätzlich ist eine rasche Einstufung erforderlich, da jede Verzögerung be- deutet, daß mehr Opfer aus der Katego- rie „Überleben wahrscheinlich" in die Kategorie „Überleben unwahrschein- lich" fallen.

Die Triage bei Opfern der Druckwelle wäre hauptsächlich auf indirekte Explo- sionstraumen anzuwenden, da die den direkten Wirkungen der Druckwelle aus- gesetzten Menschen größtenteils getö- tet würden und die übrigen in diesem Gebiet durch die Hitzewelle oder durch Brände umkämen. Für die Triage bei Verbrennungsopfern werden Experten benötigt. Unter den günstigsten Voraus- setzungen können Menschen mit Ver- brennungen dritten Grades gerettet wer- den, wenn weniger als 50 Prozent der Körperoberfläche betroffen sind. Unter den Bedingungen eines Atomkriegs dürfte die Schwelle für das Überleben auf 20 Prozent sinken, insbesondere dann, wenn die Verbrennungen in Ver- bindung mit Verletzungen durch die Druckwelle und/oder durch Strahlung auftreten. Die Triage bei Strahlenopfern ist dadurch erschwert, daß Strahlendo- sen mit tödlicher Wirkung ähnliche Früh- symptome hervorrufen wie nichttödliche Strahlendosen.

Die Schwierigkeiten der Triage bei einer größeren Katastrophe sind in Hiroshima und Nagasaki deutlich zutage getreten.

In Hiroshima waren sämtliche Kranken- häuser in 1 km Entfernung vom Hypo- zentrum völlig zerstört. Nahezu jeder, der sich dort aufhielt, wurde getötet oder verletzt, darunter 93 Prozent der Krankenschwestern und 91 Prozent der Ärzte. In Nagasaki wurde das Universi- tätskrankenhaus — mit einem Anteil von über 75 Prozent an der Gesamtzahl der

Krankenhausbetten und medizinischen Einrichtungen der Stadt — zerstört; 80 Prozent der Personen, die sich dort auf- hielten, wurden getötet oder verletzt.

Eine Vorstellung von den Problemen vermittelt auch eine Untersuchung der Arms Control and Disarmament Agency (Waffenkontroll- und Abrüstungsbehör- de) der USA von 1979, in der Boston (mit 2 884 000 Einwohnern) im Staat Massa- chusetts als Beispiel gewählt wurde. Die Luftdetonation einer 1-Mt-Bombe über Boston würde auf der Stelle 700 000 To- te und ebenso viele Verletzte fordern, womit 50 Prozent der Bevölkerung so- fort getötet oder verletzt wären. Wenn 50 Prozent der 5200 Ärzte in Boston über- lebten, um die 700 000 Verletzten zu be- handeln, so kann die absurde Berech- nung angestellt werden, daß die Ärzte mehr als 4 Tage bei einem 16-Stunden- Arbeitstag benötigen würden, um jedem Patienten 15 Minuten widmen zu kön- nen. Boston verfügt über rund 13 000 Krankenhausbetten, aber diese liegen im städtischen Zielgebiet; von den 48 vorhandenen Akutkrankenhäusern wä- ren 38 zerstört oder schwer beschädigt, so daß für die Verletzten nur 2000 Betten übrigblieben. Die gesamte Infrastruktur, die zur Behandlung von Schwerverletz- ten erforderlich ist, wäre in Mitleiden- schaft gezogen: Krankenschwestern, Blutkonserven, Antibiotika, Medikamen- te, die Wasser- und Elektrizitätsversor- gung, das Fernsprechnetz, Heizungsan- lagen und das Verkehrssystem. Das überlebende medizinische Personal hät- te Schwierigkeiten, sich zu den Kran- kenhäusern durchzuschlagen — durch Straßen, die durch Fallout verstrahlt und durch Brände und Trümmer unpassier- bar wären —, und die Rettungsarbeiten wären durch ähnliche Schwierigkeiten bei der Bergung und dem Transport der Verletzten behindert. Die Arms Control and Disarmament Agency errechnete weiter, daß bei Detonation von zwei 1-Mt-Bomben rund 1 000 000 Menschen sofort getötet und etwa 700 000 verletzt würden, also über 60 Prozent der Ein- wohner von Boston. Selbst wenn die Vereinigten Staaten von Amerika anson- sten verschont blieben, würden die me- dizinischen Mittel und Kräfte nicht aus- reichen, um alle, die durch Druck, Hitze und Strahlung verletzt wären, angemes- sen zu versorgen.

Für das Vorgehen in konventionellen Kriegen und Zivilisationskatastrophen wurden Faustregeln entwickelt, aber es Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 7 vom 13. Februar 1985 (81) 421

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BEKANNTMACHUNGEN DER BUNDESÄRZTEKAMMER

ist nahezu unvorstellbar, wie diese in ei- ner Situation angewendet werden könn- ten, in der die Zahl der Opfer in die Mil- lionen ginge, Krankenhäuser und ande- re Versorgungseinrichtungen zum größ- ten Teil in Trümmern lägen, Brände wü- teten und die Überlebenden von Panik erfaßt wären oder, wie in Hiroshima, in einem Zustand geistig-körperlicher Er- starrung verfallen sind und Hilfe—sofern überhaupt verfügbar — wegen der Allge- genwärtigkeit der Strahlung nicht gelei- stet werden könnte.

Alles in allem würde die Triage wenig helfen, und Rettungspläne für den Fall eines Atomkriegs wären kaum mehr als ein Notbehelf. Die Behandlung der Ver- letzten müßte, wenn überhaupt möglich, wahrscheinlich der Reihenfolge nach er- folgen, was natürlich bedeutet, daß die Fälle, die einer Behandlung am drin- gendsten bedürfen, möglicherweise gar nicht behandelt würden. Die meisten Opfern würde wahrscheinlich keinerlei ärztliche Behandlung zuteil.

Behandlung der Verletzten

Die Verletzten müssen schnell und an- gemessen behandelt werden. Unabding- bare Voraussetzung für eine angemes- sene medizinische Behandlung ist ein leistungsfähiges Rettungs- und Trans- portsystem zur Überführung der Verletz- ten in diejenigen Krankenhäuser oder Versorgungseinrichtungen, die die er- forderlichen personellen und materiel- len Voraussetzungen zur Durchführung der Behandlung erfüllen.

Unter den beschriebenen Umständen, bei eingeschränkten Mitteln und Vorrä- ten, wäre es dem überlebenden medizi- nischen Personal nahezu unmöglich, ei- ne angemessene Versorgung oder auch nur eine lebenserhaltende Erstversor- gung der Verletzten zu gewährleisten.

Darüber hinaus wäre das Betreten des Fallout-Gebietes mit großen Gefahren verbunden. Das Personal der Rettungs- dienste müßte überwacht und — wenn möglich — dekontaminiert werden; eine turnusmäßige Ablösung wäre erforder- lich, um zu vermeiden, daß das Personal zu hohen Strahlendosen ausgesetzt wird. In dem herrschenden Chaos dürf- ten solche Maßnahmen undurchführbar sein. Darüber hinaus wäre die Sterblich- keit des medizinischen Personals, das der Strahlung, Krankheiten und anderen Gefahren erhöht ausgesetzt ist, stets hö- her als in der übrigen Bevölkerung.

Von der Strahlenkrankheit wäre wahr- scheinlich ein großer Teil der Personen aus Fallout-Gebieten befallen. Unter normalen Bedingungen erfordert die Behandlung der Strahlenkrankheit hochspezialisierte Einrichtungen. So wurden 1978 in Frankreich vier Patien- ten nach unfallbedingter Exposition durch sehr hohe Strahlendosen unter sterilen Bedingungen behandelt, wobei jeder 50-100 Transfusionen von Blutzel-

len sowie hohe Dosen von Antibiotika und Antimykotika erhielt. Ohne diese Behandlung wären sie unweigerlich ge- storben.

Es ist einleuchtend, daß eine solche Be- handlung allenfalls sehr wenigen von den Hunderttausenden von Opfern eines Atomkriegs zuteil werden könnte. Nach einem Angriff auf ein ausgedehntes Ge- biet oder einem Mehrfachangriff gäbe es nicht genügend Krankenhäuser oder andere Einrichtungen, in die die Opfer so rechtzeitig gebracht werden könnten, daß sie noch eine realistische Überle- benschance oder eine Aussicht auf wirk- same Behandlung haben. Falls die Kran- kenhäuser lediglich teilweise zerstört würden und ein Teil des Personals ver- schont bliebe, könnten hämatologische Daten erhoben werden; eine Isolierung wäre jedoch nicht möglich, und die The- rapie müßte zwangsläufig auf einige Bluttransfusionen und reichliche An- wendung von Antibiotika beschränkt bleiben. Wenn alle Krankenhäuser zer- stört würden, wäre lediglich eine sym- ptomatische Behandlung möglich, die sich auf Antibiotika stützen müßte, so- fern solche vorhanden wären.

Kaum anders wäre die Situation der Ver- letzten mit hochgradigen Verbrennun- gen. In Westeuropa stehen zur Zeit le- diglich etwa 1500 Betten für Patienten mit schweren Verbrennungen zur Verfü- gung, und auch in anderen Gebieten ist die lage kaum besser. Es liegt auf der Hand, daß es nicht möglich ist, den in ei- nem Atomkrieg zweifellos zahllosen Op- fern mit schweren Verbrennungen die gezielte Behandlung zu gewähren, de- ren sie bedürften.

Nicht einmal die unter normalen oder optimalen Voraussetzungen verfügba- ren Mittel und Kräfte der medizinischen Versorgung würden ausreichen, um den Opfern eines Atomkriegs zu helfen.

Unmittelbare Auswirkungen eines Atomkriegs

In den ersten Tagen und Wochen nach einem Kernwaffenangriff dürften sich zahllose Probleme einstellen, nicht nur für die Versorgung der Verletzten, son- dern auch für die unversehrten Überle- benden, bedingt durch die Zerrüttung der bestehenden Gesellschaftsordnung, den Mangel an Nahrungsmitteln, den Zu- sammenbruch des Gesundheitswesens und die Schädigung der Umwelt. Diese Probleme würden noch verschärft durch die Zerschlagung der Verwaltungsstruk- turen, die Ausschaltung der Energiepro- duktion, den Zusammenbruch des Fern- meldewesens sowie möglicherweise durch soziale Unruhen. Die Wasserver- sorgung wäre mit Sicherheit nicht mehr gewährleistet, so daß dem Wasser eine entscheidende Bedeutung zukäme. Re- gen dürfte vereinzelt zu örtlichen Kon- zentrationen des Fallout mit der Folge hochgradiger Verstrahlung führen, und das entsprechend verseuchte Frisch-

wasser könnte nicht mehr gefahrlos ge- trunken werden. Auch frische Nahrungs- mittel wären radioaktiv verseucht, so daß nur konservierte oder gegen Kontamina- tion geschützt gelagerte Nahrung ge- fahrlos verzehrt werden könnte. Somit wäre zusätzlich zu den Gefahren der ex- ternen Bestrahlung das Risiko einer Ex- position durch inhalierte und/oder mit der Nahrung aufgenommene Radionuk- lide gegeben.

Wenn unter den Bedingungen von Not und Überfüllung, wie sie etwa in Flücht- lingslagern herrschen, ein Minimum an Hygiene selbst heutzutage kaum ge- währleistet werden kann, so ist dies für die Opfer eines Atomkriegs, die in provi- sorischen oder anderen Schutzräumen zusammengepfercht wären, nahezu un- möglich. Die Menschen, die in Gruppen über Wochen oder Monate derartig iso- liert wären, müßten eine Unmenge von Problemen bewältigen, darunter die Überbelegung der Räume, die Pflege der Kranken, die Versorgung der Ster- benden und die Beseitigung der Lei- chen.

Infektionen dürften zu einem Haupt- problem werden. Bei Verbrennungen und Strahlenschäden wären Infektionen die hauptsächliche Todesursache. Die Epidemiologie der Infektionskrank- heiten dürfte durch zahlreiche Faktoren drastisch verändert werden, z. B. durch die Wirkung der Strahlung auf die Im- munabwehr des Körpers, durch Mangel- ernährung, unzureichende Hygiene, strahlenbedingte pathologische Verän- derungen im Magen-Darm-Trakt, bakte- rielle Kontamination von Brandwunden und anderen Verletzungen, die mögli- cherweise starke Vermehrung von In- sekten sowie durch den Zusammen- bruch der Seuchenhygiene und der Be- kämpfung der Infektionskrankheiten.

Unter solchen Bedingungen müssen Er- krankungen des Magen-Darm-Trakts und der Atemwege in der überlebenden Bevölkerung epidemisch auftreten.

Die psychischen Auswirkungen eines Atomkriegs auf die überlebende Bevöl- kerung lassen sich nur schwer vorhersa- gen; es wäre gefährlich, wollte man all- zuviel aus den Erfahrungen von Hiroshi- ma und Nagasaki ableiten, da bei beiden Angriffen eine einzige „kleine" Bombe zum Einsatz kam und die Einwohner bei- der Städte keinerlei Kenntnis über Kern- waffen und deren Wirkungen hatten.

Heute dürfte das Wissen um die Strah- lenwirkungen das Verhalten der ange- griffenen Bevölkerung erheblich beein- flussen. Dennoch mag die Reaktion der Überlebenden von Hirochima und Naga- saki zumindest eine entfernte Vorstel- lung von den möglichen Geschehnissen vermitteln. Während sich bei Naturka- tastrophen als unmittelbare Reaktion zu- nächst eine Erstarrung einstellt, dann aber Tatendrang und starke Identifika- tion mit der Gemeinschaft, empfanden die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki eine Loslösung von der Wirk- 422 (82) Heft 7 vom 13. Februar 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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lichkeit und ein Gefühl der Koexistenz mit dem Tod oder den Toten. Später ent- wickelten sich daraus starke psychische Belastungen sowie die Angst vor einer möglichen Krebserkrankung und vor ge- netischen Schäden bei den eigenen Kin- dern; die soziale Wiedereingliederung war schwierig, hauptsächlich in der Ehe (wovon Frauen besonders betroffen wa- ren) und im Beruf.

Langzeitfolgen eines Atomkriegs Die Langzeitfolgen eines Atomkriegs sind am schwierigsten vorherzusagen, sie können jedoch ebenso schädlich für den Menschen sein wie die unmittelba- ren Folgen. Zu den Langzeitfolgen gehö- ren die Auswirkungen auf das soziale und ökonomische System (die Vernich- tung von Industrie und Landwirtschaft, die Entwurzelung der Menschen, soziale Unruhen und sekundäre Kriegführung), auf die Wasserversorgung, die Hygiene und das Gesundheitswesen, auf die Inzi- denz von Krebs und genetischen Wir- kungen sowie auf Klima und Umwelt.

Durch den Zusammenbruch des öffent- lichen Gesundheitswesens und der Hy- giene wären der Verbreitung von Krank- heiten Tür und Tor geöffnet. Das Lei- tungswasser wäre kontaminiert, nicht nur durch Radioaktivität, sondern auch durch pathogene Bakterien und Viren;

Abwässer und Abfälle würden nicht mehr beseitigt, und durch den Ausfall von Kühlanlagen würden Nahrungsmit- tel verderben. Die Überlebenden müß- ten beim Verlassen ihrer Schutzräume feststellen, daß die Bedingungen drau- ßen nicht viel besser sind als drinnen.

Millionen von verwesenden Leichen und Kadavern, Berge von unbeseitigten Ab- fällen und Unmengen von nicht abgelei- teten Abwässern böten eine optimale Brutstätte für Fliegen und andere Insek- ten, die weniger strahlenempfindlich sind als der Mensch. Die unkontrollierte Vermehrung der Insektenpopulation dürfte eine Zunahme übertragbarer Er- krankungen durch Insekten begünsti- gen. Die Kontamination von Wasser und Nahrungsmitteln würde zur Verbreitung von Darmkrankheiten führen. Zahlreiche Krankheiten wie etwa Salmonellose, Shigellose, Hepatitis contagiosa, Amö- benruhr, Malaria, Fleckfieber, Strepto- kokken- und Staphylokokkeninfektio- nen, Infektionen der Atemwege und Tu- berkulose dürften weltweit epidemisch auftreten. Noch dazu würden viele Über- lebende nichttödliche Strahlendosen aufnehmen, was zur Schwächung der Immunabwehr in unterschiedlichem Schweregrad führen muß und damit zu- nächst zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen durch endogene Krankheits- erreger, insbesondere solche, die nor- malerweise im Darm vorkommen. Des- gleichen wären diese Überlebenden er- höht anfällig für die obengenannten Krankheiten und stärker davon betrof- fen, wie sie überhaupt anfällig für Krank- heitserreger aller Art wären. Die ande-

ren, nicht strahlenexponierten Überle- benden mit Explosionstraumen und Ver- brennungen dürften sich unter den herr- schenden Bedingungen sekundäre In- fektionen zuziehen, womit das Abheilen ihrer Verletzungen weniger wahrschein- lich würde. Ferner dürfte es schwierig sein, das Gesundheitswesen nach einem unbegrenzten Atomkrieg wieder aufzu- bauen, denn dazu bedarf es einer stabi- len Organisation des Gemeinwesens mit einem hochspezialisierten Herstellungs- und Verteilungssystem.

Von den weitreichenden sozialen und ökonomischen Folgen eines unbegrenz- ten Atomkriegs bliebe kein Land der Welt verschont. Aufgrund der materiel- len und personellen Sofortverluste durch die Zerstörung von Industrieanla- gen, die Vernichtung von Rohstoffen, den Zusammenbruch der Versorgung und den Ausfall qualifizierter Fachkräfte fiele die heutige Weltwirtschaft in den Zustand einer Primitivwirtschaft zurück;

die Überlebenden fristeten ein Dasein am Rande des Existenzminimums. Die Energieversorgung im industriellen und privaten Bereich fiele gänzlich oder teil- weise aus. Die modernen Transportmit- tel und Fernmeldeverbindungen wären defekt oder vernichtet. Eine zentrale Re- gierungsgewalt gäbe es nicht mehr; die zwangsläufige Folge wäre soziales und politisches Chaos. Im allgemeinen Über- lebenskampf käme es zwischen einzel- nen Menschen, in Familien oder Ge- meinschaften zum Streit um den Besitz der verbliebenen Nahrung und anderer Mittel. Der Zahlungsverkehr würde zu- sammenbrechen, Handel würde auf Tauschbasis fortgeführt. Nach der Zer- störung von Ausbildungsstätten und dem Verlust qualifizierter Arbeitskräfte dürfte der technologische und wirt- schaftliche Wiederaufbau lange auf sich warten lassen.

Ein unbegrenzter Atomkrieg würde Stö- rungen in der Atmosphäre verursachen, die sich zwar qualitativ, nicht aber quan- titativ, d. h. in ihrer Größenordnung, be- schreiben lassen. Die Atmosphäre ent- hielte mehrere Millionen Tonnen von Materieteilchen, die zum einen aus den Bombenkratern stammten, die bei Bo- dendetonationen entstehen, zum ande- ren mit dem Rauch der zahlreichen Brände in Städten und Wäldern, auf Öl- und Gasfeldern und in Lagertanks auf- stiegen. Auf diese Weise würden dunkle Wolken die Sonne verfinstern, wodurch die Temperatur fällt und die Photosyn- these der Pflanzen reduziert wird. Schon ein Abfall der Durchschnittstemperatur um ein oder zwei Grad auf der nörd- lichen Hemisphäre kann das Pflanzen- wachstum empfindlich stören. Durch die Explosion dürften chemische Verbin- dungen entstehen, die weitere klimati- sche Veränderungen nach sich ziehen.

Stickoxide, die in die Troposphäre ge- langen, beschleunigen dort die photo- chemische Bildung von freien Radikalen und Ozon. Sollten diese Oxide in die

Stratosphäre gelangen, wie es bei der Detonation großer thermonuklearer Bomben zu erwarten ist, so würde da- durch das Ozon in den oberen Schichten der Atmosphäre abgebaut. Welche Rich- tung die Veränderung nehmen würde, ist nicht bekannt, aber in beiden Fällen dürften die Wirkungen der Gesundheit abträglich sein. Bei Verringerung des Ozons in der Atmosphäre würde mehr ultraviolette Strahlung die Erdoberflä- che erreichen. Die Folge wäre ein erhöh- tes Auftreten von Erblindung und Haut- krebs, einschließlich des Melanoms.

Ein akutes Problem wäre die hinreichen- de Ernährung der Überlebenden. Der- zeit fruchtbare landwirtschaftliche Nutz- flächen würden versengt und verstrahlt, der Erosion durch Wind und Wetter aus- gesetzt und dadurch zu Ödland, so daß weder Ackerbau noch Viehzucht mög- lich sein dürften. Noch dazu wäre das Pflanzenwachstum beeinträchtigt durch die Abkühlung der Erdoberfläche, durch die unmittelbar toxischen Wirkungen ei- ner erhöhten Ozonkonzentration in der Troposphäre und durch die Folgen, die ein erhöhter bzw. verminderter Einfall von ultravioletter Strahlung für die Pho- tosynthese hat. Die Wiederaufnahme der Nahrungsproduktion wäre erheblich er- schwert, da Saatgut, Düngemittel und Pestizide, Treibstoff und landwirtschaft- liches Gerät kaum verfügbar sein dürf- ten.

Eine noch bedrohlichere Verschärfung der Ernährungs- und Versorgungslage ergäbe sich aus dem Ausfall der Trans- portmittel. Nahrungsmittelbestände, die selbst heute zuweilen knapp sind, wür- den in bestimmten Gebieten durch die Einwirkung der Druckwelle und durch Brände vernichtet oder radioaktiv ver- seucht, oder aber wegen mangelnder Kühlung verderben. Die Welt ist heute in hohem Maße vom Transport ihrer Nah- rungsmittel abhängig; 1981 importierten die europäischen Staaten 19 Millionen Tonnen Weizen, was 8 Prozent ihrer ei- genen Gesamt-Weizenproduktion ent- spricht; Afrika, Asien (außer China) und Südamerika importierten 61 Millionen Tonnen, d. h. 21 Prozent, 10 Prozent bzw. 11 Prozent der einheimischen Pro- duktion aller Getreidearten. Versor- gungsengpässe dürften für viele Ent- wicklungsländer katastrophale Folgen haben, denn die vielen allenfalls notdürf- tig ernährten Menschen in diesen Län- dern entgehen dem Hungertod nur durch Getreideimporte. Das importierte Getreide kommt vorwiegend aus den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. Die landwirtschaftlichen Kapa- zitäten dieser Länder dürften von einem Atomkrieg kaum verschont bleiben. Vie- le Millionen Menschen, die den Angriff zunächst überlebten, würden im Laufe der darauffolgenden Jahre an Hunger oder Unterernährung sterben.

Der Ausschuß ist der Auffassung, daß die Langzeitwirkungen eines unbegrenzten thermonuklearen Kriegs, wenn auch

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heute nicht quantifizierbar, so doch auf jeden Fall insgesamt schädlich für die

menschliche Gesundheit sind.

Die Angst vor Krebs und vererbbaren Schäden war bei den Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki weit verbreitet.

Nach dem spezifischen Szenarium wäre das Krebsrisiko in Bevölkerungen, die den Explosionen oder dem lokalen Fall- out direkt ausgesetzt sind, um etwa ein Fünftel erhöht. Außerhalb der Zielgebie- te ergäbe sich — in Abhängigkeit von der Verteilung des Fallout — eine weniger stark erhöhte Krebshäufigkeit. Vererb- bare Schäden dürften in der Bevölke- rung der Zielgebiete etwa doppelt so häufig vorkommen wie heute, d. h. bei 20 Prozent der Lebendgeburten würden genetische Schäden früher oder später im Laufe ihres Lebens manifest auftre- ten.

Diese Prozentzahlen mögen zwar gering erscheinen, aber die absolute Zahl wäre immens, da große Bevölkerungsgrup- pen betroffen wären. Die Wirkungen wä- ren auch schon deswegen bedeutend, weil die Furcht vor Krebserkrankung oder vererbbaren Schäden eine große psychische Belastung darstellt, die schwer zu bewältigen ist.

Es ist eine tragische Ironie, das einer- seits die Zeit für Warnung, Aktion und Reaktion der nuklearen Kriegführung von Stunden auf Minuten geschrumpft ist, während andererseits die dadurch verursachten gesundheitlichen Schäden über Jahre, Jahrzehnte und Generatio- nen anhalten würden.

Schlußfolgerung

Als Ärzte und Wissenschaftler fühlen sich die Mitglieder des Ausschusses so- wohl berechtigt als auch verpflichtet, mit größtmöglichem Nachdruck auf die kata- strophalen Folgen hinzuweisen, die jed- weder Einsatz von Kernwaffen nach sich ziehen würde. Die Zahl der Menschen und Tiere, die den unmittelbaren Wir- kungen und den Langzeitfolgen zum Opfer fielen, wäre immens, die Möglich- keit einer Wie lerherstellung der Zivilisa- tion kaum oder gar nicht gegeben. Das Elend der Überlebenden wäre unbe- schreiblich, sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht. Aufgrund des weitreichenden oder gar vollständi- gen Zusammenbruchs des Gesundheits- wesens blieben die Überlebenden ohne wirksame Hilfe.

Der Ausschuß ist der Überzeugung, daß es eine fachlich fundierte Grundlage für seine Schlußfolgerungen gibt, wonach Kernwaffen die größte unmittelbare Be- drohung für die Gesundheit und das Wohl der Menschheit darstellen. Es ist nicht die Aufgabe des Ausschusses, die politischen Schritte aufzuzeichnen, mit denen diese Bedrohung abgewendet werden kann; aber die Menschheit kann erst dann wieder in Sicherheit leben, wenn dies geschehen ist.

ARZNEIMITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT

Durchsicht des

Ärztemusterbestandes

Die Arzneimittelkommission der Deut- schen Apotheker informierte die Arznei- mittelkommission der deutschen Ärzte- schaft über Mitteilungen pharmazeuti- scher Hersteller, die Rückrufe und ande- re wichtige Änderungen von Fertigarz- neimitteln betreffen. Der Bestand an Ärztemustern ist entsprechend durchzu- sehen, und erforderlichenfalls sind die nicht mehr verkehrsfähigen Fertigarz- neimittel bzw. deren genannte Chargen auszusondern und zu vernichten.

Rückruf von Spartocine CH.-B.: 83H24

Bei Spartocine der oben genannten Charge können Undichtigkeiten am Falzrand der Beu- tel auftreten. Das stark hygroskopische Eisen- II-Pulver oxidiert in diesem Fall und verfärbt sich gelb.

Rückruf von Balticod Expectorans Tropfen, 20 ml — Soledoton Tropfen 20 ml, 50 ml und 100 ml.

Grund für den Rückruf dieser Fertigarzneimit- tel sind Ausfällungen.

Contrasthman und Contrasthman + Predniso- Ion — Geänderte Zusammensetzung

Fortbildungsfilme

Gastroskopie; Hersteller: Gastroentero- logie-Forum, Smith Kline Dauelsberg;

Verleih: Smith Kline Dauelsberg; Her- stellungsjahr: 1983; Laufzeit: 21 Min.;

Filmlänge: 230 m; Format: 16 mm; Ma- gnetton, farbig. Wissenschaftliche Auto- ren: Prof. Dr. L. Demling, Erlangen, PD Dr. G. Lux, Erlangen.

Der Film erklärt das Funktionsprinzip des Fiberendoskops und erläutert am graphischen Modell die gastroskopische Untersuchung. Abschnittsweise werden Befunde im Duodenum im Magen und der Speiseröhre gezeigt und erläutert.

Ausführlich wird die Diopsie demon- striert und erklärt. Zum ersten Mal wurde ein Gastroskopiefilm in einem bildfüllen- den Format gedreht, was besonders be- eindruckend ist. Zum ersten Mal wurde ein Gastroskop „in situ" gefilmt, d. h.

durch ein Gastroskop wird aufgenom- men, wie ein zweites Gastroskop arbei- tet (z. B. Biopsien nimmt).

Ergometrie — Belastungsuntersuchung in der Praxis; Hersteller: Profil-Film GmbH, Köln; Verleih: Bayer AG; Herstel- lungsjahr: 1984; Laufzeit: 24 Min.; Film- länge: 274 m; Format: 16 mm; Lichtton, farbig. Wissenschaftliche Autoren: Prof.

Dr. W. Hollmann, Köln, Prof. Dr. R. Rost, Köln.

Die Firma Helopharm Arzneimittelfabrik, Waldstr. 23-25, 1000 Berlin 51, bittet um fol- gende Veröffentlichung:

Ab Februar 1985 sind beide Produkte nur noch ohne Atropinsulfat im Handel.

Rückruf von Fomagrippin Dragees

Bei dem Arzneimittel Fomagrippin Dragees sind galenische Mängel aufgetreten.

Warnung vor „Spices Powder"

Bei Untersuchungen des aus Bombay, Indien, importierten Präparates „Spices Powder"

(auch unter dem Namen „Swasahar" im Han- del) konnte die Arzneimittelüberwachungs- stelle Schleswig-Holstein u. a. Prednisolon als nicht deklarierten Inhaltsstoff nachweisen. Bei einer einmaligen Einnahme wird eine Dosis von etwa 2,2 mg Prednisolon verabreicht.

Bei diesem „Powder" handelt es sich um ein grau-grünes Pulver mit einem intensiven Ge- ruch nach Zimt und Campher und von süßli- chem Geschmack. Die Verpackung besteht aus einem weißen, rechteckigen Kunststoffbe- hälter mit Schraubverschluß.

Unkontrollierte Einnahme größerer Mengen eines Kortikosteroids birgt erhebliche Risiken.

Sehr problematisch ist auch die Tatsache, daß die Anwender obigen Präparates der Meinung sind, es handele sich bei dem—gut wirkenden

— „Powder" um ein reines Naturprodukt.

Aus den genannten Gründen sowie im Hin- blick auf § 8 AMG (Verbote zum Schutz vor Täuschung) kommt auch ein Kleinimport ge- mäß § 73 Abs. 3 AMG nicht in Frage. AkdA

Die zunehmende Bedeutung degenera- tiver Herzerkrankungen verstärkt das In- teresse des niedergelassenen Arztes an der Belastungsuntersuchung. Der Film stellt die gebräuchlichen Verfahren vor und geht detailliert auf die Fahrrad-Er- gometrie ein. Sie gestattet nicht nur eine Klärung der Leistungsfähigkeit des Ge- sunden und Genesenden, sondern er- möglicht es auch, die Wirksamkeit medi- kamentöser Therapien zu überprüfen.

Das entzündete Knie; Hersteller: Mewis Filmproduktion, Monheim; Verleih: Tro- ponwerke, Köln; Herstellungsjahr: 1983;

Laufzeit: 29 Min.; Filmlänge: 320 m; For- mat: 16 mm; Magnetton, farbig. Wissen- schaftliche Autoren: Prof. Dr. Reinhard Fricke, Sendenhorst, PD Dr. Rolf Miehl- ke, Sendenhorst.

Für die Diagnose wichtige Erkenntnisse liefern Anamnese und klinischer Befund.

Zur Vervollständigung und differential- diagnostischen Klärung sind Labor-, Röntgenuntersuchungen sowie speziel- le Verfahren wie Thermographie und Arthroskopie unentbehrlich. In dem Film

„Das entzündete Knie" werden die dia- gnostischen Möglichkeiten demon- striert. Anschließend gehen die Autoren auf die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen ein. Auch operative Be- handlungsmöglichkeiten werden er- wähnt.

424 (86) Heft 7 vom 13. Februar 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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