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Archiv "Die Inhumanität der Medizin und die Anatomie: Teil 3: Das Lehrer-Student-Verhältnis" (19.09.1984)

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Academic year: 2022

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Reproduktion der Titelkarikatur (Partykiewicz) von Heft 36

Ein Anatom stellt kritische

Fragen zur vorklinischen

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

Die Inhumanität der Medizin

und

die Anatomie

Teil 3: Das Lehrer-Student-Verhältnis

Herbert Lippert*)

K

aum einer der vorklinischen Lehrer hat so intensiven Kon- takt zu den Studenten wie der Anatom. Die vielen Stunden des Präparierkurses schaffen Raum für Gespräche unter den Studen- ten und zwischen Schülern und

Lehrern. Wer an seine eigene Stu- dienzeit zurückdenkt, dem wird vermutlich auch zuerst ein Ana- tom als Lehrer einfallen. Der Ana- tom wird ungewollt zum Leitbild.

Er muß nun prüfen, wieweit er die- sem Anspruch genügt, wieweit sein Beispiel den späteren Arzt positiv oder negativ prägt. Dabei dürfte es ethisch unerheblich sein, ob er selbst Vorbild werden wollte. Er ist in der Situation und muß sich bewähren.

Die inhumane Behandlung des Studenten

Wenn der Student sein Leitbild des Arztes mangels Alternativen am vorklinischen Lehrer orien- tiert, so wird er häufig in der De- humanisierung bestärkt. Der Me- dizinstudent:

> ist einer von den allzuvielen, die es durch den Kurs zu schleu- sen gilt. Er wird einer Leiche zu- geteilt und kann manchmal nicht einmal die Partner wählen, mit de- nen er zusammenarbeiten muß.

> wird wie ein Versuchstier ge- zwungen, dem Ehrgeiz des Leh- rers zu willfahren. Wenn dieser in der vergleichenden Statistik der Physikumsergebnisse der einzel- nen Fakultäten gut dastehen will, werden eben die Anforderungen in den Testaten erhöht. Wenn man einen hohen Prozentsatz von Kurswiederholern als Qualitäts- merkmal betrachtet, so werden entsprechend viele Testate ver- weigert.

> hat heute nicht die Wahl, an ei- ne andere Universität zu wech- seln. Er hat kaum die Freiheit der individuellen Gestaltung seines Studiums. Ihm steht eine Hierar- chie der Macht gegenüber, die al- le Initiativen scheitern läßt. Die meisten Studenten resignieren nach kurzer Zeit. Die geringe Be- teiligung der Studenten an den Wahlen zu den Kollegialorganen ist Ausdruck dieser Resignation.

> wird als Problem behandelt.

Ein durch den Gegenstandskata- log bestimmtes Pensum ist ihm in einer bestimmten Zeit einzubläu- en. Seine privaten Sorgen sind nicht gefragt. Dabei ist der Stu- dent in dem Alter, in dem man meist die tiefstgreifenden emotio- nalen Erschütterungen in zwi- schenmenschlichen Beziehungen durchmacht. Die hohe Selbst-

mordrate von Studenten ist ein Ausdruck dieser Vernachlässi- gung der Person. Wenn z. B. der Lehrer der schwangeren Studen- tin eröffnet, daß sie wegen der Kursausfälle bei ihrer Niederkunft den Kurs erst ein Jahr später voll- enden könne und somit ein Stu- dienjahr verlieren werde, so hat er die Entscheidung für den Schwangerschaftsabbruch mit gebahnt.

> wird wohl nur selten als der spätere Kollege angesehen. Das Wissensgefälle vom Lehrer zum Schüler fördert nur zu leicht die Überheblichkeit des Lehrers und veranlaßt Willkürakte mannigfa- cher Art. So manche Lehrer den- ken: „Der Student sollte doch dankbar sein, überhaupt einen Studienplatz ergattert zu haben!"

Dabei müßten wir den vielen Stu- denten dankbar sein, weil diese uns in einer Zeit großer Arbeitslo- sigkeit einen sicheren Arbeits- platz garantieren.

> wird meist alleingelassen. Der Lehrer lebt vorwiegend in den Problemen seiner Forschung. Der Unterricht hindert ihn an der kon- tinuierlichen Beschäftigung mit

*) Aus der Abteilung für Funktionelle und An- gewandte Anatomie (Leiter: Prof. Dr. Dr. H.

Lippert) der Medizinischen Hochschule Hannover

2700 (42) Heft 38 vom 19. September 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(2)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Anatomieunterricht

seinen wissenschaftlichen Proble- men. Er vernachlässigt daher oft den Unterricht. So erhält der Stu- dent meist nicht die Unterwei- sung, die möglich wäre und auf die er auch Anspruch hätte. Pro- fessoren legen gewöhnlich gro- ßen Wert darauf, als Forscher und nicht als Lehrer zu gelten. Der ty- pische Forscher verdächtigt einen Kollegen, dem an der Lehre gele- gen ist, daß diesem nur nichts mehr zu forschen einfiele. Nach- dem Professoren auch fast aus- schließlich nach ihren Leistungen in der Forschung berufen werden, darf man sich nicht wundern, wenn die didaktische Qualität vie- ler Lehrveranstaltungen an Uni- versitäten zu wünschen übrig läßt.

Leere Hörsäle beweisen dies.

> gewöhnt sich an die Arbeit in der ungemütlichen, sterilen Um- welt der Laboratorien. Er stumpft gegenüber Räumen so sehr ab, daß er den Schock der Patienten auf die Räumlichkeiten der Kran- kenhäuser gar nicht mehr ver- steht.

Die Humanisierung der Medizin muß in der Vorklinik beginnen Es liegt nun nahe, den hoffnungs- frohen Schluß zu ziehen, wenn der Student die Inhumanität wäh- rend seines Studiums selbst er- lebt, wird er sich um so humaner den Patienten gegenüber verhal- ten: Leider ist dieser Schluß falsch. Die Psychologie lehrt: Kin- der, die wenig emotionale Zuwen- dung erfahren haben, sind häufig als Erwachsene gefühlskalt. Das Vorbild der Eltern und Lehrer prägt. Wollen wir die Medizin hu- manisieren, so müssen wir bereits in der Vorklinik damit beginnen.

Angehenden Ärzten vermittelt man humane ärztliche Gesinnung aber kaum durch Kommentare zum hippokratischen Eid, sondern vielmehr durch das persönliche Vorbild. Der Anatom ist der „ärzt- lichste" unter den vorklinischen Lehrern. Er sollte sich entspre- chend seiner Stellung verhalten

und versuchen, eine auf gegen- seitigem Vertrauen gegründete Arzt-Patient-Beziehung zum Stu- denten aufzubauen.

Die ärztliche Aufgabe des Anatomen ist der Student

Eine humane Beziehung kann sich immer noch an den Idealen der französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüder- lichkeit orientieren, wenn wir sie heute auch ein wenig anders for- mulieren. Der Anatom sollte im Studenten die Würde des Men- schen achten, ihn als gleichwerti- gen Partner akzeptieren, ihn an allen ihn betreffenden Entschei- dungen beteiligen und ihm mit menschlicher Wärme begegnen.

Er sollte aber nicht alles für ihn bestens regeln und dafür blinde Ergebenheit fordern. Er sollte ihm vielmehr den Weg für eigene Ent- scheidungen erleichtern. Seine Fürsorge sollte also nicht „ein- springend-beherrschend", son- dern „vorspringend-befreiend"

sein (Heidegger).

Zur Fürsorge für den „Patienten"

Student gehört es, ihm nicht nur beim Überwinden fachlicher Schwierigkeiten zu helfen. Man muß ihm auch in seelischen Kri- sen beistehen.

Eine Krisensituation ist nach mei- ner Erfahrung der Beginn der Prä- parierübungen an der Leiche (5).

Der Anatom sollte die Studenten auf den Kursbeginn auch seelisch vorbereiten und sich für Einzel- und Gruppengespräche bereithal- ten.

Gradmesser einer menschlichen Lehrer-Schüler-Beziehung kann für den Lehrer sein, wie oft sich Studenten nach der Vorlesung oder im Kurs mit persönlichen Problemen an ihn wenden. Ein Lehrer, der meint, er habe für eine derartige humane Beziehung kei- ne Zeit, sollte bedenken, daß eine in Opposition tretende Studenten- schaft auch eine Menge Zeit ko- sten wird.

Humanität ist die Aufgabe eines jeden einzelnen

Die sogenannte Inhumanität der modernen Medizin hat viele Wur- zeln. Der Verlust der Geborgen- heit im Elternhaus, eine naive Gläubigkeit an den technischen Fortschritt und das von den Mas- senmedien angeheizte Besitz- und Genußstreben in der Kon- sumgesellschaft erschweren dem jungen Menschen die Selbstfin- dung zu wahrem Arzttum. Am so- genannten Zeitgeist kann der ein- zelne wenig ändern. Um so mehr ist er aufgerufen, den Handlungs- spielraum zu nutzen, der ihm ver- bleibt. Im Bereich der Anatomie bedeutet dies:

> Orientierung am Lebenden statt an der Leiche,

> patientengerechte Sprache,

> ärztliches Verhalten der Leh- re r.

Jeder vorklinische Lehrer sollte seine Position überdenken und prüfen, was er selbst tun könnte.

Humanität ist nicht so sehr eine Aufgabe des Gesetzgebers als je- des einzelnen von uns.

Literatur

(1) Howard, J.: Humanization and dehu- manization of health care. In: Howard, J., A. Strauss (ed.): Humanizing health care.

Wiley, New York—London—Sydney—To- ronto 1975, p. 57-102 — (2) Lippert, H.:

Fachsprache Medizin. In: Sprache der Gegenwart, Band 45. Schwann, Düssel- dorf 1978, S. 86-102 — (3) Lippert, H.:

Rückzug der deutschen Sprache aus der Medizin. Med. Klin. 73, 487-496 (1978) und 74, 409-411 (1979) — (4) Lippert, H.:

Anatomie am Lebenden. Med. Klin. 77, 341 (1982) — (5) Lippert, H.; Th. Schnel- ler: Die Angst des Medizinstudenten vor der Leiche. Med. Klin. 75, 895 (1980) — (6) Quast-Hoette, G.: Der anatomische Wortschatz des Frauenarztes. Med. Diss.

Hannover 1972.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dr. phil.

Herbert Lippert Postfach 61 01 80 3000 Hannover 61 2702 (44) Heft 38 vom 19. September 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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