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Archiv "Die Öffentliche Kundgebung" (22.05.1975)

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Die Öffentliche Kundgebung

Da der 78. Deutsche Ärztetag seine Tagesordnung in kürzerer als der ursprünglich vorgesehenen Zeit abgewickelt hatte, wurde die Öffentliche Kundgebung am Nachmittag des 9. Mai im Hamburger Congress Centrum zur Schlußveranstaltung; Prof. Hans Joachim Sewering konnte sein Referat über die Ergebnisse des 78. Deut- schen Ärztetages bereits als wiedergewählter Präsident vortragen.

Das Referat ist im folgenden im Wortlaut wiedergegeben. Zu Be- ginn hatte Dr. Arnold Rimpau, Präsident der gastgebenden Ärzte- kammer Hamburg, die Gäste der Kundgebung begrüßt; die dann folgenden Ansprachen von Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Ho- henstein als Vertreter des Bundestages, von Bundesgesundheitsmi- nister Frau Dr. Katharina Focke, von Senator Dr. Wilhelm Nölling und vom Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes, Dr. Andrö Wynen, waren mehr als nur obligate Grußworte; sie sprachen — teilweise auch kontrovers — mannigfache gesundheitspolitische Themen an. Deshalb werden sie hier im Anschluß an das Referat von Prof. Sewering ebenfalls im Wortlaut wiedergegeben, ebenso die Schlußbemerkungen, mit denen Prof. Sewering zu diesen An- sprachen Stellung nahm und mit denen er zur Zeremonie der Ver- leihung der Paracelsus-Medaille an Dr. Bernhard Degenhard, Prof.

Dr. Dr. h. c. Ernst Fromm, Dr. Rudolf Soenning und Dr. Hermann Zwecker überleitete. Dr. Degenhard dankte im Namen der Ausge- zeichneten mit einer ebenfalls hier dokumentierten Wertung Paracel- sus' und der nach ihm benannten Auszeichnung (die Laudationes für die Träger der Paracelsus-Medaille 1975 sowie für Prof. Alkmar von Kügelgen, der wenige Wochen vor dem 78. Deutschen Ärztetag verstorben war, sind bereits in Heft 20 vom 15. Mai veröffentlicht worden).

Prof. Dr. Hans J. Sewering

Das freiheitlich-soziale

Gesundheitswesen ausbauen

Die Information:

Bericht und Meinung

78. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Es entspricht einer Tradition der Deutschen Ärztetage, daß der amtierende Präsident in der öffent- lichen Veranstaltung auf der Basis der Beratungen und Arbeitsergeb- nisse des Ärztetages Stellung nimmt zu aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Fragen der Gegenwart. Man kann das in die- sem Jahr nicht tun, ohne daran zu

denken, daß sich in der vergange- nen Nacht das dritte Jahrzehnt nach dem Ende des zweiten Welt- krieges vollendet hat. Vor genau 30 Jahren, am 9. Mai 1945, begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte unseres Volkes. Wir Älteren, die diese Zeit bewußt erlebten, empfin- den noch heute, nach 30 Jahren, ein Gefühl der Beklemmung, wenn

wir an die Millionen von Menschen denken, deren Leben ausgelöscht wurde, wenn wir uns des Elends dieser Jahre erinnern, wenn wir uns die Bilder unserer zerstörten Städte vor Augen führen. Diese grausamen Jahre haben Wunden geschlagen auch bei denjenigen, die überlebten, und die Narben dieser Vergangenheit kennzeich- nen Generationen unseres Volkes.

Wir können auch nicht vergessen, daß dem Zusammenbruch des ge- schichtlich so kurzlebigen Deut- schen Reiches von 1871 die Ver- treibung von Millionen Menschen und damit eine Völkerwanderung folgte, die in der Geschichte ihres- gleichen nicht kennt. Die Teilung Deutschlands, die totale Trennung seiner Menschen wird uns noch lange überschatten. Wenn man als junger Arzt in diese Jahre des Mor- dens und Massensterbens hinein- gestellt war, konnte man eigentlich nur verzweifeln an seiner Aufgabe.

Was bedeutete es denn, wenn man einzelnen helfen konnte, während Tausende in einem einzigen Luft- angriff ihr Leben verloren.

Dennoch zeigte sich auch in dieser Zeit, daß der Arzt seine Aufgabe zu jeder Zeit zu erfüllen hat, daß die Menschen ihn brauchen, wenn auch seine Hilfe vielfach nicht mehr sein konnte als ein kleines flackerndes Licht in einer dunklen Nacht.

Die apokalyptischen Bilder dieser Zeit sind nach drei Jahrzehnten verblaßt, sie sind Geschichte ge- worden, Europa hat zwar offiziell seinen Frieden, aber politischer Terror und Mord lassen die Bürger unserer Länder nicht zur Ruhe kommen. Dies wurde uns durch das brutale Verbrechen und die Toten von Stockholm gerade wie- der bewußt. In anderen Teilen die- ser Erde haben sich die Kriege fortgesetzt, und in den letzten Jah- ren mußten wir Tragödien von Völ- kern erleben, die Opfer brutaler kriegerischer Auseinandersetzun- gen und Eroberungen geworden sind. Es liegt nicht in der Macht der Ärzte, das zu verhindern. Wir können immer nur dem einzelnen

1624 Heft 21 vom 22. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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helfen, selbst wenn ganze Völker Opfer von Terror und Aggression werden.

Was für die Ärzte unseres Landes 1945 Mittelpunkt ihrer Sorgen und Mühen war, die Bekämpfung von Seuchen und Hungerfolgen, ist heute die Sorge unserer Kollegen in Vietnam.

Gesundheit:

Konsumgut mit Rechtsanspruch?

Unsere Aufgabe hat sich inzwi- schen erheblich gewandelt: Wir müssen angehen gegen die Folgen des Genußmittelmißbrauches, der Überernährung, des allzu beque- men Lebens unserer Bürger. Herz- infarkt, Diabetes oder Hochdruck- krankheiten, die 1945 ganz am Rande standen, nehmen heute in der Arbeit der Ärzte erste Plätze ein. Ein Hinweis auf die Schick- salskrankheit Krebs rundet das Bild.

Aber auch ein anderer Wandel ist eingetreten: Während in den Jah- ren der Not jeder einzelne wußte, daß er zunächst auf sich selbst ge- stellt ist und sein Schicksal nur durch eigene Aktivität und Tüchtig- keit meistern kann, lebt heute die Masse unseres Volkes in einer ge- fährlichen Passivität und betrachtet selbst ihre Gesunderhaltung schon als ein Konsumgut, als einen Rechtsanspruch, den man nachge- rade einklagen kann. Dies kenn- zeichnet auch unsere öffentlichen Diskussionen und politischen Pro- gramme zum Thema der Gesund- heitsvorsorge. Nur schüchtern und möglichst wenig auffallend wird davon gesprochen, daß man viel- leicht doch auch einmal den Bür- ger ermuntern müßte, etwas für die eigene Gesundheit zu tun.

Aber viel lieber und lautstärker werden in allen Programmen Vor- sorgeuntersuchungen gefordert, die diesen Krankheiten angeblich wirksam begegnen. So kann man im Orientierungsrahmen der SPD lesen, die in den letzten Jahrzehn-

ten in den Vordergrund getretenen Volkskrankheiten könnten mit den heutigen medizinischen Möglich- keiten fast ausnahmslos wirksam bekämpft werden. Die Schuld dar- an, daß die Wirklichkeit anders aussieht, schiebt man dann aber einem „auf Gewinn und wirtschaft- liche Macht orientierten Wirt- schafts- und Gesellschaftssystem"

zu, das „auf bloße Steigerung des privaten Konsums ausgerichtet"

sei. Ich sehe — im Gegensatz zu dieser Aussage — in unserem Wirt- schafts- und Gesellschaftssystem mit der Chance der Konsumsteige- rung für jeden Bürger die größte Errungenschaft der Nachkriegszeit!

• Wir müssen aber dem Bürger bewußt machen, wie er von dieser Errungenschaft Gebrauch machen muß, um keinen Schaden zu neh- men. Er muß wissen, daß er durch sein persönliches und ganz indivi- duelles Verhalten viele Schädigun- gen seiner eigenen Gesundheit selbst bewirkt.

• Wir müssen — und dies nicht zum ersten Mal — in Erinnerung ru- fen: Vorsorgeuntersuchungen ver- ringern für sich allein die Zahl der Herzinfarkte nicht um einen einzi- gen! Jede Vorsorgeuntersuchung für Herz- und Kreislauferkrankun- gen ist sinnlos, wenn wir ihre Er- gebnisse einer Bevölkerung predi- gen, die nicht bereit ist, daraus Konsequenzen zu ziehen. Hoher Zi- garettenkonsum und Übergewicht

— zwei der bedeutendsten Risiko- faktoren — können nur vom einzel- nen Menschen selbst beseitigt wer- den. Allein schon dadurch würden aber eine Vielzahl von gesundheit- lichen Gefahren, einschließlich Bluthochdruck und Diabetes, ge- bannt oder gemindert. Leider be- wirkt meist erst der eingetretene Herzinfarkt, der auch denjenigen, der ihn übersteht, einen kleinen Blick in die „Ewigkeit" tun läßt, eine Veränderung der Lebenswei- se.

Alles redet über die steigenden Ko- sten unserer gesundheitlichen Ver- sorgung. Der Gesamtverlust am Bruttosozialprodukt allein durch

raucherbedingte Gesundheitsschä- den und Todesfälle wird aber mit 15 bis 20 Milliarden Mark pro Jahr veranschlagt. Sollte man nicht end- lich den Mut haben, diese — zuge- gebenermaßen unpopulären — Fakten unter die Leute zu bringen und daraus auch für die prakti- sche Sozialpolitik Konsequenzen zu ziehen?

Auf einer völlig anderen Ebene lie- gen unsere Probleme hinsichtlich der Krebsvorsorgeuntersuchungen, wie sie derzeit in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt sind. Es kann nach wie vor kein Zweifel sein, daß die Krebsvorsor- geuntersuchung der Frauen geeig- net ist, bestimmte Krebsformen im Laufe der Jahre auszumerzen.

Noch ist die Beteiligung der Frau- en an diesen Untersuchungen im ganzen gesehen bedauerlich ge- ring, wenngleich wir bei den 35- bis 50jährigen eine deutliche Zu- nahme beobachten und die Hoff- nung haben dürfen, die 50-Prozent- Marke bald zu erreichen. Auf die Gruppe der Angestellten-Kranken- kassen bezogen, ist die 50-Prozent- Grenze der anspruchsberechtigten

Frauen bereits deutlich überschrit- ten. Bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen hingegen liegt sie noch unter 10 Prozent! Bei der Männervorsorgeuntersuchung be- wegen wir uns nach wie vor in etwa bei der 10-Prozent-Marke.

I

Ärzte für Inanspruchnahme werben der Vorsorge

Diese mangelhafte Beteiligung an den so nützlichen Krebsvorsorge- untersuchungen kann in keiner Weise den Ärzten in die Schuhe geschoben werden. Die praktizie- rende Ärzteschaft ist bereit und in der Lage, eine wesentlich größere Zahl von Krebsvorsorgeuntersu- chungen zu bewältigen. Wenn es auch in erster Linie Aufgabe ande- rer ist, für die Teilnahme an Früh- erkennungsuntersuchungen zu wer- ben, so hat die neu errichtete Informationsabteilung der Bundes- ärztekammer und der Kassenärztli-

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Die Information:

Bericht und Meinung

Öffentliche Kundgebung des 78. Deutschen Ärztetages

chen Bundesvereinigung doch in- zwischen eine eigene Werbung für die Vorsorge durch Wartezimmer- aktionen begonnen. Die Ärzte kön- nen aber nur auffordern und dann bereit sein und warten, bis die Männer und Frauen zur Vorsorge- untersuchung kommen.

Es wird immer wieder auf die ho- hen Beteiligungsziffern und die gu- ten Ergebnisse in der DDR hinge- wiesen. Hier soll offenbar verges- sen gemacht werden, daß wir in ei- ner freiheitlichen Demokratie le- ben, in welcher der einzelne Bür- ger noch entscheiden kann, ob er an einer angebotenen Gesund- heitsmaßnahme teilnehmen will oder nicht. Die Machthaber der DDR können Wahlbeteiligungen und Wahlergebnisse ebenso mani- pulieren wie die Beteiligung an Vorsorgeuntersuchungen, denn ih- nen stehen die Zwangsmaßnahmen einer Diktatur zur Verfügung.

Selbst unter Abwägung aller denk- baren Umstände muß aber die Er- haltung der bürgerlichen Freiheit höher veranschlagt werden als die Beteiligungsziffer an einer Vorsor- geuntersuchung. Es gehört nun einmal auch zu den Rechten eines freien Bürgers, daß er Angebote, die seiner Gesunderhaltung die- nen, ablehnen und das Risiko der Krankheit in Kauf nehmen kann.

Diese Freiheit kann nur dort ihre Grenze finden, wo die Freiheit an- derer Bürger beeinträchtigt werden würde. Die Seuchenerkrankungen sind dafür ein typisches Beispiel.

Diese Feststellung entbindet uns nicht von der Verpflichtung, für die freiwillige Inanspruchnahme der angebotenen Untersuchungen in jeder Weise zu werben.

Es muß in diesem Zusammenhang auch ein kurzes Wort zur Säuglings- sterblichkeit gesagt werden, die immer mehr zum politischen Schlagwort gemacht worden ist. Es ist dankenswert, daß die Bundesre- gierung in ihrer Antwort auf die große Anfrage von Abgeordneten der CDU/CSU zu dieser Frage sachlich Stellung genommen hat.

Die Antwort kommt zu folgender Feststellung:

„Auch wenn nach Auffassung der Bundesregierung die Situation bei der Säuglingssterblichkeit durch gezielte Maßnahmen verbessert werden kann, deutet ihre statisti- sche Rangposition im internationa- len Vergleich schlechtere Verhält- nisse an, als sie in Wirklichkeit be- stehen."

Die wahren Ursachen der

Säuglingssterblichkeit

Diese Aussage ist voll berechtigt.

Die Erfassungsgrundsätze und ihre Handhabung weichen viel zu sehr voneinander ab, als daß man die Ergebnisse einfach nebeneinander- stellen dürfte.

Für unsere Verhältnisse sind vor allem zwei wesentliche Faktoren zu berücksichtigen: Die Säuglings- sterblichkeit bei den nicht ehelich Geborenen liegt um 70 Prozent über derjenigen der ehelich Gebo- renen. Sie wird außerdem ganz er- heblich beeinflußt durch die hohe Zahl der Frühgeburten. Hier be- trägt die Sterblichkeit innerhalb der ersten sieben Tage nach der Geburt über 46 Prozent aller als Lebendgeburten registrierten, tat- sächlich unreif als Frühgeburten entbundenen Kinder.

Es mag durchaus möglich sein, daß die Freigabe der Abtreibung in der DDR einige der Probleme löst, mit denen wir uns zu befassen ha- ben. Wir sind aber der Überzeu- gung, daß die Freigabe der Tötung von Ungeborenen nicht die Lösung des Problems der Lebenserhaltung Geborener bedeuten kann. Es be- steht auch ein enger Zusammen- hang zwischen der ärztlichen Schwangerenbetreuung und der Säuglingssterblichkeit. Sie ist ein- deutig höher bei Müttern, welche diese ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft nicht in An- spruch genommen haben.

Diese hier aufgezeigten Zusam- menhänge — hohe Lebenschance

bei ehelich Geborenen, hohe Sterblichkeit bei unehelich Gebo-

renen, bessere Lebenschance für Säuglinge, deren Mütter ärztlich betreut wurden — legen aber zu- gleich überzeugend dar, daß die Behauptung, die zu hohe Säug- lingssterblichkeit sei eine Folge unseres Systems der ärztlichen Versorgung, völlig abwegig ist.

Unsere Bevölkerung darf im übri- gen sicher sein, daß die Ärzte in Klinik und Praxis alles tun, um die Ergebnisse weiter zu verbessern.

Es laufen eingehende wissen- schaftliche Untersuchungen, um Ursachen und Zusammenhänge der Säuglingssterblichkeit weiter aufzuklären. Auch zum besseren Vergleich der statistischen Zahlen anderer Länder werden wir beitra- gen. Die Kassenärztliche Bundes- vereinigung hat gerade jetzt die Richtlinien über die Schwangeren- betreuung durch spezielle Richtli- nien über die Erkennung und Be- treuung von Risikoschwanger- schaften ergänzt und damit die ärztliche Schwangerenbetreuung weiter verbessert. Aber auch hier muß betont werden, daß diese Schwangerenbetreuung durch den Arzt nur angeboten werden kann.

Es liegt an den Frauen und Müt- tern, ob sie davon Gebrauch ma- chen.

Die Ärzteschaft fordert seit Jahrzehnten mehr Anstrengungen auf allen Gebieten der gesundheit- lichen Erziehung und Aufklärung.

Statt dessen müssen wir zur Kennt- nis nehmen, daß die Förderungs- mittel für freie Initiativen auf die- sem Gebiet nicht vermehrt, son- dern sogar vermindert werden!

Aber nicht nur die Säuglingssterb- lichkeit wird zum Aufhänger für Forderungen nach Systemverände- rungen mißbraucht. Es gibt einen völlig neuen Begriff, an dem man sich hochrankt: die sogenannte Ef- fizienz des Gesundheitswesens.

Hier hat man einen Begriff einge- führt, für den es zwar keinerlei nachprüfbare und wissenschaftlich fundierte Maßstäbe gibt, der aber in der öffentlichen Diskussion of- fensichtlich sehr beeindruckt. Zur Verbesserung der Effizienz des Ge-

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sundheitswesens verlangen die Programmierer die Einführung ei- nes integrierten Systems medizini- scher Versorgung. Die angebliche Aufsplitterung und starre Abgren- zung von ambulanter und stationä- rer ärztlicher Versorgung soll durch ein "geschlossenes System der medizinischen Versorgung" er- setzt werden.

Das für die "Integration" angebote- ne Rezept ist allgemein bekannt und äußerst simpel: Man nimmt den Ärzten die Apparate, errichtet in räumlichem Zusammenhang mit den Krankenhäuser sogenannte Medizinisch-technische Zentren, gestattet den Krankenhäusern noch zusätzlich die ambulante Be- handlung, und schon ist das Pro- blem gelöst. Die Tatsache, daß die Kostenentwicklung der gesundheit- lichen Versorgung unserer Bürger dort, wo die lnstitutionalisierung bereits perfekt erfolgt ist, nämlich im Krankenhaus, am schwindeler- regendsten war und weiterhin ist, wird völlig ignoriert. Die Kosten der Diagnostik und Behandlung im

Krankenhaus, welche ihren Nieder- schlag in den Pflegesätzen finden, die keine Investitionskosten erfas- sen, werden bis zu 85 Prozent al- lein durch stetig steigende Perso- nalkosten bedingt. Wer denkt ei- gentlich heute noch daran, daß die Arbeitszeit im Krankenhaus 1965 noch 60 Stunden betrug? Sie ist auf 40 Stunden seit 1. Oktober 1974 gesunken. 1974 war die Tariferhö- hung im öffentlichen Dienst 11 Pro- zent. Die tatsächlichen Auswirkun- gen in den Krankenhäusern belie- fen sich auf 16 bis 18 Prozent. Zu- sammen mit anderen Faktoren im personellen Bereich ergab sich eine Steigerung der Personalko- sten allein 1974 um mindestens 23 Prozent.

Dabei sei nur am Rande vermerkt, daß auch die Ärzte - einschließ- lich der leitenden Ärzte - an den Krankenhäusern Tarifgehälter be- ziehen, die Kostensteigerung also mit angeblich so sagenhaften Ho- noraren der Krankenhausärzte nicht das leiseste zu tun hat. Hono- rar erhält der leitende Kranken-

hausarzt nur von Selbstzahlern.

Das Krankenhaus verlangt einen kostendeckenden Pflegesatz und durchwegs noch erhebliche Abga- ben von den leitenden Ärzten.

..,.. Man gewinnt im übrigen immer mehr den Eindruck, daß diese Ho- norare nur deshalb so "verwerf-

lich" sind, weil sie der Arzt emp-

fängt. Wie könnte sonst die Forde- rung verstanden werden, das Liqui- dationsrecht solle auf den Kran- kenhausträger übergehen, während der Arzt ein festes Gehalt bekom- men soll? Wenn dann der Herr Oberbürgermeister "für ärztliche Bemühungen" liquidiert, werden vielleicht sogar die Mehrfachsätze der Gebührenordnung salonfähig werden.

Dem nicht "integrierten System medizinischer Versorgung" wird auch insofern die Schuld an den hohen Krankenhauskosten zuge- schoben, als wir dadurch angeb- lich eine viel zu hohe Verweildau- er haben. Dazu einige aufschluß- reiche Vergleichszahlen:

I>

Eine lange Liste guter Namen käme zusammen, wollte man alle prominenten Gäste nennen, die zur Öffentlichen Schluß- kundgebung des 78. Deutschen Ärztetages nach Harnburg gekommen waren. Hier nur die erste Reihe im großen Ple- narsaal des n_euen Hamburger Kongreßhauses (v. I. n. r.): Dr. Hans Wolf Muschallik, Dr. Andre Wynen, Dr. med. dent.

Hanna Neume1ster, Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst Fromm, Senator Dr. Wilhelm Noelling, Dr. Gerhard Jungmann, Bundesminister Dr. Katharina Focke, Prof. Dr. Hans J. Sewering, Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein MdB Dr. Horst Bourmer

Jürgen Egert MdB, Kurt Spitzmüller MdB ' '

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

21

vom

22. Mai 1975 1627

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Die Information:

Bericht und Meinung

Öffentliche Kundgebung des 78. Deutschen Ärztetages

Das medizinische Versorgungssy- stem der DDR ist so voll integriert, daß selbst der letzte "freipraktizie- rende Schönheitsfehler" ausge- merzt wurde. Die Verweildauer bei stationärer Behandlung wird im Ge- sundheitsbericht der DDR für inne- re Krankheiten mit einem Gesamt- durchschnitt von 22,7 angegeben.

ln Bezirken, die mit der Bundesre- publik vergleichbar sind, liegt sie in Ostberlin bei 25,8 - Dresden 26 - Leipzig 25,7. ln der Bundesrepu- blik beträgt sie 25,3.

ln den chirurgischen Disziplinen gibt die DDR 16,7 an (Ostberlin 19,2) in der Bundesrepublik 14,9. Bei den allgemeinen Krankenhäusern liegt die DDR bei 22,4, die Bundesrepu- blik bei 18,7 Tagen. Allgemeine Krankenhäuser mit abgegrenzten Fachabteilungen haben derzeit eine Verweildauer von 17,7 Tagen.

~ Die Behauptung, durch Öffnung der Krankenhäuser, Schaffung von Ambulatorien und damit ambulante Diagnostik und Therapie durch das Krankenhaus, sei die Verweildauer zu senken, erweist sich als reiner Vorwand. Angesichts solcher Er- fahrungen, die sich auch in Schwe- den bestätigt haben, ist es völlig unverständlich, daß jetzt das Bun- desgesundheitsministerium dem Deutschen Krankenhausinstitut ei- nen wohldotierten "Forschungsauf- trag" erteilt hat, binnen Jahresfrist über die Erfahrung mit "Modellver- suchen" der vorstationären Dia- gnostik und nachstationären The- rapie am Krankenhaus zu berich- ten. Es gibt auch Rechnungen, die beweisen wollen, daß die Reduzie- rung der Verweildauer um einen oder zwei Tage schlagartig Milliar- denbeträge einsparen würde. Eine eindrucksvolle Behauptung für oberflächliche, nicht genügend in- formierte Leser oder Hörer!

Natürlich würden die Krankenkas- sen im ersten Augenblick, wenn von heute auf morgen die Verweil- dauer um zwei Tage zurückginge, Geld einsparen. Tatsache ist aber, daß die hohen Kosten der Kran- kenhäuser, einschließlich der Per- sonalkosten, bis zu 90 Prozent Fix-

kosten sind, also von der Größe des Krankenhauses und seiner Bet- tenzahl abhängen und in keiner va- riablen Beziehung zur Verweildau- er stehen. Wenn die Verweildauer sinkt, bleiben die Fixkosten unver- ändert. Am Ende des Jahres wird dann also die betriebswirtschaftli- ehe Rechnung, da diesen Fixko- sten eine geringere Zahl von Pfle- getagen und Einnahmen gegen- übersteht, ein größeres Defizit aus- weisen, was eine Erhöhung der Pflegesätze zur Folge haben wird.

Eine Kosteneinsparung würde erst eintreten, wenn man sich als weite- ren Schritt zu einer Reduzierung der Bettenzahl entschließen könn- te, mit der daraus folgenden Mög- lichkeit einer Reduzierung des Per- sonals und der sonstigen Fixko- sten. Dafür gibt es aber derzeit kei-

nerlei Anhaltspunkte.

Daß diese Überlegungen der Wirk·

lichkeit entsprechen, zeigt mir ein- drucksvoll das Rundschreiben ei- nes großen Krankenhausträgers, der die Chefärzte darauf aufmerk-

sam macht, daß für eine wirtschaft- liche Betriebsführung ein durch- schnittlicher jährlicher Ausnüt- zungsgrad der Krankenbetten von 85 Prozent angesetzt sei. "Es wird deshalb ausdrücklich gebeten, auf die Einhaltung der Mindestbele- gung zu achten."

Würde man nun den Krankenhäu- sern die vorstationäre Diagnostik, also ein Ambulatorium gestatten, würde das neben hohen Sachauf- wendungen zusätzliches Personal und kostspielige organisatorische Maßnahmen erfordern, die zu einer weiteren Verteuerung des laufen- den Betriebes führen müßten. Auch dafür darf ich Ihnen ein beredtes Beispiel anführen:

Der gleiche Stadtrat und Kranken- hausträger, welcher die Chefärzte zur Einhaltung der Mindestbele- gung von 85 Prozent ermahnte -

dies erst vor wenigen Monaten -, hat gerade eben beschlossen, eine .. diagnostische Aufnahmestation"

mit 30 Betten zu errichten, mit der Maßgabe, daß kein Patient länger als 24 Stunden darin verbleiben

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Heft 21 vom 22. Mai 1975

DEUTSCHES ARZTEBLATT

darf. Also ein klarer Versuch einer getarnten ambulanten Vordiagno- stik!

Die Kosten für die Errichtung die- ser Station werden mit 543 000 DM veranschlagt, die jährlichen Folge- lasten - vor allem Personalkosten -sollen 700 000 DM betragen!

~ ln diesem Lichte muß man die Forderung sehen, den Krankenhäu- sern das Recht der ambulanten vorstationären Diagnostik und nachstationären Behandlung einzu- räumen. Es zeigt sich dann sehr rasch und ohne Modellversuch, daß von Einsparung keine Rede sein kann. Das Gegenteil wird der Fall sein!

~ Ich muß auch mit allem Ernst darauf hinweisen, daß hier den Krankenhausärzten Ad-hoc-Ent- scheidungen abverlangt werden, deren Rechtsfolgen sie völlig allein zu tragen haben! Wenn der im Ambulatorium verantwortliche Arzt auf Grund einer zwangsläufig kur- zen Untersuchung den stationär eingewiesenen Patienten nach Hause schickt und es kommt zu ei- ner Komplikation, so steht er vor dem Richter, und kein Kranken- hausträger wird ihm dabei helfen.

Wir müssen deshalb die Ärzte der Krankenanstalten dringend davor warnen, sich für derartige Experi- mente mißbrauchen zu lassen!

~ Die Reduzierung der Patienten- zahl und der Verweildauer mit der Chance der Begrenzung der Be~

tenzahl wird nur dann wirksam und kostengünstig möglich sein, wenn diese Patienten von vornherein das Krankenhaus als Institution über- haupt nicht oder nur so kurz wie möglich beanspruchen. Sie müs- sen so lange im Bereich der ambu- lanten ärztlichen Versorgung ver- bleiben, bis die vorhandenen Mög- lichkeiten der Diagnostik voll aus- geschöpft sind, bevor eine statio- näre Einweisung vorgenommen wird.

Natürlich gehören zu diesem Sy- stem der ambulanten ärztlichen Versorgung auch zahlreiche Kran-

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kenhausärzte als Person, die dort, wo Bedarf besteht, für besondere Leistungen beteiligt werden. Das wird seit Jahr und Tag so gehand- habt und laufend fortgesetzt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind dabei, den Kassenärzten ent- sprechende Hinweise und Richtli- nien an die Hand zu geben. Zwei- erlei soll bewirkt werden: Die sta- tionäre Einweisung muß unterblei- ben, wenn ambulante Diagnostik und Therapie zur Erkennung und Behebung einer Krankheit möglich und ausreichend ist und der Zu- stand des Patienten dies gestattet.

Dabei können die Lebensbedingun- gen des Patienten nicht außer acht gelassen werden! Allein die fehlen- de Pflegemöglichkeit verlangt viel- fach die stationäre Unterbringung auch bei Krankheiten, die zu Hause behandelt werden könnten. Wenn stationäre Behandlung unabwend- bar ist - zum Beispiel für Opera- tionen -, sollen alle diagnosti- schen und operationsvorbereiten- den Maßnahmen im ambulanten Bereich durch Zusammenwirken der niedergelassenen Ärzte durch- geführt werden, mit dem Ziel, die Verweildauer so kurz wie möglich zu halten. Die erhobenen Befunde müssen dem Patienten im Original in das Krankenhaus mitgegeben werden, wodurch Doppeluntersu- chungen und Zeitverluste vermie- den werden. Für die Mitgabe der Befunde werden besondere Ge- kennzeichnete Taschen zur Verfü- gung gestellt. Dies entspricht auch dem Beschluß eines Deutschen Ärztetag es.

I

"Reform"-Vorschläge offenbar nur

Vorwände

Unsere Beobachtung, daß dieses Angebot der Kassenärztlichen Ver- einigung und der Kassenärzte bei anderen auf so wenig Gegenliebe stößt, sondern ganz im Gegenteil ablehnende bis bösartige Reaktio- nen auslöst, muß bei uns den Ver- dacht erwecken, daß es manchen Vätern dieser Gedanken nicht so sehr auf eine Verbilligung der Krankenhausbehandlung als auf

Prof. Dr. Hans J. Sewering, den wieder- gewählten Präsidenten der Bundesärz- tekammer und des Deutschen Ärzteta- ges, brauchen wir gewiß nicht vorzu- stellen; sein Bild ist hier um der Syste- matik der dokumentarischen Berichter- stattung willen zusammen mit dem Re- ferat wiedergegeben, das er bei der Öf·

fentlichen Kundgebung des 78. Deut- schen Ärztetages gehalten hat

eine Veränderung des Systems - vor allem eine Beseitigung des Si- cherstellungsauftrages der Kassen- ärzte und ihrer Vereinigung - an- kommt. Gerade in der letzten Zeit sind einige Pläne zur Umgestaltung des Gesundheitswesens bekannt- geworden, die diese Befürchtung voll bestätigen. Die Beseitigung des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigung und der Kassenärzte ist zu einem er- klärten politischen Ziel gemacht worden.

~ Wenn auch dieser Deutsche Ärztetag sich wiederum mit aller Entschiedenheit für die Aufrechter- haltung des Sicherstellungsauftra- ges, für die Vertragsfreiheit und für die freie Arztwahl eingesetzt hat, so verteidigen wir damit zwar zen- trale Rechte der Ärzte unseres Landes; wir verteidigen damit aber in erster Linie die Rechte unserer Patienten, die in den vergangenen Jahrzehnten bis zum heutigen Tag die eigentlichen Nutznießer dieses

Systems der ärztlichen Versorgung gewesen sind und weiterhin sein sollen.

~ Eine Änderung des Kassenarzt- rechtes, welche diese Grundsätze mißachtet, würde deshalb auf den entschlossenen Widerstand der Ärzte unseres Landes treffen.

I

Dokumentation des Erfolges der Fortbildung

Lassen Sie mich noch über ein weiteres Thema dieses Ärztetages berichten: Die ärztliche Fortbil- dung. Immer wieder hört man den Vorwurf, die Ärzte würden sich nicht genügend fortbilden, die ar- men Patienten deshalb vielfach mit Methoden vergangener Jahrzehnte behandelt. Man ist verblüfft, mit welcher Kühnheit derartige Be- hauptungen in die Welt gesetzt werden. Kaum jemand macht sich die Mühe, einmal nachzufragen, was auf dem Gebiete der ärztli- chen Fortbildung in Wirklichkeit geschieht.

Tatsache ist, daß wir in einer Fülle von Kongressen, Wochenend- und Abendvorträgen, klinischen Visiten und anderen Veranstaltungen ein Angebot an Fortbildung bereithal- ten, wie es kaum in einem anderen Lande zu finden ist. Mit der Bil- dung von Akademien für ärztliche Fortbildung wollen die Ärztekam- mern weitere Fortbildungsmöglich·

keiten schaffen und erproben. Dar- über hinaus steht den Ärzten un- seres Landes ein Angebot an Fachzeitschriften und sonstiger Li·

teratur zur Verfügung, das allen Wünschen Rechnung trägt.

Die Verpflichtung des Arztes, sich fortzubilden, ist als eine der wich- tigsten Bestimmungen in der Be- rufsordnung verankert und wird neuerdings in den Kammergeset- zen zur gesetzlichen Pflicht erho- ben.

Wir haben auf diesem Ärztetag ein- gehend über die verschiedenen Möglichkeiten der ärztlichen Fort-

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

Heft

21

vom

22.

Mai

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Die Information:

Bericht und Meinung

Öffentliche Kundgebung des 78. Deutschen Ärztetages

bildung diskutiert. Dabei haben wir uns auch nicht an der Frage vor- beigedrückt, wie man den Erfolg der Fortbildung dokumentieren

könnte.

Die Ärzteschaft und ihre Selbst- verwaltung braucht keine Assistenz von außen. Wir werden mit diesen Fragen so wie bisher am besten al- lein fertig.

..,.. Wir wehren uns deshalb gegen jeden Versuch eines fremden Ein- griffs bei der Gestaltung der ärztli- chen Fortbildung. Die Verpflich- tung zur ärztlichen Fortbildung in einem Gesetz ist ohnedies bereits eine einmalige Erscheinung! Wel- cher andere Beruf ist in gleicher Weise verpflichtet?!

..,.. Auch einer zusätzlichen gesetz- lichen Regelung der Fortbildung für Kassenärzte in der Reichsversi- cherungsordnung muß entschieden widersprochen werden. Eine sol- che Regelung im Kassenarztrecht ist nicht nur systemfremd, sondern auch völlig überflüssig.

I

Aufblähung des öffentlichen Gesundheitsdienstes

Einige Anmerkungen sind noch an- gezeigt zum öffentlichen Gesund- heitsdienst. Die Ausführungen der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die große Anfrage der CDU/

CSU zur Aufgabenstellung des öf- fentlichen Gesundheitsdienstes, vor allem seiner zukünftigen Ent- wicklung, verdienen große Beach- tung. Es wird ausführlich über die Planung und den Aufbau des Mo- dellgesundheitsamtes in Marburg berichtet und darauf hingewiesen, daß hier vor allem an die Bewälti- gung derjenigen Aufgaben gedacht

sei, die künftig in allen Ländern die

Schwerpunkte der Arbeit der Ge- sundheitsämter sein werden. Die Ausweitung der Beratungsstellen, welche demnach das Gesundheits- amt in Zukunft bereithalten soll, muß schwersten Bedenken begeg- nen.

Es ist hier nicht der Platz und die Zeit, um im einzelnen darauf einzu-

gehen. Aber beispielhaft sei die Frage gestellt, was etwa eine sportärztliche Beratungsstelle mit dem Gesundheitsamt zu tun haben soll. Die Zahl der Sportärzte in der Bundesrepublik hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Immer mehr Kollegen widmen sich neben ihrer ärztlichen Tätigkeit diesen besonderen Aufgaben. Es besteht weder ein Bedürfnis am Tätigwer- den des Gesundheitsamtes, noch läßt sich eine solche Dienststelle sinnvoll in die sportärztliche Arbeit einbauen. Was soll eine Urlaubsbe- ratung durch das Gesundheitsamt?

Es soll sogar die Behandlung von Patienten, zum Beispiel in der kie- ferorthopädischen Betreuung Ju- gendlicher, durch das Gesund- heitsamt übernommen werden.

Nach einem Papier des hessischen Sozialministers über den Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdien- stes sollen die Jugendzahnkliniken die gesamte Zahnbehandlung übernehmen! Dies angeblich, um

"Engpässe" zu überwinden. Glaubt

der hessische Sozialminister im Ernst, daß dann seine beamteten Zahnärzte in ihrer Dienstzeit von 40 Wochenstunden etwa mehr Zähne sanieren, als wenn sie mit der Ar- beitszeit des Freiberuflers in eige- ner Praxis niedergelassen wären?

..,.. Hier kann nur von einer Aufblä- hung und Fehlentwicklung gespro- chen werden, der man nicht früh genug entgegentreten kann. ..,.. Derartige Ausweitungstenden- zen sind auch nicht zu rechtfertigen

mit der Behauptung, der Dienst im Gesundheitsamt werde dadurch für junge Mediziner attraktiver und anziehender. Es muß eher befürch- tet werden, daß die Aufblähung des Stellenplanes die Personalsituation im ärztlichen Sektor des öffentli- chen Gesundheitsdienstes weiter verschlechtert.

Am Rande sei bemerkt, daß in der Aufzählung der Aufgaben des Mo- dellgesundheitsamtes die eigentli- chen klassischen Aufgaben des Gesundheitsamtes, wie etwa die allgemeine Hygiene, die Quellensu- che bei Seuchenerkrankungen oder der Umweltschutz, überhaupt

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Heft 21

vom

22. Mai 1975

DEUTSCHES ARZTEBLATI

nicht erwähnt sind. Wir werden die- sen Fragen erhöhte Aufmerksam- keit zuwenden und eine breite Dis-

kussion mit den Beteiligten in

Gang bringen.

I

Freie Ärzte als Partner f.reier Bürger

Es gäbe noch viele unserer Sor- gen, die hfer auszubreiten wären . Ich könnte mir auch durchaus denken, daß mancher meiner Kol-

legen sein Problem, die Sorgen seiner Gruppe in meiner Übersicht vermißt Die Rücksichtnahme auf die Zeit verlangt Auswahl und Be- schränkung.

Ich habe versucht darzule- gen, daß die Ärzte unseres Landes alles daransetzen, ih- rer Aufgabe gerecht zu wer- den. Wir sehen die Probleme, und wir packen sie an. Bei uns wird weder Selbstgefäl- ligkeit praktiziert noch satte Müdigkeit geduldet. Wie eh und je sehen wir unsere Auf- gabe in einer steten Verbes- serung der ärztlichen Versor- gung der Menschen unseres Landes. Wir sind zutiefst da- von überzeugt, daß wir unse- re Aufgaben nur erfüllen kön- nen, wenn freien Bürgern freie Ärzte gegenüberstehen.

Die Erhaltung unserer Ge- sellschafts- und Wirtschafts- ordnung in einer freiheitli- chen parlamentarischen De- mokratie ist deshalb eine Grundvoraussetzung auch für die volle Entfaltung der Initia- tive und Leistungskraft ihrer Ärzte! Die freien Berufe sind als Ganzes prägend und un-

verzichtbar für diese Gesell- schafts- und Wirtschaftsord- nung. Es liegt in der Hand der politischen Kräfte unse·

res Landes, ob der freie Be- ruf des Arztes auch morgen noch eine Chance hat. Sollte er untergehen, dann ist das Ende für diese allein lebens- werte Form menschlicher Gemeinschaft eingeläutet.

Referenzen

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