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Archiv "Interessenkonflikte in der Fortbildung: Kritisches Denken ist gefragt" (19.09.2014)

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A 1546 Deutsches Ärzteblatt

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19. September 2014 Gesundheitsausgaben bis 2020 de-

mografiebedingt nur um zwei Milli- arden Euro steigen, hat das ZI er- rechnet. Bleibt alles, wie es ist, stie- gen sie um vier Milliarden Euro.

„Riesenvolumen an Mitteln“

Würden Vertragsärzte tatsächlich einen Teil der heute stationär er- brachten Versorgung übernehmen, müssten sie dafür auch Geld von den Krankenhäusern erhalten. Die- ser Annahme folgend, haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Barmer GEK ein Gutachten in Auftrag gegeben, das entsprechende Verlagerungen medi- zinischer Leistungen auch finanziell nachvollziehbar machen soll. Darin sollte eine Methode erarbeitet wer- den, wie dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ bei den jährlichen Budgetverhandlungen zwischen Krankenkassen und Kliniken Gel- tung verschafft werden könnte. Das ist heute aus Sicht von KBV und Barmer GEK nicht gewährleistet, weil sich die Krankenhausbudgets an der von der einzelnen Klinik in der Vergangenheit erbrachten Leis- tungsmenge orientierten, nicht aber am aktuellen und künftigen Versor- gungsbedarf der Bevölkerung.

Dr. jur. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsit- zender der Barmer GEK, verwies auf § 87 Abs. 4 SGB V, wonach Verlagerungen von Leistungen zwi- schen dem stationären und dem am-

bulanten Sektor bei der Anpassung des Behandlungsbedarfs und damit bei der ambulanten Vergütung zu berücksichtigen sind. „Das kann kein einseitiger Akt sein“, stellte Schlenker heraus.

Es gebe den Verlagerungseffekt, aber keine Rechtsgrundlage, um die Krankenhaus budgets entsprechend zu mindern. Der Forderung, das So- zialgesetzbuch und das Kranken- hausgesetz mit diesem Ziel zu än- dern, schloss sich Dr. med. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, an. Er sieht ein „Riesenvolu- men an Mitteln“, das anders zuge- teilt werden könnte – dem realen Versorgungsbedarf entsprechend.

„Ein Bestandsschutz für Kranken- häuser, die keinen Versorgungsauf- trag haben, ist auf Dauer nicht trag- bar“, betonte Gassen.

Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesell- schaft, Georg Baum, ging die unge- wohnte Koalition aus KBV und Krankenkasse in einer Podiumsdis- kussion mit heftigen Worten an. Er sprach von einem „Frontalangriff“

auf die Krankenhäuser. Ein Patient, der nicht ins Krankenhaus kommt, löse auch keine Zahlung aus. Im Krankenhaus gebe es kein gede- ckeltes regionales Versorgungsbud- get wie bei den Vertragsärzten.

Baum: „Hören Sie auf, aus dem Krankenhaus Geld auszugliedern, das gar nicht hereinkommt!“

Falk Osterloh, Heinz Stüwe TABELLE

Best-Practice-Regionen

Inanspruchnahmerate ambulant: 13 Prozent über dem Bundesdurchschnitt Quelle: ZI Inanspruchnahmerate stationär: 15 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt

Bundesland Berlin Hamburg Bayern

Baden-Württemberg Sachsen

Bayern

Baden-Württemberg Baden-Württemberg Baden-Württemberg Hessen

Landkreis/kreisfreie Städte Berlin

Hamburg München, Stadt Rhein-Neckar-Kreis Leipzig, Stadt München, Landkreis Mannheim, Stadt Karlsruhe, Stadt Konstanz Wiesbaden, Stadt

Einwohner des Kreises 2011 3 460 725 1 786 448 1 353 186 537 625 522 883 323 015 313 174 294 761 278 983 275 976

Zu den 21 Best- Practice-Regionen zählen zudem der Main-Taunus-Kreis, Freiburg, Rostock, Lüneburg, Osnabrück (Stadt), Oldenburg (Stadt), Heidelberg (Stadt), Oldenburg, Ulm (Stadt), das Am- merland und Bad Doberan.

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esponserte Kongresse und Lehrveranstaltungen, medi- zinische Experten mit finanziellen Verbindungen zur Industrie – das ist Alltag. Denn Forschung und Wis- senschaft sind angesichts knapper öffentlicher Kassen zunehmend auf Geld aus der Wirtschaft angewie- sen. Problematisch wird dieses Ver- hältnis, wenn die finanziellen Ver- quickungen die wissenschaftliche Arbeit beeinflussen und Ergebnisse verzerren. Mit der Frage, wie sich Interessenkonflikte speziell auf die ärztliche Fortbildung auswirken und sich negative Effekte vermei- den lassen, beschäftigte sich am 12.

und 13. September die European Cardiology Section Foundation im Rahmen der Cologne Consensus Conference 2014 in Köln.

„Interessenkonflikte lassen sich nicht vermeiden“, erklärte der Mit- initiator der Tagung, Prof. Dr. med.

Reinhard Griebenow. „Sie bergen vor allem in der medizinischen Fortbildung große Risiken. Denn die Fortbildung zielt darauf, Thera- pieentscheidungen von Ärztinnen und Ärzten zu beeinflussen.“ Da sich die meisten Interessenkonflikte nicht auflösen ließen – „es verkauft ja niemand seine Aktien oder gibt Fördergelder zurück“ – müsse man sie zumindest offenlegen. Nur dann könnten Leser oder Zuhörer mögli- che tendenziöse Aussagen (Bias) er- kennen. „Der Umgang mit Interes- senkonflikten ist ein Schlüssel für die Glaubwürdigkeit der ärztlichen Fortbildung“, betonte Griebenow.

Transparenz kann auch kontraproduktiv sein

Bei angesehenen Fachzeitschriften gehört es inzwischen zum guten Ton, dass die Autoren ihre Interes- senkonflikte offenlegen. Doch die- se zum Teil sehr umfangreichen Er- klärungen eignen sich kaum, um bei Kongressen oder Fortbildungs- veranstaltungen für Transparenz zu sorgen. „Bei einer Kongresssitzung, wo in anderthalb Stunden vier Red- ner vortragen, kann man nicht ein Drittel jedes Vortrags damit ver- bringen, dass jeder Referent breit seine Interessenkonflikte darstellt“, meinte Griebenow. Auch die gängi- ge Praxis, zu Beginn des Vortrags

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19. September 2014 A 1547 eine Seite mit Interessenkonflikten

zu projizieren, habe kaum Informa- tionswert, weil die Dauer der Pro- jektion in der Regel „klar unter ei- ner Sekunde liegt“. Das, so Griebe- now, sei mit Abstand das Feld mit dem größten Handlungsbedarf.

Doch Transparenz kann auch kontraproduktiv sein. Prof. Dr. Ber- nard Lo, Präsident der US-amerika- nischen Greenwall Foundation, die bioethische Forschung fördert, ver- wies auf Untersuchungen, die bele- gen, dass Ärzte von der Industrie geförderte Studien generell schlech- ter bewerteten als solche, die mit öf- fentlichen Geldern durchgeführt wurden, selbst wenn sie methodisch identisch waren. „Offenbar verlei- hen die Ärzte den Interessenkon- flikten ein unangemessenes Ge- wicht“, erklärte Lo. Dabei vernach- lässigten sie wissenschaftliche Kri- terien wie das Studiendesign oder die Datenqualität, um eine mögliche Voreingenommenheit (Bias) bei der Interpretation der Studienergebnisse aufzudecken. Seine Forderung lau- tet daher, den Umgang mit Interes- senkonflikten wissenschaftlich zu evaluieren. Wichtig sei außerdem, über der Beschäftigung mit Interes- senkonflikten das Problem der Bias nicht zu vernachlässigen. „Können wir eine Checkliste für Vorträge er- stellen?“, fragte Lo. Teilnehmer von Fortbildungsveranstaltungen sollten sich fragen, ob der Vortrag auch an- dere therapeutische Optionen an- spreche? Ob die Evidenz kritisch hinterfragt oder die Aussagekraft der Daten thematisiert werde?

Fortbildungsveranstaltungen sollten sich zu Übungen in kritischem Den- ken entwickeln, wünschte sich Lo.

(siehe „3 Fragen an . . .“)

Warum ist es wichtig, sich mit Interessenkonflikten zu beschäfti- gen? Gut 60 Prozent der Ärzte, so

belegen Umfragen, glauben bei- spielsweise von sich selbst, dass sie in ihrem Verordnungsverhalten

„überhaupt nicht“ durch Geschenke von Pharmaunternehmen beein- flusst werden.

Gefallen lösen den Wunsch aus, sich zu revanchieren

Ein Irrtum, wie Prof. Dr. med.

Christopher Baethge, Leiter der me- dizinisch-wissenschaftlichen Re- daktion des Deutschen Ärzteblatts, erklärte. Geschenke wirkten sich in der Regel auf das Verhalten des Be- schenkten aus. „Menschen wollen sich erkenntlich zeigen, wenn ihnen jemand einen Gefallen getan hat“, sagte der Psychiater. „Und die Ge- sellschaft sanktioniert Undankbar- keit.“ Im Übrigen bestehe kein enger Zusammenhang zwischen der

Höhe der Zuwendung und der In- tensität des Wunsches, sich zu re- vanchieren.

Das psychologische Prinzip, das diesem Mechanismus zugrunde liegt, ist das der Reziprozität. Da dieser Prozess meist unbewusst ab- laufe, fühlten sich viele Menschen frei von Interessenkonflikten. Als Beleg führte Baethge eine US-ame- rikanische Studie an, die 95 Artikel in Fachzeitschriften von 32 Autoren auf die Deklaration von Interessen- konflikten hin untersuchte. Das Er- gebnis: Obwohl die Autoren im Jahr 2007 Zuwendungen von Medi- zinprodukteherstellern im Wert von jeweils mehr als einer Million US- Dollar erhalten hatten, beinhalteten 54 Prozent der Artikel diesbezüg- lich keine korrekten Angaben.

Heike Korzilius

INTERESSENKONFLIKTE IN DER FORTBILDUNG

Kritisches Denken ist gefragt

Dass Ärzte finanzielle Zuwendungen offenlegen, die ihre wissenschaftliche Arbeit beeinflussen können, gehört in Fachzeitschriften inzwischen zum guten Ton. Bei Präsenzveranstaltungen fehlt es jedoch noch an Transparenz.

Warum braucht man Grund- sätze zum Umgang mit Inte- ressenkonflikten?

Bernard Lo: Interessenkonflikte können das Risiko von Vorein- genommenheit (Bias) erhöhen.

Bias kann den Patienten scha- den und unsere Fähigkeit, evi- denzbasierte Medizin zu betrei- ben, unterminieren.

Wie kann man das Risiko tendenziöser Darstellungen minimieren?

Lo: Zunächst einmal muss man wissen, ob jemand Verbindun- gen hat, die ein unakzeptabel hohes Risiko für Bias bergen, und diese offen legen. Erst

dann kann man darüber nach- denken, wie man dem am bes- ten begegnet. Bei Fortbildungs- veranstaltungen sollte man auf ausgewogene Informationen achten, indem man beispiels- weise dafür sorgt, dass der Vor- sitzende frei ist von Interessen- konflikten. Oder man lädt Ex- perten mit unterschiedlichen Standpunkten ein. Man kann Interessenkonflikte oder Partei- lichkeit nicht immer vermeiden, aber man sollte versuchen, Ausgewogenheit herzustellen.

Welchen Wert hat die Erzie- hung zu kritischem Denken?

Lo: Dazu sollten sich alle Ärzte

bekennen. Die Medizin entwi- ckelt sich derart rasant, dass unser Wissen von vor zehn Jah- ren heute überholt ist. Deshalb müssen wir die ärztliche Fort - bildung zu einer Übung in kriti- schem Denken entwickeln. Ich würde mir wünschen, dass sich die Teilnehmer bei Fortbil- dungsveranstaltungen viel akti- ver beteiligen können. Warum fragt man sie nicht direkt, wie relevant die Fortbildung für die Patientenbehandlung ist auch im Kontext anderer Therapieop- tionen? Solche Fragen zwingen auch die Experten, ein umfas- senderes und ausgewogeneres Bild zu präsentieren.

3 FRAGEN AN . . .

Prof. Dr. Bernard Lo, Präsident der Greenwall Foundation

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