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PJ84_S367-380_Böhmer_Das Problem der Subjektivität

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Versuche der A ufhebung des D ualism us können sich nur in der A ußenw elt ereignen.

Sie w ürden darin bestehen, den T räger des externalisierten „B ösen “ aus der W elt zu entfernen, um die W elt in Einheit zu versetzen. D ies kann, da sich dieser T räger in der P rax is als eine soziale G rup pe erweisen w ird, zum R ückgriff au f G ew alt, virtu ell zur physischen Liquidierung des „bösen A nderen “ führen53. Seine Idee der Vereinigung von Subjekt und O bjekt im revolutionären Prozeß, die au f praktischer Ebene die B e­

seitigung des W iderstandes fordert, au f den der R evolu tion är stößt, kann den C h arak ter sich perpetuierender, zw angsneurotischer Züge annehmen, deren K o rre lat au f der Ebene des politischen H andeln s der anhaltende T error wäre, der dem Subjekt notw endig er­

scheint, um das O bjekt (die sich dem Prozeß der Revolutionierung, bew ußt oder dem Trägheitsm om ent folgend, w idersetzenden sozialen G ruppen) der subjektiven Z ie lv o r­

stellung unterzuordnen.

M ajak ov sk ijs Internalisierung der em pfundenen H o stilität der O bjektw elt zw in gt ihn zum Selbstopfer. L u k ács’ Externalisierung der inneren Spaltun g füh rt ihn virtuell zum O pfern des Teils der Gesellschaft, der sich der R evolution w idersetzt.

M ajak ov sk ij und Lu kács - Ja n u sk o p f des scheiternden marxistischen R evolu tion ärs oder genauer: des Prom otors einer marxistischen R evolution, die zum Scheitern verur­

teilt ist, wenn immer sie als M ittel zur A uflösung der verdinglichten Sozialstrukturen, zur Em anzipierung einer M ehrheit und Befreiung des (nicht zuletzt eigenen) In d iv id u ­ ums aus seiner menschlich unerfüllten L age gilt.

Das Problem der Subjektivität.

Anmerkungen zum Diskussionsstand der marxistisch-leninistischen Widerspiegelungstheorie

Von Otto A. B Ö H M E R (Frankfurt a. M.)

E s ist vo rab zu bem erken, daß es einigermaßen schwierig ist, in den verschiedenen m arxistischen Ström ungen epistemologische Richtungskategorien anzubringen, die sich über heterogene erkenntnistheoretische Fragestellungen hinw eg durchhalten lassen; fü r unsere Them atik gilt allerdings, daß m it dem Term inus „m arxistisch-leninistische E r ­ kenntnistheorie“ der einigermaßen festum rissene G esam tkom plex von m aterialistischer L ogik, D ialektik und Erkenntnistheorie bezeichnet w erden kann, der unter dem O ber­

begriff M aterialistische Epistem ologie in den europäischen sozialistischen Staaten im E in ­ flußbereich der U d S S R herausgebildet w orden ist. D am it ist gleichzeitig ein D o p p e l­

aspekt dieser Erkenntnistheorie gekennzeichnet: die Signifikan z, wielche den p h ilosophi­

schen Überlegungen Lenins auch oder gerade heute noch zugemessen w ird und die sich

53 Lukács’ Feinde machten ihn für die Durchführung von Gewaltmaßnahmen während seiner Aktivität als Unterkommissar für Bildung in der Ungarischen Räterepublik verantwortlich (vgl. Zitta, Lukács’ Marxism, op. cit. 109 ff.). Ich kann diesen Schluß nicht ziehen und habe nur die immanenten Konsequenzen seiner theoretischen Konstruktion im Auge. Ich würde anderer­

seits aber vermuten, daß die vehemente Ablehnung dieser seiner Schrift später, in den Jahren seiner Moskauer Emigration, in denen er das Phänomen des Stalin’schen Terrors kennenlernte, möglicherweise eine A rt verspäteter Bewußtwerdung der praktischen Konsequenzen seiner Kon­

zeption erkennen läßt.

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au f den U m stan d stützen kann, daß M arx und Engels bekanntlich keine zusam m en­

hängende Erkenntnistheorie im heutigen Sinne hinterlassen haben, - und zum anderen die Im plikation einer ganz bestim m ten politischen Zuordnung, durch welche z .B . die erkenntnistheoretischen A rbeiten des jugoslaw ischen P raxis-K reises oder der V olksrepu ­ blik C h in a ebensowenig affirm ativ zugelassen sind wie die diesbezüglichen Ü berlegun­

gen westlicher M arxisten, die gerade erkenntnistheoretisch verschiedene deutliche D i­

stanzierungen und Revisionen vorgenom m en haben.

1. A s p e k t e d e r ä lt e r e n W id e r sp ie g e lu n g s th e o r ie

D as nach w ie v o r relevanteste W erk der m aterialistischen Epistem ologie ist Lenins

„M aterialism us und E m piriokritizism u s“ aus dem Jah re 1909, zu dem Lenin seine U n ­ tersuchungen im O ktober 1908 abgeschlossen hatte. Sicherlich liegen hier die begrifflichen Kernstücke der m aterialistischen Erkenntnistheorie, obw ohl immer w ieder von den v er­

schiedensten m arxistischen Interpreten der Versuch unternom men w orden ist, eine auch historisch zusam m enhängende M aterialism ustheorie zu begründen, die m it den griechi­

schen A tom isten ihren A n fan g nim m t und schließlich in der Begründung der m ateria­

listischen D iale k tik gipfelt, die von M arx und Engels ausgebildet w urde und von Lenin dann schließlich nur noch kom plettiert und terminologisch ergänzt zu w erden brauchte.

D abei ist nicht zu übersehen, daß es durchgehend schw erfällt, diese angenommene histo­

rische V erlaufslin ie wissenschaftsgeschichtlich angem essen zu belegen; zu offensichtlich ist der Tatbestand, daß M arx und Engels keine system atische Erkenntnistheorie hinter­

lassen haben u n d dieses auch w ohl gar nicht konnten, w ollten sie nicht den postulativen Stan d der Feuerbachthesen zugunsten einer philosophischen Selbstverstän digung w ieder zurücklassen. H in zu kom m t, daß Lenins A rbeit eingestandenerm aßen p rim är einer parteipolitischen Flurbereinigung dienen sollte, die der N otw en digkeit der dam aligen Situ ation entsprach; au f diese Weise sind in die Schrift zeitbezogene A useinandersetzun­

gen m iteingegangen, die vo m heutigen philosophischen W issensstand her anachronistisch und eher erm üdend w irken müssen. N icht nur deshalb ist der philosophische R an g von

„M aterialism us u n d E m p iriok ritizism u s“ von A n fan g an um stritten gewesen1 u n d in den In tentionserklärungen der stan dortverh afteten In terpretation noch eher einer verzerrenden W iedergabe unterw orfen w orden. W ir w ollen au f diesen Zusam m enhang an dieser Stelle nicht w eiter eingehen, sondern versuchen einige der wesentlichsten er­

kenntnistheoretischen Festlegungen in Erinnerung zu bringen, die aus Lenins „M ateria­

lismus und E m p iriok ritizism u s“ E in gan g in die m aterialistische Epistem ologie gefunden haben, welche bis dahin eigentlich nur in der Form einer offenen K oh ären z existierte und der V erifikation der P rax is größere Bedeutung zugemessen hatte als einer theoretischen K on gruenz m it den selbstgesetzten ursprünglichen Präm issen. D ie einsetzende Onto- logisierung der m arxistischen Erkenntnistheorie zu einer marxistisch-leninistischen G noseologie h at, soviel ist sicher, die vehemente K ra ft der originären Ph ilosophie-Elim i­

nierung der Feuerbachthesen verloren. E s ist müßig darüber zu streiten, ob dieses E rgeb­

nis im Sinne der Leninschen M aterialism us-U ntersuchung gewesen ist: die Konstituentien dieser G noseologie stehen fest, und die „W affen der K r itik “ scheinen vorerst noch eher ein stärkeres Festhalten am geschaffenen erkenntnistheoretischen K an o n zu bew irken.

Lenin bestim m t in „M aterialism us und Em piriokritizism u s“ U m fan g und A ufgaben

1 Vgl. dazu die Einleitung von A. Schmidt in: Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie (Frankfurt a. M. 1969) 7-17. - (Diese Edition wird von uns im folgenden als „Beiträge“ zitiert.)

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der m aterialistischen Erkenntnistheorie in der Intention, sow ohl eine festumrissene m aterialistische G noseologie in Gegenüberstellung zu bestim mten „spätbürgerlich en“

Erkenntnistheorien zu begründen als auch aus dem pragm atischen K a lk ü l heraus, die Parteinahm e für die „historische M ission der A rbeiterklasse“ in politischer Perspekti- vierung wissenschaftsmethodologisch ergänzen zu müssen. D abei ging es gleichzeitig darum , eine interpretative K oh ären z der verstreuten Bem erkungen von M arx und Engels zu erkenntnistheoretischen Problem en nachzuweisen und in Einheit zu setzen mit der m aterialistischen Epistem ologie, die Lenin in ihren G rundzügen vorzulegen beabsichtigte. In diesem Zusam m enhang geht Lenin von der „m ateriellen Ein h eit“ alles Seienden aus und bestim m t das Bewußtsein als „d as höchste P rodu kt der M aterie“ .2

D er G eistbegriff der idealistischen Philosophie gilt dem zufolge als vergegen ständ­

lichte Fiktion, der ein realer „m aterialistischer K e rn “ innewohnt. Dieser besteht darin, daß die G eiststruktur selbst m aterialisiert ist und in die F u n k tio n alität der 'W iderspiege­

lung der „A uß en w elt“ subsum iert w ird.3 D ie m aterielle Einheit des Seienden gibt als Fun dam entalkategorie zu erkennen, daß „d ie D in ge“ an sich und „u n abh ängig vom Bew ußtsein“ existieren. D a s Ich als historisches Su bjekt aller W issenskonstitution w ird d arau f verwiesen, daß seine „W ahrnehm ungen und Vorstellungen (. . .) A b b ild er“ der G egenstände sind.4 5 In diesem Z usam m enhang eröffnet sich ein durchaus b ivalen t kon ­ struiertes W ahrheitskriterium , das seine Genesis aus der Geschichte der traditionellen W ahrheitsbestim m ung kaum verleugnen kann. D ie A bbilder nämlich, die das „w id er­

spiegeln de“ Subjekt von den D ingen in sich zur Anschauung bringt, sind als solche v o r­

erst nur in form aler Gegebenheit vorhanden ; die Bestim m ung, ob es sich dabei um „rich­

tig e“ oder „falsch e“ A bbilder handelt, steht noch aus. Lenin erklärt die „P r a x is“ zur wesentlichen Entscheidungs-Instanz dafü r, welchen W ahrheitsanspruch die einzelnen A bbilder für sich erheben können. D ie P rax is soll bew irken, daß die A bbilder „einer Probe unterzogen“ werden und a u f diese Weise eine A btrennung der „richtigen von den unrichtigen“ vorzunehm en ist.6 D er subjektive Zuschuß, der in diesem W ahrheits-Syn­

drom eingestandenermaßen enthalten sein muß, h at auch in der späteren m arxistischen L iteratu r zur materialistischen G noseologie eine Reihe von K on troversen hervorgerufen und zum T eil recht widersprüchliche Ergebnisse gezeitigt, deren Spuren auch in der ge­

genw ärtigen W iderspiegelungsdebatte noch vielerorts festzustellen sind. D ie P rak tizität der W ahrheit, so aporetisch ihre tatsächliche erkenntnistheoretische B estim m ung sein m ag, kann doch immerhin au f ihre Genese aus dem P raxisbegriff des „frü h en “ M arx verweisen, in welchem der tradierten Philosophie eine G renzziehung in A nschlag ge­

bracht w urde, die auch heute noch, in A blehnung wie in Zustim m ung, ihre eigene G ü ltig ­ keit besitzt. U nsinnig aber erscheint in diesem Zusam m enhang die methodische U n ter­

scheidung von „ab solu ter“ und „relativ e r“ W ahrheit, die Lenin für seine Begründung der m aterialistischen Erkenntnistheorie vornim m t. D a s „menschliche D en ken “ erhält nun au f einm al die stolze F äh igkeit zugesprochen, „seiner N a tu r nach“ dazu im stande zu sein, „d ie absolute W ahrheit, die eine Summe (!) von relativen W ahrheiten ist, zu sehen“ .6 D ie absolute W ahrheit, die zudem noch einer stetigen historischen R elativierun g ausgesetzt sein muß, gerät dam it in die N äh e einer noum enalen G renzkategorie, deren epistemologische O perationalisierung nicht einm al unter ausschließlich pragm atischen Präm issen erschließbar erscheint. Interessant ist dabei auch die verblüffende N äh e dieser

2 W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus (Moskau 1947) 217.

3 A. a. O. 79 ff.

4 Ebd. 91 ff., 99 ff.

5 Ebd. 99.

6 Ebd. 124.

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W ahrheitskonzeption zu derjenigen des „kritischen R atio n alism u s“ , dessen Begriff der

„v erisim ilitu de“ der Leninschen Bestim m ung der „relativ e n “ R ichtigkeit und „annähern­

den“ Treue der W iderspiegelung in vielem ähnelt, auch wenn der Begriff der „absoluten W ahrheit“ natürlich im kritischen R ation alism us keinen fun ktion alen Stellenw ert be­

sitzt.7

W ir w ollen nun nach der V orstellung bestim m ter G run dkategorien der marxistisch- leninistischen Epistem ologie, die m it Lenins „M aterialism us und E m piriokritizism u s“

ausgebildet w urden, einige Station en der D iskussion in Erinnerung rufen, welche in der

„älteren “ erkenntnistheoretischen A useinandersetzung um die Leninsche K on zeption von Bedeutung waren. D abei kann es uns im engen Rahm en unserer Untersuchung natürlich nicht darum gehen, ein auch nur annähernd vollstän diges Resüm ee der unterschiedlichen Positionsbezüge in dieser D iskussion zu geben. W ir w ollen vielm ehr nur diejenigen Stellungnahm en kurz beleuchten, die auch in der jüngsten W iderspiegelungs-D ebatte in veränderter F orm rekonstituiert wurden.

A u f dem W ege der heftigen A useinandersetzung um G . L u k ács’ „Geschichte und K lassenbew uß tsein“ (1923) hatte schon M . H orkh eim er kon statiert, daß die „Su bjekt- O b je k t“ -R elation der von Lenin begründeten m aterialistischen Erkenntnistheorie nicht in sich aufgehen könne.8 In der T a t sollte das im W iderspiegelungs-Theorem dekretiv

„g elöste“ K on stitu tion sproblem der Erkenntnis auch in der Folgezeit einer leider immer mehr kanonisierten marxistisch-leninistischen G noseologie K opfzerbrechen bereiten. D as galt auch für diejenigen Positionen, die sich verstärkt a u f die ursprünglichen G rundlagen der A ussagen von M arx und Engels zur Erkenntnisbestim m ung zurückw andten und d a ­ bei in Erinnerung riefen, daß „die Entwicklungsgeschichte der A rb eit“ die explikative Begründung der Erkenntnisfunktion und ihrer Leistungen in sich enthalten müsse.9 A uf dieser B asis bem ühte sich auch G . M arku s (U n garn ), die erkenntnistheoretischen „A n ­ sichten des jungen M a r x “ in N achw eis zu setzen, um au f diese Weise einige „U n klarh ei­

ten “ der marxistisch-leninistischen Epistem ologie zu beseitigen.10 M arku s kon statiert eine W ende in der E rkenn tnisauffassung von M arx etw a m it der A bfassu ng der „P ariser M an u sk rip te“ im Jah re 1844. N ach einer A nlehnung an Feuerbachs K o n zep t der p ro ­ duktiven Sinnlichkeit gelangt M arx zu einer eindeutigen H ervorh ebung der R o lle der menschlichen P rak tizität, in der der Begriff „A rb e it“ gleichsam die Funktion einer an ­ thropologischen G ru n dkategorie einzunehm en begin nt.11 D ie T ätigkeit des subjektiven Bewußtseins gerät dam it in eine grundsätzliche „doppelte V erm itteltheit“ ihrer jew eili­

gen Bestim m theit, die dadurch geprägt ist, daß Erkenntnis im m er schon au f einer ge­

sam tgesellschaftlich erreichten Erkenntnis au fsitzt und darüber hinaus eine individuelle D eterm ination in der A rbeit selbst erfäh rt.12 In diesem Zusam m enhang gelangt M arkus zu der bem erkenswerten Feststellung, daß die erkenntnistheoretische A uffassun g des

7 Lenin, a. a. O. 257. - Auf die Ähnlichkeit dieser beiden Wahrheitskonzeptionen hat A.Well- mer aufmerksam gemacht (A. Wellmer, Methodologie als Erkenntnistheorie [Frankfurt a. M.

1967] 219 ff.).

8 M. Horkheimer, Materialismus und Metaphysik, in: Kritische Theorie (hrsg. v. A. Schmidt) (Frankfurt a. M. 21972) Bd. I, 50 ff.

9 F. Engels, L. Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Marx- Engels-Werke (MEW) Bd. 21, 307 ff.

10 G. Markus, Über die erkenntnistheoretischen Ansichten des jungen Marx, in: Studia Philo­

sophica Academiae Scientiarum Hungaricae 3, Varia, Académiai Kiadó (Budapest 1963) (Bei­

träge, a. a. O. 18-73).

11 Markus, a. a. O. 42 ff., 50 ff.

12 Ebd. 63.

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frühen M arx die Erkenntnisleistung als ak tive subjektive „T ä tig k e it“ (!) verstehe, die wahrnehm ungsphysiologisch mit dem T atbestan d korrespondiere, daß „d er Mensch“ die D inge nicht so sehe, w ie sie seine N etzh au t abbilde.13 M arkus versäum t es allerdings, von dieser Stelle aus eine V erbindung zum kategorialen B estand der m arxistisch-lenini­

stischen Gnoseologie herzustellen, so daß die eigentlichen Intentionen der R etrospektive au f die „E rkenntnistheorie“ des jungen M arx letztlich im unklaren bleiben müssen.

Eine ähnliche Richtung schlägt der B eitrag von J . Zeleny (C S S R ) ein, der ebenfalls au f die erkenntnistheoretischen Im plikate des M a rx ’schen A rbeitsbegriffs eingeht.14 Zeleny stellt dabei gleich zu Beginn fest, daß bei M arx aus verschiedenen Gründen eine grundsätzliche Beschäftigung und A useinandersetzung m it K a n t unterblieben sei, w as die marxistisch-leninistische Epistem ologie im nachhinein m it einer gewissen speku lati­

ven R estproblem atik beh aftet sein lasse. In welche Richtung eine solche A useinanderset­

zung m it K a n t aber hätte gehen müssen, w ird offengelassen. M a rx ’ Folgerungen aus der deutschen idealistischen Philosophie seien dahin gegangen, daß die Bedingungen einer

„A neignung der konkreten T o ta litä t“ durch den Menschen grundlegend erhellt und nachgewiesen worden seien, M arx ’ methodologischer Stan d pu n kt könne som it als „onto- praxeologisch“ bezeichnet w erden. D iese Position müsse in besonderer Weise fü r die

„arb eitsteilig“ ausgebildete Wissenschaft gelten, die die bedeutsam ste W eiterentwick­

lung der ursprünglich anthropologischen T ätigkeitsform des Menschen in seinem V er­

m ittlungsprozeß mit der G esam theit der N aturbedingungen sei.15 E in entscheidender Einbruch in das tradierte G efüge der m aterialistischen Erkenntnistheorie gelingt auch Zeleny nicht, da er an der pragm atischen U n abd in gbarkeit des W iderspiegelungstheorem s festh ält und die gleichzeitig von ihm prononcierte Funktion dec subjektiven K on stitu tivi- tät der Erkenntnisgew innung dementsprechend nicht kohärent mit der epistemologischen A b b ild k atego rialität in Verbindung setzen kann.

Eine Untersuchung der M ethodologie, die M arx im „ K a p ita l“ vo rlegt und zur A n ­ w endung bringt, stellt die A rbeit von E . W. Iljen ko v (U d S S R ) „D ie D ialektik des A b ­ strakten und K onkreten im K a p ita l von M a r x “ in erkenntnistheoretischer Absicht zur D iskussion. D abei w erden im G an g der Untersuchung durchaus bem erkenswerte E rgeb ­ nisse zur marxistischen M ethode der historisch-dialektischen „Syn th ese“ vorgelegt, deren Bedeutungsgehalt allerdings in zw eifacher H insicht relativiert w erden muß. Zum einen nämlich ist die begriffliche O rigin alität der M ethode selbst als „A ufsteigen vom A bstrakten zum K on kreten “ und die in dieser im plizierte „Synthese von D eduktion und In d u k tio n "16 sicherlich m it guten Gründen in Zw eifel zu stellen; so ist etw a ohne w ei­

teres feststellbar, daß Fichtes methodische Vorüberlegungen zur W issenschaftslehre von 1794/95 m it sogar p artiell ähnlicher B egriffsverw endung genau die K onstituentien der M ethode antizipieren, die nachträglich als originäre Leistung (gegen dessen eigene E r ­ klärungen) M arx zugesprochen w orden sin d.17

13 Ebd. 59 ff.

14 J. Zeleny (CSSR), Zum Wissenschaftsbegriff des dialektischen Materialismus (1966), in:

Beiträge, a. a. O. 73-87.

15 Zeleny, a. a. O. 79, 83 ff.

16 E. W. Iljenkov (UdSSR), Die Dialektik des Abstrakten und Konkreten im K apital von Marx (Moskau 1960). - (Diese Arbeit findet sich auszugsweise in: Beiträge, a. a. O. 87-128.) - Ebd. bes. 89 ff., 105.

17 Vgl. dazu etwa Fichtes „Programmschrift“ zur Wissenschaftslehre („Ober den Begriff der W L") in: Fichtes Werke (Fotomechanischer Nachdruck von Fichtes ,,Sämtliche[n] W erke[n]“

und der „Nachgelassene[n] Werke“, hrsg. von I. H. Fichte, Berlin 1834 f. und 1845 f.), jetzt Berlin 1971 (11 Bd.), Bd. T, 44, 57ff., 62ff., 64, und: Fichtes Darstellung des „Grundriß des Eigentümlichen der WL“ , Werke I, 333 ff.

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Z um anderen um geht auch U jenkov stillschweigend das K on stitution sproblem und dringt nicht zu einer wirklichen reflexiven Durchleuchtung der Subjekt-O bjekt-V erm itt- lung im E rkenn tnisgan g selbst v o r: insbesondere die A p o rie einer konklusionalen B e­

stim m ung der W irklichkeit aus subjektiver Zuordnung unter objektivistischen V orzei­

chen kann nicht aufgedeckt werden, da ein A bbild-V erständnis den Blick versperrt, das seiner eigenen G run dlagen nicht vo llstän dig gewiß gew orden ist.18

N eben diesen Bemühungen, die tradierte marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie in der Rückw endung au f ihre eigentlichen „m arxistischen“ U rsprünge der A ufhebung einer „kon stitutiven R estp rob lem atik “ näherzubringen, ist allerdings fast gleichzeitig eine zunehmende O ntologisierung und Form alisierung des von Lenin ausgebildeten epi- stemologischen K ategorienbestandes zu beobachten gewesen, - ein Prozeß, dem leider orth odoxe Züge und gewisse unverständliche Verhärtungen nicht abgesprochen werden können. Im folgenden w ollen w ir au f diesen V organ g etw as näher eingehen.

2. A b b i l d u n d P r a x i s - D ie D is z ip lin ie r u n g d e r m a te r ia lis tis c h e n E r k e n n t n is t h e o r ie a h p h ilo so p h isc h e D is z ip lin

D ie marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie steht heute au f einem durchaus hohen theoretischen N iv eau , d as allerdings durch die K on stru ktion einer eher retardierenden System -O ntologie erkauft w orden ist, die es mit sich brachte, daß die eigene Perspektive den prüfenden Blick nach außen verstellte, und eine dementsprechende Schw erfälligkeit in der theoretischen A ufarbeitu ng „spätbürgerlicher“ Epistem ologien die Folge sein mußte. Zu Recht konnte daher J . P. Sartre „d ie völlige V erständnislosigkeit der M arx i­

sten anderen Ideen gegenüber“ beklagen („sie verstehen buchstäblich kein W ort von dem, w as sie lesen“ ).19 D ie O ntologisierung der m aterialistischen Erkenntnistheorie stan d vo n vornherein unter der „D e v ise “ : „Zurück zu L e n in !“ 20 D am it w urde eine deutliche K eh rtw en du ng zu den Bestrebungen vollzogen , die zu v or eine Rückbesinnung au f die erkenntnisdieoretisehen Ü berlegungen des frühen M a rx v e rfo lgt hatten und um durchaus diver.gierende A n sätze in der A u farbeitu n g dies K on stitu tion sproblem s be­

müht waren. D ie A u fgab e der E pistem ologie w urde in philosophiehistorischer Sidit vorw iegen d darin gesehen, eine durchgehende m aterialistische Linie der Erkenntnis­

theorie nachzuweisen, die dann in Lenins M aterialism us-Schrift kulm inierte. Besonderer B estandteil dieser A u fgab e w ar die Pflicht, die Einheit der erkenntnistheoretischen A n ­ schauungen v o n M arx /B n ge ls und Lenin unter Bew eis zu stellen und im m er w ieder zu betonen. D ieser Intention ist z. B. ein A u fsatz v o n A . K o sin g (D D R ) gew idm et, der sich mit der „E ntw icklung der m arxistischen Erkenntnistheorie durch W. I. L en in “ beschäf­

tig t.21 K o sin g kon zediert, daß bei M a rx u n d Engels keine zusam m enhängende E rken n t­

nistheorie bestehe und Len in die A u fgab e zugefallen sei, die m arxistische E p istem olo­

gie als solche system atisch zu begründen. M aterialistische D ialektik w ird in diesem Zu­

sam m enhang als die „philosophische T h eorie“ von den „allgem einen Bew egungs- und 18 Iljenkov, a. a. O. 121 ff.

19 J. P. Sartre, Marxismus und Existentialismus (Hamburg 1964) 64.

20 H. J. Sandkühler, Einleitung, in: Marxistische Erkenntnistheorie - Texte zu ihrem For­

schungsstand in den sozialistischen Ländern (Stuttgart/Bad Cannstatt 1973) X II. - (Diese Edition wird im folgenden von uns als „Texte“ zitiert.)

21 A. Kosing (DDR), Die Entwicklung der marxistischen Erkenntnistheorie durch W. I. Lenin (zuerst gedruckt in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie [DZfPh], Sonderheft 1970, 164-183), in: Texte, a. a. O. 5-30.

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Entw icklungsgesetzen der N atu r, der Gesellschaft und des D en ken s“ definiert. D iese Theorie ist eingebaut in eine grundlegende K oh ären z als „Id en tität von L o gik , Erkenn t­

nistheorie u nd D iale k tik “ .22 D as W ahrheitskriterium der Erkenntnistheorie in ihrer G e­

sam theit liefert die „ P ra x is“ , in der im Anschluß an Lenin die „richtigen“ A bbilder von den „unrichtigen“ abgesondert w erden sollen. Ko.sing stellt die B ehauptun g au f, daß auch „Zeichensysteme, künstliche Theorien “ und form alisierte Sprachen Bestandteile des

„um fassen den “ W iderspiegelungsprozesses darstellten, selbst wenn diese nicht „u n m it­

telb ar“ m aterielle O bjekte w iderspiegelten.23 D as Bewußtsein als M edium der W ider­

spiegelung bekom m t dabei, w ohl ungew ollt, die Funktion der ersten Erkenntniskonsti­

tution zugesprochen, denn „ohne direkte Verbindung des Bewußtseins mit der objektiven R e alität ist keine W iderspiegelung".24 Ein höchst interessantes Beispiel dafü r, w ie m an aus unterschiedlichen Perspektiven objektive Forschungsresultate entsprechend unter­

schiedlich auch interpretieren kann, liefert K o sin g dann, als er die R esultate der „m od er­

nen Sinnesphysiologie“ anspricht, die angeblich in „glän zen der“ Weise die W iderspiege­

lungs-Theorie Lenins bestätigt hätten. D ab ei ist auch in der K u rzfassu n g eben dieser sinnesphysiologischen Erkenntnisse, die K osin g angibt, unschwer zu erkennen, daß die H erstellun g signalgeleiteter Reizbestim m ung nur innerhalb der grundlegenden K on sti- tutivitätsleistung des menschlichen Bewußtseins ermöglicht w erden k an n : D ie R e ze p ­ toren des Menschen nehmen „elektrom agnetische“ Inform ation sreize auf, die als Im ­ pulse allerdings schon im Eingehen in das R ezeptorensystem selektiert u n d in system ­ eigene „elektrochem ische“ N ervenim pulse au f dem W ege über eine „F requ en zm od ula­

tion “ um gesetzt werden. N u r über eine solche U m kodierung kann eine w eitere V erar­

beitung der Signale zu Inform ationsbildern im N euronennetz der menschlichen G roß ­ hirnrinde vonstatten gehen. So w ird z .B . beim V organ g des Sehens vom menschlichen A uge „E n ergie“ in „A k tion sp oten tiale“ um gew andelt, die vom „bildentw erfen den “ (!) zum „bildem pfan gen den “ System teil im A uge selbst als Im pulse zur H irn rin de w eiter­

geleitet werden, wo es dann schließlich „zu r Entstehung der Gesichtswahrnehm ung kom m t“ .25 D ie Ergebnisse der Untersuchungen zur G estaltw ahrnehm ung bringen schließ­

lich noch einen weiteren interessanten A sp ekt in diesem Zusam m enhang zutage, denn es hat sich herausgestellt, daß schon im vorbew ußten Z ustand W ahrnehm ungssignale durch das zentrale N ervensystem einer system gesteuerten Selektion unterw orfen werden.

N ach dem sogenannten R eafferen z-P rin zip kom m t es dann dazu, daß gleichsam durch inhärenten E in griff der subjektiven K o n stitu tiv ität „W ährnehm ungskonstanten“ herge­

stellt werden müssen, die in der originären Signalkontingenz und deren erster in form a­

tiver A fferenz noch nicht enthalten gewesen sein können.26

D ie Frage, welchen Stellenw ert axiom atische K on struktion en und K a lk ü le innerhalb einer als universal gesetzten D ialektik und W iderspiegelung beanspruchen können, h at innerhalb der marxistisch-leninistischen G noseologie eine immer größere Bedeutung er­

langt. D ieser F rage stellt sich auch I. S. N a rsk i (U d S S R ) in einer A rbeit, die den Z u ­ sam m enhang der Leninschen W ahrheitskonzeption m it dem möglichen Selbstverständnis

22 Texte, a. a. O. 13 f., 15.

23 Ebd. 17 u. 23.

24 Ebd. 24.

25 Vgl. dazu W. F. Ganong, Medizinische Physiologie (Berlin/Heidelberg/New York 1971) 114 ff. (Kosing, a. a. O. 25).

26 Vgl. dazu bes.: E. von Holst, Zur Verhaltensphysiologie bei Tieren und bei Menschen, in:

Gesammelte Abhandlungen, Bd. I (München 1969) 177-203, und: K. Lorenz, Gestaltwahr­

nehmung als Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis, in: Über tierisches und menschliches Ver­

halten, Bd. II (München 1971) 255-300.

(8)

axiom atischer Zeichensysteme zu verdeutlichen versucht.27 D abei stellt sich allerdings heraus, daß N arsk is Bestim m ung einer axiom atischen K on stru ktion als „Zeichengerüst“ , das „einige allgem eine strukturelle Beziehungen der W irklichkeit“ w iderspiegelt, vorne und hinten nicht zureicht, um die immanente L o g ik von Zeichensystemen und fo rm ali­

sierten Sprachen zu erhellen, zum al „jedes gedankliche A b b ild “ , wie zugestanden w ird,

„durch die subjektiven Eigenheiten des jew eiligen Theoretikers begren zt“ ist.28 W ider­

spiegelung bekom m t som it bei N a rsk i durchaus folgerichtig und freim ütig den Status einer „O n to lo gie“ zugesprochen.29

Einen gänzlich anderen Weg schlägt K . G ößler (D D R ) ein, dessen Untersuchung „ E r ­ kennen als sozialer P rozeß “ bedenkenswerte H inw eise au f die gesellschaftliche Stellung und Bedingtheit aller Erkenntnisleistungen überhaupt enthält.30 Im G egensatz zu K o - sing stellt G ößler zunächst einm al fest, daß „E rken nen “ nicht „sinnesphysiologisch“ er­

k lärt w erden kann. D er Erkenntnisprozeß sei durch „ein sozialökonom isches D eter- m in ation sgefüge“ bestim m t, in dem die P rax is die K riterien der W ahrheit von erzielten Erkenntnissen verfü ge.31 D as sozialökonom ische D eterm inationsgefüge kann näher als

„d op pelte D eterm iniertheit“ des Erkenntnisprozesses gekennzeichnet werden, in der eine

„gegenständliche" und eine „ökonom ische“ Determ iniertheit gegeben ist. D ie gegen­

ständliche Determ iniertheit beschreibt die Bestim m ungs-V orgabe, die m it dem Erkennt­

nisgegenstand schon gesetzt ist; die ökonomische hingegen verw eist au f die grun dsätz­

liche Eingebundenheit von Erkenntnisvorgängen überhaupt in die gesam tgesellschaft­

lichen Produktion sverh ältn isse.32 33

In diesen Z usam m enhang fä llt dam it auch eine erneute Beleuchtung des m arxistisch- leninistischen W ahrheitsbegriffs, besonders dann, wenn es um die Bestim m ung von „ideo­

logischen“ und „o b jek tiv en “ W ahrheiten geht. D iese Fragestellung versucht H . Schliwa (D D R ) zu untersuchen, der sich m it dem „objektiven , ideologischen u nd historischen C h arakter der E rkenn tnis“ auseinandersetzt.88 Schiliwa gelangt zu einer sicherlich sehr einleuchtenden Bestim m ung der „Id e o lo g ie “ , die p artiell auch m it Resultaten der histo­

rischen Ideologieforschung zusam m entrifft. Ideologie gilt demnach in allgem einer Be­

deutung als „philosophischer B egriff zur E rfassu n g“ von „ideellen P rod u k te(n )“ . D a r ­ aus fo lgt aber, daß „gegebene A ussagen “ sow ohl „wissenschaftliche Ideo lo gie“ als auch w ahrheitsm äßig „verzerrte A ussagen “ , d .h . „ideologische A ussagen “ im herköm m ­ lichen Sprachgebrauch — darstellen können, w as eine zusätzliche Schw ierigkeit für die A pp lik ation der Leninschen W ahrheitskonzeption im H inblick au f die Unterscheidung von „relativer, objektiver und absoluter W ahrheit“ bedeutet, welche ja in jew eiliger A usprägu ng ein „ideelles P ro d u k t“ ausmachen, das w iederum als „Id e o lo gie“ gefaßt werden muß.34 D em zufolge gibt es eine „bürgerliche“ und eine „sozialistische“ Ideologie, wobei die letztere von vornherein den Statu s einer „wissenschaftlichen Id eo lo gie“ zuge-

27 I. S. Narski (UdSSR), Fragen der Erkenntnistheorie (ursprünglich Berlin/DDR 1971), in:

Texte, a. a. O. 30-58.

28 Texte, a. a. O. 43 f., 47.

29 Ebd. 56.

3(1 K. Gößler (DDR), Erkennen als sozialer Prozeß (ursprünglich abgedruckt in: DZfPh 20 [1972] 517-546), in: Texte, a. a. O. 59-98.

31 Texte, a. a. O. 59 ff., 65, 72. - Vgl. dazu auch: Grundlagen der marxistischen Philosophie (Berlin/DDR 1960) 355 ff.

32 Texte, a. a. O. 59 ff.

33 H. Schliwa (DDR), Der objektive, ideologische und historische Charakter der Erkenntnis (ursprünglich abgedruckt in: DZfPh [Sonderheft 1968] 102-125), in: Texte, a. a. O. 99-129.

34 Texte, a. a. O. 112 ff.

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sprachen erhält. Eine bem erkenswerte Definition gelingt Schliwa dann in Zusam m en­

hang mit der Erörterung der Frage, w as der B egriff „In teresse“ in m aterialistischer H in ­ sicht umreißen könnte. Interesse sei kein kogn itives A bbild eines Gegenstandsbereiches, sondern reflektiere „die Beziehung eines sich selbst bewußten Subjekts zu einem O bjekt unter dem Gesichtspunkt v italer vergesellschafteter B edü rfnisse“ .35 Eine solche Bestim ­ m ung des Interesses gerät in W iderspruch zu den Präm issen der selbstgesetzten Synthese der W ahrheits-Abschattungen innerhalb der um fassenden Ideologiebestim m ung, die die Gesam theit der ideellen Produkte erfassen zu können vorgibt, denn das „Interesse selbst“

ist es möglicherweise, welches Erkenntnisgang und Reflexionsbew egung als Bestim m un­

gen ihrer selbst in Entstehung setzt.36 D ieser Sachverhalt gilt auch fü r den G ü ltigkeits­

bereich „o b jek tiv er“ W ahrheiten.

D . W ittich (D D R ) unternim m t in diesem Zusam m enhang den Versuch, „d ie A llge­

m eingültigkeit des marxistisch-leninistischen B egriffs O bjektive W ahrheit“ unter B e­

weis zu stellen.37 E s w ird dabei die N otw en digkeit einer erneuten Rückw endung zu Lenin betont, so daß als objektive W ahrheit die W iderspiegelung einer O bjektdarstellung figurieren kann, in der das „A b b ild eines objektiv-realen, existierenden G egen stan des“

zum Ausdruck kom m t. Wittich tangiert das bekannte Erken n tn isp aradoxon L. N elson s und gelangt zu dem Schluß, daß dam it nur das faktische U nverm ögen der bürgerlichen Erkenntnistheorie angedeutet sei, überhaupt zu verifikablen Erkenntnissen unter realer Einbeziehung des sozialökonom ischen K on textes vorzudringen.38 Wiittichs Bestim m ung der objektiven W ahrheit im Rückblick a u f Lenin setzt sich ausdrücklich ab gegen eine W ahrheitsdefinition, die von L . K reiser (D D R ) im Anschluß an die Form alisierung der A ussagelogik ins Gespräch gebracht worden w ar. K reiser schlug vor, W ahrheit grund­

sätzlich an die Bestim m ung von A ussagen anzuschließen·. „W ahrheit (und dam it Falsch­

heit) kom m t nur A ussagen zu. Eine A ussage ist wahr, wenn sie mit ihrem Sachverhalt übereinstim m t, andernfalls falsch.“ 39 D iese W ahrheitskonzeption h at natürlich, wie Wittich zu Recht moniert, nicht mehr allzuviel m it dem Leninschen W ahrheitsbegriff ge­

m ein; darüber hinaus gelingt ihr nur ein rudim entärer Anschluß zur form allogischen W ahrheitsbestim m ung, wodurch gleichzeitig ihr A bstan d zum traditionellen W ahr­

heitsverständnis deutlich gemacht w ird.

W ir möchten zu m Schluß dieses Ü berblicks noch zw ei Positionen vorstellen, die in ­ nerhalb der marxistisch-leninistischen Erkenntnisontologie kon träre theoretische S tan d ­ pun kte m arkieren, ohne daß in diesen etw a der kategoriale B estand des W iderspiege­

lungs-Theorem s aufgegeben w äre, obw ohl w iederum Form ulierungen festzustellen sind, die m it ganz anderen Schlußfolgerungen versehen w erden könnten. P. V . K o p n in (U d S S R ) untersucht die Einheit von „D ialek tik , L o gik und Erkenn tnisth eorie“ in der m aterialistischen G noseologie, die schon von Lenin angesprochen w orden w ar, ohne daß dieser Belege fü r seine These von der „Id e n titä t“ von D ialektik , L o gik und Erken n t­

35 Ebd. 111.

38 Vgl. dazu etwa Fichtes Bestimmung des Interesses als „Interesse für uns“ selbst. Dieses Interesse ist das „höchste Interesse“ der Philosophie überhaupt; nur eine „Entscheidung“ des Interesses „fü r“ uns kann den Selbstbestimmungs-Gang des Ich einleiten (Fichte, 1. Einleitung in die WL, Werke I, 433 f.).

37 D. Wittich (DDR), Die Allgemeingültigkeit des marxistisch-leninistischen Begriffs Objek­

tive Wahrheit (ursprünglich abgedruckt in: DZfPh 19 [1971] 941-963), in: Texte, a. a. O.

152-182.

38 Texte, a. a. O. 156 ff.

38 L. Kreiser (DDR), Eine Präzision der marxistisch-leninistischen Wahrheitskonzeption, in:

DZfPh (Sonderheft 1968) 180.

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nistheorie im H inblick a u f den tatsächlichen m aterialistischen Forschungsstand hätte vorlegen können.40 K o p n in geht d av on aus, daß die als L o gik , D iale k tik und Erkenn t­

nistheorie scheinbar selbständigen epistem ologischen D isziplin en in ihrer realen F u n k ­ tionsw eise „zu sam m en fallen “ , und zw ar deswegen, w eil auch die „D en k- und Sein s­

gesetze“ inhaltlich zusam m enfielen, w obei „die ersteren (. . .) die W iderspiegelung der letzteren “ seien. T rotzd em gelan gt K o p n in dann zu der Feststellung, daß „d ie m arx i­

stische P h ilosoph ie“ nicht „d ie F rage nach dem gesellschaftlichen Sein überhaupt, außer­

halb seiner Beziehungen zum gesellschaftlichen Bew ußtsein“ stelle, sondern „keinen Sein sbegriff“ kenne, der „auß erhalb seiner Beziehung zum Bew ußtsein“ zu betrachten w äre.41 D iese überraschende Feststellung w ird allerdin gs in ein grundsätzliches T reu e­

bekenntnis zu den erkenntnistheoretischen Anschauungen Lenins eingebettet, an denen gerade in der „ideologischen A useinan dersetzung“ m ehr denn je festzuhalten sei. Auch wenn K o p n in das W iderspiegelungs-Theorem als solches nicht in F rage stellt, erreicht er doch stärk er als andere eine differenzierte Bestim m ung der Erkenntnisleistung des subjektiven Bew ußtseins. E r tritt dam it neben W . A . L ekto rskij (U d S S R ), der zum W iderspiegelungsvorgan g eine A nm erkun g vorlegte, die durchaus in der Subjekt- O bjekt-V erm ittlun g der T ranszenden talphilosophie stehen könnte, wenn nicht auch hier eine term inologische P räv ale n z den speku lativen Z u gan g erschweren w ürde. „D er Prozeß der W iderspiegelung des O bjekts durch das S u b jek t“ , so L ekto rsk ij, „ist eine F orm der T ätig k eit des Su bjekts am O bjekt, und zw a r eine T ätigk eit, deren In h alt durch das O b jekt in dem M aße bestim m t w ird, w ie dieses durch das Su bjekt angeeignet w ird .“ 42

D ie gegensätzliche P osition zu K opn in s These vo m Zusam m enfallen v o n Lo gik, D ia ­ lektik und Erkenntnistheorie vertritt F . K u m p f (D D R ).43 V on einer schlechthinnigen Id en tität der epistem ologischen D iszip lin en könne nicht gesprochen w erden, - der B e­

griff Id en tität sei durch den einer „dialektische(n) E in h eit“ zu ersetzen. A u f diese Weise w erde erm öglicht, eine dialektische L o g ik auch inhaltlich auszufüllen und gegen die tradition elle „fo rm ale L o g ik “ abzugrenzen. D ie dialektische L o g ik h at es dann mit

„intensionalen Bestim m ungen“ zu tun, die „inhaltlich erfüllte G esetze“ darstellen, in denen som it eine intensionale A b strak tio n in den Bestim m ungen w irksam sein müsse.

D ie dialektische L o g ik stellt, so gesehen, eine höhere Stu fe der form alen L o gik dar, deren extensionaler A p p a r a t in die D iale k tik m itaufgehoben w ird und dort in eine inhaltliche Bestim m ung eingeht.44

E s bleibt festzu h alten : D ie marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie ist in ihrer G esam theit einer zunehm enden O ntologisierung unterw orfen w orden, die gleichzeitig eine System atisierung des epistem ologischen K ategorialbestan des bedeutet. D urchgängig konnte eine quellengeschichtliche R ückw endung zu Lenin festgestellt w erden, die v o r allen D ingen bem üht w ar, die Einheit der erkenntnistheoretischen K lassik er (M arx, Engels, Lenin) unter Beweis zu stellen. D ie epistemologische Besinnung au f Lenin be­

40 P. V. Kopnin (UdSSR), Das Zusammenfällen von Dialektik, Logik und Erkenntnis­

theorie (zuerst Moskau 1969), in: Texte, a. a. O. 215-235.

41 Texte, a. a. O. 222 ff., 229 ff.

42 W. A. Lektorskij (UdSSR), Das Subjekt-Objekt-Problem in der klassischen und in der modernen bürgerlichen Philosophie (Moskau 1965) 90.

43 F. Kum pf (D D R ), Zur Gegenstandsbestimmung der dialektischen Logik (ursprünglich abgedruckt in: Probleme der Dialektik in Lenins Imperialismus-Analyse - Eine Studie zur dialektischen Logik [Berlin/DDR 1968]), in: Texte, a. a. O. 235-271.

44 Texte, a. a. O. 241 ff., 261 ff.

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inhaltet, daß die W iderspiegelungstheorie unabdingbarer Bestand und G run dlage der Erkenntnistheorie überhaupt ist; au f der B asis des W iderspiegelungs-Theorem s sind in ­ dessen etliche A rbeiten entstanden, die eine K onstitution sleistun g des Bewußtseins unter verschiedenen A spekten zugeben u nd konstatieren, ohne deshalb die W iderspiegelungs­

theorie als G an zes in F rage zu stellen. D iese A rbeiten haben dam it ein zw eifaches V er­

dienst fü r sich: Zum einen ist es ihnen gelungen, die m aterialistische W iderspiegelungs­

theorie insgesam t geschmeidiger und theoretisch flexibler zu machen, - zum anderen aber ist ihnen auch die objektive Funktion zuzusprechen, a u f G run d der „U n ab d in g b ark e it“

der W iderspiegelungstheorie letztlich zu r m ethodologischen K om p lettieru n g der E r ­ kenntnis-O ntologie beigetragen zu haben. Zu deren nicht zu um gehenden B estan d ge­

hört neben der Lehre vo m A b b ild : der P rim at der M aterie, - die m aterielle W elt, - das Bewußtsein als höchste F un ktion der M aterie, - die R eald iale k tik in N a tu r , Geschichte und Gesellschaft, - die E in bin dung der E pistem ologie in die G run dlagen der politischen Ö konom ie, - die kon stitu tive Bedeutung der P rax is in erkenntnisgenetischer und real­

gesellschaftlicher H insicht.45

D iese Bestandsaufnahm e gilt allerdin gs nur fü r die Entw icklung der m arxistisch- leninistischen Erkenntnistheorie in den sozialistischen Staaten O steuropas. Innerhalb westlicher m arxistischer Bew egungen und in Ju go slaw ien ist die erkenntnistheoretische D iskussion in w eitaus divergierenderen Positionen verlaufen und hat teilweise zu einer völligen A u fgab e der W iderspiegelungstheorie geführt. In der Bundesrepublik ist die D iskussion um die H altb a rk e it des W iderspiegelungsbegriffs in jüngster Z eit in der Zeitschrift „D a s A rgu m en t“ w iederaufgenom m en w orden ; a u f diese D eb atte w ollen w ir nun in der gebotenen K ü rze eingehen und ihre Ergebnisse zu resüm ieren versuchen.

3 . D ie W id e r s p ie g e lu n g s - D is k u s s io n imA r g u m e n t

D ie Zeitschrift „D a s A rgu m en t" ist in verschiedenen Veröffentlichungen in den J a h ­ ren 1973 bis 1975 au f die marxistisch-leninistische Epistem ologie eingegangen und h at im Anschluß an die erkenntnistheoretischen G run dsätze, die innerhalb der W iderspie­

gelungstheorie G ü ltigkeit beanspruchen dürfen, eine D iskussion über den theoretischen und praktischen Stellenw ert des A bbildbegriffs in G an g gesetzt. Ein e fun dierte K ritik an den philosophischen G run dlagen der W iderspiegelungstheorie ist dabei von A . Leist vorgelegt w orden.46 U m überh aupt k ategoriale T ran sp aren z in die vielschichtige V e r­

w endung des A bbildbegriffs hineinzubringen, schlägt L eist eine m ethodische Unterschei­

dung von sechs G rundbedeutungen der W iderspiegelung vo r, die m it der term in olo­

gischen A p p lik atio n des W iderspiegelungstheorem s in der begriffsgeschichtlichen T r a ­ dition korrespondieren. W iderspiegelung kan n dem zufolge (a) in sinnesphysiologischer Bedeutung verw endet w erden, - (b) im Sinne einer begrifflichen K on n otatio n in bezug a u f „S ä tz e , Sym bole, U rteile“ etc., - (c) als wissenschaftliche organisierte Erkenntnis, - (d) als ontologischer Term inus in bezug a u f die Eigenschaften der M aterie, - (e) in id eo­

logie-kritischer Intention, - und (f) im Sinne eines korrespondenztheoretischen W ahr­

45 H. J. Sandkühler, Einleitung, in: Texte, a. a. Ο. X I X £F., X X X I f., X L V ff. - Vgl. dazu auch die Stidiworte „Abbildtheorie" und „Dialektik“ im Wörterbuch der marxistischen Philo­

sophie [Leipzig 1969] Bd. I, 32 ff., 239 ff.

46 A. Leist, Widerspiegelung der Realität - Realität der Widerspiegelung, in: Das Argu­

ment 81 (Berlin 1973) 574-612.

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heitsbegriffs.47 L eist steuert eine W iderlegung der A bbildth eorie an, die alle aufgefüh r­

ten U nterscheidungen mit-berücksichtigt. Zunächst verw eist er dabei au f bestim mte wissenschaftliche Erkenntnisse zu r G estaltw ahrnehm ung des Menschen, die einen sinnes­

physiologischen Gebrauch der W iderspiegelungskategorie kau m zulassen. D ie O ntolo- gisierung der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie gerate darüber hinaus in einen notw endigen Z w iesp alt zum N atu rb egriff bei M arx , der nicht restlos aufzuschlüs­

seln sei u nd daher „dem Kantischen D in g an sich“ nahestehe.48 49 50 S o richtig es aber sein m ag, daß der N atu rb e g riff bei M a rx in sich selbst dichotomisch angelegt ist, so fo lgt doch darau s nicht eine p rin zipielle A ffin ität zur noum enalen G renzziehung bei K a n t;

es läß t sich w ohl viel eher behaupten, daß Lenins B egriff der „ab so lu ten “ W ahrheit als methodologische^ M o tiv dem Kantischen D in g an sich nahekom m t. D abei w ird von L eist allerdin gs richtig gesehen, daß die „V erm ittlu n g von Su bjekt und O b jekt in der T ran szen d en talp h ilosop h ie“ durch die m aterialistische Epistem ologie „unterschlagen“

w ird .48 F ü r die sprachliche E in fassu n g der W iderspiegelung gilt, daß die Sprache selbst

„sich durch einen überschießenden Sinn allein des Benennens und expressiven S p re­

chens“ auszeichnet, „d er prin zip iell nicht abbildhaft sein k a n n “ . L eist kon statiert, daß sprachliches Bew ußtsein in W iderspiegelungsform nur als „pathologischer“ und „id eolo­

gischer“ G ren zfall aufzu fassen sei.60 O b diese These generell zu halten sein w ird, muß allerdin gs stark bezw eifelt w erden; zum indest fü r eine Theorie der su bjektiv-objekti­

ven B ild -K on stitu tion könnte gelten, daß die sprachliche E x p re ssiv ität als solche in die B ild-B egründun g und A nw endung schon von den Präm issen her m iteingeht. Ähnliches w äre auch für den W ahrheitsbegriff der A ussagelogik anzusetzen, den Leist im A n ­ schluß an Straw son vorschlägt. S o w ird die traditionelle D urchdringung der W ahrheits­

konstitution etw a vollkom m en außer acht gelassen, wenn eine Theorie der selbstbe­

stim m enden S u b jek tiv ität sich m it einem R ealitätsverstän d n is begnügen w ürde, in dem von der R e a litä t beh auptet w erden müßte, „nicht v o r w ahren A ussagen im m er schon kogn itiv gegeben“ zu sein, „son dern m it w ahren A ussagen erst“ vorgestellt zu w er­

den.51 52

H a tte der B e itrag v o n L eist sich noch der M ühe unterzogen, d as W iderspiegelungs­

theorem grundlegend und argu m en tativ in Zw eifel zu ziehen und dagegen die K on sti- tutionisproblem atik der Erkenntnis überh aupt w ieder in Erinnerung zu rufen, so macht es sich die K ritik von R . Zim m erm ann sehr leicht, die das A b b ild -Syn d rom m it einem einfachen H inw eis au f die Sem antik erledigen zu können glaubt.62 U nter Berufun g au f die Sprachspiel-Theorie des späten W ittgenstein kom m t Zim m erm ann insgesam t zu eher erheiternden Ergebnissen: E s sei evident, daß die Gegebenheit einer nicht-hinter- gehbaren „G ru nd um gan gssprach e“ eine „E in h eitsform von In tersu bjektiv ität und O b ­ je k tiv ität der W elt“ begründet habe, durch die die „K o n stitu tio n sfrag e“ als „o b so le t“

erscheinen müsse (!). D a s Bew ußtsein sei una'blö,slich in eine „E xtern alisieru n g" seiner selbst „in die Sprache“ verw u rzelt; dem zufolge könne eine begriffliche Exm ission aus der G rundum gangssprache gar nicht erfolgen, w odurch sich die F rage nach der K o n ­ stitution der Erkenntnis erneut als sinnlos herausstelle.53

47 A. a. O. 576-583.

48 Ebd. 591 ff. - (Vgl. dazu auch 587 ff.) 49 Ebd. 602.

50 Ebd. 593 ff.

51 Ebd. 606.

52 R. Zimmermann, Semantik, Widerspiegelung und marxistische Erkenntnistheorie, in: Das Argument 85 (Berlin 1974) 187-201.

53 A. a.O . 195 ff., 200, 201.

(13)

W ir möchten zum Schluß unseres Ü berblicks nun noch drei differenzierte B efürw orter der W iderspiegelungstheorie in der D iskussion des „A rgu m en t“ vorstellen. Einen a u s­

schließlich praktischen Bedeutungsgehalt sieht F. T om berg in der A bbildlehre enthalten.

D ie theoretische A usdrucksform der W iderspiegelung könne m it guten G ründen be­

stritten w erden, nicht aber die „praktische B edeutu ng“ , die ihr bei Lenin zukom m e.

U nter B eru fu n g au f eine eher vordergrü n d ige Phänom enologie der A lltagserfah ru n g kom m t T om berg zu dem Schluß, daß die W iderspiegelungstheorie eine praktisch-histo­

rische R echtfertigung in der Subsistenz des täglichen Lebens erfahren habe; zudem sei bekannt, daß ein A n griff a u f die W iderspiegelungstheorie immer einen Su b stan z-A n ­ griff au f den dialektischen M aterialism us seiner realen Funktion nach darstelle.54

Einen B ärendienst der W iderspiegelungstheorie gegenüber leistet das Resüm ee, das H . J . Sandkühler zum Erkenntnis- und D iskussion sstan d der m aterialistischen E p iste­

m ologie in den sozialistischen Staaten unter Bezugnahm e au f die bislang geübte K ritik vorzulegen versucht.55 Z u v o r w ar schon a u ffä llig gew orden, daß San d küh ler als H e r­

ausgeber der ansonsten verdienstvollen Sam m eledition maßgeblicher T exte der m ate­

rialistischen G noseologie (s. o.) in seiner E in leitu ng zu dieser E d itio n einen seltsam fragilen K u rs zwischen strikter W iderspiegelungs-A pologie und abschwächender B e ­ griffs-A usdeutung steuerte. In seiner R e p lik au f die K ritik der W iderspiegelung nun unterlaufen ihm unglückliche Form ulierungen, die zudem noch durch offensichtliche be­

griffliche U ngenauigkeiten insgesam t den Sinn der W iderspiegelungstheorie eher v e r­

dunkeln als erhellen. Sandkühler geht davon aus, daß O bjektw elt und E rken n tn isp ro­

dukt nicht identisch sind. W iderspiegelungstheorie sei daher „die Theorie der O b je k ti­

v itä t des subjektiven F ak to rs in der P rodu ktion der W irklichkeit durch die M en­

schen".56 U n ter B eru fu n g au f T . P aw lo w w ird die W iderspiegelung dann zu einem

„M ateriep rin zip “ erklärt, das au f der B asis der „ontologischen M aterieq u alität B e­

w ußtsein“ logisch „angenom m en w erden “ könne.57 Z u r Unterscheidung von su bjekti­

ven und objektiven D eterm inanten verw irrt Sandkühler den Leser m it der folgenden E rläu teru n g: „Su b je k tiv erschließt eine D im ension der Einheit der W idersprüche in der R e alität selbst, insofern fü r deren E xisten z ein Su bjekt (Mensch) angegeben w erden k an n “ ; (. . .) „d ie T ätigk eit des Bewußtseins ist objektiv, insofern sie keine Fiktion eines absoluten Geistes ist (. . .), - sie ist subjektiv, insofern vo m Su bjekt erzeugt: in der D iale k tik der O b je k tiv ität."58

D en wohl fundiertesten B eitrag zur W iderspiegelungsdebatte lieferte W. F. H a u g in einer vorläufig abschließenden Stellungnahm e zum V erlau f der D iskussion im „A rg u ­ m ent". H a u g setzt sich dabei sehr deutlich gegen Sandkühlers W iderspiegelungs-Erläu­

terungen ab.59 „A bzulehnen“ sei „a u f jeden F all d as Patentverfahren, vo n M arx und Engels grundsätzlich kritisierte Begriffe kurzerhand unter A nfügun g des schmückenden Beiw orts sozialistisch w ieder einzufülhren“ . D ie Bew ußtsein-A bbild-R elation greife be­

sonders dann zu kurz, wenn es um die A u fgab e gehe, „die Spezifik der Erkenntnis im 54 F. Tomberg, Uber den praktischen Sinn des Widerspiegelungstheorems, in: Das Argument 81 (Berlin 1973) 613-628.

55 H. J. Sandkühler, Streitbarer Materialismus oder Streit um den Materialismus, in: Das Argument 92 (Berlin 1975) 601-629.

56 A. a. O. 603.

57 Vgl. dazu auch T. Pawlow (UdSSR), Die Widerspiegelungstheorie - Grundfragen der dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie (Berlin/DDR 1973) bes. 552 ff.

58 Sandkühler, a. a. O. 620.

59 W. F. Haug, Wider den bloß verbalen Materialismus, in: Das Argument 92 (Berlin 1975) 650-701.

(14)

Gegensatz zur U nkenntnis zu bezeichnen“ . T rotzdem sei die W iderspiegelungstheorie in differenzierter A nw endung beizubehalten. D ie Erkenntnistheorie müsse m aterialistisch­

m ethodologisch vo r allen D ingen im „ K a p ita l“ von M arx unter Bew eis gestellt und ein­

gelöst w erden. In diesem Sinne kann Erkenntnistheorie niem als ein „endgültig fertiges G ebäude von Leh ren “ sein, sondern muß sich selbst im m er w ieder am E rfah ru n gsh ori­

zont der P rax is in F rage stellen lassen, w ie es schon in den Feuerbach-Thesen von M arx gefordert worden sei. M it ironischer Schärfe w endet sich H a u g gegen die von ihm so genannte „Z ita titis“ in m arxistischen D isputation en , durch die der w ahre Sachverhalt zum eist p erfekt vernebelt w ürde, und die „h ilflose V erblüffung von Leuten “ beobachtet werden könne, „die den K a m p f der Z itate sprachlos verfolgen, w eil sie nicht h au pt­

beruflich die blauen B än de studieren !“ 60 D em ist nichts hinzuzufügen, zum al eine Z ita ­ titis dieser Beschreibung w ohl auch in anderen akadem ischen Geschäftsbereichen unter ähnlichen Vorzeichen an der Tagesordn un g ist.

Medizin ohne Diagnose?

Wolfgang 'Wieland, Diagnose. Überlegungen zur Medizintheorie, Walter de Gruyter, Berlin-New York 1975, X , 176 S.

Von Claudius S T R Ü B E (Köln)

A llgem ein versteht m an unter D iagnose die Erkennung der K rankheit. Bei der E rstel­

lung der D iagn ose beginnt m an m it der Sam m lu ng von Sym ptom en wie Beschwerden, Befunden und L ab ord aten , bezieht die gesamm elten Sym ptom e sodann au f eine soge­

nannte K rankheitseinh eit, d. h. a u f ,diec K ran kh eit, und kennzeichnet diese K ra n k ­ heitseinheit schließlich m it einem charakteristischen N am e n .1

Gem äß diesem klassischen D iagnosebegriff w ird der D iagn ose innerhalb des ärztlichen H an d eln s eine zen trale Stellun g eingeräum t. R ep räsen tativ fü r diese traditionelle A u f­

fassung ist die Bem erkung von R u d o lf G ross, m it der er sein Buch über „M edizinische D iag n o stik “ einleitet. „D iagn ose, Prognose und T h erapie: U n ter diesen eng verbundenen ärztlichen Leistungen ist die D iag n ose der wichtigste und häufig der schwierigste Teil.

Ist das Wesen einer E rkran k u n g erkannt, so k an n m an wegen der H eilungsaussichten oder fü r die B ehan dlun g die L iteratu r heranziehen. N icht so, wenn einem die N a tu r der Störu ng u n klar b leibt.“ 2

E s ist nun gerade die Leistun gsfäh igkeit der D iagn ose, die in der G egen w art von den verschiedensten Seiten her in Z w eifel gezogen w ird u n d dam it zu einer K ritik am k las­

sischen D iagn osebegriff geführt hat. Bei der E in lösu ng dieser K ritik zeichnen sich zw ei gegensätzliche Tendenzen ab. D ie eine möchte pragm atisch eine M edizin ohne D iag n o ­ se entwickeln, die andere strebt nach einer strukturellen V erbesserung des D iagnosebe­

griffs. In der deutschen medizintheoretischen L iteratu r kann m an diese beiden Tenden ­ zen m it F ritz H artm an n und R u d o lf G ross personifizieren. W ährend F. H artm an n um- w illen des ärztlichen A u ftrages lieber au f die D iagn ose verzichten w ill, sieht R . G ross im E in satz von logisch-mathem atischen M itteln eine C hance zu r V erbesserung der L e i­

stu ngsfähigkeit der D iagnose. Welche Stellun g nim m t nun der V erf. innerhalb dieser A lternative ein?

60 A. a. O. 667 ff., 688 ff., 699 - (in der Reihenfolge der Zitate).

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