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Die privatrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und rechtliche Konsequenzen

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AJP 2015 S. 1049

Autor Daniel Donauer, Barbara A. Möri

Titel Die privatrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und rechtliche Konsequenzen

Seiten 1049-1061

Publikation Aktuelle Juristische Praxis Herausgeber Arnold F. Rusch

Frühere Herausgeber Ivo Schwander

ISSN 1660-3362

Verlag Dike Verlag AG

AJP 2015 S. 1049

Die privatrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und rechtliche Konsequenzen

(unter besonderer Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes bei Auslandeinsätzen)

Daniel Donauer*

* Daniel Donauer, MLaw (Universität Bern), Zürich.

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Barbara A. Möri**

Das Versenden von Arbeitskräften zu Zwecken eines Auslandeinsatzes birgt für den Arbeitgeber zahlreiche rechtliche Risiken in sich, welche mit gravierenden Konsequenzen verbunden sein können. Entsprechend wird empfohlen, vor der Verschiebung von Personal ins Ausland, auch wenn diese nur für eine kurze Zeit erfolgt, alle angemessenen Abklärungen und Handlungen vorzunehmen. Nur, was sind diese Handlungen im Einzelnen? Welche rechtlichen Konsequenzen drohen dem Arbeitgeber bei ungerechtfertigten Eingriffen? Im Folgenden wird auf die aufgeworfenen Fragen eingegangen.

L’envoi de travailleurs pour une mission à l’étranger comporte, pour l’employeur, de nombreux risques juridiques qui peuvent avoir des conséquences très graves. Il est donc conseillé de procéder à toutes les clarifications et démarches appropriées avant d’envoyer du personnel à l’étranger, même pour une courte période. En quoi consistent concrètement ces démarches? Quelles conséquences juridiques l’employeur risque­t­il en cas d’interventions injustifiées? L’article qui suit aborde les questions soulevées.

I. Einleitende Bemerkungen

Im Zuge der Internationalisierung sehen sich Arbeitgeber im Allgemeinen mehr und mehr dazu veranlasst, ihre Arbeitnehmer bei grenzübergreifenden Tätigkeiten aller Art im Ausland zum Einsatz zu bringen. Im Rahmen der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht resultieren daraus für den Arbeitgeber nicht zu unterschätzende Folgen, welche es im Einzelfall genauer abzuklären gilt.

Einerseits stellen sich für den Arbeitgeber unterschiedliche Fragen, wie zum Beispiel worauf beim betreffenden Einsatz rechtlich und praktisch zu achten ist, welche Risiken dem Einsatz entspringen und welche Handlungspflichten sich für ihn daraus ergeben.

Auf der anderen Seite steht der Arbeitnehmer beim Einsatz im Ausland und beim Eintritt allfälliger negativer Folgen vor der Frage, welche Instrumente ihm gegenüber seinem Arbeitgeber zur Verfügung stehen und wie er mögliche Schäden auf diesen abwälzen kann.

Im Folgenden wird vorrangig auf die einzelnen Facetten der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers eingegangen. Es wird dabei festgehalten, welche Abklärungen und Handlungen vor dem Versenden eines Arbeitnehmers ins Ausland durch den Arbeitgeber idealerweise vorzunehmen sind und welche potenziellen Folgen ihn bei allfälligen Verstössen treffen können.

** Barbara A. Möri, MLaw (Universität Bern), Baden.

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II. Allgemeine Voraussetzungen für die Anwendung schweizerischen Rechts

A. Anwendbares Recht

Für die Anwendung der Art. 328 ff. OR ist es notwendig, dass auf einen Rechtsstreit vor dem betreffenden Gerichtshof schweizerisches Recht anzuwenden ist. Die Frage des anwendbaren Rechts stellt sich mithin deshalb, weil Auslandeinsätze regelmässig internationale Elemente enthalten und sich daher die Frage der entsprechenden Rechtsanwendung aufdrängt – deren Beantwortung ist hingegen im Einzelfall nicht ganz einfach.

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Die Vertragsparteien können nach schweizerischem IPR-Kollisionsrecht innerhalb gewisser Schranken die Anwendung eines bestimmten staatlichen Rechts vereinbaren (kollisionsrechtliche Rechtswahl). Fehlt eine entsprechende Abmachung, so ergeben sich nach schweizerischem Recht folgende Regeln: Der Arbeitsvertrag untersteht dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet (Art.

121 Abs. 1 IPRG). Für den Fall, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit in mehreren Staaten vollzieht, folgt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung oder bei Fehlen einer solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Arbeitgebers befindet (Art. 121 Abs. 2 IPRG). Frei sind die Parteien darin, den Arbeitsvertrag dem Recht desjenigen Staates zu unterstellen, in welchem der Arbeitgeber seine Niederlassung, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art.

121 Abs. 3 IPRG). Zudem ist es möglich, dass am gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitnehmers angeknüpft wird.1 Im Übrigen gelten für die Rechtsanwendung die allgemeinen Schranken, so zum Beispiel, wenn eine entsprechende arbeitsrechtliche Vorschrift zu für die schweizerische Rechtsordnung stossenden Ergebnissen führen würde.2 Über Art. 18 und Art. 19 IPRG können zwingende Normen einer anderen Rechtsordnung als derjenigen, die auf den Arbeitsvertrag anwendbar ist, territorial bezogen hinzutreten oder Vorrang verlangen.3

B. Gerichtsstand

Hinsichtlich der Frage des zuständigen Gerichts gelten aufgrund der Ratifizierung des Lugano-Übereinkommens durch die Schweiz die entsprechenden Normen. Es ist in diesem Sinne auf Art. 18 ff. LugÜ zu verweisen. Ausserhalb des Anwendungsbereichs des Lugano-Übereinkommens gilt Art. 115 Abs. 1 IPRG. Demnach sind für Klagen aus Arbeitsvertrag die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten oder an demjenigen Ort zuständig, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Aufgrund des üblicherweise unausgewogenen Kräfteverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird für Klagen des Arbeitnehmers zusätzlich das schweizerische Gericht am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitnehmers für zuständig erklärt.4

1 Vgl. BSK IPRG-Alexander Brunner, Art. 121 Rz. 17 ff., in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Anton K. Schnyder/Stephen V. Berti (Hrsg.), Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. A., Basel 2013 (zit. BSK IPRG-Autor); CHK-Anton K. Schnyder/Andrea Doss, Art. 121 Rz. 1 ff., in: Claire Huguenin/Markus Müller-Chen/Daniel Girsberger (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Internationales Privatrecht, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2012 (zit. CHK-Autor).

2 Verstösse gegen den schweizerischen Ordre public; vgl. Art. 17 IPRG; BSK IPRG-Monica Mächler-Erne/Susanne Wolf-Mettier (FN 1), Art. 17 Rz. 1 ff.; CHK-Schramm/Buhr (FN 1), Art. 17 Rz. 1 ff.

3 Vgl. dazu BSK IPRG-Mächler-Erne/Mettier (FN 1), Art. 18 und 19 IPRG.

4 Domenico Acocella, Art. 18 ff., in: Anton K. Schnyder (Hrsg.), Lugano-Übereinkommen zum

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III. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

A. Allgemeines zur Fürsorgepflicht

Nach schweizerischem Recht untersteht der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer einer sogenannten Fürsorgepflicht. Diese wird an verschiedenen Stellen im Gesetz umschrieben und schliesslich in einem engeren, präzisierenden, aber ebenfalls allgemein gehaltenen Sinn in Art. 328 OR festgehalten.5 Bei letzterer Norm handelt es sich laut Art. 362 Abs. 1 OR um eine relativ zwingende Vorschrift, sodass eine abweichende Vereinbarung zu Ungunsten des Arbeitnehmers ausgeschlossen ist.

Unter dem Begriff der Fürsorgepflicht sind all jene Pflichten des Arbeitgebers zu verstehen, die im Hinblick auf den Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers beim Arbeitgeber anfallen.6 Solche Pflichten ergeben sich aus einer Fülle von Vorschriften, welche nebst Art. 328 OR zur Geltung gelangen. Zum einen ergibt sich die nähere Ausgestaltung der Fürsorgepflicht sowohl aus privatrechtlichen wie öffentlich- rechtlichen Vorschriften, wobei die Unterscheidung im Allgemeinen heute von geringer Relevanz ist – das Bundesgericht erachtet mittlerweile Art. 328 Abs. 1 OR als konkretisierende Norm7 für die

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Statuierung öffentlich-rechtlicher Vorschriften.8 Es ist nach Bundesgericht nicht auszuschliessen, dass Art. 328 Abs. 2 OR den Arbeitgeber zu einem weiter reichenden Schutz verpflichtet, als er aufgrund von Art. 6 ArG besteht. Die Begründung ist darin zu sehen, dass der Arbeitnehmer ein besonderes Schutzbedürfnis angemeldet hat oder sich dies aus den Umständen ergibt.9 Zudem besteht aufgrund von Art. 342 Abs. 2 OR dort ein zivilrechtlicher Anspruch, wo eine öffentlich-rechtliche Vorschrift für den Arbeitnehmer entsprechende Schutzrechte, welche Inhalt eines Einzelarbeitsvertrages sein können, statuiert.10 Weitere bedeutende Vorschriften entspringen dem sog.

Kollektivarbeitsrecht, aus Gesamt- oder Normalarbeitsverträgen.11

internationalen Zivilverfahrensrecht, Zürich 2011; BSK IPRG-Brunner (FN 1), Art. 115 Rz. 10 ff.; CHK-Schnyder/Doss (FN 1), Art. 115 Rz. 1 ff.

5 Wolfgang Portmann/Jean-Fritz Stöckli, Schweizerisches Arbeitsrecht, 3. A., Zürich/Basel 2013, 115; Thomas Geiser/Roland Müller, Arbeitsrecht in der Schweiz, 2. A., Bern 2012, Rz. 453 ff.;

Manfred Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, 15. A., Bern 2002, Rz. 220 ff. Jürg Brühwiler, Einzelarbeitsvertrag, Kommentar zu den Art. 319–343 OR, 3. A., Basel 2014, 217 ff.;

Ullin Streiff/Adrian von Kaenel/Roger Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar, 7. A., Zürich/Basel/Genf 2012, Art. 328 Rz. 1 ff.; Frank Vischer/Roland M. Müller, Der Arbeitsvertrag, 4. A., Basel 2014, 201 ff.; BSK OR I-Wolfgang Portmann, Art. 328 Rz. 1 ff., in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Wolfgan Wiegand (Hrsg.), Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art 1–529 OR, 5. A., Basel 2011 (zit. BSK OR I-Autor).

6 Portmann/Stöckli (FN 5), 115; Vischer/Müller (FN 5), 202; Rehbinder (FN 5), Rz. 220.

7 Vgl. BGE 132 III 257 E. 5; vgl. auch Michel Chavanne/Alec Crippa, Können Sie in der Schweiz verklagt werden? Policy Paper (SMI), Genf 2012, 8 f.

8 Vgl. insbesondere Art. 319–362 OR, das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG, SR 151.1) oder das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (ArG, SR 822.11).

9 Vgl. BGE 132 III 257, E. 5.5; vgl. Sabine Steiger-Sackmann, Schutz vor psychischen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz, rechtliche Möglichkeiten zur Verbesserung der Prävention, in: Zürcher Studien zum öffentlichen Recht Band/Nr. 207, 2013, Rz. 738.

10 CHK-Frank Emmel, Art. 342 Rz. 1 ff., in: Claire Huguenin/Markus Müller-Chen/Daniel Girsberger (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Vertragsverhältnisse Teil 2, 2.

A., Zürich/Basel/Genf 2012 (zit. CHK-Autor).

11 Vgl. Art. 356 ff. OR; vgl. im Allgemeinen dazu Streiff/von Kaenel/Rudolph (FN 5), Art. 356 ff.;

Geiser/Müller (FN 5), Rz. 730 ff.

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Es gilt zu beachten, dass es sich sinngemäss bei den öffentlich-rechtlichen und den privatrechtlichen Präventionsbestimmungen um unterschiedliche Interessenausrichtungen handelt: Die Pflichterfüllung des Arbeitgebers im Rahmen des Arbeitsgesetzes erfolgt gegenüber dem Staat. Er hat demnach dafür zu sorgen, dass das Personal als Kollektiv nicht aufgrund der Bedingungen am Arbeitsplatz Gesundheitsschäden oder Persönlichkeitsverletzungen erleidet. Die betreffende Ausrichtung bildet somit ein Bedürfnis des Staates und entspricht dem öffentlichen Interesse. Demgegenüber legt Art. 328 OR die Pflicht zwischen zwei privaten, individuellen Personen fest, die durch einen Arbeitsvertrag miteinander verbunden sind. Diese Norm bezweckt folglich das Austarieren der Parteiinteressen.12

Da für die Interpretation der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht vornehmlich Art. 328 OR massgebend ist, sind weiterführende Bemerkungen betreffend das öffentliche Recht und andere Vorschriften im Nachfolgenden grundsätzlich und wo möglich auszuklammern. Für den vorliegenden Kontext interessant sind somit die jeweiligen Ausprägungen und Verletzungsfolgen des Art. 328 OR.

B. Die Fürsorgepflicht gemäss Art. 328 OR und deren Umfang

1. Allgemeine Ausführungen

Wie bereits an anderer Stelle festgehalten, versteht man unter der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers13 all diejenigen Pflichten, nach welchen der Arbeitgeber die Persönlichkeit und anderen berechtigten Interessen des Arbeitnehmers zu schützen und zu würdigen hat.14 Art. 328 Abs. 1 OR hält dazu ausdrücklich fest, dass der Arbeitgeber die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen hat. Dazu zählt gemäss Gesetzestext beispielsweise der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.15

Art. 328 OR äussert sich sinngemäss in Anlehnung an den Anwendungsbereich über die Persönlichkeitsrechte nach Art. 27 und Art. 28 ZGB.16 So statuiert Art. 328 Abs. 1 OR den arbeitsrechtlichen Persönlichkeitsschutz und transformiert eine ansonsten deliktische Verhaltensnorm zu einer vertraglichen Verpflichtung des Arbeitgebers, nach welcher alle nicht gerechtfertigten Eingriffe in die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu unterlassen sind.17 Die betreffende Unterlassungspflicht richtet sich dabei nicht nur gegen den Arbeitgeber selbst, sondern schützt auch vor Übergriffen Dritter (Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Kunden und weitere Dritte).18

12 Steiger-Sackmann (FN 9), Rz. 722.

13 Darunter fallen sowohl natürliche wie juristische Personen.

14 Nebst Sicherheit und Gesundheit gehört eine Fülle weiterer Pflichten zu diesem Katalog, vgl.

Portmann/Stöckli (FN 5), 115; Geiser/Müller (FN 5), Rz. 454; statt vieler vgl. auch Vischer/Müller (FN 5), 202; CHK-Emmel (FN 10), Art. 328 Rz. 1.

15 Art. 328 Abs. 1 Satz 2 OR.

16 Brühwiler (FN 5), 217; Streiff/von Kaenel/Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 2; BSK ZGB I-Claire Huguenin/Andreas Meili, Art. 27 ff., in: Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Geiser Thomas (Hrsg.), Basler Kommentar, Art. 1–456 ZGB, 4. A., Basel 2015.

17 Brühwiler (FN 5), 218; Rehbinder (FN 5), 221.

18 Vischer/Müller (FN 5), 202; Streiff/von Kaenel/-Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 3; vgl. BGer 4A_480/2009 E. 6.2; CHK--Emmel (FN 10), Art. 328 Rz. 1.

19 BGE 132 III 257 E. 5; CHK-Emmel (FN 10), Art. 328 Rz. 3.

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Zum Schutz des Lebens, der Gesundheit sowie der persönlichen Integrität auferlegt Art. 328 Abs. 2 OR dem Arbeitgeber zusätzlich die Pflicht, für entsprechende Massnahmen besorgt zu sein.19 Dabei wird der Anwendungsbereich für notwendige Massnahmen eingeschränkt, wobei auf die Erfahrungen,20 den Stand der Technik21 AJP 2015 S. 1049, 1052

sowie die Verhältnisse des betreffenden Betriebes22 abgestellt wird.23 Mit anderen Worten hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass die Persönlichkeitsrechte seiner Angestellten gewahrt werden und ungerechtfertigte Eingriffe unterbleiben.24 Der Betrieb ist hingegen nicht davon befreit, in grundsätzlicher Weise über die eigenen betrieblichen Strukturen zu schauen und sich an branchenüblichen Usanzen zu orientieren. Dieser Massstab muss dabei sowohl für die Erfahrungen als auch den Stand der aktuellen Technik gelten.

Die in Art. 328 OR erwähnte Persönlichkeit umfasst beispielsweise den Schutz der Privatsphäre, Schutz der physischen und psychischen Gesundheit, Schutz der Ehre, Mobbing, sexuelle Belästigung oder Schutz vor Raucherimmissionen und garantiert ein Recht auf Gleichbehandlung unter den Arbeitnehmern.25 Um die jeweiligen Rechte zu gewährleisten, ist im Einzelnen auf entsprechende Massnahmen zurückzugreifen.26 Solche Massnahmen liegen etwa in einer sachgemässen Organisation des Arbeitsablaufs, in einer entsprechenden Überwachung der Arbeitnehmerschaft, dem Ausstatten des Personals mit Gerätschaften, Auskunfts- und Informationsveranstaltungen oder dem Anbringen von geeigneten Schutzvorrichtungen an Maschinen und Geräten.27

Wird das Ergreifen von Massnahmen oder das Erteilen von entsprechenden Weisungen durch den Arbeitgeber unterlassen, wird er für den daraus entstehenden Schaden haftbar. Solche Schäden können beispielsweise in Berufsunfällen oder Berufskrankheiten liegen,28 wobei die Begriffe eher weit auszulegen sind, sodass darunter auch unwahrscheinliche oder seltene Ereignisse, insbesondere im Zusammenhang mit Hilfseinsätzen im Ausland, zu subsumieren sind.29 Gerade bei Letztgenannten erhöht sich nämlich der Gefahrenkatalog drastisch, indem der Arbeitnehmer selbst nicht nur in einen Betrieb mit Maschinen oder Einrichtungen eingegliedert, sondern ebenfalls einer fremden Kultur und Mentalität sowie fremden Gesetzen ausgesetzt wird. Die damit einhergehenden Gefahren werden deshalb insbesondere in politisch instabilen Regionen um ein vielfaches intensiviert und erhöhen die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers massgeblich. Diesen Risiken angemessen Rechnung tragen zu können, entpuppt sich aus Sicht des Arbeitgebers daher nicht selten als überaus schwieriges Unterfangen.30

20 Ad Erfahrung, Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 5; gemeint sind beispielsweise Publikationen von Fachorganisationen usw.

21 Ad Technik, Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 5.

22 Ad Angemessenheit, Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 5.

23 Portmann/Stöckli (FN 5), Rz. 417 f.; Rehbinder (FN 5), Rz. 227 ff.

24 Streiff/von Kaenel/Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 4.

25 Vgl. Vischer/Müller (FN 5), 203 ff.

26 Portmann/Stöckli (FN 5), Rz. 417; Chavanne/Crippa (FN 7), 11; CHK-Emmel (FN 10), Art. 328 Rz. 1.

27 Portmann/Stöckli (FN 5), Rz. 417; vgl. CHK-Emmel (FN 10), Art. 328 Rz. 3; vgl. BGE 102 II 18 E. 1.

28 Vgl. Vischer/Müller (FN 5), 213.

29 Z.B. Entführungen, Freiheitsentzüge, Verletzungen durch Dritte, sexuelle Übergriffe, Raub usw.

30 Zu denken ist beispielsweise an den Versand von medizinischen Helfern in durch Ebola geprägte Gebiete, wobei die Gefahren nicht nur in der Ansteckungsgefahr des Personals, sondern ebenfalls in Entführungen, Hinrichtungen oder Überfällen gesehen werden müssen. Vgl. Berichterstattung der Bund vom 19.9.2014, «Mob ermordet sieben Ebola-Helfer», zu finden unter:

http://www.derbund.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Mob-ermordet-sieben- EbolaHelfer/story/16257268, zuletzt besucht am 12.3.2015.

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2. Auslandeinsätze

Aus den vorangehenden allgemeinen Ausführungen wird ersichtlich, dass der Arbeitgeber unabhängig von dessen Tätigkeitsgebiet, von der Schutzpflicht gemäss Art. 328 OR erfasst wird. Darunter sind ebenfalls diejenigen Fälle zu subsumieren, welche ein internationales Verhältnis zum Inhalt haben. Auch in solchen Konstellationen ist der Arbeitgeber somit verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um seine Angestellten vor Übergriffen zu schützen, wobei der Schutzbereich über den reinen Tätigkeitsbereich hinausgeht.

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bildet aber nicht zwingend und in jedem Fall eine Haftungsgrundlage,31 sobald Schäden irgendwelcher Art eintreten. Vielmehr handelt es sich dabei um ein vom Gesetz angestrebtes Ziel, auf welches hinzuwirken sich der Arbeitgeber bei Einstellung eines Arbeitnehmers verpflichtet.32 Tritt hingegen eine Schädigung des Arbeitnehmers effektiv ein, ist darauf abzustellen, ob der Arbeitgeber aufgrund der bereits an anderer Stelle genannten Eingrenzungskriterien dazu in der Lage war, den Schaden abzuwenden bzw. ob die eingetretene Persönlichkeitsverletzung in seiner Risikosphäre entstanden ist.33

Auslandeinsätze sind vielschichtig und können deshalb kaum in einem Satz präzise und umfassend beschrieben werden. Sie gehen von der anwaltlichen Geschäftsreise bis hin zum aktiven Hilfseinsatz in krisengeschüttelten Gebieten. Aufgrund dieser enormen Diversität der Einsatzarten von Arbeitnehmern bestehen ähnlich unterschiedlich ausgeprägte Fürsorgepflichten der

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einzelnen Arbeitgeber. Zu eruieren sind somit die jeweiligen landesbezogenen Umstände und Gegebenheiten, in welche ein Arbeitnehmer gesandt werden soll. Als aktuelle Beispiele dazu sollen folgende Sachverhalte dienen:

Ein schweizerischer Arbeitgeber (Hilfsorganisation), welcher sich auf die medizinische und humanitäre Hilfe vor Ort in Syrien spezialisiert hat, verschickt dazu fachlich qualifiziertes Personal, welches am Zielort die entsprechenden Handlungen vorzunehmen hat. Während des Einsatzes drohen regelmässig kriegerische oder terroristische Anschläge durch unterschiedliche Gruppierungen.

Medizinisch ausgebildetes Personal wird zur Behandlung der Ebola­Krankheit vor Ort eingesetzt, um befallene Personen in Quarantäne zu behandeln. Während der Einsatzzeit eröffnen sich diverse Gefahren, indem zum Beispiel das Personal attackiert, verschleppt oder gar getötet wird oder aber das Personal selbst mit Ebola­Erregern in Kontakt tritt.

Es liegt auf der Hand, dass der Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten mit zahlreichen den Arbeitnehmer betreffenden Risiken verbunden ist. Es drohen in extremis etwa Entführungen, Hinrichtungen, Vergewaltigung oder ähnliche die Persönlichkeit des Betroffenen gravierend verletzende Handlungen. Der blosse Umstand, dass ein Gebiet als «unsicher» einzustufen ist und der Arbeitnehmer somit das Risiko kennt, entbindet den Arbeitgeber nicht von weitergehenden Handlungen. Für ihn ergibt sich vielmehr ein dem Einzelfall angemessener Pflichtenkatalog. Was der Pflichtenkatalog im Einzelnen umfasst, hängt davon ab, inwieweit man die Verantwortung entweder dem Arbeitgeber oder aber dem Arbeitnehmer anlasten möchte. Im Folgenden findet sich ein Versuch, die entsprechenden Pflichten zu präzisieren.

31 Betreffend Haftung und Genugtuung vgl. BGE 110 II 163 E. 2; -Vischer/Müller (FN 5), 213.

32 Vgl. Chavanne/Crippa (FN 7), 10 f., die von einer sog. Mittelverpflichtung sprechen und eine Ergebnisverpflichtung ausschliessen.

33 Streiff/von Kaenel/Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 19; CHK-Emmel (FN 10), Art. 328 Rz. 3.

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3. Pflichtenkatalog

Um die Interessen und die Persönlichkeit des Arbeitnehmers schützen zu können, ist es erforderlich, dass dem Arbeitgeber ein überschaubares und nachvollziehbares Pflichtenheft vorgelegt wird, welches erst unter Zugrundelegung der Einzelfalltätigkeit eine präzise Kontur erlangen kann. Ansonsten ist es dem Arbeitgeber nicht möglich, seinen aus Art. 328 OR und weiteren (zu meist öffentlich-rechtlichen) Vorschriften resultierenden Pflichten angemessen nachkommen zu können.

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im internationalen Kontext ebenfalls die jeweiligen landesspezifischen Regelungen beachtet werden müssen, um ein konkretes Bild der Pflichten zu erlangen.

Im schweizerischen Recht fehlt eine detaillierte Normierung hinsichtlich der einzelnen Pflichten. Sofern diesbezügliche Regelungen im Gesetz eruiert werden können, beschäftigen sie sich zumeist mit technischen und arbeitsplatzbezogenen Sicherheitsmassnahmen. Alle konkreteren Erläuterungen der Fürsorgepflicht ergingen deshalb bisher durch die Rechtsprechung. Zur Eruierung dieser Pflichten können gemäss BGE 132 III 257 E. 5.4 der Art. 6 Abs. 1 ArG und der gestützt darauf erlassene Art. 19 der Verordnung 3 vom 18. August 1993 zum Arbeitsgesetz34 herangezogen werden. Um die einzelnen Pflichten auszuleuchten, lohnt es sich, darüber hinaus einen Blick auf die europäischen Regelungen, welche der Stossrichtung der Rechtsprechung des Bundesgerichts entsprechen, zu werfen.

Bei Betrachtung der erwähnten Normierungen sowie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können die einzelnen Aspekte der Fürsorgepflicht, welche hinsichtlich des Schutzes von Gesundheit, des Lebens und der persönlichen Integrität bestehen, grundsätzlich in Unterlassungs­ und Handlungspflichten unterteilt werden, wobei ein relativ weites Spektrum an Pflichten entstehen kann.35 Als einzelne Inhalte der Fürsorgepflicht sind die Informations-, Präventions-, Überwachungs- und Interventionspflichten erkennbar. Diese Unterteilung wird im Nachfolgenden näher ausgeführt.36

a) Informationspflichten

Bereits im Jahr 1969 hat das Bundesgericht dazu in BGE 95 II 132 E. 1 festgehalten, dass der Arbeitgeber gefährliche Einrichtungen und Maschinen mit angemessenen Sicherheitsvorkehrungen auf den neusten Stand der Technik aufzurüsten hat. Er ist ebenfalls verpflichtet, die Arbeitnehmer über die Risiken, denen sie ausgesetzt sind, zu informieren und ihnen das Verhalten zu deren Vermeidung vorzuschreiben. Die Art und der Umfang der Vorsichtsmassnahmen, zu denen der Arbeitgeber verpflichtet ist, hängen weitestgehend von der Person des Arbeitnehmers, seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten ab.

Grundsätzlich muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über Risiken, die Letzterer nicht kennt, informieren

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34 Gesundheitsvorsorge, ArGV 3 (SR 822.113).

35 Auskünfte, Informationserteilung, Anbringen von Vorrichtungen und Beibringung von Ausrüstung, Finanzierung von Kursen, usw. Nicht zu vergessen ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers, welches für den Schutz des Arbeitnehmers teilweise wie eine Pflicht wirkt, sodass gewisse Weisungen zwingend für den Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers erlassen werden müssen; dazu Streiff/von Kaenel/Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 14; Vischer/Müller (FN 5), 171.

36 Vgl. BGE 132 III 257 E. 5.2; BGE 112 II 138; Chavanne/Crippa (FN 7), 12; Streiff/Von Kaenel/Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 15.

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und ihn entsprechend ausbilden37. Demnach ist es mit der Informierung des Arbeitnehmers allein nicht getan. Der Arbeitgeber muss vielmehr dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer zu den notwendigen Schulungen Zugang erhält und diese auch besucht. Ebenfalls sind die entsprechenden Vermeidungsstrategien zu dessen Kenntnis zu bringen. Der Umfang der Informationspflicht divergiert somit von Fall zu Fall und ist jeweils vom Arbeitsumfeld, von der Risikoart, der Erfahrung des Arbeitnehmers, von dessen Wissen sowie von den verfolgten Zielen abhängig. Generell handelt es sich in jedem Fall um Informationen hinsichtlich der Sicherheit, Lebens- und Arbeitsbedingungen, Gesundheitsinfrastruktur und Gesundheitsrisiken im Allgemeinen.38

Nach der hier vertretenen Meinung sollte der Arbeitgeber die Arbeitnehmer umfassend über die gegebenen Risiken informieren. Einerseits schafft dies in der Unternehmensorganisation eine Einheitlichkeit und andererseits können so bereits im Vorfeld allfällige Diskussionen hinsichtlich der Haftpflicht eingedämmt oder gar vermieden werden. Ebenfalls wird dem Arbeitgeber empfohlen, den Arbeitnehmer eine Erklärung unterzeichnen zu lassen, die bestätigt, dass er umfassend aufgeklärt worden ist.

Die einmalige Information und Ausbildung reicht indes nicht aus, um eine Haftbarkeit auszuschliessen. Vielmehr muss die Unterweisung an die Entwicklung der Gefahrenmomente und an die Entstehung neuer Gefahren angepasst und, sofern notwendig, regelmässig wiederholt werden. Die Arbeitnehmer sind somit über die aktuellen Entwicklungen zu informieren und entsprechend zu schulen.39 Gerade letzterer Punkt birgt im Rahmen von Auslandeinsätzen nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten. Man beachte die eingangs genannten Beispiele, in welchen die örtlichen Standortfaktoren (wie Politik, Krieg, Epidemien, Umweltbedrohungen etc.) den Arbeitnehmer nicht bloss aufgrund seiner eigentlichen vertraglichen Kernarbeit bedrohen. Diese Risiken führen zu einer Erweiterung der Schutzpflichten des Arbeitsgebers. Mit Informationen können deshalb bereits im Vorfeld gewisse Haftungsrisiken angesprochen und durch schriftliche Bestätigung der Kenntnisnahme von Seiten des Arbeitnehmers allenfalls gar vermieden werden.40

b) Präventionspflichten

Nach Art. 328 Abs. 2 OR hat der Arbeitgeber, wie vorne bereits erwähnt, zum Schutz von Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers die erforderlichen und geeigneten Massnahmen zu treffen. Weiter hat das Bundesgericht statuiert,41 dass die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers lediglich die Verhütung derjenigen Unfälle umfasst, welche nicht auf ein unvorhersehbares Verhalten bzw. auf schweres Verschulden des geschädigten Arbeitnehmers zurückzuführen sind. Der Arbeitgeber muss folglich alles beachten, was bei normalem Lauf der Dinge und bei Unaufmerksamkeit oder

37 Dies kommt beispielsweise in BGE 112 II 138 zum Ausdruck. Gleiches ist in Art. 10 und 11 der Richtlinie 89/391/EWG, zu finden.

38 Vgl. BGE 95 II 13 E.1.

39 In Anlehnung an Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 89/391/EWG.

40 Vgl. Chavanne/Crippa (FN 7), 12. Durch Unterzeichnung dieser sog. Anerkennungserklärung bestätigt der Arbeitnehmer, dass er im Vorfeld über mögliche Risiken informiert wurde. Zu empfehlen ist, dass nicht nur global Risiken aufgeführt, sondern mit Blick auf den Fall die konkreten Gefahren genannt werden. Dies kann Streitigkeiten über die tatsächliche vorgängige Informierung über bestimmte Risiken verhindern. Auch beim Auftreten neuer Gefährdungen im Laufe des Arbeitsverhältnisses darf nicht davon abgesehen werden, den Arbeitnehmer davon in Kenntnis zu setzen. Die Informierung des Arbeitnehmers muss somit auch bei später bekannt werdenden Risiken schriftlich festgehalten werden, denn nur so kann der Arbeitgeber wirksam belegen, dass er seiner Informationspflicht nachgekommen ist und dahingehend nicht haftbar gemacht werden kann. In Anbetracht einer potentiellen Haftung ist dieser administrative Aufwand als verhältnismässig anzusehen.

41 Vgl. BGE 112 III 138 ff.

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Unachtsamkeit des Arbeitnehmers geschehen kann.42 Damit wird gleichzeitig klargestellt, dass der Arbeitgeber im Rahmen seiner Überordnung gegenüber dem Arbeitnehmer gleichzeitig in einer verstärkten Verantwortungsstellung steht.

Mit anderen Worten muss der Arbeitgeber in vorausschauender Weise handeln und geeignete Massnahmen treffen. Dazu gehören sowohl die Beurteilung der Gefahren, Abschätzung der Risiken sowie die Gefahrenbekämpfung an der Quelle. Auch muss darauf geachtet werden, dass die Massnahmen den sich ändernden Gegebenheiten angepasst werden.43

Die Grenze der Präventionsmassnahme ist gemäss Art. 328 Abs. 2 OR im technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren zu sehen. Auch das Arbeitsgesetz äussert sich in Art. 6 explizit zu den zum Schutz des Arbeitnehmers zu ergreifenden Massnahmen und deren Umfang. Aufgrund der privatrechtlichen Wirkung des Arbeitsgesetzes hat das dort Ausgeführte Beachtung zu finden. Es müssen demnach jene Massnahme ergriffen werden, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen angemessen sind. Primär muss somit arbeitsplatzbezogen beurteilt werden, welche spezifischen Gebiete erfahrungsgemäss AJP 2015 S. 1049, 1055

Massnahmen erfordern. Danach ist mit Blick auf den Stand der Technik zu eruieren, was im Bereich des Möglichen liegt. Dazu dienen die Anforderungen, die in den Gesetzen oder Verordnungen enthalten sind, sowie die Standards, Normen und Empfehlungen der spezialisierten Organisationen, Literatur und Kongressen. Jedoch darf man sich aufgrund des raschen technischen Fortschrittes nicht allein auf die erwähnten Quellen verlassen, denn nur allzu schnell sind diese aufgrund der fortschreitenden Entwicklungen überholt. Es empfiehlt sich somit, regelmässig einen Blick auf die gegenwärtigen technischen Möglichkeiten zu werfen.44

Die Präventivmassnahmen können je nach Unternehmung und Arbeitsort verschiedentlich ausgestaltet werden. Ein allgemeines Instrumentarium zur Prävention, kann – in Anlehnung an Art. 7 der Richtlinie 89/391/EWG – in der Benennung eines oder mehrerer Arbeitnehmer liegen, die mit Schutzmassnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren im Unternehmen bzw. im Betrieb beauftragt werden. Jedoch entbindet dies den Arbeitgeber nicht, selbst aktiv zu sein bzw. seinen Pflichten nachzukommen und stellt lediglich eine von vielen Massnahmen dar, die ergriffen werden können, um allfällige Haftungsfolgen zu mindern oder auszuschalten. Ebenfalls bildet der Beizug externer Fachleute eine mögliche Massnahme, allfälligen Gefahren entgegen zu wirken.

Präventivmassnahmen sind fundamental, wenn es um die Versendung von Personal ins Ausland geht. Um den Bezug auf die eingangs genannten Beispiele herzustellen, sei angeführt, dass medizinisches Personal beispielsweise durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen in Form von Sicherheitspersonal, Schutzkleidung, Impfungen usw. geschützt werden muss. Dies setzt denn auch voraus, dass der Arbeitgeber seinen Horizont weit über seine Kernkompetenzen ausdehnt und konnexe Gefahren bereits vor deren Eintritt erkennt und diesbezügliche Abwehrmassnahmen vornimmt.

42 BGE 112 II 138; Gleiches ist in Art. 6 Abs. 2 lit d Richtlinie 89/391/EWG statuiert, indem dort auf den Faktor «Mensch» verwiesen wird; vgl. Chavanne/Crippa (FN 7), 13.

43 BSK OR I-Portmann (FN 5), Art. 328 Rz. 10 f.

44 Vgl. ArGK-Hans-Ulrich Scheidegger/Christine Pitteloud, Art. 6 Rz. 1 ff., in: Thomas Geiser/Adrian von Kaenel/Rémy Wyler (Hrsg.), Arbeitsgesetz, Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel, Bern 2005.

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c) Überwachungspflicht

Die blosse Instruktion der Arbeitnehmer genügt indes nicht. Vielmehr muss der Arbeitgeber die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften sicherstellen.45 Ansonsten könnte der Arbeitgeber bei ungenügender Aufsicht für falsches Verhalten der Arbeitnehmer haftbar gemacht werden.46 Mit anderen Worten kann sich der Arbeitgeber nicht von seiner Haftung lösen, indem er zwar korrekt instruiert, allerdings abweichende Handlungen des Arbeitnehmers duldet (z.B. dass seine Angestellten keine Schutzbrillen tragen).47

Die Kontrolle kann bei sensiblen Bereichen in der Überwachung mittels Kameras48 oder aber in regelmässiger Inspektion liegen. Dies kann jedoch wiederum in einem Spannungsverhältnis zu den Rechten des Arbeitnehmers stehen.49

Nach schweizerischem Recht ist die dauernde Überwachung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz gemäss Art. 26 ArGV 3 grundsätzlich unzulässig, da dies die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer beeinträchtigt.50 Anders verhält es sich bei Überwachung und Kontrollen, welche der Sicherheit des Arbeitnehmers dienen; dort können Massnahmen wie Videoüberwachung mit dem Schutzzweck gerechtfertigt werden. Dabei ist jedoch ein strenger Massstab anzusetzen, denn nur genau diejenigen Überwachungshandlungen, welche direkt der Sicherheit des Arbeitnehmers dienen, sind als vom Schutzzweck gedeckt und gerechtfertigt anzusehen.51

In jedem Fall ist bei Überwachungsmassnahmen primär eine Interessenabwägung (Betriebsinteresse gegen Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmenden) durchzuführen.

Als Betriebsinteresse ist insbesondere die Sicherheit der Arbeitnehmenden sowie Dritter, die Sicherung von überlebenswichtigen Betriebsgütern, die Datensicherheit und die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben anzuführen. Vor einer direkten Überwachung mittels technischer Mittel durch den Betrieb ist jedoch abzuklären, ob die Sicherheit der entsprechenden Rechtsgüter nicht auf we-

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niger eingreifende Weise sichergestellt werden könnte (Verhältnismässigkeit des Mitteleinsatzes). Das Erheben, Bearbeiten und Speichern von Personendaten hat immer im Einklang mit der Datenschutzgesetzgebung zu erfolgen. Im Übrigen müssen die Arbeitnehmer vorgängig über Art, Ziel und Zweck der Überwachung informiert werden.52

In Bezugnahme auf die Ausgangsbeispiele betreffend Versendung von Personal ins Ausland muss angemerkt werden, dass die Überwachung in solchen Sachverhalten in intensivierter Form zu erfolgen hat. So sind die Arbeitnehmer beispielsweise in ihren

45 BGE 95 II 132; BGE 102 II 18; vgl. dazu Chavanne/Crippa (FN 7), 13.

46 Dies kommt beispielsweise in Art. 14 Abs. 1 Richtlinie 89/391/EWG, sowie in BGE 102 II 18 zum Ausdruck.

47 Vgl. dazu BGE 102 II 18 ff.; Chavanne/Crippa (FN 7), 13.

48 BGE 6B_536/2009 E. 3.6.2, 3.7.

49 Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Problematik des Datenschutzes sowie den Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit Überwachungsmassnahmen.

50 Art. 26 ArGV 3: 1 Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen sollen, dürfen nicht eingesetzt werden. 2 Sind Überwachungs- oder Kontrollsysteme aus andern Gründen erforderlich, sind sie insbesondere so zu gestalten und anzuordnen, dass die Gesundheit und die Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer dadurch nicht beeinträchtigt werden; Thomas Geiser/Benedikt Häfliger, Entwicklungen im Arbeitsrecht/Le point sur le droit du travail, in; SJZ 110/2014, 380 f. m.w.H (zit. Geiser/Häfliger).

51 Man denke an Überwachungskameras an Tankstellenshops, welche über Nacht ebenfalls für Kunden zugänglich sind und überdurchschnittlich von Überfällen betroffen sind oder sein können; vgl. zur Problematik Vischer/Müller (FN 5), S. 210 ff.

52 Geiser/Häfliger (FN 50), 380 f.

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Bewegungen zu überprüfen, indem sie veranschlagte Gebietssektoren nicht betreten oder aber nicht verlassen dürfen. Hier wie auch hinsichtlich der bereits erörterten Schutzpflichten des Arbeitgebers wird deshalb ersichtlich, dass die Fürsorgepflicht bei humanitären Einsätzen einer quasi «gesteigerten» Fürsorgepflicht gleichzusetzen ist. In diesem Sinne ist der Arbeitgeber verpflichtet, besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich seiner Schutzmassnahmen an den Tag zu legen.

d) Interventionspflichten

Der Arbeitgeber hat bei Kenntnis eines falschen Verhaltens allenfalls korrigierend einzuwirken. Sofern der Arbeitgeber trotz Kenntnis des Fehlverhaltens nicht interveniert, kann er für falsches Verhalten des Arbeitnehmers haftbar gemacht werden.

Der Arbeitgeber haftet in einem solchen Fall ebenfalls für Gefahren, die offensichtlich durch das Fehlverhalten des Arbeitsnehmers entstanden sind und voraussehbar gewesen wären.53 Es lässt sich hier deutlich entnehmen, dass der Arbeitgeber allein mit der Beachtung seiner Informations- und Überwachungspflicht noch nicht alles Notwendige zu seiner Entlastung vorgenommen hat. Vielmehr fordert die Interventionspflicht weitere Vorkehrungen zum Schutze legitimer Arbeitnehmerinteressen.

Die Intervention muss dabei in einem frühen Zeitpunkt ansetzen. Namentlich muss der Arbeitgeber bereits dann aktiv werden, bevor der Gefahrenablauf so weit fortgeschritten ist, dass dieser nicht mehr verhindert werden kann. Darauf deutet auch der Wortlaut von Art. 6 ArG hin, wonach alle Massnahmen getroffen werden müssen, die nach der Erfahrung notwendig sind, um die Gefährdung zu vermeiden.54

Der Arbeitgeber hat somit bereits dann zu intervenieren, wenn die zur Sicherheit gebotenen Handlungen vom Arbeitnehmer nicht bzw. nicht genügend vorgenommen werden oder dieser sich schlicht falsch verhält, wobei das Verhalten des Arbeitnehmers haftungsmildernde oder gar haftungsausschliessende Wirkung nach sich ziehen kann, je nach dem Grade des diesem zuzuschreibenden Verschuldens.55

4. Weisungsrecht und Weisungspflicht

Aufgrund des Subordinationsverhältnisses zwischen den Parteien hat der Arbeitgeber generell die Befugnis zum Erlass von sowohl allgemeinen Anordnungen, die sich an die ganze oder zumindest an Teile der Arbeitnehmerschaft richten, als auch besonderen Weisungen, die nur einzelne Arbeitnehmer betreffen. Dieses Weisungsrecht ist in Art.

321d OR verankert. Die Spannweite reicht dabei von Zielanweisungen hinsichtlich Arbeitsleistung, über Fachanweisungen, welche die Art der Arbeitsausführung betreffen, bis hin zu Verhaltensanweisungen, die sich auf das Verhalten im Betrieb beziehen. Der Arbeitnehmer hat dabei jene Weisungen, die innerhalb des gesetzlichen und vertraglichen Rahmens liegen, gänzlich zu befolgen. Wird allerdings das Weisungsrecht überschritten, endet die Befolgungspflicht. Schranken des Weisungsrechts stellen beispielsweise der vereinbarte Tätigkeitsbereich sowie der Bereich des dienstlichen Verhaltens dar. Ausnahmefälle hinsichtlich der Schranken des Weisungsrechts gelten jedoch sowohl für leitende Angestellte und Arbeitnehmer in Tendenzbetrieben (Unternehmen mit ideellem Zweck, die beispielsweise im konfessionellen oder politischen Bereich tätig sind).56 In einem Leitentscheid hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine Person, die mit einem solchen Unternehmen einen Vertrag abschliesst, eine erhöhte Treuepflicht akzeptiert. Dies hat zur Folge, dass die betreffende Person auch ausserhalb ihrer beruflichen Tätigkeit jedes Verhalten

53 BGE 89 II 118 E. 2.

54 Steiger-Sackmann (FN 9), Rz. 447 f.

55 Vgl. zur Interventionspflicht Chavanne/Crippa (FN 7), 14.

56 BSK OR I-Portmann (FN 5), Art. 321d Rz. 1 ff.

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vermeiden muss, das dem angestrebten Image des Unternehmens schaden könnte.

Diese erhöhte Treuepflicht (Art. 321a OR) rechtfertigt in gewisser Weise, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bestimmte Beschränkungen für sein Verhalten in der Freizeit auferlegen darf.57

Der Arbeitgeber ist indes nicht nur berechtigt, Weisungen zu erteilen, sondern hat in besonderen Fällen eine Weisungspflicht inne. Dies gilt namentlich dann, wenn Weisungen zum Schutz von Rechtsgütern der Arbeitneh-

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mer oder anderer Personen erforderlich sind.58 In solchen Spezialfällen sind ebenfalls Weisungen zum ausserdienstlichen Verhalten zu befolgen.

Setzt sich der Arbeitnehmer über Weisungen hinweg, kann der Arbeitgeber ordentlich, in schweren oder trotz Verwarnung sich wiederholenden Fällen fristlos kündigen sowie Disziplinarmassnahmen anordnen.59 Sofern dem Arbeitgeber Schaden zugefügt worden ist, besteht eine Haftung des Arbeitnehmers nach Art. 321e OR.60 Sachlogisch entfällt demgegenüber jegliche Haftung des Arbeitgebers, sofern der Arbeitnehmer die Weisungen, von welchen er nach Treu und Glauben Kenntnis haben musste, nicht befolgt, der Arbeitgeber hingegen die vorne aufgeführten Pflichten gänzlich wahrgenommen hat.

C. Verhältnismässigkeitsprinzip

Das allgemein der Rechtsordnung immanente Verhältnismässigkeitsprinzip findet seinen Niederschlag ebenfalls in der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber hat nicht für jede Gesundheitsschädigung der Arbeitnehmer einzustehen, jedoch wird von ihm – wie vorne ausgeführt – erwartet, dass er Vorkehrungen und Massnahmen trifft, um Unfälle und Krankheiten nach Möglichkeit zu verhindern. Er muss alles Geeignete und Erforderliche vorkehren, um die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen.61 Die Grenze ist dabei in der Angemessenheit und in der Zumutbarkeit der fürsorgerischen Handlungen zu sehen.

Die Angemessenheit bezieht sich auf die Verhältnisse des Betriebes, wobei es um die Relation zwischen den Schutzmassnahmen und den technisch-wirtschaftlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten geht. Diese müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.62 Jedoch befreien rein wirtschaftliche Gründe ein Unternehmen bei erheblicher Gefährdung von Leib und Leben nicht davon, die nach Erfahrung der Technik anwendbaren Massnahmen zu treffen. Auch kostenintensive Vorkehrungen sind namentlich dann vorzunehmen, wenn sie unter vergleichbaren Umständen in ähnlichen Betrieben mit gleicher wirtschaftlicher Tragfähigkeit bereits ergriffen worden sind. Das Argument der wirtschaftlichen Tragfähigkeit kann folglich dort nicht absolut gelten, wo das persönliche Rechtsgut des Arbeitnehmers erheblichen Gefahren ausgesetzt ist. In solchen Fällen müssen die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers hinter das Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers zurücktreten.63

57 BGE 130 III 699 E. 4.

58 BSK OR I-Portmann (FN 5), Art. 321d Rz. 4 f.

59 CHK-Emmel (FN 10), Art. 321d Rz. 4.

60 CHK-Emmel (FN 10), Art. 321e m.w.H.

61 Zur Eignung und der Erforderlichkeit im Einzelnen vorne unter Interventionspflichten (3. d).

62 ZK-Adrian Staehelin, Art. 328 Rz. 20, in: Adrian Staehelin, Obligationenrecht, Teilband V 2c, Der Arbeitsvertrag Art. 319–330a OR, 4. A., Zürich/Basel/Genf 2006 (zit. ZK-Autor); BGE 90 II 231 ff.

63 BGE 100 II 352 ff.; Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 5.

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Nebst der Angemessenheitsprüfung über die einzelnen Schutzmassnahmen ist im Rahmen einer Zumutbarkeitsprüfung zu eruieren, was hinsichtlich des betreffenden Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber bezüglich Ergreifung von Massnahmen billigerweise zugemutet werden kann. Welche Schutzmassanahmen schliesslich als erforderlich gelten, bestimmt sich nach dem Grundsatz der Billigkeit und unter Betrachtung des Einzelfalles. So ist nachvollziehbar gegenüber einem Lehrling eine gesteigerte Fürsorgepflicht an den Tag zu legen, während einem erfahrenen Mitarbeiter gegenüber weniger Kontrolle ausgeübt werden muss. Diese Aussage kann hingegen dort nicht gelten, wo minimale Schutzstandards durch das öffentliche Recht vorgegeben werden. In diesen Konstellationen dürfen entsprechende Schutzmassnahmen trotz möglicher Erfahrungsunterschiede beim Personal nicht im Rahmen von Art. 328 Abs. 2 OR relativiert werden.64

Grundsätzlich ist somit im Bereich der Verhältnismässigkeit eine einzelfallspezifische Beurteilung vorzunehmen, indem man der Grösse und der Natur des Betriebes, dem Arbeitsverhältnis, der Art und dem Ausmass der Risiken Rechnung tragen kann.65 Hinsichtlich der Versendung von Personal ins Ausland muss deshalb gelten, dass angemessene Schutzmassnahmen den ausländischen Umständen immer anzupassen sind. So reicht es nicht aus, die Fürsorgepflicht lediglich in Bezug auf singuläre Lokalitäten wie beispielsweise die Unterkunft oder den Betrieb zu definieren. Vielmehr ist erforderlich, dass die politischen wie landesspezifischen Kultur- und Standortfaktoren in die Schutzpflichten überführt werden müssen. Gerade im Zusammenhang mit humanitären Hilfseinsätzen ist es nachvollziehbar, dass der Relativierungsfaktor der Wirtschaftlichkeit nur selten zur Anwendung gelangen kann, sofern die Arbeitnehmer sich in instabilen politischen Regionen bewegen.

Das jüngere Beispiel der Ebola­Epidemie auf dem westafrikanischen Kontinent, wonach unter anderem (europäisches) Hilfspersonal ermordet/angesteckt wurde, zeigt exemplarisch auf, dass lokale Umstände ebenfalls zwingend in das Fürsorgekalkül einbezogen werden müssen und die entsprechende Lage jederzeit neu analysiert werden muss, sodass versandte Arbeitnehmer unter

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Umständen frühzeitig abgezogen oder durch örtliches Sicherheitspersonal gesichert werden können. Der Hinweis allein auf die brenzligen und instabilen Verhältnisse kann deshalb nicht ausreichen. Denn, wie an anderer Stelle bereits erwähnt wurde, beinhalten die Schutzpflichten des Arbeitgebers weit mehr, als nur die umfassende Informierung der Arbeitnehmerschaft. Arbeitgeber können keinesfalls ihre volle Verantwortung über Informationsveranstaltungen und -kurse erfüllen und mögliche Risiken bzw. deren Konsequenzen trotz wirtschaftlicher oder ideeller Vorteile auf die Arbeitnehmer abwälzen.66

D. Besondere Familienumstände und Fürsorgepflicht

Da der Arbeitgeber nur in einer vertragsrechtlichen Beziehung zu seinen Arbeitnehmern steht, obliegen dem Ersteren grundsätzlich keine Pflichten gegenüber Angehörigen des Arbeitnehmers. Nichtsdestotrotz ist im Rahmen der Fürsorgepflicht zu fordern, dass der Arbeitgeber die private Persönlichkeit des Angestellten (z.B.

dessen Verhältnis zu Familie, Familiennachzug oder die Sicherheit der Familie) zu berücksichtigen hat. Dies muss vorzüglich in denjenigen Fällen gelten, in welchen der Arbeitgeber ein entsprechendes Interesse daran hat, dass er einen bestimmten Arbeitnehmer im Ausland platzieren und dessen Dienste vor Ort in Anspruch nehmen kann. In solchen Konstellationen ist es deshalb für den Arbeitnehmer zumeist

64 Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 5.

65 Vgl. ArGK-Scheidegger/Pitteloud (FN 44), Art. 6 Rz. 1 ff.

66 Vgl. in diesem Zusammenhang BGE 110 II 163 ff.; Chavanne/Crippa (FN 7), 15 f.

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unumgänglich, dass er seine Familienmitglieder, welche den gemeinsamen Haushalt teilen, seinem arbeitsmässigen Schicksal gleichstellt, d.h. diese bei Veränderung des Arbeitsortes mit umziehen lässt oder regelmässigen persönlichen Kontakt über Treffen vor Ort sicherstellt. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass die berufsbedingten Gefahren des Arbeitnehmers sich ebenfalls auf dessen Familienmitglieder erstrecken können.

Es stellt sich denn auch die Frage, wie sich die Problematik rund um die Familie rechtlich einordnen bzw. begründen lässt. Rechtliche Optionen gehen dahin, dass der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer vertragliche Verpflichtungen eingehen kann, aus welchen die Familienmitglieder als aussenstehende Dritte entsprechende Rechte ableiten können. In diesem Sinne handelt es sich um einen sog. Vertrag zugunsten Dritter gemäss Art. 112 OR. Fehlen allerdings solche vertraglichen Normen, so verbleibt lediglich die Möglichkeit des Verweises auf die ausservertraglichen Regeln gemäss Art. 41 ff. OR.67 Somit lassen sich die Persönlichkeitsrechte der Familienangehörigen ebenfalls im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis geltend machen. Es ist denn auch kaum denkbar, dass beispielsweise ein Arbeitgeber einen entsandten Arbeitnehmer aus seinem Arbeitseinsatz abzieht, dessen Familie hingegen verantwortungstechnisch betreffend Umsiedlung ausser Acht lässt. Entgegen der restriktiven Auffassung, wonach die Persönlichkeitsrechte der Angehörigen durch kriegerische oder andere die Persönlichkeit betreffende Ereignisse bedroht werden müssen, reicht es nach hier vertretener Ansicht bereits aus, dass der Arbeitnehmer beruflich zu einer Umsiedlung gezwungen sein kann und deshalb die Familienverhältnisse entsprechend angepasst werden müssen. Da die Familie als Einheit angesehen werden muss, bedeutet gerade bei Auslandeinsätzen jede Modifikation des Arbeitsverhältnisses automatisch auch eine strukturelle Veränderung der Verhältnisse aller engeren Familienmitglieder, welche direkt durch den Standortwechsel betroffen sein können. Der Arbeitgeber ist im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dazu verpflichtet, seine Handlungen dem Wohle der Familie anzupassen und entsprechende Vorkehrungen zur Erhaltung der Einheit vorzunehmen.68

Es kann deshalb in allgemeiner Form festgehalten werden, dass die Persönlichkeit des Arbeitnehmers nicht nur auf seine eigene Person direkt heruntergebrochen werden kann. Vielmehr sind Situationen denkbar, in welchen die durch den Arbeitgeber zu schützende Persönlichkeit aufgrund der Familieneinheit auf weitere Personen ausgedehnt werden muss. Mit anderen Worten gestaltet sich die Lage wie folgt: Je gravierender die Persönlichkeitsgüter des Arbeitnehmers oder diejenigen seiner Angehörigen beeinträchtigt werden, desto intensiver präsentieren sich die Schutzpflichten des Arbeitgebers.

E. Ende des Arbeitsverhältnisses und Ende der Fürsorgepflicht

Schliesslich gilt es anzumerken, dass das Arbeitsverhältnis eine Nachwirkung der Fürsorgepflicht über die Beendigung hinaus begründen kann.69

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Zu berücksichtigen ist, dass die Fürsorgepflicht gemäss Art. 328 OR nicht bereits nach Ablauf des letzten Arbeitstages automatisch dahinfällt. Vielmehr ist von einer gewissen Überdauer der Rechtswirkungen auszugehen.70 Es ist demnach denkbar, dass trotz der

67 Chavanne/Crippa (FN 7), 16 f.

68 Weniger weitgehend, aber mit ähnlicher Stossrichtung Chavanne/Crippa (FN 7), 17.

69 Chavanne/Crippa (FN 7), 18; vgl. BGer 4C.379/2002 vom 22. April 2003; BGE 130 III 699 ff., mit Bezugnahme auf die Verschwiegenheitspflicht in der externen Kommunikation. Zumindest anerkennt das Bundesgericht in gewissen Bereiche eine entsprechende Überdauerwirkung.

70 Vgl. ZK-Staehelin (FN 62), Art. 328 Rz. 12; Portmann/Stöckli (FN 5), S. 124 f.

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Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewisse weitere Pflichten, gerade bei Auslandeinsätzen, anfallen können. So kann zum Beispiel der Arbeitgeber nach dem Abzug seines medizinischen Personals (in Verbindung mit der Auflösung der Arbeitsbeziehung) zur Anordnung und Durchführung von Gesundheitskontrollen verpflichtet sein, sofern im Rahmen des Arbeitseinsatzes entsprechende Gefahren (z.B.

Ansteckung und Verbreitung von Krankheiten) aufgetreten sind oder sein könnten.

Das Bundesgericht hat es bisher abgelehnt, eine Ausdehnung der Fürsorgepflicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in besonderem Masse zuzulassen, und ist mit der Problematik einigermassen zurückhaltend umgegangen.71 Es bietet sich nach hier vertretener Auffassung allerdings an, dass die Fürsorgepflicht im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes nicht nur einer Überdauerwirkung untersteht, sondern gar auf die jeweiligen Familienmitglieder des betroffenen Arbeitnehmers ausgedehnt werden sollte. Es liesse sich denn auf diese Weise auch gewährleisten, dass die ursprünglichen Arbeitsverpflichtungen auf den künftigen Lebensgang des ehemaligen Mitarbeiters sowie auf dessen Angehörige grundsätzlich keinen prägenden Einfluss mehr hinterlassen können.

IV. Folgen bei Verletzung der Fürsorgepflicht

A. Allgemeine Ausführungen

Ist der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nicht oder nicht ausreichend nachgekommen und wurde der Arbeitnehmer dadurch in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt, so bestehen aus Sicht des Arbeitgebers diverse Haftungsfolgen. Entsprechende Konsequenzen können sich sodann aus unterschiedlichen Rechtsbereichen ableiten lassen. Im Folgenden werden die betreffenden Bereiche kurz umrissen:

1. Strafrechtliche Aspekte

Im üblichen Umfang können Verletzungshandlungen des Arbeitgebers, seiner Organe oder zurechenbare Handlungen seiner Hilfspersonen strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Strafbar sein können demnach nicht nur natürliche Personen, sondern auch Organe oder gar das Unternehmen selbst.72

2. Administrativrechtliche Aspekte

Verstösse gegen öffentlich-rechtliche Normierungen, insbesondere in Form des Arbeitsgesetzes und des Unfallversicherungsgesetzes, können zu verwaltungsrechtlichen Sanktionen führen.73

71 Zur Nachwirkung und Anwendbarkeit von Art. 328 OR: Urteil des Bundesgerichts 4C.379/2002 vom 22. April 2003 sowie BGE 130 III 699 ff.; Hinsichtlich der Gesundheitsschädigung muss angemerkt werden, dass das Bundesgericht im Jahre 1980 eine Ausdehnung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht anerkannte (BGE 106 II 134 E. 3). In Anbetracht der heutigen Verhältnisse kann jedoch nicht von einem Festhalten an dieser Rechtsprechung ausgegangen werden. Es wäre nun geradezu unverständlich, wenn einem Arbeitgeber, welcher seine Arbeitnehmer – wie im aufgeführten Beispiel – zu medizinischen Hilfseinsätzen in Ebola verseuchte Gebiete entsendet, nach deren Abzug in Verbindung mit der Auflösung der Arbeitsbeziehung, keine Pflicht zu Nachkontrollen zukäme. Siehe zum Ganzen Chavanne/Crippa (FN 7), 18 mit wohl ähnlicher Ansicht.

72 Vgl. Art. 102, Art. 117, Art. 125, Art. 129 StGB u.a.; vgl. dazu auch Chavanne/Crippa (FN 7), 20.

73 Z.B. Bussen, Entzug oder Verweigerung von Bewilligungen, usw.; vgl. auch die Bestimmungen des AVG (SR 823.11); vgl. auch ­Chavanne/Crippa (FN 7), 20.

(17)

3. Zivilrechtliche Aspekte

Für die Geltendmachung einer zivilrechtlichen Haftung des Arbeitgebers ist es notwendig, dass der Arbeitnehmer, dessen Gesundheit geschädigt worden ist, den ihm entstandenen Schaden ausreichend nachweist. Zudem ist es erforderlich, dass die Schädigung aufgrund der Schutzpflichtverletzung des Arbeitgebers entstanden ist (sog.

adäquater Kausalzusammenhang).74

Da die Verletzung einer Fürsorgepflicht einen vertraglichen Anspruch75 bildet, wird gemäss Art. 92 OR das Verschulden des Arbeitgebers vermutet, wobei ihm der

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Nachweis der Schuldlosigkeit offensteht.76 Entsteht die Pflichtverletzung gestützt auf Handlungen von Hilfspersonen, so greift Art. 101 OR, sofern dessen Voraussetzungen als erfüllt zu betrachten sind.77 Aufgrund von Art. 55 ZGB gilt in der Konsequenz Ähnliches auch für Organe juristischer Personen.78

Hinsichtlich der Schadensbemessung kann auf die üblichen haftpflichtrechtlichen Grundsätze verwiesen werden.79 Demnach sind das allfällige Mitverschulden des Arbeitnehmers sowie eine mögliche konstitutionelle Prädisposition schadensmindernd zu berücksichtigen.80

Der Arbeitgeber haftet auch dann, wenn er zwar gewisse Handlungen hinsichtlich der Einhaltung seiner Fürsorgepflicht vornimmt, diese jedoch gleichzeitig im Querkontext nicht als ausreichend angesehen werden können. So befolgt der Arbeitgeber mit dem Errichten einer Schutzvorrichtung zwar seine Präventions-, verletzt mit der Unterlassung der angemessenen Instruktion hingegen seine Informationspflicht.81 Gemäss den haftpflichtrechtlichen Grundsätzen ist es sodann auch möglich, dass bei Körperverletzungen oder (anderen) schweren Persönlichkeitsverletzungen eine Genugtuungsleistung geschuldet ist. Diese kann einerseits an den Verletzten selbst oder aber auch gegenüber den Angehörigen geschuldet sein.82

Das schweizerische Sozialversicherungssystem stellt im Rahmen der Unfallversicherung sicher, dass Schäden, welche im Zusammenhang mit Berufsunfällen oder -krankheiten entstehen, durch diese zu ersetzen sind. Dabei werden die entsprechenden Leistungen durch das Gesetz umfangmässig beschränkt, sodass die Versicherung nur bis zur gesetzlichen Obergrenze für den Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers aufzukommen hat. Darüber hinausgehende Schäden verbleiben im Haftungsradius des Arbeitgebers.83 Schliesslich unterliegt der Arbeitgeber gegenüber der leistenden Unfallversicherung nur dann einem Regress, wenn er die eingetretenen Persönlichkeitsverletzungen grobfahrlässig oder absichtlich verursacht hat.84

74 Heinz Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, Zürich/Basel/Genf 2008, 121 ff.

75 Vgl. Art. 97 ff. OR.

76 BGE 95 II 132 = Pra 1969 Nr. 134; Streiff/von Kaenel/-Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 16.

77 Vor allem die Erfüllung einer Arbeitspflicht (funktioneller Zusammenhang) wird in Frage kommen, wodurch der Arbeitgeber auch durch Kompetenzübertragung seiner Fürsorgepflicht nicht entgehen kann.

78 Streiff/von Kaenel/Rudolph (FN 5), Art. 328 Rz. 16.

79 Vgl. Art. 41 ff. OR; Walter Fellmann/Andrea Kottmann, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Band I: Allgemeiner Teil sowie Haftung aus Verschulden und Persönlichkeitsverletzung, gewöhnliche Kausalhaftungen des OR, ZGB und PrHG, Bern 2012, § 6 f. (zit. Fellmann/Kottmann).

80 Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 17; Fellmann/Kottmann (FN 79), § 7.

81 Vgl. BGE 102 II 18; BGE 100 II 354 f.; Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 17.

82 Vgl. Art. 99 Abs. 3 i.V.m. Art. 46 f. OR.

83 Art 7 und Art. 9 UVG; Art. 72 Abs.1 ATSG.

84 Art. 75 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 ATSG; Brühwiler (FN 5), Art. 328 Rz. 17.

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4. Fazit

Wie aus den Erwägungen betreffend Sanktionen für Fürsorgepflichtverletzungen ersichtlich wird, kann der Schadenseintritt für den Arbeitgeber mit gravierenden Konsequenzen verbunden sein. Dabei riskiert er nicht bloss gegenüber dem geschädigten Arbeitnehmer schadenersatz- bzw. haftpflichtig zu werden, sondern auch gegenüber dessen Angehörigen.

Des Weiteren muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass zusätzlich administrativrechtliche Massnahmen und Sanktionen gegen ihn ausgesprochen werden, was im worst case in einer Betriebseinstellung münden könnte.

Selbstverständlich, aber der Vollständigkeit halber ebenfalls zu erwähnen ist der Umstand, dass im üblichen Umfange und unter Annahme der entsprechenden Tatbestandselemente ebenfalls strafrechtliche Sanktionen bzw. Strafen bei Verletzung der Arbeitgeberpflichten in Aussicht stehen.

Es empfiehlt sich somit, Auslandeinsätze der Arbeitnehmer gründlich zu planen und gerade bei kritischen Tätigkeitsgebieten, wie beispielsweise humanitären Hilfseinsätzen oder ähnlichen Unterfangen, bei welchen das Wohl des Arbeitnehmers einer erheblichen Gefährdung unterliegt, verschärftes Augenmerk anzusetzen.85 Entlastungsmöglichkeiten finden sich insbesondere in der Befolgung der umschriebenen Schutzpflichtaspekte, angefangen bei der Information des Arbeitnehmers bis hin zu einer allenfalls notwendigen Intervention. Bemerkt sei zudem, dass die Entlastungshandlungen von Seiten des Arbeitgebers in der Regel zeitlich nicht umfassend und absolut zu wirken vermögen, da arbeitsrechtliche Verhältnisse dynamischen Veränderungen ausgesetzt sind. Dies setzt denn auch voraus, dass der Arbeitgeber seine Betriebsverhältnisse regelmässig überprüft und bei Bedarf entsprechend anpasst.

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V. Abschliessende Würdigung

Auslandarbeit ist vielfältig und erscheint in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen. Ein eindeutiges und klares Rezept zur Beachtung der Fürsorgepflicht gibt es deshalb nicht. Nichtsdestotrotz ist es möglich, den einzelnen Aspekten sowie denkbaren Tätigkeitsgebieten des Arbeitgebers gewisse Konturen zu verleihen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des betroffenen Arbeitsverhältnisses und -einsatzes wird es sodann erst möglich, den angemessenen Pflichtenkatalog zu eruieren und zu definieren.

Aus rechtlicher Sicht empfiehlt sich nach hier vertretener Auffassung, folgende Punkte besonders zu beachten:

i) Eingangs empfiehlt sich eine Definition der durch den Arbeitnehmer auszuführenden Tätigkeit(en). Diese Tätigkeit sollte sodann nach Branche und Tätigkeitsumfeld untersucht und mit allfälligen Standards verglichen werden. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, schützen die betrieblichen Usanzen nicht vor möglicher Arbeitgeberverantwortlichkeit.

ii) Nach Charakterisierung der Tätigkeit ist es erst möglich, entsprechende Gefahren und Risiken zu evaluieren. Das Spektrum ist dabei im Rahmen des Verhältnismässigkeitsprinzips eher weit zu ziehen, sodass allfällige Entlastungselemente frühzeitig erkannt und angemessen umgesetzt werden können.

85 Hinsichtlich der Eindämmung und Vermeidung von Fürsorgepflichtverletzungen kann auf die vorstehenden Ausführungen betreffend Umfang der Fürsorgepflicht verwiesen werden.

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iii) Erst mit der Erhebung der Gefahren und Risiken wird es möglich, entsprechende Präventivmassnahmen zu ergreifen, wobei es dabei nicht zwingend um Schutzmassnahmen im Sinne der Prävention gehen muss. Vielmehr ist es aus Sicht des Arbeitgebers bereits sinnvoll, mittels Weisungen oder gar Aufklärungsvereinbarungen möglichen Risiken – und damit auch möglicher eigener Haftung – entgegenzuwirken.

Zu beachten ist auch, dass Massnahmen ein sehr breites Spektrum aufweisen können.

Es empfiehlt sich daher, diesen Teil der Evaluation mit äusserster Gründlichkeit durchzuführen und falsche finanzielle/wirtschaftliche Bedenken zu verwerfen.

iv) Schliesslich muss aus rechtlicher Sicht immer bedacht werden, dass das für Schadens- und Haftungsfälle anwendbare Recht eine massgebliche Rolle zur Abschätzung der Folgen spielt. In diesem Sinne lohnt es sich, bereits vorgängig über Fragen betreffend Anwendbarkeit des Rechts sowie den entsprechenden Gerichtsstand zu entscheiden und diesbezügliche Regelungen vertraglich zu vereinbaren.86

86 Für praktische Handlungsmöglichkeiten sei an dieser Stelle auf die Ausführungen von Chavanne/Crippa (FN 7), 23 ff. verwiesen.

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