Ossetica.
Von R. T. Stackelberg.
A. Bemerkungen zura Volksglauben der Osseten.
Der ossetischen Volksreligion — wie dieselbe bis etwa in die
Mitte dieses Jahrhunderts bestand — liegt zum grossen Theil
älteres Christenthum zu Grunde. Dass dieses Christenthum von
Grusien aus gepredigt wurde, deuten nicht nur die Bezeichnungen
der auf den Gottesdienst bezüglichen Dinge — vgl. oss. dzuar
grus. jwari Kreuz, oss. zeti grus. zeti Oel, oss. zangarag grus.
zangalaki Glocke, oss. marxo, grus. marxwa Fasten, oss. sabat
grus. sahatj, Samstag — sondern auch die Ueberheferungen der
Osseten selbst an, indem sie die Erbauung der ossetischen Kircheu
der grusischen Königin Tamara (1184—1212) zuschreiben. Vgl.
Miller, Ossetische Studien III Moskau 1887 p. 34 (Russisch).
Auch hat sich in der Kirche von Nuzal in Ossetien nocb eine
grusische Inschrift erhalten (Pfaff, Reise durch die Schluchten
von Nordossetien im Sbomik swedenjio Kawkäze Bd. I p. 127 fif).
Ueber die sonstigen geschichtlichen (?) Beziehungen der Grusier zu
den Osseten vgl. Brosset, Historie de la Georgie depuis l'antiquite
jusqu'au XIX sifecle I fere partie Petersburg 1849 und Miller
a. a. 0. Bnd. III Kapitel I—III.
Auch in den Namen der meisten Gottheiten oder Geisler, welche
bei den Osseten verehrt wurden und zum Theil wohl noch jetzt
verehrt werden, hat man längst Heilige der christlichen Kirche
erkannt: so in dig. Vas-Kiirgi iron. Vas-türdzi den heiligen Georg,
in Tutür den heihgen Theodor, in madü Mairam (wörtl. : Mutter
Maria) die Gottesmutter, in dig. Kiristi iron, öürüstü Christus,
in r/elia und Vatzilla den heil. Elias, in Vatz-Nikkola den heil.
Nicolaus. Vgl. hierüber Miller a. a. 0. II p. 235 flf., Hübsch¬
mann, diese Ztsch. 41, p. 532 flg. Doch giebt es neben diesen
noch andere ossetische höbere Wesen, deren Bezeichnungen bisher
noch nicht genügend erklärt worden sind. Im Folgenden soll
versucht werden, einige dieser bisher unerklärten Namen zu deuten.
1) Donbüttür, auch donbedtür, donbittir im ironischen (tagau-
rischen) Dialect, im (alterthümlicheren) Digoriscben aber donbettär
heisst der Wassergeist der Osseten. Er lebt im Wasser und die
Pischer beten zu ihm (vgl. Miller a. a. 0. II p. 249, Hübsch¬
mann, a. a. 0. p. 536). Die erste Silbe weist das ossetische
Wort für Wasser, don, auf ; die beiden letzten — iron, büttür etc.
dig. beitär — sind bisher unerklärt geblieben. Mir scheint es,
als ob dieselben den Namen des — Apostels — Petrus enthielten.
Schon der unregelmässige Lautwandel iron, ii = dig. « in der ersten
und iron, ü — dig. ä in der zweiten Silbe (iron, ii entspricht laut¬
gesetzlich dig. u oder i) deutet darauf hin, dass wir hier kein rein
ossetisches Wort vor uns haben. Die grusische Porm für Petrus
ist Petre, welchem digorisch Pettär entsprechen würde. Der Schluss¬
vocal fiel , der Neigung des Ossetischen zufolge , aus , wie sich
dies auch bei anderen älteren Premdwörtem findet; vgl. grus.
jwari osset. dzuar Kreuz etc. Aus Petre wurde also Pelr,
hieraus aber durch Einschiebung von « Pettär, da ein auf Consonant
tr endigendes Wort im Ossetischen nicht vorkommen darf'). Aus
Don-Pettär musste aber Don-Bettär werden, da den ossetischen
Lautgesetzen gemäss p zwischen Nasal und Vocal zu b wird (vgl.
Miller a. a. 0. II p. 85, 5). Fragen wir nun, wie gerade der
Apostel Petrus zum Wassergotte und zum Schutzgeiste der Pischer
werden konnte, so finden wir die Antwort darauf in den Evangelien.
Aus den Evg. Mattb. 4, 18 und Marc. 1,16 geht hervor, dass Petrus
vor seiner Berufung zum Apostel Pischer war imd Luc. 5, 4—10
ist von dem Fischzuge Petri die Rede. Weiterhin berichtet uns
Matth. 14, 25—31 vom Gange des Peti-us auf dem Meere, wobei
letzterer versank und von Christus herausgezogen wurde. Auch
bei den Russen wird Petrus der Pischer „Pjotr rüibolow'^ verehrt.
Der Plural „Dcmbüttürtä^ wird von den Osseten zur Bezeichnung
von weiblichen Wassergeistern gebraucht (vgl. Miller a. a. 0. I
p. 72 Zeile 15 von oben). In ganz ähnlicher Weise werden auch
die Plurale der ursprünglichen christlichen Heiligen Vatzilla und
Vastürdii angewandt, und zwar zur Bezeichnung von Geistern,
die sich im Kampfe mit den Nart befinden, vgl. Ztsch. 41, p. 534.
So scheint es denn , dass wie die übrigen Heiligen der christlichen
Kirche bei den Osseten alhnähhch zu Volksgöttern wurden , so
auch Petrus vom Schutzbeiligen der Fischer sich in den Wasser¬
geist verwandelte.
Schliesslich sei noch bemerkt, dass in den uns vorliegenden
ossetischen Evangelien und übrigen christlichen Texten der Apostel
Petrus der ursprünglichen grusischen Form gemäss Petre heisst.
Die Form Pettär (dig.), Püttür, Pedtür , Pittir (iron.), welche die
volksthümhche , dem ossetischen Sprachgeist gemässe wäre , würde
sich dem conventionell-kirchlichen Petre gegenüber analog verhalten,
wie deutsch-volksthümlich Peter zu lat. Petrus griech. JIhgog.
1) Das von Miller a. ii. O. II p. 78 angeführte catr Zelt wird, wie mir Hr.
Professor Miller mittheilt, catiir aiisgespruclien und ist wohl späte Entlehnung.
Bd. XLII. 27
2) Alaurdi (dig.), Alardü (iron.) nennen die Osseten den Geist,
welcher die Pocken sendet. Der Glaube an einen besonderen Geist
der Pocken — vor Zeiten der getürchtetsten Krankheit im Kau¬
kasus wegen ihrer AnsteckungstUhigkeit — findet sich auch bei
anderen kaukasischen Völkern. So stellen sich nach Miller a. a.
0. 11 p. 251 die Armenier die Pocken ,als einen blatternarbigen,
gefiügelten Jüngling vor" und von den Grusiem beisst es bei
D ubro win Geschichte des Krieges und der Herrschaft der Russen
im Kaukasus Band I Buch 2 p. 173 (Russisch) Petersburg 1871:
„Die Pocken gelten bei den Grusiem für eine Gesellschaft höherer,
mit Verstand begabter Geister, welche unbedingt jeden heimsuchen".
Auch bei den Abchasen berichtet uns D ubro win a. a. 0. p. 30
von zus-chan, dem Geist der Pocken. In dem Liede an Alardü,
welches uns Miller in seinen ossetischen Texten p. 102 bringt,
(vgl. Ztschr. 41, p. 537) wird derselbe als der Lichte (rüxs) Goldene
(süzghärln) Geflügelte (bazürgin) bezeichnet, seine Plügel werden
noch besonders „golden" genannt. Prof. Miller nimmt Osset. Stud.
II p. 250 an, dass das Epitheton „golden* wohl eine Erinnerung
an die goldgeschmückten Heiligenbilder sei. „Und auch der Name
Alardü" (dig. Alaurdi), meint derselbe Gelehrte ibidem p. 251,
„klingt nicht ossetisch und stellt wahrscheinlich eine Verstümmelung
von etwas Ausländischem dar". Und gewiss hat er darin Recht,
wenn, wie ich vermuthe, digorisch Alaurdi auf den Namen des gra¬
sischen Ortes Alaverd bei Tiflis zurückzuführen ist, wo eine in
ganz Grusien besonders verehrte , Johannes dem Täufer geweihte
Kirche sich befindet. Bekanntlicb ist es in der griechisch-orthodoxen
Kirche Brauch, zu dem Namen des Heiligen den Ort hinzuzufügen,
an welchem eine besonders heilige Kirche steht, wobei der Name
des Ortes allein (obne Hinzufügung des Heiligen) gebraucht wird.
Vgl. russisch „Iwerskaja" „die iberische", (sc. das iwerische Heüigen-
bild der Mutter Gottes), Kazänskaja (ebendasselbe von Kazan)
u. s. w. ; bei den Grusiem soll allein der heil. Georg nach D u b r o -
win a. a. 0. p. 167. 63 Beinamen je nach den Orten seiner Ver¬
ehrung haben. Der Kirche von Alaverd wird nach Duhro win
a. a. 0. p. 143 Heilkraft für alle Krankheiten zugeschrieben, so dass
am 15. September, dem Festtage der Kirche, Massen von Kranken
sich dort versammeln, besonders Prauen, „welche auf den Knien
die Kirche umkreisen, dieselbe mit Fäden umgeben und um Ge¬
sundheit für ihre Kinder und kranken Verwandten bitten". Alaurdi,
Alardü gilt auch speciell für den Heihgen der Prauen bei den
Osseten (Miller a. a. 0. II p. 250). Bei den TuS, welche den
Osseten benachbart sind und deren Volksglauben dem der letzteren
im Grossen vmd Ganzen zu entsprechen scheint, ist Johannes der
Täufer von Alaverd (nach D ubro win a. a. 0. p. 299) einer der
Heihgen, welche besonders angerafen werden; ib. p. 300 wird
berichtet, das Fest dieses Heiligen werde am zweiten Osterfeiertage
begangen bei den TuS, während das Fest des Alaurdi bei den
Osseten in der Thomaswoche — der Woche nach Ostem — statt¬
findet. Nach Miller a. a. 0. II p. 251 und 275 ist dem Alardü
ein Baum beim Aüi Galiat und eine Bethütte (oss. küwändon
Bethaus) beim Aüi Zgä geweiht. Damach hätte der Volksglaube
den Namen eines christlichen Heiligen, — vielleicht auch den einer
Kirche oder eines wunderthätigen Heiligenbildes — welchem be¬
sondere Heilkraft gegen Krankheiten zugeschrieben wurde, auf den
Geist derjenigen speziellen Krankheit übertragen, welche das Volk
am meisten fürchtete.
3) Fälwära gilt für den Schutzgeist der Scbafheerden. Doch
kommt der Name Fälwärä in Millers Texten p. 96, Zeile 20 von
oben geradezu im Sinne von Schutzgeist überhaupt vor. Väddt
drdämä Digaron läg cidgin kanui mudhindzitä ma koumi sä
fälwära Anigölän. Von dann an bis jetzt ehrt der digorische
Mann die Bienen und betet zu ihrem Schutzgeist Anigol (digorisch).
Vgl. diese Ztsch. 41, p. 537, Anm. 2. Das Wort erinnert lautlich
an das Pärsi ferver Pehlevi feroher (aw. fravaSi) imd die Bedeutung scheint auch zu stimmen. Unterstützt wird diese Vermuthung übrigens noch dadurch, dass nach Miller a. a. 0. II. p. 263 bei den digoriscben
Osseten der 6. Monat Fälwära heisst „ungefähr der zweiten Hälfte
des Mai und der ersten des Juni entspricht' — was dem ^jji^j^
Ferverdin der Perser mindestens sehr nahe kommt. Wie konnte
aber ein Wort aus dem Mittelpersischen ins Ossetische eindringen ?
Mir scheint es möglich anzunehmen, dass auch hier die Grusier die
Vermittler abgegeben haben könnten, obwohl ich das Parsiwort
ferver im grasischen nicht nachweisen kann.
Das l in Fälwära ist aus r entstanden dem ossetischen Laut¬
gesetze gemäss, dass r zu ^ wird vor folgendem r (vgl. Hübsch¬
mann, Etymologie und Lautl. d. osset. Sprache p. 107).
Bemerkenswerth scheint mir ferner, dass sich die Osseten die
Welt als auf den Hörnem eines Stieres rahend vorstellen, wie
Gatiew im IX. Bande des Sbornik swedenji o kawkazskix
gortsax in seinem Aufsatze „Vorurtbeile und Aberglauben bei den
Osseten" p. 71 und 72 (Bussisch) mittheilt. Dieser Stier heisst
ossetisch zaxxülxäcäg gal (der die Erde haltende Stier). Eine
ganz ähnliche Anschauung findet sich bei den Persem, vgl. Vullers
Lexieon Persico-Latinum suh ^Ls : jLS^ gäv i zemin taurus
terrae cuixis comibus niti terram fabulantur ; vgl. ferner ib. ^LojLsi
(Pird. ed. Vullers I, 444, Z. 5 v. u.) gävmähl „animal ex bove
et pisce factum, quod in sinu maris habitare dicitur et orbem
dor so vel comibus impositum fert'.
B. Sprachliche Bemerkungen.
1) Osset. fasün kämmen Miller Osset. Studien II p. 181,
III stimmt lautlich zu griech. nixto lat. pec-ten (Ourtius Graud-
züge der griech. Etym."' p. 103--164). Allerdings ist mir aus
27*
den übrigen arischen Sprachen keine entsprechende Form bekannt ;
doch scheint mir beachtenswerth , dass auch im Slavo-Lettischen
nur das Litauische diese Wurzel bewahrt hat (peszti).
2) Oss. qiamät Miller a. a. 0. 1, 94, Zeile 5 von oben,
Ev. Matth. 27, 19, Leiden {straddnje) bei Bischof J o s e f Gescbichte
des Alten Testaments qaimät: vgl. daselbst p. 13, Z. 2 von unten
donäi qaimät Sündflut = wörthch Leiden durch Wasser und qiamät :
p. 122, Zeile 7 von unten qiamätfäkodta er litt und p. 115, Zeile
3 von oben qiamätdzinädtä die Leiden. Das Wort gehört zu
arabisch. ^i>^Uä qiümat Auferstehung, welches ins Persische ein¬
gedrungen ist und dort die Bedeutung res mira; confusio, tu-
multus: terror, perturbatio, constematio angenommen hat (Vullers Lexieon Persico-Latinum).
3) Osset. gal Ochs wird von Miller a. a. 0. III p. 146 als
„entlehnt' bezeichnet. Vielleicht ist das Wort zu küriuisch kal
Kuh, chürkilinisch qwäl zu stellen (vgl. Z agur ski Bemerkungen
über die kürinische Sprache p. 27 im Sbomik swSdenji o kaw¬
kazskix gortsax Bnd. VIII).
4) qdlon Miller a. a. 0. I p. 70, Zeile 4 und 5 von unten
und 72, 6 von oben Abgabe, Zoll = pers. ^.^^^ qalän Jributum,
quad in provincia Shirvan ') subditis imponitur" (Vullers). Wohl tatarischen ürsprungs?
5) „bägänü. Art Bier = pers. j^^äKj begni „potus e.x oryza,
mihö, hordeo, sim. paratus' (VuUers).
1) Die Hevöllterung von Schirvan — jetzt Gouvernement Elisawetpol im sUdlichen Kaukasus — besteht aus Tataren (südlichen oder Aderbeidschanischen) und Armeniern.
Bericht des Ludolf von Sudheim über die Einnahme
von Accre 1294.
Nach einer Darmstädter Handschrift.
Von F. W. £. Roth.
Ludolf von Suchen (Sudheim), welcher 1336—1341 im Morgen¬
lande weilte , verfasste eine Beschreibung desselben als : de itinere
terre sancte et descriptio terre sancte , welche G. A. Naumann in
archives de l'Orient lat. II, 2 (1883) herausgab, nachdem früherhin
Deycks in der Bibliothek des literar. Vereins zu Stuttgart 1851
(XXV) einen ungenügenden Abdruck geliefert hatte. Diese Arbeit
existirt auch deutsch und wurde von Deycks in dessen Schrift:
Ueber ältere Pilgerfahrten nach Jerusalem mit besonderer Rück¬
sicht auf Ludolfs von Suchen Reisebuch des heiligen Landes, Münster 1848. 8". herausgegeben. Ueber Hss. dieser Uebersetzung cf. Deycks
ibid. p. 28—61. Neues Jahrbuch der berlinischen Gesellschaft für
deutsche Sprache und Altertbumskunde VI (1844) p. 52—72 (nach
Hs. in Wolfenbüttel). Kinderling, Geschichte der niedersächsischen
Sprache, Magdeburg 1800, p. 341 (Abscbrift de 1471). Gedruckt
erscbien dann diese Uebersetztmg als: Reyssbuch des heyligen Lands,
Prankfurt 1584 Polio und herausgegeben von Phillipps 1844. cf.
Deycks, Bibl. des litt. Vereins XXV, XXIII.
Von der lateinischen Arbeit Ludolfs gab es im Mittelalter
bereits Auszüge für Solche, denen das Ganze unzugänglich war.
Einen solchen Auszug von Detmar von Huda als liber de terra
sancta von Ludolfus Clippeatoris weist die Wolfenbüttler Hs. No.
766 auf, cf Heinemann, Handschriften in Wolfenbüttel I, 2, sub.
n. 766.
Auch von der deutschen Uebersetzung wurden Auszüge gemacht.
Sowohl die lateinische als deutsche Arbeit Sudheims enthält einen Ab¬
schnitt über Akris, welcher auf diese Weise besonders verbreitet ward.
Die Hs. 485 in Wolfenbüttel de urbe Akkaron 1294 ist ein solcher
Auszug dieses Abschnittes in lateinischer Sprache und das nach¬
stehende Stück, das ich aus Hs. No. 810 Quart, Prg. saec. XIV
mittheile , ein solcher in deutscher Sprache. Der Text der Hs.