Von Vittore Pisani, Mailand
Mit Freude habe ich gesehen, daß der wackere M. Mayrhofer ob.
103, S. 145f. einige Ergehnisse meiner ebenfalls in der ZDMG 102,
S. 62 ff. erschienenen Forschung billigt, daß nämlich rödasi 'Himmel und
Erde' Dual eines Stammes auf Konsonant rödas- ist, dann aber als i-
Stamm angesehen wurde, so daß dazu rödasyos für älteres rödasos und
rödasibhyäm, endlich rödasi Sg. 'Welt' und Rödasi 'Rudras Gattin' ent¬
standen; auch ist M. mit meiner Annahme einverstanden, rödas-i sei ein
elliptischer Dual wie pitdrau 'Vater und Mutter', rödas- müsse demnach
ursprünghch entweder 'Himmel' oder 'Erde' bedeutet haben. Weiter
vermag aber M. meinen Annahmen nicht zu folgen: „Daß rödas- weiblich
sei und ,,zur selben Kategorie von femininischen -as-Stämmen wie usds-
'Morgenröte'" gehöre (S. 63), ist mir schon deshalb unwahrscheinlich,
weil usds- keinen Nom. Dual. *usasi (wie rodasi) bildet, sondern usdsau
(RV 1, 188, 6), usäsä (RV 8, 27, 2, u. a.) und usdsä (RV 3, 4, 6, u. v. a.) ;
formell ist doch rödas- am einfachsten als Neutrum zu fassen". Das
wußte ich schon; gerade deshalb habe ich S. 145 f. zu beweisen ver¬
sucht, daß die ursprüngliche Endung des Nom.-Akk. Du. fem. -i war,
das ich, Oldenberg folgend, noch in dyavi 'Himmel und Erde' und
mdhi 'große' und nun in rödas-i wiederfand. Daß aber rödasi, somit
auch rödas-, weiblich ist, folgt aus dessen Gebrauch imRV, wo es mit
Adjektiven konstruiert ist, die nur femin. sein können : kann man bei
bfhati vigvaminve urüci urvt devdputre sumeke mahl ferner beim Prono¬
men imd} im Zweifel sein, ob es sich um Neutra oder Feminina handelt,
so können vigvdmbhuvä und adrühä nur Maskuhna oder Feminina sein ;
folglich müssen alle Formen als Feminina aufgefaßt werden. Dann heißt
es VI 44, 5 rödasi devi: nun kann devi nur der Nom. Du. von devi- 'Göt¬
tin' sein. Femer bezeichnet rödasi ein Götterpaar, gerade wie dyavi 'Him¬
mel und Erde', eigentl. 'die zwei Himmel', und prthivi 'Himmel und
Erde', eigenthch 'die zwei Erden' : und ich kann mir schwerlich ein sol¬
ches Paar vorstellen, von dem ein Glied neutrius generis, also ein klibas
ist ! Wenn demgemäß rödasi, damit auch rödas- ein Femininum ist, dann
bezeichnet rödas- das weibhche Ghed des Paares: obwohl dyavi auch
fem. ist, doch sollte es sein Geschlecht auf Grund von pfthivi erhalten
haben: gewöhnlich ist in Indien und sonst in der indogermanischen
1 Die Belege in Gbassmanns Wb., Sp. 1185.
Und dennoch Rudra „Der Rote" 137
Welt die Auffassung des Verhältnisses so, daß der Himmel der Gatte
und Vater (Dyaus pitä), die Erde die Gattin und Mutter (Prthivi mätä)
ist. Somit bleibt bestehen — von aUen etymologischen Rücksichten ab¬
gesehen, nur auf Grund der indischen Tatsachen —, daß rödas- die
Erde bezeichnete.
Damit entfällt Mayehofees Auffassung Rudra ,der Himmlische' ; die
Belege, die er S. 148ff. für die Möglichkeit einer solchen Bezeichnung
anführt, besagen übrigens wenig: es ist natürhch, daß zu einem Gott des
indischen Pantheons das Epitheton 'himmlisch' passen kann: doch ist
eine solche Bezeichnung zu allgemeingültig, um die Benennung eines
Gottes abzugeben. Aber auch sprachlich scheint mir die auf den ersten
Bhck bestechende Zusammenstellung (M., S. 147) von rudrd- und rödas-
mit den Paaren ugrd-: öjas-, citrd-: cdtas-, turd-: tdvas- usw. keineswegs
berechtigt: es handelt sich dabei immer um Bildungen aus Verbalwur-
2eln — außer bei rudrd- und rödas- ; sollten diese zwei Wörter aus einer
solchen Wurzel hergeleitet sein, so wäre deren Bedeutung 'weinend' bzw.
'das Weinen' aus rud- 'weinen', weil es m. W. keine sanskr. oder idg.
Wurzel *r{e)ud- gibt, die etwa 'leuchten' oder dgl. bedeutet.
Es ist daher angebracht, zur PiscHELschen Auffassung von Rudra als
'der rote Gott' zurückzukehren. Mayehofee selbst hat dieser Erklärung
mehrmals beigepflichtet und zählt gefhssenthch in seinem Aufsatz
S. 142 ff. die Gründe auf, die für sie sprechen, und die Gelehrten, die sie
angenommen haben, so daß ich mich einer neuen Aufzählung derselben
enthoben fühle: nur möchte ich unterstreichen, daß Qiva-Rudra seit
vedischer Zeit als roter Gott beschrieben und bildlich dargestellt wird.
„Daß die Bedeutung 'rot' unserem Götterepithet sachlich gut entsprechen
würde, dessen bleiben wir bewußt" sagt M., S. 145: es seien lauter
sprachhche Gründe, die ihn veranlassen, diese Auffassung preiszugeben.
Sind doch solche Gründe so stark, daß sie uns zwingen, eine sachlich so
gut fundierte Auffassung zu verlassen? M. selbst schätzt sie als guter
Kenner der indischen Sprachgeschichte nicht allzu hoch ein und nennt
S. 142 mit Fußn. 6u. 7 die Argumente, die man gelten lassen darf , um eine
Grundform *rudhrd- neben rudhird 'rot' anzunehmen und den Schwund
der Aspiration^ zu erklären. So ist man ein wenig überrascht, wenn M.
auf S. 145, nachdem die sachliche Seite der Erklärung von rudrd- als
'rot' gebilligt wurde (s. o.), die sprachlichen Tatsachen dagegen gelten
lassen wiU. Die Überraschung wächst noch, wenn man im folgenden Satz
1 Man könnte auch mit einem Schwanken rechnen, das dank der Ein¬
mischung des Wortes für ,Kupfer' aus siuner. urud im altidg. *reudh- ,rot'
entstanden ist, vgl. Ipsen, IF XXXIX, S. 235f.; W.-P. II, S. 360. Freihch
möchte Kbetschmeb, Glotta XXXII, S. llff. sumer. urud eher als Ent¬
lehnung aus dem Idg. ansehen : ob mit Recht, bezweifle ich.
diese Tatsachen nicht in der Schwierigkeit sieht, rudhird- und rudrd-
zusanimenzubringen, sondern darin, daß es M. unmöghch scheint, den
anderen Namen des Gottes, Qiva, mit dem tamihschen Verbum <^iva-
zu verbinden. Also: es wäre sprachlich möglich, daß rudrd- mit ru¬
dhird- 'rot' eins ist, und diese Auffassung ist sachlich sehr angebracht ;
wenn aber ein weiterer sachlicher Grund, die Erklärung des Namens
^iva als 'rot' aus sprachlichen Gründen entfallen sollte, so wäre auch die
Erklärung von rudrd- als 'rot' aufzugeben. Ohne diesen weiteren Grund
würde M. die Gleichung rudrd- = rudhird- nicht beanstanden!
Wie steht es aber mit dieser Parallele Rudra 'rot' = Qiva 'rot' ?
Mayrhofer sagt, ^iv- (geschrieben civ-) sei die heutige Aussprache in
einer einzigen Dravidasprache, dem Tamil, dagegen könne man von einer
gemeindravidischen Wurzel *ki *ke 'rot' sprechen, deren k- noch in den
meisten Dravidasprachen vorhanden sei ; nur in einigen ist dieses k- zu
c- palatalisiert worden, nur im Tamil ist dieses 6 weiter zu f - entwickelt :
nun sei es wenig glaubwürdig, daß die Arier den Götternamen ^iva
direkt aus dem Tamil entlehnt haben. Diesen vernünftigen Schluß unter¬
schreibe ich ohne Zögern.
Ob etwa die Arier den Namen in der Form *kiva entlehnt haben?
Schon in meinen Studi sulla preistoria delle Ungue indeuropee (Memorie
deir Accad. dei Lincei, VI. IV. VI, 1933, Kap. I) habe ich auf Grund rein
innerindischen Beobachtungen den Satz aufgestellt, daß erst im Indi¬
schen idg. k zu g geworden, während in gemeinarischer Zeit die vorind.
Dialekte noch k besaßen. Diese Behauptung wird nun von der Betrach¬
tung der von den Ariern erst in ihren geschichtlichen Sitzen entlehnten
Wörtern bestätigt, die einen Sibilant statt k eingeführt haben: vgl.
sanskr. paraqüs: gr. ttsXsxui;!, gabdla-: xepßepo?, ferner auf iranischem
i Über dieses Wort und sein Verhältnis zu akkad. pilakku oder pilaqqu
{sumer. balag ist eine Täuschung, vgl. Ipsen, IF XLI, S. 177) ist zuletzt von
Kbetschmeb, Glotta XXXII, S. 11 und M. Falkneb in den von Bbanden¬
stein herausgegebenen „Studien zur idg. Grundsprache" 1952 gehandelt
worden. Der erstere führt eine Beobachtung Landsbeegebs an: „Da pilakku
{pilaqqu) 1. .Spindel' und 2. eine Waffe, beide mit Ideogramm GIS. BAL
unmöglich voneinander getrennt werden können, ergibt sich obige Bedeutung, nämlich , Stilett' ". Etwa dasselbe bemerkt, unter Hinweis auf Landsbeboeb,
M. Falkneb. Und dennoch möchte ich der älteren Auffassung als .Beil',
gerade wegen der Homonymie mit .Spindel', festhalten. Der Wirtel dieser
alten Spindel ist gewöhnlich kegelförmig, es hat daher von der Seite an
gesehen das Aussehen eines Dreieckes, dasjenige also eines schematisierten
Beilblattes. Das bei Falkneb abgebildete älteste Schriftzeichen für BAL
— ein von einer pfeilförmigen Linie durchquertes Dreieck — ist, trotz der
Meinung der ausgezeichneten Forscherin, ebenso für .Beil' wie für .Spindel'
bezeichnend: im ersteren Falle stellt das Dreieck das Blatt, die Linie den
Holm dar ; im zweiten ist durch die Linie die Spindel, durch das Dreieck der Wirtel angedeutet.
Und dennoch Rudra „Der Rote" 139
Gebiete npers. serv: xuTtapicrcroc, avest. araT>rea- : ipiyvrj, aräneus (vgl.
IF LVI, 1938, S. 285 ff.; Rivista degli Studi Orientali XVIII, 1939,
S. 91 ff.). Dravidisch *kiva zn Qiva bietet mir einen wihkommenen wei¬
teren Fall.
Freilich möchte Mayrhofer den Götternamen Qiva dem sicher idg.
Adjektivum givd- lieb, freundhch, günstig' gleichsetzen; es sei dies ein
dem Rudra beigelegtes Epitheton, das den furchtbaren Gott gnädig
stimmen sohte. Das ist eine an sich nicht zu verwerfende Erklärung:
warum sollte denn gerade dieses Epitheton zum Namen kat'exoch^n
eines so andersgestalteten Gottes werden? Jedenfalls glaube ich
nicht an die alte Fabel, wonach das Femin. givä 'Schakal' zur captatio
benevolentiae des ominösen Tieres dienen soll. Eher bewahrt dieses f?'m
den alten Wert des (dravidischen) Adjektivums als Farbebezeichnung,
wie das Maskulinum und Neutrum giva- in einigen von den Lexikogra¬
phen angegebenen Bedeutungen, z. B. 'the swift antelope', 'a ruby',
'rock-salt', 'iron', usw.i Der Schakal ist zwar gelblich: meine Unkennt¬
nis des Dravidischen verbietet mir zu entscheiden, ob dennoch die an¬
gedeutete Möglichkeit zu Recht angenommen werden kami-.
Vgl. Monier Williams s. v.
2 In dem erstklassigen Aufsatz von R. N. Dandekar, Rudra in the Veda,
Poona 1953 (reprinted from the Journal of the University of Poona, No. 1,
pp. 94—148) wird wiederholt Rudras Eigenschaft als „der Rote" behandelt, insbes. S. 29, 32, 38—42. Auf S. 29 sagt D. u. a.: „In primitive thought, the red colour is closely associated with death. It may be pointed out in this con¬
nection that äiva is connected with death — perhaps in a more marked
manner. 6iva lives in the smaSäna" usw. Zwei Seiten später kommt D. auf
Rudra als Gott des Todes zurück und behandelt dessen Beziehungen zu
Yama. Ich möchte daran erinnern, daß Yama, als er in der Savitri-Episode
des MBh. erscheint, um dos Satyavant Seele mit sich zu führen, ein rotes
Kleid trägt : apacyat (die SävitrI) purusarn raktaväsasam (MBh. III 281, 8 P.).
So ein Teil der Hss. ; die anderen haben pitaväsasam, was Sukthankar in der
Poona-Ausgabe bevorzugt hat: pltamäsas - ist doch eher Vi§nu. Raktaväsas-
miissen nach Manu VIII 256 die Zeugen sein, dio zur Bestimmung der Grenze
herangerufen worden : ob sie rote Kleider tragen als Vertreter des ebenso ge¬
kleideten Yama, der aucb Gott des Rechtes ist ?
Das Kapitel „Tiger" im T'ai-P'ing Kuang-Chi
' Von Weener Eichhorn, London
Unter dem Zeichen hu (^) findet sich im T'ai-p'ing kuang-chi eine
Sammlung von achtzig kürzeren oder längeren Geschichten sowie einige
allgemeine Bemerkungen über ,, Tiger", die zum weitaus größtem Teil
\ Werken der Hsiao-shuo (/J^ Literatur entnommen sind.
Bevor wir in eine Betrachtung dieses Kapitels eintreten, ist es ange¬
bracht, einige allgemeine Daten über das T'ai-p'ing kuang-chi ins Ge¬
dächtnis zu rufen.
Im Jahre 977 n. Chr. gab der zweite Kaiser der Sung-Dynastie einen
Befehl an Li Fang und zwölf andere von den früheren Dynastien
übernommene, namhafte Gelehrte, ein großes encyclopaedisches Werk
zu kompilieren, das alle ähnlichen, älteren Werke in sich vereinige. Zu¬
gleich aber ließ er ein umfassendes anderes Werk zusammenstellen, das
ebenfahs in encyclopaedischer Gruppierung Materialien brachte, die von
der aufgestellten Redaktionskommission aus Werken der unautorisierten
Geschichtschreibung (if Jt), den Biographien der Heihgen und Weisen
(i^ Iß) und allen Arten der Hsiao-shuo-Literatur gesammelt wurden.^
Dies letztere wurde zuerst fertig nämlich drei Jahre nach Erteilung
des Auftrages und erhielt den Titel T'ai-ping kuang-chi (^((j Zji J^- |jj )_ Die
eigentliche Encyclopaedic, T'ai-p'ing yü-lan, wurde erst um 983 voll¬
endet. Nach der FertigsteUung wurde sofort mit dem Druck der Werke
begonnen.
Von dem Kuang-chi, das seinem Charakter nach für die Studien der
Gelehrten kaum oder gar nicht in Betracht kam, wurden nur wenige
Exemplare herausgegeben und die Druckplatten schließlich im T'ai-
ch'ing-Palastgebäude aufbewahrt . ^
1 Vgl. T'an K'ai's Vorwort in der Pekinger Ausgabe von 1934. — Unter
den zwölf Kompilatoren des Kuang-chi befinden sich zwei Gelehrte, die
selber als Verfasser vonHsiao-.shuo-Werkenhervorgetreten sind. Es sind dies
Hsü Hsüan der Verfasser des Chi-shen lu, das z. B. auf der dem
Kuang-chi vorangestellten Titelliste erscheint, und ferner Wu Shu (^
der Verfasser einer kleinen Sammlung von Abenteurergeschichten Chiang-
Huai i-jen lu {l£ \^), dessen erhaltene Teüe z. B. in der Sammlung
Lung-wei pi-shu (2te Smlg.) abgedruckt sind. Nähere Angaben über die
beiden Autoren usw. finden sich in Lu-hsün's Chung-kuo hsiao-shua shih-lüeh,
p. 239—40 (Werke, 1946, Vol. 9).
2 Vgl. Szu-k'u ch'üan-shu tsung-mu t'i-yao.