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logos pathos l ethos ethos et pathos

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1. Einleitung

Tutto è opposizione nel calcio, dalle due squadre, globalmente, ai duelli attaccanti- di fensori interni alla partita, fino all’opposizione fra ‚l’esserci‘ e il ‚non-esserci‘ […]. In quanto spettatori, poi, noi interpretiamo i messaggi e ne diamo giudizi di valore riflet- tendo le interpretazioni dell’arbitro, il lecito contrapposto al non-lecito, il premio con tro la ‚punizione‘. Il ‚bello‘, l’azione elegante, il ‚brutto‘, l’errore, la scorrettezza inutile. […] Ma la sostanza del gioco chiama ad identificarsi con una squadra con una forma di simpatia generica, con una forma di malattia, il ‚tifo‘. La mia squadra sono ‚io‘, siamo ‚noi‘.

Dalla mia squadra io ‚aspetto‘ il successo […] Nasce l’opposizione ultima: ‚noi/altri‘. […]

Questa è dunque la struttura del gioco: il favorevole contrapposto allo sfavo revole. […]

Come riflesso della struttura del gioco si situa la lingua che racconta il calcio: quella dei giornali, della radio, della televisione. (Bettanini, 1970: 8f.)

Anto nio „Tonino“ Bettanini beschreibt in obigem Zitat auf treffende Weise, wie der Fußball als körperliche Handlung die Sprache prägt, mit der man ihn beschreibt. Das Zitat birgt einen Hinweis darauf, dass – wann immer es um Fußball geht – der Redner oder Schreiber sich in gewisser Weise entscheiden muss für eine Seite der Dichotomie des Guten und Schlechten, des Schönen und des Hässlichen. Bettanini spricht einerseits die Perspektive des „Ichs“ an und refe riert auf die Erwartungen des Fans, des tifoso. Auf der anderen Seite geht es ihm um die Erzählerperspektive, also darum, wie ein Fußballspiel medial erzählt wird. Erzähler und tifoso stehen sich somit gegenüber: Ersterer generiert eine persuasive Botschaft für Letzeren mit der Intention einer erfolgreichen Wertevergemeinschaftung. Die Sprache der Erzählung wiederum reflektiert die Beschaffenheit des Sports an sich: Das Schöne schreit nach Lob, das Hässliche nach Tadel. Und genau diese Zweiteilung führt letzt lich dazu, dass ein Bericht über ein Fußballspiel als argumentativer Text betrachtet werden muss: Der Lobende muss sein Lob rechtfertigen, der Tadelnde muss den Tadel ebenfalls argumentativ stützen können (auch wenn dies nicht explizit vom Rezipienten gefordert wird).

Das Konzept der Argumentation wird in der vorliegenden Untersuchung daher nicht – wie es häufig im umgangssprachlichen Gebrauch wie auch in den meisten wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Forschungsgegenstand geschieht – auf Fälle wie Streitgespräche, Plädoyers vor Gericht oder wissen- schaftliche Abhandlungen begrenzt. Argumenta tion bedeutet im Folgenden nämlich in einer weiten Lesart allgemein, eigene Urteile zu belegen, sie vertret- bar und nachvollziehbar zu machen. Die Grundidee der vorliegenden Arbeit ist, diese Auffassung einer Argumentationstheorie auf einen modernen schriftli- chen Diskurs, der im allgemeinen alltagssprachlichen Verständnis nicht als

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typisch argumentative Textsorte gilt, anzuwenden. Dabei soll gezeigt werden, dass eine solche nicht als prototypisch argumentativ erscheinende Textsorte argumentative Strukturen aufweist, und die Frage geklärt werden, welche Fakto- ren diese Argumentativität bedingen.

Das im Hinblick auf dieses Vorhaben ausgewählte Textkorpus wird in Kapitel 2 zunächst in seinen historischen und soziokulturellen Kontext eingebet- tet: Es erfolgt ein knapper Abriss der Geschichte des Fußballs in Deutschland und Italien, wobei der soziokulturelle Stellenwert der Sportart be leuchtet wird, um eine Brücke zwischen dem Textinhalt und den argumentationsspezifischen Merkmalen der Textsorte zu schlagen. Denn diese sind nicht zuletzt darin begründet, dass der hohe soziale Stellenwert den (Fußball-)Sport zu einem modernen populärkulturellen System von Werten und Einstel lungen macht. Die Verknüpfung von Inhalt und Struktur ist aus dem Grunde von Nut zen, dass – wie Bettanini im oben zitierten Text erklärt – der Sport in all seinen Facetten, den rein sportli chen, den kulturellen, den historischen usw., stets die ihn beschreibende Sprache prägt. Zum besseren Verständnis dieses Vorgangs wird daher eruiert, wie die untersuchte Textsorte sich zu der Form, in der sie heute existiert, entwickelt hat, von welchen Vorgängern sie sozusagen abstammt.

Es wird davon ausgegangen, dass der Emittent die Persuasion des Rezipienten im Sinne der von ihm vertretenen Werte und Einstellungen intendiert. Die Argumentation stellt dabei jedoch lediglich einen Teilbereich der rednerischen bzw. schreiberischen Gesamthandlung des Emittenten dar, welche das Ziel einer erfolgreichen Persuasion erfüllen soll. Zur genaueren Analyse dieses Phänomens wird das Konzept des persuasiven Diskurses zunächst in seine drei unterschied- lichen aristotelischen Ebenen unterteilt:

Si dans une argumentation dubitative l’objectif du logos est d’amener à une réflexion rationnelle, le but poursuivi ici est d’infléchir par les moyens du pathos et de l’ethos la motivation du lecteur de manière à conforter ses craintes et ses attentes en symbiose avec les valeurs du contexte socio-culturel. L’argumentation du portrait sportif est, comme le dit Charaudeau du discours politique: ‚une mise en scène persuasive dans laquelle, sur fond d’imaginaire de vérité, ethos et pathos se taillent la part du lion‘ mais avec des moyens plus ludiques (Hammer/Bastian, 2009: 313; Hervorhebungen: AU).

Logos, Pathos und Ethos werden im Anschluss sukzessive jeweils in zwei Schritten abgehandelt: erst durch eine theoretische Erläuterung, dann durch Anwendung auf das Textkorpus. So steht in Kapitel 3 die Entwicklung eines adäquaten Argumentationsmodells im Vordergrund, das sich auf eine lob- oder tadelorientierte monologische Rede anwenden lässt und die textsortenspezi- fische Ausprägung der Argumentation auch in visueller Form verdeutlicht. In

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Kapitel 4 wird das Modell auf die Korpustexte angewandt. Dabei kristallisieren sich bestimmte wiederkehrende argumentative Strukturmuster auf einer obersten Hierarchieebene des Textes heraus, die an Beispielen erläutert und mithilfe des Analysemodells auch graphisch dargestellt werden. Die Verteilung dieser Muster im Korpus wird sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hin sicht unter die Lupe genommen, sodass sich einige Hypothesen über die Beschaffenheit und die relative Häufigkeit der ermittelten argumentativen Strukturen von Fußballspiel berichten formulieren lassen.

In den oben zitierten Zeilen Bettaninis ist neben der opposizione, die das Spiel und den damit verbundenen Diskurs wie ein roter Faden durchzieht, auch die Rede von giudizi di valore, von brutto e bello, sfavorevole e favorevole sowie von simpatia. Und wenn man einmal flüchtig über Schlagzeilen in der Fußballberichter stattung nachdenkt, wird schnell klar, dass insbesondere die Dichotomie von Freud und Leid eine bedeutende Rolle dort spielt. Dadurch stellte sich zu Beginn der Untersuchung die Frage, inwiefern Emotionen in der Fußballberichterstattung an der Argumentation beteiligt sind. Ausgehend von einer recht vagen Intuition bezüglich einer Rolle der Emotionsthematisierung und des Emotionsausdrucks des Emittenten, die sich häufig für die Textsorte konstatieren lassen, entstand die Idee, herauszufinden, was genau mit diesen sprachlichen Emotionscodierungen auf persuasiver Ebene bezweckt wird und in welcher Beziehung sie zur argumentativen Textstruktur stehen. Dabei wird der theoretische Ansatz der klassischen Rhetorik invertiert, indem man nicht bei der Wirkung ansetzt, sondern bei der Ursache: Pathos und Ethos wirken als die beiden Bestandteile der Rede, welche sich die menschlichen Emotionen als perlokutive Effekte, also als Wirkung für den argumentativen Zweck der Rede zunutze machen.

Dabei sollen diejenigen sprachlichen Mittel im Mittelpunkt stehen, in denen Emotionen als perloku tive Effekte durch Darstellung von Emotionen auf der Textebene ausgelöst werden, also als Ursache auftreten. Aus der klassischen Perspektive heraus müsste man alle sprachlichen Einheiten untersu chen, die potenziell emotio nale Reaktionen beim Rezipienten auslösen. Dieser Ansatz würde allerdings ein Einbeziehen von Faktoren voraussetzen, die über die Grenzen der Textebene hinausge hen, nämlich von tatsächlich beim Rezipi- enten erreichten perlokutiven Effekten. Die im Folgenden durchgeführte Untersuchung verfolgt jedoch ausschließlich ein linguistisches Ziel und bezieht sich somit auf das, was für eine Beobachtung zugänglich ist: schriftlich thema- tisierte oder manifestierte Emotionen. Die Rolle der Emotionen in der Fußballberichterstattung wird deshalb daraufhin geprüft, ob und wie die sprachliche Thematisierung von Emotio nen argumentativ genutzt wird bzw.

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wo eine emotionale Involviertheit des Emittenten sprachlich direkt oder indirekt signalisiert wird. So ergeben sich die nächsten beiden Untersuchungs- schritte der Arbeit: Kapitel 5 behandelt nach einigen terminologischen Differenzierungen und definitorischen Entscheidungen die Frage, wie sprach- lich auf Emotionen referiert wird, mit Blick auf die verschiedenen Modalitäten des sprachlichen Thematisierens (Kap. 5.3), des Ausdrucks (Kap. 5.4) und der Induktion (5.5). Kapitel 5.5 dient einem theoretisch orientierten Blick auf die sprachlichen Möglichkeiten des Induzierens von Emotion im Rezipienten, welches vom Emittenten durch Argumentation sowie durch Manifestation eigener emotionaler Involviertheit potenziell erreicht werden kann. In Kapitel 6 werden die behandelten Modalitäten der Emotionscodierung schließlich an Beispielen aus dem Textkorpus exemplifiziert: Die zuvor erläuterten Mittel der Emotionszuschreibung werden im Unterkapitel 6.1 anhand von Textaus- schnitten mit Beispielen belegt und hinsichtlich ihrer Funktion innerhalb der argumentativen Textstruktur geprüft. Die Frage, ob der emittentenbezogene Emotionsausdruck schließlich auch eine eigene argumentative Rolle innerhalb der ermittelten Argumentationsstrukturen innehat, wird in Kapitel 6.2 beant- wortet und mit Beispielen aus dem Korpus illustriert. Aus den bis hierher dargestellten Fragestellungen und methodischen Vorüberlegungen ergeben sich für die Untersuchung die folgenden zentralen Quaestiones, die in der vorliegenden Ar beit beantwortet werden sollen:

1. Generiert der Sport einen argu mentativen Diskurs? (Kapitel 2)

2. Welches sind die Defizite der bestehenden Optionen der Argumentations-darstellung im Hinblick auf die Visualisierung, und wie können diese durch die Entwicklung eines geeigneten Modells gelöst werden? (Kap. 3)

3. Zeigen sich in den Fußballspielberichten wiederkehrende argumentative Makro- strukturen der obersten makrostrukturellen Ebene, und wenn ja welche? (Kap. 4) 4. Wie wird Emotion sprachlich thematisiert? (Kap. 5.3)

5. Durch welche sprachlichen Mittel wird Emotion als perlokutiver Effekt erzielt? (Kap.

5.4 und 5.5)

6. Besitzt die Modalität des Sprechens-über-Emotionen eine argumentative Funktion?

(Kap. 6.1)

7. Besitzt der Emotionsausdruck des Emittenten als persuasives Mittel auch eine argu- mentative Funktion? (Kap. 6.2)

In Kapitel 7 werden schließlich exemplarisch vier vollständige Texte aus dem Korpus analysiert, sodass das Zusammenspiel von Argumentationsstruktur und Verbalisierung von Emotionen deutlich wird. Das achte und letzte Kapitel stellt abschließend noch einmal alle Ergebnisse der Untersuchung in einer Gesamt- schau dar, greift die wichtigsten Erkenntnisse resümierend auf und präsentiert

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die weiterführenden Forschungsfragen, die sich aus diesen Erkenntnissen ableiten lassen.

Die Fußballberichterstattung erfreut sich seit geraumer Zeit in der Sprachwis- senschaft zunehmender Aufmerksamkeit: Nachdem sich zuerst Caretti (Lingua e sport, 1973) mit der Sprache rund um den Fußball in Italien beschäftigte und eine Art Vokabelheft für fußballspezifische Anglizismen herausbrachte, nahm einige Jahre später Schweickard (1987) mit seinem Standardwerk Die

„cronaca calcistica“ erstmals die Sprache des Fußballs in den italienischen Medien genauer unter die Lupe. In der Folge wurde diesem Diskurs lediglich vereinzelt Beachtung geschenkt, wie z.B. mit der 1998 erschienenen Aufsatz- sammlung Schwerpunkt: Fußball in Italien, in der sich u.a. der italienische Sport- journalist Gian Paolo Ormezzano mit den Wechselwirkungen von Presse und Fußball beschäftigte. Nach der Jahrtausendwende wurde dem Genre dann wieder verstärkt Aufmerksamkeit verliehen: Neben einzelnen Aufsätzen (etwa Schmitt, 2006)1 erschienen im Jahre 2008 gleich zwei Aufsatzsammlungen zum Thema, nämlich Sportsprache in der Romania von Born und Lieber sowie The Linguistics of Football von der sogenannten Innsbrucker Fußballforschungs- gruppe (The Innsbruck Football Research Group) (Lavric et al., 2008). Dieser sprachwissenschaftliche Fußball-Boom ist vor allem auf die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung dieses Sports zurückzuführen, der sich vom Sport als privater Freizeitbeschäftigung zum Berufssport mit starker Repräsentation in

1 Ebenfalls im Jahre 2006 wurde unter dem Titel „Matchwinner und Pechvögel. Ergeb- niserklärung in der Fußballberichterstattung in Hörfunk, Internet, Fernsehen und Printmedien“ die Dissertation von Christian Schütte publiziert. Dabei handelt es sich um eine als linguistisch angelegte Untersuchung (Schütte, 2006: 10), die wesentliche sprachwissenschaftliche Ansätze zum Thema Argumentation gänzlich und absicht- lich ausklammert (a.a.O.: 57). Daher kommt es bei der Bestimmung der Termino- logie zunächst zu einer Generalisierung der Intention von Fußballspielberichten, die Schütte ausschließlich in der Ergebniserklärung sieht. Infolgedessen kommt es schließlich auch zu einem begrifflichen Wirrwarr. Nachdem nämlich zunächst die Erklärung ausdrücklich von der Begründung differenziert und letztere als irrelevant für die Analyse bezeichnet wird – eine Entscheidung, die weiter nicht begründet wird – heißt es beispielsweise im abschließenden Teil der Arbeit unter der Über- schrift „Subjektivität von Ergebniserklärungen“: „Stattdessen scheint jedoch eher die Einstellung verbreitet zu sein, lieber eine schlecht begründete Erklärung abzugeben als sich einer Erklärung zu enthalten“ (a.a.O.: 411). Infrage gestellt werden soll hier Schüttes Ansatz, die Basisfunktion der Fußballberichterstattung ausschließlich in der Ergebniserklärung zu verankern, eine Annahme, die aus keinem Journalistenhand- buch, keinem Pressegesetz und auch keiner von ihm zitierten Studie hervorgeht.

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den Massenmedien bis hin zum eigenen Wirtschaftszweig entwickelt hat (vgl. Beisenherz, 2011: 1). Diese Wechselwirkung der Interessen konstatiert beispielsweise auch Fischer:

Das Phänomen ‚Fußball‘ bildet gerade bei der Austragung internationaler Wettkämpfe eines der häufigsten und wichtigsten Gesprächs- und Streitthemen in der Medienwelt und ist inzwischen zur gesellschaftlich ‚wichtigsten Nebensache der Welt‘ erklärt worden. Solche Ereignisse werden oft emotional erlebt, was wiederum in der Sprache seinen Niederschlag findet. (Fischer, 2008: 120)

Der Fußball und sein kollektives emotionales Erleben sind für die Sprachwissen- schaft u.a. deshalb von Bedeutung, weil ausgehend von der Annahme, dass alles Erleben durch Sprache erst vermittelbar wird, der Sport ein Feld von sprachlich codierten Emotionen offeriert. Jene sprachliche Emotionscodierung ist Bestandteil der modernen Online-Fußballberichterstattung im Sinne eines argumentativen Diskurses von Lob und Tadel nach Aristoteles. Die Frage, ob und wie sie am Argumentationsaufbau teilhat, ist der zentrale Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

1.1 Persuasion

Da in der deutschen und italienischen Alltagssprache der Begriff der Persua- sion gleichbedeutend mit dem negativ behafteten Ausdruck ‚Überredung‘ ist2, der auf ein manipulatives Verfahren hindeutet, soll im Folgenden geklärt werden, wie der Terminus in der aktuellen sprachwissenschaftlichen Argu- mentationsforschung definiert und verstanden wird. Es soll deutlich werden, dass die neuere Forschung dazu tendiert, den persuasiven Diskurs nicht als manipulative Technik, sondern als gedanklichen Argumentationsvorgang

2 So heißt es im Duden (62007): „Persuasion, die […]: Überredungs[skunst]“ sowie

„überreden […]: durch {eindringliches Zu}reden dazu bringen, dass jmd. etw. tut, was er ursprünglich nicht wollte“ und im Zingarelli (121994) entsprechend: „persu- asione […] 1 Atto, effetto del persuadere o del persuadersi“ und „persuadere […] 1 Indurre qc. a credere, dire o fare qc. […] (raro) P. il falso, la verità, far credere il falso, la verità“. Zum Begriff ‚Persuasion‘ und seiner alltagssprachlichen Verwendungsweise vgl. auch: „Persuasion [lat., zu persuadere ‚überreden‘] […] 1) bildungssprachlich für: Überredung. 2) Kommunikationswissenschaft: (sprachl.) Form der Beeinflus- sung mit dem Ziel, auf den Adressaten im Hinblick auf bestimmte Meinungen und Handlungen einzuwirken. P. kann im Sinne eines Überzeugungsprozesses (in Form eines argumentativen Diskurses, rational) oder eines Überredungsprozesses (Sprach- manipulation, emotional) ablaufen.“ (Brockhaus, 212006, Bd. XXI, unter Persuasion).

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aufzufassen, wie Eco bereits in seinem Semiotik-Standardwerk La struttura assente andeutet:

[N]ella maggior parte dei nostri rapporti comunicativi le varie funzioni, dominate da quella emotiva, tendono a realizzare un messaggio persuasivo. [L]a retorica, da arte della persuasione – intesa quasi come sottile inganno – viene sempre più riconosciuta come tecnica di un ragionamento umano. (Eco, 62004: 83f.)

Genau um diese „tecnica di un ragionamento umano“, die Eco anspricht, soll es gehen: Die Rhetorik ist nicht zwingend Mittel der Manipulation. Sie kann mani- pulativ genutzt werden, aber vorrangig ist sie die Kunst des Erklärens, Rechtfer- tigens und Begründens. Bereits in der klassischen Rhetorik nämlich bildet die Argumentation das „Herzstück“ des persuasiven Diskurses: Mortara Garavelli spricht vom „discorso persuasivo, che ha nell’argomentazione il suo fulcro e la sua ragion d’essere“ (112008: 49). Dies bedeutet gleichzeitig, dass zum persuasi- ven Diskurs neben der logoszentrierten Argumentation weitere Techniken gehören, die den Rezipienten bezüglich der im Diskurs vertretenen These(n) beeinflussen. So heißt es bei Herbig/Sandig:

Im Bereich der hier zu diskutierenden sprachlichen Formen persuasiver Kommunika- tion sind zu unterscheiden a) nicht-argumentative Formen und b) argumentative Formen der Beeinflussung. Beide Formen sind bereits im griechischen‚ ‚ethein‘ bzw.

im lateinischen ‚persuadere‘ angelegt. Daß die argumentative Form persuasiver Kommunikation ein ihrer Grundstruktur und ihrem Anspruch nach ‚rational-reflexives Verfahren‘ darstellt, bedeutet dabei nicht, daß sie frei von persuasiven Zusätzen oder

‚rhetorischen Mitteln‘ sein muß. Im Gegenteil: Argumentationen können in unter- schiedlichen Stilen durchgeführt werden, und persuasive Zutaten gehören dabei in der Regel dazu ‚wie das Salz in der Suppe‘. (1994: 62)

In der klassischen Rhetorik wird der persuasive Diskurs in drei Bestandteile mit pragmatisch unterschiedlichen Funktionen unterteilt: docere, movere, delectare (vgl. Mortara Garavelli, 112008: 66; Lausberg, 21973: § 257). Nach der aristoteli- schen Lehre war eine Rede dann überzeugend, wenn sie informierte, bewegte und gefiel. So heißt es für die klassische Rhetorik bezüglich der narratio:

Als Ziel der narratio ist innerhalb des allgemeinen persuadere besonders das docere angesehen, […] Neben dem docere kommen aber auch die beiden anderen Teile des persuadere, das delectare und das movere zur Auswirkung […]. (Lausberg, 21973: § 293)

Docere, delectare und movere dienen also gemeinsam dem Ziel der persuasio. Sie sind die drei Mittel der Überzeugung, die bei Aristoteles mit Logos, Ethos und Pathos bezeichnet werden:

Von den Überzeugungsmitteln, die durch die Rede zustande gebracht werden, gibt es drei Formen: Die ersten nämlich liegen im Charakter des Redners, die zweiten darin, den

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Zuhörer in einen bestimmten Zustand zu versetzen, die dritten in dem Argument selbst, durch das Beweisen oder das scheinbare Beweisen. (Aristoteles, Rhetorik: I, 2, 1356a)

Argumentatio und narratio fallen, so Lausberg, in den Bereich des docere. In der klassischen Rhetorik umfasst der Begriff der persuasio als Oberbegriff die Argumentation und die Narration (vgl. Mortara Garavelli 112008: 13). So ist die Argumentation Teil des persuasiven Diskurses, wobei sie sich grob in die beiden Teilbereiche demonstratio und confutatio einteilen lässt (a.a.O.: 61). Die confuta- tio bezeichnet die Gegenargumentation, das Widerlegen der Gegenthese bzw.

der Gegenargumente, während die demonstratio die Pro-Beweisführung meint.

Das persuadere […] als die Gewinnung des Publikums für die Entscheidung der res im Sinne der Partei des Redners wird in die drei Grade des docere, delectare, movere unterteilt […]. Hiervon richtet sich das docere an den Intellekt, während das delectare und das movere sich an das Gemüt wenden. […] Das docere […] ist der intellektuelle Weg der persuasio, der besonders in der narratio und in der argumentatio eingeschlagen wird: […] Es gibt also zwei Formen des docere: den narrativen Bericht und die schluß- folgernde Argumentation. (Lausberg 21973: § 257; Fettdruck: AU)

Bereits seit der Rhetorik von Aristoteles wird zwischen dem persuasiven und dem demonstrativen Diskurs unterschieden, indem man dem persuasiven Diskurs solche Reden zuordnet, bei denen dem Adressaten die Rolle des Entscheidungsfällers zukommt. Die demonstratio hingegen verlangt keine Stellungnahme des Rezipienten zur dargestellten Problematik, sondern sie dient lediglich der „Exhibition der Redekunst“ (Lausberg 21973: § 239):

Da der Gegenstand der Rede ihn nichts angeht, kann er an dem ernsthaften Vorhaben des Hauptpublikums nicht teilhaben. Der Zuschauer ‚abstrahiert‘ von diesem ernsthaf- ten Vorhaben, er läßt stattdessen die Rede als Kunstwerk auf sich wirken und beurteilt sie nach ihrer Kunstfertigkeit. (Ebd.)

Es handelt sich um Kategorisierungen auf verschiedenen Ebenen: Auf der einen Seite ist die demonstratio als logoszentrierte Beweisführung Teil einer Argumen- tation, andererseits soll sie nicht auf ein Publikum einwirken und ist daher nicht persuasiv. Wenn aber die demonstratio stets Teil einer Argumentation ist, kann nicht behauptet werden, dass sie niemals rezipientorientiert ist: Selbst wenn man das Argument der Nicht-Rezipientenorientierung aufrechterhält, handelt es sich nicht um verschiedene Techniken der Rede, sondern lediglich um das Anspre- chen unterschiedlicher Adressaten. Geht man mit Lausberg davon aus, dass „das persuadere [als] die Gewinnung des Publikums für die Entscheidung der res im Sinne der Partei des Redners“ verstanden wird, lässt sich bezweifeln, dass die Demonstration persuasiv sein kann. Dennoch macht die Unterscheidung nur insofern Sinn, als die demonstratio eine Beweisführung darstellt, in der

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ausschließlich Thesen sowie diese Thesen stützende Argumente vertreten sind, während der persuasive Diskurs aus lediglich nicht-argumentativen Mitteln der Persuasion bestehen könnte. Texte, die ausschließlich das eine oder andere beinhalten, sind in der sprachlich-kommunikativen Praxis allerdings schwer vorstellbar. Es handelt sich also nicht um einen wesentlichen die Methodik der Argumentation betreffenden Unterschied, sondern um die wechselnde Perspek- tive des Rezipienten. Somit muss man Pirazzini beipflichten, wenn sie sagt, dass in beiden Diskursverfahren Beweisführungen vorgebracht werden und daher auch beide zu den persuasiven Handlungen gehören (vgl. Pirazzini, 2002a: 47).

Auch in der neueren Argumentationstheorie werden Persuasion und Demonst- ration als zwei verschiedene Ziele der Argumentation verstanden. Die Unterscheidung beruht auf dem Gedanken, dass als persuasive Handlung eine Argumentation angesehen wird, die rezipientenorientiert ist, d.h. deren Ziel es ist, die Perspektive des Rezipienten auf einen Sachverhalt zu verändern, während der Begriff ‚Demonstration‘ diejenige Argumentation bezeichnet, die gegen- standsorientiert ist. Eine solche Zweiteilung des argumentativen Handelns ist nachvollziehbar, aber auf diskursanalytischer Ebene unangebracht, da in beiden Handlungen dieselbe Struktur argumentativer Verknüpfungen vorherrscht.

Pirazzini erläutert:

Trotz der wertvollen Einsicht, die eine solche Unterscheidung zu bringen scheint, ist die Opposition demonstratives Diskursverfahren vs. persuasives Diskursverfahren schwer einzuhalten. Denn wenn es unbestreitbar ist, dass es demonstrative Texte gibt, in welchen man mit Operationen und Kalkülen verfährt, so ist es andererseits unbestreit- bar, dass wir auch dann Beweisführungen vorbringen, wenn wir uns nicht auf das reine Rechnen beschränken, z.B. bei inneren Überlegungen oder in öffentlicher Diskussion, wenn wir Fakten für oder gegen eine Meinung darlegen, oder wenn wir Tatsachen für oder wider eine These aufzeigen. (Ebd.)

Man erkennt in allen Textformen, in denen Stützungsrelationen auftreten, die der Rechtfertigung, Begründung oder dem Erklären-warum dienen, einen persuasiven Zweck. Somit steht die Dichotomie demonstrativ versus persuasiv insofern in einem Ungleichgewicht, als alle demonstrativen Texte gleichzeitig persuasiv sind, aber nicht alle persuasiven Texte auch demonstrativ sein müssen, sondern – theoretisch – auch rein persuasiv sein könnten. Das bedeutet, dass es Äußerungen geben muss, die den Rezipienten – ohne ein sachliches Argument aufzuzeigen bzw. implizit erschließbar zu machen – mit Blick auf die durch den Emittenten vertretene Konklusion favorisierend beeinflussen. „Sachlichkeit, Rationalität bilden notwendige Bestandteile der Rede, fehlen sie ihr, wird die Rede zur bloßen Affektregulierung eingesetzt und geht in Propaganda über“

(Ueding/Steinbrink, 42005: 280). Von Propaganda kann man im Falle von

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Fußballberichterstattung zwar weniger sprechen, dennoch steht außer Frage, dass nicht ausschließlich sachlich informiert und argumentiert wird:

Die journalistische Zunft beabsichtigt, ihre Adressaten in der ein oder anderen Form zu beeinflussen, wobei unterschiedliche Stilmittel angewendet werden, die oft genug eine Gratwanderung zwischen echter Informationsaufklärung und zum Teil auch unbewuss- ter Manipulation vornehmen müssen. Die solide sportjournalistische Recherche und Expertise wird vor der verführerischen Macht der Manipulation eher gewappnet sein als die Sensationspresse des Boulevard. (Meinberg, 2007: 128)

Stilmittel sind traditionell die rhetorischen Figuren, welche mit der Neuentde- ckung der Rhetorik als Argumentationstheorie (Perelman/Olbrechts-Tyteca, Toulmin) in den 1950er Jahren zwar als wichtige Bestandteile der Argumenta- tion anerkannt, aber als eine Art manipulatives Beiwerk behandelt wurden.

So heißt es noch bei Perelman/Olbrechts-Tyteca bezüglich der Rolle der Darstellungsform von Argumentationen:

Nous avons déjà eu l’occasion de signaler, au chapitre précédent, quel rôle éminent il faut attribuer, dans l’argumentation, à la présence, à la mise en évidence, pour leur permettre d’occuper l’avant-plan de la conscience, de certains éléments sur lesquels l’orateur désire centrer l’attention. […] Une présentation efficace, qui impressionne la conscience des auditeurs, est essentielle non seulement dans toute argumentation visant à l’action immédiate, mais aussi dans celle qui vise à orienter l’esprit d’une certain façon, à faire prévaloir certains schèmes interprétatifs, à insérer les éléments d’accord dans un cadre qui les rende significatifs et leur confère la place qui leur revient dans un ensemble. Cette technique de la présentation a même pris un tel développement que l’on a réduit à son étude toute la matière de la rhétorique, conçue comme art de bien parler et de bien écrire, comme un art d’expression de la pensée, de pure forme. […] Nous savons que certaines façons de s’exprimer peuvent produire un effet esthétique, lié à l’harmonie, au rythme, à d’autres qualités purement formelles, et qu’elles peuvent avoir une influence argumentative par l’admiration, la joie, la détente, l’excitation, les reprises et les chutes d’attention qu’elles provoquent, sans que ces divers éléments soient analysables en fonc- tion directe de l’argumentation. Nous exclurons néanmoins l’étude de ces mécanismes, malgré leur importance incontestable dans l’action oratoire, de notre présente analyse de l’argumentation. (1958: 191f.)

Perelman und Olbrechts-Tyteca kritisieren, dass man den Fokus der Rhetorik nach ihrer klassischen Lehre bei den Griechen zu stark auf die rhetorische Figurenlehre gerichtet hat, was ihr schließlich den schlechten Ruf einer mani- pulativen Technik eingebracht habe. Daher klammern sie für ihr traité de l’argumentation die Figurenlehre aus. Die rhetorischen Stilmittel sind jedoch insbesondere in der epideiktischen Rede fundamentale Elemente der Persuasion, weil sie den Rezipienten nicht auf der logisch-rationalen, sondern auf der emotionalen Ebene beeinflussen, welche für eine Diskussion um

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Wertehierarchien die Grundlage bildet. Emotionen spielen daher auf zwei ver- schiedene Arten eine Rolle in der Argumentation:

Les deux dérivés adjectivaux émotif et emotionnel sont exploités pour désigner deux modalités de la communication émotionnée: la communication émotive (intentionelle, de type rhétorique) étant opposée à la communication émotionelle (sous influence causale, non semiotisée). (Plantin, 2011: 14)

Die Stilmittel nutzen die Emotionen als perlokutive Effekte (communication émotive)3, während auch die illokutive Funktion der Emotionskommunikation und des Emotionsausdrucks (communication émotionelle) persuasiv sein kann.

Um diese beiden Letzteren soll es im Folgenden gehen: Welche Rolle spielt kom- munizierte Emotion in der argumentativen Struktur eines epideiktischen Textes?

Eine Betrachtung nach Kategorien der rhetorischen Figurenlehre erscheint hierfür nicht adäquat, weil sie ausschließlich auf die Konstruktion von Affekten beim Rezipienten ausgelegt ist. Tatsächlich lassen sich an zahlreichen Textstellen der untersuchten Fußballspielberichte emotionsbasierte Formen der Persuasion dokumentieren. In der vorliegenden Arbeit werden argumentative Strukturen und die Kommunikation von Emotion als gleichwertige persuasive Mittel ver- standen. Die Untersuchung verfolgt einen pragmatischen Ansatz, indem geprüft wird, wie die beiden persuasiven Mittel Argumentation und, an dieser Stelle noch undifferenziert ‚Emotionskommunikation‘ genannt, zusammenwirken.

1.2 Argumentation und Emotion

Will man die Geschichte der Argumentationsforschung kurz zusammenfassen, so wird man schnell feststellen, dass dieser Forschungszweig schon so lange besteht, dass selbst eine noch so kurze Zusammenfassung ein Werk für sich dar- stellen würde. Daher wäre es anmaßend und auch nicht unbedingt sinnvoll, an dieser Stelle einen solchen Anspruch zu erheben. Was jedoch geleistet werden kann und für die vorliegende Untersuchung angemesse ner erscheint, ist eine Darstellung jener Theorien, Forschungsansätze und Erkenntnisse, welche die notwendigen Definitionen und Ideen zum vorliegenden linguistischen Vorha- ben geliefert und so die Untersuchung ermöglicht und maßgeblich in ihre Bahnen gelenkt haben. In die vorliegende Analyse sind Ansätze aus sechs wis- senschaftlichen Bereichen eingeflossen: aus der klassischen Rhetorik, der

3 Als Mittel der Affekterregung listet Lausberg sieben „schwerpunktmäßig affektische Figuren“ auf: Exclamatio, evidentia, sermocinatio, fictio personæ, expolitio, similitudo, aversio (21973: §§ 808–851).

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„Neuen Rhetorik“, der modernen sprachwis senschaftlichen Argumentationsfor- schung, darunter insbesondere aus der Theorie der Argumentation dans la langue der französischen Wissenschaftler Jean-Claude Anscombre und Oswald Ducrot, sowie aus Christian Plantins Studien zum Zusammenspiel von Argumentation und Emotion. Für die Auseinandersetzung mit dem letztgenannten Forschungs- schwerpunkt trugen außerdem die jüngeren Erkenntnisse der Psychologie, dar- unter teilweise Bereiche der Neuropsychologie, maßgeblich bei. Zuletzt seien die Studien zur Sportsprache genannt, welche ebenfalls Aufschluss über prototypi- sche Charakteristika der Sportberichterstattung geben konnten, auch wenn sie sich bisher meist auf lexikalische und nicht auf textstrukturelle Phänomene konzentrie ren.

Der Ursprung aller Argumentationstheorien ist in der klassischen Rhetorik und somit in der griechischen Antike zu finden (vgl. Atayan, 2006: 7; Van Eemeren/Grootendorst/Snoeck Henkemans (EGS)4, 1996: 29f.; Mortara Garavelli, 112008: 17ff.). Einen Überblick über die antike rhetorische Lehre gibt Heinrich Lausbergs Standardwerk, das Handbuch der litera rischen Rhetorik (21973), welches sowohl das griechische als auch das römische Instrumentarium der Redekunst übersichtlich und umfassend erläutert. In der klassischen Rheto- rik steht das Normative im Vordergrund, d.h. die in dieser Zeit vertretene Lehre versteht sich als Regelwerk für den Erfolg einer Rede bzw. für eine gute Argumentation (vgl. EGS, 1996: 30). Zur Diskussion einiger grundlegender argumentationstheoreti scher Fragen, welche die Relation zwischen Argumenta- tion und Emotion betreffen, ge ben Platons Der Staat sowie die Schriften der römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca (Epistulae morales ad Lucilium), Marcus Tullius Cicero (De oratore) und Marcus Fabius Quintilianus (Institutio oratoria) Einblicke in das antike Verständnis des Forschungsgegenstands. Sie begründen wis senschaftstheoretische Entwicklungen, welche die Argumentati- onstheorie in Richtung einer Abspaltung der Argumentation von der Rhetorik ent scheidend beeinflusst haben. Außerordentlich fruchtbar für das Analysevor- haben sind schließlich die argumentationstheoretischen Ausführungen von Aristoteles. Auf seine Rhetorik geht nicht nur die weiterhin valide Differenzie- rung der drei Gattungen der Rhetorik (genus demonstrativum, genus deliberati- vum, genus iudicale; vgl. Rhetorik: I, 3, 1358b) zurück, sondern er führt dort 4 Da das Handbuch von Van Eemeren et al. (1996) als besonders aufschlussreiches und umfassendes Vademekum für den Überblick über die Entwicklungsphasen der Argumentationsforschung herangezogen wurde und daher häufig als Quelle für die im vorliegenden Kapitel skizzierten Eckdaten fungiert, wird dafür im Folgenden die Abkürzung EGS verwendet.

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außerdem die sprachlichen und stilistischen „Zutaten“ für die moderne Sportbe- richterstattung auf, wenn er die ideale Festrede beschreibt (vgl. Kapitel 2.2.2).

Zudem legt er mit der Kategorisierung von Logos, Ethos und Pathos den Grund- stein für die Einsicht, dass Argumentation und Emotion interagieren (vgl.

Mortara Garavelli, 112008: 27). Die Argumentationsfor schung koexistiert als Bestandteil der klassischen rhetorischen Lehre einige Jahr hunderte lang eher unscheinbar an der Seite einer lediglich als ornatus angesehenen Rhetorik mit einem schlechten Ruf und gerät dabei allmählich fast in Vergessenheit (EGS, 1996: 51; Mortara Garavelli, 112008: 8), bis die Erforschung des persuasiven Dis- kurses beginnend mit den beiden 1958 publizierten, einflussreichen Werken von Chaim Perelman/Lucie Olbrechts-Tyteca (La Nouvelle Rhétorique) und Stephen E. Toulmin (The Uses of Argument) eine wissenschaftliche Renaissance erlebt (Mortara Garavelli, 112008: 49). Neu an der Nouvelle Rhétorique des 20. Jahrhun- derts ist vor allem der deskriptive Ansatz, mit dem sich die Autoren der Thematik widmen und der sich u.a. in ihrer Hinwendung zur Ar gumentation in der Sprache des Alltags äußert. Dabei orientieren sie sich an grundle genden Klassi- fikationen von Aristoteles und dehnen den Untersuchungsgegenstand von der mündlichen Rede auf die Schriftsprache aus (EGS, 1996: 53 sowie 95f.). Aller- dings klammern Perelman und Olbrechts-Tyteca die Rolle der Emotionen in der Argumenta tion aus, obwohl sie sich dieser bewusst sind (Perelman/Olbrechts- Tyteca, 1958: 191f.). Toulmins Innovation besteht hingegen u.a. in der Entwick- lung eines Argument schemas, welches eine Erweiterung des aristotelischen Syllogismus als Form der schlüssigen Argumentation hin zu einem makrostruk- turellen Schema bedeutet, das auch die mögliche Reaktion eines (imaginierten) Rezipienten berücksichtigt (EGS: 54), auch wenn dieser nicht aktiv an der Argu- mentation beteiligt ist, das Modell also nicht den dialektischen Charakter des Dialogs widerspiegelt (Mortara Garavelli, 112008: 290). Das Ar gumentationsschema Toulmins ist wie die Theorie von Perelman/Olbrechts-Tyteca für eine deskrip- tive Diskursanalyse alltäglicher Argumentationen bestimmt:

This will mean seeing and describing the arguments in each field as they are, rec ognising how they work; not setting oneself up to explain why, or to demonstrate that they neces- sarily must work. What is required, in a phrase, is not epistemologi cal theory but episte- mological analysis (Toulmin, 1958: 238).

So unterstreicht Toulmin, dass die von ihm erarbeitete strukturelle Neuerung auch als Analyseinstrument für die Argumentation bei der Rechtfertigung von Meinungen dienen soll. Dabei hebt er bemerkenswerterweise hervor, dass bei nicht-analytischen Argumentationen menschliche Gefühle sowohl als zu recht- fertigende Konklusionen als auch als stützende Argumente fungieren können

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und einen gewissen „logical gulf“ (Toulmin, 1958: 208) zu überbrücken in der Lage sind, der bei alltäglichen Argumentationen dadurch entsteht, dass die dort lokalisierten Wissensansprüche niemals dem Ideal der Analytizität gerecht werden (a.a.O.: 206). Da raus folgert er, dass sich die analytische, ausschließlich tatsachenbasierte Argumentation in ihrer Form nicht von der, wie er es formu- liert, „substantiellen Argumentation“ unterscheiden kann (a.a.O.: 212). Die Schlüssigkeit beider, welche sich aus den angewandten Standards der Angemes- senheit ergibt, erachtet er als bereichsabhängig. Ihre Triftigkeit kann man in Abhängigkeit von ihrer Bereichsrelevanz beurteilen:

What has to be recognised first is that validity is an intra-field, not an inter-field notion.

Arguments within any field can be judged by standards appropriate within that field, and some will fall short; but it must be expected that the standards will be field- dependent, and that the merits to be demanded of an argument in one field will be found to be absent (in the nature of things) from entirely meritorious argu ments in another (Toulmin, 1958: 235).

Dass Toulmin zufolge die Schlüssigkeit der Argumentation bereichsabhängig ist, legt bereits nahe, wie weit das Feld der Theorien ist, mittels derer Argumentation untersucht werden kann, nämlich „vom Standpunkt vieler verschiedener Disziplinen oder interdisziplinärer Kombinationen aus“ (Atayan, 2006: 7): Phi- losophie, Psychologie, Sprach- und Literaturwissenschaft, Soziologie usw.; In zahlreichen Forschungszweigen beschäftigt man sich damit, wie der Mensch abhängig von kontextuellen und situativen Faktoren argumentiert. Eine Gruppe frankophoner Sprachwissenschaftler hat sich insbesondere der Theorie gewid- met, dass die Sprache per se argumentativ ist: Jean-Claude Anscombre, Oswald Ducrot und Marion Carel vertreten mit Plantins Worten die Auffassung: „toute parole est argumentative“ (1996: 17ff.) und grenzen die argumentation linguis- tique bewusst von der argumentation rhétorique ab (vgl. Ducrot, 2004). Hinter dem Begriff der argumentation linguistique verbirgt sich der Gedanke der Autoren, dass autosemantische lexikalische Einheiten immer eine bestimmte argumentative Richtung vorgeben und somit eine andere ausschließen. So arbei- ten Ducrot und Carel an einer linguistischen Semantiktheorie, in der alle mots pleins (also besagte Autosemantika) des Französischen durch ihre jeweilig mög- liche argumentative Anwendung in sogenannten blocs sémantiques beschrieben werden:

Wir betrachten als ‚Be deutung einer Äußerung‘ nur die argumentativen Sequenzen, die Fortsetzungen, welche von der Äußerung im Diskurs ermöglicht oder er zwun gen werden. […] Die TBS [Théorie des blocs sémantiques] ist auf diesem Grundprinzip der ADL [Théorie de l’argumen tation dans la langue] aufgebaut und setzt sich zum Ziel, es

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ohne Zugeständnisse derart weiterzuentwickeln, dass damit eine Detail be schreibung aller denkbaren sprachlichen Einheiten – Morpheme, Wörter, Wort verbindungen und Sätze – ermöglicht wird. (Ducrot, 2009: 164)

Wenn also sowohl langue als auch parole Argumentativität aufweisen können, dann ist es auch zwingend logisch, dass alle rhetorisch argumentativen Texte auch eine linguistisch argumentative Ebene besitzen, die sich theoretisch mit den „echten“ Argumenten überschneidet. Dieser Auffassung widerspricht auch Ducrot nicht: „En argumentant (au sens linguistique du terme), on peut donc souvent présenter son discours comme l’explication de mots de la langue“

(2004: 31). Als strukturelle Basis der vorliegenden linguistischen Analyse dient die von Ducrot und Carel in der Théorie des blocs sémantiques (TBS) getroffene Differenzierung von Normativität und Transgressivität. Dieser Theorie wird darüberhinaus Rechnung getragen, indem vereinzelt gezeigt wird, dass einzelne Lexeme semantisch durch interne transgressive Argumentation gekennzeichnet sind, die eine direkte Auswirkung auf die Textstruktur hat.

Mithilfe der TBS ist es möglich, kleinste Argumentationen auf der lexeminter- nen Ebene aufzudecken, an denen u.a. bereits Argumentationsstrukturen der Gesamttextebene ablesbar sind.

Um die französischen Ansätze der argumentation linguistique auf die globale Textebene ausweiten zu können, stellt die textstrukturell orientierte Arbeit Lo Cascios (1991), die Grammatica dell’argomentare, einen fruchtbaren textlingu- istischen Ansatz dar. Lo Cascio übernimmt Toulmins Argumentschema und entwickelt die Idee der profili argomentativi, in denen der Autor die textuelle Verknüpfung mehrerer Argumentationen untersucht und darlegt. Außerdem greift Lo Cascio die von Van Eemeren und Grootendorst vorgeschlagenen mögli- chen Minimalstrukturen der Argumentation auf (single argumentation, multiple argumentation: coordinatively/subordinatively compound argumentation) (vgl.

Eemeren/Grootendorst, 1984: 90ff. sowie EGS: 16ff.) und unterscheidet diese sei- nerseits als argomentazione semplice, argomentazione multipla und argomentazi- one a grappolo (Lo Cascio, 1991: 128f.). Anhand dieser Differenzierung lassen sich Textsequenzen wie auch ganze Texte analysieren, wie Pirazzini (2002a) bereits aus- führlich gezeigt hat. Die Autorin beschreibt detailliert, welche textstrukturellen Auswirkungen pragmatisch-kontextuelle Faktoren ausüben. So unterscheidet sie grundsätzlich und unabhängig vom Argumentationsgegenstand Profile der Refle- xion, der Affirmation und der Opposition. Diese Differenzierung basiert allein auf der pragmatischen Orientierung von Texten, und so dienen Profile der Reflexion hauptsächlich der Erörterung einer Fragestellung (sozusagen zur Wahrheitsfin- dung), Profile der Affirmation der Überzeugung des Rezipienten, und Profile der Opposition der Widerlegung einer gegnerischen Meinung.

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Hinsichtlich der Konstruktion von argumentativen Strukturmodellen seien an dieser Stelle Wunderlich (1980), Kienpointner (1983, 2008), Rudolph (1983) sowie Van Eemeren/Grootendorst (1984) genannt (vgl. Kapitel 3.6), die allesamt fertile Ansätze für das in der vorliegenden Arbeit realisierte Strukturmodell bereitstellen. Besonders Kienpointners Idee, die chronologische Reihenfolge der Äußerung von Argument-Konklusion-Folgen zu berücksichtigen, konnte in das in der vorliegenden Untersuchung entwickelte Modell Eingang finden. U.a. von Sorin Stati stammt die Überlegung, dass die bisher aufgeführten Argumentati- onsmodelle (mit Ausnahme des ausschließlich sprachlichen Verständnisses der Argumentation dans la langue) nicht unbedingt mit dem sprachlichen Kommu- nikationsalltag korrelieren, da die generische Prämisse oder auch Schlussregel meist implizit bleibt. Wie auch J. Klein („propositionale 2-stelligkeit“; 1987: 40f.

sowie 89) und Lo Cascio (1991: 65) sieht Stati die Bedingung für eine vollständig verbalisierte Argumentation auch dann als gegeben an, wenn auf der sprachli- chen Ebene zwei Elemente realisiert werden, von denen angenommen werden kann, dass die eine die andere stützt (Stati, 2002: 30; vgl. Atayan, 2006: 32ff.).

Stati legt mit seiner Monografie Principi di analisi argomentativa (2002) eine Art Handbuch zur deskriptiven Analyse von alltäglicher Argumentation vor, „utile almeno per acquisire una conoscenza scientifica di un’attività che svolgiamo, in parte, automaticamente“ (2002: 7). Dabei entwickelt der Autor eine minutiöse Differenzierung unterschiedlicher ruoli argomentativi, die in argumentativen Texten besetzt werden können. Diese durchaus wichtigen pragmatischen Unter- scheidungen werden in der vorliegenden Arbeit teilweise berücksichtigt, können jedoch lediglich von marginaler Bedeutung sein: Um die Simplizität und den daraus resultierenden Nutzen des angewandten Strukturmodells zu gewähr- leisten, werden die argumentativen Elemente auf Argument und Konklusion reduziert (vgl. Kapitel 3.1). Mit der strukturellen Anordnung von Argumenten in Abhängigkeit von Diskurstraditionen beschäftigt sich außerdem Ekkehard Eggs (1996a): Der Autor untersucht strukturelle Unterschiede von Argumentati- onen in Zeitungstexten und kommt so zu einer Differenzierung von einsträngi- gem und mehrsträngigem Argumentieren. Die von ihm beobachtete und beschriebene Mehrsträngigkeit lässt sich auch im vorliegenden Textkorpus verifizieren (vgl. Kapitel 3.5). Vahram Atayan gibt einen ausführlichen Überblick über logikbasierte und sprachlich-kommunikative Argumentationsmodelle und erläutert auf plausible Weise, warum eine linguistische Analyse auf einem sprachlich-kommunikativ ausgerichteten Analysemodell basieren sollte (2006:

26ff.), bevor er die Möglichkeiten der Markierung von argumentativen Verknüp- fungen im Deutschen, Französischen und Italienischen darlegt. Seine auf den Überlegungen Lo Cascios, J. Kleins und Statis basierende Auffassung, dass

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implizit bleibende Argumentationsbestandteile auf der sprachlichen Ebene keinen verifizierbaren Ausdruck finden, lediglich interpretativ angenommen werden können und daher für ein Minimalmodell der Argumentation „nicht konstitutiv“ (Atayan, 2006: 32) sind, ist eine der grundlegenden Annahmen in der vorliegenden Arbeit.

Pionier in Sachen Argumentation und Emotion ist der französische Argumentations theoreti ker Christian Plantin. Er darf als einer der Verfechter der modernen Rückkehr zur aristotelischen Einsicht gelten, dass es eine wechsel- seitige Beziehung zwischen Argumentation und Emotion gibt. So verdeutlicht er seit 1996 in zahlreichen Arbeiten immer wieder, mit welchen sprachlichen und auch außersprachlichen Mitteln Emittenten versuchen, Emotionen bei ihren Rezipienten hervorzurufen. Besondere Hervorhebung verdienen seine kürzlich erschienene Monografie Les raisons des émotions (2011) sowie der noch unveröf- fentlichte Dictionnaire de l’argumentation. Mit der sprachlichen Codierung von Emotionen haben sich u.a. Norbert Fries und Friedrich Ungerer eingehend beschäftigt. Fries zeigt in zahlreichen Arbeiten (1991a; 1991b; 1992; 1995; 1996a;

1996b), welche sprachlichen Marker auf emotionale Bedeutungskomponenten hinweisen. Ungerer, der sich den Emotionen in Zeitungsartikeln widmet, trifft die wichtige Unterscheidung zwischen described emotions und invoked emotions (1997: 309), die sich für die argumentative Funktion der jeweiligen sprachlichen Äußerung als maßgeblich erweist (Kapitel 5). Reinhard Fiehlers Überlegungen bezüglich der Rolle der Emotionen in der Kommunikation sowie seine Erkennt- nis, dass die Kommunikation von Emotionen immer eine Kommunikation von Bewertungen darstellt (vgl. Fiehler, 1990; 1993, 2008), schlagen eine wichtige Brücke zwischen Emotionen und ihrer möglichen Rolle im argumentativen Diskurs. Ein weiteres verbindendes Element bietet schließlich der Rückgriff auf die frühen Überlegungen Barbara Sandigs (1979), die zeigt, durch welche Teil- elemente der aristotelische Syllogismus in der Lob- bzw. Tadelrede bestimmt ist.

Sie entwirft das notwendige Bindeglied zwischen sprachlicher Bewertung und dem zugehörigen kognitiven Argumentationsschema. Anhand der erarbeiteten Ansätze von Fiehler und Sandig lässt sich demnach die folgende schematische Gleichsetzung realisieren (vgl. Kapitel 2.2.2):

[Kommunikation von Emotion

= Kommunikation von Bewertung

= Konklusion im Syllogismus]

Silke Jahr beschäftigt sich mit dem Unterschied zwischen emotionaler und nicht-emotionaler Bewertung und liefert Denkanstöße zur „qualitativen und quantitativen Beschreibung der Emotionalität von Texten“ (2000). Der

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psychologiebasierte Ansatz Plantins, das Phänomen der menschlichen Emotion als einen kognitiven Prozess zu verstehen, wird im Folgenden übernommen. Die Idee schöpft Plantin aus dem Linguisten und Psychologen gemeinsamen Inter- esse an einer Lexik der Emotionen (1998: 19). So beruft er sich (1998: 28f.;

2011: 165ff.) u.a. auf den Psychologen Klaus Scherer, der die sukzessiv ablaufen- den Stadien der Emotion als kognitiven Prozess in einem Komponentenmodell beschreibt (vgl. Scherer, 2005). Scherers Ausführungen sowie die seiner Kollegen aus den Bereichen der Psychologie und der Neuropsychologie (Scherer et al., 2009) geben entscheidende Hinweise darauf, was als konstitutiv für das Erleben von Gefühlen erachtet wird, sodass man Anhaltspunkte für eine Differenzierung von Emotionalität und Nicht-Emotionalität erhält.

Durch die Verknüpfung der aufgeführten interdisziplinären Ansätze entsteht schließlich eine Schnittmenge forschungsrelevanter wissenschaftlicher Theorien der unterschiedlichsten Bereiche, welche es ermöglicht, emotionale von einer nicht-emotionalen Argumentation zu unterscheiden, argumentative Strukturen bis auf die kleinste Einheit darzustellen und die Mittel der Emotionalisierung aufzudecken. Die enge Verwobenheit von Argumentation und Emotion kann auf dieser Grundlage im Folgenden an einer modernen Form der Alltagskom- munikation dokumentiert und exemplifiziert werden.

1.3 Korpus

Im Jahre 1970, als Bettanini die zu Anfang zitierten Zeilen schreibt, ist das Inter- net noch weit davon entfernt, als allseits zugängliches Massenmedium zu gelten.

Der Fußballsport, der damals die Sprache von Zeitung, Radio und Fernsehen prägte, erstreckt sich aber heute in unzähligen Kommunikationsformen über das Internet. Dementsprechend hat sich die „lingua che racconta il calcio“ weiterent- wickelt. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, – wie bereits gesagt – einen modernen schriftlichen und als nicht typisch argumentativ geltenden Diskurs in seiner Argumentativität darzustellen. Als ein solcher Diskurs darf der Online- Fußballspielbericht gelten (vgl. auch Kapitel 2.2): Dass die Textsorte modern ist, dürfte aufgrund des Erscheinungsmediums offenkundig sein. Dass sie nicht als typisch argumentativ angesehen wird, beweist die geringe Beachtung, die der Sportberichterstattung innerhalb der Argumentationsforschung bisweilen geschenkt wurde, sowie die allgemeine Auffassung von Sportberichterstattung als informativ berichtendem Genre aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den klas- sischen Nachrichtenressorts (vgl. Kapitel 2.2).

Das der Untersuchung zugrunde liegende Textkorpus umfasst 345 Texte aus den Jahren 2006 bis 2011. Dabei handelt es sich durchweg um

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Fußballspielberichte, die im Internet auf den Seiten von Gazzetta.it5 (90 Texte), Kicker-online.de (90), Repubblica.it (83) und Süddeutsche.de (82) unmittelbar nach den jeweiligen Fußballspielen publiziert wurden. Bei der Zusammenstel- lung des Korpus wurde darauf geachtet, möglichst im mer alle vier Spielberichte der jeweiligen Webseiten zu einem Spiel zu erfassen, um eine kontrastive Unter- suchung der Berichterstattung zu ermöglichen. Fehlt zu einem Spiel der Bericht einer der vier Internetportale, so liegt das daran, dass es schlichtweg keinen Bericht gegeben hat. Insbesondere die überregionalen Tageszeitun gen berichten häufig nicht über Spiele ohne eigene nationale Beteiligung. Dies wurde bei der Auswahl der Texte dadurch zu kompensieren versucht, dass etwa bei Testländer- spielen jeweils der Spielbericht zur „eigenen“ Nationalpartie6 ins Korpus aufge- nommen wurde. Rund 50 Prozent der Texte berichten über Nationalspiele, die anderen 50 Prozent betreff en Spiele aus europäischen Wettbewerben (Uefa-Cup und Champions League). Immer ist entweder eine italienische oder eine deut- sche Mannschaft beteiligt, im Idealfall sind es beide. Dieses Auswahlkriterium ist wichtig, weil bei Spielen unter Beteiligung der eigenen Nationalmannschaft (bzw. eines Vereins aus dem eigenen Land) vorausgesetzt werden kann, dass die emotionale Ich-Beteiligung der Emittenten und Rezipienten am außersprachli- chen Ereignis relativ hoch ist, während die Ich-Beteiligung bei Spielen ausschließlich anderer Teams geringer sein wird. Die Ich-Beteiligung spielt für das Erleben von Emotionen eine bedeutende Rolle, weshalb die Vermutung naheliegt, dass die Spiele mit höherer ich-bezo gener Relevanz für Emittenten und Rezipienten mehr Aufschluss über die Verzahnung von Argumentation und

5 Werden im Folgenden Textteile aus dem Korpus zitiert, so wird in Klammern angezeigt, von welcher Internetseite der Bericht stammt. Steht hinter einem Zitat beispielsweise (K-23 ITA-UKR), so handelt es sich um den Bericht zum Spiel der itali- enischen Nationalmannschaft (ITA) gegen die Ukraine (UKR), welcher der Internet- seite Kicker-online.de entnommen wurde. Das entsprechende Spiel hat innerhalb des Korpus die Nummer 23, unter der es auch in den anderen drei quellenbezeichnenden Großbuchstaben G, R und S zu finden ist, d.h. G-23 ist der Spielbericht von Gazzetta.

it zum selben Spiel.

6 Bei Spielen, zu denen es von den deutschen oder italienischen Internetseiten keine Berichterstattung gab, wie beispielsweise bei Testländerspielen, an denen die eigene Nationalmannschaft nicht beteiligt war, dabei aber ihrerseits ein Testspiel absolvierte, wurde das äquivalente Spiel der eigenen Mannschaft verwendet. So ist die Korpus- Nummer 11 beispielsweise ein Testländerspiel Deutschlands gegen Aserbaidschan für die deutschen Quellen (K-11 DFB-ASB; S-11 DFB-ASB), während die italienischen Quellen über das zur selben Zeit stattfindende Spiel Italien – Färöer berichten (G-11 ITA-FAR; R-11 ITA-FAR).

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Emotion geben können. Zur Auswahl der vier genannten Quellpor tale ist zu sagen, dass eine möglichst heterogene und dennoch repräsentative Zusammen- stellung von Spielberichtvarianten angestrebt wurde: Zum einen stand dabei im Vordergrund, zu zei gen, dass die argumentativen Strukturen in der Berichter- stattung ein universales und kein einzelsprachliches Phänomenen darstellen.

Daher wurden je zwei deutschsprachige und zwei italienische Presseorgane als Quellen herangezogen. Zum anderen drängte sich die Frage auf, ob zwischen den Online-Spielberichten eines reinen Sportmagazins bzw. einer reinen Sport- tageszeitung und denen der großen überregionalen Tageszeitun gen hinsichtlich ihrer Argumentationsstruktur und/oder ihrer Emotionalität Unter schiede bestehen. Über diese letzte Fragestellung könnte eine eigene Dissertation ver- fasst werden, sie soll im Folgenden lediglich am Rande diskutiert werden. Der Vorteil des höheren Repräsentativitätsgrades, der durch die Berücksichtigung von hinsichtlich Autoren und Leserschaft verschiedenen Textquellen entsteht, dürfte in jedem Fall auf der Hand liegen. Alle Korpustexte können in voller Länge auf dem Datenträ ger in Anhang D der vorliegenden Arbeit eingesehen werden. Um die Texte, die nach derzeitigem Stand (Juli 2012) alle noch im Inter- net auffindbar sind, im Original zu fin den, reicht es in der Regel, die Überschrift oder gegebenenfalls die ersten Worte der jeweiligen Einleitung in eine Suchma- schine einzugeben. Falls sich die URL eines Spielberichts geändert hat, weil er beispiels weise in das Archiv des entsprechenden Portals gestellt wurde, ist dies eine verlässliche Methode, ihn dennoch wiederzufinden.

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