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Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: StGB Band 6: JGG (Auszug), Nebenstrafrecht I

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Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: StGB Band 6: JGG (Auszug), Nebenstrafrecht I

Strafvorschriften aus AMG • BtMG • GÜG • TPG • TFG • GenTG • TierSchG • BNatSchG von

Prof. Dr. Wolfgang Joecks, Dr. Klaus Miebach, Prof. Dr. Karsten Altenhain, Ralph Alt, Prof. Dr. Georg Freund, Prof.

Dr. Bernd Heinrich, Hans Kornprobst, Dr. Peter Kotz, Prof. Dr. Otto Lagodny, Stefan Maier, Dr. Michael Pfohl, Joachim Rahlf, Prof. Dr. Brigitte Tag, Sebastian Willmann, Helene Hechtl

2. Auflage

Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: StGB Band 6: JGG (Auszug), Nebenstrafrecht I – Joecks / Miebach / Altenhain / et al.

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Thematische Gliederung:

Strafgesetzbuch

Verlag C.H. Beck München 2013

Verlag C.H. Beck im Internet:

www.beck.de ISBN 978 3 406 60296 2

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worden, kommt lediglich eine Aussetzung des Strafrestes unter den Voraussetzungen von§88in Betracht.

2. Günstige Legalprognose. a) Allgemeines.Das Gesetz macht die primäre Ausset- zung der Vollstreckung einer 2 Jahre nicht übersteigenden Jugendstrafe von der Erwartung abhängig, dass der Verurteilte auch ohne die Einwirkungen des Strafvollzuges einen „recht- schaffenen Lebenswandel“54 führen wird. Ungeachtet der antiquierten Formulierung besteht in der Sache Einigkeit darüber, auf eine (günstige) Legalprognose abzustellen.55Es kommt damit ausschließlich auf die Erwartung zukünftigen straffreien Verhaltens an.

In die Prognose sind als Hauptkriterien für die Beurteilung des zukünftigen Legalverhal- tens des verurteilten Jugendlichen oder Heranwachsenden die bereits aufgrund der im Fall des Widerrufs drohenden Strafvollstreckung ausgehenden Wirkungen sowie diejeni- gen einzubeziehen, die von den die Aussetzung begleitenden Maßnahmen erwartet werden.56 Subkriterien, die als Grundlagen der Legalprognose zu berücksichtigen sind, benennt das Gesetz nicht abschließend in Abs. 1 S. 2.57Maßgeblich ist eine Gesamtwür- digungvon Tat und Täterpersönlichkeit als Grundlage der Prognose.58

b) Maßstab.Das Gesetz gibt als Maßstab für die Aussetzungsentscheidung lediglich die Erwartung eines zukünftig straffreien Lebens59 des Verurteilten vor. Der Wortlaut

„Erwartung“ und erst recht das jeder Prognose immanente Maß an Unsicherheit über das Eintreffen des Prognostizierten legen nahe, sich im Hinblick auf das zukünftige Legalverhal- ten des Verurteilten an einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu orientieren. Die Recht- sprechung füllt die Erwartensklausel durch einen solchen aus und stellt darauf ab, ob die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straffreiheit größer ist als diejenige weiterer Straf- fälligkeit.60 Ein solcher Maßstab belässt zwar dem Tatrichter erhebliche Spielräume bei der Prognose als solcher,61gibt aber anders als manche Ausführungen in der Wissenschaft (etwa „gewisse Chance der Legalbewährung“62) einen handhabbaren Maßstab vor, dessen Einhaltung über die der Prognose zugrunde gelegten Tatsachen einer begrenzten Überprü- fung zugänglich ist. Geht das zuständige Gericht von gleich hoher Wahrscheinlichkeit von erneuter Straffälligkeit und legalem Verhalten aus, kommt nach dem genannten Maßstab eine Aussetzung nicht in Betracht (str.);63 der Grundsatz in dubio pro reo findet auf die Prognoseentscheidung selbst keine Anwendung.64Der vorgenannte Prognosemaßstab ist in Ausnahmefällen von Gewissenstätern65 (und ggf. Überzeugungstätern66) irrele- vant,in denen die Rückfallgefahr solche Straftaten betrifft, wegen deren erneuter Bege- hung aus verfassungsrechtlichen Gründen eine neue Bestrafung nicht in Frage kommt;

in der Vergangenheit hat dies bei Totalverweigerern eine gewisse praktische Bedeutung gehabt.67

Bezieht sich die im vorgenannten Sinne überwiegende Wahrscheinlichkeit auch zukünf- tiger Straffälligkeit lediglich auf die Begehung von im Unrechts- und Schuldgehalt

54 Näher unten Rn 18.

55 Siehe nur Brunner/Dölling Rn 6; Eisenberg Rn 14 ff.; Ostendorf Rn 5; Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 8.

56 Vgl. Eisenberg Rn 14; Ostendorf Rn 5.

57 Zu diesen näher unten Rn 25 ff.

58 BGH v. 9.11.1995 – 4 StR 507/95, NStZ-RR 1996, 133 f; BGH v. 26.10.2006 – 3 StR 326/06, NStZ-RR 2007, 61 f.; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Rn 12.

59 Rn 17.

60 Etwa BGH v. 29.10.1985 – 1 StR 444/85, StV 1986, 69; AG Saarbrücken v. 3. 3. 2011 – 26 Ls 29 Js 159/10 (juris - Abs. 90); siehe auch Westphal, Die Aussetzung der Jugendstrafe, S. 205; Brunner/Dölling Rn 6b; Ostendorf Rn 26; Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 9 mwN.

61 Zur revisionsgerichtlichen Kontrolldichte der Aussetzungsentscheidung unten Rn 38.

62 Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Rn 11.

63 AA vor allem Westphal, Die Aussetzung der Jugendstrafe, S. 196 ff.

64 Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 18.

65 Zum Gewissenstäter näher Radtke GA 2000, 19 ff. mwN.

66 Näher Brunner/Dölling Rn 6b mwN.

67 Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Rn 15; siehe auch Brunner/Dölling Rn 6b.

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geringer Straftaten wird wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und dem mit §21 verfolgten Zweck, mögliche schädliche Wirkungen des Strafvollzugs zu vermeiden, eine Aussetzung dennoch auszusprechen sein.68Das folgt jedoch aus den vorgenannten Erwä- gungen, nicht aus dem Prognosemaßstab als solchem.

Der für die Prognoseentscheidung maßgebliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab kann nur auf der Grundlage von tatsächlichen Erkenntnissen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der in die Prognose einzubeziehenden Kriterien angewendet werden. Lassen sich einzelne von diesen der Prognose zugrunde liegenden Tatsachen trotz Erfüllung der Amtsauf- klärungspflicht nicht klären, gilt insoweit der Zweifelsgrundsatz.69

c) Einzelfallbezogene Anwendung des Maßstabs.Nach allgM ist der vorgenannte Maßstab einzelfallbezogen anzuwenden.70Das schließt es aus, bei bestimmten Strafta- ten oderbei bestimmten Straftätern von vornherein die Aussetzung einer an sich aussetzungsfähigen Jugendstrafe zu verneinen.71 Dementsprechend hat der BGH selbst die Aussetzung der Vollstreckung einer 2jährigen Jugendstrafe wegen eines im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangenen Mordes als rechtsfehlerfrei bewertet.72 Die bei Straftaten nach dem BtMG vorhandenen Regelungen über den Aufschub der Vollstreckung (§§35, 38 BtMG) schließen diese Delikte nicht aus dem Anwendungsbereich von §21 aus.73Vorstrafen des Täters und selbst die Begehung der jetzt verfahrensgegenständlichen Tat während laufender Bewährung74 steht einer (erneuten) Aussetzung nicht schlechthin entgegen. Sozial randständige Jugendlichen und Heranwachsenden darf die Aussetzung ebenfalls nicht ohne weiteres mit Hinweis auf diese Randständigkeit verwehrt werden;

maßgeblich sind die Verhältnisse des Einzelfalls. Es ist nach diesem Maßstab sorgfältig zu prüfen, ob eher durch den Strafvollzug oder eher durch die eine Bewährung begleitenden ambulanten Maßnahmen die Bedingungen für zukünftiges Legalverhalten beeinflusst wer- den können.75Welches Gewicht den einzelnen in die Prognose einbezogenen Umständen zukommt, hat der Tatrichter einzelfallbezogen zu beurteilen. Es gibt keine generalisier- bare Rangfolgeberücksichtigungsfähiger prognoserelevanter Umstände.76

d) Zeitpunkt der Prognose. Die Prognose über das zukünftige Legalverhalten muss auf die zum Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils vorhandenen prognoserelevan- ten Kriterienbezogen sein (allgM).77Es müssen daher in die einzelfallbezogene Gesamt- würdigung sämtliche Veränderungen, die sich in der Phase zwischen Tatbegehung sowie deren Aburteilung ergeben haben und die Anhaltspunkte für das künftige Legalverhalten geben können, vom Tatgericht berücksichtigt werden. Bedeutsam können vor allem Änderungen in den Lebensumständen des Täterssein; insoweit gilt Ähnliches (nicht Identisches)78wie bei der Beurteilung des Erziehungsbedarfs im Rahmen der Zumessung der Jugendstrafe nach§18 Abs. 2.79Solche Veränderungen können sich sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Verurteilten auswirken.80 Im Hinblick auf den Wahrscheinlich- keitsmaßstab der Prognose (Rn 18) kommt es maßgeblich darauf an, ob sich bis zu der tatrichterlichen Entscheidung diejenigen Umstände verändert haben, die zu der Begehung

68 Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 9.

69 Eisenberg Rn 16 aE mwN auf die entsprechende Beurteilung bei§56 StGB.

70 Eisenberg Rn 18; Ostendorf Rn 22-25; Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 10 aE; siehe auch Brunner/

Dölling Rn 6 aE.

71 Brunner/Dölling Rn 6 aE; Eisenberg, JGG,§21Rn 18; Ostendorf Rn 21 und 22.

72 BGH v. 16.11.1993 – 4 StR 591/93, StV 1994, 598 (599).

73 Nachw. wie Fn 68.

74 BGH v. 9.11.1995 – 4 StR 507/95, NStZ-RR 1996, 133 f.

75 Zutreffend Ostendorf Rn 25 mwN.

76 Wie hier bereits Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 10 aE.

77 Siehe nur BGH v. 8.10.1990 – 4 StR 426/90, StV 1991, 424; ebenso bereits BGH v. 26.6.1980 – 4 StR 294/80 (unveröffentlicht).

78 Vgl. BGH v. 12.3.2008 – 2 StR 85/08, NStZ 2008, 693.

79 Siehe näher§18 Rn 31 f., 39-41.

80 Vgl. Eisenberg Rn 15.

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der abgeurteilten Straftat geführt haben.81Die Maßgeblichkeit des Urteilszeitpunkts für die Prognose eröffnet dem (verteidigten) Angeklagten die Möglichkeit, die Bedingungen für eine positive Prognose durch eigenes Verhalten nach der Tat zu beeinflussen bzw. überhaupt erst zu schaffen.82 Aus richterlicher Sicht ist die Berufungseinlegung nicht ganz selten durch die Erwägung motiviert, Zeit für entsprechende veränderte Lebensumstände zu gewinnen (etwa Aufnahme einer Berufsausbildung etc.). Bei der Prognose im Rahmen von

§21 wird regelmäßig die insbesondere bei Jugendlichen meist rascher und sprunghafter als bei Erwachsenen verlaufende Entwicklung zu bedenken sein.83

Ein Teil der Schwierigkeiten der Prognose über das zukünftige Legalverhalten resultiert, neben der jeder Aussage über die Zukunft immanenten Unsicherheit, aus den in diese einzubeziehenden Kriterien des §21 Abs. 1 S. 2 selbst. So lassen sich zwar ein Teil der dort genannten Umstände bezogen auf den Urteilszeitpunkt feststellen (etwa Vorleben, Tatumstände, Verhalten nach der Tat). Die vom Schuld- und Strafausspruch sowie die von den vorgesehenen, die Aussetzung begleitenden Maßnahmen ausgehenden Wirkungen haben selbst einen prognostischen Charakter. Die Prognose über das zukünftige Legalver- halten des jugendlichen oder heranwachsenden Verurteilten beruht also insoweit selbst auf einer bewusst unsicheren Tatsachengrundlage. Die Unsicherheit in Bezug auf die Tatsachengrundlage der Prognose wird durch den am 4.3.2012 in Kraft tretenden Abs. 1 S. 384 noch etwas erhöht. Diese Vorschrift ermöglicht die Aussetzung der Vollstreckung der ausgeurteilten Jugendstrafe auch dann, wenn die Erwartung eines zukünftig straffreien Lebens (Rn 18) des Verurteilten erst aufgrund der Wirkungen des neben der Jugendstrafe verhängten und zu vollstreckenden Jugendarrests gemäߧ16a (sog. Einstiegs- oder Warn- schussarrest) begründet wird.85 Angesichts der begrenzten Dauer des Jugendarrests und der dementsprechend wenig umfänglichen und intensiven Einwirkungsmöglichkeiten der Arrestanstalt während des Vollzugs ist nur schwer zu erkennen, welche Umstände des Ein- stiegs- oder Warnschussarrestes die Grundlage für eine positive Legalprognose bilden sollen, die ohne die Einwirkung des Arrests nach der gesetzlichen Konzeption ja gerade (noch) nicht gegeben ist. Diese Bedenken gelten erst recht angesichts der bei der Klientel des Arrests nach§16a ohnehin regelmäßig bereits vorhandenen Erfahrungen mit Freiheitsent- ziehungen. Letztlich stellt sich die auf Abs. 1 S. 3 gestützte Prognose als eine Erwartenser- wartung dar.

e) Prognosemethodik.Für die nach§21 zu treffende individuelle Kriminalprog- noseals Wahrscheinlichkeitsaussage über das zukünftige Legalverhalten einer Person86ste- hen dem zuständigen Tatgericht an sich sämtliche bekannten Prognosemethoden zur Verfü- gung.87 Tatsächlich wird in der gerichtlichen Praxis jedoch nahezu ausschließlich die intuitive Methode, bei der das Gericht auf der Grundlage seiner Erfahrung über die Bedeutung der prognoserelevanten Kriterien, seine Individualprognose vornimmt.

f) Gesamtwürdigung von Täterpersönlichkeit und Tat.Nach std. Rspr. ist für die Anwendung von§21 (nicht ausschließlich für Abs. 2) eine Gesamtwürdigung der in der Tat und in der Täterpersönlichkeit liegenden Umstände erforderlich.88In diese Würdigung sind – wie sich bereits aus dem für die Prognose maßgeblichen Urteilszeitpunkt ergibt –

81 Brunner/Dölling Rn 6; BGH v. 10.9.1985 – 1 StR 416/85, StV 1986, 68 f. (bzgl. des Erziehungsbedarfs im Sinne von§18 JGG).

82 Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 17 mwN.

83 Näher Eisenberg Rn 20.

84 Siehe Art. 1 Nr. 3 und Art. 2 des Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmög- lichkeiten v. 4.9.2012, BGBl. I S. 1854 und S. 1857.

85 Vgl. BT-Drucks. 17/9389 S. 33 (in der elektronischen Vortabfassung).

86 Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, 6. Aufl. 2008,§14 Rn 1.

87 Vgl. Brettel, in: Göppinger, Kriminologie,§14 Rn 32 und 35; Schöch, in: Kaiser/Schöch, Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 7. Aufl. 2010, Fall 6 Rn 7 ff. jeweils mwN.

88 BGH v. 12.3.1987 – 4 StR 94/87, BGHR JGG§21 Abs. 2 Gesamtwürdigung 2; BGH v. 9.11.1995 – 4 StR 507/95, NStZ-RR 1996, 133 f.; BGH v. 26.10.2006 – 3 StR 326/06, NStZ-RR 2007, 61 f.; OLG Bamberg v. 5.5.2011 – 3 Ss 44/11, NStZ 2012, 165 f. (Gesamtwürdigung bereits bei§21 Abs. 1 JGG).

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insbesondere solche nach der Tat eingetretenen Umstände einzubeziehen, aus denen sich Erkenntnisse über eine eventuelle Stabilisierung der Lebenssituation des Täters gewinnen lassen.89

g) Einzelne Kriterien (Abs. 1 S. 2). aa) Persönlichkeit.Die Bedeutung von Persön- lichkeitsmerkmalen für das zukünftige Legalverhalten ist generell und im Einzelfall schwer zu beurteilen.90Am ehesten können hier psychotische oder neurotische Zustände relevant sein, soweit diese nicht bereits die Schuldfähigkeit ausschließen.91

bb) Vorleben.In der Praxis der Jugendgerichte sind Art und Umfang früherer Straf- fälligkeit des Verurteilten für die Legalprognose wesentliche Umstände.92 Notwendig ist jedoch stets eine einzelfallbezogene Betrachtung (Rn 21). Frühere Straffälligkeit und selbst die Begehung der jetzt abgeurteilten Tat während laufender Bewährung aus einer früheren Verurteilung stehen der (erneuten) Aussetzung nicht zwingend entgegen (Rn 21). Maßgeb- lich ist, ob die Bedingungen, die zur Begehung der früheren und der jetzigen Tat geführt haben, sich dergestalt verändert haben, dass keine überwiegende Wahrscheinlichkeit erneuter Straffälligkeit besteht.93Getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen dürfen nicht berücksichtigt wer- den (§51 BZRG). Liegt zwischen den (auch einschlägigen) Vorstrafen und der jetzigen Tat ein längerer Abstand, kommt dennoch eine Aussetzung in Betracht, wenn insgesamt unter Berücksichtigung der übrigen Kriterien noch von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zukünftiger Legalbewährung ausgegangen werden kann. Will der Tatrichter eine frühere Straftatbegehung, über die noch nicht rechtskräftig entschieden ist, berücksichtigen, treffen ihn erhebliche Darstellungsanforderungen in Bezug auf diese Tat, um nicht in Widerspruch mit der Unschuldsvermutung in Art. 6 Abs. 2 EMRK zu geraten.94

cc) Tatumstände.Anders als im Rahmen der für§18 maßgeblichen Strafzumessungs- schuld95haben von den Umständen der Tat lediglich die zum Handlungsunrecht gehö- renden Komponenten Bedeutung.96 Es kommt insbesondere auf die Beweggründe des Täters für die Tatbegehung und seine mit der Tat verfolgten Ziele sowie auf die in der Tat zum Ausdruck gekommene Einstellung zum Recht und zu den Rechtsgütern Dritter an, wenn und soweit sich daraus Rückschlüsse für das zukünftige Legalverhalten gewinnen lassen.

dd) Nachtatverhalten.Das im Rahmen der Prognose zu berücksichtigende Nachtat- verhalten stimmt in weiten Teilen mit den für die Strafzumessung nach §18 relevanten Umständen des Verhaltens des Täters nach der Tat überein.97Zulässiges Verteidigungs- verhaltendarf in keinem Fall zu Lasten des Verurteilten in der Kriminalprognose berück- sichtigt werden.98

ee) Lebensverhältnisse. Den zum Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils existenten Lebensverhältnissen des Verurteilten sowie dessen bereits sicher absehbaren zukünftigen Ent- wicklung kommt erhebliche prognostische Bedeutung zu.99Ausschlaggebend sind wiederum

89 BGH v. 14. 3 1987 – 2 StR 52/86, StV 1986, 307; BGH v. 9.11.1995 – 4 StR 507/95, NStZ-RR 1996, 133 f.

90 Ostendorf Rn 10.

91 Ostendorf Rn 10.

92 Näher dazu die Untersuchungsergebnisse von Spieß KrimPäd. 1989, 9 ff.; siehe aber auch die (zutref- fende) Relativierung durch Brunner/Dölling Rn 6a.

93 Siehe etwa BGH v. 17.10.1996 – 4 StR 400/96, StV 1998, 259 (zu§56 Abs. 1 und 2 StGB).

94 Näher Satzger/Schmitt/Widmaier/Mosbacher§56 StGB Rn 16 mwN.

95 §18 Rn 24 ff.

96 Zutreffend Ostendorf Rn 15.

97 Zu diesen näher§18 Rn 31.

98 BGH v. 18.4.2001 – 3 StR 101/01, StV 2001, 505 f. (zu§56 StGB in Bezug auf einen Überzeugungstä- ter); Eisenberg Rn 25; zur Unzulässigkeit der Berücksichtigung zulässigen Verteidigungsverhaltens bei der Bemessung der Jugendstrafe nach§18 dort Rn 35; exemplarisch BGH v. 7.10.2009 – 2 StR 283/09, NStZ- RR 2010, 88.

99 Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 13.

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Änderungen der aktuellen Verhältnisse, die sich in der Vergangenheit als für den Jugendlichen oder Heranwachsenden kriminogen erwiesen haben.100Relevant kann also etwa das Lösen aus der peer group, innerhalb derer die bisherige Straffälligkeit begangen wurde, sein; Glei- ches kann für das Eingehen einer festen Beziehung, wenn davon eine stabilisierende Wirkung zu erwarten ist, sowie bei Jugendlichen für eine Rückkehr in geordnete familiäre Verhältnisse und (Wieder)Aufnahme der Schul- oder Berufsausbildung gelten.101Sich durch die Erfüllung bzw. Einhaltung der Auflagen und Weisungen (§23) erst (absehbar) ergebende Veränderun- gen in den Lebensverhältnissen des Verurteilten sind zu berücksichtigen.102Das Tatgericht hat regelmäßig auch zu berücksichtigen, dass sich die Lebensverhältnisse durch eine bereits erlittene Untersuchungshaft oder die Wirkungen von bereits laufenden Erziehungsmaßregeln oder sonstigen Erziehungsmaßnahmen verändern können.

ff) Wirkungen der Verurteilung und der die Aussetzung begleitenden Maßnah- men. In die erforderliche einzelfallbezogene Gesamtwürdigung von Täterpersönlichkeit und Tat muss das Gericht auch diejenigen Wirkungen einbeziehen, die es einerseits aus dem Umstand der Verurteilung zu Jugendstrafe (und der damit drohenden möglichen Voll- streckung im Fall des Widerrufs) und andererseits von den ambulanten Maßnahmen erwar- tet, die nach den §§22 ff. mit der Aussetzungsentscheidung verbunden werden. Insoweit beruht die Prognose über das zukünftige Legalverhalten des Verurteilten auf prognostizier- ten, erst zukünftig als eintretend erwarteten Umständen. Die Einbeziehung der erwarteten Wirkungen in der vorstehend bezeichneten Weise geht über§54mit entsprechenden Dar- legungsanforderungen im tatrichterlichen Urteileinher. Der Tatrichter muss sich zu den (erwarteten) Wirkungen im Einzelnen äußern. Wie sich u.a. aus dem Fehlen einer

§56 Abs. 3 StGB entsprechenden Klausel in§21 ergibt, dürfen generalpräventive Erwä- gungenüber die Wirkung der Strafe nicht in Entscheidung über die Aussetzung einbezo- gen werden (allgM).103

3. Aussetzungspflicht.Stellt das zuständige Gericht eine positive Legalprognose, geht also von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zukünftig straffreien Lebens des Verur- teilten aus, ist es verpflichtet, die Aussetzung auszusprechen (allgM).104Ein Ermessen im technischen Sinne besteht nicht. Allerdings lässt die Prognose selbst sowie die Bewertung der dieser zugrunde liegenden Umstände dem Tatrichter erhebliche Spielräume. Angesichts der nur begrenzten revisionsgerichtlichen Kontrolldichte105 der Entscheidung über die Aussetzung ist diese de facto einer Ermessensentscheidung nicht unähnlich. Ob die Ausset- zungspflicht nur dann besteht, wenn der Verurteilte mit der Aussetzung einverstanden ist, wird kontrovers beurteilt.106 Da die positive Prognose regelmäßig auch auf den die Aussetzung begleitenden Maßnahmen beruht, sollte das Einverständnis des Verurteilten eingeholt werden. Anderenfalls besteht eine nicht unerhebliche Gefahr mangelnder Mit- wirkung an der Erreichung des Ziels künftigen Legalverhaltens auch ohne die Einwirkun- gen des Strafvollzugs.

Der Zeitpunkt der Erfüllung der Aussetzungspflicht ist im JGG differenziert geregelt.Das Gericht kann über die Aussetzung bei einer nach§21 Abs. 1 und 2 ausset- zungsfähigen Jugendstrafe entweder in dem den Schuldspruch enthaltenden Urteil oder nachträglich durch Beschluss unter den Voraussetzungen von§57 Abs. 1 oder 2 entschei- den. Dem Tatrichter soll ein Auswahlermessen zwischen den beiden Verfahrensweisen

100 Vgl. Brunner/Dölling Rn 6; siehe auch§18 Rn 31.

101 §18 Rn 31 mwN.

102 Eisenberg Rn 24 mwN.

103 Siehe nur Ostendorf Rn 18.

104 Brunner/Dölling Rn 9; Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 19; Sonnen, in; Diemer/Schatz/Sonnen, Rn 6; vgl. auch BGH v. 9.2.2010 – 4 StR 578/09, BeckRS 2010, 06483.

105 Unten Rn 38.

106 Für ein Einverständniserfordernis grundsätzlich Eisenberg Rn 26, im Ergebnis auch Meier/Rössner/

Trüg/Wulf/Meier Rn 15; dagegen Westphal, Die Aussetzung der Jugendstrafe, S. 231.

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zustehen.107Ein solches ist allenfalls in dem durch den Gesetzeswortlaut eröffneten Spiel- raum108 nicht aber bei einer erweiternden Anwendung im Sinne einer Vorbewährung anzuerkennen. Selbst innerhalb des engen Anwendungsbereichs des geltenden Rechts sollte das für§57 Abs. 1 lediglich gelten, wenn im Urteilszeitpunkt konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass sich der Prognosesachverhalt zugunsten des Verurteilten ändern wird.

III. Besonderheiten der Aussetzung nach Abs. 2

Die primäre Aussetzung einer 1 Jahr aber nicht 2 Jahre übersteigenden Jugendstrafe ist trotz positiver Prognose109nach dem Wortlaut von Abs. 2 ausgeschlossen, wenn die Vollstreckung der Strafe im Hinblick auf die Entwicklung des Verurteilten geboten ist. Dieser Wortlaut unterscheidet sich erheblich von der bis 1990 geltenden Fassung, die – in Übereinstimmung mit

§56 Abs. 3 StGB – auf „besondere Umstände in der Tat und der Person des Jugendlichen“

abstellte.110Der Gesetzgeber hat die Änderung u.a. auf die Erwägung gestützt, dass die die Aus- setzung begleitenden ambulanten Einwirkungsmöglichkeiten besser als der Vollzug mit seinen Instrumentarien geeignet sein kann, bessere Bedingungen für ein zukünftig straffreies Leben zu schaffen.111Angesichts der Gründe für die Änderung und der bewussten Abweichung von der im allgemeinen Strafrecht geltenden Regelung (§56 Abs. 3 StGB) wird allgemein die Ausset- zung der von Abs. 2 erfassten Jugendstrafen als Regelfallgefolgert.112Nicht anders als bei der Aussetzung der von§21 Abs. 1 erfassten Jugendstrafen muss die Vollstreckung ausgesetzt werden,wenn eine günstige Prognose vorhanden ist und – insoweit anders als bei Abs. 1 – die Gebotsklausel nicht entgegensteht.113

Inhalt und Anwendungsbereichder Gebotenheitsklausel des Abs. 2 sind weitgehend unklar.114Da eine positive Prognose ohnehin durchgängige Voraussetzung der Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe ist, können an sich erzieherisch bzw. spezialpräventive Gründe keine Rolle für die Gebotenheit spielen, denn diese sind bereits im Rahmen der Prognose berücksichtigt.115 Maßstab des Gebotenseins der Vollstreckung ist die „Entwicklung“ des Jugendlichen. Bedarf es für die Beeinflussung der Entwicklung des Verurteilten aber gerade der Einwirkung durch den Vollzug der Strafe und der im Jugendstrafvollzug zur Verfügung stehen- den Instrumentarien, kann kaum eine positive Prognose gestellt worden sein, die ja gerade eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zukünftigen Legalverhaltens bei Aussetzung und der sie begleitenden ambulanten Maßnahmen verlangt.116Kaum verwunderlich enthalten die Geset- zesmaterialen zum 1. Gesetz zur Änderung des JGG (1. JGGÄndG),117das Abs. 2 seine heutige Gestalt gegeben hat, keine Erläuterungen oder Beispielsfälle zur möglichen Anwendung der Gebotenheitsklausel. Von der Notwendigkeit einer Vollstreckung kann jedenfalls nicht ausge- gangen werden, wenn die „absehbare weitere Entwicklung“ trotz positiver Prognose gegen eine Aussetzung spricht.118Ist eine ungünstige Entwicklung des Verurteilten bereits im Prognose- zeitpunkt absehbar, fehlt es schon an der positiven Prognose selbst. Auch die Gefahr einer unzureichenden Warnwirkung lediglich der Verurteilung ohne Vollzug der verhängten Strafe, ist kein Anwendungsfall. Hier fehlt es bereits an der positiven Prognose, weil absehbar ist, dass eine Verhaltensänderung ohne die Einwirkung durch den Vollzug nicht herbeigeführt

107 BGH v. 13.1.1960 – 2 StR 557/59, BGHSt 14, 74 f.; Kruse ZRP 1993, 221 siehe auch Radtke ZStW 121 (2009), S. 414 (444).

108 Vgl. BT-Drucks 17/9389 S. 13; Radtke ZStW 121 (2009), S, 414 (444 f.).

109 Rn 17-30.

110 Vgl. Brunner/Dölling Rn 10; siehe auch BT-Drucks. 11/5829, S. 30.

111 BT-Drucks. 11/5829, S. 30.

112 Siehe nur Brunner/Dölling Rn 9; Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 20 aE; Sonnen, in: Diemer/

Schatz/Sonnen, Rn 18.

113 Brunner/Dölling Rn 9.

114 Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 21; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Rn 19.

115 Zutreffend insoweit Brunner/Dölling Rn 11.

116 Im Ergebnis ebenso bereits Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 21; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Son- nen, Rn 19.

117 BGBl. 1990 I S. 1853.; dazu BT-Drucks. 11/5829, S. 20.

118 So aber Brunner/Dölling Rn 11.

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werden kann.119Generalpräventiv ausgerichtete Gründekönnen schon wegen des aus- schließlich auf die Entwicklung des Jugendlichen (oder Heranwachsenden) abstellenden Wort- lauts nicht die Gebotenheit der Vollstreckung begründen (allgM).120Das gilt wegen des inso- weit eindeutigen Wortlauts („Entwicklung … des Jugendlichen“) auch, als es um die in der Bestrafung und im Vollzug der Strafe zum Ausdruck kommenden Aspekt der Normbestäti- gung121geht. Besteht eine günstige Legalprognose kann daher die Vollstreckung einer ausset- zungsfähigen, oberhalb eines Jahres liegenden Jugendstrafe nicht damit begründet werden, dies sei zum Schuldausgleich und zur Stabilisierung der Geltung der verletzten Norm122geboten.

Anwendungsfälle fürdie Ablehnung einer Aussetzung einer zwischen 1 und 2 Jahren liegen- den Jugendstrafe (Abs. 2) bei positiver Prognose sind damit auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht ersichtlich.123Das gilt unabhängig davon, ob die Jugendstrafe nach§17 Abs. 2 auf „schädliche Neigungen“ oder auf die „Schwere der Schuld“ oder kumulativ auf beide Anordnungsvoraussetzungen gestützt worden ist (teilw. str.).124

Die höchstrichterliche Rspr. hat sich bislang – soweit ersichtlich – zu dem Inhalt der Gebotenheitsklausel nicht verhalten. Es entspricht aber gefestigter rechtsmittelgerichtlicher Rspr. von den Tatrichtern die Entscheidung über die Aussetzung auch und gerade nach Abs. 2 auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu entscheiden.125Die Gesamtwürdigung bezieht sich dabei allein auf die Voraussetzungen der Aussetzung; mit den Voraussetzungen der Sanktionsauswahl (§17 Abs. 2) und vor allem der konkreten Bemessung der Strafhöhe (§18 Abs. 2) darf diese nicht vermischt werden.126

D. Prozessuales

I. Darstellungsanforderungen im tatrichterlichen Urteil

Obwohl §54 Abs. 1 nicht ausdrücklich die Entscheidung über die Aussetzung als Gegenstand der Urteilsgründe benennt, müssen sich diese bei der Verhängung einer ausset- zungsfähigen Jugendstrafe zu den Gründen für die Gewährung ebenso verhalten wie zu den Gründen der Ablehnung der Aussetzung (die in der Sache nur bei ungünstiger Prognose in Betracht kommt).127Die Aussetzung der Vollstreckung als solche erfolgt im Urteilstenor, wenn und soweit die Entscheidung darüber nicht im (engen) Rahmen von§57 Abs. 1128 dem nachträglichen Beschlussverfahren überlassen worden ist.

Über die mit der im Urteil ausgesprochenen Aussetzung einhergehenden Nebenent- scheidungen der Bewährung nach §§22-25 wird durch gesonderten Beschluss des erkennenden Gerichtsbefunden (§58 Abs. 1).

119 Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier Rn 21.

120 Siehe nur BT-Drucks. 11/5829, S. 20; Ostendorf Rn 19; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Rn 19.

121 Näher§17 Rn 12 aE.

122 Zum Verhältnis von Schuldausgleich und Normstabilisierung§17 Rn 12 aE.

123 Im Ergebnis weitgehend ebenso Westphal, Die Aussetzung der Jugendstrafe, S. 249; Meier/Rössner/

Trüg/Wulf/Meier Rn 21; Sonnen, in: Diemer/Schatz/Sonnen, Rn 19; vorsichtiger Eisenberg Rn 12 und 13a

„weniger zurückhaltend anzuwenden sein als die Kann-Regelung in§56 Abs. 2 StGB“; Ostendorf Rn 29 „im Regelfall Bewährung auszusprechen“; wenige Anwendungsfälle sieht Brunner/Dölling Rn 11 „bei absehbarer Entwicklung“.

124 Teilweise anders Brunner/Dölling Rn 11, der bei auf „Schwere der Schuld“ beruhender Jugendstrafe Anwendungsfälle für denkbar zu halten scheint; umgekehrt will Ostendorf Rn 7 bei „Schwere der Schuld“ – insoweit zutreffend – stets Aussetzung innerhalb der 2 Jahres-Grenze annehmen, hält anderes aber bei kumula- tiven Anordnungsvoraussetzungen für möglich; siehe dazu auch Westphal, Die Aussetzung der Jugendstrafe, S. 230.

125 BGH v. 12.3.1987 – 4 StR 94/87, BGHR JGG§21 Abs. 2 Gesamtwürdigung 2; BGH v. 9.11.1995 – 4 StR 507/95, NStZ-RR 1996, 133 f.; BGH v. 26.10.2006 – 3 StR 326/06, NStZ-RR 2007, 61 f.; siehe auch OLG Bamberg v. 5.5.2011 – 3 Ss 44/11, NStZ 2012, 165 f.

126 Vgl. BGH v. 12.3.2008 – 2 StR 85/08, NStZ 2008, 693.

127 Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Buhr§54 Rn 60.

128 Oben Rn 8 f.

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II. Rechtsmittel

1. Berufung und Revision. Die nach §55 zulässigen Rechtsmittel der Berufung oder der Revision können nach den allgemeinen Regeln der sog. Trennbarkeitsformel129 wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch und selbst auf die Frage der Strafausset- zung130 als solche beschränkt werden. Allerdings enthält §59 Abs. 1 in Bezug auf Letzteres eine vorgehende Sonderregelung als die Entscheidung über die Aussetzung, unabhängig ob bejahend oder verneinend, aus Gründen der Beschleunigung isoliert mit der sofortigen Beschwerde anzugreifen ist. Die entsprechende Aufspaltung ist nicht unproblematisch und kann zu Zuständigkeitskollisionen führen.131Im Rahmen der Revi- sionüberprüft das Revisionsgericht die tatrichterliche Entscheidung über die Aussetzung bzw. deren Ablehnung an sich lediglich im Hinblick auf das Vorliegen von Ermessens- fehlern;132die tatrichterliche Entscheidung ist innerhalb dessen bis zur Grenze des Ver- tretbaren hinzunehmen. Angesichts des Zwangs zur Aussetzung bei positiver Prognose (Rn 18) gilt dies im Kontext von§21 Abs. 1 und 2 aber lediglich hinsichtlich der Prog- nose selbst; Mängel bei der Feststellung der Prognosebasis sind ebenso revisibel wie eine mangelnde Gesamtwürdigung (Rn 24). Verhält sich das Urteil zur Aussetzungsfrage nicht, obwohl eine aussetzungsfähige Strafe verhängt worden ist, liegt regelmäßig ein Darle- gungsfehler als sachlich-rechtlicher Mangel vor.133Hat das Tatgericht ausreichende Fest- stellungen zum Strafzumessungssachverhalt einschließlich des für die Aussetzung relevan- ten Tatsachenstoffs getroffen, kann das Revisionsgericht als eigene Sachentscheidung die Aussetzung in entsprechender Anwendung von §354 Abs. 1 StPOanordnen;

für die Begleitentscheidungen (§§22-25) bleibt das Tatgericht zuständig.134Revisibel ist die durch das Tatgericht vorgenommene Entscheidung über die Anwendung von§27 im Verhältnis zu§21 sowie der – in ihrer Zulässigkeit zweifelhaften – Vorbewährung gegen- über §21.135 Das gilt jedenfalls insoweit als das Tatgericht die jeweiligen rechtlichen Grundlagen für die unterschiedlichen Aussetzungsmöglichkeiten verkannt hat.

2. Sofortige Beschwerde und (einfache) Beschwerde (§59 Abs. 1 und 2). Soll isoliert die Entscheidung überdie Gewährung oder Ablehnung der primären Ausset- zungder Vollstreckung der Jugendstrafe angefochten werden, hat dies gemäߧ59 Abs. 1 mit der sofortigen Beschwerde zu erfolgen. Das gilt sowohl bei einer Entscheidung im Urteil als auch im nachträglichen Beschlussverfahren. Anders als das Revisionsgericht kann das Beschwerdegericht eigene ergänzende Feststellungen treffen; eine Anhörung des Verur- teilten ist rechtlich nicht vorgegeben aber sinnvoll.

Die die Aussetzung begleitenden Nebenentscheidungen können mit der einfachen Beschwerde angegriffen werden (§59 Abs. 2).

§22 Bewährungszeit

(1)1Der Richter bestimmt die Dauer der Bewährungszeit.2Sie darf drei Jahre nicht überschreiten und zwei Jahre nicht unterschreiten.

129 Knapp einführend KK-StPO/Paul§318 Rn 7-8; Meyer-Goßner§318 StPO Rn 6-30b; Radtke/Hoh- mann/Beukelmann§318 StPO Rn 5 f.

130 Siehe BGH v. 15.5.2001 – 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32 (35).

131 Vgl. Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier§59 Rn 8 f. mwN.

132 Für das allgemeine Strafrecht siehe nur BGH v. 26.4.2007 – 4 StR 55/06, NStZ-RR 2007, 232;

Radtke/Hohmann/Nagel§337 StPO Rn 34 mwN.

133 Brunner/Dölling Rn 15.

134 BGH v. 9.2.2010 – 4 StR 578/09, BeckRS 2010, 06483.

135 Zu Letzterem BGH v. 9.2.2010 – 4 StR 578/09, BeckRS 2010, 06483; siehe zur ansonsten kontrovers diskutierten Anfechtung von Vorbehaltsentscheidungen Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Meier§59 Rn 4 mwN.

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