A-906 (58) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 14, 5. April 1996
M E D I Z I N FÜR SIE REFERIERT
Bei 450 postmenopausalen Frau- en, die in einer orthopädischen Ar- beitsgemeinschafts-Praxis eine BMD (Bone Mineral Density)-Messung mit- tels Dualphotonenabsorptiometrie an der Wirbelsäule erhielten, interessierte die Gruppe mit pathologischen Wer- ten oder mit Frakturrisiko. Dabei zeig- te sich, daß eine gynäkologische Anamneseerhebung, und zwar an ein- fach erfahrbaren Daten, das Osteo- poroserisiko abschätzen läßt, hier durch BMD-Messungen retrospektiv objektiviert.
Im sechsten Dezennium hatte kei- ne Frau eine Knochendichte im Frak- turrisikobereich bei Menarche bis zum 12. Lebensjahr. Bei dieser Gruppe wurde eine bis acht Jahre zurücklie- gende Menopause nur halb so oft an- getroffen wie bei jenen mit Menarche nach dem 15. Lebensjahr. Bei später Menarche und damit assoziierter früherer Menopause kamen häufiger pathologische Knochendichtewerte vor. Bei dieser anamnestischen Kon- stellation ist die Indikation zur Kno- chendichtemessung sinnvoll. Zum Ab- schätzen der Compliance für eine Östrogensubstitution zur Osteoporo- se-Prophylaxe ist folgende Informati- on nützlich. Von den postmenopausa- len Frauen im sechsten Dezennium gab ein Drittel über zehn Jahre Ovula- tionshemmer (OH)-Einnahme an.
Diese Gruppe hatte zum Zeitpunkt der BMD-Messung zu einem Drittel Östrogensubstitution und damit drei- mal so oft als jene ohne Ovulations- hemmeranamnese.
Die Gruppe mit OH-Anamnese war sich doppelt so oft über den Nut- zen der Östrogen-Substitution zur Osteoporose-Prophylaxe sicher als je- ne ohne OH-Einnahmeerfahrung (85 Prozent versus 43 Prozent). Erstere Gruppe schätzte das eigene Osteo- poroserisiko doppelt so oft um etwa 50 Prozent ein als letztere Gruppe (45 Prozent versus 19 Prozent). Bekannt ist aber, daß über zehn Jahre OH-Ein- nahme ein geringeres Osteoporoserisi- ko bewirkt. Das zeigte sich auch in die- ser Studie mit doppelt so oft über der Norm gelegenen Knochendichtewer- ten. Von den Frauen mit OH-Anamne- se lehnte nur jede zehnte Östrogensub- stitution ab, von jenen ohne OH-
Anamnese aber fast die Hälfte. Häufig kommt bei Frauen ohne mehrjährige OH-Einnahme noch folgendes Osteo- poroserisiko hinzu:
Bei Frauen ohne OH-Einnahme kamen gynäkologische Operationen mit Kastrationsfolge dreimal so oft vor wie bei jenen mit über zehnjähri- ger OH-Einnahme. Erwartungsgemäß hatten Frauen mit Uterusexstirpation und Adnexentfernung beidseits drei- mal so oft pathologische Knochendich- tewerte wie die übrigen Frauen. Über- raschenderweise wurden die operier- ten Frauen mit Kastrationsfolge nur halb so oft substituiert wie jene ohne Adnexentfernung beidseits bei der Uterusexstirpation. Die Menopause lag bis acht Jahre zurück bei 59 Pro- zent, bis 15 Jahre bei 25 Prozent, bis 22 Jahre bei 12 Prozent und über 22 Jahre bei 4 Prozent. Damit wurden die mei- sten Knochendichtemessungen inner- halb der ersten zehn Jahre nach der Menopause indiziert, etwa je zur Hälf- te aus Früherkennungsindikation oder Verdacht auf Osteoporose.
In obigen Gruppen kamen Kno- chendichtewerte im pathologischen Bereich wie folgt vor: 5 Prozent, 16 Pro- zent, 26 Prozent, 32 Prozent. Das ent- spricht trotz dem hier durch Knochen- dichtemessung selektierten Kollektiv in etwa der Literatur-Inzidenz. Bei den postmenopausalen Frauen im sechsten Dezennium hatten die Menopause bis zum 45. Lebensjahr 25 Prozent, bis zum 50. Lebensjahr 44 Prozent und nach dem 50. Lebensjahr 31 Prozent. Ös- trogensubstitutionen erhielten diese
Gruppen wie folgt: 40 Prozent, 38 Pro- zent, 29 Prozent. Damit ist eine relativ frühe Menopause bisher kaum Grund für häufigere Östrogensubstitution – bei häufigeren Knochendichtemessun- gen bei früherer Menopause! Frauen mit Osteoporoseerkrankten in der Fa- milie haben überraschenderweise deut- lich seltener pathologische Knochen- dichtewerte als jene ohne familiäre Osteoporose-Belastung (6 Prozent ver- sus 12 Prozent). Dieser Widerspruch wird damit erklärbar, daß in ersterer Gruppe über doppelt so oft Östrogen- substitution erfolgt – meist über viele Jahre – als in der zweiten Gruppe (36 Prozent versus 17 Prozent). Bereits im sechsten Dezennium zeigte sich diese Relation. Damit ist zur Osteoporose- Diagnostik und -Therapie das Erleben eigener Familienangehöriger mit Osteoporose der motivierendste Fak- tor für längerfristige Östrogen-Substi- tution bei postmenopausalen Frauen.
Zusammenfassend ist der Wert der Knochendichtemessung von der zu erwartenden Therapie-Compliance ab- hängig. Diese sollte für die postme- nopausale Östrogensubstitution zur Osteoporose-Prophylaxe mindestens über zehn Jahre erfolgen, damit Effek- te zu erwarten sind. Die Pilotstudie gibt Orientierungshilfen für die Beratungs-
praxis. wne
Wenderlein JM, Eissfeldt, K, Heber F, Dan- nert E: Osteoporose-Prophylaxe: Gezieltere Beratung zur Östrogen-Substitution. Der Frauenarzt 1995; 36: 581–884
Prof. Dr. med. J. M. Wenderlein Universitäts-Frauenklinik Prittwitzstraße 43, 88075 Ulm
Knochendichtemessung: Nutzen für Osteoporose-Prophylaxe?
Auf der Suche nach neuen Risi- kofaktoren für das Entstehen von Apoplexien ist eine Arbeitsgruppe aus England fündig geworden. Das bereits als kardiovaskulärer Risikofaktor be- kannte Serumhomozystein konnte als bedeutsamer und unabhängiger Risi- kofaktor für die Entstehung ischämi- scher Apoplexien nachgewiesen wer- den. Die Autoren untersuchten 1978 bis 1980 bei 5 661 Männern im Alter von 40 bis 59 Jahren die Serumkon- zentrationen von Homozystein und
beobachteten das Kollektiv bis 1991.
Bei den 107 Patienten mit Schlaganfall waren die Homozysteinkonzentra- tionen mit 13,7 mmol/l signifikant höher als bei den Kontrollpatienten (11,9 mmol/l, p = 0,004). acc
Perry I J et al: Prospective study of serum total homocystein concentration and risk of stroke in middle-aged British men.
Lancet 1995; 346: 1395–98.
Dr. I. Perry, Dep. of Public Health, Royal Free Hospital School of Medicine, Lon- don NW3 2PF, England