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Archiv "Neue Bundesländer: Gedanken zur Umgestaltung der Hochschullandschaft" (13.03.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Neue Bundesländer

Gedanken zur Umgestaltung

THEMEN DER ZEIT

E

xtreme Umgestaltungen sind weder durchführbar noch im Ansatz gerecht oder sinnvoll.

Bei dem Versuch, mit Objektivität Stellungnahmen zu einzelnen Per- sönlichkeiten abzugeben, wird deut- lich, daß eine Einteilung in belastet — unbelastet nicht so einfach möglich ist. Viele meinen, innerhalb ihrer mittels Loyalität errungenen Posi- tion Schaden verhütet zu haben, und denken, daß sie damit als unbelastet zu gelten haben. Andere haben überhaupt keine Empfindung für Schuld und glauben, sich auch bei deutlicher Liaison mit den Machtha- bern nicht rechtfertigen zu müssen.

Aber es gilt auch, daß wir alle mehr gegen das System hätten tun können, als wir getan haben.

In vielen Gesprächen mit östli- chen und westlichen Persönlichkei- ten kristallisierten sich bezüglich der Hochschulumgestaltung immer wie- der die gleichen Fragen heraus: Wer konnte Hochschullehrer werden und wer nicht? In welchem Ausmaß ist eine Umbesetzung notwendig und möglich? Gab es nicht auch einzelne Hochschullehrer, die sich deutlich zu dem herrschenden System bekann- ten, um dadurch ihre Kollegen und das jeweils vertretene Fach vor par-

teilicher Willkür zu schützen? Ist ei- ne früher erlebte systembedingte Schädigung und Behinderung meß- bar, und sollte sie gegebenenfalls re- habilitiert werden?

Ausgangssituation

In der DDR gab es 1989 neun medizinische Fakultäten und Hoch- schulen, an denen 11 000 Medizin- studenten studierten und ca. 1 000 Hochschullehrer lehrten. 462 Kolle- gen waren zu Professoren berufen, 489 zu Dozenten. Die Zahl der habi- litierten, aber nicht berufenen Kolle- gen ist mir unbekannt. Die medizini- schen Hochschulen deckten neben ihren Aufgaben in Forschung und Lehre einen wesentlichen Teil der medizinischen Betreuung ab, auch der Grundbetreuung. Daraus erkärt sich die hohe Bettenzahl von über 17 000.

Die Hochschulen galten als staatlich geleitete Ausbildungsstät- ten. Die Hochschullehrer waren von der Regierung der DDR berufene Kader, die als sichere Multiplikato- ren der Staatsdoktrin angesehen wurden. Sie hatten ihre Loyalität zum System deutlich zu bekunden.

Es waren in der Regel disziplinierba- re Persönlichkeiten, die durchaus gute und sehr gute fachliche Leistun- gen aufzeigen konnten. Die Loyali- tätshaltung war unterschiedlich deutlich erkennbar. In Einzelfällen wurde insbesondere nach erlangter sicherer Etablierung ein „gutbürger- liches Verhalten" an den Tag gelegt, das dann keine offenkundige Sy- stemnähe mehr erkennen ließ.

Berufungen entsprachen der Nomenklatura. Schon wer die Evalu- ierung durch Parteiorgane bestan- den hatte, konnte sicher sein, daß er berufen wurde. Das gleiche galt auch umgekehrt. Die Berufungen erfolg- ten in manchen Fällen auch gegen den fachlichen Rat des Chefs. War jedoch das Verfahren erst einmal in Gang gesetzt, dann fiel das angefor- derte Fachgutachten meist auch ent- gegen der eigenen Überzeugung in parteilichem Gehorsam positiv aus.

Solche Gutachten im nachhinein als falsch zu entlarven, dürfte ausge- sprochen schwierig sein. Wie hoch der Grad der Nötigung hierbei war, wird in den seltensten Fällen noch erkennbar sein.

Es ist dabei zu bedenken, daß man sich gegen die allgegenwärtige Macht der Überwachung des einzel- nen nur schwer wehren konnte. Die immer mögliche und häufig prakti- zierte Bespitzelung erzeugte Angst, die wiederum disziplinierte und cha- rakterlich deformierte. Die einzige Möglichkeit, dieser verwerflichen Unterdrückung zu widerstehen, war das Nichtannehmen von Angst im Vertrauen auf eine höhere Macht.

Allein bei Kenntnis des Stafgesetz- buches der DDR gehörte schon viel Gottvertrauen dazu, sich hier und da wenigstens partiell zu verweigern.

So wie nicht jeder, der keine Karriere im Beruf gemacht hat, ein Opfer des Regimes war, so ist auch nicht jeder, der etwas geworden ist, massiv belastet. Wenn früher ein Chef meinte, nur Parteigenossen sei- en zu einer Habilitation zugelassen, so war das meist seine eigene Ent- scheidung, für deren Ungerechtig- keitsfolgen er sich innerlich und auch öffentlich rechtferigen sollte.

Vorauseilender Gehorsam war lei- der oft, zu oft anzutreffen. Es be- stand dafür jedoch keine unbedingte

der Hochschullandschaft

Eine rasche Umgestaltung der Universitäten und Hochschulen in den neuen Bundesländern erscheint manchem sowohl hinsicht- lich der personellen Besetzung als auch hinsichtlich der Struktu- ren und Inhalte dringend notwendig. 40 Jahre SED-Herrschaft, so meinen diese, haben durch eine in erster Linie ideologisch ge- steuerte Auswahl und Förderung von Wissenschaftlern die Hoch- schullandschaft in unerträglichem Maß einseitig gestaltet. Aus ih- rer Sicht sollte man eine großzügige Ablösung und Neubesetzung fordern. Auf der anderen Seite haben es gerade Hochschullehrer gut verstanden, die noch verbliebenen Freiräume für sich und an- dere zu nutzen. Viele haben sich zudem für die Erneuerung inten- siv eingesetzt und engagiert, ohne zu wissen, ob sie ihre Position zukünftig behalten können. Diese Haltung sollte nicht ungerecht- fertigt bestraft werden. Was also tun? Dazu äußert sich im folgen- den Dr. Eggert Beleites, Präsident der Ärztekammer Thüringen.

A1-890 (30) Dt. Ärztebl. 89, Heft 11, 13. März 1992

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Notwendigkeit, nicht einmal für die Karriere.

Ein gravierendes Hindernis für die Entwicklung junger Wissen- schaftler waren die fast völlig fehlen- den Reisemöglichkeiten. Standort- bestimmungen, Sprachausbildungen, fachliche Anregungen und Kontakt- pflege waren stark eingeschränkt bis unmöglich. Nach weitgehend been- deter Karriere wurde hier und da, sozusagen als Gnade für die bewiese- ne Loyalität, die Genehmigung für das Reisen erteilt, aber nicht einmal alle Hochschullehrer waren soge- nannte Reisekader. Um in das west- liche Ausland reisen zu können, be- durfte es selbst für sie vieler An- strengungen, die nicht immer den bürgerlichen Rechtsvorstellungen entsprachen. Die erforderlichen Rei- seberichte mußten in das Parteikon- zept passen, um nicht eine spätere Reise zu gefährden. Manch einer hat dabei Dichtung und Wahrheit ge- schickt ineinanderfließen lassen — lassen müssen. Nicht jeder hat vor Verleumdungen westlicher oder auch mitreisender östlicher Kollegen zurückgeschreckt. Die Angst vor dem Bericht des anderen erzeugte Unsicherheit für den eigenen Be- richt, und die Verbindung zur Stasi wurde so angebahnt oder erweitert.

Im Westen wurden die ehemaligen Reisenden aber immer nur als Wis- senschaftler erlebt und nie im Span- nungsfeld des Systems Opfer — Tä- ter.

Die pauschale Wiedergabe der Situation ist so fast unzulässig, weil sie im Einzelfall nicht stimmt. So gab es natürlich auch die politisch Blin- den, die tatsächlich geglaubt haben, daß die Partei immer recht habe. Es gab aber auch Menschen, die mit an- rüchiger Schläue die Schwächen des Staates nutzten und im Umgang mit der Mangelgesellschaft eine ausge- sprochen hohe Beschaffungsmentali- tät an den Tag legten. Andere ver- suchten sowohl im Beruflichen als auch im Privaten gleichsam am Staat vorbeizuleben, resignierend erken- nend, daß sowieso nicht viel zu än- dern sei. Auch zu dieser dritten Gruppe gehörten Hochschullehrer, die ihr Fach vertreten und Studenten ausgebildet haben, sie prüften und sie als Wissenschaftler oder Ärzte, die sich in der Folge als kompetent erwiesen, entließen.

Die möglichen Freiheitsgrade waren in den einzelnen Berufen sehr unterschiedlich. Ich meine, die Me- diziner haben ebenso wie andere Be- rufsgruppen, bei denen mangelnde Fachkompetenz zu einer nicht be- herrschbaren Situation geführt hät- te, ungleich höhere Freiheitsgrade besessen als zum Beispiel Juristen, Offiziere oder Staatsbeamte. Bei re- trospektiver Beurteilung sollten sol- che Gesichtspunkte auch bedacht werden.

Im Westen ist die Meinung ver- breitet, daß nicht nur materieller Mangel, sondern fachliche Inkompe- tenz und fehlender Einsatz die wis- senschaftliche Effizienz beeinträch- tigt haben. Hier müssen wir uns weh- ren. Engagement und Aktivität gab es im Osten genauso wie im Westen, manchmal hier vielleicht sogar noch mehr. Die Provinzialität hatte schon wesentlich etwas mit dem kommuni- stischen System und dem ständigen materiellen Mangel, der nicht zuge- geben werden durfte, zu tun.

Nach der Wende konnte man feststellen, daß die Differenzen zwi- schen Ost und West bezüglich des rein medizinischen Könnens in Dia- gnostik und Therapie nicht sehr groß sind. Bei genauem Hinsehen wurde deutlich, daß die fehlende Apparate- medizin im Osten weitgehend durch Hinwendungsmedizin ausgeglichen wurde. Gravierende Unterschiede bestanden und bestehen im Bereich der Forschung und der Forschungs- voraussetzungen.

Wege der Umgestaltung

Heute fällt auf, daß diejenigen, die es früher verstanden haben, sich auf die „richtige" Seite zu stellen, und dadurch Privilegien eroberten, sich nun wieder — vielleicht diesmal aufgrund ihrer besseren Ausgangssi- tuation — in gefestigten, vorteilhaf- ten Positionen befinden. Viele ehe- mals laut rufende Kommunisten ge- ben sich heute als versierte Demo- kraten aus. Die Nachfolgezeit der unblutigen Revolution öffnet auf der einen Seite politischen Verdächti- gungen Tür und Tor, auf der ande- ren Seite werden schon wieder un- liebsame Strukturen zementiert.

Zunächst haben die Universitä- ten und Hochschulen eine innere

Evaluierung durchgeführt. Das heißt: Mitarbeiter wurden nach fach- lichen und politischen Qualitäten be- wertet und danach in kritisch, be- denklich und unbedenklich einge- teilt. Diese Evaluierung basierte im Grunde auf keiner Gesetzlichkeit.

Die Bewertung wurde von den Hochschullehrern selbst vorgenom- men und bezog im allgemeinen Ha- bilitierte, die bisher nicht zum Do- zenten oder Professor berufen wa- ren, nicht mit ein.

Die Intensität und die Ge- schwindigkeit ist an den einzelnen Hochschulen sehr unterschiedlich gewesen. Eine fachliche Bewertung ist für Nichtfachvertreter ausgespro- chen schwierig. Es wurden deshalb zu einem großen Teil Gutachten aus dem Westen eingeholt, die jedoch in den meisten Fällen wenig qualifiziert und hilfreich waren, so daß aus fach- licher Sicht kaum eine Rückstufung erfolgte. Außerdem wurde nach Zu- gehörigkeit oder aktiver Tätigkeit bei der Staatssicherheit gefahndet. Eini- ge Hochschullehrer haben ihre Zu- gehörigkeit rasch zugegeben, andere haben hartnäckig bestritten, so daß ihnen mühselig ihre Verbindung zur Stasi nachgewiesen werden mußte.

Diese Kollegen haben sich meist niedergelassen und wie selbstver- ständlich ihren von der DDR-Regie- rung verliehenen Professorentitel beibehalten. Bei Ärzten, die mit der Stasi zusammengearbeitet haben und deshalb jetzt aus dem öffentli- chen Dienst entlassen wurden, ist die Verleihung eines staatlichen Titels durchaus auch im Zusammenhang mit ihren politischen Aktivitäten zu sehen. Die Partei belohnte nicht nur mit Geld. Es drängt sich hier deshalb die prinzipielle Frage auf, ob staat- lich verliehene Titel unbesehen Fort- bestand haben dürfen.

Es gibt auch Institute und Klini- ken, an denen die Assistenten nach- weisen konnten, daß eine vertrau- ensvolle Zusammenarbeit wegen der belasteten Vergangenheit des Chefs unmöglich war oder daß tatsächlich strafrechtlich relevante Dinge vorge- fallen waren, zum Beispiel die Ver- letzung der Schweigepflicht durch Weitergabe von Patientendaten. Als weiterer Grund für disziplinarische Maßnahmen gilt die fachliche Behin- derung von jüngeren Kollegen. Sol- che Behinderungen sind jedoch wohl Dt. Ärztebl. 89, Heft 11, 13. März 1992 (33) A1-893

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in den seltensten Fällen noch nach- weisbar.

Nach Abschluß der inneren Eva- luierung, die natürlich relativ lange Zeit dauerte, folgt nun die äußere Evaluierung durch die Landesregie- rung. Die Hochschullehrer und erst- mals auch die nicht berufenen Habi- litierten mußten dazu ihre Unterla- gen an die Landesregierung senden.

Es wird nun zunächst wiederum nach politischer Unbedenklichkeit ge- schaut. Die fachliche Bewertung soll wohl ausschließlich von westlichen Fachkollegen übernommen werden.

Parallel zu dieser noch laufenden Evaluierung wurde an den Universi- täten und Hochschulen ein Struktur- plan erarbeitet, der die erste Voraus- setzung für Stellenpläne darstellte.

Die dringend anstehende Besetzung sollte nun über ein sogenanntes ver- kürztes Berufungsverfahren, eigent- lich noch 1991, abgeschlossen wer- den. Mit der Besetzung der „C-Stel- len" — nun noch bis 1992 hinein — wäre der erste Abschnitt, sicher ein wesentlicher Teil der Umgestaltung, abgeschlossen. Die Güte dieses er- sten Schrittes wird die Qualität des weiteren Aufbaus wesentlich bestim- men, und er darf deshalb weder in der einen noch in der anderen Rich- tung leichtfertig erfolgen.

Probleme

der Umgestaltung

Unmittelbar nach der Wende wurde an vielen Instituten und Klini- ken versucht, mit viel Elan eine neue Ordnung zu errichten. Es wurden Vertrauensfragen gestellt und Vor- schläge für Neubesetzungen ge- macht. Entscheidend waren Sach- kenntnis, Erfahrung aus der Vergan- genheit und der politische Wille zur Veränderung. Bald mußten jedoch Grenzen entdeckt werden. Einer- seits, weil alte Strukturen sich unter neuem Mantel wieder gefestigt ha- ben. Andererseits, weil westliche Wissenschaftler kamen und diktier- ten, ohne die inneren Zusammen- hänge richtig zu überschauen. Dabei zeigte sich auch, daß die bisher eta- blierten Kollegen von westlicher Sei- te noch immer stark gestützt wurden und zum Teil sogar als systemgeschä- digte Kollegen angesehen wurden.

Hinzu kamen politisch falsche Ent-

scheidungen, beispielsweise die Nichtanerkennung der DDR-Vor- dienstjahre, die Kürzung der Zusatz- renten oder die teilweise vorgenom- mene Entmündigung von Universitä- ten. Damit wurden Aggressionen und Unverständnis untereinander aufgebaut.

Noch immer stellt sich die Fra- ge: Wer soll und wer kann von sei- nem Posten abgelöst werden? Das ist theoretisch sicher relativ einfach zu beantworten. Die Kollegen, die ein- deutig Vergehen gegen die Mensch- lichkeit begangen haben, sind selbst- verständlich abzulösen. Wenn straf- rechtliche Vergehen nachgewiesen werden können, dann wird es auch kein Problem geben. Alle anderen Schattierungen sind in der Beurtei- lung problematisch.

Berufsrechtliche Vergehen sind häufig nur schwer nachweisbar. Daß Kollegen behindert oder von ihrer Karriere ausgeschaltet wurden, kann nicht belegt werden, weil es darüber bisher keine greifbaren Akten gibt.

Von Bedeutung wäre es deshalb, wenn auch die Parteiarchive der Uni- versitäten zugängig gemacht würden.

Dieses Material darf nicht länger als privates Parteieigentum angesehen werden. Es handelt sich um staatli- che Unterlagen, die von der Partei unrechtmäßig angelegt und verwaltet wurden. Bei den Kollegen, die schon lange im Amt sind, läßt sich der Vor- wurf der fachlichen Unfähigkeit, der Mittelmäßigkeit oder des Versagens bei der Leitungstätigkeit in den mei- sten Fällen nicht konkret untermau- ern. Wenn zusätzlich nicht individu- elle menschliche Probleme hinzu- kommen oder kein eindeutiger Er- satz unmittelbar zur Verfügung steht, dann ist es nur zu verständlich, daß die Universitätsleitung oder auch die Landesregierung auf ent- sprechende Maßnahmen verzichtet.

Oberflächlich gesehen, erscheint es dann aus dieser Sicht am besten zu sein, alles beim alten zu belassen und Entscheidungen in die Zukunft zu verschieben. Dagegen bereitet es aber Probleme für die unmittelbar Betroffenen, wenn nun schon über zwei Jahre Unklarheit über den Fort- gang besteht, denn ein Mensch, der nicht weiß, ob er in seiner Position bleiben kann, ist in seiner Initiative und seinem Engagement gebremst.

Gerade das ist etwas, was wir in die-

ser so schwierigen Zeit des Um- und Ausbaus nicht brauchen können. Es muß rasch Sicherheit geschaffen werden, und die Angst, auch die Angst vor dem Verlust des Arbeits- platzes, muß abgebaut werden.

Als ein Beispiel dazu möchte ich den Fall des Rektors der Friedrich- Schiller-Universität Jena nennen. Er ist über 30 Jahre an der Hochschule Professor und wurde vor über einem Jahr unter demokratischen Bedin- gungen zum Rektor der Universität gewählt. Jetzt muß er seine Unterla- gen neu einreichen und um Beru- fung bitten.

Es ist ein Dilemma, daß eine echte Beurteilung der Situation im Osten sicherlich auch nur durch die Kollegen, die dort gelebt haben, möglich ist. Sie alle sind aber durch ihre Erlebnisse in der Vergangenheit miteinander verquickt, so daß Ob- jektivität und Freiheit zur Entschei- dung oft fehlen. Noch bestehen- de und zum Teil wieder gefestigte Vorgesetztenverhältnisse verhindern klare und dringend anstehende Ent- scheidungen. Man kann sich eben nicht wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.

So traurig es auch immer sein mag, die Umgestaltung wird weitge- hend mit Hilfe des Zeitfaktors auf biologischer Ebene bewältigt werden müssen. Wir sollten aber gemeinsam aufpassen, daß alte Seilschaften zer- schlagen werden, damit sich nicht wieder so ein menschenfeindliches Regime etablieren kann. Posten, an denen Weichen gestellt werden, ge- hören nicht in die Hand der bisher Privilegierten, und zwar nicht des- halb, weil sie fachlich oder gar cha- rakterlich schlecht wären, sondern weil sie bislang demonstrativ ein menschenverachtendes System ge- stützt haben. Leider ist das Empfin- den für einen taktvollen Rückzug aus verantwortungsvollen Posten wenig ausgeprägt.

Die Fragen der Rehabilitation scheinen mir auch sehr kompliziert zu sein. Nicht jeder, der bislang kei- ne Karriere machen konnte, ist cha- rakterlich sauber und fachlich geeig- net. Selbst wenn das Fehlen eines Leistungswillens mehr oder weniger systeminitiiert war, kann man im Sin- ne der Gesamtentwicklung solche Menschen nicht in Positionen brin- gen, die sie nicht ausfüllen können.

A1-896 (36) Dt. Ärztebl. 89, Heft 11, 13. März 1992

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Manche Kollegen haben früher Schutz erfahren und konnten sich auch bei fehlender Unterordnung unter das Staatssystem mehr oder weniger gut entwickeln. Sie glauben heute, daß sie sich unter einem frei- en System viel intensiver entwickelt hätten. Das stimmt manchmal und manchmal auch nicht. Einige wären unter harten Konkurrenzbedingun- gen sicherlich völlig gescheitert.

Spezielle Probleme, zeigen sich auch bei den fachlichen Gutachten, die von westlicher Seite erstellt wer- den sollen. Einerseits haben die Hochschullehrer im Osten unter ganz anderen Bedingungen gelebt und gearbeitet; die wissenschaftli- chen Werdegänge sind mit den im westlichen Landesteil üblichen Le- bensläufen in keiner Weise zu ver- gleichen. Universitätswechsel sind selten, Auslandsaufenthalte, wenn überhaupt, waren fast ausschließlich auf östliche Länder beschränkt Bei den wenigen Hospitationen im We- sten ist wiederum vorsichtig zu hin- terfragen, ob sie auf fairer und ehrli- cher Grundlage genehmigt wurden oder ob es politisch-sicherheitspoliti- sche Entscheidungen waren, die die Öffnung nach dem Westen möglich machten. Darüber kann sicher kein westlicher Kollege ein Urteil abge- ben.

Die Publikationstätigkeit war im Osten in der Regel deutlich niedri- ger als im Westen. Das steht zwei- felsohne mit den politischen Regle- mentierungen im Zusammenhang.

Wenn jetzt im Rahmen der Schnell- berufungen die Unterlagen an westli- che Gutachter geschickt werden, dann sollte die Begutachtung von dort aus mit Augenmaß und auch mit Einfühlungsvermögen erfolgen.

Für viele Gutachter aus dem Westen wird eine verantwortungsvolle Ein- schätzung ein ausgesprochen schwe- res Problem sein. Ich habe auch von einigen Professoren gehört, daß sie sich nicht in der Lage fühlen, ein sachgerechtes Gutachten abzugeben.

Wie soll es dann weitergehen?

Die Lehrstühle, die wegen Ent- lassung des ehemaligen Inhabers, sei es aus Altersgründen oder wegen der Vergangenheitsprobleme, neu be- setzt werden müssen, sind bundes- weit ausgeschrieben. Es bewerben sich reichlich Kollegen aus dem We- sten, wenige aus dem Osten. Bei

Durchsicht der Bewerbungsunterla- gen fallen den Berufungskommissio- nen deutliche Differenzen zwischen Ost und West auf. Alle östlichen Kollegen stellen sich und ihren Le- benslauf wesentlich bescheidener dar. Die Kollegen aus dem Westen haben viel mehr, viel bedeutender und natürlich auch in englischer Sprache publiziert. Die objektiven Möglichkeiten ließen derartige Akti- vitäten in der ehemaligen DDR kaum zu. Schon das Unterbringen ei- ner Publikation war nicht frei von politischen Erwägungen. Mangels Auslandsreisen sind die Sprach- kenntnisse im Durchschnitt wesent- lich schlechter. Die rein klinische Tätigkeit, differentialdiagnostische Überlegungen, Entscheidung zur Therapie sind unwesentlich anders.

Die operativen Fähigkeiten und Fer- tigkeiten sind im Osten wie im We- sten sozusagen gleichermaßen aus- gebildet worden. Handwerkliches Geschick und anatomisches Ver- ständnis sind nicht systemabhängig.

In der Selbstdarstellung werden aber auch diese Fähigkeiten von den östli- chen Kollegen weniger schillernd dargeboten.

Unvoreingenommen müßten sich die Kommissionen fast aus- schließlich für westliche Bewerber entscheiden. Das hätte zusätzlich den Vorteil, daß alte „Seilschaften"

durchbrochen und neues Gedanken- gut in die Fakultäten eingebracht würde. Westliche Bewerber könnten später aufgrund ihrer internationa- len Verbindungen mehr zukunftsori- entierte Wissenschaft anstoßen. An- dererseits steckt sicher in manchem Ostkollegen viel Durchhaltevermö- gen, Engagement und vor allem Kenntnis darüber, wie die derzeiti- gen Verhältnisse sowohl der perso- nellen als auch in materieller Struk- tur einzuschätzen sind. Die Ein- schätzung, wie weit der Forderungs- bogen gespannt werden darf, kann von ihnen möglicherweise sicherer vorgenommen werden als von den westlichen Kollegen. Im Sinne der Rehabilitation sollten diese östlichen Kollegen bei der Auswahl für eine Berufung einen kleinen, aber eben nur einen kleinen Vorschußbonus erhalten. Die Meinung, daß die Ost- stellen vorwiegend zunächst von Ost- kollegen zu besetzen seien, kann ich nicht so einfach mittragen.

Weitere Schwierigkeiten erge- ben sich aus den Strukturplänen, die oft nach westlichen Vorbildern ent- standen sind, ohne die örtlichen Ge- gebenheiten und die historisch ge- wachsene Situation voll zu berück- sichtigen.

Konkrete Umgestaltung

Die Umgestaltung bedarf außer den materiellen Hilfen einer festen Einbettung in die Hochschulland- schaft Gesamtdeutschlands. Es wäre sinnvoll, wenn einzelne medizinische Fakultäten oder auch nur Kliniken mit Partnereinrichtungen aus dem anderen Teil unseres Vaterlandes ei- nen ständigen Wissenschaftler- oder Assistentenaustausch organisieren könnten. Wenn - angefangen bei den Oberärzten bis hin zu den AiP- lern - regelmäßige (vielleicht vierwö- chige) Austauschaktionen stattfän- den, dann könnte es leichter zu ech- ter Partnerschaft zwischen den Ein- richtungen kommen, wo jeder jeden kennt und die Potenzen der jeweils anderen Klinik gut eingeschätzt wer- den können. Schon im studentischen Bereich sollte man Studienplatz- wechsel zwischen Ost und West för- dern. Außerdem könnten Studenten aus Ost und West gezielt in gemein- same Forschungsprojekte einbezo- gen werden. Junge Wissenschaftler aus den östlichen Bundesländern sollten Mut entwickeln und Aktivitä- ten entfalten, um sich im westlichen Ausland aus-, weiter- und fortzubil- den. Der Zugang zu solchen Aufent- halten müßte leicht und übersicht- lich gestaltet werden. Studentische und akademische Austausprojekte sollten von östlichen und westlichen Partneruniversitäten gemeinsam ge- staltet und ausgebaut werden, um die innere Einheit Deutschlands durch gemeinsame Arbeit an einem einheitlichen Europa vorwärtszu- bringen.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -890-897 [Heft 11]

Anschrift des Verfassers:

Dr. sc. med. Eggert Beleites Präsident der

Landesärztekammer Thüringen Stoystraße 2

0-6900 Jena

Dt. Ärztebl. 89, Heft 11, 13. März 1992 (37) A1-897

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